Um 2:40 Uhr am Morgen hatte Mackenzie geholfen, die Leiche von Wanda Young zu bewegen und mit den Beamten am Tatort zu kooperieren. Sie forderte, dass der offizielle Autopsiebericht an ihre E-Mail geschickt wurde, aber es war klar, dass Fredericks Annahme der Todesursache korrekt gewesen war: ein tiefer Schnitt im Magen, welcher die Gedärme erwischt hatte und zwei schwere Schläge auf den Kopf, von dem einer ein wenig des Schädels freigelegt hatte.
Als sie wieder im Hotel ankam, wusste sie, dass sie eigentlich müde sein sollte, aber sie war dennoch recht bestärkt. Sie ging in das Büro des Motels und fragte höflich an, ob der Angestellte ihr einen Kaffee machen würde, da es keine individuellen Minikannen in den Zimmern gab.
Während sie darauf wartete, dass der Kaffee kochte, ging sie in ihr Zimmer und rief Ellington an. Sie war froh zu sehen, dass er sich müde anhörte, als er den Anruf beantwortete, ein klarer Hinweis, dass er ihren Ratschlag angenommen hatte und in Omaha geblieben war, für ein paar Stunden extra Schlaf. Sie erzählte ihm, was bis jetzt passiert war und sie machten Pläne sich irgendwann morgen mittags in Belton zu treffen.
Dann schaute sie sich die Akten an, die sie bis jetzt hatte, wie sie Sheriff Fredericks erzählt hatte. Sie las die Berichte über ihren Vater, Gabriel, Hambry, Jimmy Scotts und Dennis Parks erneut, während sie den bitteren Kaffee trank, den der hilfreiche Angestellte in ihr Zimmer gebracht hatte. Sie sah nichts in den Unterlagen, was zu der Geschichte passte, die sie bis jetzt von Wanda Young kannte. Sie sah keine klare Verbindung, Mackenzie begann, eine Liste zusammenzustellen. Sie schrieb die Namen von jedem Nicht Landstreicher Opfer auf und versuchte es wie ein Puzzle auszuarbeiten.
Mein Vater, Benjamin White: gescheiterter Vermieter wird Polizeibeamter; hat vielleicht Undercover an einer Art von Drogenring gearbeitet, von dem es keine Aufzeichnungen gibt.
Jimmy Scotts: Arbeitete mit einer kleinen Marketingfirma. Hat vielleicht einen oder zwei Jobs hinsichtlich Gemeindearbeit gemacht. Auf dieselbe Art getötet wie mein Vater.
Gabriel Hambry: Nicht bekannt, dass eine Familie in der Gegend lebt. Lebte in einem schäbigen Teil von Omaha und schien keinen aktuellen Job zu seinem Todeszeitpunkt zu haben.
Dennis Parks: Kannte meinen Vater von einem kurzen (gescheiterten) Versuch als Polizeibeamter in der Ausbildung.
Als das nicht geklappt hatte, hat er es im Immobiliengeschäft versucht. Auf dieselbe Art wie mein Vater getötet, bis hin zur Inszenierung der verstorbenen Frau auf dem Sofa im Wohnzimmer.
Wanda Young: erstes weibliches Opfer. Missionsarbeit in Afrika, im Baugeschäft involviert. Kommt aus einer reichen Familie. Hatte eine geheime Affäre mit einer jüngeren einheimischen Frau.
Sie sah sich jeden Punkt an und suchte nach Verbindungen. Es gab ein paar, aber nichts stach wirklich hervor und forderte ihre Aufmerksamkeit. Zum Beispiel hatte ihr Vater versucht ein Vermieter zu sein und Dennis Parks hatte später im Immobiliengeschäft gearbeitet. Nicht die gleichen Jobs aber ähnlich in ihrem Ursprung. Eine weitere schwache Verbindung war Jimmy Scotts, der in einem Marketing Job arbeitete, um die Verbesserung der Gemeinde zu fördern, während Wanda Young in Missionsarbeit involviert war. Wieder … dasselbe Allgemeinprinzip aber kein genaues Match.
Es muss etwas sein, was sie alle verbindet, dachte Mackenzie, als sie sich über die Liste beugte.
