TEIL III
Hegen und Pflegen 1962
1
Nachdem The Lariat Lawman abgesetzt worden war, waren Eisenbahnen und Schienen auf einmal völlig uninteressant für Matt. Das Remake von Gold of the Yukon blieb unvollständig und folgte nur noch dem alten Rezept: zu gleichen Teilen Gier und Gefahr, gut gemischt mit Lust. Und dazu noch reichlich Schnee. Das Modell von Greenwater war abgebaut worden, und Matt hatte es an die Baxters verkauft. Der Esstisch war wieder frei geworden und konnte benutzt werden, als ob sich nichts verändert hätte. Aber es hatte sich doch etwas verändert. Die Ehe von Eden und Matt, ihre physische und emotionale Intimität schwanden, und Misstrauen und Vorwürfe gewannen die Oberhand. Matt wurde immer gereizter und brach immer häufiger einen Streit vom Zaun, um einen Grund zu haben, das Haus zu verlassen.
Er behauptete, er könne sich auf Greenwater nicht konzentrieren, weil es zu viele Telefonanrufe und zu viele Unterbrechungen gäbe. Die Baxters, die ihn bei der Produktion von Gold of the Yukon unterstützten, besaßen hinter ihrer Villa mit Meerblick in Malibu ein telefonloses Gästehaus, und dorthin zog sich Matt jeden Tag zum Arbeiten zurück. Eden stand schon in der Dämmerung auf, um die Arbeit auf Greenwater bewältigen zu können, und war abends, wenn er endlich wieder nach Hause kam, häufig schon ins Bett gegangen - allein. Und manchmal wachte sie am nächsten Morgen auch allein wieder auf.
Eden dachte daran, wie sie nach der Rückkehr aus den Flitterwochen von Matts erster Ehe erfahren hatte. Das hatte sie damals tief getroffen, und obwohl er geschieden war, blieb ein leises Unbehagen zurück: Er hatte ihr etwas Wichtiges verschwiegen. Jetzt, Jahre später, wurde ihr klar, dass das Verschweigen unbequemer Wahrheiten in seiner Natur lag.
Matt und Eden stritten sich zwar, aber Eden war bei Weitem nicht so reizbar wie ihr Mann. Im Gegenteil, sie stellte fest, dass sie die stählerne Zurückhaltung ihrer Großmutter und die Neigung ihrer Mutter, sich in eine Fantasiewelt zu flüchten, übernommen hatte. Sie würde es einfach nicht zulassen, dass ihre Ehe scheiterte. Aber sie hasste Gold of the Yukon, vor allem weil Lois Bonner eine der Hauptrollen spielte. Und voller Eifersucht musste sie sich eingestehen, dass Matt zwei Leben führte: eins mit Eden und seiner Familie auf Greenwater und eins mit Lois, den Baxters und der Produktion des Films in Malibu.
Und die Marchs hatten noch andere Probleme. The Lariat Lawman war nicht der einzige Western, der aus dem Programm genommen worden war, und die Drehorte wurden immer seltener gebucht. Hinzu kam, dass auch die Merchandising-Einnahmen ausblieben.
Stella wies in ihrer düsteren Art darauf hin, dass das alles sie an die Anfangszeit des Tonfilms erinnere. Stella und Eden knackten gerade Mandeln, und die Geräusche zerrten an Matts Nerven.
»Umso mehr Grund, das Geschäft zu erweitern«, erwiderte Matt.
»Ernesto hat Gold of the Yukon gehasst«, grummelte Stella. »Der Stuntman ist gestorben.«
»Bei uns stirbt keiner«, sagte Matt.
»Auf dem Film liegt ein Fluch«, erklärte Stella. »Das böse Auge.«
»Sei nicht abergläubisch, Mama. So etwas wie das böse Auge gibt es nicht.«
»Ha.«
»Warum willst du einen Flop neu produzieren?«, warf Eden ein.
»Warum bist du eigentlich immer gegen mich?«
»Ich bin nicht gegen dich, Matt. Ich bin deine Frau. Ich bin gegen diesen Film, dagegen, dass du dich um nichts anderes mehr kümmerst.«
»Eines Tages werdet ihr mir alle dankbar sein. Von dem Geld, das wir mit diesem Film einspielen, werden wir die Kinder nach Stanford schicken.« Er nahm sich eine Mandel und kaute sie. »Die ganze Welt wird mir dankbar sein.«
»Du hast schon so viel Geld und Zeit verschleudert...«
»Es ist gut angelegt, wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Du glaubst eben nicht an mich. Das hast du noch nie getan.«
Das machte er bei jedem Streit so: Er verwandelte ihre Einwände in persönliche Zurückweisung. Er leugnete einfach ihre lange gemeinsame Vergangenheit, und sie war zu stolz, um ihn immer wieder daran zu erinnern. Sie warf Stella, die mit steinerner Miene neben ihr stand, einen Blick zu. »Warum willst du eigentlich unbedingt einen Film mit Schnee machen? Hier gibt es doch gar keinen Schnee!«
»Schnee kann man ja besorgen.«
»Schnee in Filmen bringt immer Unglück«, warf Stella ein. »Ernesto hat das auch immer gesagt.«
»Abergläubischer Blödsinn«, erwiderte Matt. Seine Frau und seine Mutter schwiegen. »Ihr wisst eben nicht, was mir dieser Film bedeutet.«
»Dann erzähl es uns.«
»Das habe ich doch schon tausendmal. Warum soll ich es denn ständig wiederholen? Du hörst ja doch nicht zu.«
»Warum machst du denn nicht etwas Eigenes? Warum legst du einen Flop neu auf?«
»Hör endlich auf, es ständig als Flop zu bezeichnen. Dir ist es doch völlig egal, was es für mich bedeutet.«
»Ach, und Lois nicht, was? Hast du ihr mehr erzählt als mir?«
Stella ging aus dem Zimmer. Matt verließ das Haus. Eden bedauerte die Frage nicht. Sie knackte weiter Mandeln, bis ihr die Hand wehtat.
Im Juni 1962 tauschte Matt Edens alten Dodge - nicht seinen Cadillac - gegen einen brandneuen Ford-Kombi ein, der breiter war als ein Doppelbett. »Packt eure Sachen, Kinder. Du auch, Mama!«, rief er, als alle aus dem Haus gestürmt kamen, um sich den Wagen anzusehen. »Wir fahren in den Wilden Westen! In den echten Wilden Westen, bevor es ihn nicht mehr gibt!«
Er zog Eden in die Arme und wirbelte sie herum. »Ich habe im Grayson’s reserviert, der alten Skihütte in den Washington Mountains, wo sie Gold of the Yukon gefilmt haben! Und wir nehmen den gemütlichen, langen Weg dorthin. Wir alle!«
»O Matt!« Eden verwarf alle praktischen Einwände, die ihr in den Sinn kamen. Endlich würde sie ihn wieder für sich haben, auch wenn sie ihn mit seiner Mutter und den Kindern teilen musste. »Das klingt wundervoll!«
»Die Wüste! Die Canyons! Die Berge! Wir werden Campingurlaub machen. Seht mal!« Er öffnete die Heckklappe des Autos und zog ein Sechs-Personen-Zelt heraus. Es war noch verpackt, aber auf der Abbildung vorn sah man einen großen Raum mit zwei Seitenflügeln. »Wir werden den echten Wilden Westen erleben! Wilde Flüsse und tiefe Schluchten!«
Er hatte auch Schlafsäcke für alle, sogar für seine Mutter, gekauft. Rucksäcke, in die sie ihre Kleider packen sollten, einen Gaskocher, Laternen, Zinnteller und Tassen, eine massive Eistruhe aus Aluminium und ein Transistorradio für Liza.
Die Fahrt war lang, aber nicht gemütlich. Sie mussten einen Pferdeanhänger mieten, um die Campingausrüstung für drei Kinder und drei Erwachsene transportieren zu können. Matt wollte unbedingt zuerst mit ihnen zum Monument Valley fahren. Aber nachdem sie in der glühenden Mittagshitze die Wüste durchquert hatten und dabei fast umgekommen wären, blieben sie für ein paar Tage in Las Vegas. Dort stiegen sie in einem Hotel ab, das einen riesigen Pool mit Rutsche, ein Büfett, von dem man so viel essen konnte, wie man wollte, und Farbfernseher auf den Zimmern hatte. Stella war fasziniert von dem brandneuen Gerät. Die Kinder schwammen und spielten, während Eden am Pool saß und las. Matt verlor Geld an den Spielautomaten, beim Blackjack und beim Würfeln an den Craps-Tischen.
Von Vegas aus fuhren sie ins südliche Utah, in den Zion National Park, der nach Matts Meinung beinahe so großartig war wie Monument Valley. »Und jetzt«, verkündete er, »werden wir herausfinden, wie sich die Cowboys wirklich gefühlt haben. Wir werden unter dem Sternenhimmel schlafen und ein Lagerfeuer machen.« Sie steuerten ein Campinggelände an, das so abgelegen war, dass Lizas Transistorradio keinen Empfang mehr hatte.
Das Gelände bot keinen Schatten, und feuchte Hitze waberte über den Platz. Sie tranken aus dem Wassertank, den sie vorn am Ford hängen hatten. Das Wasser schmeckte so, wie der Motor roch. Matt entriegelte den Pferdeanhänger und holte Zelt und Schlafsäcke heraus. Das Zelt erwies sich als so sperrig, dass sie mit vereinten Kräften daran ziehen mussten, um es herauszubekommen. Stella wanderte inzwischen mit dem schreienden, zappelnden Nicky auf dem Arm um den Picknicktisch aus Beton und redete beruhigend auf ihn ein.
Als das Zelt endlich auf dem Boden ausgebreitet war, gestand Matt, dass er noch nie in seinem Leben ein Zelt aufgebaut hatte. »Du, Eden?«
»Nein, das kann ich nicht behaupten.«
»Hast du mit deiner Familie nicht diese abenteuerliche Reise nach Idaho gemacht?«
»Ja, aber wir haben tatsächlich unter freiem Himmel geschlafen. Auf dem Boden. Wie Pioniere eben.«
Matt wandte sich an die Mädchen. »Wir kriegen das Zelt in null Komma nichts aufgebaut. Das wird ein richtiges Abenteuer.« Er reichte Stellina die Anleitung. »Okay, lies laut vor.«
Stellina begann: »Breiten Sie das Zelt auf dem Boden aus. Die Türklappen...«
»So weit sind wir schon«, fuhr ihr Vater sie an. »Wie geht es weiter?«
Stellina überflog die Seite. »Stecken Sie Hering A in Ring A, wie auf der Zeichnung angegeben, und hämmern Sie ihn in den Boden. Genauso verfahren Sie mit den Heringen B, C, D, E, F, G, H...«
»Mist. Haben wir einen Hammer dabei? Eden?«
»Ich wusste nicht, dass wir einen brauchen«, erwiderte Eden. »Niemand von uns hat vorher die Anleitung durchgelesen.«
»Was sollen wir jetzt tun, Daddy?«, fragte Liza.
