So plötzlich die Sintflut begonnen hatte, so schnell hörte der Regen auch wieder auf. Große Pfützen hatten sich auf dem Platz gebildet, und die Kinder hüpften durch die Wasserlachen. Ein warmer Wind wehte die dunklen Wolken davon, und die Sonne schien durchs Blätterdach.

Rick betrachtete die riesigen Bäume. Dann wandte er sich an Bruno. »Auf dem Fluss sind wir einem Mann begegnet. Wahrscheinlich gehört er zu den Holzfällern, von denen du vorhin gesprochen hast. Er war nicht gerade freundlich zu uns.«

Bruno verzog sein Gesicht. »Das hätte mich auch sehr gewundert. Die Leute, die für die Holzfirmen arbeiten, sind skrupellos. Denen geht es nur ums Geld. Sie ahnen gar nicht, welchen Schatz sie mit ihren Kettensägen vernichten. Und sie sind unaufhaltsam. Dort, wo der Wald gerodet wurde, wächst nichts mehr nach.

Emilio fragte weiter: »Ist denn diese Gegend auch von den Holzfällern bedroht?«

»Alles ist von denen bedroht. Sie haben einfach das Land an sich gerissen. Ihnen ist egal, dass hier seit Ewigkeiten Menschen wohnen. Es ist das Land der Patalay. Aber davon will niemand etwas wissen. Jeden Tag kommen die Holzfäller näher. Manchmal kann man sogar in der Ferne die fürchterlichen Motorsägen hören. Ich kann es euch zeigen, wenn ihr wollt. Die ganze Welt muss erfahren, was hier geschieht.«

Asik, der junge Jäger, hatte das Gespräch mitbekommen. »Ja, es ist schrecklich. Der Erde wird die Haut abgezogen. Und wir

»Das ist ein Keleput«, klärte sie Bruno auf. »Damit jagen die Patalay im Dschungel mit Hilfe kleiner Giftpfeile. Das Gift, das sie Tajem nennen, wird aus bestimmten Bäumen gewonnen. Nicht ganz ungefährlich. Aber die Jäger wissen, was sie tun. Ich natürlich auch.«

Jokim, der Ältere, kam jetzt dazu und legte Asik die Hand auf die Schulter. »Mein Sohn, versteh doch. Wir haben schon oft darüber gesprochen. Gegen die Monster aus Stahl kommen wir nicht an. Schon gar nicht mit unseren Blasrohren. Diesen Kampf können wir nicht gewinnen.«

Ava ballte wütend die Faust. »Aber man muss doch irgendetwas dagegen unternehmen! Kann man nicht mit den Holzfällern sprechen? Die können euch doch nicht einfach die ganzen Bäume klauen?«

Bruno ließ den Kopf hängen. »Doch, das

Rick stand jetzt entschlossen auf. »Ich würde mir gern ansehen, was dort geschieht. Vielleicht gibt es doch noch einen Weg.«

»Ich kann euch durch den Dschungel führen«, schlug Bruno vor. »Allein würdet ihr euch verlaufen. Und die Zeit drängt, denn jede Minute, die wir hier sitzen, wird ein Baum gefällt.«

Auch Emilio stand nun auf. »Dann lasst uns sofort aufbrechen!«

Ava war begeistert: »Ja! Das will ich von euch hören.«

Ihr Entschluss war gefasst, und kurz darauf verabschiedeten sie sich von den gastfreundlichen Patalay. Das ganze Dorf war zusammengekommen und winkte ihnen nach.

Emilio winkte etwas unsicher zurück. »Hauptsache, wir haben ihnen keine falschen Hoffnungen gemacht.«

»Wie kann man sich hier nur zurechtfinden?«, fragte Rick bewundernd. »Wir würden uns wahrscheinlich tatsächlich sofort verirren.«

Bruno deutete daraufhin auf einen dünnen Ast am Wegesrand. In der Rinde klemmte eine kleine Feder. »Die Patalay haben überall Hinweise angebracht. Die Zeichen dienen als Orientierung. Das ist besser als jede Straßenkarte. Auch bestimmte abgeknickte Zweige haben eine Bedeutung. Oft werden sie mit Blättern markiert. Die verschiedenen Familien der Patalay geben auf diese Weise auch Informationen weiter. Zum Beispiel, wenn jemand Hilfe braucht. Oder wenn einer etwas Großes gejagt hat und Freunde zum Essen einladen möchte. Für alles gibt es ein bestimmtes Zeichen. Es ist eine Art Geheimsprache. Die Patalay nennen sie Oroo

Rick zeigte auf einen abgeknickten Ast. »Und was bedeutet das hier zum Beispiel?«

Bruno sah es sich an. »Das? Das ist nur ein

Unter die vielen Geräusche des Dschungels mischte sich jetzt aus der Ferne ein unheilvolles Kreischen. Es war das Geräusch von Motorsägen.

