Kapitel 10


Pulp Fiction

 

Nach der denkwürdigen »Kranzldog« Prozession freute sich Hansi auf das gesellige Beisammensein, der noch immer aufgeregten Dorfleute, die angeregten Diskussionen zu den neuesten Breaking News und natürlich auch auf die frische Sülze von Gastwirt Herbert. Denn wirklich niemand anderes würzte die herzhafte Sulz und den Ziderer – wie man in Bayern das glibberige Aspik nennt, weil es halt so zittert – so aromatisch wie er. Außerdem hoffte er darauf, Sepp und Michl zu treffen, um endlich die große Spezl-Reunion samt mehreren Versöhnungshalben zu zelebrieren. Er war fest entschlossen, auf Kontaktaufnahmen seiner besten Freunde aufgeschlossen zu reagieren. Hansi war bereit, ihre Entschuldigung anzunehmen.

Die Bauhofmannschaft samt Scharnagl traf vor dem Wirtshaus ein und wollte schnellstmöglich einige erfrischende Filzer-Helle in ihre Kehlen schütten, vor allem nach der ganzen Aufregung in der prallen Sonne. Jedoch musste Hansi im Eingangsbereich noch ein paar Details des erteilten Schwarzbau-Auftrags eines freistehenden Holzbackofens mit seinem Cousin Severin besprechen. Als gelernter Maurer hatte Hansi schon einige dieser rustikalen Open-Air-Kochgelegenheiten gebaut und war als Backofen-Koryphäe im Dorf und drumherum bekannt und geschätzt. Kein Holzofenbrot und auch kein Schweinernes schmeckten so gut wie aus den von Hansi gebauten Öfen.

Nachdem eine Viertelstunde später endlich Severins Fragen alle beantwortet waren, betrat auch Hansi die Gaststube und peilte gleich den Tisch seiner ehemaligen Kollegen an, die jedoch separat neben dem Stammtisch Platz genommen hatten. Eigentlich wäre er lieber im Zentrum des Dorftratsches gesessen, allein schon darum, weil der Müller und der Huberbauer, die noch nicht anwesend waren, grundsätzlich immer am Stammtisch hockten. Wiggerl, Martin, Reinhard, Karl, Franz, Tom und sogar der kleine Hackl Anton steckten gerade ihre Köpfe zusammen und hatten offenbar etwas sehr Geheimes zu besprechen. Allerdings schien sie dieses Thema sehr zu erheitern, denn Hansi hörte unterdrücktes Gelächter und blickte in ausgesprochen belustigte Gesichter. Hansi wunderte sich sehr darüber, dass plötzlich Ruhe einkehrte, als er sich zu ihnen gesellte.

Eha! Was ist jetzt da los? Warum sind's denn alle gleich so still? Kann das vielleicht an Wiggerls dubioser Aktion von grad eben liegen? Haben die anderen auch was damit zu tun? Soll ich sie vielleicht einfach noch a mal drauf ansprechen?, grübelte er innerlich verunsichert.

»Na Leidls? Was habt's denn schon wieder so Geheimes zu tuscheln?«, platzte es gleich darauf unüberlegt aus ihm heraus.

Und wieder einmal musste sich Hansi ernsthaft fragen, ob es doch sein könnte, dass zwischen seinem Hirn und seinem Mundwerk vielleicht eine essenziell wichtige Serienausstattung fehlte. Andere Mitmenschen hatten sicher so eine Prüfstelle, die dafür vorgesehen war, Gedachtes erst zu überlegen und nicht sofort auszuplappern. Diese »Fehlkonstruktion« hatte ihn schon des Öfteren in die Bredouille gebracht.

»Ha? Sag a mal! Mir? Mir ham doch nix getuschelt? Geh weiter, Scharnagl, mach halt nicht immer gleich auf Miss Marple! Du siehst ja bald schon überall eine Verschwörung …«, lachte Martin und hob sein Bierglas zum Prost. »Geh weiter, trink ma lieber a Halbe miteinander.«

So wie das hier aussah, war er wohl inzwischen nicht mehr Teil des eingeschworenen Bauhofteams, was ihm einen schmerzhaften Stich in seinem weichen Herzen bescherte.

Alles nur wegen dem depperten Monaco – Gott selig , ärgerte er sich wieder einmal.

Diese ernüchternde Erkenntnis und das Eintreffen seines schwer vermissten Sepps, der ihn entweder völlig übersehen haben musste oder absichtlich keines Blickes würdigte, löste in Scharnagl ein sehr großes Durstgefühl aus, das er in relativ kurzer Zeit zu stillen versuchte. Wenigstens schmeckte die frische Sülze und hemmte die große Menge des rasch verinnerlichten wunderbaren Filzer-Gerstensaftes ein wenig in seiner Wirkungsentfaltung – zumindest vorübergehend. Langsam wurde sein Herzschmerz dann auch tatsächlich besser, was zum einen bestimmt an den alten lustigen Bauhofgeschichten lag, die seine früheren Kollegen wieder einmal auspackten und ihn in Erinnerungen schwelgen ließen. Die Männer signalisierten ihm sogar einige Male, dass er ihnen schon ziemlich fehlte und sie es immer noch bedauerten, dass er jetzt lieber beim Filzer-Bräu das Bier durch die Gegend kutschierte, als sich eben nicht mehr um den verkommenen Rasen auf dem Dorfplatz zu kümmern. Diese Schmeicheleien fand Hansi natürlich entzückend und die Hoffnung auf ein Rasenmäher-und-Schneepflug-Comeback blitzte wieder in seinem hinteren Gehirn auf. Vielleicht würde doch noch alles gut werden.

Aber auch die fünf Halbe Filzer-Hell taten ihr Übriges, um seine Stimmung wieder zu heben. Außerdem wurde fast im ganzen Wirtshaus heiß und gewohnt humorvoll diskutiert, wer denn nun das »M-Herz« und den »Lateinerspruch« auf den Blumenaltar gelegt haben könnte. Die Hinkhoferin wurde verdächtigt, heimlich einen VHS-Kurs in Latein und Floristik belegt zu haben, denn sonst gab es nicht wirklich eine Verdächtige und die gute Berta musste dann meistens für diese Zwecke herhalten. Wobei auch sämtliche Namen der ehemaligen Gymnasiastinnen aus dem Dorf im allgemeinen Gespräch recherchiert wurden, aber in diesem Kreis gab es ebenfalls keine konkreten Hinweise auf eine mögliche Tatverdächtige. Zumindest waren sich die Stammtisch-Profiler einig, dass es sicherlich eine weibliche Person gewesen sein musste. Selbstverständlich kam auch der zweite Skandal des Tages nicht zu kurz. Beim »Bürgermeister-Gate«, wie das Dilemma schnell getauft wurde, gab es ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte zu den Hintergründen.

Das gesamte Wirtshaus-Analyse-Team tappte vollkommen im Dunkeln. Nur einer nicht! Sherlock Scharnagl war sich inzwischen absolut sicher, dass Wiggerl hinter dem »Bürgermeister-Gate«-Skandal steckte. Jedes Mal, wenn dieses Thema angeschnitten wurde, warf Hansi dem Bauhof-Kapo einen vielsagenden Blick von der Seite zu, was den Hackl Ludwig durchaus nervös werden ließ. Seltsamerweise beteiligte sich auch keiner der Bauhofmänner so lebhaft wie gewohnt am Dorftratsch, was Scharnagl ebenfalls als belastendes Indiz wertete. Normalerweise war man in den kommunalorangen Kreisen nie abgeneigt, ein neues Gerücht zu erfahren oder gar zu streuen. Die Männer grinsten nur recht verschmitzt, wenn wieder einmal jemand am Tisch vorbeikam und wissen wollte, ob denn nicht einmal jemand vom Bauhof etwas gehört hätte, was auf einen Putsch im Rathaus oder wenigstens eine kleine Revolution hindeuten könnte. Dieses ungewohnte Verhalten seiner ehemaligen Kollegen brachte Hansis Gehirnwindungen natürlich wieder einmal zum Glühen und hatte letztendlich das Ergebnis, dass sehr wahrscheinlich alle Bauhofler hinter diesem Komplott stecken könnten. Aber er hatte noch immer die leise Hoffnung, dass die Herren ihn eventuell mit höherem Promillegehalt doch noch in ihr Geheimnis einweihen würden. Schließlich war er im Herzen noch immer einer von ihnen.

Hansi freute es, dass sich sein neuakquirierter Spezl Konrad an ihren Tisch setzte. Koni hatte heute Kellnerdienstfrei und somit endlich einmal Zeit auf einen Plausch.

»Na, Koni? Hast dich ja jetzt schon richtig eingelebt im Dorf, was ich heut so gesehen hab«, begann Scharnagl das Gespräch, welches ohnehin schon längst überfällig war.

»Oh mei, Hansi. Das war die beste Kurzschlussentscheidung, dass ich mit dir nach Unterfilzbach gefahren bin. Hier kann ich ganz neu anfangen. Ich fühl mich jetzt wirklich befreit, es ist ja fast wie ein neues Leben, was ich jetzt hier hab«, flötete Konrad und wirkte gelöst.

»Das freut mich aber sakrisch, Konrad. Jetzt kommst' dann a mal zu uns heim auf eine gescheite Hausbankhalbe, gell? Das ist ja schon ewig fällig, jetzt bist ja fast schon zwei Monate in Unterfilzbach.«

»Freilich, gerne, Hansi. Morgen hätt ich auch noch frei, da könnt ich vorbeikommen.«

»Ausgemacht! Morgen ab Fünf wär ich daheim. Aber sag a mal, was war denn jetzt eigentlich so schlimm an deinem alten Leben? Du hast nur erzählt, dass deine Ehe auseinandergegangen ist. Das ist bestimmt furchtbar gewesen, aber mei … das passiert halt auch überall a mal. Hat dich das so aus der Bahn geworfen? Hat sie einen anderen gehabt, gell?«, wollte Hansi nun endlich mehr über seinen Freund erfahren. Schließlich brauchte man bei besten Spezln ja auch einen groben Überblick über die privaten Verhältnisse.

»Einen anderen? Nein! Das hätte sie mir niemals angetan, treu war meine Frau immer. Es hat halt nicht mehr gepasst und sie hat mich verlassen«, sprach Konrad sachlich und abgeklärt.

