TEIL III
Tarte Tatin
1943

1

Die Queen Mary, der luxuriöse Passagierdampfer, hatte seine Pracht hinter grau-grüner Camouflage versteckt. Das Schiff lief aus dem Hafen von New York aus und pflügte langsam durch die stahlgraue See. An Bord waren Truppen für den europäischen Kriegsschauplatz. Kabinen, die früher einmal der feinen Gesellschaft vorbehalten gewesen waren, waren umgewandelt worden und dienten jetzt den Soldaten als Unterkunft. In einer Kajüte teilten sich acht weibliche Armeemitglieder den Raum, und Corporal Eden Douglass fand sich in der mittleren Koje wieder, mit Ausblick auf Dottie Lofgrens Hintern in der Koje über ihr. Das Schiff hob und senkte sich im Wellengang, und ihrem Magen ging es genauso. Über ihr stöhnte Dottie und nebenan eine andere Soldatin. Faye Cole übergab sich. Eden stand auf und schwankte zur Tür. Sie weigerte sich, seekrank zu werden, aber es gab Grenzen.
Weit konnte sie jedoch nicht gehen. Auf dem Schiff, das Tausende von GIs transportierte, waren nur vierzig weibliche Soldaten, und es wurde streng darauf geachtet, die Frauen von den Männern getrennt zu halten. Rasch huschte Eden durch die schmalen Gänge an den anderen Kabinen vorbei, aus denen ähnliche Geräusche drangen. Schließlich war sie an Deck, wo kalter Wind ihr ins Gesicht peitschte.
Es war dieselbe Reise, die ihre Mutter vor dreißig Jahren gemacht hatte, nur diesmal in umgekehrter Richtung. Eden war auf dem Weg nach England. Vor ihr lagen der graue Atlantik und der Krieg, und ob sie jemals heil zurückkommen würde, wusste der Himmel.
Über Lautsprecher ertönte eine Stimme, die allen Soldaten befahl, sich unverzüglich in ihre Kojen zu begeben. Die Offiziere wurden zum Kapitän beordert. In der Nähe war ein deutsches U-Boot entdeckt worden. Sofort wurden die Maschine und alle Funkgeräte ausgeschaltet. Jegliche Aktivität war strengstens untersagt, und niemand wagte, auch nur den geringsten Laut von sich zu geben. Eden kehrte wieder in ihren Schlafsaal zurück, in dem das Stöhnen mittlerweile nachgelassen hatte. Stundenlang lag sie in ihrer Koje, lauschte ihrem eigenen Herzschlag und merkte zum ersten Mal, dass sie in der Ausbildung auf die Möglichkeit zu sterben vorbereitet worden war. Na ja, dachte sie, wenigstens sitze ich nicht mehr in der Telefonzentrale.
 
»Chicago Park Hotel, was kann ich für Sie tun?«
Diesen Satz hatte Eden Douglass x-mal am Tag gesagt. Oder zumindest fühlte es sich so an, während sie mit Kopfhörer in der Telefonzentrale des Hotels saß. Das Chicago Park war ein gutes Hotel, aber es war nicht das, wovon Eden geträumt hatte. Voller Hoffnung war sie nach Chicago gekommen, aber trotz größter Anstrengungen hatten sich ihre Erwartungen nicht erfüllt. Vielleicht wusste sie einfach noch nicht so genau, in welche Richtung sie gehen sollte. Sie wollte unbedingt etwas Neues erleben, und ihr Traum war es, für eine Zeitung zu schreiben oder sich zu verlieben. Die Männer, die sie kennenlernte und mit denen sie ausging, waren zwar nett, aber niemand berührte »ihr Herz und ihre Seele«, wie es in einem Schlager hieß.
Und so erschien Eden der patriotische Ausbruch nach Pearl Harbor wie ein Wink des Schicksals. Jetzt konnte sie endlich Schritte in eine neue Richtung unternehmen. Und als sie schließlich in der Zeitung las, dass das Frauen-Hilfscorps der Army Freiwillige suchte, gab es für sie kein Halten mehr.
Eines Herbstabends nahm Eden am Ende ihrer Schicht ihre Kopfhörer und ihr Namensschild ab, wirbelte mit ihrem Stuhl herum und sprang auf. »Ich gehe, Lenski«, sagte sie zu dem Manager und nahm ihren Mantel vom Haken. »Ich fahre über Weihnachten zu meiner Familie nach Idaho, und dann gehe ich zum Women’s Army Auxiliary Corps.«
Mr. Lenski machte eine anzügliche Bemerkung über Hilfspositionen von Frauen in der Armee mit gespreizten Beinen auf dem Rücken. Dann fügte er hinzu: »Sie müssen die Kündigungsfrist einhalten.«
»Nicht, wenn ich den Job nicht zurückhaben möchte. Machen Sie es gut.«
Lenski lachte. »Sie kommen schon noch wieder und flehen mich auf Knien um einen Job an.«
»Erzählen Sie das den Marines«, erwiderte Eden mit der Arroganz, die sie von den drei Frauen gelernt hatte, mit denen sie sich zwei Zimmer und eine kleine Kochküche teilte. Es waren toughe, energische Mädchen, die aus der Provinz nach Chicago gekommen waren, um etwas zu erleben und ihrem vorgezeichneten Schicksal zu entgehen.
Das war auch der Grund, warum Eden Douglass in Chicago war. Wenige Wochen, bevor sie Emjay Gates, den jungen Mann, dem sie die letzte Gunst gewährt hatte, hätte heiraten müssen, war sie aus Fairwell entkommen. Sie hatte dabei das Beispiel ihrer Schwester Ada vor Augen, die in null Komma nichts mit Melvin Brewster verheiratet gewesen war und einen brüllenden Säugling im Arm hielt. Das Leben musste doch noch Besseres bereithalten.
1940 starb Ruth Douglass, die immer noch bei Tom und Afton in St. Elmo lebte. In ihrem Testament vermachte sie ihren gesamten Besitz, der sich immerhin noch auf tausend Dollar belief, Eden Louise. Sonst bekam niemand auch nur einen Penny - nicht einmal Afton, die sie so viele Jahre lang gepflegt hatte. Dieses Geld flüsterte Eden zu: Nimm mich, und verlass Fairwell, sonst wirst du es dein Leben lang bedauern.
Eden hörte auf die Stimme, packte ihre Sachen, hinterließ ihren Eltern eine Nachricht und fuhr mit dem Zug nach Chicago. Dort mietete sie sich ein Bett im YWCA und bewarb sich um die Stellen, die ihr interessant erschienen. Die großen Tageszeitungen in Chicago hatten jedoch nicht auf sie gewartet. Sie konnten mit ihrer Erfahrung als Gesellschaftsreporterin der Enterprise nichts anfangen und wollten sowieso keine Frauen einstellen.
Schließlich hörte sie von einem anderen Mädchen beim YWCA, dass ein Job in der Telefonzentrale des Chicago Park Hotels zu vergeben war. Eden setzte ihren besten, von Kitty abgelauschten Music-Hall-Akzent auf, log dem Manager vor, dass sie eine Schalttafel bedienen könne, und bekam den Job.
Und jetzt ließ sie Chicago für immer hinter sich, packte erneut ihre wenigen Habseligkeiten und nahm im Dezember 1943 den Zug nach Westen, nach Fairwell.
»O Schätzchen!«, rief Kitty, als Eden am Bahnhof aus dem Zug stieg. »Du siehst über die Maßen elegant aus!«
»Die Rückkehr der verlorenen Tochter!«, sagte Gideon und umarmte Eden.
Zu Hause erwarteten sie Ada und Melvin mit ihren zwei kleinen Kindern und dem Baby. Ada hatte den Tisch gedeckt und Braten und Bohnen mitgebracht. Beim Abendessen verkündete Eden, sie werde sich nach Weihnachten dem weiblichen Hilfskorps der Armee anschließen. Kitty und Gideon hatten noch nicht einmal gewusst, dass es so etwas gab, aber Melvin Brewster hatte eine dezidierte Meinung dazu.
»Frauen können keine Soldaten sein.«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Eden. »Im WAAC werden wir genauso ausgebildet wie die Männer. Überall übernehmen Frauen Jobs, die früher von Männern erledigt wurden. Es herrscht Krieg, falls du es noch nicht gemerkt haben solltest. Ernest ist direkt nach Pearl Harbor zur Navy gegangen«, fügte sie hinzu. »Ich gehe ebenfalls zur Armee. Was ist denn mit dir, Melvin? Wie sieht dein Beitrag aus?«
»Melvin ist Vater«, sagte Ada.
»Frauen können keine Soldaten sein. Sie können nur Soldatenhuren sein.«
»Melvin!«, rief Ada.
Gideon runzelte die Stirn, aber Kitty kicherte nur.
»Was ist eine Hure?«, fragte Adas Ältester, ein fünfjähriger Junge.
Melvin erhob sich und befahl seiner Frau, die Kinder zu holen, damit sie gehen konnten. Gideon versuchte, ihn zu besänftigen, aber er wollte nichts hören. Ada weinte, als er erklärte, die Brewsters säßen nicht mit Sündern an einem Tisch, und sie würden dieses Haus erst wieder betreten, wenn Eden gegangen sei.
»Ach, papperlapapp«, sagte Kitty. »Ich warte schon seit Jahren darauf, dass er nicht mehr hierherkommt. Mach dir keine Gedanken wegen Melvin, Schätzchen. Sieh es mal so, dann haben wir mehr Dessert für uns.«
»Was gibt es denn zum Dessert, Ma?«
»Leider haben wir nicht viel Auswahl, aber Schwester Thorsen hat etwas von ihrem Sauerteig-Lebkuchen vorbeigebracht, weil du ihn so gerne isst. Ich auch. Und leider hat auch schon jemand ein Stück abgeschnitten. Tja, tja, wir sind wirklich Sünder.«
Eden schlief in dem Zimmer, das sie sich früher mit Ada geteilt hatte. Jetzt hatte ihr Vater seinen Schreibtisch hineingestellt. An den Wänden hingen lange genealogische Listen, die in der Nacht raschelten wie Gespenster. Auf den niedrigen Regalen standen Bücher, und über dem sorgfältig aufgeräumten Schreibtisch hingen gerahmte Illustrationen der Handcart-Brigade aus einer Zeitschrift. Ihr Vater erzählte ihr, Schwester Thorsen habe sie ihm geschenkt.
Am Tag nach ihrer Ankunft zog Eden alte Sachen an, band sich ein Stirnband um und machte sich an die Arbeit. Sie putzte und wusch, und der Geruch nach Stärke und Desinfektionsmittel erinnerte sie an Afton, der sie von ihren Plänen, dem Frauenhilfskorps beizutreten, schrieb.
 
