Wieso?«
Es war dieses eine Wort, das Kaja ihrem Opfer ins Gesicht brüllte. Wieder und wieder überlagerte die Frage die panischen Rufe, das Gejammer, das Gebrüll, das Weinen und die aufgeregten Diskussionen, die nach der Durchsage überall im Flugzeug ausgebrochen waren.
»WIESO?«
Kajas Schreie hatten Mats, nachdem er sich befreit und die Sky-Suite verlassen hatte, die Richtung gewiesen. Die Treppe hinunter in die Lobby, in der sich vier Menschen aufhielten.
Kaja stand vor der Eingangstür zum First-Class-Bereich, mit einer Pistole in der Hand, die sie auf eine Person richtete, die vor ihr auf dem Boden hockte, direkt unter dem in die Tür eingelassenen Fenster. So eng zusammengekauert und von Kajas Körper abgeschirmt, dass Mats aus seiner Position von der Hälfte der Treppe aus nicht erkennen konnte, wen die Purserin dort bedrohte.
Rechts von Kaja stand Valentino mit ernster, zusammengekniffener Miene. Er hielt den Vorhang zur Lounge geschlossen, vermutlich, damit aus den hinteren Bereichen keine Passagiere nach vorne drängen konnten, sei es aus Neugier oder um den Helden zu spielen.
Mats konnte ihm ansehen, dass er versuchte, die Angst zu überspielen, die er wie alle hier an Bord verspüren musste, aber es gelang ihm nicht besonders gut.
»Wieso nur hast du das getan?«, schrie Kaja die Person am Boden an. Sie hatte die Ankunft von Mats noch gar nicht registriert, obwohl sie sich immer wieder vergewisserte, dass keiner der Männer ihr in den Rücken fallen wollte. Dabei hätte das in dieser Situation niemand ernsthaft versucht, nicht einmal der dafür ausgebildete Sky Marshal, dem Kaja die Waffe abgenommen haben musste.
Trautmann saß auf dem Sofarondell in der Mitte der Lobby, und sein Gesicht sah aus – als wäre es geschmolzen?
Es war hochgradig verbrannt. Wo die Haut keine hässlich weißen Blasen warf, war sie feuerrot, wie mit einem groben Schmirgelpapier bearbeitet.
Oder mit Kaffee.
Mats trat eine weitere Stufe nach unten und sah die gläserne Kanne am Boden, mit der in der Businessclass nachgeschenkt wurde.
Wenn Kaja dem Sky Marshal die frisch aufgebrühte, siedend heiße Flüssigkeit ins Gesicht geschüttet hatte, erklärte das, wie sie den mindestens fünfzig Kilo schwereren Mann überwältigt und ihm die Waffe abgenommen haben konnte. Das wiederum konnte von den Passagieren kaum unbemerkt geblieben sein, weswegen Kaja die Durchsage gemacht hatte.
»Wasser«, flüsterte Trautmann und presste sich die Hände auf das verbrühte Gesicht. Offenbar waren bei dem Angriff auch seine Augen in Mitleidenschaft gezogen worden. Der Sky Marshal schien nichts und niemanden mehr zu sehen.
Mats’ Blick wanderte wieder zu Kaja, die auf das ihr zu Füßen kniende Opfer einschrie: »Wir kennen uns, seitdem ich denken kann. Du kennst meine Geheimnisse, du weißt alles von mir. Ich dachte, ich kann dir vertrauen, aber es war alles nur eine Lüge?«
Kaja trat die Person zu ihren Füßen. Das Nikotin in ihrem Blut zeigte noch keine Symptome, was ganz normal war. Es konnte eine halbe Stunde dauern, bis die Krämpfe einsetzten.
Mats wagte es, eine weitere Treppenstufe zu nehmen.
»Du hast mich manipuliert. Du hast uns alle manipuliert.«
»Nein«, hörte Mats eine ihm vertraute Frauenstimme wimmern, die zu der Person gehörte, die sich am Boden liegend krümmte. Als würde sie etwas mit Armen und Oberkörper verdecken und somit beschützen wollen.
»Ihr haut alle ab!«, schrie Kaja und drehte sich kurz mit der Waffe des Sky Marshals im Kreis. Dabei entdeckte sie Mats, dem sie, wie ihm schien, kurz zunickte, so als habe sie damit gerechnet, dass er einen Weg fand, sich zu befreien.
Die Umstehenden setzten sich sofort in Bewegung. Valentino, der halb blinde Trautmann und auch Mats wollten hinter dem Vorhang verschwinden, doch Kaja hielt Mats zurück.
»Sie nicht. Sie bleiben hier und schauen zu.«
In diesem Moment fing das Baby, das die Frau am Boden zu schützen versuchte, an zu wimmern.