»Du solltest zusehen, dass du das Zelt aufgebaut kriegst«, erklärte Stella. Nicky wand sich schreiend auf ihrem Arm. »Es wird gleich regnen.«
»Ach was, es gibt keinen Regen, Mama«, herrschte Matt sie an. »Das sind nur ein paar Wolken.«
Eine halbe Stunde später entlud sich aus den paar Wolken ein heftiges Gewitter. Das Zelt lag immer noch ausgebreitet auf dem Boden. Matt, Eden und die Kinder versuchten vergeblich, es zusammenzurollen, während lehmige, rotbraune Wasserbäche darüberrannen und es mit sich zogen.
»Wir müssen es hierlassen«, schrie Matt schließlich. »Vergesst das Zelt. Steigt ins Auto. Eden, du setzt dich ans Steuer.«
Matt schleppte die tropfnassen, schmutzigen Schlafsäcke in den Pferdeanhänger, schlug die Tür zu und koppelte ihn wieder ans Auto, wobei ihm seine nassen Haare über die Augen fielen, sodass er kaum etwas sah. Als er endlich im Wagen saß, ließ Eden den Motor an und wollte losfahren, aber der Pferdeanhänger tanzte hin und her.
»Matt, du hast ihn falsch angekoppelt...«
Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Matt war schon aus dem Auto gesprungen, löste die Anhängerkupplung und kam wieder zurück. Den Pferdeanhänger ließen sie einfach stehen, als sie wegfuhren.
Während sie im strömenden Regen, den die Scheibenwischer kaum bewältigten, auf Cedar City zufuhren, fing Eden plötzlich an zu lachen.
»Was gibt es denn zu lachen?«, fragte Matt.
»Wir haben Zion im Rücken«, antwortete sie. »Es müsste eigentlich anders herum sein.«
»Und was ist daran so komisch?«
»O Matt«, erwiderte Eden lachend und spähte in die Dunkelheit, die von den Scheinwerfern nur unzureichend erhellt wurde. »Ich blicke voller Freude auf Babylon.«
Matt stimmte in ihr Lachen ein, und ihr wurde warm ums Herz, als er ihr den Arm um die Schultern legte.
Sie blieben drei Tage in Cedar City, um sich zu erholen. Alle sechs in einem einzigen Motelzimmer mit kleiner Küche. An der Wand hing ein Bild von Joseph Smith, der die Bibel und das Buch der Mormonen in der Hand hielt, und Eden fürchtete fast, dass auf einmal die Tür aufgehen und die Mormonen sie verhaften würden, weil sie abtrünnig geworden war. Die Erwachsenen taten den ganzen Tag lang nichts anderes, als vor dem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher zu sitzen, während Liza und Stellina in dem schlecht gepflegten Pool planschten und Nicky auf den Betten herumsprang. Der rote Schlamm in ihrem Auto, auf ihrer Kleidung und in ihren Haaren ging wochenlang nicht mehr heraus.
Während sie weiter in Richtung Norden nach Idaho fuhren, hatte Eden das Gefühl, dass Vergangenheit und Gegenwart miteinander verschmolzen. Seit den Dreißigerjahren, als sie mit ihrer Familie hier entlanggekommen war, hatte sich nicht viel verändert, und die Bilder ihrer Kindheit standen ihr lebhaft wieder vor Augen. Matt schien das zu spüren, denn auf einmal fragte er sie, ob sie nach Fairwell fahren wolle.
»Dann könnte ich deine Schwester endlich mal kennenlernen«, fügte er hinzu.
»Ich glaube nicht, dass du meine Schwester kennenlernen möchtest.«
»Warum nicht?«
»Glaub mir, du kannst sehr gut weiterleben, ohne Ada und Melvin Brewster zu kennen.«
»Was stimmt denn nicht mit ihnen?«
»O Matt, darum geht es doch gar nicht. Wir haben Urlaub.«
»Schämst du dich für uns?«
Eden erkannte an seinem Tonfall, dass er mal wieder Streit suchte. Sie schwieg, aber er wiederholte seine Frage.
»Was soll das? Das ist doch albern.«
»Sind die Spaghettifresser March nicht gut genug für die Heiligen?« Er warf seiner Mutter, die ihn von hinten anfunkelte, im Rückspiegel einen Blick zu.
»Was soll das?«, sagte Eden. »Wie kommst du auf die Idee, dass ich so etwas denken könnte? Warum willst du dich unbedingt mit mir streiten? In Fairwell ist nichts, und wir fahren auch nicht dorthin. Sei nicht albern.«
Die Stimmung im Auto war so gereizt und überhitzt, dass Matt viel zu schnell um die engen Kurven der Bergstraßen fuhr. Stella rang die Hände und betete zum heiligen Christophorus, er solle sie vor dem Tod auf der Straße bewahren. Matt fuhr sie an, sie solle den Mund halten, und machte so hässliche Bemerkungen über Edens Familie, dass seine Frau beinahe in Tränen ausgebrochen wäre. Stellina kündigte an, ihr sei schlecht, und sie müsse sich gleich übergeben, was sie dann auf der Stelle tat.
Zwölf schwierige Tage später hielt der Kombi der Marchs vor Grayson’s Lodge am Fuß des Mount Baker. Eden und Matt sprachen kaum ein Wort miteinander. Die Mädchen zankten sich ständig. Nick, der die ganze Zeit über schlecht geschlafen hatte, war quengelig und wollte nicht essen. Stellas Stimmung war düsterer denn je zuvor. Und doch gewann Edens angeborene Gelassenheit wieder die Oberhand, als sie aus dem Wagen stiegen. Die Bergwiesen waren übersät von Wildblumen, im Hintergrund erhob sich der schneebedeckte Gipfel des ehemaligen Vulkans, des Mount Baker, die Luft war kühl, es war sonnig, und ein frischer Wind blies durch die Zedern.
Grayson’s Lodge sah immer noch so aus wie in Gold of the Yukon, allerdings war der Besitzer jetzt ein Mr. Alvin Denning, ein kahlköpfiger Mann in Jeans und einem Flanellhemd mit Ketchup- und Schweißflecken. Sie schienen die einzigen Gäste zu sein, und er führte sie in den ersten Stock zu drei Zimmern, die alle nahe am Badezimmer am Ende des Flurs lagen. Die Zimmer waren klein, eng, schlecht gelüftet und hatten niedrige Decken. Die Fenster gingen nur schwer auf.
Der erste Stock war eigentlich eher eine Galerie, von der aus man herunter auf die Haupthalle blickte. Die Mitte des Raums wurde von einem riesigen Steinkamin beherrscht, und in jeder Ecke stand noch zusätzlich ein Holzofen. Eden und Stella wechselten erschreckte Blicke, als sie Gummiratten auf den Fensterbrettern sahen.
»Nur zum Spaß«, versicherte Mr. Denning ihnen.
Als er von Matts Plänen erfuhr, ein Remake von Gold of the Yukon zu drehen, hellte sich Alvin Dennings rundes Gesicht auf. Mit einer Lawine konnte er bestimmt dienen, wenn Matt eine brauchte. In der Küche stellte Denning ihnen seine Frau Zelda vor, die sich ebenfalls begeistert von der Aussicht zeigte, dass das Grayson wieder zu Filmruhm kommen sollte.
Die Mädchen langweilten sich und rannten nach draußen, und Stella ging mit Nicky nach oben, um ihn hinzulegen. Alvin führte Matt und Eden im Erdgeschoss herum und bot ihnen ein Bier an. Während die Männer sich über den Film und Lawinen unterhielten, betrachtete Eden die Küche genauer. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass es überall von Ungeziefer wimmelte. Sie nahm Matt beiseite. »Wir essen nicht hier, und morgen sollten wir wieder fahren.«
»Warum?«
»Das ist ein Saustall hier. Sieh dir bloß mal den Grill an. Willst du, dass deine Mutter und die Kinder krank werden?«
»So schlimm ist es doch nicht. Außerdem«, fügte er hinzu, »dachte ich, du wärst diejenige mit der Pionierfamilie.«
»Gib mir die Autoschlüssel. Wir sind an einem kleinen Laden vorbeigekommen, und da werde ich jetzt ein paar Lebensmittel einkaufen.«
Eden nahm Stellina mit und fuhr ein paar Kilometer zurück zu einem kleinen Laden an der Straße. Mit der Holzveranda und dem Blechvordach hätte er auch in Lariat stehen können, wenn nicht die Dachschindeln dick mit Moos bedeckt gewesen wären. Drinnen war es dämmerig, und es roch feucht, wie in Grayson’s Lodge. Eden nahm Milch, Eier, Brot und ein paar Dosen und legte alles auf die Theke. Dort standen in kleinen Körben Erdbeeren, kleiner als die kalifornischen Erdbeeren, an die Eden gewöhnt war, dunkler und gleichmäßiger, ohne den grünen Rand um die Stiele.
»Probier mal eine, kleines Fräulein.« Der Ladenbesitzer lächelte Stellina an. Er war etwa vierzig, hatte einen Vollbart und trug ein Flanellhemd. »Sie sind nicht von hier, nicht wahr? Diese Erdbeeren werden eine Offenbarung für Sie sein. Ich habe sie gerade unten in Skagit gepflückt.« Er hielt Eden ein Körbchen hin.
Die Erdbeeren waren tatsächlich eine Offenbarung, sie schmeckten köstlich. Eden sagte, sie hätte gerne drei Schachteln.
»Wir wohnen bei den Gummiratten«, piepste Stellina. »Mr. Denning hat gesagt, ich könnte eine haben.«
Der Mann lachte gutmütig. »Na, kein Wunder, dass ihr Lebensmittel einkauft. Bei Alvin und Zelda also.« Er räusperte sich und fuhr mit ernster Stimme fort: »Ich habe die Rettung für Sie, meine Dame. Aus dem Copper River.«
Er führte Eden und Stellina durch sein Hinterzimmer, in dem es nach Käse, Sackleinen und schmelzendem Eis roch, die Treppe hinunter zu einem kleinen, abgeschlossenen Schuppen. Er diente offensichtlich als Kühlraum, und dort drinnen lagen auf Eis ganze Tabletts von glänzenden, frisch gefangenen Fischen.