Dezember 1943
 
Liebe Eden,
 
wie schön, Deinen Brief in der Hand zu halten, zu wissen, dass es Dir gut geht und Du glücklich bist. Welcher Segen für Deine lieben Eltern, dass Du dieses Weihnachten zu Hause verbringst. Mein Stolz auf Dich, auf Deine Wahl, unserem Land zu dienen, kennt nur die Grenzen christlicher Demut. Lass die Leute reden, was sie wollen, Tom und ich unterstützen Dich, so wie wir alle unsere Soldaten unterstützen. Manche haben gedient und dafür den höchsten Preis bezahlt, Eden. Unser Lucius ist dieses Jahr gefallen. Am 10. August in Guadalcanal im Dienste seines Landes und seines Gottes.
Ich weiß, dass Du Dich fragen wirst, warum es so lange gedauert hat, bis ich Dir diese traurige Nachricht mitgeteilt habe, aber mein Herz brach, wenn ich die Worte schreiben wollte. Selbst jetzt zittert meine Hand, wie Du sicher erkennen kannst. Ich habe ehrlich versucht, Dir zu schreiben. Ich hätte auch Gideon geschrieben, aber jedes Mal, wenn ich diese Worte zu Papier bringe, empfinde ich den Verlust wieder aufs Neue. Bessie und Alma haben angeboten, für mich zu schreiben, aber Tom hat ihnen gesagt, nein, nein, Mädchen, Mutter muss es selber tun, wenn sie dazu in der Lage ist. Männer wie Tom Lance gibt es nicht mehr. Du findest sie einfach nicht mehr.
Und jetzt endlich, Monate danach, kann ich es schreiben. Mein Hand mag zittern, mein Herz bricht, aber der Herr hat mir wieder Kraft gegeben.
Lucius ist den Heldentod gestorben. Er hat zwei kleine Söhne hinterlassen, Micah und Jonah, die meine ganze Freude sind und die der Herr mir an Stelle meines Sohnes geschenkt hat. Sie leben hier bei uns. Lucius’ wertlose Frau, diese Elianne, hat sich kaum sechs Wochen nach seinem Tod mit einem anderen Mann eingelassen. Sie wollte ihn heiraten, und zumindest wollte sie mit ihm davonlaufen, und die beiden kleinen Jungen waren ihr dabei nur im Weg.
Aber ich will nicht klagen. Nein. Meine Augen blicken zuversichtlich in die Ferne, bis ihr alle zurückkehrt. Ich will nicht meine Verluste betrauern, sondern mich im Herrn erfreuen, da ich weiß, dass Lucius jetzt im Himmlischen Reich ist und wir eines Tages wiedervereint sein werden.
Mein liebes Mädchen, sag Gideon unsere lieben Grüße, auch Kitty, wenn sie es zulässt.
Meine Gebete werden Dich immer begleiten, Eden.
Deine Dich liebende Tante
Afton Lance
 
Für das Weihnachtsessen besorgte Eden mit den Lebensmittelkarten ihrer Eltern ein Hühnchen. Sie versuchte, die berühmte Füllung ihrer Großmutter nachzukochen, aus Brot, Mandeln, Orangen und Rosinen, aber es gelang ihr nicht ganz, weil sie nicht alle Zutaten bekam. Am Ende kam nicht dasselbe dabei heraus, aber es schmeckte trotzdem, und ihre Eltern überschütteten sie mit Lob. Es war ein schönes, schneereiches Weihnachtsfest. Kitty, erwärmt von dem Brandy, den Eden ihr aus Chicago mitgebracht hatte, schwärmte von den wundervollen Weihnachtsfesten, die sie in ihrer Jugend in Liverpool erlebt hatte, und schwadronierte von Fleischbergen, brennenden Plumpuddings und den kleinen, silbernen Talismanen, die eingebacken waren. Das hätten sie ja nun leider nicht, aber Edens Weihnachtskuchen käme der erinnerten Pracht schon recht nahe, und sie äße gerne noch ein Stück. Gideon lauschte, als ob er diese Geschichten nicht seit dreißig Jahren jedes Mal an Weihnachten über sich ergehen lassen müsste, und Eden dachte, dass die Gutmütigkeit ihres Vaters ein Geschenk an sich war.
 
Der Rekrutierungsbeamte des WAAC in Spokane, Washington, war ein Zivilist mittleren Alters mit einem fliehenden Kinn. Er spielte mit seinem Füller, während er die Bewerbung und Eden Louise Douglass prüfend musterte. Eins achtundsechzig groß, einhundertdreißig Pfund, breite Schultern, schmale Taille, feste Brüste, gute Hüften und starke lange Beine, dunkle Haare, grüne Augen. Er bat sie zu lächeln. Gute Zähne. »Hier steht, Sie hätten einen Highschool-Abschluss.«
»Ja.«
»Hier steht, sie tippen hundert Wörter pro Minute. Stimmt das?«
Sie kam zwar nur auf neunzig, aber sie sagte trotzdem ja. »Ich tippe seit meinem zwölften Lebensjahr.«
»Und Steno ebenfalls.«
»Ja.« Sie hatte in Chicago einen Abendkurs in Steno belegt, da sie dachte, es könne ihr für eine Reporterlaufbahn nützlich sein. »Ich habe jahrelang bei einer Zeitung gearbeitet. Ich möchte gerne zum Pressekorps.«
»Wie schnell können Sie stenografieren?«
»So schnell, wie Sie reden können.«
Er nickte ernst. »Können Sie eine Telefonanlage bedienen?«
»Nicht gut«, log sie. Sie hatte keine Lust, schon wieder am Telefon zu sitzen.
»Können Sie kochen?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn und fragte: »Können Sie Auto fahren?«
»Ich komme mit dem ältesten Truck zurecht und fahre über sämtliche Bergstraßen. Ich fahre Auto seit meinem zwölften Lebensjahr.«
»Sie machen anscheinend eine Menge Dinge seit ihrem zwölften Lebensjahr.« Er drehte den Füller in seinen dicken Fingern. »Warum möchten Sie dem Frauen-Hilfskorps beitreten?«
»Um meinem Land zu dienen. Um die Welt zu sehen.«
Er lächelte. »Willkommen im Krieg, Private Douglass.«
Ruth Douglasses kalifornische Truthahnfüllung
Breiten Sie geschälte Mandeln auf einem Backblech aus und rösten Sie sie auf der mittleren Schiene des Backofens bei etwa 220 °C zwanzig Minuten lang. Dabei häufig mit einem Pfannenheber umwenden. Abkühlen lassen.
2 mittlere oder 1 große Zwiebel in dünne Scheiben schneiden. 4 Esslöffel Butter schmelzen und die Zwiebeln darin anbräunen, bis sie weich und golden sind.
In der Zwischenzeit altes Brot in Stücke reißen und in eine große Schüssel geben. Die Zwiebeln und eine Dose Ananasstücke mit Saft hinzufügen und gut vermischen. Die Schale von zwei Orangen reiben und ebenso wie die in Stücke geschnittenen Orangen in die Masse geben. Wenn Sie nichts anderes haben, können Sie auch Mandarinen in der Dose nehmen. Besonders hübsch sind Kumquats, wenn Sie welche bekommen können. Geben Sie eine Tasse oder ein paar Handvoll Rosinen dazu.
Mit Salz, Pfeffer und gehacktem Schnittlauch würzen. Sollten Sie noch mehr Flüssigkeit benötigen - außer der Butter an den Zwiebeln und dem Ananassaft -, nehmen Sie Fruchtsaft oder trockenen Wermut.
Füllen Sie den Truthahn, und braten Sie ihn wie gewöhnlich, wobei Sie ihn häufig begießen. Dieses Rezept kann natürlich nach Lust und Laune verändert werden, je nachdem, was Sie gerade im Haus haben. Die Mandeln, die Fruchtsäure und die weichen süßen Rosinen machen diese Füllung besonders köstlich. Für Eden, ihre Kinder und deren Kinder war es auf jeden Fall immer der Geschmack von Weihnachten oder Thanksgiving.

