Moment mal …« Feli stand auf und wollte protestieren.
Klopstock aber hielt weiterhin den Knopf für die Wechselsprechanlage gedrückt und fragte mit falscher Freundlichkeit: »Darf ich Ihnen ein Taxi rufen lassen, Frau Heilmann?«
Feli verschluckte sich beinahe an ihren Worten und musste vor Ärger husten. »Wissen Sie was? Ich konnte Sie schon nicht leiden, bevor ich Sie kennengelernt habe. Danke, dass Sie mir jetzt einen handfesten Grund geliefert haben.«
Mit festem Schritt verließ sie das Zimmer und war versucht, die Tür hinter sich zuzuknallen, aber das verhinderte ein automatischer Mechanismus, der dafür sorgte, dass die Tür gedämpft ins Schloss fiel.
Und jetzt?
Feli atmete tief durch, nickte der Empfangsdame freundlich zum Abschied zu, die ja nichts für das unmögliche Benehmen ihres Chefs konnte, und stapfte zurück zum Fahrstuhl, ohne zu wissen, was sie jetzt tun sollte.
Falsch.
Im Grunde wusste sie ganz genau, was sie jetzt erledigen müsste, aber genau davor hatte sie Angst. Wie würde Mats reagieren, wenn sie ihm die Nachricht überbrachte, dass es vermutlich einen Zusammenhang zwischen Klopstock und einem Taxifahrer mit dem Spitznamen Bono gab, sie jedoch keine Möglichkeit sah, wie ihm das bei der Befreiung von Nele weiterhelfen sollte?
Ihr Telefon klingelte, während sie auf den Knopf drückte, um den Fahrstuhl zu holen.
Janek!
Sie wollte ihn wegdrücken, vertat sich aber und hatte ihn in der Leitung.
»Wo um Himmels willen steckst du denn die ganze Zeit, Liebling?«
Der Kosename am Ende des Satzes vermochte seiner Frage nicht die Anspannung zu nehmen. Ihr Verlobter war hörbar irritiert, was Feli gut nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich hatte er lange und vergeblich nach einer rationalen Erklärung gesucht, weshalb er seine Fast-Ehefrau wenige Stunden vor der Zeremonie weder auf dem Handy noch auf dem Festnetz hatte erreichen können. Zu Hause, wo sie sich frisch machen, die Haare glätten, eindrehen oder föhnen sollte; vielleicht mit einem Glas Sekt in der Hand, als Ausdruck der Vorfreude, die sie mit jedem Atemzug immer mehr erfüllte.
Stattdessen hatte sie seine SMS und Anrufe ins Leere laufen lassen und war jetzt im denkbar ungünstigsten Zeitpunkt an ihr Telefon gegangen.
Aufgewühlt, verwirrt und planlos.
»Ich bin bei einem Kollegen am Ku’damm«, sagte sie wahrheitsgemäß und drückte noch einmal auf den Fahrstuhlknopf, weil sie keinerlei Anzeichen dafür registrierte, dass sich der Lift irgendwo in Bewegung setzte.
»Wo bist du?«, fragte Janek so entgeistert, als hätte Feli ihm gestanden, spontan nach Australien ausgewandert zu sein. »Arbeitest du etwa noch?«
»Nein«, sagte sie und zwang sich, nicht ungerecht zu werden. Es wäre ein Leichtes für sie, den Gegenangriff zu starten, indem sie ihn fragte, ob derartige Privilegien nur für den Mann in der Ehe gälten. Immerhin war er heute noch ins Büro gefahren und nicht sie. Aber mit dieser Retourkutsche würde sie nur ihre Wut auf ihn projizieren, die doch eigentlich ihr selbst und der Situation galt. Aus einer impulsiven Welle der Hilfsbereitschaft heraus hatte sie sich vor den Karren eines Menschen spannen lassen, mit dessen Angelegenheiten sie nichts mehr zu tun haben wollte. Nach dem Tod seiner Frau hatte Mats sie schon einmal benutzt. Obwohl er wusste, dass sie ihn liebte und weitaus mehr von ihm wollte als nur eine Nacht, hatte er sie als Trostpflaster missbraucht. Und kaum dass Nele es herausgefunden und mit ihrem Vater gebrochen hatte, ließ er sie wieder fallen. Ein stärkerer Mann wäre nicht nur in den Minuten des Todes bei seiner Ehefrau geblieben. Er hätte der Zukunft eine Chance gegeben und versucht, sich ein neues Leben zu schaffen, in dem auch Feli vielleicht eine Chance gehabt hätte. Aber Mats war geflohen und hatte sie zurückgelassen.