»Mein Bruder fischt oben in Alaska. Waren Sie jemals in Alaska, Ma’am? Nein? Das ist ein gesegnetes Land, so etwas haben Sie noch nicht gesehen. Meine Bruder hat die Fische hier erst gestern Abend gebracht. Ich verkaufe Ihnen einen von diesen hier.« Er ergriff einen der großen Fischleiber. »Zehn Dollars. Ich nehme ihn auch aus, damit die junge Dame hier keine Angst zu haben braucht.«
»Zehn Dollars ist eine Menge Geld für einen Fisch.«
»Aber nicht für einen, der Sie rettet.«
»Ich habe gar nichts, worin ich einen so großen Fisch zubereiten könnte.«
»Diesen Fisch brauchen Sie nicht zuzubereiten. Sie müssen ihm nur etwas zuflüstern. Nett mit ihm reden. Nehmen Sie diesen Fisch, ein bisschen Mais und zwei Flaschen kaltes Bier. Dann schnappen Sie sich Ihren Mann und fahren an den Artist’s Lake.«
Eden kaufte den Fisch, Mais, Erdbeeren, das kalte Bier, Alufolie, einen Topf, ein paar Späne zum Anzünden und ein paar Holzscheite. Am Nachmittag fuhren die Marchs zum Artist’s Lake, einem riesigen See, umgeben von niedrigen Hügeln, die in der Ferne in hohe Berge übergingen. Das Wasser war so blau wie der Himmel. Am Ufer waren Grillplätze und Tische, und es gelang Matt sogar, einen Grill anzuzünden. Dann ging er mit Stella und den Kindern ans Wasser, während Eden überlegte, wie sie am besten mit dem Fisch sprechen sollte.
Sie setzte Wasser auf, um den Mais zu kochen. Während sie ihn auslöste, beobachtete sie Stella, Matt und die Kinder am See und hörte ihr Lachen. Matt sprang ins Wasser und spielte Delfin mit Stellina; Stella watete mit hochgezogenem schwarzem Kleid und bloßen Füßen mit Nicky am Ufer entlang. Die zehnjährige Liza kraulte geschmeidig durch die Fluten.
Eden empfand einen tiefen Frieden, und sie spürte, dass genau das ihr so lange gefehlt hatte. Es duftete nach Holzkohle, eine leichte Brise ging durch die Bäume, und Eden trank einen Schluck Bier und blickte über den See. Das Licht war anders als in Greenwater, und die Tagen waren viel länger. Vor neun wurde es hier, so hoch im Norden, nicht dunkel. Die Luft war kühler und klarer, und die Zedern und Tannen, die den See umstanden, ragten spitz in den Himmel. Am gegenüberliegenden Ufer war hier und dort eine kleine Hütte zwischen den Bäumen zu erkennen, und Eden fragte sich, wer dort wohl lebte.
Als das Essen fertig war, rief sie ihre Familie, und sie aßen an dem wackeligen Picknicktisch, auf den Eden eine blau karierte Tischdecke gelegt hatte. Alle hatten Hunger und Fisch, Mais und Erdbeeren waren im Nu verschwunden.
»Das war sehr gut, Eden«, bemerkte Stella, als sie fertig waren.
»Ja, hervorragend.« Matt schob seinen Teller beiseite und begann, seine Pfeife zu stopfen. »Ich glaube, so einen leckeren Fisch habe ich noch nie gegessen, selbst bei Ernesto nicht.«
Die Kinder stimmten zu, und Eden blühte auf.
In dieser Nacht liebten Eden und Matt sich, vertraut und zugleich mit einer neuen Zärtlichkeit. Eden hielt Matt im Arm, streichelte ihm über den Rücken und drückte die Wange an seine Brust. Er erzählte ihr von der Lawinenszene und dass Denning ihn morgen dorthin führen wollte.
»Liebling, Denning benutzt dich. Er weiß gar nichts von dem alten Stummfilm, abgesehen von den Fotos der Schauspieler, die er hier an den Wänden hängen hat. O Matt, warum bist du nur so versessen darauf?«
»Es wird ein Meisterwerk werden. Es ist eine tolle Story, an die noch niemand gedacht hat.«
»Es ist nur ein Remake, Matt. Auf die Idee sind auch schon andere gekommen.«
Matt löste sich von ihr. »Ich erschaffe hier etwas Authentisches, und du willst es einfach nicht begreifen.«
»Hier? In diesem Loch? Ist es authentisch, nur weil vor fast vierzig Jahren Lesley Markowitz Schauspieler hier heraufgeschleppt hat und ein Stuntman umgekommen ist? Es ist nur das Remake eines Stummfilms, nicht authentischer als Lariat oder das Indianerdorf bei uns auf dem Gelände.«
»Prairie Fern hat gesagt, das Indianerdorf sähe echt aus.«
»Matt, Prairie Fern ist in London geboren. Die Indianerdörfer, die sie kennt, hat Buffalo Bill geschaffen.« Er antwortete nicht, und sie spürte, wie sich seine Muskeln anspannten. Sie blickte ihm in die dunklen Augen. »Matt, du musst mir helfen, das alles zu verstehen. Ich möchte es doch gerne verstehen. Sag mir, was ich wissen muss.«
»Es ist zu spät.«
»Versteht Lois es?«
»Lass Lois aus dem Spiel.«
»Warum sollte ich? Du tust es ja auch nicht.«
»Sie glaubt an mich. Sie hat einiges aufgegeben, um die Hauptrolle zu spielen.«
»Wovon lebt sie in der Zwischenzeit?«
Matt drehte ihr den Rücken zu. »Ich mache Gold of the Yukon mit dir oder ohne dich.«
Draußen war der Himmel immer noch mattblau, und das Mondlicht fiel in ihr winziges Zimmer. Eden lag in dem stillen Raum und blickte zur Decke. Nach einer Weile stand sie auf, schlüpfte in ihren Morgenmantel und ging hinaus auf die Galerie. In der Halle unten saß Stella allein an einem Tisch, eine angezündete Votivkerze vor sich und einen Rosenkranz in der Hand. Ja, bet du nur, dachte Eden. Wir können es weiß Gott brauchen.
»Wir müssen hier weg«, sagte Stella, als Eden sich zu ihr setzte. »Der kleine Nicky verträgt die Reise nicht gut. Er will nach Hause, in sein eigenes Bett. Hier ist es widerlich. Diese Leute...«
»Ich weiß.« Der Zauber des Artist’s Lake hatte sich schon längst aufgelöst.
»Dieser Film.« Stella schüttelte den Kopf. »Ernesto hat Gold of the Yukon gehasst.«
»Wenigstens war es sein einziger Flop.«
»Es ging nicht um den Erfolg. Ernesto hatte Angst, er würde während der Dreharbeiten hier sterben. Sie haben eine echte Lawine ausgelöst, mit Dynamit. Markowitz, dieser Tyrann, hat den Schauspielern befohlen, sie sollten so tun, als ob sie sterben, aber sie hatten wirklich das Gefühl. Die Kameras froren ein, und alles war weiß, sodass sie nichts sehen konnten. Kalt wie im Grab.«
Trotz der Juninacht fröstelte Eden.
»Eden«, sagte Stella. »Ich habe Angst um Matt. Er ist blind vor Ehrgeiz, und seine Gesundheit leidet darunter.«
Eden sah einen Schatten über den Boden huschen. Sollten etwa die echten Ratten mit den Gummiratten abgeschreckt werden?
»Als der Tonfilm kam und Ernesto wusste, dass er nie wieder spielen würde...« Stella umklammerte ihren Rosenkranz. »Ernesto wollte sterben. Nico hat ihn gefunden, wie er sich die Pistole an den Kopf gehalten hat. Damals haben sie den Pool mit Erde aufgefüllt und die Pistole darunter vergraben. Die Pistole liegt unter Ernestos Garten. Du darfst es Matt nicht sagen. Er weiß es nicht.«
Natürlich wusste Matt es, aber Eden schwieg. Sie ergriff Stellas Hand. »Hab keine Angst, Stella.«
»Doch, ich habe Angst. Sie lässt mich nachts nicht schlafen.«
»Warum denn?«
»Ich habe Angst, dass du ihn verlässt und die Kinder mitnimmst. Ich weiß Bescheid über diese putina Lois. Für eine Ehefrau ist es schwer zu ertragen. Und du bist nicht einmal katholisch.«
»Die Frauen in meiner Familie«, antwortete Eden beruhigend, »sind von Iowa nach Utah zu Fuß gegangen. Sie haben nicht aufgegeben. Ich bin nicht umsonst als Mormonin aufgewachsen. Und ich habe ein Gelübde abgelegt, auch wenn es auf Spanisch war. Matt ist mein Mann, und ich liebe ihn. Ich werde ihn nie verlassen. Du brauchst keine Angst zu haben. Ganz gleich, was passiert, ich werde ihn immer lieben. Seine Kinder vergöttern ihn, Stella. Sie lieben dich über alles. Wie könnte ich sie von ihrem Vater und ihrer Großmutter trennen? Nein, das wird nie geschehen. Ich werde gegen Lois Bonner kämpfen, und ich werde siegen.«
»Und Gold of the Yukon?«
Eden dachte nach. »Den Kampf werde ich vielleicht nicht gewinnen.«
Zunächst einmal setzte Eden sich jedoch im Grayson’s durch, und am nächsten Tag reisten sie ab. Aber Matt suchte weiter nach Schnee, und schließlich fand er eine großartige Location am Mount Baldy, zwischen Los Angeles und St. Elmo. Das zerklüftete Gelände und die Lodge, die sehr ans Grayson’s erinnerte, begeisterten ihn. Eines Abends verkündete er beim Essen, dass er im Januar 1963 dort mit den Dreharbeiten beginnen würde.
Vor Stella und den Kindern hielt Eden sich zurück, aber nach dem Essen erklärte sie ihm, dass sie mit Gold of the Yukon nichts zu tun haben wolle. Sie würde ihn nicht verlassen, aber der Film und der Berg könnten sich zum Teufel scheren.
Also nahm Matt die Sache allein in Angriff, und im Januar 1963 führten er und Lois in Matts Cadillac die Greenwater-Karawane aus Männern, Frauen, Tieren, Fahrzeugen und Pferdehängern an, die sich über die schmale Bergstraße zum Gipfel schlängelte. Das Wetter spielte mit, was bedeutete, dass es heftig schneite. »Je schlechter das Wetter ist, desto besser gefällt es mir«, sagte Matt zu Lois, als er mit ihr ein Chalet bezog, das zur Lodge gehörte.
Die zehntägigen Dreharbeiten verliefen problematisch. Lois und den anderen gegenüber konnte Matt nicht zugeben, wie sehr ihm seine Frau fehlte, weil sie sich sonst immer um alles gekümmert hatte. Edens Job hatte Gus Baxters Neffe Troy übernommen, der sich jedoch als hoffnungsloser Fall erwies. Hinzu kam, dass es immer kälter wurde und immer heftiger schneite.
Um nicht zu viel Zeit zu verlieren, arbeiteten sie jedoch weiter, und die Stimmung sank. Sie konnten den Plan nicht einhalten und es wurde Anfang Februar, bis sie wieder ins Tal aufbrechen konnten. Ein Pick-up allerdings sprang in der Kälte nicht an, sie mussten ihn zurücklassen, und so koppelte Matt einen Pferdehänger einfach an seinen Cadillac.