MOMENTAUFNAHME

Die Soldatin

In der Armee lernte Eden Douglass Dinge, die ihr ein Leben lang zugutekamen: Organisation, Effizienz, Erfindungsreichtum und Verantwortung, und nicht zuletzt das platzsparende Packen von Rucksäcken und Reisetaschen. Sie lernte, Männer zu durchschauen, vor allem solche, die glaubten, jede Frau mit einem Kompliment herumkriegen zu können. Sie lernte, für sich selber einzustehen, für das, was sie wollte oder nicht wollte. Sie lernte die Rufe und Pfiffe zu ignorieren, die eine Frau in Uniform oft hervorrief. Und sie lernte marschieren. Aber rauchen lernte sie nie.
Die Grundausbildung fand in Fort Des Moines, Iowa, statt, wo Eden mit hundert anderen Frauen marschierte, schwitzte, fluchte, jeden Morgen mit lauwarmem Wasser duschte und sich von fettigem Essen ernährte, das wie Treibstoff schmeckte. Sie schlief in Etagenbetten in der Kaserne und stand jeden Morgen um 5.45 Uhr auf.
Tagsüber marschierten sie durch Eis, Schnee, Regen, Schmutz und Schlamm, und abends sahen sie endlose Wiederholungen von Nachrichtenfilmen von Pearl Harbor, Guadalcanal und dem Blitzkrieg der Deutschen.
Vierzehn Wochen später marschierte Eden mit ihrer Einheit zu den Klängen von »Stars and Stripes Forever«. Sie gehörte zum Korps und war zum Corporal befördert worden. Im Juni 1943 wurde aus dem Armeehilfskorps der Frauen das weibliche Armeekorps. Als Eden die Chance geboten wurde, nach Europa zu kommen, ergriff sie sie.
Eden kam zusammen mit Dottie Lofgren und Faye Cole, mit denen sie sich in der Grundausbildung angefreundet hatte, in eine Schule für Armeeverwaltung, die im Denton State Teacher’s College in Texas untergebracht war. Die Unterbringung dort war luxuriös. Die jungen Soldatinnen bewohnten zu zweit oder dritt einen Schlafraum, und sie aßen in der College-Cafeteria.
Das College hatte eine große Bibliothek, in der sich Eden oft Bücher auslieh. Die alte Bibliothekarin hatte sie ganz besonders ins Herz geschlossen und riet ihr, nach dem Krieg aufs College zu gehen und ihren Abschluss zu machen.
Aber so weit konnte Eden noch nicht denken.

2

Liebe Ma,
 
Ma, ich trinke Tee im Ritz in London, und natürlich denke ich an Dich.
Drei Tische weiter sitzt ein altes Ehepaar, der Mann in einem Tweedjackett, ein wenig fadenscheinig schon, aber immer noch ein guter Stoff, und seine Frau, die früher einmal schön gewesen sein muss, trägt ein blaues Voilekleid mit Seidenveilchen auf der Schulter. Vielleicht sind es ja Victorine und der Duke, nur eben jetzt ein wenig älter.
Die Kellner sind korrekt schwarz-weiß gekleidet, sehr höflich, sogar noch netter als früher im Pilgrim. Saubere weiße Tischdecken und Vasen mit einer einzelnen Blume auf jedem Tisch. Überall im Raum stehen Palmen in Kübeln, und ein kleines Orchester spielt die Melodien, die Miss McBrean immer gern gespielt hat.
Es sitzen Aussies und Kanadier in Uniform hier, und wahrscheinlich auch einige Polen oder andere Sprachen, die ich nicht einordnen kann. Aber trotzdem kommt man sich hier im Ritz vor, Ma, als gäbe es keinen Krieg. Keine Bomben, keine zerstörten Städte, keine Rationierung. Vor allem Du, Ma, Du könntest Dir das gut vorstellen.
Bitte sag Pa, dass ich diesen Brief mit dem Füller schreibe, den er mir zu Weihnachten geschenkt hat.
Was kann ich Euch sonst noch erzählen, was die Zensur nicht wegstreicht? Mein Leben hier ist voller Überraschungen. Ich arbeite viel, und das Essen ist schrecklich. Wahrscheinlich sollte ich mich nicht beklagen, aber alles wird hier so lange gekocht, bis es absolut geschmacklos ist. Es gibt einen grauen Niereneintopf mit grauem Brot und weißer Margarine und Zinnkrüge voller Tee, der am Abend zuvor aufgebrüht worden ist. Sie geben Dosenmilch hinein, und Du schmeckst das Zinn durch. Aber zumindest sind die Süßigkeiten gut. Und ich habe meine Freundinnen Dottie und Faye, also geht es mir eigentlich gut.
 
