Jeder wahre Mönch,
Der von reinem Gewissen ist,
Den lasse für die Kirche arbeiten
Wie jeden anderen Diener auch.
DIE ANNALEN DER VIER MEISTER
Die Flammen hatten fast die Spitze des kegelförmigen Dachs erreicht, und alle, die noch im Haus waren, waren tot. Dutzende von Männern umringten das Gebäude und versuchten, alles zu tun, um weitere Zerstörungen zu verhindern, doch sie konnten nichts mehr machen. Sie konnten nur noch hoffen, dass die Flammen in der stillen Nacht nicht auf weitere Gebäude übergriffen.
Bruder Bécc war das alles egal. Er sorgte sich nur um die Heiden, die in seiner geliebten Kirche gefangen waren und diesen heiligen Ort entweihten. Ihn kümmerte nur, wie er sie da wieder rausbekommen konnte, und das mit so wenig Zerstörung wie möglich. Und dann würde er Gottes Werk tun und sie vom Angesicht der Erde tilgen.
Bécc kehrte dem brennenden Gebäude den Rücken zu und lief in Richtung Kirche. Die Flammen vom Dach erhellten die dunkle Straße, die mitten durchs Kloster führte, und das war gut. Bécc hatte nur ein Auge, und damit sah er nur schlecht. Jetzt hatte ihm das grelle Feuer auch fast vollständig die Fähigkeit genommen, im Dunkeln zu sehen. Also lief er über den Weg, der von den Flammen erhellt wurde.
Bastarde, Bastarde, Bastarde, dachte er im Laufen. Er war sicher, dass die Heiden dafür verantwortlich waren, wie auch immer sie es angestellt hatten. Er hatte schon viel zu viele Kriege gesehen, als dass er es für Zufall gehalten hätte, wenn ein Haus Feuer fing … vor allem nicht, wenn Hunderte gottloser Nordmänner nur wenige Schritte entfernt waren.
Die Straße mündete in den großen offenen Bereich, der die Kirche umgab. Auf der einen Seite stand das Haus des Abts, auf der anderen der Friedhof, und überall um den Platz herum wachten Krieger mit Fackeln.
Der Anblick erleichterte Bécc ein wenig. Es bestand natürlich die Gefahr, dass das Geschrei und das Licht des Feuers diese Männer von ihrer Pflicht ablenkten, doch die Krieger waren viel zu diszipliniert, um solch einen Fehler zu begehen … zumindest ihre Anführer.
Trian, Béccs Hauptmann, sah ihn kommen und lief ihm entgegen. »Da ist ja was los«, bemerkte Trian und nickte in Richtung des brennenden Hauses. »Was ist denn passiert?«
»Das Haus, in dem wir geschlafen haben – ich, Airtre und noch ein paar andere … Das Dach hat Feuer gefangen«, antwortete Bécc.
»War das ein Unfall?«
»Das glaube ich nicht. Ist hier alles in Ordnung? Keine Fluchtversuche?«
Trian schüttelte den Kopf. »Die Männer sind alle auf ihrem Posten. Ich gehe ständig die Postenkette ab, damit es auch so bleibt. Es besteht kein Grund zur Sorge.«
Bécc runzelte die Stirn. Trian war ein guter Mann, ein guter Hauptmann, aber irgendetwas stimmte nicht. »Komm mit«, sagte Bécc und setzte sich in Bewegung, um die Posten selbst zu inspizieren.
Es war, wie Trian gesagt hatte. Krieger mit Fackeln, gut bewaffnet und wachsam, waren an jeder Tür postiert, und weitere standen außerhalb des Lichts. Die Tür zum Haus des Abts, die Haupttür, war ebenfalls gut bewacht.
Sie kamen auf die Vorderseite der Kirche. Bécc wusste, dass hinter diesen Steinmauern der Altar stand und daneben die Sakristei, wo die Priester sich auf die Messe vorbereiteten. Und er wusste auch, dass es dort einen Geheimgang gab. Der war jedoch so gut versteckt, dass die Heiden ihn vermutlich nicht finden würden. Deshalb hatten Bécc und Trian auch nur zwei Mann abgestellt, um ihn zu bewachen.
Jetzt näherte Bécc sich ihnen, und die beiden Männer strafften die Schultern, als sie erkannten, wer da kam. »Bruder Bécc«, murmelten sie zum Gruß. Krieger wussten nie, wie sie den Mönch und ehemaligen Kämpfer anreden sollten.