Mittlerweile war Wind aufgekommen, und die wild tanzenden Schneeflocken behinderten die Sicht, als Matt hinter den Rücklichtern von Les und Ginnys Wagen herfuhr. Auf einmal musste er an den Hammer denken, den er nicht mit in die Sommerferien genommen hatte. Und auch dieses Mal hatte er die Anleitung nicht durchgelesen. Er war nicht an Schnee gewöhnt, und ein vages Gefühl drohender Gefahr beschlich ihn. Lois gegenüber schwieg er jedoch. Sie plauderte fröhlich davon, dass sie endlich die richtigen Wetterbedingungen angetroffen hatten, und schien nichts zu merken. Matt lachte mit ihr, hielt aber den Blick starr auf die Straße gerichtet, die unter den Schneemassen zunehmend verschwand. In einer scharfen Kurve verlor er das Fahrzeug der Doyles aus den Augen und beschleunigte, um wieder aufzuholen. Der Cadillac rutschte auf dem Eis, und Matt trat auf die Bremse. Er spürte, dass der Pferdehänger ausbrach und musste wieder an Zion denken, wo sie den Hänger im Schlamm stehen gelassen hatten. Als er erneut bremste, reagierte der Wagen jedoch nicht. Sie kamen von der Straße ab, und obwohl er verzweifelt immer weiter auf die Bremse trat, schleuderten sie auf den Abgrund zu. Er sah noch, wie Lois ihre blauen Augen aufriss und den Mund zum Schrei öffnete, als sie den Abhang herunterholperten, und dann überschlugen sich der Hänger mit den hilflosen Tieren darin und der Wagen, bis sie aufprallten und es wieder still war.
Am Nachmittag erst klingelte das Telefon im Haus der Marchs. Ginny war am Apparat und sagte zu Liza: »Annie ist auf dem Weg zu euch. Sie kommt gleich. Sorg dafür, dass deine Mutter nicht das Haus verlässt, bevor sie da ist. Annie fährt sie.« Ginnys Stimme klang beherrscht, ohne jede Emotion. »Deine Großmutter muss mit euch zu Hause bleiben. Und jetzt gib mir Eden.«
»Warum? Was ist denn los? Was ist passiert, Ginny? Lüg mich nicht an.«
»Ich habe dich nicht angelogen.« Hinter Ginny hörte man Stimmen, die nach Ärzten riefen. »Hol mir jetzt Eden ans Telefon und stell keine Fragen mehr.«
Als Eden und Annie ins Pomona Valley Hospital kamen, wurde Matt schon seit einer Stunde operiert. Afton und Tom waren bereits da und saßen wartend neben Ginny und Les. Annie und Eden traten zu ihnen ins Wartezimmer. Afton ergriff Edens Hand und sagte, sie habe für Matt gebetet.
Beim Gedanken an eine Welt ohne Matt March drehte sich alles vor Eden. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Ein Deputy betrat das Wartezimmer und fragte nach Les’ Waffenschein für das Gewehr, mit dem er die Pferde erschossen hatte, die im Trailer zerquetscht worden waren, als er sich immer wieder überschlagen hatte. Eden hörte entsetzt zu.
»Ich habe keinen Waffenschein.« Les Doyle drückte seine Zigarette aus und setzte sich aufrecht hin.
»Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Doyle. Sie sind ein guter Mann, und das, was Sie getan haben, war sicherlich ein notwendiger Gnadenakt. Aber wenn Sie keinen Waffenschein haben, muss ich Sie leider anzeigen«, sagte der Deputy und kritzelte etwas auf einen Block. Er riss das Blatt ab, reichte es Les und fügte hinzu: »Ach, verdammt, ich glaube, jetzt habe ich keine Kopie gemacht.« Damit nickte er der Gruppe zu und ging.
Eden leckte sich über die Lippen und wandte sich an Ginny. »Von Pferden hast du nichts gesagt. Du hast gar nicht erwähnt, dass Pferde getötet worden sind.«
»Es ist schon alles so schlimm, dass die Pferde auch keine Rolle mehr gespielt haben.«
In diesem Augenblick wurde Eden klar, dass sie bis jetzt noch gar nicht den Umfang der Tragödie begriffen hatte.
Lachs aus dem Copper River mit • Erdbeer-Zitronen-Sauce •
Café Eden, Skagit Valley, Washington
Der Lachs aus dem Copper River in Alaska ist der König unter den Lachsen. Die Saison für ihn ist kurz, höchstens sechs Wochen, von Mitte Mai bis Ende Juni. Gegen Ende dieser Saison sind im Staat Washington auch die Erdbeeren reif, und so war im Café Eden Edens Kombination aus frischem Lachs und frischen Erdbeeren jedes Jahr ein spektakulärer Erfolg. Aber so gut wie an dem Abend am Artist’s Lake schmeckte es nie wieder. Manchmal ist etwas so flüchtig und vergänglich, dass man es nicht wieder neu entstehen lassen kann. Man kann zwar in der Erinnerung schwelgen, aber bewahren kann man es nicht.
Nehmen Sie einen ganzen, ausgenommenen Lachs mit Haut und Gräten - wenn der Fisch erst einmal gar ist, lösen sich diese ganz von allein - und salzen und pfeffern Sie die Bauchhöhle. Geben Sie eine Handvoll Oregano, Thymian, Petersilie und eine dünn geschnittene Zitrone hinein. Dämpfen Sie den Fisch auf zwei Teilen Wasser zu einem Teil Weißwein mit ein paar Lorbeerblättern. Denken Sie daran, dass Sie nur nett mit dem Fisch sprechen müssen.
Nehmen Sie auf keinen Fall gezüchteten Lachs; Sie würden die Magie nicht empfinden und dem Rezept die Schuld geben.
Erdbeer-Zitronen-Sauce: Eine kleine Schachtel Erdbeeren putzen, mit einem Kartoffelstampfer zerdrücken. In einen kleinen Topf geben, vier oder fünf Blätter frisches Basilikum hacken, etwa ½ Tasse fein gehackte rote Paprika und eine kleine Zitrone, gewaschen, in dünne, geviertelte Scheiben geschnitten, hinzufügen. Mit je einem Schuss Weißwein, Aceto Balsamico und etwas Wasser zum Kochen bringen und ein wenig einkochen und andicken lassen. Löffeln Sie auf jeden Teller neben den Fisch einen Halbmond aus dieser Sauce und servieren Sie das Gericht an langen Juniabenden mit einem Salat aus Wassermelone und Gurken.
Willkommen im Sommer.
MOMENTAUFNAHME
Lizas Drache
Es war einmal eine glückliche Kindheit mit einem Vater, der Liza über alles liebte.
Das ist die Geschichte, die Liza Ruth March immer und immer wieder erzählte. Sie erzählte sie ihren Freunden, Kollegen, Liebhabern, ihren Ehemännern, ihren beiden Kindern, so oft, dass sie wie ein Papierdrache an einer langen Schnur in der Luft tanzte.
Liza trug Cowboystiefel wie Daddy, und wie er unterwarf sie sich einem Verhaltenscode, den er ihrer Meinung nach erfunden hatte. Zu diesem Code gehörte, dass man absolut aufrichtig und vor allem mutig war. Natürlich war es nicht schlecht, schön zu sein, aber Schönheit ohne Mut war armselig. Liza besaß Mut, was sie immer wieder bewies.
Daddy verpasste es nie, wenn Liza ein Jugendrodeo oder einen Schwimmwettbewerb hatte. Er bejubelte jedes blaue Band und jeden Pokal, klatschte Beifall bei jeder Ballettaufführung und jedem Klavier-Vorspiel. Daddy fuhr mit der gesamten Familie und mit Stellinas blöder Freundin Rebecca Gomez mindestens zweimal im Jahr nach Disneyland und zu Knott’s Berry Farm. Daddy tobte gern mit den Kindern, und er machte wundervolle Geschenke. Der Agua-Verde-Grundschule hatte er kistenweise Scoop Erdnussbutter geschenkt. Die Geschichte, wie sie von Cody gestürzt war, veränderte Liza ein wenig; sie hatte ihn geritten, um ihren Mut zu beweisen, und nicht, weil sie eifersüchtig auf ein Baby war. In ihrer Version der Geschichte wich Daddy während ihrer Genesung nicht von ihrem Krankenbett.
Der Drache tanzte im Wind, und in dieser glücklichen Kindheit gab es eine Hacienda voller Menschen, die Liza vergötterten: Großeltern, Marinda Reynolds, Les und Ginny Doyle, Prairie Fern und natürlich Mom. Und viele andere liebten sie: Tante Afton, Tante Annie, Tante Connie, Tante Alma, ganze Scharen von Vettern und Cousinen, und ihre Geschwister Stellina und Nick. Es gab auch zahlreiche Schauspieler in dieser Geschichte: Rex Hogan, Spud Babbitt und viele andere. Lois Bonner erwähnte sie jedoch nicht.
Als kleines Mädchen bekam Liza Reitunterricht bei Ginny Doyle, der besten Stuntwoman, die es je gegeben hatte. Liza hatte ihr eigenes Pferd, Dasher. An der Seite ihres Vaters ritt sie über ganz Greenwater. Andere Kinder mochten eine Decke über einen Stuhl hängen und so tun, als sei es ein Indianerzelt, aber Liza hatte ein ganzes Indianerdorf, eine eigene Westernstadt zur Verfügung. Und sie war ein gefragter Kinderstar gewesen und hatte in mehr als zwanzig Episoden von The Lariat Lawman mitgespielt.
Und dann war der Telefonanruf gekommen, dass The Lariat Lawman eingestellt wurde, und die Ereignisse, die darauf folgten, lagen hinter einem leichten Schleier, so hoch stieg der Drachen in die Wolken. Marinda verließ Greenwater und zog zu ihrer Tochter. Alle weinten. Danach hatten sie viel mehr Arbeit, endlose häusliche Pflichten. Ihre Mutter und ihre Großmutter schimpften sie aus, wenn sie wieder einmal vergessen hatte, abzuwaschen oder Wäsche zu falten. Aber Daddy stand ihr immer bei, jedenfalls wenn er zu Hause war. Daddy sagte immer: Was braucht Liza abzuwaschen oder Wäsche zu falten? Sie soll nach Stanford gehen und studieren. »Du bist so begabt«, sagte Daddy immer. »Ich bin stolz auf dich.«
In den Ferien fuhr Daddy mit der ganzen Familie - ohne die blöde Rebecca - in die Villa der Baxters in Malibu, während Gus und Beverly mit einer Yacht nach Hawaii segelten. Daddy fragte Liza, ob sie eine Freundin mitnehmen wolle, aber Liza kannte niemanden, den sie wirklich gerne mochte. Einmal fuhren sie in den Sommerferien in den Wilden Westen. Es war ja egal, dass Daddy das Zelt nicht aufbauen konnte und dass sie fast in einer Schlammlawine steckenblieben. Und wen kümmerte es, dass es im Grayson’s mit seinen Gummiratten so eklig war? Das ließ Liza einfach aus.