»Na mei. Du bist ja ein zünftiger Bursche, da findest' ja eh schnell wieder eine Neue. So greislich bist ja jetzt auch wieder nicht, da wird dich schon noch eine nehmen«, plapperte Hansi wieder einmal wenig sensibel und spürte, wie seine Zunge langsam schwer und gleichzeitig unkontrollierbar wurde.

»Ach, mei, Hansi, hör mir damit auf. Ich brauch keine mehr, mir reicht‘s wirklich. Weißt es ja eh selber, das ist immer nur a Haufen Ärger mit den Weibern. Wie hat der alte Marley Bob vor langer Zeit so schön gesungen? Koa Weib, koa Gschroa«, grinste Koni und nahm ebenfalls einen Schluck aus seinem Glas.

»Ja, da hat er schon recht gehabt, der Bob – Gott selig –, aber so ganz ohne Weiberleid … des wär' jetzt auch direkt langweilig. Na, vielleicht findest ja bei uns noch eine, da gäb's schon ein paar, die noch immer auf der Suche wären. Ich kann mich ja a mal umhören … oder ich frag a mal mein Zuckerschoasal.«

Konrad lachte herzhaft, denn offenbar hatte er sogar bereits einige Angebote aus der weiblichen Bevölkerung erhalten.

»Nein, nein, das brauchst nicht. Meine Frauen hab ich mir noch immer selber ausgesucht. Aber ich hab schon mitgekriegt, dass es hier in Unterfilzbach noch recht willige Damen gäbe. Eine hat schon gesagt, sie tät mich auf der Stelle nehmen. Das muss ich mir direkt noch a mal überlegen, weil die hätte sogar a Haus und so lang wird sie's wahrscheinlich eh nimmer machen … die würd ich glatt um mindestens 20 Jahre überleben. Dann hör ich das Arbeiten ganz auf und mach auf Privatier, von ihrer Rente könnt ich sicher gut leben.«

Diese etwas abstruse Aussage führte nun dazu, dass Hansi sich an seinem Filzer-Hell verschluckte.

»Wie meinst jetzt das Koni?«

»Na, die Hinkhofer Berta war letztens recht früh schon im Wirtshaus und hat sich eine Tasse Kaffee gekauft. Dann hat sie gemeint, ich soll mich a bisserl zu ihr dazu setzen, weil ja eh noch nix los ist. Dabei hat die ja keine Ahnung, was man so alles in einem Wirtshaus vorbereiten muss, bis die ganzen Mittagsleut' hereinstürmen. Jedenfalls hat sie dann gesagt, sie hätte jetzt wieder mehr Platz in ihrem Haus und weil sie ja biologisch eh nur ungefähr fünf Jahre älter wär als ich, könnte sie sich auch sogar was vorstellen mit mir. Also ich sollt da jetzt keine falsche Scheu an den Tag legen und mich doch a bisserl ins Zeug legen, dann würd sie sich auch rumkriegen lassen. Weil sie hätte sowieso gleich gespürt, dass da zwischen uns was geknistert hätte. Schon bei ihrem Geburtstag, wie ich unsere Dorfwirt-Bierbänke zu ihr raufgefahren und aufgebaut hab, da hat sie's sofort gemerkt, dass wir zwei das perfekte Paar wären. Dann hat sie noch gemeint, was die Heidi Klum kann, könnt sie schon lange. Junge Männer und ältere Frauen, das wär heutzutage eh normal. Man kann jetzt nicht sagen, dass eure Weiberleid im Dorf recht schüchtern wären«, lachte der Pfeffer Konrad süffisant sein Gegenüber an, der dieses Lächeln jedoch eher fremdbeschämt erwiderte.

»Geh hau doch ab! Sie!? Die Heidi Klum von Niederbayern? Mei, oh mei Berta … ja, die Hinkhoferin ist schon was ganz … ähm … Besonderes. Da hast jetzt natürlich nicht unbedingt gleich das liebste Weiberl im Dorf kennengelernt. Aber wir ham auch andere, ehrlich wahr. Jüngere, nettere, hübschere und auch nicht ganz so gschnappige und gescherte wie die Hinkhoferin. Ehrlich! Und wer weiß? Vielleicht gründest' ja sogar noch eine Familie hier in Unterfilzbach? So alt wärst du jetzt auch noch nicht. Bei Männern geht das ja eh noch viel länger als bei den Frauen. Ich zum Beispiel, ich könnt schon auch noch ein viertes Mal, wenn die Bettina noch möchte. Aber die ist wahrscheinlich schon zu alt. Ich sag's dir, Kinder sind wirklich was Schönes, also meistens zumindest. Ähm … oder … hast du vielleicht eh schon Kinder, Koni? Darüber haben wir auch noch gar nie nicht geredet …«, fragte Hansi.

Konrad beantwortete diese Frage nicht mehr, denn es wurde nun schlagartig still im Wirtshaus. Alle Gespräche verstummten, was natürlich auch Hansi und Konrad sofort dazu bewegte, ihre Kommunikation einzustellen.

Als sie sich umsahen, um den Auslöser der Stille zu ergründen, bemerkten sie Matthias Brunner, der plötzlich in der Gaststube stand und offensichtlich absolut rasend vor Wut war. Keine Spur mehr von Salbei in seinem Gesicht, inzwischen war es eher ein Chilipfefferton geworden. Dazu passten auch seine bebenden Nasenflügel, aus denen eventuell gleich noch Rauch kommen könnte, wie aus einer Dampflok.

Brunner stapfte zum Tisch des Bauhofs, stemmte seine Hände in die Hüften und baute sich mit vorgeschobener Brust vor den Männern auf wie der Hulk persönlich. Wiggerl, der neben Hansi saß, begann sofort heftig zu atmen und wurde auf der Stelle um drei Zentimeter kleiner. Kurzzeitig vermutete Scharnagl sogar, er würde sich auf der kunstlederbezogenen Bank unter dem Tisch rutschen lassen.

»HAAACCKKKLLLL! DU bist das gewesen!«, schrie er durch die mucksmäuschenstille Gaststube.

»Ähm, also …. was meinst', Matthias? Warum schreist du denn überhaupt so umeinander?«, stammelte der Bauhofchef sichtlich nervös.

Das Gemeindeoberhaupt hörte Wiggerl wohl überhaupt nicht zu, zumindest ging er eigentlich gar nicht auf diese Frage ein und brüllte: »Ich weiß es ganz genau! Du bist so ein Hundskrippl, so ein elendiger … geh her da, weil ich dir jetzt gleich so eine drum Watschen geb', dass du nimmer weißt, ob du a Manderl oder a Weiberl bist …«

Wiggerls Stimme versagte fast vollständig und er brachte lediglich noch ein krächzendes »Matthias, ich … ich … ich …« heraus.

Das Nächste, was Hansi dann noch sah, war die Faust mit dem dicken Siegelring des Bürgermeisters, die rasend schnell auf ihn zusteuerte. Dann wurde es vollständig schwarz um ihn herum.

 

»Hansi? Siehst‘ mich? Kannst' mich hören? Sag halt was, Herrschaftszeiten?«, drang es dumpf, wie durch dicke Wattebällchen in seine Ohren.

Langsam vernahm er auch aufgeregtes Stimmengewirr immer deutlicher in seinen Gehörgängen. Allerdings hörten sich die ganzen Geräusche bisher noch so an, als hätte jemand die Tonanlage in seinem Kopf ausgesteckt. Lediglich Wortfetzen wie »Sanka«, »totgeschlagen«, »Um Gottes willen« konnte er deutlich verstehen. Als Hansi die Augen öffnete, sah er zuerst Konrad, der abwechselnd seine linke und dann wieder seine rechte Backe watschte. Er fühlte etwas Kaltes, triefend Nasses auf seiner Stirn liegen. Die Wassertropfen des aufgelegten blaukarierten Geschirrhandtuchs liefen langsam über seinen Hals in seinen Hemdkragen, was ihn eigentlich gar nicht störte.

»Servus, Koni«, war das Erste, was Hansi sagen konnte. Dabei grinste er süffisant. Er fühlte sich ziemlich benommen, fast, als hätte er einen brutalen Fetzenrausch, von dem er den eigentlichen Akt des Betrinkens gar nicht mitbekommen hätte. Allerdings bemerkte er jetzt, dass sein gesamter Kieferbereich schmerzte.

»Gott sei Dank, er lebt!«, hörte er es nun klar und deutlich von überall her.

Langsam registrierte er, dass er auf dem Fußboden in der Dorfwirtsgaststube lag und sich eine mordstrum Menschentraube um ihn scharte. Hansi wollte sich aufrichten, was ihm jedoch unerwartet schwerfiel. Wiggerl und Konrad stützten ihn unter seinen Armen und hievten ihn gemeinsam auf die Bank, auf der er eigentlich gerade eben noch glaubte zu sitzen.

Ja du liebe Zeit! Was ist denn passiert? Träum ich oder hab ich so viel gesoffen, dass ich meine komplette Festplatte gelöscht habe? , ging es ihm durch den Kopf.

Hansi gegenüber saß nun auch der Bürgermeister. Es amüsierte ihn, dass Matthias' Gesichtsfarbe auf Bettinas Farbpalette irgendeine Nuance zwischen Regengrau und Herbal Love angenommen hatte.

Dieser Mann ist das reinste Chamäleon , ging es Hansi amüsiert durch den Kopf.

»Was ist denn mit dir passiert, Matthias? Geht’s dir nicht gut?«, fragte Scharnagl und umfasste instinktiv seinen Unterkiefer. Diese Frage entspannte nun die geschockten Dorfwirtsgäste etwas, denn offenbar war »ihr« Hansi doch noch der Alte geblieben. Ein zaghaftes Lachen erfüllte die Gaststube.

»HANSI! Es tut mir so leid! Ich wollt' das nicht. Ganz ehrlich!«, stammelte Brunner verzweifelt. Man konnte dabei sehen, wie ihm das Wasser in den Augen zusammenlief.