Der Weg führte mittlerweile sanft einen kleinen Berg hinauf. Die drei Freunde folgten Bruno durch das schattige Dickicht. Dann wurde es allmählich heller, und die ersten Sonnenstrahlen gelangten durch das grüne Blätterdach. Schließlich standen sie unter freiem Himmel und blickten auf eine trostlose und baumlose Wüste.

Der gesamte Wald war gerodet, und mächtige Kettenfahrzeuge zogen riesige Holzstämme durch den aufgeweichten Boden. Männer in roten Overalls und mit Sicherheitshelmen liefen umher. Viele von ihnen trugen Motorsägen.

Aber das eigentliche Absägen der Urwaldgiganten übernahmen monströse Maschinen. Mit ihren Greifarmen umklammerten sie die Stämme und schnitten die Bäume wie Grashalme ab. Es war ohrenbetäubend laut.

Emilio stand der Mund offen. »So etwas habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Jetzt weiß ich, was Asik meinte: Der Erde wird tatsächlich die Haut abgezogen.«

Ava war genauso entsetzt. »Was geschieht nur mit den ganzen Tieren, die in den Bäumen leben?«

Panisch rannten jetzt alle davon, und es war gerade noch rechtzeitig: Ein riesiger Baum krachte zu Boden, und dicke Äste zerbarsten bei dem Aufprall. Innerhalb von Sekunden waren sie umhüllt von einer Wolke aus Laub und Staub. »Jemand verletzt?«, rief Rick atemlos.

Emilio war gestolpert und rappelte sich auf. »Nein, ich glaube, wir haben noch mal Glück gehabt.«

Auch Ava und Bruno waren mit dem Schrecken davongekommen. Vögel flatterten panisch in der Luft, und man hörte das laute Geschrei

»Ich hab dich«, sagte Ava mit beruhigender Stimme und strich dem aufgeregten Äffchen über den Kopf.

Doch der Schrecken war noch nicht vorbei, denn plötzlich tauchte vor ihnen ein Mann auf. Wie die anderen trug er einen Helm. Die drei

»Seid ihr wahnsinnig?«, brüllte er die Gruppe an. »Was habt ihr auf der Baustelle zu suchen? Das ist lebensgefährlich! Hier hat niemand etwas verloren. Das Gelände ist Privatbesitz.«

Jetzt erst erkannte auch der Mann die drei Freunde. »Ihr seid doch die frechen Gören vom Fluss? Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt verschwinden? Und was ist mit dem nackten großen Affen im Lendenschurz da? Wollt ihr euch über mich lustig machen?«

Bruno wusste, dass er gemeint war, und zog die Freunde von dem Mann weg. »Ich habe es euch ja gesagt. Mit den Leuten ist nicht zu reden. Verschwinden wir lieber.«

Der aufgebrachte Mann warf ihnen einen Ast hinterher. »Ja, verschwindet und lasst euch nie mehr blicken.«

Alle waren froh, als sie wieder im sicheren Wald waren. Das Äffchen klammerte sich immer noch zitternd an Avas Hals.

»Ich glaube, der Kleine wird dich nicht mehr

Ava nickte. »Ja, das glaube ich auch. Ich werde ihn erst einmal bei mir behalten.«

Rick ging der Anblick der baumlosen Wüste nicht aus dem Kopf. »Das darf alles nicht wahr sein. Wie kann man nur so brutal den Wald abholzen? Wir müssten mit demjenigen sprechen, der dafür verantwortlich ist.«

»Das wird der Besitzer der Holzfirma sein«, gab Bruno zur Antwort. »Ich weiß, dass die Holzfabrik flussaufwärts ihr Basislager hat. Dort läuft alles zusammen, und die Baumstämme werden in den Fluss geworfen. Aber ich glaube nicht, dass sie mit euch sprechen wollen.«

Doch Rick ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. »Das weiß man nicht. Auf jeden Fall ist es einen Versuch wert. Die Leute dort müssen erfahren, dass in dem Dschungel Menschen leben. Familien mit Kindern. Ava! Emilio! Wie seht ihr das?«

»Wir müssen unbedingt dahin«, fand auch Emilio.

Rick wandte sich an Bruno. »Wir müssen so schnell wie möglich wieder zurück zu unserem Boot. Aber allein finden wir den Weg niemals.«

Bruno holte tief Luft. »Also gut. Ich zeige euch den Weg. Aber zu dem Lager der Holzfäller werde ich euch nicht begleiten können. Ich habe mich für das Leben bei den Patalay entschieden und mit der sogenannten Zivilisation abgeschlossen.«

»Alles klar. Gehen wir zurück zur Nautilus!«