»Mats Krügers Tochter ist etwas Schlimmes zugestoßen«, antwortete Feli ihrem Verlobten, nachdem sie entschieden hatte, dass sie diesen wichtigen Tag heute nicht mit einer Lüge belasten wollte. »Wir treffen uns gleich zu Hause, okay? Dann erklär ich dir alles.«
Soweit ich es kann.
»Hm«, knurrte Janek durch die Leitung, und Feli fragte sich, ob er ihr nach dem Namen Mats Krüger überhaupt noch zugehört hatte.
»Eine halbe Stunde, dann bin ich zurück«, versprach sie und legte mit einem »Ich liebe dich« auf, als Janek nichts mehr sagte.
Na, das ist ja die beste Einstimmung auf die große Feier, dachte sie und sah auf die Uhr. Es war genau 200 Minuten vor Standesamt.
Puh.
Jetzt ärgerte sie sich darüber, Livio vorhin weggeschickt zu haben, nachdem er sie mit seinem zerbeulten Renault hier am Ku’damm Ecke Meineckestraße abgesetzt hatte. Nun musste sie sehen, wie sie es ohne Auto rechtzeitig nach Hause schaffte. Vermutlich ging es mit der S-Bahn schneller als mit dem Taxi.
Ping!
Der Fahrstuhl öffnete sich, aber Feli stieg nicht ein. Mit der Sekunde des Signaltons erkannte sie, welchen Fehler sie gemacht hatte.
Eben gerade, in Klopstocks Büro.
Sie drehte sich wieder um und lief zurück zum Empfang.
»Ich hab es mir überlegt«, sagte sie zu der Schönheit hinter dem Tresen.
Klopstock!
Er hatte ihr die Hand gereicht, aber sie hatte sie ausgeschlagen. Brüskiert, wütend ob der vermeintlichen Zurückweisung.
»Wissen Sie, ich heirate heute und muss noch von Pontius zu Pilatus.«
Die in Wahrheit gar keine Zurückweisung gewesen war, sondern ein Angebot: »Darf ich Ihnen ein Taxi rufen lassen?«
»Und der Herr Professor meinte, er könnte mir einen zuverlässigen Chauffeur empfehlen.«
»Zuverlässig?«
Klopstocks Empfangsdame rümpfte die Nase. »Er sollte ihn heute früh von zu Hause abholen, aber dort ist er nicht aufgetaucht.«
»Ist das wahr?« Feli spürte, wie ihr vor Aufregung das Blut in die Wangen schoss. Das sprach dafür, dass sie richtiglag. Fraglich war nur, weshalb Klopstock sich eben so verklausuliert ausgedrückt hatte. Und welche ihrer Ausführungen ihn so spürbar nervös gemacht, eventuell sogar in Angst versetzt hatte.
»Können Sie es dennoch einmal bei dem Fahrer versuchen?«, bat Feli.
Die Empfangsdame angelte kommentarlos eine abgegriffene Visitenkarte aus einer Zettelbox und klemmte sich den Telefonhörer hinters Ohr.
»Schauen wir mal. Vielleicht ist Franz ja jetzt für uns zu erreichen.«