Scharnagl fühlte sich immer noch benommen. Er überlegte, wie viel er eigentlich getrunken hatte. Viele ratlos starrende Gesichter entdeckte er bei einem Rundumblick zu seiner eigenen Orientierung. Ein kleines bisserl kam er sich vor, wie der prächtige Pfau vom Huberbauern, den ständig alle Preißn anglotzten, ob er denn endlich bald sein Rad aufschlug. Hatte er vielleicht etwas im Gesicht? Oder plötzlich einen ganz ekeligen, eitrigen Ausschlag bekommen? Zum Glück kam ihm Konrad zu Hilfe und klärte die Situation auf.

»Der Bürgermeister hat dich niedergeschlagen, Hansi.«

»Was? Warum?«, fragte er daraufhin verständlicherweise in die Runde.

»Ich wollte eigentlich den Wiggerl treffen, Hansi. Ehrlich! Es tut mir so leid. Komm, wir fahren ins Krankenhaus und du lässt dich untersuchen, nicht dass dir am End noch was bleibt …«, stammelte das Gemeindeoberhaupt sichtlich verunsichert.

»Hmmm … aso … deswegen tut mir mein Schädel so weh. Mei oh mei hast du eine Kraft, Matthias, des sieht man dir gar nicht an. Aber nein, ins Krankenhaus fahren wir nicht. Ich glaub, ich geh lieber heim und leg mich a bisserl hin. Außerdem könnte ich wahrscheinlich gar nimmer fahren, das wär ja blöd, wenn mich die Polizei aufhalten tät … dann könnt ich nicht mehr Schneepflug fahren … ähm Biertruck … mein ich«, plapperte Hansi völlig verdattert und fühlte immer wieder seinen schmerzenden Unterkiefer.

»Na von uns zweien wird wahrscheinlich gar keiner mehr fahren können … aber wenn's dir nicht gut geht, dann soll dich die Bettina zum Doktor bringen. Versprichst du mir das, Hansi?! Vielleicht sollte ich deine Frau lieber anrufen und ihr das erklären …«

In Brunners Stimme hörte man deutliche Hilflosigkeit. Die ganze Sache war ihm ganz offensichtlich unglaublich peinlich, schließlich war ja ausgerechnet auch noch Wahlkampf und er schlug tatsächlich einen potentiellen Wähler quasi vor den Augen des ganzen Dorfes nieder. Im Prinzip war das wie politischer Selbstmord. Das war heute wirklich nicht Brunners Tag.

»Ja, freilich, ich versprech's dir«, flötete Hansi.

»Ich mach's wieder gut! Ehrenwort«, stotterte der »Bürgi« noch, während der lädierte Scharnagl sich schon wieder auf seine wackeligen Beine stellte.

Plötzlich stand der Scharnagl-Junior vor seinem Vater und packte ihn besorgt am Arm. »Geh Papa, ich bring dich heim«, sprach der Sohnemann, offenbar auch nicht mehr stocknüchtern.

»Mei, das wär eine Sach'. Genau, bring mich heim, mein Bub. Aber du musst der Mama sagen, dass ich keinen Rausch hab, gell. Du musst ihr sagen, dass mich der Bürgermeister zamgeschlagen hat, gell.«

Die versammelte Gesellschaft lachte, denn sie waren sich allesamt sicher, dass Bettina diese Erklärung wohl nicht gleich auf Anhieb glauben würde.

Hansi fühlte sich wie auf Drogen. Lag es an dem Kinnhaken oder doch an den sieben bis elf Filzer-Hell, die er grob im Kopf überschlagen hatte? Vielleicht war es aber auch genau diese Kombination aus beidem. Aber bis auf den nachlassenden Schmerz in seinem Kiefer war das eigentlich gar kein schlechtes Gefühl, stellte er überrascht fest.

Tatsächlich verspürte er große Euphorie. Ein Hoch, als würde er auf Wolken schweben. Es musste ein wirklich lustiger Anblick gewesen sein, als der große und der kleine Hansi Arm in Arm vom Dorfwirt Richtung Birkenweg zogen. Den beschwingten Vater überkam sogar die Lust, gutes deutsches Liedgut in voller Inbrunst wiederzugeben. Abwechselnd stimmte er sein aktuelles Lieblingslied »Macho, Macho« und das althergebrachte Lied der »Mondscheinbrüder« an, welches er aber eigentlich immer nur mit Sepp und dem Huberbauern sang, wenn sie früher gemeinsam nach einer zünftigen Nacht oder wahlweise auch an einem griabigen Nachmittag heimwärts zogen.

 

»…weil mir Mondscheinbrüder sand,
de in der Friah erst hoam geh dand!
Weil mir Mondscheinbrüder sand,
de in der Friah erst hoam geh dand!«

 

Nach der erschöpfenden Arm-in-Arm Dorfdurchquerung ließen sich die beiden Scharnagl-Männer daheim auf die Hausbank niederplumpsen. Der zehnminütige Fußmarsch war in ihrer beider Zustand wirklich anstrengend gewesen. Aufgrund der körperlichen Erschöpfung verfielen beide in einen meditativen Ruhezustand, der sich äußerlich wieder einmal sehr deutlich an ihrem gemeinsamen Goaßgschau erkennen ließ.

Bei Hansi erweiterte sich dieser Zustand der tiefen, innerlichen Besinnung sogar noch um einige Stadien und er driftete regelrecht in eine Trancephase ab. Meditation in der herkömmlichen Form war jetzt nicht unbedingt seine Stärke, jedoch wäre der inzwischen ausgewanderte, langjährige Unterfilzbacher Esoterik-Guru Ashanti wirklich stolz auf ihn gewesen. Es lag vielleicht an der Ruhe, der frischen Luft, dem Filzer-Hell, dem Brunner-Kinnhaken, der eventuell doch gröbere Schäden verursacht hatte oder einfach an dieser besonderen Stimmung, die stets zur »Blauen Stunde« bei Sonnenuntergang über dem Bayerwald schwebte. Er starrte mit offenen Augen ins Leere, aber sah plötzlich flimmernde Flashback-Bilder vor seinem geistigen, inneren Auge. Es war fast ein wenig wie damals, als der jugendliche Scharnagl in seiner Stammdisco zu AC/DCs »TNT« headbangend auf der Tanzfläche stand und die Stroboskop-Blitze seine Augen blendeten. Er sah sich selber vor Bertas Haus stehen und wusste instinktiv, dass dies der Tag des Monaco-Mordes war. Hansi fühlte dabei sogar wieder dieses unangenehme Gefühl in seiner Bauchgegend, weil er eigentlich gar nicht zu diesem Event gehen wollte. Nun erinnerte er sich auch wieder an aufgeregtes Stimmengewirr, das er wahrgenommen hatte, während er sich auf das Hinkhofer Haus und den angebauten Schupfen zubewegte. Monacos verhasste Klangfarbe hatte er sofort wiedererkannt, aber da war noch jemand! Es war eindeutig ein Streitgespräch. Nur mit wem? Wieder blitzte es und Hansi sah eine Gestalt aus dem alten Holzschupfen rennen. Blöderweise konzentrierte er sich dabei gerade nicht auf eben dieses Wesen, sondern auf einen Gegenstand, den die ominöse Person in hohem Bogen von sich schleuderte. Bei einem erneuten Blick auf die oder den Flüchtenden sah er lediglich noch die Unterseite einer Schuhsohle, wie sie schnell hinter dem Hauseck verschwand. In der nächsten Flashback-Szene funkelten Bilder eines blutverschmierten Schraubenziehers mit der Bauhofregistrierungsnummer 215 auf, den er verwundert aus Bertas ungepflegtem Rasen aufhob. Er erkannte dieses 1A-Werkzeug sofort. Wiggerl hatte sämtliche Werkzeuge persönlich mit einem fetten Eddingstift durchnummeriert, der alte Kontrollfreak. Aber auch Hansi ärgerte sich über den sorglosen Umgang mit dem kommunalen Arbeitsgerät, sogar noch in diesem Flashback. Schimpfend ging er in den Hinkhofer-Schupfen … und dann sah er ihn auf den Filzer-Biertrageln liegen – den toten, blutüberströmten Monaco … und gleich darauf Berta und ihr Gebrüll. Blitzbilder des rotgefärbten Schraubenziehers in seiner Hand ließen ihn erschaudern …

Piep, Piep, Piep! , tönte es nun laut und schrill neben ihm. Schlagartig wurde er aus seinen tiefen Gedanken gerissen. Hansi war wieder im Hier und Jetzt. Was war das? Verlor er nun doch den Verstand? Er musste sich kurz schütteln. So wirklich war es für Hansi jedoch noch nicht fassbar, was er gerade erlebt hatte. Hansi blickte neben sich und sah seinem Junior dabei zu, als er wie gewohnt seinen permanenten Begleiter – sein heiliges Handy – aus der Tasche zog und seine eingetrudelten Nachrichten öffnete.

Normalerweise war so ein Zweikilometermarsch an der frischen Luft durchaus ernüchternd, beim Junior hatte er zumindest seine belebende Wirkung gezeigt. Beim Senior hielten die Folgen des Bürgermeister-Kinnhakens allerdings noch etwas länger an und hatten anscheinend zusätzlich noch einige neurologische Störungen ausgelöst. Damit wollte sich Hansi allerdings gerade nicht beschäftigen, dies sollte er vielleicht lieber in nüchternem Zustand tun.

Eigentlich wäre genau jetzt die passende Gelegenheit, um das ernste Vater-Sohn-Gespräch zu führen, welches er sich heute während des Gottesdienstes in der Kirche vorgenommen hatte. Da der Junior seit Kurzem seine wertvolle Freizeit nur noch recht spärlich mit seiner Familie verbrachte, fühlte Hansi förmlich den Zeitdruck, trotz seines angeschlagenen Geisteszustandes diese notwendige Kommunikation jetzt zu beginnen. Vielleicht würde sein wuschiges Kopfgefühl aber die Sache sogar erleichtern.

»Du, Hansi? Was ist eigentlich in der letzten Zeit los mit dir? Irgendwie bist du total schräg drauf …«, sprach der Vater und sah seinen Sohn mit einem etwas dümmlichen Grinsen an.

»Schräg drauf?! Papa?! Sollen wir nicht doch lieber ins Krankenhaus fahren? Wie redest du denn heute daher? Außerdem schaust' irgendwie so blöd in die Gegend …«, antwortete der Filius sichtlich besorgt.