»Miss Dole?«
Eden blickte auf und sah einen amerikanischen Lieutenant vor sich stehen. Seine Schultern waren nass, und er roch nach feuchter Wolle. Die Kappe in seiner Hand tropfte.
»Entschuldigung«, sagte er, als er sah, dass er den Teppich nass machte. »Es regnet draußen wie verrückt.«
»Es regnet immer wie verrückt.« Faye Cole hatte Tee im Ritz arrangiert, weil sie sich dort mit ihrer neuesten Flamme, Frank Willing, treffen wollte. Und Eden hatte sie nur mitgenommen, weil Frank gemeint hatte, er brächte einen Freund mit. »Sind Sie Lieutenant Willing?«
Er lächelte. »Nein, ich bin Logan Smith.«
»Nun, dann sind wir ja quitt. Ich bin auch nicht Miss Dole. Sie haben übrigens ihren Namen falsch verstanden. Sie heißt Faye Cole. Ich bin Eden Douglass.«
»Eden. Was für ein schöner Name.« Er lauschte einen Moment dem Klang nach. Lächelnd nickte er zu dem kleinen Orchester. »Debussy. Sie spielen sehr gut. Schade, dass es nicht etwas Moderneres ist.«
Er hatte eine tiefe, angenehme Stimme, hellbraune Haare und helle Haut mit blassen Sommersprossen. Sein Gesicht war gut geschnitten, hinter seiner Brille blitzten intelligente blaue Augen, und sein Benehmen war unaufdringlich und zurückhaltend.
»Mögen Sie Musik?«, fragte sie.
»Ja. Meine Mutter ist sehr musikalisch.«
»Meine Mutter auch.« Wahrscheinlich allerdings anders als deine, dachte sie insgeheim.
»Meinen Sie, wir sollten uns hier begegnen?«
Eden musste unwillkürlich lächeln. »Ja, ich glaube schon. Faye hat das eingefädelt.«
»Frank kommt sofort. Er muss noch jemanden anrufen.«
Eden überlegte, wie sie am besten formulieren könnte, dass Faye auf der Toilette war. »Nun, dann setzen Sie sich doch, und wir warten gemeinsam.«
Sie wollte ihn nicht mit Lieutenant Smith anreden, und er würde ganz bestimmt auch nicht Corporal Douglass zu ihr sagen. Zwar waren private Verabredungen unter Armeeangehörigen nicht gestattet, aber so streng wurde diese Regel nicht gehandhabt. Weibliche Soldaten konnten sich ihre Männer aussuchen, ob es nun GIs oder Zivilisten waren.
Sie war im Hauptquartier der Eighth Army Air Force eingesetzt, auf einem Besitz in der Nähe von Bushey, Hertfordshire. Sie bezeichnete das Gebäude als Schloss, obwohl es keins war, sondern lediglich ein Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, umgeben von viel Land mit einem Bauernhof und Pächtern. Die männlichen Offiziere wohnten in dem prächtigen alten Haus, während die anderen Soldaten in schäbigen Baracken am anderen Ende des Parks hausten.
Für die Soldatinnen jedoch war es das Schloss. Es gab endlos viele Fahrräder und endlos viele Männer, mit denen man in den Pub oder zum Tanzen gehen konnte. In ihrem ganzen Leben hatte Eden Douglass noch nicht so viel getanzt wie hier. In den Pubs brachten die älteren Einheimischen Eden und ihren Freundinnen bei, Darts zu spielen und Bier zu trinken. Dottie lehrte sie Fahrrad fahren, und bei dem alten Verwalter, Arthur Jobson, lernte sie Motorrad fahren. Er behauptete, Eden sei ein Naturtalent, obwohl er ihr wegen der Benzinrationierung kaum Unterricht geben konnte. Mit dem Fahrrad jedoch konnten sie ungehindert die Umgebung erkunden, und Eden fand, dass sie für ein Mädchen aus Idaho und Kalifornien, dessen Erfahrungen sich nur auf Chicago, Iowa und Texas erstreckten, weit herumgekommen war.
Bushey lag nur zwanzig Meilen nördlich von London, und mit dem Fahrrad waren sie schnell an der U-Bahn. Wann immer es ihr möglich war, fuhr Eden in die Stadt, manchmal mit Dottie und Faye oder ein paar von den GIs. Sie hatte so viel Freizeit, dass sie kaum wusste, was sie damit anfangen sollte. Aber sie hatte auch mehr Verantwortung.
Jeden Abend fiel Eden erschöpft ins Bett und war am nächsten Morgen um fünf Uhr wieder hellwach. Die Fähigkeiten, die sie eigentlich in einer Zeitungsredaktion hatte anwenden wollen, Schreibmaschine schreiben und Steno, kamen ihr jetzt als Sekretärin von Colonel Bancroft zugute, der für seine unverblümten sexuellen Forderungen bekannt war. Eden lernte Taktiken, um so schnell wie möglich aus seiner Reichweite zu verschwinden. Sie und ihre Kolleginnen betrachteten ihn als eine Art Feind, den man zwar nicht vernichten, aber geschickt überlisten musste.
Sein Büro zumindest befand sich in einem Zimmer im alten Herrenhaus, und es gab dort einen Kamin mit reichlich Kohle, sodass es immer warm war. In dieser Hinsicht hatte Eden es besser getroffen als Dottie und Faye, die beide zum Dechiffrieren im Keller des Herrenhauses arbeiteten. Alle hatten strengsten Befehl, mit niemandem über ihre Arbeit zu sprechen, und außer einem gelegentlichen Witz über Bancrofts Anzüglichkeiten äußerte Eden sich nie über das, was sie im Schloss tat. Ihr Leben und ihre Arbeit waren zwei völlig getrennte Dinge.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?« Logan Smith bot ihr ebenfalls eine Zigarette an. Eden lehnte dankend ab. »Wir sind vermutlich der Begleitschutz für Frank und Faye, damit sie keine Schwierigkeiten bekommen.«
»O Faye ist bisher mit ihren Problemen immer allein fertig geworden.«
Faye Cole war die aufregendste Person, die Eden jemals kennengelernt hatte, und die drei Frauen bildeten ein seltsames, aber eng verschworenes Trio. Dottie war die Tochter eines presbyterianischen Pfarrers aus Wichita, Kansas. Ein nachdenkliches norwegisches Mädchen mit langsamen Bewegungen und weizenblonden Haaren. Sie ging vorsichtig ans Leben heran, außer beim Fahrradfahren, da war sie furchtlos.
Faye Cole dagegen war seit ihrem zehnten Lebensjahr auf sich gestellt. Sie hatte Dottie und Eden anvertraut, sie sei in die Armee eingetreten, um dem Familienunternehmen zu entkommen, einem Bordell in New Orleans, das von ihrer Großmutter geleitet wurde. Ihre Mutter und zwei Tanten arbeiteten dort, und Granny auch, wenn es nötig war. Faye war klein, rundlich und sexy. Sie hatte immer gute Laune, und die Männer liefen ihr in Scharen nach. Dass sie auch klug war, verbarg sie geschickt. Wie sie Frank Willing kennengelernt hatte, wusste Eden nicht.
»Ich wollte Sie nicht unterbrechen«, sagte Lieutenant Smith. »Schreiben Sie ruhig Ihren Brief zu Ende.«
»Ach, das sind nur ein paar Zeilen an meine Mutter. Wir dürfen nur so wenig schreiben, dass ich mich meistens beklage, hauptsächlich über das Essen«, fügte sie lachend hinzu. »Ich darf nicht über meine Arbeit schreiben oder erwähnen, wo ich wohne. Aber das ist schon in Ordnung. Meine Eltern würden sich nur Sorgen machen, wenn sie wüssten, dass wir jede Nacht Bomben hören.«
»Dann sind Sie in Bushey?«, fragte er. »Das ist doch nur zwanzig Meilen von London entfernt, nicht wahr? Sie spüren wahrscheinlich die Bombardierung sogar.«
»O ja. Es bebt richtig. Nachts und tagsüber, aber nachts ist es schlimmer, warum, weiß ich nicht.«
»Können Sie denn schlafen?«
»Nein. Wenn ich das Sirren und Pfeifen höre, bin ich sofort wach. Die anderen auch. Dann liegen wir in unseren Betten und zählen bis zehn. Wir können nur hoffen, dass die Bombe nicht direkt über unseren Köpfen explodiert, dass sie weit genug entfernt ist. Wenn man bis elf zählen kann, ist es entweder ein Blindgänger oder man ist tot.«
»Schlafen Sie danach denn wieder ein?«
»Ja. Das können nicht alle, aber ich schon.«
»Na, da haben Sie ja Glück, Miss Douglass...«
»Eden, bitte.«
»Eden.« Er wiederholte den Namen. »Was dürfen Sie Ihrer Mutter denn erzählen, wenn Sie ihr schreiben?«
»Dass ich im Ritz Tee trinke. Das würde ihr gefallen. Sie ist Engländerin, aus Liverpool.«
»Und wie ist sie nach Amerika gekommen?«
»Über die Religion. Sie ist zur mormonischen Kirche konvertiert und emigriert.«
»Eine Mormonin habe ich noch nie kennengelernt.«
»Jetzt auch noch nicht.«
»Oh, verzeihen Sie, ich stelle indiskrete Fragen.«
»Keine Ursache.«
»Fragen zu stellen ist wie ein Reflex bei mir. Ich bin im Zivilleben Anwalt.«
»Einen Anwalt habe ich noch nie kennengelernt.«
»Ich bin auch Demokrat. Sehen Sie, jetzt habe ich alle gesellschaftlichen Regeln auf einmal gebrochen. Rede niemals über Religion oder Politik.«
Lachend faltete Eden ihren angefangenen Brief und steckte ihn in die Tasche. »Ich bin auch Demokratin, deshalb macht es mir nichts aus, ein paar gesellschaftliche Regeln zu brechen.«
Faye kam hinzu und stellte sich Logan vor. Sie schwärmte von der Toilette des Ritz. Sie hatte ein Faible für schöne Toiletten. »Sie haben mit Rosen bemalte Porzellanbecken«, rief sie gerade aus, als Lieutenant Willing zu ihnen trat.
»Es ist alles bereit.« Er zwinkerte Faye zu. »Die Reservierung im Hotel läuft auf Mr. und Mrs. Smith, Baby. Das geht nicht gegen dich, Logan.«
»Das habe ich auch nicht so aufgefasst.«
Frank schüttelte Eden die Hand. »Ich bin Frank, jederzeit bereit.«
»Hey!«, warf Faye ein. »Vergiss nicht, wer dir die Butter aufs Brot schmiert.«
Frank Willing lachte. Er wirkte ebenso lebhaft wie Faye. »Wie ich sehe, haben Sie meinen Freund, den Anwalt aus Philadelphia, bereits kennengelernt. Passen Sie bloß auf! Die sind gerissen!«
»Worin unterscheiden sich Anwälte aus Philadelphia denn von anderen?«
Faye lachte. »Sie kennt den Ausdruck nicht, sie ist aus Idaho.«
Logan lächelte. »Aus dem Wilden Westen?«
»Na ja, Fairwell, ist schon lange nicht mehr wild. Vor fünfzig Jahren gab es dort Silberminen.«
»Wenn Sie aus Philadelphia kommen«, erklärte Logan, kommt einem selbst Pittsburgh wild vor. Meinen Vater wird es freuen, dass ich jemand aus dem Westen kennengelernt habe. Seine Generation hat noch an den Wilden Westen geglaubt.«
Der Tee kam auf einem Silbertablett, in einer Porzellankanne mit Sahne im Silberkännchen. Es gab sogar eine kleine Schale mit Zucker, schließlich war man hier im Ritz. Die hübsch anzusehenden, delikaten kleinen Kuchen und Sandwiches kamen Eden immer so vor wie etwas, das Victorine St. John ihren Puppen serviert hätte. Sie amüsierten sich auf jeden Fall prächtig. Faye und Frank waren in Hochstimmung. Faye hatte Eden allerdings vorher nicht gesagt, dass sie vorhatten, ins Hotel zu gehen und sie mit Lieutenant Smith allein zu lassen. Sie saß ihm gegenüber und lauschte seinen Erzählungen über einen Freund seines Vaters, Owen Wister, der den Wildwestklassiker The Virginian geschrieben hatte, ein Buch, von dem Eden noch nie etwas gehört hatte.
»Mit diesem Buch hat Owen Wister den edlen Cowboy erfunden, und er hat im ersten Jahr hunderttausend Exemplare davon verkauft.«
»Es ist doch auch verfilmt worden, oder? Hat Ernest March nicht mitgespielt?«
»Im Tonfilm von 1929 hat Gary Cooper jedenfalls die Hauptrolle gespielt«, erwiderte Logan.
»Sieht denn Owen Wister aus wie Gary Cooper?«, fragte Faye.
»Kein bisschen. Als Junge bin ich immer mit meinem Vater und Owen Wister zum Mittagessen in den Philadelphia Club gegangen, und ich weiß noch, dass ich ihn immer angeschaut und gedacht habe: Wie kann er nur dieses ganze Zeug über den Wilden Westen schreiben? Er war die Melancholie in Person.«
»Ist The Virginian denn ein gutes Buch?«
»Das hängt von Ihren Ansprüchen ab. In Philadelphia galt es natürlich als gutes, ja sogar exzellentes Buch, weil es so männlich war. Owen Wister stammt aus einer alteingesessenen Familie in Philadelphia, und er würde nie ein vulgäres Wort über die Lippen bringen, geschweige denn zu Papier. Allerdings mangelt es dem Buch dadurch auch an einer gewissen Vitalität. Mr. Wister hat mir jedenfalls zu meinem siebten Geburtstag ein Exemplar des Buches mit einer persönlichen Widmung geschenkt und mir ans Herz gelegt, ein aufrechter Virginier zu werden.«
»Was zeichnet denn einen aufrechten Virginier aus?«
»Ich weiß nicht, ob Mr. Wister überhaupt eine Ahnung davon hatte. Er war überhaupt nur ein einziges Mal in seinem Leben in Wyoming gewesen. Wenn ein Junge damals schwächlich oder kränklich war, wurde er nach Montana oder Wyoming geschickt, um einen Mann aus ihm zu machen.« Logan schwieg nachdenklich. »Vielleicht haben sie sie auch nach Idaho geschickt.«
Zwinkerte er ihr zu? Eden überlegte, dass ein Abend mit Logan allein - ohne Faye - vielleicht sehr unterhaltsam sein könnte. Natürlich sah sie den goldenen Ehering an seinem Finger, aber wem schadete es schon, wenn sie ins Kino gingen oder durch London spazierten? Trotz der Uniform hatte Logan Smith etwas an sich, das Eden den Krieg vergessen ließ. Vielleicht lag es an seiner ruhigen, nachdenklichen Art. Erstaunlich, dachte sie, dass ich mit solchen Leuten im Ritz Tee trinke, Leute, die ich normalerweise nie kennengelernt hätte. Das Orchester spielte mittlerweile etwas Schnelleres, »It Had to Be You«. Sie wünschte, Logan Smith würde sie zum Tanzen auffordern, aber niemand tanzte. Lächelnd hob sie die Teetasse an die Lippen.
Aber ihr Lächeln erlosch, als auf einmal das Ticken einer Raketenbombe ertönte. Das Geschirr klapperte. Der Mann im Tweedjackett hielt mitten in der Bewegung inne. Seine Frau, in ihrem blauen Voilekleid, umklammerte Messer und Gabel. Der Kellner, der gerade ein Tablett mit Tassen zur Küche bringen wollte, blieb stehen. Das Orchester hörte mitten im Ton auf zu spielen. Alle Gespräche, alles Lachen, alle Bewegungen erstarben. Logan Smith hielt die Augen so fest auf Eden gerichtet, als habe er ihren Kopf mit beiden Händen umfasst. Sie wandte den Blick nicht ab.
Das Ticken kam näher, noch näher, dann hörte es auf. Eins, hauchte Eden, ohne die Lippen oder die Augen zu bewegen. Zwei, drei, vier, und schließlich ein wortloses Zehn, als die Bombe detonierte. Aber sie war weit weg. Sie waren nicht getroffen worden. Damals noch nicht. Zumindest nicht von dieser Art von Bombe.
Tee-Sandwiches mit Spargel
Nehmen Sie frischen Spargel, der weder zu fest, noch zu dick ist. In gleichmäßige, etwa drei bis vier Zentimeter lange Stücke schneiden. Zusammenbinden und kurz dämpfen. Sie dürfen nicht zu weich werden. Abgießen und trocken tupfen.
Schneiden Sie die Kruste von Weißbrotscheiben ab. Buttern und mit Spargel belegen. In Dreiecke schneiden und übereinander stapeln. In den Kühlschrank legen, bis die Butter hart ist. Mit papierdünnen Zitronenscheiben und frisch gehacktem Zwiebelgrün servieren.