Ihre Konzentration wurde unterbrochen, als ihr Handy klingelte. Sie sah erst auf die Uhr und war überrascht zu sehen, dass es bereits 4:10 Uhr morgens war. Sie war dann noch überraschter, als sie sah, dass der Anruf von McGrath kam.
Noch ehe sie überhaupt ein Wort sagen konnte, war McGrath schon in Fahrt. Es machte ihr keine Angst, so wie früher, da sie ihn jetzt besser kannte und ganz tief drinnen wusste, dass er die besten Interessen und eventuellen Erfolg als Anliegen hatte. Dennoch war es überhaupt nicht angenehm, McGrath in schlechter Laune zu hören.
“Sie sind viel gereist, nicht wahr?”, beschuldigte er sie.
“Bin ich, Sir. Aber ich glaube –“
“Sie und Ellington wurden angewiesen, in Omaha zu helfen. Belton war nie auf dem Radar.”
“Das ist mir bewusst, Sir. Aber die Ermittlungen haben mich hier hingeführt. Und als Konsequenz scheint es, dass der Mörder jetzt auch hier ist.”
“Das weiß ich. Ich habe einen Anruf von Ellington bekommen. Vielleicht war das ein Anruf, den Sie hätten machen sollen … wenn Sie in Omaha gewesen wären.”
“Bei allem Respekt Sir, wenn der Mörder hier ist, wäre ich nutzlos in Omaha.”
“Ich verstehe. Das lässt mich fragen … vielleicht ist der Mörder dort, weil Sie dort sind.”
“Das glaube ich ebenfalls so langsam, Sir.”
“Warum?”
Sie erzählte ihm alles, was sie wusste – besonders über die persönliche Nachricht an sie auf der Rückseite der Visitenkarte, die aus Wanda Youngs Mund herausgezogen wurde. Als sie fertig war, seufzte McGrath. “Ich will, dass Sie sich mit mir gleichsetzen, White. Ich möchte hundertprozentige Ehrlichkeit bei der nächsten Frage. Verstanden?” Er machte eine Pause und ließ die Frage auf sie los. “Sind Sie da zu nahe dran?”
“Wahrscheinlich näher, als ich sollte”, gab sie zu. “Aber ich bin so nah dran, Sir. Und selbst wenn nicht … ich spüre, einfach, dass er es auf mich abgesehen hat. Als wenn er weiß, dass wir ihm auf der Spur sind und er jagt mich schon fast … versucht mich zu necken oder mich rauszulocken.”
“Wenn Sie jemand anders wären, würde ich Sie von dem Fall abziehen. Ich sage Ihnen jetzt noch einmal: Ich habe Ellington gesagt, er soll Sie im Auge behalten. Wenn er fühlt, dass Sie emotional zu tief da drin stecken, um einen guten Job zu machen, dann wird er mich anrufen. Und wenn das passiert, werde ich Sie von dem Fall abziehen. Und nicht nur für eine Weile … für immer.”
“Ich verstehe”, sagte Mackenzie. Und sie verstand es wirklich. Sie war einfach nur dankbar, dass er ihr erlaubte, weiter dran zu bleiben.
“Gut. Jetzt geben Sie ihr Bestes um sicherzugehen, dass dies in Belton bleibt und endet. Verstanden?”
Er legte auf ehe sie antworten konnte … was nicht anders zu erwarten war, wenn es um Telefongespräche mit McGrath ging.
Mackenzie nutzte die Pause von dem Analysieren der Berichte und Aufzeichnungen, um Fredericks anzurufen, und zu sehen, ob es von seiner Seite irgendwelche Fortschritte gab. Er hatte nichts Neues zu berichten, nur seine Versicherung, dass er fast seine ganze Abteilung in die Stadt geschickt hatte, um nach allem zu suchen, was nur den kleinsten Argwohn hervorrief. Er beendete den Anruf, mit dem Schwur, sie sofort anzurufen, falls sich irgendetwas ergab.
Sie erkannte, dass sie in den letzten sechsunddreißig Stunden nur zwei Stunden Schlaf bekommen hatte, sie stellte sich also den Wecker auf ihrem Handy auf 80 Minuten und legte sich aufs Bett. Sie blieb in ihrer Kleidung und zog nur die Schuhe aus.
Dieses Mal brauchte sie das Melatonin nicht. Trotz der Anspannung in ihrem Bauch und der vielen Gedanken in ihrem Kopf, schaffte sie es sofort in einen oberflächigen Schlaf zu gleiten.