»Geh weiter. Du sagst ja immer, ich wär so ernst … oder nein, wart … wie sagst' immer? Ich wär so ein Allmann und mega spießig. Jetzt bin ich halt a mal mega gechillt und es passt wieder nicht. Mach dich halt locker, Oida …«, flötete Sherlock im Vokabular seiner Kinder. Dabei amüsierte er sich köstlich über sich selber.

»Oh je, Papa …«, seufzte der Stammhalter und verstummte kurz.

Aber offensichtlich lag ihm tatsächlich etwas auf dem Herzen. Er sah wohl nun ebenfalls eine passende Gelegenheit, um sich etwas von der Seele zu reden. Vielleicht auch gerade deshalb, weil ihm sein Vater aktuell nicht voll zurechnungsfähig erschien.

»Also … ja! Ich hab verdammte Scheiße gebaut, Papa! Und ich weiß jetzt nimmer, wie ich da rauskommen soll?«

»What the fuck! Was hast' denn angestellt, Bub?«, sprach der gechillte Vater grenzdebil lächelnd.

»Also … ich glaub, hm … vielleicht … oder sehr wahrscheinlich sogar … wirst du bald Opa … und das war jetzt noch nicht a mal alles … da ist noch was …«

»Waaaaaasssss?«, rief Hansi erstaunt.

Erneut fiepte das Handy des Stammhalters, und wie es bei den jungen Leuten von heute halt so war, konnte ihn nichts und niemand davon abhalten, sofort und auf der Stelle darauf zu schauen. Umgehend öffnete er seine neu eingetroffene Nachricht.

Man sollte nun meinen, der Senior hatte durch die gerade getätigten Aussagen seines Sohnes einen relativ großen Schock davongetragen, dem war aber nicht so. Das einzige Gefühl, was dieser neue Fakt bei ihm bisher ausgelöst hatte, war eine überdurchschnittlich große herzhafte Belustigung.

Seine permanente Neugierde schien jedoch nicht von seinen geistigen Einschränkungen betroffen zu sein, denn Hansi starrte nun wissbegierig auf das Smartphone seines Sohnes. Leider erhaschte er aufgrund seines noch immer getrübten Sehvermögens nur einen kurzen unscharfen Blick auf den Bildschirm und konnte lediglich das Wort »Banküberfall« lesen.

»Geh, Hansi! Das ist jetzt a Witz, oder? Sag jetzt nicht, du hast eine Bank überfallen?«, kreischte der alte Scharnagl schrill, als wäre er seine achtjährige Nichte Mathilde.

»Boah, Papa! Ich hab gewusst, dass du so reagierst … und genau deswegen kann ich über so was mit dir nicht reden …«, sprach der Sohnemann enttäuscht.

Allerdings hatte der Junior die Reaktion seines Erzeugers tatsächlich falsch gedeutet. Denn Hansi war weder entrüstet noch enttäuscht, nicht einmal schockiert.

Er fing aus voller Kehle an zu lachen. Natürlich war das eine eher untypische Reaktion eines fürsorglichen Vaters auf derartige Enthüllungen. Sein Sohn überlegte angestrengt, wie lange dieser eingeschränkte Geisteszustand des alten Scharnagl noch anhalten würde? Und ob sie nicht anstatt ins Kreiskrankenhaus doch besser gleich in die Neurologie des Bezirksklinikums nach Mainkofen fahren sollten. Allerdings ärgerte er sich zeitgleich auch sehr über die wenig sensible Reaktion von gerade eben.

Er betrachtete ihn mit gemischten Gefühlen und beschloss dann, die gesamte Aktion dieses entlastenden Gespräches abzubrechen. Vor allem, nachdem ihn sein alter Herr immer noch ansah, als hätte er gerade einen mittelgroßen Joint geraucht, und weiterhin süffisant lachte. Der Junior sah ein, dass eben jetzt gerade NICHT der richtige Zeitpunkt war, um derartige Gespräche zu führen. Und ob der Alte jetzt ins Krankenhaus musste oder nicht, war ihm plötzlich auch wurscht geworden.

Soll sich doch die Mama darum kümmern, schließlich hat sie ihn ja geheiratet, da hat uns keiner gefragt , dachte der Stammhalter grantig.

Wortlos verließ er die Hausbank. Was dem Amüsement seine alten Herrn jedoch keinen Abbruch tat, denn diesen ereilte nun ein gewaltiger Lachanfall.

»Geh hau doch ab … ich werd Opa! Und eine Bank hat er auch noch überfallen … ja mi leckst am Arsch! Mein Zuckerschoasal wird’s zerreißen, wenn sie das hört …«, grölte er allein auf seiner Hausbank vor sich hin und hatte große Not, während seiner lautstarken Belustigung noch ausreichend Luft zu atmen, um nicht zu ersticken.

Es kam, wie es kommen musste. Natürlich hörte die Herrin des Hauses dieser Lachlautstärke bis ins Wohnzimmer dringen und wusste dadurch sofort, dass auf ihrer Hausbank gerade irgendetwas Seltsames passieren musste. Darum hastete nun Frau Scharnagl zum Vorplatz des Hauses – der Gred .

»Ja, spinnst du jetzt komplett, Hansi. Du bist ja stockbesoffen! Kannst du dich nicht a mal ein bisserl zamreißen? Die Nachbarn wenn dich hören, geh weiter …«, zeterte sie.

Augenscheinlich hatte sie sich gerade eben noch auf dem Kanapee befunden, denn das entsprechende Wohlfühloutfit kannte Hansi nur zu gut. Außerdem hielt sie sogar noch ihren großen Löffel zu ihrem Lieblingseis in der Hand, was ein eindeutiges Zeichen der ihrerseits gefühlten Brisanz ihres Heraneilens signalisierte.

»Magst du jetzt nicht endlich a mal ins Haus reingehen? Wie lange sitzt du denn da schon? Es ist ja bereits finster. Oder bist du am Ende jetzt erst von der Prozession heimgekommen? Ich bin schon seit Mittag daheim!«

»Bettina, du glaubst ja nicht, was heute alles passiert ist … stell dir a mal vor. Nach der Prozession bin ich vom Bürgermeister zamgeschlagen worden.«

»Waaaaas?«

»Und unser Bub hat eine Bank überfallen …«

»HANSI! So was ist nicht lustig!«

»Ach ja … und … Oma wirst auch noch!«

Das war innerhalb weniger Sekunden eindeutig eine viel zu große Portion an Hiobsbotschaften für Bettina. Auch sie war auf der Stelle völlig benommen und musste sich nach diesen pikanten und schier unglaublichen Nachrichten an der Hausbanklehne festhalten, sonst wäre sie tatsächlich in Ohnmacht gefallen.

 

Als Hansi am nächsten Morgen seine Augen öffnete, wäre er am liebsten gleich auf der Stelle gestorben. Dieser Schmerz war sogar noch schlimmer, als die allerschlimmste Männergrippe, die er je gehabt hatte. Dabei war es aber nicht einmal sein Rausch, der einen mordstrum Kater nach sich zog. Nein, das Gefühl war anders. Schließlich kannte er die Nachwehen übermäßigen Bierkonsums aus einzelnen Gelegenheiten der Vergangenheit. Außerdem hatte er ja höchstens vier bis fünf Halbe getrunken, was natürlich nicht wenig war, aber definitiv nicht diese Schmerzen im gesamten Oberkörper erklärte.

Hansi blickte um sich und bemerkte, dass es bereits hell war. Die Sonne strahlte direkt in seine lichtempfindlichen Augen – die gescherte Matz . Kurz musste er nachrechnen. Laut seinen Überlegungen müsste heute eigentlich Freitag sein. Ein Freitag im Juni. Und es war schon hell?

Wie spät is denn? Himmelherrgott noch a mal. Ich hab verschlafen!

Beim Blick auf die andere Seite des Doppelbettes, stellte er fest, dass seine Frau offenbar schon aufgestanden war. Ihr Bett war benutzt, aber leer.

»Ja, warum weckt die mich denn nicht auf? Zefix! Sag a mal …«, schimpfte er vor sich hin, während er hektisch versuchte, sich in die Senkrechte zu bewegen. Seinem Kreislauf passte diese aktionistische Handlung allerdings gar nicht und er ließ seinen geschwächten Oberkörper sofort freiwillig wieder in sein Kissen zurückgleiten.

»Halleluja! Du bist auch endlich a mal wach geworden!«, hörte er nun die wenig liebevolle Stimme seiner Frau herannahen.

Bettina polterte ins Schlafzimmer und baute sich vor seinem Bett auf. Die Hände hatte sie in ihre Hüften gestemmt und blickte ihn nicht gerade zärtlich an. Durch das rabiate Auftreten seiner grantigen Gattin fühlte sich Hansi genötigt, sich unverzüglich zu einem sehr sensiblen Thema zu rechtfertigen.

»Bettina! Ich hab keinen Rausch gehabt, wenn du mich deswegen jetzt schimpfen willst … wenn überhaupt … dann war's höchstens ein ganz kleiner …«, stotterte er eingeschüchtert.

»Ich weiß. Der Bürgermeister hat angerufen und erzählt, was passiert ist. Wir fahren jetzt ins Krankenhaus. Geh weiter, zieh dich an«, befahl sie streng.

»Das geht nicht! Ich muss Bier ausfahren.«

»Du musst heute gar nix, außer dich untersuchen lassen! Das hab ich dem Brunner versprochen. Beim Filzer-Bräu wissen sie auch schon Bescheid, das hat ebenfalls der Bürgermeister übernommen. Der ist übrigens fix und fertig und will später vorbeikommen, ich glaub, der hat ein furchtbar schlechtes Gewissen«, sprach sie hastig und wühlte dabei im Kleiderschrank nach einem passenden Outfit für ihren Patienten.

»Warum bist du denn dann jetzt so grantig, Bettina, wenn du eh schon weißt, dass ich keinen Rausch gehabt hab?«

»Ts, ts, ts … stocknüchtern wirst du gewiss auch nicht gewesen sein. Aber darum geht's ja jetzt gar nicht. Das ist halt wieder a mal typisch für dich. Warum hast du denn gestern nix gesagt? Du gehörst zu einem Arzt oder eben ins Krankenhaus. So was kann ganz böse Folgen haben. Am End wirst' noch total deppert …«

»Freilich … ich hab dir doch gestern erzählt, dass mich der Bürgermeister zamgeschlagen hat.«

»Ach ja, stimmt … jetzt, wo du's sagst … aber du hast gestern Abend so unglaublich viel Schmarrn dahergeredet, wie hätte ich denn da bittschön wissen sollen, was davon stimmt …? Ich hab ja gemeint, du hast einen Fetzenrausch! So wie du dreingeschaut hast«, plapperte Bettina und begann an Hansis Schlaf-T-Shirt zu zerren und es über seinen Oberkörper zu ziehen.