MOMENTAUFNAHME

Der Anwalt aus Philadelphia

Francis Logan Smith war zum Anwalt bestimmt gewesen, so wie sein Vater und sein Großvater. Er war von Natur aus schon ein ernster Mann, aber dieser Beruf und die Umstände machten ihn noch ernster.
Nach dem Studium trat Logan in die Kanzlei ein, wie es von ihm erwartet wurde. Er war auf der Penn gewesen, wie alle Männer der Familie Smith seit 1866. Als Anwalt gab er seinen Mandanten verdienstvolle Ratschläge und stellte sich ganz in den Dienst des Gemeinwohls.
Philadelphia war eine kleine Welt, und Logan Smith gehörte zu einer noch kleineren Elite: eine geschlossene Gesellschaft, deren Säulen nicht wankten. Sie hatte den Bürgerkrieg, die Neureichen, die Eisenbahn und sogar die Depression überlebt. Alles war so, wie es immer gewesen war: die Smiths verkehrten mit den Wisters, den Butlers, den Biddles und den Peppers.
James Edward Smith, Logans Vater jedoch, war ein geborener Rebell. 1916 heiratete er ein katholisches Mädchen. Mary Logan hatte ihm mit ihren blauen Augen, ihren roten Haaren, ihrem Lächeln und ihrer Liebe zur Musik, die sie an den einzigen, 1917 geborenen Sohn weitervererbte, den Kopf verdreht. Das protestantische Philadelphia rümpfte die Nase über Mary, aber das war ihr egal. James ließ sich nicht so einfach ignorieren, und er war Mitglied in allen wichtigen Clubs und Vereinigungen.
Und dann erschütterte James 1930 das alteingesessene Philadelphia noch einmal, indem er Roosevelt und die Demokraten unterstützte. Danach verkehrten sie nicht mehr mit den Peppers und den anderen Republikanern ihrer Kreise. Viele der besten Familien Philadelphias entzogen der Kanzlei Smith das Mandat.
Logan Smith gefiel es nicht in der Kanzlei der Familie, aber im Gegensatz zu seinem Vater war er kein Rebell. Und außerdem, was für Alternativen hätte er schon gehabt, um einigermaßen bequem sein Einkommen zu haben? Und er musste schließlich auch an seine Frau Frances denken. Frances und Francis. Alle sagten, sie seien ein schönes Paar. Sie kannten sich schon ihr ganzes Leben lang, und 1942, kurz bevor Logan auf die Offiziersschule ging, hatten sie geheiratet.
Francis Logan Smith bewunderte seinen Vater. Er vergötterte seine Mutter. Er mochte seine Frau. Aber er hatte sich noch nie verliebt, bis zu jenem Tag im Ritz, als die Bombe über ihrem Kopf tickte und die Musik abbrach.