Im Februar darauf klingelte schon wieder das Telefon, für Liza immer der Überbringer schlechter Nachrichten. Ginny rief vom Pomona Valley Hospital an. Es hatte einen Unfall gegeben. Wegen des Schnees.
Und dann kamen die Schlagzeilen in den Zeitungen. Großmutter bestand darauf, dass Liza und Stellina zu Hause blieben, damit sie in der Schule nicht mit hässlichen Fragen bestürmt wurden. Aber die hässlichen Bilder sahen sie trotzdem.
In den Zeitungen von Los Angeles wurde auf der ersten Seite von dem Unfall berichtet: ein Toter, ein Schwerverletzter. Man sah Bilder vom völlig zerbeulten Cadillac und glamouröse Fotos von Lois Bonner. Ihre Haare glänzten im Licht, um ihre festen runden Schultern lag eine weiße Nerzstola, die Lippen waren halb geöffnet, und sie blickte verführerisch in die Kamera. Sie war eine Schönheit. Daran gab es keinen Zweifel.
Auch in den Fernsehnachrichten füllte ihr Foto den Bildschirm. Der Sprecher sagte, ihr Tod sei eine Tragödie und beende eine vielversprechende Karriere. Lois Bonner habe wichtige Rollen am Theater gespielt und zahlreiche Western gedreht, bevor sie schließlich als Lehrerin Carrie Dunne eine der Hauptrollen in The Lariat Lawman übernommen habe, einer Fernsehserie, an die sich sicher noch viele erinnerten.
2
Eden stand in der Küche und bereitete Matts Lieblingsdessert zu, Schokoladenmandarinen. Sie hatte das Gericht selber erfunden und wollte ihn damit willkommen heißen, wenn er heute aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Matt hatte die Operation, die gebrochenen Rippen, die inneren Verletzungen überlebt. Das Lenkrad, das ihm die Vorderzähne ausgeschlagen hatte, als er nach vorn geschleudert worden war, hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Lois Bonner hingegen war durch die Windschutzscheibe geflogen und mit zerschmetterten Gliedmaßen auf den Felsen gefunden worden.
Aber Matt kam nach Hause.
Eden war bereit, ihn zu empfangen und alles hinter sich zu lassen. Sie würden noch mal von vorn anfangen. Ganz neu. Die Augen auf Zion gerichtet.
Es hatte Tage gedauert, bis sie alles für das Festmahl vorbereitet hatte. Die heißen Schokoladenmandarinen waren das letzte Gericht, das sie fertig machen musste, bevor sie zum Krankenhaus fuhr.
Sie stellte den Topf mit der geschmolzenen Schokolade auf den Tisch neben die Schale mit dem Honig. Sie hatte dieses Dessert eines Winterabends erfunden, als Ginny und Les unerwartet zum Essen kamen. Die Mandarinen wuchsen bei ihr am Baum, und dunkle Schokolade hatte sie im Schrank. Sie lächelte leise: Du nimmst das, was du zur Hand hast, und bereitest mit ein wenig Fantasie das zu, was du möchtest. Matt aß alles gern, was sie kochte, aber die Schokoladen Mandarinen liebte er ganz besonders.
Bis Marinda sie verlassen hatte, hatte Eden nur wenig Zeit in der Küche verbracht und lediglich zu besonderen Anlässen gekocht. Das alltägliche Zubereiten der Mahlzeiten hatten andere übernommen. Zuerst Ernesto mit seiner willigen Schülerin Kitty, Stella, die talentierte Marinda Reynolds. Aber nachdem Lariat abgesetzt worden war, war einfach weniger Geld da, und aus der anfänglichen Pflicht wurde bald ein Vergnügen. Die Küche wurde Edens Lieblingsraum. Die Kinder machten hier ihre Hausaufgaben, Nicky saß fröhlich auf dem Fußboden und klapperte mit den Töpfen, die sie ihm zum Spielen gegeben hatte, und auch Stella gesellte sich gerne zu ihnen.
Eden entdeckte, dass das Kochen ihr die tiefe Befriedigung schenkte, die sie immer in ihrer Berufstätigkeit gesucht hatte. Hier in der Küche konnte sie kreativ tätig werden, und beim Essen konnte sie sofort feststellen, ob sie erfolgreich gewesen war oder nicht.
Sie schälte die Mandarinen, zog das weiße Häutchen ab und tauchte die Frucht in den Honig. Dann gab sie mit einem Löffel heiße Schokolade darüber, die an den Seiten herunterlief.
»Was machst du da?« Liza kam in die Küche und rieb sich die Augen.
»Oh! Du hast mich erschreckt! Die sind für Daddy. Heute kommt er endlich nach Hause. Wo sind deine Pantoffeln? Und warum bist du überhaupt so früh wach? Du solltest noch etwas schlafen.«
»Ich habe die Schokolade gerochen.«
»Was? Bis nach oben in dein Zimmer?«
»Schokolade kann ich überall riechen.«
»Willst du mir helfen?«
»Ja.«
»Du kannst auf jede Mandarine einen kleinen Minzezweig stecken. Ist dir kalt?«
»Ja.«
»Warte, setz dich hier auf den Stuhl, und ich hole dir rasch deinen Bademantel.« Eden strich Liza liebevoll über die dunklen Haare und wandte sich zur Tür.
»Geht es ihm denn wieder gut?«
»Ja, natürlich. Deshalb haben sie ihn ja so lange im Krankenhaus behalten. Sie wollten sichergehen, dass er wieder ganz gesund ist.«
»Wird er wieder so wie früher sein?«
»Besser, Liza.«
»Ohne die zwei Schneidezähne sieht er furchtbar aus.«
»Das kann man richten. Danach wird er besser aussehen als je zuvor.«
Eden parkte den Kombi vor dem Pomona Valley Hospital. Sie überprüfte ihren Lippenstift und ihre Frisur im Rückspiegel und strich sich über den Rock. Um ihre guten Absichten zu unterstreichen, hatte sie sich für den heutigen Tag ein leichtes, blassrosa Wollkostüm gekauft, ein Kleid à la Jackie Kennedy mit hochgezogener Taille und Glockenrock und passender Jacke. Seitdem sie am Artist’s Lake waren, hatte sie ihre Haare wachsen lassen, und sie schmiegten sich lockig um ihren Kopf.
Am Empfang sagte sie: »Mein Mann wird heute entlassen. Matt March.«
»Ah, ja. Lassen Sie mal sehen. Ja. Sie können hier warten. Wir bringen ihn im Rollstuhl herunter.«
»Im Rollstuhl? Er kann doch laufen, oder nicht?« Sie hatte einen Kloß im Hals.
»Nur wegen der Vorschriften. Es war ja so eine Tragödie, Mrs. March. Die arme Lois Bonner. Sie war so schön. Und noch so jung.«
»Ja«, erwiderte Eden. »Es ist sehr traurig.«
Eden hatte im Namen der Familie March Blumen und eine Kondolenzkarte zur Beerdigung von Lois Bonner geschickt. Wohl hatte sie sich dabei nicht gefühlt, aber sie wusste nicht, was sie sonst tun sollte. An der Beerdigung teilnehmen wollte sie nicht, weil sie sicher war, dass Lois’ Familie und Freunde Matt die Schuld an ihrem Tod geben würden. Matt selber gab sich ja die Schuld daran. Als er aus der Narkose aufgewacht war, hatten sie ihm zunächst gar nicht gesagt, dass Lois tot war. Diese traurige Aufgabe war Eden zugefallen, und er begann so gegen sich selber zu wüten, dass sie ihm ein Beruhigungsmittel geben mussten. Eden besuchte ihn täglich, aber seine Selbstvorwürfe konnte sie nicht nachvollziehen, genau wie 1956, als Ernesto ertrunken war. Es war ein Unfall gewesen. Weiter nichts.
»Ich soll Sie wegen der Blumen fragen«, sagte das Mädchen am Empfang. »Die Leute haben Ihrem Mann Unmengen von Blumen geschickt. Möchten Sie sie mitnehmen?«
»Nein, danke. Sie können sie verteilen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, Mrs. March.«
Eigentlich war es nicht nett von ihr, dachte Eden. Sie wollte nur nichts mit nach Hause nehmen, was sie an den Unfall erinnerte. Die Vergangenheit sollte hier zurückbleiben. Eden setzte sich in die Halle, um zu warten.
Endlich brachten sie Matt, und Eden beugte sich zu ihm herunter, um ihn zu küssen. Er lächelte sie an, und die Zahnlücken wurden sichtbar. Obwohl er frisch rasiert war, roch er nach Krankenhaus und Desinfektionsmitteln. Vorsichtig berührte er ihren Rock.
»Du siehst wunderschön aus, Süße. Schöner, als mir zusteht. Lass uns nach Hause fahren.«
Die Krankenschwestern reichten Eden einen großen Umschlag mit den Anweisungen des Arztes und Terminen für die Nachuntersuchungen. Sie packten seine wenigen Habseligkeiten in den Wagen und halfen Matt beim Einsteigen. Dann drückten sie ihm seinen Stock in die Hand und winkten ihnen nach, bis Eden um die Ecke bog.
Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Sein Gesicht war faltig, seine Haare grau gesprenkelt, und er sah älter aus als einundvierzig. Seine Haut hing an ihm wie ein zu groß geratenes Kleidungsstück. Er wirkte reumütig und schmerzerfüllt.
»Ich habe deine Sonnenbrille mitgebracht«, sagte sie schließlich, um das Schweigen zu brechen. »Sie ist im Handschuhfach.«
»Danke.« Er blickte sie nicht an.
»Aber eigentlich brauchst du sie heute nicht. So hell ist es nicht.«
»Doch, sie schützt mich.« Er holte sie heraus und setzte sie auf.
»Vor was?«
Erneut schwiegen sie eine Weile. »Ich kann es nicht ertragen zu sehen, was ich getan habe«, sagte er schließlich. »Es tut mir leid, Eden. Leid, wegen der Schmerzen und der Verletzungen, die ich verursacht habe...« Er atmete aus und zuckte zusammen; die gebrochenen Rippen schmerzten noch. »Ich weiß, dass ich das schon öfter gesagt habe, aber es stimmt. Es tut mir leid. Ich verdiene deine Liebe nicht. Wirklich nicht.«
»Doch.« Eden schluckte und drängte die Tränen zurück, die ihr in die Augen traten. »Ich liebe dich.«
»Es tut mir leid um Lois. Ich kann es nicht fassen, dass sie tot ist und ich sie nie wiedersehen werde. Sie ist weg, und ich werde sie nie wiedersehen.«
Eden wollte schon antworten, dass es doch ein Unfall war, aber im letzten Moment hielt sie die Worte zurück. Es hatte sich so angehört, als ob er sie liebte. O Gott, hoffentlich erzählte er ihr jetzt nicht, wie sehr er sie liebte.