Dieser versuchte sich trotz des anhaltenden Kopfschmerzes zu konzentrieren und sich an den vergangenen Abend zurückzuerinnern. Dieser geistige Rückblick überraschte ihn dann sogar selber, denn die Flashbacks kamen wieder in seine Gedanken.

Nein, das hatte er gestern nicht geträumt! Er konnte sich einfach wieder erinnern. Und das ganz klar und deutlich! Welch ein Glück! Hansi lächelte beseelt.

»Es wird wirklich Zeit, dass wir dich untersuchen lassen. Schau, jetzt starrst schon wieder so grenzdebil. Nicht, dass dir wirklich noch was bleibt … Aus is!«, sprach Bettina geschäftig, während sie nun an seiner Schlafanzughose rupfte.

Aber Hansi war gerade einfach nur glücklich. Nun war es quasi bewiesen, zumindest wusste er es für sich ganz bestimmt: Er hatte den Monaco nicht auf dem Gewissen! Der letzte kleine Rest seiner Zweifel war damit nun endgültig ausgeräumt. Und mehr noch, er hatte den Mörder beziehungsweise die Mörderin gesehen! Zumindest die Schuhsohle in seinen Erinnerungen.

War es denn eigentlich ein Frauen- oder ein Männerschuh gewesen? Das wäre durchaus ein wichtiges und hilfreiches Detail für die weiteren Ermittlungen. Er ärgerte sich, dass er nicht genau hingeschaut und sich lieber um den blutigen Schraubenzieher gekümmert hatte. Sein penetrantes Bauhofpflichtbewusstsein hatte ihm die ganze Misere offenbar erst eingebrockt.

Jetzt hab ich an Dreck im Schachterl da! Alles nur, weil ich halt immer noch ein eingefleischter Bauhofler bin. Und diese gescherten Lackln sagen mir nicht einmal, was die mit dem Bürgermeister für ein Problem haben, ärgerte er sich.

Das Ehepaar Scharnagl wurde kurz darauf in der Notaufnahme des nahegelegenen Kreiskrankenhauses vorstellig. Der diensthabende Arzt bescheinigte Hansi nach eingehender Untersuchung eine nicht gerade leichte Gehirnerschütterung sowie eine mittelschwere Kieferprellung. Auch die aufgetretenen Symptome wie Kopfschmerzen, Benommenheit, Gedächtnisstörungen und Verwirrtheit passten genau zum Krankheitsbild. Das buntgefleckte Hämatom, welches nahezu fast alle Farben einer LGBTQ-Flagge aufzeigte, erstreckte sich inzwischen quer über seine rechte Wange und reichte sogar hoch bis zum Auge, das ebenfalls ein wenig blauviolett unterlaufen war. Da hatte der Bürgermeister wirklich kraftvoll zugeschlagen. Die Frage nach dem Grund dieses Zorns gegen Wiggerl ging Hansi währenddessen fortlaufend latent durch den Kopf.

Gebrochen war zum Glück nichts. Nach der sofortigen Überweisung zum Unterfilzbacher Zahnarzt Dr. Herzinger, der den multicolorierten Wangenbereich fachmännisch, aber schmerzhaft nochmals in alle Richtungen dehnte und knetete, verpasste dieser ihm eine sogenannte »Kopf-Kinn-Kappe« zur Ruhigstellung.

Bettina brauchte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Sie lachte sich fast schlapp, denn zum einen schränkte dieses Behandlungsmittel Hansis Kommunikationsfähigkeit erheblich ein, was ihm persönlich extrem ungelegen kam. Seine Frau konnte dabei leider ihre Freude, die sich aus einem winzigen Anteil Schadenfreude, mittelprächtigem Mitleid und durchaus größerem Jubel über sein wiederkehrendes, eigentlich sehr sympathischem ICH nicht verbergen. Sie hatte immer gewusst, dass er einfach einmal eine richtige Abreibung brauchen würde, um sich vom bockigen Nervtöter wieder in den alten liebenswürdigen Hansi zu verwandeln. Vor allem aber sah er damit einfach zum Abpieseln komisch aus.

Zum anderen wirkte er mit diesem Teil im Gesicht nun fast so, als hätte er einen Nebenjob in einem Domina-Studio als Sklave. Dieser nicht alltägliche medizinische Therapie-Artikel, den sie soeben im Sanitätshaus erstanden hatten, war aus breiten schwarzen Gummibändern gefertigt. Diese schlängelten sich um den Hinterkopf und fixierten den Unterkiefer. Die Gummibänder rund um seinen Kopf quetschten seinen Wangenspeck auseinander und pressten eine kleine feuerrote Plastikschale direkt auf sein Kinn. Dieses Kunststoffschälchen thronte auf seinen Bartstoppeln, wie die Kirsche auf einer Schwarzwälder Torte. Frau Scharnagl fühlte sich unweigerlich an den allseits bekannten Lederknebel des ominösen Sexsklaven Hinkebein erinnert, der wohl vielen Menschen ihrer Generation aus Quentin Tarantinos »Pulp Fiction« in bleibender Erinnerung geblieben war. Während der gesamten Autofahrt schüttelte es Bettina vor Lachen und Hansi konnte seiner Frau nicht einmal seine Entrüstung mitteilen, weil es aufgrund der Gummibänder um seinen Kiefer rein mechanisch gesehen nicht möglich war und obendrauf sakrisch weh tat. Aber das alles wäre noch nicht einmal das Schlimmste gewesen. Dr. Herzinger ordnete allen Ernstes für mindestens fünf Tage breiige Schonkost an. Das Erste, was Hansi nach dieser Schocknachricht überlegte, war die wichtige Frage, ob man denn sauren Presssack mit Zwiebeln eigentlich auch pürieren könnte.

Ob es ihm passte oder nicht, Hansi war nun ganze zehn Tage krankgeschrieben, und das ausgerechnet jetzt, wo es doch so viel zu ermitteln gab.

Bettina wäre es zwar lieber gewesen, wenn sich der Patient in seinem Bett zur Ruhe begeben hätte, aber sie duldete es zähneknirschend, dass er sich auf der Hausbank seinem tragischen Schicksal im Sitzen hingab. Alkohol in jeglicher Form war natürlich aufgrund der verordneten Schmerzmittel auch erst einmal tabu. Als kleines Trostpflaster hielt das Zuckerschoasal aber auf dem Heimweg noch kurz beim Getränkemarkt vom »Bier-Rudi« an und packte zwei Kisten eisgekühltes Malzbier in ihren Kleinwagen. Damit bekam Hansi wenigstens eine Art Feierabendhalbe-Gefühl, wenn er mit »Nährbier« auf der Hausbank saß, sich selber bemitleidete und dabei unendlich langweilte.

Ab dem späteren Nachmittag bekam er jedoch zur Ablenkung allerhand Krankenbesuch, was er durchaus genoss. Natürlich war der Genuss auch immer abhängig vom jeweils Besuchenden.

Als Erstes gab sich der amtierende Bürgermeister, samt einem überdimensionalen Fresskorb vom Aschenbrenner-Metzger die Ehre. Von schweren Schuldgefühlen geplagt, hatte er nur das Beste vom Besten einpacken lassen und schleppte dieses mordstrum Teil nun die Einfahrt hinunter auf die Scharnagl-Gred . Hansi versetzte es schon beim ersten Blick in den Korb einen Stich in sein Gourmetherz, denn diese Köstlichkeiten fielen wohl allesamt nicht in die Kategorie Schonkost. Hoffentlich waren diese exzellenten Wurstwaren noch so lange haltbar, bis er endlich wieder zubeißen durfte. Wobei Hansi Bettinas Wundermixer-Küchenmaschine absolut zutraute, aus diesen Zutaten ein wunderbares, breiiges Allerlei zu zaubern. Andererseits war das niederbayerische Bauerngeräucherte, das seinen herrlichen Duft trotz der übergestülpten, knisternden Cellophanfolie vor dem Scharnagl-Haus verbreitete, sicher viel zu schade, um als ganz banales Püree zu enden. Bei der neu kreierten Chili-Bärwurz-Streichwurst, die Metzgermeister Reiner Aschenbrenner topaktuell in sein Sortiment aufgenommen hatte, würde er ja im Prinzip nicht unbedingt Brot brauchen, überlegte er gerade konzentriert, während der Bürgermeister an seinem Ärmel ruckelte.

»Hansi? Geht's dir gut? Warum sagst' denn nix?«, plapperte er nervös. Dieser wunderbare Geschenkkorb hatte den Patienten so sehr in seinen Bann gezogen, dass er die Begrüßungsworte des Gemeindeoberhauptes gar nicht hörte. Inzwischen hatte Hansi die strengen Gummibänder seiner »Kopf-Kinn-Kappe« etwas gelockert, sodass er nun mit seiner Umwelt verbal wieder etwas in Kontakt treten konnte, auch wenn es natürlich noch immer schmerzte wie die Sau.

»Ähm, was? Doch freilich, Matthias. Das wäre ja jetzt gar nicht nötig gewesen … mei, schau dir diese Hartwurscht an, ist das nicht ein schönes Bild, wie sie da so drin liegt und auf mich wartet …«, sprach Hansi verträumt, ohne seine Augen vom Geschenkkorb zu lösen.

»Doch natürlich ist das nötig gewesen. Schau dich a mal an, wie ich dich zugerichtet hab. Meine Herren … bist du entstellt. Ich kann mich nur nochmal aufrichtig entschuldigen … weil … ich wollte das wirklich nicht! Und dich wollt ich sowieso schon gar nicht treffen! Eigentlich wäre der Kinnhaken für den Hackl Wiggerl gewesen. Aber! Brauchen wir nicht weiter reden … Gewalt ist natürlich keine Lösung, und ich weiß gar nicht, was da gestern in mich gefahren ist«, stotterte Brunner.