3

Als sie das Ritz verließen, kaufte Logan einen Regenschirm bei einem Straßenhändler, und gemeinsam gingen sie unter diesem Schirm quer durch die Stadt. Es gab ständig Fliegeralarm, die Sirenen heulten, und in London wimmelte es von Soldaten. Sie kamen an ganzen Häuserblocks vorbei, die in Schutt und Asche lagen, und Eden bemerkte erschreckt: »Was machen die armen Leute hier nur?«
Logan hielt den Schirm schräg, um ihr den Anblick zu ersparen. »Sie leben einfach weiter«, erwiderte er. »Nur wir Amerikaner erwarten, dass das Leben ein langer, ruhiger Fluss ist. Überleg doch nur, wie lange die Europäer schon mit Krieg leben.«
Abends aßen sie bei Duque’s, einem kleinen französischen Restaurant in Soho, das Eden, Faye und Dottie bei einem ihrer Ausflüge in die englische Hauptstadt entdeckt hatten. M. Duque war mit einer fröhlichen, warmherzigen Engländerin verheiratet. Ihre Töchter waren ebenfalls im Hilfskorps, und sie hatte die drei Amerikanerinnen besonders ins Herz geschlossen. Jetzt freute Susan Duque sich, dass Eden mit einem jungen Mann zu ihr kam.
Sie gab ihnen einen kleinen Tisch, ein wenig abseits von den anderen, und empfahl ihnen das Tagesgericht, einen einfachen Eintopf. »Wenn Sie doch nur reserviert hätten«, fügte sie seufzend hinzu, »dann hätte ich Ihnen die letzten beiden Stücke meiner berühmten Tarte Tatin aufgehoben. Es mag ja Krieg sein, aber es gibt immer noch englische Äpfel.« Mrs. Duque reckte das Kinn. »Auch wenn Lebensmittel rationiert sind, Apfelkuchen kann ich immer noch backen.«
Das Essen war solide und gut gekocht, fantasievoll nach englischem Standard, und ganz wundervoll nach militärischem Standard. Obwohl sie sich über ihre Arbeit nicht unterhalten durften, ging Eden und Logan der Gesprächsstoff nicht aus. Logan war Informationsattaché bei General Canning. Für diese Arbeit war er aus mehreren Gründen besonders geeignet: Zum einen hatte er sich schon als Junge für Technik interessiert, und zum anderen versetzte ihn sein Jurastudium in die Lage, Bulletins so zu verfassen, dass der Feind nichts daraus entnehmen konnte.
Eden brachte ihn zum Lachen, indem sie ihm Geschichten aus ihrer Kindheit erzählte, vom Dream Theatre und von der Zeitung in Fairwell, davon, wie Afton ihr den Mund mit Seife ausgewaschen hatte, weil sie »Hot Tamale Molly« gesungen hatte, von Gideons Großer Zeittafel und von Kittys angeblicher Vergangenheit als Lerche von Liverpool.
»Ich war richtig schockiert, als wir nach England kamen und ich so viele der Songs hier kannte! Es war wie ein Déjà vu. Erst jetzt weiß ich, dass sie alles nur erfunden hat.«
»Was? Die Music Hall?«
»Nein, die gibt es natürlich, aber alles andere, die Lerche von Liverpool, die kleine Schwester, die wegen ihrer nassen Strümpfe gestorben ist. Die Farben und die Opulenz. Seit ich hier bin, glaube ich, dass sie wahrscheinlich aus den Slums von Liverpool stammt.«
»Willst du hinfahren und Nachforschungen anstellen?«
»Warum? Um ihr zu beweisen, dass sie gelogen hat? Das würde ich nie tun.«
Logan beugte sich vor, um seine Zigarette an der Kerze anzuzünden. »Wirst du sie nicht fragen?«
»Nein. Warum sollte ich?«
»Willst du nicht die Wahrheit wissen?«
»Für sie ist es keine Lüge, sondern lediglich Fiktion. Wärst du nicht auch lieber die Lerche von Liverpool als eine konvertierte Mormonin?«
»Ich wäre gern mit jemandem verwandt, der sich als die Lerche von Liverpool bezeichnet.«
»Es freut mich, dass du meine Familie amüsant findest«, sagte sie lachend. »Ich habe uns immer für so langweilig gehalten.«
»Überhaupt nicht. Wenn du wirklich langweilige Leute kennenlernen willst, musst du nach Philadelphia gehen. Dort rühmt man sich sogar deswegen, es wird als Zeichen guter Herkunft angesehen. Bis vor zehn Jahren waren Kinos am Sonntag geschlossen, und vor zwei Uhr nachmittags durftest du weder Baseball noch Football spielen. Es war gegen das Gesetz.« Er lächelte sie warm an. »Nein, wenn du ein echter Philadelphier bist, und ich bin einer, darfst du nicht zu künstlerisch oder musikalisch sein, und schwitzen darfst du nur beim Sport, beim Cricket, Schlittschuhlaufen oder Rudern. Ich fürchte, für ein Mädchen aus Idaho und Kalifornien bin ich eine sehr langweilige Gesellschaft.«
»Ich habe noch nie Cricket gespielt oder ein Boot gerudert.«
»Ja, aber du kannst ›Hot Tamale Molly‹ singen.«
»Na ja, das singe ich jetzt aber nicht.«
»Später.«
»Okay, später.«
»Mrs. Duque«, fragte er, als sie an ihren Tisch trat, »kennen Sie den Text von ›Hot Tamale Molly‹?«
»Früher einmal. Früher habe ich viele Sachen gekonnt, die ich heute vergessen habe. Nur mit Äpfeln kann ich immer noch gut umgehen, das habe ich nicht verlernt.« Sie stellte kleine Schälchen vor sie. »Hier ist Ihr jämmerlicher Reispudding mit Sirup. Das nächste Mal sagen Sie vorher Bescheid, und dann bekommen Sie meine Tarte Tatin.«
»Ja, das machen wir beim nächsten Mal«, sagte Logan. »Oder?« Zwinkerte er ihr etwa schon wieder zu? »Kaffee, Eden?«
»Ja, bitte.«
Eden probierte den Reispudding. »Vielleicht sollten wir so tun, als ob es Feigen Napoleon wären«, meinte sie.
»Wie bei dem Kaiser?«
»Ja, in gewisser Weise«, erwiderte sie und erzählte ihm vom chinesischen Koch ihrer Großmutter. »Ich habe keine Ahnung, wie oder warum er nach St. Elmo gekommen ist, aber seine Kochkunst war legendär. Was er mit einer einfachen Feige anstellen konnte! Manchmal hat er Eiscreme dazu gereicht, manchmal auch Baiser. Das Baiser zerschmolz im Mund, und dann schmecktest du die Frucht in Sirup.«
»Was für ein Sirup?«, fragte Logan.
»Ich weiß nicht.«
»Ich werde es mir mit dir zusammen vorstellen«, sagte er. »Wir sitzen im Restaurant deiner Großmutter, und Napoleon hat für uns Feigen Napoleon gemacht. Und wir beide sind langjährige Freunde und kennen einander gut.«
»St. Elmo ist ein trockenes, staubiges Eisenbahn-Städtchen«, sagte Eden gerührt.
»Und in Philadelphia ist selbst das Essen langweilig. Aber es ist das einzige Leben, das ich kenne. Das Leben, zu dem ich wieder zurückkehren werde, wenn ich überlebe.«
Eden steckte den Löffel in den Mund. »Erzähl mir von deiner Frau.«
Die Sirenen begannen schon wieder zu heulen. »Kommt, kommt in den Keller«, drängte Mrs. Duque ihre Gäste. »Dort sind Sie sicherer.«
»Sollen wir auch gehen?«, fragte Logan.
»Ich fühle mich hier sicher genug«, erwiderte Eden. Ihr war klar, dass vor der unmittelbaren und eigentlichen Gefahr, in der sie sich befanden, nicht mit einer Sirene gewarnt werden konnte.
Logan nickte. Er setzte die Brille ab und lächelte. Ohne Brille sieht er viel jünger aus, dachte Eden.
»Deine Frau«, sagte sie noch einmal.
»Frances und ich sind Verwandte im Geiste, und wir sind uns sehr ähnlich. Sie ist so vertraut. Ihre Familie hat ein Sommerhaus in Maine, ganz in der Nähe des Sommerhauses meiner Familie. Unsere Familien wohnen beide in Chestnut Hill. Ihr Vater ist bei einer Versicherung, meiner ist Anwalt. Unsere Mütter sind beide Mitglieder im Garden Club. Vor ihrem zwölften Lebensjahr war sie schon zweimal in Europa. Genau wie ich. Wir haben beide die gleiche katholische Erziehung genossen, nur war sie auf einer Mädchen- und ich auf einer Jungenschule. Danach ist sie aufs Chestnut Hill College gegangen und ich auf die Penn. Und wie viele andere in unserer Umgebung haben wir bei Kriegsausbruch festgestellt, dass wir uns liebten, und verzichteten auf die große Hochzeit und eine lange Verlobungszeit. Bevor ich zur Armee ging, hatten wir vielleicht eine Woche zusammen.«
»Hast du sie seitdem noch einmal gesehen?«
»Einmal, für zwei Tage. Kurz bevor ich nach Europa gefahren bin.«
»Hast du ein Foto von ihr?«
Er kramte in seiner Brieftasche und zog das Porträtfoto einer attraktiven jungen Frau mit zarten Gesichtszügen, hochgesteckten Haaren und einem lieben Lächeln hervor.
»Sie ist sehr hübsch«, sagte Eden.
»Ja, und sie ist ein tolles Mädchen, aber wir hätten nicht so überstürzt heiraten sollen. Das ist eigentlich auch nicht meine Art. Anwälte neigen bekanntlich nicht zur Hast«, fügte er hinzu und betrachtete das Foto. »Aber alle haben so schnell geheiratet. Ich hätte es besser wissen sollen.«
»Warum?«
»Ich hätte wissen müssen, dass der Krieg mich verändert. Ich bin nicht mehr derselbe wie vor zwei Jahren. Natürlich hasse ich das Töten und die Zerstörung, aber wenn nicht der Krieg wäre, hätte ich den mir vorbestimmten Weg eingeschlagen, hätte dort gelebt, wo meine und Frances’ Eltern leben, und hätte die Arbeit getan, die mein Vater tut. Wahrscheinlich gehe ich nach dem Krieg auch wieder dahin zurück, aber ich werde nie wieder derselbe sein. Die letzten Jahre haben mich für immer verändert. Und wer weiß schon, was die Zukunft bringt?«
Eden sah ihn an, sagte aber nichts.
»Du weißt, wovon ich spreche, oder?«
»Ich glaube schon.«
»Man denkt die ganze Zeit darüber nach, dass man verwundet oder getötet werden könnte. Natürlich schätze ich, wenn das hier vorbei ist, das, was ich zu Hause habe, immer noch, aber es kommt mir doch sehr eng und eingeschränkt vor. Man kann ein Leben auch anders leben. Und jetzt, nach der Heirat, bindet Frances mich an all das.«
»Aber wollen die Menschen das denn nicht? An etwas gebunden sein? Zu etwas gehören?«
»Vielleicht, aber ich habe unter der falschen Voraussetzung geheiratet. Ich dachte: Wenn ich sterbe, hinterlasse ich zumindest jemanden, der sich an mich erinnert. Ich hätte gar nicht darüber nachdenken sollen.«
Sie hörten das Pfeifen und Ticken und zählten bis zehn. Irgendwo, gar nicht so weit entfernt, schlug die Bombe ein. Die Wände bebten, und der ganze Tisch hob sich.
»Ich hätte besser darüber nachgedacht, was ist, wenn ich überlebe. Wenn ich tot bin, ist es mir doch egal, wer sich an mich erinnert.«
»Ich werde mich an dich erinnern«, erwiderte Eden und blickte ihn unverwandt an.
Er aß seinen Reispudding auf. »Und ich mich an dich, Eden.«
Die Entwarnungssirene ertönte, und die Gäste kamen wieder aus dem Keller herauf. Mrs. Duque schenkte Kaffee ein und füllte Teetassen auf, als sei nichts geschehen. »Na ja, es ist sowieso Vorsehung.« Sie senkte die Stimme. »Sie ahnen nicht, was ich in der Speisekammer gefunden habe. Zwei Stücke Tarte Tatin. Die Mädchen, die den Abwasch machen, hatten sie für sich selber beiseitegestellt, aber ich habe ihnen gesagt, nicht, wenn wir Gäste haben. Nicht, wenn unsere amerikanischen Frontsoldaten hier sind.«
»Oh, ich bin satt«, sagte Eden.
»Seien Sie nicht albern«, verwies Mrs. Duque sie. »Meine Tarte Tatin macht diesen Abend erst denkwürdig.« Sie lächelte wissend. »Noch denkwürdiger.«
Mrs. Duque war nicht umsonst stolz auf ihren Kuchen. Die in Butter und Zucker gedämpften Äpfel, die Karamellschicht und der Mürbeteig waren sehr lecker. Sie aßen ganz langsam, und als sie schließlich bemerkten, wie spät es war, war es im Lokal schon sehr viel leerer geworden.
»Ich muss den letzten Zug nach Bushey bekommen«, sagte Eden und stand auf. »Colonel Bancroft reißt mir den Kopf ab.«
Auf dem Weg zum Zug erzählte sie Logan, was für einen Ruf der Colonel hatte. Logan war entsetzt, dass ein Offizier seine Position so ausnutzte.
»Ich kann schon auf mich aufpassen, und mit ihm werde ich fertig«, versicherte Eden ihm, als sie auf dem Bahnsteig standen. Einige andere Soldaten und ein paar Zivilisten warteten ebenfalls auf den Zug.
»Hey, Eden!«
Sie nickte zwei GIs zu, die sie aus Bushey kannte.
»Du bist wahrscheinlich mit allen Männern schon ausgegangen.«
»Das machen alle Mädchen so. Mit Liebe hat es nichts zu tun«, erwiderte sie.
»Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt einen Tag so genossen habe wie heute. Und das meine ich ernst. Ich glaube, es ist Jahre her.«
»Mir geht es genauso. Glaubst du, es liegt an Mrs. Duques Tarte Tatin?«
»Nein, es hat wahrscheinlich damit zu tun, dass du das Mädchen aus dem Goldenen Westen bist. Vermutlich hatte Owen Wister dich vor Augen, als er schrieb, dass der Wilde Westen gut für die Menschen sei, weil sie dort so unverfälscht und lebendig sind.«
Eden lachte. »Das glaube ich eher nicht. Da brauche ich mir nur meine eigene Familie anzuschauen.«
»Aber du bist so.« In der Ferne hörten sie das Pfeifen des Zuges. »Gehst du noch einmal mit mir aus, auch wenn ich verheiratet bin?«
Flüchtig dachte Eden an die Züge ihrer Kindheit. Logan gab ihr zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, Wurzeln zu haben.
Der Zug fuhr ein, und die Wartenden machten sich zum Einsteigen bereit.
Logan reichte ihr den Schirm. »Gute Nacht, Eden.«
Lächelnd reckte sich Eden auf die Zehenspitzen - er war viel größer als sie - und küsste ihn. »Das war kein Abschiedskuss«, sagte sie und wandte sich zum Waggon. »Es war ein Begrüßungskuss.«
Tarte Tatin
Vielleicht einen Monat nachdem Eden und Logan bei Duque’s gegessen hatten, wurde das Restaurant ausgebombt. Mr. und Mrs. Duque eröffneten es nicht wieder. Sie verschwanden, und Eden hatte keine Gelegenheit mehr, Mrs. Duque nach ihrem Apfelkuchenrezept zu fragen. Jahre später bemühte sie sich, den Geschmack nach Süße und Herbst einzufangen, der noch im Mund blieb, nachdem man den Bissen bereits heruntergeschluckt hatte. Ihr eigenes Rezept konnte mit ihrer Erinnerung an jenen ersten Abend mit Logan nie standhalten. Trotzdem stieß ihre berühmte Tarte Tatin im Café Eden bei den Gästen immer auf großen Beifall.
Für einen Kuchen: Die Äpfel sollten knackig sein. Als Eden 1965 nach Washington State zog, entdeckte sie die großen Gravensteiner. Sie nahm sie am liebsten zum Kochen und Backen, vor allem die Früchte, die für den Supermarkt nicht schön genug waren. Wenn es keine Gravensteiner gibt, können Sie auch Granny Smith oder Jonagold nehmen. Eigentlich sind alle Äpfel geeignet, bis auf Delicious, die wie ein Koch einmal bemerkte, ein Widerspruch in sich sind. Sie brauchen ungefähr ein Kilo Äpfel, geschält und geviertelt.
Erhitzen Sie in einer gusseisernen Pfanne vier Esslöffel Butter und fügen Sie eine Tasse Zucker hinzu. Mit einem Holzlöffel rühren, bis goldbrauner Karamell entsteht. Heben Sie die Pfanne, und verteilen Sie die Masse gleichmäßig. Dann nehmen Sie sie vom Herd und ordnen die Apfelviertel hübsch im noch warmen Karamell an. Die restlichen Äpfel schneiden Sie in kleinere Stücke und verteilen Sie darüber.
4 Esslöffel Butter in Stücke schneiden und über die Äpfel verteilen. Bei 220 °C 35 Minuten lang backen. Etwa 1 Stunde abkühlen lassen.
Bereiten Sie einen Mürbeteig zu, rollen Sie ihn aus und legen ihn über die abgekühlten Äpfel, wobei sie den Rand in die Pfanne hineindrücken. Bei 220 °C weitere 30 bis 35 Minuten lang backen. Etwa 1 Stunde auskühlen lassen. Den Rand mit einem Messer lösen und den Kuchen auf eine Kuchenplatte stürzen. Wenn Sie die Pfanne langsam heben, legt sich der Teig wie ein Kragen um den Kuchen.
Ohne alles oder mit Schlagsahne servieren, aber auch Eiscreme oder Crème fraîche sind lecker dazu.