Bécc musterte sie von Kopf bis Fuß. Sie schienen nüchtern zu sein und auch recht wachsam. »Habt ihr was gesehen?«, verlangte er zu wissen. »Gibt es etwas zu berichten?«
Die beiden Männer schüttelten die Köpfe. »Keine Spur von den Heiden zu sehen«, erklärte einer von ihnen, doch in seinem Tonfall schwang eine Spur mit, die Béccs Aufmerksamkeit erregte. Der Mann verschwieg etwas.
»Keine Heiden?«, hakte Bécc nach.
»Nein, Herr«, bestätigte der andere Krieger. »Keine Heiden.«
Die vier Iren schwiegen einen Moment, während Bécc versuchte herauszufinden, was sich hinter diesen Worten verbarg. »Habt ihr denn sonst jemanden gesehen?«, fragte er schließlich.
Die beiden Männer schauten einander an, und Bécc sah, dass sie etwas Dummes getan hatten. Jetzt hatten sie das erkannt und wollten es am liebsten verschweigen; doch es war zu spät, um sich mit einer Lüge zu retten.
»Zwei Priester, Herr«, antwortete einer der Krieger. »Zwei Priester, die den Geheimgang kannten. Sie waren in der Kirche gefangen, als die Heiden gekommen sind. Sie haben gewartet, bis die Bastarde betrunken waren; dann haben sie sich rausgeschlichen.«
»Priester?«, fragte Bécc. »Habt ihr sie erkannt?«
»Nein, Herr«, antwortete der Zweite. »Aber wir kennen auch nicht alle Priester hier. Außerdem waren sie nicht aus Ferns. Es waren Franken, und sie kommen aus Glendalough.«
Bécc zog sich der Magen zusammen. Franken … »Haben sie euch auch einen Namen genannt?«
»Einer hat gesagt, er sei Bruder Louis«, antwortete der Krieger.
Wut brach über Bécc herein wie ein kalter Wind. Am liebsten hätte er den Kerl geschlagen, ihm ein Messer in den Leib gerammt, um ihn wie einen Heiden aufheulen zu lassen. Wie konnte man nur so verdammt blöde sein?
Es waren nur zwei, ermahnte Bécc sich und hoffte, seine Wut wieder in den Griff zu bekommen. Nur zwei. Und sie hatten ein Haus niedergebrannt. Aber das würde die anderen nicht retten. Sie hatten die Wachen von der Kirche weglocken wollen, doch damit waren sie gescheitert.
»Warum habt ihr mir nicht Bescheid gegeben?«, verlangte Bécc zu wissen, als er sich wieder zu sprechen traute.
Erneut traten die Krieger nervös von einem Fuß auf den anderen. »Du … Du warst beim Gebet …«, antwortete der erste Krieger. »Wir haben den Befehl, dich nicht beim Gebet zu stören. Nie.«
Bécc atmete tief ein, hielt die Luft an und atmete dann wieder aus. »Dafür habt ihr ja Hauptleute«, erklärte er. »Deshalb ist Hauptmann Trian hier.«
Die beiden Wachen murmelten irgendwas zu ihrer Verteidigung, doch Bécc war fertig mit ihnen. In Gedanken war er bereits woanders. »Wo ist Airtre?«, fragte er Trian. »Hast du Airtre gesehen?«
Trian schüttelte den Kopf. Bécc runzelte die Stirn. Er hatte Airtre nicht befohlen mitzukommen, aber er hätte es von ihm erwartet. Die Hälfte der Männer, die die Kirche bewachten, gehörte zu ihm, und Airtre mochte es nicht, wenn Bécc mit ihnen redete, ohne dass er dabei war. Ein verräterischer Bastard wie dieser Rí Tuath war jedem gegenüber misstrauisch.
»Geh, und weck die Männer, die gerade schlafen«, sagte Bécc zu Trian. »Sie sollen sich die Waffen schnappen und das Kloster durchsuchen. Ich will wissen, wo Airtre steckt.«
Trian nickte. »Glaubst du, die Heiden haben ihn geschnappt?«, fragte er.
»Entweder das, oder aber er hat sich mit ihnen verbündet. Aber wie auch immer, ich will, dass er gefunden wird.«
Es dauerte nicht lange. Bécc und Trian beendeten ihre Inspektion der Wachposten und fanden kein weiteres Problem. Nichts deutete darauf hin, dass mehr als zwei Heiden entkommen waren.