»Ich habe sie geliebt. Es tut mir leid, aber es ist wahr. Jetzt ist sie weg, und ich werde sie nie wiedersehen.« Er weinte.
Jedes Mal, wenn Eden in den letzten zwei Wochen ins Krankenhaus gegangen war, hatte sie an Aftons Worte über Matts leidenschaftliche Trauer gedacht, aber sie sagte sich immer wieder: Ich bin da, ich lebe, ich bin bei Matt und Lois nicht. Jetzt reichte sie ihrem Mann ein Kleenex. »Wir wollen nicht zurückblicken. Wir wollen nach vorn schauen. Wir haben unsere Arbeit, Greenwater, unsere Kinder, unser gemeinsames Leben und unsere Liebe. Du kommst nach Hause. Das ist das Wichtigste.«
Er trocknete seine Tränen und wartete, bis der Schmerz in seinem Brustkorb nachließ. »Es tut mir alles so leid. Verzeih mir bitte, Eden. Ich kann nicht weiterleben, wenn du mir nicht verzeihst. Es ist alles meine Schuld.«
»Sag das doch nicht. Ich lasse nicht zu, dass du so etwas sagst.« Sie streckte ihre rechte Hand aus, und er ergriff sie.
»Verzeihst du mir?«
»Natürlich. Wir müssen einfach nur zusammenbleiben und...«
»Sag es mir, Eden. Ich muss es hören. Verzeih mir.«
Es auszusprechen fiel ihr schwerer, als sie geglaubt hatte. Sie wollte ihm verzeihen, aber sie bekam die Worte kaum über die Lippen. Auch sie gab ihm die Schuld, an dem Unfall, weil er Geheimnisse vor ihr gehabt hatte, weil er sie nicht so liebte wie sie ihn.
»Du brauchst es ja nicht so zu meinen«, beschwor er sie. »Sag mir einfach nur, dass du mir eines Tages verzeihst, ja?«
»Ja.«
»Wann?«
»Ich verzeihe dir. Ich bin deine Frau«, sagte sie. »Ich liebe dich. Ich habe dich immer geliebt. Ich werde dich immer lieben. Alle freuen sich, dass du nach Hause kommst. Wir haben tagelang in der Küche gestanden, um das Festmahl für deine Heimkehr vorzubereiten. Und alle werden da sein.«
Runzelte er die Stirn? Nun, wenn sich herausstellte, dass es zu anstrengend für ihn war, konnte er ja nach oben gehen. Aber das Fest würde doch zumindest ausdrücken, wie sehr sich alle freuten.
Als sie auf die Hacienda zufuhren, kamen Liza und Stellina die Vordertreppe heruntergestürzt. Hinter ihnen wackelte der kleine Nicky, der in seinem Matrosenanzug ganz entzückend aussah. Stella erschien in der Tür, und hinter ihr drängten sich Ginny, Annie und alle anderen. Liza und Stellina trugen beide rote Samtkleider mit Spitzenkragen und Puffärmeln, weiße Strumpfhosen, Lackschuhe und Samtschleifen im Haar. Eden lächelte, als sie daran dachte, wie viel Mühe Stella sich gegeben hatte, sie so herauszuputzen.
Die Kinder waren ermahnt worden, ihren Vater vorsichtig zu umarmen, weil Daddys Rippen doch noch nicht ganz verheilt waren. Beim Anblick von Matts zahnlosem Lächeln brach Nicky erschreckt in Tränen aus, und Liza und Stellina taten es ihm nach.
»Na, na«, schalt Matt sie sanft. »Ich bekomme neue Zähne. Leute ohne Zähne sehen blöd aus, und das kann ich doch nicht zulassen, oder?« Er stützte sich auf seine Kinder und humpelte in die Küche.
Stella sank ihm weinend an die Brust, dann jedoch richtete sie sich auf und wischte sich über die Augen. »Heute bin ich so glücklich, dass ich wieder jung bin, Matt. Heute kann mich kein böses Auge treffen.«
Auch Afton und Tom, die ihn regelmäßig im Krankenhaus besucht hatten, begrüßten Matt. Les Doyle kam herein und reichte Matt seine Cowboystiefel, die er neu besohlt und poliert hatte. Matt strahlte, als er hineinschlüpfte. »Danke, jetzt bin ich wieder ich selber.«
»Komm mit, Daddy«, sagte Liza und zog ihn zum Esszimmer, wo sein Stuhl mit roten Bändern geschmückt war. Die Mädchen hatten rote Papierherzen ausgeschnitten und sie ins Fenster gehängt.
»Ich habe das alles nicht verdient«, sagte Matt zu Eden, als ob sie allein wären.
Liza zog an seiner Hand. »Ich habe den Tisch gedeckt, und ich sitze hier neben dir.«
»Und ich auf der anderen Seite«, piepste Stellina. »Ich habe auch geholfen. Schau dir die Karten an, Daddy. Wir haben jeder eine Karte für dich gemacht.«
»Ja. Nicky hat nur gekritzelt«, warf Liza ein.
Eden stand hinter ihm, als Matt ernst die Karten mit den Buntstiftzeichnungen und Gedichten betrachtete. Er küsste die Kinder und kämpfte mit den Tränen. »Ich habe das alles nicht verdient«, wiederholte er und griff nach Edens Hand.
»Es ist wie Weihnachten, Daddy«, sagte Stellina.
Und das Essen war auch so üppig wie an Weihnachten. Matt schnüffelte an seiner Suppe, dann blickte er lächelnd auf. »Sie wollten mich im Krankenhaus verhungern lassen«, sagte er. »Gummihühnchen, verkochte Bohnen. Ich habe schon ganz vergessen, was gutes Essen ist.« Er hob sein Weinglas. »Auf alle guten Köche!«
Alle hoben ihre Gläser und tranken ihm zu. Als Eden aufstand, um eine neue Flasche Wein zu holen, läutete es an der Tür. »Ich mache schon auf!«, rief sie den anderen zu, wobei sie sich fragte, wer wohl noch kommen mochte. Es waren doch schon alle da.
Vor der Tür standen Gus und Beverly Baxter, die kühl, schick frisiert und elegant aussah. »Wir haben gehört, dass Matt heute nach Hause kommt und waren zufällig auf dem Weg«, erklärten sie.
Normalerweise lag Greenwater nicht auf dem Weg, dazu war es viel zu abgelegen, also musste Matt den Baxters wohl Bescheid gesagt haben. Eden ging im Geiste die Namen der Leute durch, die sich seit dem Unfall gemeldet hatten. Die Baxters waren nicht dabei. Sie hatten nicht einmal angerufen.
Beverly drückte Eden einen riesigen Blumenstrauß in die Arme. Sie kamen so frisch aus dem Kühlhaus des Floristen, dass sie sich eiskalt anfühlten. Gus und Beverly waren gekleidet, als ob sie zu einem Empfang wollten. Aber nicht hierher. »Wir feiern mit der Familie«, sagte sie und machte keine Anstalten, sie hereinzulassen.
»Oh, wir wollten Sie ganz bestimmt nicht stören«, sagte Beverly. »Wir freuen uns nur, dass Matt wieder zu Hause ist.«
»Wir wollten nur rasch Hallo sagen«, fügte Gus hinzu, »und sehen, wie es ihm geht.«
Unschlüssig blieb Eden einen Moment lang stehen, aber dann siegten ihre guten Manieren, und sie führte die Baxters ins Esszimmer.
Matts Gesichtsausdruck hellte sich auf, als sie hereinkamen, und Eden war froh, dass sie nachgegeben hatte. Annie holte weitere Teller, und Eden platzierte Gus zwischen Afton und Lil und Beverly zwischen den schweigsamen Tom Lance und den gleichermaßen phlegmatischen Ernest Douglass.
Afton musterte Gus. »Ich weiß, dass wir uns schon vorgestellt wurden, aber ich kann mich nicht an Ihren Namen erinnern. Kannst du dich erinnern, Lil?« Sie wandte sich über Gus’ beachtlichen Bauch hinweg an ihre Schwester.
»Nein, leider auch nicht.«
»Sie haben irgendetwas mit meinem Schwiegersohn zu tun. Eden ist eigentlich meine Nichte, aber da ihre lieben Eltern beide schon ins Himmlische Reich eingegangen sind, ist sie für mich wie eine Tochter, zumal ich sie sozusagen großgezogen habe.« Afton befahl Gus, ein Sauerteigbrötchen zu probieren, und reichte ihm den Teller.
Gehorsam biss Gus hinein und erwiderte, er sei der Produzent von Gold of the Yukon gewesen.
»Nun, dann sind Sie vielleicht genau die Person, mit der ich mich unterhalten muss!«, erklärte Afton. »Ich versuche seit Jahren schon, Matt davon zu überzeugen, dass er einen Film aus dem Buch der Mormonen machen soll.«
»Das wäre aber ein langer Film.« Gus steckte eine Gabel voll mit Bohnen in cremiger Artischockensauce in den Mund. Genießerisch schloss er die Augen und beugte sich dichter über seinen Teller, um den Duft des Schweinelendenbratens einzuatmen.
»Nach meinem Rezept«, sagte Afton. »Allerdings hat Eden es ein wenig abgewandelt, und jetzt ist es ihres. Ich verstehe einfach nicht, warum man in Gängen essen muss. In meinem Haus wird einfach alles auf den Tisch gestellt, und man kann sich nehmen, was man möchte. Dann ist man wenigstens nicht schon satt, bevor man zu den wirklich guten Sachen kommt. Finden Sie nicht auch?«
Gus nickte und schob sich eine karamellisierte Perlzwiebel zwischen die Lippen.
»Aber Sie haben mich missverstanden«, fuhr Afton fort. »Ich dachte nicht an das gesamte Buch der Mormomen, sondern lediglich an die große Schlacht zwischen Nephiten und Lamaniten. Natürlich befinden sich die Hügel von Cumorah Upstate New York, aber man könnte es doch bestimmt auch direkt hier auf Greenwater filmen. Das wäre einmal ein wundervoller Film! Kampfszenen im Dienste einer guten Sache und nichts von diesem Bettgeflüster.«
»Meine Schwester hat recht«, warf Lil ein. »Sie hat immer recht. Da brauchen Sie nur ihre acht Kinder zu fragen. Und Eden. Afton irrt sich nie.«
Das üppige Festmahl endete mit drei verschiedenen Desserts, obwohl alle protestierten und stöhnend erklärten, nichts mehr herunterzubekommen.
»Es wäre kein Familienfest der Marchs, wenn es nicht drei Desserts gäbe«, erwiderte Eden lächelnd. Sie war froh, dass Matt die düstere Stimmung anscheinend überwunden hatte und glücklich die allgemeine Aufmerksamkeit genoss. Es gab Prairie Ferns Zitronen-Baiser-Kuchen, einen mexikanischen Schokolade-Käse-Kuchen, den Eden nach einem Rezept von Marinda übernommen hatte, und Matts Lieblingsnachtisch, Schokoladenmandarinen in Cointreau, mit Schokoladenhauben und Minzblättchen.