***
Es war nicht ihr Wecker, der sie weckte, sondern das Klingeln ihres Handys. Sie hoffte, dass es Sheriff Fredericks mit einem Update wäre, und antwortete sofort, ohne auf das Display zu schauen. Sie war sofort wach, der Drang zum Schlafen verschwand sofort. Aber sie fühlte sich auch dumpf und mit einem lauernden Schmerz in ihrem Kopf, ein Gefühl, das sie nur zu gut kannte – ein lauernder Erschöpfungskopfschmerz.
“Hier ist Agentin White”, antwortete sie.
Die Stimme am anderen Ende gehörte nicht zu Fredericks. Sie war verwirrt zuerst, aber dann erfasste es ihr Verstand.
“Hi Agentin White. Hier ist Tim Parker. Ich weiß, es ist früh, aber ich hatte vor ein paar Minuten einen Gedanken und dachte, Sie wollen das vielleicht wissen.”
Sie schaute auf die Uhr und sah das es 5:55 Uhr war. Eine frühe Zeit, aber nicht für einen älteren Mann, der wahrscheinlich dazu neigte, früh aufzustehen. Und sicherlich nicht zu früh für eine eifrige FBI-Agentin, die spürte, dass sie fast am Ende eines Falles war.
“Es ist nie zu früh”, antwortete sie. “Ich freue mich über Ihren Anruf. Was haben Sie für mich?”
“Ich bin heute Morgen gegen vier aufgewacht, weil ich immer noch an den Mann denken musste, dem ich die Visitenkarte gegeben habe. Ich erinnere mich, dass ich Ihnen gesagt habe, dass ich ihn nicht zum ersten Mal gesehen habe und das stimmt auch – aber es ist in meinen Kopf hängen geblieben. Ich habe versucht herauszufinden, woher ich ihn kenne … und dann wusste ich es. Er hat an dem Tag etwas bei mir gekauft. Ich glaube, er hat es nur gemacht, um nett zu sein, weil ich ihm die Karten gegeben hatte.”
“Und haben Sie irgendwelche Aufzeichnungen von dem Kauf?”, fragte sie.
“Habe ich. Ich bin gerade in meinem alten Laden und schaue gerade darauf. Er hat ein paar Bücher gekauft. Drei gebundene Ausgaben und ein altes Field and Stream Magazine. Er hat mit einer Kreditkarte gezahlt, also habe ich die alte Quittung hier. Sein Name ist Greg Redman. Leider ist das alles, was ich Ihnen geben kann.”
Mackenzie war viel zu aufgeregt einen Namen zu haben, um sich wegen Parkers letztem Kommentar zu stören.
“Was ist mit den Büchern?”, fragte sie und fragte sich, ob das weitere Einblicke bieten könnte.
“Nein. Das kann ich von der Quittung nicht erkennen. Sie sind aber alle als allgemeine Fiktion gelistet.”
“Können Sie sich noch an etwas anderes erinnern?”, fragte sie.
“Nein, tut mir leid das ist alles.”
“Sie brauchen nicht so niedergeschlagen sein”, sagte sie. “Das ist eine riesige Hilfe. Vielen Dank für Ihren Anruf.”
Sie beendete den Anruf und nahm dann das Handy, um direkt Fredericks anzurufen. Er hörte sich erschöpft an, als er den Anruf beantwortete, aber seine Stimme schien sich zu erhellen, als er erkannte, dass es Mackenzie am anderen Ende war.
“Ich habe einen Namen”, sagte Mackenzie und teilte ihm die Einzelheiten mit, die sie gerade von dem Anruf von Tim Parker erfahren hatte.
“Kommt mir nicht bekannt vor”, sagte Fredericks. “Wissen Sie, ob er Bewohner von Belton oder Elm Branch ist?”
“Keine Ahnung”, sagte sie.
“Okay. Wir werden den Namen hier durchleuchten und sehen, was wir finden können.”
“Und ich werde dasselbe in unserem Büro tun”, fügte sie hinzu.