Ein Heide, korrigierte Bécc sich selbst. Louis war Franke und daher Christ, zumindest dem Namen nach. Der andere hingegen könnte durchaus ein Heide sein. Oder vielleicht die Frau, Failend. Bécc fragte sich, ob sie unter Umständen erkannt hatten, was für eine Sünde es gewesen war, sich mit diesen Teufelsanbetern einzulassen. Vielleicht waren sie ja geflohen und wollten nun Buße tun.
Er hoffte es, doch er hielt es nicht für sehr wahrscheinlich. Bußfertige Seelen setzten keine Klostergebäude in Brand.
Bécc war derart in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie es um ihn herum immer lauter wurde. Männer rannten und schrien, und von irgendwo waren gedämpfte Kampfgeräusche zu hören. Bécc hörte auch einen Schlag und ein Stöhnen, als wäre jemand hart in den Bauch getroffen worden.
Sie kamen in Sicht: mehr als ein Dutzend Männer mit Fackeln in den Händen. Bécc sah, dass einige die Speere erhoben hatten, und er sah auch, dass sie zwei Männer hinter sich herzerrten.
Das sollten verdammt nochmal besser dieser Franke und der Heide sein, dachte Bécc. Und das waren sie auch. Als sie nur noch zehn Fuß entfernt waren, konnte er sie sehen. Er erkannte Louis aus ihrer Zeit im Lager, als er und Thorgrim noch auf derselben Seite gestanden hatten, so unheilig diese Allianz auch gewesen sein mochte. Neben Louis ging der andere, ein junger Mann mit blondem Haar und glatt rasiertem Kinn. Beide hatten Blut in den Mundwinkeln und blaue Flecken im Gesicht. Sie schlurften, doch nicht, weil sie ihren Gegnern Widerstand leisteten, erkannte Bécc, sondern weil sie kaum gehen konnten.
Die Männer wurden direkt zu Bécc gebracht. Die irischen Krieger mussten sie stützen. Bécc winkte den Fackelträgern, näher heranzutreten; dann musterte er die Gefangenen. Man hatte sie kräftig zusammengeschlagen. So viel war klar.
»Der da«, sagte einer der Krieger und deutete auf den blonden Heiden. »Er hat Airtre mac Domhnall getötet. In der Kapelle. Genau in dem Moment, da wir durch die Tür gekommen sind, hat er ihm das Schwert in den Leib gerammt.«
Bécc nickte und schaute dem Heiden in die Augen. Der Heide wiederum erwiderte seinen Blick trotzig. Wir werden dir diesen Trotz schon vom Gesicht wischen. Das verspreche ich dir, dachte Bécc. Er drehte sich zu Louis um.
»Louis der Franke. Ich nehme an, jetzt bereust du es, dich mit diesen gottlosen Tieren eingelassen zu haben.«
Louis zuckte mit den Schultern, spie auf den Boden und grinste schwach.
Bécc schaute sich um. Er musste mit diesen Männern sprechen, und sie würden ihm seine Fragen beantworten. Aber nicht hier. Die Probleme hatten mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das seine Befehlsgewalt überstieg.
»Bringen wir sie zum Abt«, sagte Bécc. »Er wird hören wollen, was sie zu sagen haben.« Bécc wusste nicht, ob dem wirklich so war, aber er war sicher, dass der Abt ihre Geschichte anhören sollte. Außerdem war das Haus des Abts keine hundert Schritt entfernt. Mit Bécc an der Spitze führten sie die Gefangenen dorthin.
Bécc klopfte an die große Holztür. Er fragte sich, ob der Abt wohl schlief. Aber konnte man wirklich schlafen, wenn draußen so viel los war?
Die Tür öffnete sich, und Niall, der Schreiber des Abts, stand im Licht der Fackeln. »Wir müssen mit dem Abt sprechen«, erklärte Bécc. »Wir haben Gefangene, und der Abt muss sie sehen.« Die Worte waren nicht als Bitte formuliert.
»Der Abt ist beim Gebet. Bitte erlaube mir nachzusehen, ob er mit dir sprechen kann«, erwiderte Niall und schloss die Tür. Innerlich schäumte Bécc vor Wut. Was für ein Unsinn. Doch kurz darauf öffnete sich die Tür wieder, und Niall winkte sie herein.
Wie stets, wenn Bécc ihn sah, saß Abt Columb an dem großen Tisch im hinteren Teil seiner Residenz. Bécc ging voraus und verneigte sich knapp vor dem Abt. Hinter ihm folgten die Gefangenen und zwei mit Speeren bewaffnete Wachen. Die Gefangenen wurden auf die Knie gezwungen. Bécc schaute nach, wie gut sie gefesselt waren, und zufrieden stellte er fest, dass sie sich unmöglich befreien konnten.