MOMENTAUFNAHME

Die Konstrukte

Liebe bleibt. Das sagte Eden sich immer wieder. Ganz gleich, was geschieht, Liebe bleibt. Wenn es nicht so wäre, dann könnte man doch ebenso gut seinen körperlichen Appetit einfach unverbindlich mit einem Mann stillen. Dann wäre es doch viel einfacher, das Herz zufriedenzustellen. In diesen Jahren kam Eden Douglass zu der Überzeugung, dass Triumph, Tragödie und auch die Liebe selbst nur Wortkonstrukte waren, mit denen wir das Körperliche, das unstillbare Verlangen der Sterblichen nach Sex, Schlaf, Essen und Vergessen bemänteln. Einen Grund weiterzumachen hatte man nur, wenn man das Wortkonstrukt auch wörtlich nahm.
Dann verlieh es einem die Kraft, jeden Moment und jede Erfahrung auszuhalten, die einen zu der Person machte, die man letztendlich war. Eden lernte, dass es klüger war, das Leben so zu genießen, wie es war. Wenn man starb, war alles, was das Leben ausgemacht hatte, weg. Also war sie froh, hungrig oder müde zu sein, weil das bedeutete, dass sie nicht tot war. Sie lernte, mit drei Stunden Schlaf auszukommen, von den Essensrationen satt zu werden und den Elementen ebenso wie dem Feind zu trotzen. Und sie setzte sich mit einem Gott auseinander, der sich anscheinend nicht so besonders um die Menschen kümmerte.

4

Sie konnte es ihm nie abgewöhnen, beim Schlafen die Armbanduhr anzulassen. Logan litt unter Schlaflosigkeit und hielt sie die ganze Nacht im Arm. Dabei tickte die Uhr neben ihrem Ohr, und manchmal wachte sie davon auf. Sie drehte sich zu ihm.
»Habe ich geschnarcht?«
»Ja.«
Sie lachte leise. Im Gang vor ihrem Hotelzimmer grölten lärmende Aussies »Waltzing Matilda«.
»Macht nichts. Erzähl mir etwas, was ich noch nicht von dir weiß.«
»Du zuerst.«
»Okay. Lass mich mal überlegen. Es gibt nichts, was du noch nicht von mir weißt.« Er griff nach seinem Zigarettenpäckchen, das auf dem Nachttisch lag, und zündete sich eine Zigarette an.
»Es muss doch etwas geben. Denk einmal nach.«
»Meine Schulstreiche habe ich dir alle schon erzählt.«
»Ja, alle zwei.«
»Langweilige Jungen werden in Philadelphia Anwalt, Baby. Gewöhn dich daran.«
Eden mochte eigentlich an Logan gerade seine Zurückhaltung, seine Nachdenklichkeit und Bereitschaft, alles von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten. Auch er war unvorbereitet in diese Liebesaffäre geschlittert. Der Krieg lehrte einen vor allem eines: Man konnte sich vor dem Notwendigen nicht einfach abwenden. Und ihre Liebe erschien ihnen beiden so schicksalhaft, dass sie überzeugt davon waren, sie wären sich auch dann begegnet, wenn Logan in Philadelphia und Eden in Chicago geblieben wäre. Für Eden war dieser Mann der Polarstern ihres Firmaments. Er gab ihrem Leben die Richtung.
»Na gut.« Er streichelte ihr über die Haare. »Als ich das erste Mal zur Kommunion ging, kaute ich auf der Oblate, und die ganze Kirche hörte es. Gott hörte es. Ich bekam großen Ärger. Jetzt bist du dran.«
Eden kuschelte sich an ihn. »Ich will nicht reden. Ich will nur zuhören. Erzähl mir, wie es nach dem Krieg wird. Erzähl mir von deinem Haus und wie deine Kinder auf die Chestnut Hill Academy gehen, wie sie mit dir auf dem Fluss rudern und wie ihr im Arboretum spazieren geht.«
»Nach dem Krieg gehe ich zurück nach Philadelphia und erkläre Frances, wie sich die Dinge, wie ich mich geändert habe. Und wenn dann das gesellschaftliche Gewitter losbricht, sage ich einfach, ich träte in die Fußstapfen meines Vaters.«
»Meine Mutter hat früher immer ein Lied gesungen, das so hieß.«
»Sing es mir vor.«
»Später. Erzähl erst einmal zu Ende.«
»Die Leute werden schockiert sein und sagen: Na, was kann man schon außer Scheidung von einer demokratischen Familie erwarten, die zudem noch Katholiken sind. Mein Vater wird nicht so schlimm reagieren, er ist bloß meiner Mutter zuliebe in die Kirche eingetreten. Und meine Mutter wird es auch verkraften, sie fand Frances sowieso immer zu konventionell und fromm. Frances’ Familie wird nur schwer zu besänftigen sein, aber Frances selber? Sie ist ein vernünftiges Mädchen, und ich denke, sie weiß sowieso, dass es keine Liebesheirat war. Letztendlich werden wir uns irgendwie einigen, und sie wird sich in Reno scheiden lassen. Ich rufe dich bei deiner Tante zu Hause an, und dann kommst du nach Philly. Du bekommst einen Job bei einer der großen Tageszeitungen, und wir warten gemeinsam ab, bis die Scheidung rechtskräftig ist. Dann heiraten wir und kaufen uns ein Haus in Chestnut Hill. Natürlich«, fügte er nach kurzem Überlegen hinzu, »müssen wir nicht da wohnen. Wir können auch woanders hinziehen.«
»Ich will da leben, wo du auch lebst. Nach dem Krieg. Das klingt gut, nicht?«
Logan schwieg einen Moment, dann sagte er: »Ich habe ein Weihnachtsgeschenk für dich.«
»Weihnachten ist erst in einer Woche.«
»Ich habe eine Wohnung für uns. Der Cousin eines Freundes von der Penn hat eine kleine Wohnung hier in London, in der Great Russell Street, und er hat mir geschrieben, ich könne sie nehmen. Er schreibt seiner Vermieterin, Mrs. Tanner, damit sie mir den Schlüssel gibt.«
»Wo ist der Freund? Warum benutzt er sie nicht?«
»Er ist in Schottland.«
Eden lauschte dem Ticken seiner Armbanduhr. »Er ist in der Ausbildung in Schottland, oder?« Die Aussies waren an ihrem Zimmer angekommen und knallten die Tür zu. Im Flur war es auf einmal still. »Wann, glaubst du, findet sie statt? Die Invasion.«
»Ich weiß nicht.«
»Du wirst mit den ersten Truppen rübergeschickt, oder?«
»Das werden sie machen, wie sie wollen, und wir können beide gar nichts dagegen unternehmen.«
»Wenn ich mich nicht in dich verliebt hätte, hätte ich nicht solche Angst.«
»Wenn ich mich nicht in dich verliebt hätte, wäre ich nicht so tapfer.«
»O Logan, du findest immer die richtigen Worte.«
»Wir haben noch das ganze Leben vor uns. Und wir haben dieses Weihnachten. Der Vetter meines Freundes hat geschrieben, seine Vermieterin liebt die Yanks. Er meint, Mrs. Tanner wird uns mit ihrer Fürsorge umbringen. Er sagt, in der Wohnung gäbe es eine Badewanne mit Klauenfüßen und eine kleine Küche. Dann kannst du uns also etwas kochen. Deine Auferstehungspastete zum Beispiel.«
»Dazu muss man Reste haben.«
»Ich habe auch noch etwas anderes für dich.«
Eden schmiegte sich an ihn und strich über seine Brust. Ihre Hand rutschte immer tiefer, bis sie schließlich fand, was sie brauchte und wollte, und als er sich unter ihrer Hand aufrichtete und sie sich auf ihn setzte, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Im Moment will ich nur das.«
 