Nach dem Dessert durften die Kinder aufstehen und hinauslaufen. Afton, Tom und Lil verabschiedeten sich mit Alma und Walter Epps, weil sie noch eine lange Heimfahrt nach St. Elmo vor sich hatten. Auch Ernest fuhr mit seinen drei Kindern und Prairie Fern nach Hause, und Annie würde ein wenig später mit Ginny und Les nachkommen. Eden brachte Kaffee und Likör für die restlichen Gäste. Es dämmerte schon, und sie hatte die Wandbeleuchtung eingeschaltet. Zusätzlich zündete sie noch ein paar Kerzen an. Sie erstarrte, als sie hörte, wie Gus Rex Hogan erwähnte. Von Rex Hogan zu Lois Bonner war es nur ein kleiner Schritt. Annie unterbrach ihn und fragte, ob er Zucker in den Kaffee wolle.
Gus lehnte ab und fuhr fort: »Mit seiner Karriere ist es ja nach Lariat ziemlich bergab gegangen, aber da war er nicht der Einzige. Von Spud Babbitt hat man auch nie wieder was gehört.«
»Rex war ja auch kein besonders großer Schauspieler«, warf Eden rasch ein, damit niemand Lois Bonner erwähnte.
»Nein«, stimmte Gus zu, »aber er konnte zumindest wirklich gut reiten.«
»Ja, er kam auf ein Pferd hinauf und wieder herunter«, sagte Ginny.
»Er war kein Stuntman«, erwiderte Gus, »aber in Europa wirkt er wie ein Cowboy.«
»In Europa?«, fragte Matt.
»Hast du jemals von einem Typ namens Karl May gehört? Nein? Kein Wunder, er ist ein Kraut, der Western geschrieben hat, echt erfolgreiche Westernklassiker. Seit Jahren werden Filme daraus gemacht, und Rex Hogan hat in einem mitgespielt. Es ist eine deutsch-jugoslawische Produktion, sehr klischeehaft, aber sie hat harte Dollars eingebracht und Rex berühmt gemacht.«
»Wir waren gerade in Europa«, ergänzte Beverly. »Seit Weihnachten schon. Hauptsächlich in Rom. Alle Studios haben dort investiert.«
Sie erzählte weiter von Rom, aber Eden hörte gar nicht mehr zu. Dann waren die beiden also gar nicht am Baldy gewesen. Sie hatte angenommen, sie seien bei den Dreharbeiten dabei gewesen. Jetzt aber stellte sich heraus, dass sie erst zu Lois Bonners Beerdigung wiedergekommen waren und danach Matt auch im Krankenhaus besucht hatten.
»Rom ist neuerdings die angesagte Stadt«, fuhr Gus fort und goss einen Schuss mexikanischen Kaffeelikör in sein Glas. »Die Innenaufnahmen werden in Rom im Studio gemacht und die Außenaufnahmen in Spanien oder Jugoslawien.«
»In Jugoslawien?« Matt machte eine unbedachte Bewegung und zuckte zusammen, weil ihm die Rippen wehtaten. »Das ist aber nicht der Wilde Westen.«
»Im Film wirkt es so.« Gus zuckte mit den Schultern. »Und es arbeiten eine ganze Menge Amerikaner mit.«
»Ja«, warf Beverly ein, »auch dieser Schwarze, der in Lariat mitgespielt hat. Wie hieß er noch mal?«
»James Hayes«, sagte Matt. »Guter Mann.«
»Ja, er ist drüben ziemlich erfolgreich. In Europa gibt es nicht so viele Vorurteile wie hier.«
»Und die übrigen Excowboys finden Arbeit in den ganzen Toga-Filmen. Herkules, Samson, die letzten Tage von Pompeji und so. Heutzutage ist Rom das Hollywood am Tiber, und manche von den Typen leben wie die Könige in Europa.«
»Na ja, das ist vielleicht übertrieben«, sagte Beverly.
»Aber sie haben zumindest Arbeit, und hier säßen sie auf der Straße«, erwiderte Gus. »Außerdem sind in Rom zahlreiche Typen, die hier in den Fünfzigerjahren auf der schwarzen Liste standen. Frankie Pierinos Bruder zum Beispiel.«
»Paul ist Frankies Onkel«, sagte Matt. »Er ist der wesentlich jüngere Bruder seines Vaters und musste das Land verlassen, weil er homosexuell ist.«
»Na, in Italien interessiert es keinen, mit wem er schläft. Rex Hogan erinnerte sich daran, dass du mit den Pierinos so gut befreundet bist. Er hat Paul angerufen, und am nächsten Tag haben wir uns mit ihm zum Essen getroffen. Wir sollen dich grüßen, und wenn du jemals in Rom bist, sollst du dich melden.« Gus prostete Matt zu. »Das ist der Ort, an dem die nächsten großen Western gedreht werden, ich sage es dir.«
»Entschuldigt mich«, erklärte Stella und erhob sich. »Nein«, abwehrend hob sie die Hände, »Eden, Annie, Ginny, ihr bleibt hier. Ich beginne schon einmal mit dem Abwasch.«
»Na, auf jeden Fall war es schön, dass wir den guten alten Rex mal wieder gesehen haben, was, Baby?«, erklärte Gus, ohne auf Stella zu achten.
»Ja«, pflichtete Beverly ihm bei. »Wir waren mit ihm im Studio in Cinecittà. Es ist riesig da, eine ganze Filmstadt.«
»Wie kann Rex denn in italienischen oder deutschen Filmen mitspielen?«, fragte Annie. »Rex Hogan kann ja kaum Englisch lesen.«
»Das braucht er auch nicht. Er braucht nur zu spielen, und die Stimmen werden später im Studio unterlegt.«
»Na, da schließt sich ja irgendwie der Kreis, was?« Matt trank seinen letzten Schluck Limoncello. »Mein Onkel war ruiniert, als der Tonfilm kam, weil er nur gebrochen Englisch sprach. Und heutzutage werden in Rom die Schauspieler synchronisiert, sodass sie in ihrer Muttersprache reden können. Es wäre schön gewesen, wenn Ernesto das noch erlebt hätte.«
Am liebsten hätte Eden Gus und Beverly mit der Fliegenklatsche hinausgejagt, aber stattdessen sagte sie mit ihrer besten Winifred-Merton-Stimme: »Ich glaube, es wird für Matt zu anstrengend. Er ist erschöpft. Es war ein langer Tag.« Das Fest war vorüber.
Eden schaltete die Lampen auf ihren Nachttischen ein und half Matt beim Ausziehen. Zusammengesunken saß er auf dem Bett, und sie zog ihm die Cowboystiefel aus. »Bald gehst du in diesen Stiefeln wieder überall hin, Matt.«
»Ohne Schneidezähne.«
»Das kann man richten. Man kann alles richten, Matt.« Vorsichtig sank er aufs Bett. »Bleib bei mir, Eden.« Er rutschte ein wenig, damit sie sich neben ihn setzen konnte. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie schön es ist, wieder zu Hause zu sein.«
Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht. »All diese Leute. Ich hätte nicht...«
»Es war gut so. Ich habe mich sehr gefreut, alle zu sehen, und ich war ganz gerührt, dass du auch Gus und Beverly eingeladen hast. Ich weiß doch, dass du sie nicht leiden kannst.«
»Na ja, ich hasse sie ja nicht«, wich sie aus.
»Sie waren gut zu mir, Eden. Sie sind gute Freunde, gute Menschen. Ich habe fast geweint, als sie mich im Krankenhaus besucht haben. Sie haben so viel Geld bei Gold of the Yukon verloren, aber es kam kein einziger Vorwurf. Ich habe ihnen gesagt, wie leid es mir täte, aber sie wollten nichts davon hören. Und du hast sie ja heute erlebt, sie waren wirklich mitfühlend. Sie haben Gold of the Yukon noch nicht einmal erwähnt, sondern hatten neue Ideen. Sie haben sich nicht so benommen, als ob sie mich für einen Versager hielten.«
»Du bist auch kein Versager. Sag so etwas nicht.«
»Gold of the Yukon wird nie gedreht werden. Das ist vorbei.«
»Ja und? Vergiss es. Ich will nichts mehr davon hören. Du bist kein Versager.«
Matt holte vorsichtig Luft. »Doch, das bin ich. Ein Versager und ein Lügner.«
»O Matt...« Eden begann zu weinen.
»Ich weiß nicht, was ich mir gedacht habe...« Er zog ihre Hand an die Lippen. »Doch, ich weiß es schon. Ich habe gedacht, ich hätte der Welt etwas mitzuteilen, etwas Authentisches, über das nur ich verfüge.«
»Aber das hast du doch auch, Matt.« Eden drängte ein Schluchzen zurück.
»Nein, ich habe eine Lüge gelebt, seit dem Tag, als ich in der Schule meinen Vater verleugnet habe. Ich bin ein Lügner und ein Versager.«
Eden küsste ihn und murmelte, er würde wieder zu Kräften kommen und seine Visionen wiederfinden. Obwohl seine hochfliegenden Pläne und seine Lügen ihre Ehe beinahe zerstört hatten, wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als dass er an einem neuen Traum festhalten und wieder zum strahlenden Mittelpunkt ihres Lebens auf Greenwater werden würde.
• Schokoladenmandarinen •
Die Mandarinen sorgfältig schälen. Sie müssen absolut frisch sein, mit dünner, weicher Haut. Setzen Sie Wasser auf und schmelzen Sie etwa ½ Tasse dunkle Schokolade - für 4 Mandarinen - im Wasserbad.
Gießen Sie ein wenig duftenden Honig in eine flache Schale und wenden Sie jede Mandarine so lange, bis sie von allen Seiten mit Honig bedeckt ist. Dann setzen Sie sie einzeln in die Schalen oder Teller, auf denen Sie sie servieren wollen. Gießen Sie mit einem Suppenlöffel geschmolzene Schokolade über jede Mandarine, sodass die Schokolade an den Seiten herunterläuft, jedoch nicht die ganze Frucht bedeckt. Gerade die Farbkontraste machen den Reiz dieses Desserts aus. Mit einem Zahnstocher oder einem schlanken Messer stoßen Sie in die Mitte der Mandarine, sodass sich die Schokolade auch nach innen verteilt. Stecken Sie einen frischen Minzezweig in die Mitte der Frucht. Falls Sie Schokolade übrig haben, zeichnen Sie damit ein Muster auf dem Dessertteller.
Am besten bereiten Sie dieses Gericht frisch zu. Die Schokolade wird hart werden, und der Honig wird sich unten auf dem Teller um die Frucht sammeln. Vor dem Servieren geben Sie einen Schuss Cointreau oder einen anderen bernsteinfarbenen Likör auf den Teller. Essen Sie das Dessert mit Messer und Gabel.
Ein festlicher Nachtisch für ein Winteressen.