»Diese Männer …«, begann Bécc. »Sie sind aus der Kirche entkommen.« Er deutete auf Louis. »Das da ist ein Franke, aber er spricht unsere Sprache.« Dann deutete er auf den Blonden. »Und der da … Den kenne ich nicht. Sie haben Airtre getötet.«
Bei diesen Worten hob der Abt die Augenbrauen. »Sie haben Airtre getötet?«, hakte er nach. »Airtre ist tot?«
»Ja, mein Herr Abt«, bestätigte Bécc.
Der Abt bekreuzigte sich. »Möge Gott seiner Seele Frieden schenken«, sagte er, doch es klang, als sei er nicht so überzeugt davon, dass Gott das auch wirklich tun würde. »Und aus welchem Grund haben sie das getan?«
Bécc wandte sich an Louis. »Warum habt ihr Airtre umgebracht?«, fragte er.
Erneut zuckte Louis provozierend mit den Schultern. »Wir haben zu fliehen versucht. Dieser Mann … Airtre hast du ihn genannt … Er hat uns gefunden. Also haben wir ihn getötet.«
Bécc drehte sich zu dem Krieger um, der hinter den Gefangenen stand. »Du warst doch dabei, als die beiden gefangen worden sind, nicht wahr?« Der Mann nickte. »Was hast du gesehen?«
»Äh … Nun …«, stammelte der Mann. Er freute sich nicht gerade darüber, in Gegenwart von Bécc und dem Abt sprechen zu müssen. »Als wir in die Kapelle gekommen sind, sah es so aus, als würden Airtre und der da, der Blonde, kämpfen.« Er nickte zu Louis. »Und der da hat nur zugesehen.«
»Nur zugesehen?« Bécc schaute Louis an. »Du hast deinem Gefährten nicht geholfen?« Louis zuckte schon wieder mit den Schultern und schwieg.
Der Abt sprach als Nächster und wandte sich an Louis. »Diese Heiden sind wie Tiere. Wer weiß, was Gott für sie bestimmt hat? Aber du? Ein Franke und ein Christ? Fürchtest du nicht den Zorn Gottes, wenn du deinen christlichen Brüdern den Rücken zukehrst und an der Seite der Heiden das Schwert gegen sie erhebst?«
»Du meinst, ich sollte meine Mitchristen besser behandeln?«, entgegnete Louis. »Vielleicht so, wie die Iren einander behandeln?«
»Ich glaube, wenn du uns helfen würdest, diese Heiden zu besiegen, dann bestünde unter Umständen noch so etwas wie Hoffnung auf deine Erlösung«, antwortete der Abt, ohne Louis’ Köder zu schlucken.
Bécc hörte dem Gespräch nur halb zu. Er betrachtete den Blonden, der regungslos auf dem Boden kniete und stur geradeaus starrte. Du und Airtre … Ihr habt Mann gegen Mann gekämpft … Warum solltest du das tun? Warum hat Louis dir nicht geholfen, ihn schnell zu töten?
In der Zeit, da sein Heer und Thorgrims zusammengearbeitet hatten, hatte Bécc dessen Männer erlebt. Er hatte zwar nur ein paar von ihnen wirklich kennengelernt, doch er hatte sie alle gesehen. An diesen hier erinnerte er sich jedoch nicht, und das kam ihm seltsam vor, denn er wäre ihm sofort aufgefallen. Jung und kräftig gebaut, mit Haar so hell wie Stroh, das hinten zu einem langen Zopf geflochten war. Der Mann war ein echter Kämpfer, und so jemanden hätte Bécc nie übersehen.
Und dann erinnerte er sich an ein Gespräch, das er mit Thorgrim geführt hatte, kurz nachdem der Nordmann ihm Airtre als Gefangenen gebracht hatte. Er hatte noch immer die Worte im Ohr, die das Mädchen, Failend, für ihn übersetzt hatte. Und plötzlich verstand er.
»Harald!«, rief Bécc laut und unvermittelt, und der junge Heide schaute ihn an. Im selben Augenblick erkannte er seinen Fehler und senkte den Blick rasch wieder, doch es war zu spät.
Bécc drehte sich zum Abt um. »Ich weiß, wer der da ist«, sagte er. »Ich weiß auch, warum er Airtre getötet hat, und ich weiß, wie er uns von Nutzen sein kann.«