»Ja, ist ja schon gut. Jetzt kannst du's ja eh nimmer ändern und du hast dich ja schließlich entschuldigt und so ein erstklassiges Geschenk vorbeigebracht. Aber jetzt sag a mal Matthias, was genau hat dir denn der Wiggerl eigentlich getan?«, ging Hansi gleich einmal in die Verhörphase über.

Es passierten ja in letzter Zeit durchaus einige seltsame Dinge im Bürgermeisterleben, die es sicherlich wert waren, durchleuchtet zu werden. Bei seiner aktuellen Gesichtsverfassung war Small-Talk jetzt ganz offensichtlich absolut überflüssig, also redete er auch nicht lange um den heißen Brei herum.

»Mei, du warst ja gestern eh dabei beim »Kranzldog«. Diese hundsgemeine Fürbitte war natürlich nicht die, die der Pfarrer für mich vorgesehen hatte. Der kleine Hackl Anton hat sie mir untergeschoben, das ist inzwischen eindeutig bewiesen. Der kleine Saufratz ist schon genauso ausg'schamt wie sein Opa. Auch der Pfarrer hat sich dem Wiggerl seinen Enkel schon vorgeknöpft und der hat dann auch alles zugegeben. Dafür muss er jetzt die nächsten acht Beerdigungen ministrieren. Mindestens! Aber sag a mal selber, Hansi, das geht doch nicht, ha? Schließlich bin ich ja der Bürgermeister von Unterfilzbach, ich bin ein stolzer Niederbayer, und das alles will ich auch bleiben. So schlecht mach ich ja meinen Job gar nicht, finde ich …«, rechtfertigte sich Brunner.

»Da hast' recht, Matthias, das mit den Fürbitten war nicht in Ordnung. Und wenn das der Anton jetzt auch schon zugegeben hat, dann ist die Beweislage sowieso eh eindeutig. Aber warum hat denn der Wiggerl das überhaupt angezettelt? So was macht der doch nicht einfach zwecks der Gaudi. Da muss es doch einen handfesten Grund dafür geben?«

»Ach, du kennst doch den Wiggerl. Wahrscheinlich hab ich wieder irgendwas gesagt oder etwas im Bauhof angeordnet, was ihm nicht passt. Da musst du jetzt nicht groß drüber nachdenken, das ist halt einfach so. Das ständige Drama mit ihm hast du ja viele Jahre selber mitgemacht. Also, Hansi, wenn ich noch etwas für dich tun kann, meld dich wirklich jederzeit. Und … das wird schon wieder, gell! So schlimm schaust' eigentlich eh gar nicht aus. Also … ähm … solltest du auf die Idee einer Schmerzensgeldklage oder so was kommen, dann lass uns da vorher drüber sprechen. Man muss ja nicht immer gleich ein Gericht bemühen, die Justiz hat ja ohnehin schon viel zu viel zu tun. Ich muss jetzt wieder weiter, die Straubmeier Fannerl hat heute ihren Achtundneunzigsten, da muss ich natürlich vorbeischauen. Also Pfiade! Und ruf an, wenn du was brauchst. Gell?«

Hansi konnte ihm nicht einmal eine Feierabendhalbe anbieten oder wenigstens ein Malzbier, denn der Bürgermeister war schon wieder auf dem Rückweg zu seinem BMW, mit dem er den Birkenweg vollständig blockiert hatte.

Dieser Auftritt des Gemeindeoberhauptes warf bei Sherlock Scharnagl einige Fragen auf. Hansis Gehirnwindungen liefen wieder einmal heiß, was bei seiner aktuellen Verfassung natürlich doppelt anstrengend war. Aber so war halt das Detektivgeschäft.

Warum ist denn der Brunner bloß dermaßen grantig auf den Wiggerl? Dass da was Schwerwiegenderes vorgefallen sein muss, ist ja jetzt absolut klar. Da kann er noch so süßlich daherkommen mit seinem Geschenk, was aber schon auch nett von ihm ist. Trotzdem! Ich kenn doch den Wiggerl! Er hat zwar einen ziemlichen Vogel, aber so was macht der nicht einfach so. Da muss es auf jeden Fall einen triftigen Grund dafür geben …

Obwohl der Bauhof-Kapo für seine Neurosen bekannt war, traute Hansi ihm dennoch keine solche Diffamierung des Bürgermeisters in der Öffentlichkeit zu.

Wenn ich da jetzt so zurückspekulier, dann hatte sich Brunner immer wirklich gut mit dem Monaco – Gott selig – verstanden. Könnt' das vielleicht doch irgendwie mit der »Bürgermeister-Gate«-Affäre zusammenhängen? Oder am Ende gar mit dem Monaco seinem Tod? Aber warum sollt' der Brunner ihn denn umbringen, wenn sie sich so gut verstanden haben? Hm … und warum ist eigentlich seine Frau ausgezogen? Hat sie vielleicht am Ende doch auch was mit dem Monaco gehabt ? Oder sogar der Brunner selber? Aber wenn der so wütend war, dass er dermaßen eskaliert beim Dorfwirt, dann war da sicher was Größeres im Busch.

Hansi musste schmunzeln, denn vor nicht allzu langer Zeit war er selber im Bauhof eskaliert und der Bürgermeister wusste seinerseits nicht, was mit ihm los war. Wie sich die Zeiten doch änderten. Trotzdem sollte er diesem »Bürgermeister-Gate-Skandal« definitiv auf den Grund gehen.

Kaum war Brunner davongebraust, tapste auch schon der nächste Besuch mit Gehstock, vornehmen Stetson-Strohhut mit schwarzem Hutband, hellbeiger Bundfaltenhose und weißem Kurzarmhemd den Birkenweg entlang. Dr. Leopold Stern näherte sich und winkte Hansi schon von weitem zu.

»Grüß dich, Hansi, mein Freund. Ich habe von diesem tragischen Vorfall gehört. Wie ist denn dein heutiges Befinden? Gibt es schon Zeichen der Besserung? Aber wenn ich diese befremdlich wirkende Heilbehandlungsmethode betrachte, die du hier an deinem Kopf offenbar leidvoll zur Therapie anwenden musst, so ist dies wohl ein schwerwiegenderer Fall. Meine Herren, Hansi, schaust du furchtbar aus …«, sprach er erstaunt, nachdem er auf der Hausbank neben Scharnagl Platz genommen hatte.

»Ja … ähm … wird schon wieder. Unkraut vergeht nicht, weißt es ja eh«, lächelte Hansi seinen Anwalt leicht gequält an.

»Ich wollte mich natürlich nach deiner Genesung erkundigen, aber ich habe auch eine erfreuliche Botschaft zu überbringen. Stell dir vor, nachdem Henry nun über einige Tage hinweg eruiert hat, wo denn der Bericht der Kriminaltechnik abgeblieben ist, bekommen wir diesen in den nächsten Tagen endlich zur Einsicht übermittelt. Es ist immer noch fast unheimlich, wie dieser Kommissar ermittelt. Henry hat nun tatsächlich eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn eingeleitet, denn offenbar wollte Herr Dietl den Bericht mutwillig unter Verschluss halten, wenn nicht unterschlagen. Auch seine ermittelnden Kollegen haben davon bisher keine Kenntnis erhalten. Das ist doch wirklich ungeheuerlich, findest du nicht?«

»Ja, der Dietl ist schon ein Sauhund, ein elendiger. Meinst, dass sogar er am Ende den Monaco umgebracht haben könnt'? Wenn er schon solche Beweismittel nicht rausrückt, dann hat er ja vielleicht noch ganz andere Sachen getrieben. Ich trau dem ja absolut nicht über den Weg. Den Gentest am Dienstag müssen wir ja fast ein bisserl überwachen, nicht dass der Dietl am Ende auch da noch irgendwas vertuscht. Sagst' mir eh gleich Bescheid, wenn wir den Bericht anschauen können, gell! Übrigens, hättest du jetzt dann eigentlich nachher noch a bisserl Zeit? Wenn dann die Indira heimkommt, könnten wir endlich a mal dem Monaco seine Handy- und Computerdaten anschauen. Sie hat gemeint, da gibt’s viel Interessantes drauf zu entdecken. Und es soll wohl nicht ganz jugendfrei sein. Aber alleine mag ich mir das jetzt auch nicht anschauen und die Bettina kann ich ja da jetzt schlecht fragen, wenn es da so schweinisch zugeht, oder?« Hansi grinste verschmitzt und zwinkerte Poldi dabei vielsagend zu.

»Hm, da muss ich dich um Nachsicht bitten, mein Freund, denn ich habe bereits eine andere Verabredung getroffen. Diese würde ich ungern absagen. Das läge mir sehr am Herzen …«, sprach Leopold geheimnisvoll und wurde rot. Ehe Hansi seine ständigen, mysteriösen Termine hinterfragen konnte, wurde das Gespräch auch schon wieder unterbrochen.

»Ja, servus miteinander. Das ist ja eine schöne Überraschung. Leopold? Du bist auch da?«, tönte es aus der Einfahrt schrill zum Scharnagl-Haus herunter. Berta Hinkhofer war im Anmarsch. Wie immer bei derartigen Temperaturen in sommerlicher Dreiviertelhose und kariertem Kurzarm-Sporthemd gekleidet, stapfte sie rein zufällig am Scharnagl-Haus vorbei. Wegen der heutigen Sonneneinstrahlung trug auch sie eine Kopfbedeckung, leider eine eher wenig schmeichelhafte. Auf ihre graue Dauerwellenmähne hatte sie ein altes Basecap der Firma Elektro Garhammer gestülpt. Offensichtlich ein Werbegeschenk, das seine besten Tage bereits hinter sich hatte. Unter dem Firmenlogo konnte man noch den Slogan »Wir stromen alles« lesen. Irgendwie passte dieses Motto auch zur Hinkhoferin, dachten sich sowohl Hansi als auch Leopold und grinsten sich verschwörerisch an.

»Servus, Berta«, beantworteten die Herren ihren Gruß in gelangweiltem Singsang.

»Na, Hansi, wie geht's dir denn? Ja du liebe Zeit! Was hast du denn im Gesicht? Das ist ja wie die Rundum-Zahnspange von meinem Großneffen, dem kleinen Sepperl. Ist's so schlimm, ha? Das schaut ja grauslig aus. Da würd ich mich ja fürchten, wenn ich dich in der Nacht irgendwo treff' …«, plapperte die Dorfratschen gewohnt uncharmant.