Mit einem Namen, einer schwachen Sicherheit, dass der Mörder irgendwo nahe war und ein Sonnenaufgang, der einen neuen Tag ankündigte, schien Mackenzies einstündiger Schlaf genug gewesen zu sein. Sie wusch sich das Gesicht mit Wasser und machte ihr Haar zumindest präsentierbar, dann griff sie nach ihrem Ausweis und der Glock. Sie versuchte, sich auf die einfachen Aufgaben zu konzentrieren und tat alles, was sie konnte, um den schleichenden Schmerz der Kopfschmerzen, der immer größer wurde, zu ignorieren.
Als sie zur Tür ging, klopfte jemand von der anderen Seite.
Sie schaute durch das Guckloch und konnte nicht anders und musste lächeln. Sie öffnete sie schnell und bekämpfte den Drang zu weinen.
Ellington stand dort und die Art, wie die Erleichterung bei seinem Anblick sie durchfuhr machte zwei Dinge mit ihr: Sie spürte, dass die Dinge zwischen ihnen wieder in Ordnung kommen würden und sie fühlte sich auch sicherer, dass dieser Fall ein Ende haben würde.
Sie nahm seine Hand und zog ihn hinein. Ohne die Tür hinter sich zu schließen, erlaubte Ellington ihr, ihn durch die Tür zu ziehen. Sie zog ihn ein wenig dramatisch an sich und hielt sich an ihm fest.
“Es tut mir so leid”, sagte sie. “Ich weiß nicht, was mit mir los ist.”
Sie schluchzte an seiner Schulter, und obwohl es peinlich war, war die Verletzlichkeit und das Gefühl es loszulassen eine Erleichterung.
“Du kämpfst mit deinen Geistern und anscheinend bist du dabei einen Fall aufzuklären.”
Sie lächelten sich an, das Lächeln hörte nicht auf, bis sich ihre Münder zu einem Kuss trafen, von dem sie sich nicht bewusst war, dass sie ihn in den letzten Tagen gebraucht hatte.
Als sie sich voneinander lösten, schaute sie ihm direkt in die Augen – etwas, was sie schwer fand, wegen ihrer Abneigung zur Verletzlichkeit.
“Ich bin froh, dass du hier bist”, sagte sie. “Und es tut mir leid, wenn du das Gefühl gehabt hast, dass ich dich abweise. Dieser Fall … du hast es schon eine Weile vorher Dämonen bekämpfen genannt. Und genauso fühlt es sich auch an. Also, es tut mir leid.”
“Ich nehme deine Entschuldigung nicht an”, sagte er. “Nicht jetzt jedenfalls. Ich will auch nicht, dass du über diesen Unsinn nachdenkst, bis wir diesen Fall unter Kontrolle haben. Angebot?”
Sie antwortete mit einem weiteren Kuss. Sie brach ihn dies Mal ab, konzentrierte sich wieder auf ihre Prioritäten … was schwerer als sonst war, jetzt wo er direkt vor ihr stand.
“Wir haben einen Namen”, sagte sie.
“Für den Mörder?”
Sie nickte. Und ich spüre, dass er wahrscheinlich noch in der Stadt ist. Oder vielleicht in der Nachbarstadt von Elm Branch.”
“Dann lass uns das Arschloch holen”, sagte Ellington.
Sie verließen das Zimmer und traten in den Morgen hinaus. Noch ehe sie es bis zu ihrem Auto geschafft hatten, sah Mackenzie zwei Streifenwagen die Straße herunterrasen. Die Sirenen waren nicht an, aber sie übertraten die Geschwindigkeitsgrenze und fuhren Seite an Seite.
“Geht’s dir gut damit?”, fragte Ellington, während sie ins Auto stiegen. Sie konnte an der Art, wie er redete und den Blick von Zuversicht auf seinem Gesicht sehen, dass er es ebenfalls fühlte – dass dieser Fall sich auf die eine oder andere Art schon bald hier in Belton schließen würde.
“Mit was?”, fragte sie.
“Diesen Fall in Belton abzuschließen. Mit mir. Ich meine, es scheint schon fast eine Art kosmische Gerechtigkeit, aber trotzdem … ich verstehe, dass das ein schwerer Gang für dich wird.”
“Mir geht’s gut”, sagte sie und war sich bewusst, dass sie ein wenig log.
Sie war sich ziemlich sicher, dass Ellington das ebenfalls bemerkte. Aber er sagte nichts, als sie den Motor startete und auf die Straße fuhr, sie folgte den zwei Streifenwagen, die gerade vorbeigerast waren.