»Du bist blöd«, sagte Faye, als sie am behelfsmäßigen Waschbecken standen und sich die Zähne putzten. In den Soldatenunterkünften in Bushey gab es keine Porzellanbecken mit aufgemalten Rosen; eigentlich waren es mehr Blecheimer mit gurgelnden Abflüssen. »So ein gut aussehendes Mädchen wie du und alle diese Kerle um uns herum, warum lässt du dich mit einem verheirateten Mann ein? Nur weil er ein Offizier ist?«
»Ich habe nicht darum gebeten, mich in ihn zu verlieben«, fauchte Eden.
Es war August, und die lange englische Dämmerung warf ihre Schatten. Die Soldatinnen in Bushey warteten auf ihre Befehle. Seit Paris befreit war, konnten sie jeden Tag auf den Kontinent verlegt werden.
»Bitte einfach darum, dich in jemand anderen zu verlieben«, schlug Faye vor. »Ich kenne diese Typen. Sie versprechen dir alles, nur um dich ins Bett zu bekommen. Was weiß ich? Wenn der Krieg vorbei ist, lasse ich mich scheiden, und wir heiraten. Soll ich direkt übersetzen?«
»Faye, wir haben schon genug darüber geredet. Ich schreibe dir ja auch nicht vor, mit wem du schlafen sollst. Also sag mir nicht, in wen ich mich verlieben soll.«
»Du weißt schon, dass es ihm eigentlich nur ums Vögeln geht, oder? Und wenn es vorbei ist, siehst du ihn nie wieder.«
»Hey, Kleine«, erwiderte Eden, »jetzt reiß mal nicht die Klappe so auf.«
»Ich mag ja klein sein«, sagte Faye, und tatsächlich reichte sie Eden kaum bis an die Schulter, »aber ich bin nicht blöd. Wie lange hast du schon nichts mehr von ihm gehört?«
»Seit seine Einheit in der Normandie gelandet ist.«
»Sie sterben da wie die Fliegen, das weißt du.«
»Logan kommt zu mir zurück. Er wird überleben. Ich lade dich zur Hochzeit ein.«
Faye winkte ab, aber Eden ignorierte sie. Sie trocknete sich das Gesicht ab und legte ihre Armbanduhr um. Auf der Rückseite war in winzigen Buchstaben eingraviert ELD & FLS, 1943. Jedes Mal, wenn sie sie umband, musste sie lächeln. Auf dem Feuerzeug, das sie ihm zu Weihnachten geschenkt hatte, waren genau dieselben Buchstaben eingraviert, nur umgekehrt. FLS & ELD. Eden behielt die Uhr auch zum Schlafen an. Wenn sie nachts aufwachte, versuchte sie sich vorzustellen, es sei Logans Herz, das neben ihr schlug.
Echter englischer Plumpudding
Café Eden, Skagit Valley, Washington, Weihnachten 1976
Dieses Rezept stammt von Mrs. Julia Tanner, die Eden und Logan Weihnachten 1943 die Wohnung in der Great Russell Street vermietete. Das Rezept war seit 1890 in ihrer Familie. Sie hatte es von ihrer Mutter übernommen, die Köchin von Queen Victoria gewesen war. 1976 freute sich die betagte Mrs. Tanner sehr, als sie nach über dreißig Jahren einen Brief von Eden bekam, in dem stand, dass ihre Küche und dieses Rezept denkwürdig gewesen seien. Sie schickte Eden das Rezept, konnte sich allerdings nicht mehr an das junge Paar erinnern.
 
Zutaten: 250 g fein gehacktes Nierenfett, 1 Tasse Mehl, 1 Tasse brauner Zucker, 1 Teelöffel Piment, 1 Teelöffel Zimt, ½ Teelöffel Salz, 1 Teelöffel Backpulver, ½ Teelöffel Muskatnuss, ¼ Teelöffel Muskatblüte, 1 Tasse Rosinen, 1 Tasse Korinthen, ½ Tasse gehackte Orangenschale, ½ Tasse gehackte Zitronenschale, 1 Tasse klein geschnittenen Apfel, 2 Eier, 1 Tasse einen Tag alte, weiche Brotreste,003Tasse Milch, ½ Tasse blanchierte Mandeln.
Nierenfett, braunen Zucker und Milch mischen; die Eier hinzugeben. Obst, Orangen- und Zitronenschale und Nüsse mit der Tasse Mehl vermengen, durchsieben und das restliche Mehl mit Gewürzen, Salz und Backpulver mischen. Obst und Brotstücke hinzugeben und mit der Nierenfettmasse vermischen. In eine gefettete Puddingform mit Deckel geben und 2½ Stunden dämpfen. Warm mit Buttersauce servieren.

MOMENTAUFNAHME

Die Botin

Ein Konvoi grauer Schiffe auf dem grauen, stürmischen Kanal. Eden Douglass und ein Dutzend anderer Soldatinnen vom Hilfskorps waren die einzigen Frauen an Bord. Das Schiff brachte Truppen und Verpflegung zu den Amerikanern, die in den Ardennen kämpften. Paris war zwar im August befreit worden, aber die Deutschen waren noch nicht besiegt. Die Schlacht, die bevorstand, würde als die Ardennenschlacht in die Geschichte eingehen, und sie kostete sechsundsiebzigtausend Amerikaner das Leben.
Eden war völlig auf sich allein gestellt. Dottie Lofgren und Faye Cole waren woandershin geschickt worden, und die Frauen, mit denen sie jetzt nach Charleroi im Südosten von Belgien fuhr, kannte sie nicht. In der kleinen Industriestadt, die heftig bombardiert worden war, waren sie in einem vierstöckigen Haus untergebracht, das schon den Deutschen als Quartier gedient hatte. Es gab keine Heizung, kein heißes Wasser und nur ein Badezimmer im ersten Stock. Eden campierte im vierten Stock.
Aber trotz der Kälte und der Unbequemlichkeiten war Eden glücklich. Logan Smith lebte. Er war zwar nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft stationiert, aber doch so nahe, dass sich die beiden Liebenden in Brüssel treffen konnten. Zwar nicht häufig und auch nicht besonders lang, aber immerhin lange genug, um sich gegenseitig zu versichern, dass sie am Leben waren, dass ihre Liebe überdauerte und dass der Sieg der Alliierten feststand. Nur wann? Logan sah nicht gut aus. Aber wem ging es schon gut? Eden hatte zwanzig Pfund abgenommen, und sie war häufig krank und fror ständig. Ihr Gesicht war so grau wie der Himmel über Belgien.
Die amerikanischen Soldaten ernährten sich von Gefechtsnahrung, Eipulver und fettem australischem Hammel. Zunehmen konnte man von der Kost nicht, aber sie hatten zumindest etwas zu essen. Die Belgier hingegen hatten so gut wie nichts. Die Flüchtlinge verhungerten.
Lange Flüchtlingsströme zogen durch das Land. Ausgemergelte Gestalten in schmutzigen Mänteln und Jacken, die ihnen um den Leib schlotterten. Sie stritten sich um die Abfälle, die die Amerikaner hinterließen. Eden bekam das alles hautnah mit, weil sie in Charleroi als Fahrerin eingeteilt war und mit allen möglichen Arten von Fahrzeugen unterwegs sein musste. Und bei diesen Fahrten sah sie Dinge, die sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr vergessen sollte, Unaussprechliches und Undenkbares.
Eines Nachmittags lief ihr ein streunender Hund vors Motorrad. Eden wich aus und geriet mit dem Fahrzeug auf den Seitenstreifen. Sie überschlug sich und landete auf ihrem ausgestreckten Arm. Corporal Douglass wurde ins Militärhospital der weiblichen Army-Hilfskräfte nach Oxford, England, gebracht. Für Eden war der Krieg vorbei.
Logan blieb bei der Army und zog mit General Cannings Truppen nach Deutschland.