»Ja mei, das muss ich halt jetzt a paar Tage drauf lassen, damit der Kiefer entlastet wird. Und reden darf ich übrigens auch nicht so viel, Berta, deshalb wird’s heut nix mit einem unserer gemütlichen Ratscherl. Aber du hast ja sicher auch noch andere Freunde, denen du auf die Nerven … also ich mein, die du besuchen kannst …«, konterte Hansi schlagfertig und hoffte, sie würde den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen.

»Ach, das macht mir gar nix, Hansi. Es glangt ja, wenn du ab und zu a mal nickst. Und außerdem ist ja der Leopold auch noch da, das ist sowieso eher mein Niveau bei Gesprächspartnern. Gell, Poldi?« Berta blinzelte dem Anwalt so übertrieben zu, dass dieser unschlüssig war, ob sie nun etwas im Auge hatte oder tatsächlich mit ihm flirten wollte.

»Und? Wissen wir's schon, warum der Brunner jetzt den Wiggerl verdreschen wollte? Da ist doch ganz bestimmt was dran an dem Gerücht, das im Dorf seit gestern die Runde macht …«, warf Berta nun geheimnisvoll in den Raum, beziehungsweise auf die Gred, und wartete wieder einmal darauf, angefleht zu werden, mehr Informationen preiszugeben. Es war einfach immer das gleiche Gschiess , also dasselbe Drama, mit der Hinkhoferin.

»Mei, sag's halt einfach, Berta! Du weißt ja, dass ich mich schonen muss«, sprach Hansi genervt und schmerzerfüllt.

»Ach, ja, stimmt, also gut. Ganz sicher bin ich mir jetzt zwar auch nicht, ob das stimmen kann, aber anscheinend ist der Bürgermeister verlassen worden, weil sich seine Sabine mit dem Wiggerl so gut versteht … verstehst'?«

Wieder zwinkerte Berta auffällig und vielsagend in die Runde.

»Willst du jetzt damit sagen, dass die Sabine was mit dem Wiggerl hat? Pfffff … das glaubst ja jetzt selber nicht, Berta. Geh weiter … der Wiggerl hat seine Hilde und sonst will der auch keine andere. Das kann ich mir jetzt absolut nicht vorstellen. Der Wiggerl und die Brunner Sabine? Das stimmt gewiss nicht«, widersprach Hansi.

»Aber die wurden miteinander gesehen. Ehrlich wahr! Das weiß ich aus einer ganz zuverlässigen Quelle. Sie war sogar am Bauhofgelände draußen und da haben sie ganz heimlich getuschelt.«

»Na und? Deshalb müssen sie ja nicht gleich was miteinander haben? Du hast eindeutig zu viel Fantasie, Berta! Oder vielleicht sollst du a mal deine Hormone untersuchen lassen …«, entgegnete Hansi großmütig lächelnd, zumindest soweit seine »Kopf-Kinn-Kappe« einen Lächelversuch zuließ.

Beim Blick auf den überdimensionalen Fresskorb grinste nun Berta verschmitzt.

»Ist der vom Brunner?«

»Ja«, antwortete Hansi wahrheitsgemäß.

»Also der hat ja ein sauschlechtes Gewissen, mich leckst am Arsch. Dann sprecht ihr wahrscheinlich eh schon über eine Schmerzensgeldklage, oder? Da gäb's sicher einiges zum holen. Und Wahlkampf ist auch noch. Ja könnt's denn besser für dich laufen, Scharnagl?«

»Berta, ich werde den Matthias sicher nicht verklagen! Ich bin ja nicht du … also, Poldi, kommst jetzt dann mit rein? Die Indira wird gleich da sein?«, sprach Hansi zu seinem rechten Banknachbarn auffordernd.

»Nein, Hansi, wie bereits erklärt, kann ich leider nicht. Unglücklicherweise bin ich verhindert. Ich muss mich ohnehin langsam auf den Weg machen, denn Pünktlichkeit ist bekanntlich die Tugend der Könige. Aber ich werde dich morgen wegen der besprochenen Angelegenheit kontaktieren«, äußerte sich Poldi gewohnt eloquent und stand auf. Er hob den Hut zum Abschied: »Fräulein Hinkhofer … habe die Ehre.« Und schon drehte er sich in Richtung Birkenweg und schwang seinen schwarzen, eleganten Spazierstock.

»Ach, Poldi, geh weiter, wart auf mich! Da begleite ich dich doch glatt a bisserl. Ich wollt eh auch grad aufbrechen. Dann könnten wir ja später nach deinem Termin noch a Tasserl Kaffee miteinander trinken oder vielleicht ein erfrischendes Eis schlecken. Ha? Was meinst …?«, plapperte Berta und hatte sich bereits an Leopolds Fersen geheftet. Sie hakte sich ungefragt bei ihm unter und redete ununterbrochen auf ihn ein.

Oh mei, der arme Poldi! , dachte Hansi mitleidig, als er die beiden von hinten betrachtete und davonwatscheln sah.

Und schon wieder gab es neue Informationen, die durchdacht werden mussten: Der Wiggerl und die Brunner Sabine hatten etwas gemeinsam zu mauscheln? Was konnte das nur sein?

Also die zwei haben ganz gewiss nix miteinander, da fress ich ja einen Besen. Nein, da muss noch was anderes sein. Aber was? Vielleicht sollte ich einmal beim Wiggerl daheim vorbeispazieren. Es könnte ja sein, dass er da mehr redet als beim Dorfwirt.

Seinen neuerlichen Denkprozess unterbrach nun das Fiepen seines Handys. Beim Blick auf die frisch eingetrudelte Whatsapp-Nachricht grinste Hansi verschmitzt und gleichzeitig schmerzerfüllt wegen der drückenden Gummibänder.

Mein armer Hansi, ich habe von deiner Schlägerei gehört. Du glaubst ja gar nicht, wie leid mir das tut. Ich sende dir ganz viele Umarmungen und wünsche dir gute Besserung. Wenn du wieder fit bist, sollten wir uns einmal treffen. Dann könnte ich deine Wunden streicheln und dich ein wenig gesund pflegen. Was meinst du? , las er auf seinem Display und wurde rot.

Die Absenderin dieser charmanten Nachricht war keine Geringere als die Baronin von Bieberstein. Noch immer wusste der Umgarnte nicht, wie er dieses hartnäckige Werben am diplomatischsten abwehren sollte. Schließlich wollte er ihr verliebtes Herz nicht brechen und genoss noch immer die täglichen Schmeicheleien, die Ella ihm sendete.

Mei ist die verschossen in mich! Aber wär's denn auch ein Wunder? Schließlich bin ich durchaus ansehnlich, unterhaltsam, mutig, gescheit und liebenswert , dachte er breit grinsend. Dabei pressten die gedehnten Gummibänder seine rote Plastikkinnschale so sehr an seinen Unterkiefer, dass er vor Schmerzen leise stöhnen musste. Trotzdem konnte er dieses automatische Strahlen nur schwer unterdrücken. Pfeifen bereitete ihm dagegen verhältnismäßig wenig Schmerzen und so pfiff er als Alternative freudig die Melodie von »Macho, Macho« vor sich hin. Zwischendurch nahm er hin und wieder einen Schluck aus seiner Malzbierflasche, was ihm jedoch keinen großen Genuss bescherte.

Noch ein weiterer Gast kam nun die Scharnaglsche Einfahrt heruntergeschlendert. Dieser Gast war ihm um ein Vielfaches willkommener, als die alte bissige Dorfratschen, die zum Glück heute bald wieder das Weite gesucht hatte.

Sein neuer Freund Konrad Pfeffer kam des Weges und hatte ein Sixpack Filzer-Hell dabei, worauf ihn Scharnagl gleich noch mehr ins Herz schloss.

»Habe die Ehre, Hansi. Da bin ich«, flötete Koni beschwingt.

»Servus, mein Freund. Endlich kommst' a mal vorbei«, returnierte Scharnagl freudig.

»Schau, ich hab dir auch was mitgebracht, damit du nicht ganz vom Geschmack abkommst.«

»Ja, das ist wirklich nett von dir, Konrad, aber leider darf ich grad keinen Alkohol trinken, ich bin jetzt vorübergehend auf Malzbier umgestiegen. Essen darf ich auch nur püriert. Ich sag's dir … das ist noch viel schlimmer als die ganzen Schmerzen. Und dieses verfluchte Kopf-Gestell, was mir der Herzinger Zahnarzt verordnet hat …«, seufzte Hansi gequält.

»Ja, ich seh's schon. Mein lieber Herr Gesangsverein, du schaust ja schlimm aus … da gibt's doch so einen Film? Grad komm ich nicht drauf …«, sprach Koni und betrachtete Hansi mit zusammengekniffenen Augen.

»Jetzt fang du nicht auch noch an! Bettina hat sich heute schon halb abgepieselt vor Lachen, weil sie gesagt hat, ich schau aus, wie der Sexsklave aus dem komischen Film mit dem geschleckten Tänzer. Na sag schon … wie … wie aus Pulp Fiction. DEN Film meinst', oder?«

Konrad brach sofort in herzhaftem Gelächter aus und hatte dabei offenbar einen Geistesblitz.

»Ja, das ist auch ein guter Vergleich, deine Frau hat anscheinend Humor. Nein, den hab ich jetzt gar nicht gemeint. Aber jetzt weiß ich's wieder, an welchen Film du mich erinnerst. Schweigen der Lämmer hab ich gemeint, aber Pulp Fiction ist noch viel besser …«, grölte Pfeffer.

»Mei, lachts ihr nur! Euch möchte ich sehen, wenn ihr mit dem Teil umeinander rennen müsstet. Aber apropos Film … hast du a bisserl Zeit?«

»Ja, freilich hab ich Zeit. So viele Termine hab ich hier in Unterfilzbach ja noch nicht. Willst du dir vielleicht heute mit mir Pulp Fiction anschauen?«, grinste Konrad.

»Hm, nein. Was ganz was anderes. Ich weiß ja nicht, ob du schon so tief im Dorftratsch drin bist? Aber dazu muss ich dir vorher noch ein bisserl was erzählen …«, begann Hansi.

Es dauerte ungefähr zwei Filzer-Hell respektive zwei Malzbier lang, bis Hansi seinem neuen Spezl von seinen sämtlichen Heldentaten als Hobbyermittler berichtet und ihm die Geschichte vom tragischen Moritz-Heidecker-Tod erzählt hatte. Da es nun wirklich langsam an der Zeit war, sämtliche Daten von Monacos Handy und Computer auszuwerten, bat ihn Hansi kurzerhand, ihn dabei zu unterstützen. Sherlock Scharnagl wollte dies ungern alleine tun, ein kleines bisserl hatte er Angst, vielleicht etwas zu übersehen, aber noch mehr befürchtete er, mit der Technik überfordert zu sein. Vorher nahm Hansi Konrad ungefähr neunmal das Versprechen zur absoluten Verschwiegenheit ab. Schließlich wäre Pfeffer damit ein Teil dieser investigativen Ermittlungen und Kompagnon des legendären Sherlock Scharnagl und dieser müsste sich natürlich absolut und zu 100 Prozent auf sein Team verlassen können. Konrad überlegte kurz und schlug schließlich in Hansis ausgestreckte Hand ein.

Indira kehrte auch kurz darauf aus ihrem Praktikumsbüro heim. Schwups … hatte sie ihren Laptop mit den kopierten Daten aus Monacos Wohnung auch schon in Hansis Werkstatt aufgestellt. Dies war der einzige Ort im ganzen Haus, an dem sie sicher ungestört wären, dachte der Hobbydetektiv. Denn auch Bettina musste ja von diesen illegal beschafften Beweisen nicht unbedingt etwas erfahren. Obwohl Hansi schon durchaus das schlechte Gewissen plagte, weil er seiner Frau davon nichts erzählt hatte und sich nun auch noch vermutlich gleich einige Videos von nackten Frauen anschauen müsste.

»Also in diesem Ordner sind die Filme, hier links ist alles von seinem Handy und von dieser Datei mit dem Namen BH hab ich jetzt auch endlich das Passwort geknackt. Aber die hab ich gar nicht angeschaut, da kann man sich ja eh denken, was da drauf ist. Das Ganze hat zwar ein bisserl gedauert, aber Gott sei Dank gibt's ja so einiges, was man sich da aus dem Internet zur Hilfe downloaden kann. Papa, wenn du mich nicht hättest, ich sag's dir, da bist schon eine kleine Shoppingtour mit deiner jüngsten Tochter scharf …«, tönte das Nesthäkchen stolz.

»Mei, du bist ja ein Hund, Indira. Also ich mein … weißt schon, du bist halt einfach meine Tochter. Genial wie der Vater eben«, prahlte Scharnagl.

»Magst du nicht doch auch dableiben? Nur damit wir nichts versehentlich löschen oder so. Du weißt ja, dass ich mich … ähm … mit dem technischen … also … auf DEINEM Computer nicht so gut auskenne …«, ergänzte Hansi etwas beschämt. Er wollte vor seinem neuen Freund nicht gleich seine digitale Ahnungslosigkeit zugeben.

»Nein, Papa. Wirklich nicht! Ich freue mich, wenn du den wahren Mörder vom Mo hinter Gittern bringst. Außerdem hab ich ja schon ganz kurz einmal reingeschaut … da sind eh nur Filmchen mit seinen Gespielinnen beim Liebesakt drin, die muss ich mir nicht anschauen. Da würd's mir schlecht werden … auch wenn ich inzwischen schon kapiert hab, dass er einfach ein Riesendepp war und mich nur verarscht hat. So gefühlskalt bin ich ja dann auch wieder nicht … also, viel Spaß wünsch ich euch zwei«, plapperte Indira und war bereits dabei, die Kellerwerkstatt wieder zu verlassen.

»Und das ist jetzt alles, was auf dem Handy und auf dem Computer von diesem Monaco drauf war? Was meinst du denn, was du da jetzt findest?«, fragte Koni interessiert.

»Ja, das weiß ich jetzt auch noch nicht. Vielleicht irgendwas, was auf seinen Mörder oder seine Mörderin einen Hinweis gibt. Aber jetzt schau mer mal, dann sehn mas schon …«, sprach Hansi und schnappte sich die Maus, die er sehr ungelenk in der Hand führte.

Konrad sah ihm seine Unsicherheit sofort an. Auch hatte er relativ schnell bemerkt, dass es Hansi ein wenig peinlich war, nicht ganz firm mit den technischen Geräten zu sein. Der Neu-Unterfilzbacher überlegte, wie er seinen Spezl nicht in Verlegenheit bringen würde und trotzdem helfend eingreifen könnte. Denn er registrierte, dass Hansi bereits Schweißperlen auf seiner Stirn bildete. Kurzentschlossen griff er beherzt ein, sonst vergingen wahrscheinlich noch mindestens drei Stunden, bis Scharnagl endlich einen Doppelklick zustande brachte.

»Hansi, geh weiter, soll ich das machen? Du zitterst ja. Das ist ja auch kein Wunder bei den ganzen Schmerzmitteln und deiner schweren Verletzung. Da haut das mit der Maus freilich nicht hin, da kannst du gar nix dafür …«, sprach Konrad und lächelte verständnisvoll.

»Oh mei, Koni, gerne. Ja, ich hab's den ganzen Tag schon a so mit dem Kreislauf, da ist das wirklich schwierig. Aber schau, es ist jetzt schon gut, dass du dabei bist«, plapperte Hansi erleichtert und fühlte ganze Steinmassive von seinem Herzen plumpsen.

Im ersten Ordner mit dem klangvollen Namen »Unterfilzbach Bitches« befanden sich zahlreiche Filmdateien, erklärte Konrad seinem Partner in Crime, der dies mit einem »Ja genau, das hab ich schon gesehen« lautstark und nickend bestätigte, aber insgeheim erstaunt zur Kenntnis nahm. Pfeffer klickte wahllos eine Datei an. Der erste Film wurde abgespielt, jedoch war dabei nicht viel zu erkennen. Es war dunkel, offenbar war dies zu nächtlicher Stunde aufgenommen worden. Eindeutig war nur, dass darin ein Paar wilde Liebesspiele betrieb. Monaco und seinen braungebrannten Astralkörper erkannte Hansi sofort, außerdem grinste er mehr als einmal direkt in die Kamera. Da er sicher diese Aufnahmen selbst mit einem Gerät getätigt hatte, ergötzte er sich vermutlich hinterher daran, seine Partnerin in derartig intimer Situation nun auf seinem Computer in einer Datei verewigt zu haben.

Seiner unwissenden Gespielin wäre dies vermutlich nicht recht gewesen. Wer diese leidenschaftliche Frau war, erkannten die Spione allerdings nicht. Sie war sehr undeutlich zu sehen, vor allem weil ihre langen Haare stets ihr Gesicht teilweise oder vollständig verdeckten. Aber dieses lustvolle Stöhnen kam Hansi bekannt vor, irgendwo hatte er diese Stimme schon einmal gehört. Gesprochen wurde nicht allzu viel, wenn man die mehrfach gerufenen Kurzsätze wie »Gib's mir!«, »Du Hengst!« oder »Jetzt schüttle ich das Krönchen von meiner heißen Prinzessin richtig durch« ausklammerte. Kurz bevor der Film endete, hörten Konrad und Hansi jedoch noch einen Wortwechsel, der ihnen sehr verdächtig vorkam. Die liebestolle Dame hauchte Monaco zu: »Wann machst du's denn? Wann können wir das Leben und unsere Liebe endlich frei genießen? Es wird Zeit, dass er wegkommt …«

Die Hobbyermittler mussten sich die Sequenz noch einige Male ansehen, um sicherzugehen, auch jedes Wort richtig verstanden zu haben.

»Was war jetzt das? Was meint die denn damit? Es wird Zeit, dass er wegkommt? Wer ist ER? Und wo soll er hin?«, fragte Scharnagl nachdenklich.

»Keine Ahnung. Hast du denn die Dame erkannt?«, sprach Konrad, dessen gute Laune langsam nachzulassen schien.

Ein lauter Schrei aus dem Erdgeschoss drang in die Kellerwerkstatt und ließ beide Männer zusammenzucken. Bettina brüllte aus voller Kehle in das Treppenhaus hinunter: »HAAAAAANNNNNNSSSSSSIIIIIIIII! EEEEEEEESSSENNN!«

Damit seine Frau nicht auf die Idee kam, nach unten in das umfunktionierte Spionagekammerl zu kommen, eilte Hansi gleich hinaus in den Kellerflur und nahm das Gespräch mit seiner Gattin auf. Daraufhin folgte eine kurze Diskussion über die Speisenauswahl beim anstehenden Abendessen, welches Hansi noch einmal kurz zu verhandeln schien.

Als er zehn Minuten später wieder zurückkam, war ihm die Enttäuschung schon von Weitem anzusehen. »Konrad, du musst jetzt leider heim gehen. Bettina hat mir ein Pastinaken-Wirsing-Linsenpüree gemacht. Das gibt’s jetzt und dann muss ich ins Bett«, sprach er mit hängendem Kopf, so wie er es früher als kleiner Bub immer tat, wenn seine Mutter seine Spielkameraden nach Hause geschickt hatte.

Vorher musste er jedoch noch kurz einer Sache ganz dringend auf den Grund gehen.

»Geh weiter, Koni, mach noch schnell diese BH- Datei auf? Ich will nur schnell schauen, warum der Monaco die sogar mit einem ganz geheimen Passwort geschützt hat. Wenn da wirklich nur Büstenhalter drauf wären, braucht er ja wirklich kein Passwort. Sogar bei den Schnacksl-Videos hat er keins gehabt.«

Konrad tat, was Hansi ihm aufgetragen hatte, und klickte eine Datei im ehemals passwortgeschützten Ordner an.

Wieder öffnete sich ein Videofenster. Hansi blieb der Mund offenstehen, denn was er sah, hatte er absolut nicht erwartet. Weder nackte Frauen noch Dessous oder sonstige schlüpfrige Dinge flimmerten dort über den Bildschirm.

Er sah Wiggerl und einige seiner Ex-Kollegen gemütlich im Brotzeitkammerl im Bauhof sitzen und ratschen.

»Geh mi leckst am Arsch!«, war das Einzige, was er darauf sagen konnte.