MOMENTAUFNAHME
College-Aufsatz
Als sie 1971 für die Aufnahme aufs College einen Aufsatz schreiben musste, beschrieb Liza Ruth March ihre Schulzeit in Rom, bei der sie wie die anderen Kinder eine niedliche kleine Schuluniform mit großer Schleife um den Hals getragen hatte. In ihrem Aufsatz behauptete Liza, dass sie mit elf Jahren, nach nur drei Monaten in Rom, fließend Italienisch sprach. Auf jeden Fall wesentlich besser als ihre Schwester Stellina. Die Schauspieler, die sie in Cinecittà trafen, sagten alle, wie entzückend die March-Mädchen seien - vor allem Liza -, und was sie für einen hübschen römischen Akzent hätten. Dieser schön geschriebene College-Aufsatz war so erfolgreich, dass Liza ein Stipendium für Vassar, ihre erste Wahl, bekam. Liza wollte so weit nach Osten wie möglich. Den goldenen Westen hatte sie satt.
Lizas Aufsatz begann mit der schwierigen Rekonvaleszenz ihres Vaters nach einem Unfall im Schnee. Es dauerte ein ganzes Jahr, aber dann war er wiederhergestellt, und im Januar 1964 ging er nach Rom. Paul Pierino, ein Bühnenbildner, der schon lange mit den Marchs befreundet war, besorgte Daddy einen Job in Cinecittà, wo er englische Synchrontexte für Schwert-und-Sandalen-Filme und ein paar Western schrieb. Der Rest der Familie folgte ihm im Februar oder März.
So genau brauchte der Aufsatz zum Glück nicht zu sein, und Liza konnte darüber hinweggehen, dass ihre Mutter eigentlich erst im Juni in den Schulferien nach Rom hatte fahren wollen. Dass sie schon viel früher dorthin mussten, lag daran, dass ihre Mutter sich zunehmend Sorgen machte, weil die Telegramme und Anrufe des Vaters immer verzweifelter und deprimierter klangen.
Aber was machte das schon! Jetzt ging es erst einmal nach Rom! Sie lebten in der Wohnung, die Daddy an der Via Paolo Emilio in der Nähe des Vatikans gemietet hatte. Ihre Großmutter war glücklich, dass sie jeden Tag zur Peterskirche gehen konnte.
Als das römische Schuljahr zu Ende war, kaufte Daddy einen gebrauchten Fiat, und sie machten eine lange Urlaubsreise durch ganz Italien. Daddy fuhr ohne jede Furcht.
In Lizas Aufsatz stand: Im Sommer 1964, mit elf Jahren, sah ich die Sonne über der Adria aufgehen und im Mittelmeer untergehen. Ich fuhr in die Toskana, nach Poggibonsi, und lernte Leute kennen, die sich an meinen Großvater erinnerten. Eloquent schrieb sie über schmale Sträßchen, sonnige Piazzas, erwähnte jedoch mit keinem Wort, dass ihr Poggibonsi wie der langweiligste Ort auf dem gesamten Planeten vorgekommen war.
3
Eden schmiegte sich an Matt und genoss die Wärme ihrer Körper. Er zog sie fester an sich.
Von unten drangen die Stimmen ihrer Töchter herauf, die sich mal wieder stritten. Anscheinend frühstückten sie auf der kleinen Hotelterrasse an der Piazza. Poggibonsi war eine seltsame, abgelegene kleine Stadt. Nur wenige Menschen sprachen Englisch, und Touristen kamen nur selten hierher. Matt jedoch gab sich viel Mühe, um den allerbesten Eindruck zu hinterlassen. Sie waren jetzt schon zwei Tage hier, und Matt hatte jeden für sich eingenommen, vom brummigen alten Markthändler bis hin zum jüngsten Zimmermädchen im Hotel. Immer wieder erzählte er die Geschichten von seinem Vater und seinem Onkel, und wenn sein Italienisch nicht ausreichte, musste Liza einspringen, die ein bemerkenswert fließendes Italienisch sprach.
Es klopfte an ihre Zimmertür, und Eden warf sich rasch einen Morgenmantel über ihr dünnes Nachthemd. »Herein!« Sie öffnete die Tür, und Nicky stürmte jubelnd ins Zimmer. In der Hand hielt er eine kleine hölzerne Pinocchio-Puppe, die ihm jemand geschenkt hatte. Mit ihrem roten Hut, der langen Nase und den großen Augen sprach diese Puppe zu Nicky in seiner eigenen Sprache.
Hinter ihm kam Stella herein. Sie setzte sich. »Sag die Wahrheit, Nicky. Die Marktfrau hat sie dir nicht geschenkt.« An Matt und Eden gewandt fügte sie hinzu: »Ihr wisst schon, was ich meine. Er geht einfach zu ihr hin und fragt, ob er die Puppe haben kann, und sie gibt sie ihm.« Sie drohte Nicky scherzhaft mit dem Finger. »Du bist ein böser Junge«, erklärte sie. »Ich habe zu ihm gesagt: ›Nicky, wenn du das Spielzeug haben willst, dann musst du auf Italienisch darum bitten.‹« Stella wirkte äußerst zufrieden mit sich.
»Und? Hast du auf Italienisch gefragt?« Matt nahm seinen Sohn auf den Arm und prustete ihm einen Kuss in den Nacken. Das Kind schrie vor Entzücken.
»Ja, sehr höflich sogar. Er hat ein richtiges Gespräch mit ihr geführt«, erwiderte Stella.
»Siehst du«, sagte Eden zu Matt. »Wenn Nicky wirklich etwas will, kann er sich richtig anstrengen. Du solltest es häufiger von ihm verlangen. Mit Charme erreicht man auch nicht immer alles.«
»Warum nicht? Schließlich sind wir hier!« Er lachte. »Okay, alle hinaus. Eden und ich ziehen uns an. Gleich fahren wir nach Siena.«
»Weiß der Himmel, warum wir nicht gleich in einem Hotel in Siena abgestiegen sind«, brummelte Stella und erhob sich.
»Mama! In Siena kann doch jeder wohnen, aber um in Poggibonsi zu wohnen, muss man hierhin gehören! Hier kennt man uns und unsere Familie eben!«
»Sie nehmen dich aus, Matt.« Stella schnaubte verächtlich. »Du gibst viel mehr Geld aus als sonst.«
Die Markise über ihren Köpfen flatterte im Wind, als sie vor den Resten ihres Mittagessens saßen. Auf der sonnenbeschienen Piazza spielten zwei Geiger, ihre Kästen offen vor sich auf dem Boden, bekannte Stücke. Nicky saß in der Nähe des Tisches auf dem Boden und spielte mit seinem Pinocchio, und neben ihm kniete Stellina und malte mit bunter Kreide auf den Pflastersteinen. Liza saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch und las.
Matt zog Edens Hand an die Lippen. Überrascht lächelte sie ihn an. Er ergriff auch Stellas Hand und strahlte die beiden Frauen an. »Das war wirklich eine großartige Zeit, was?«
»Na ja, wenn man von deinen Fahrkünsten absieht«, erwiderte Stella. »Deine Fahrerei hat eine alte Frau aus mir gemacht.«
Eden lachte leise. Es stimmte, Matt fuhr wie ein Italiener, schnell und ohne sich großartig um Verkehrsregeln zu kümmern. Aber es passte zu ihm, und für sie hatte es zu der entspannten Atmosphäre dieser Ferien noch beigetragen.
Matt winkte dem Kellner und bestellte drei Kaffee und zwei Portionen der besten Desserts, die sie auf der Karte hatten.
»Ich kann nichts mehr essen«, sagte Eden.
»Ich aber. Von hier aus fahren wir also zurück nach Rom und dann wieder nach Kalifornien. Und wenn ich aus Spanien zurück bin, sind wir alle wieder zusammen.«
»Spanien?« Eden erstarrte. »Spanien? Was ist denn mit deiner Arbeit in Rom?«
»Ich muss mir in Spanien nur mal rasch ein Motiv besichtigen. Ich bin ganz dicht dran, Eden, ganz dicht, um mit den Dreharbeiten beginnen zu können. Ihr fahrt nächste Woche nach Hause, und ich komme darauf nach.«
Eden warf Liza einen Blick zu, die scheinbar aufmerksam in ihrem Buch las, dann blickte sie Stella an, die seit Matts Unfall die nervöse Angewohnheit entwickelt hatte, ständig Rosenkränze zu beten. »Warum sollten wir denn nicht hier bleiben? Wir können doch in Rom bleiben, wenn du nach Spanien musst.«
»Aber ich muss doch arbeiten! Das hier...« Er machte eine ausholende Geste. »Das hier ist nicht unser wirkliches Leben. Unser wirkliches Leben findet in Kalifornien statt. Ich werde diesen Film machen und als Held nach Kalifornien zurückkehren.«
»Du bist doch schon ein Held, Daddy«, warf Liza ein und klappte ihr Buch zu, ohne die Seite zu markieren.
Matt lachte. »Nein, so darf man das nicht sehen. Ich darf mir diese Chance nicht entgehen lassen. Ihr fahrt nach Kalifornien, und wenn ich dann nach Hause komme, werdet ihr stolz auf mich sein.«
»Ich bin schon jetzt stolz auf dich, Matt. Du brauchst dich nicht zu beweisen. Warum bleibst du nicht einfach bei uns? Komm mit uns nach Kalifornien und sei ein glücklicher Mann.«
»Ich bin ein glücklicher Mann!«
»Warum schickst du uns dann weg?«
»Mach nicht so viel Aufhebens darum, Eden.« Er zog sie an sich und küsste sie auf die Stirn. »Ich habe eure Tickets schon letzte Woche gekauft. Es sollte eine Überraschung sein.«
Wie bei deiner ersten Frau, hätte Eden am liebsten geantwortet, aber sie schwieg, weil Liza dabei saß. Wenn sie mit Matt allein gewesen wäre, hätte sie bestimmt ein paar böse Bemerkungen gemacht. Sie hatte ihr Vertrauen in Matt verloren, obwohl sie ihn noch liebte. Die Liebe überlebt oft unter den seltsamsten Bedingungen. »Wir lassen dich hier nicht allein zurück.«
»Allein! Wie soll man in Rom allein sein?«
»Oh, ich habe gar keinen Zweifel daran, dass du nicht allein sein wirst. Du hast bestimmt jede Menge Freunde, die nur zu gerne unseren Platz in deinem Leben einnehmen werden.«
»Bitte, Eden. Deinen Platz kann niemand einnehmen. Niemals!«
»Es ist nicht gut für dich, allein zu bleiben«, erklärte Stella.
»Ein Mann, der Arbeit hat, ist nie allein«, erwiderte Matt. »Eine kurze Reise nach Spanien. Es ist alles so billig, ich kann es selber gar nicht fassen! Genau wie Gus gesagt hat. Für fünfzigtausend Dollar, oder sogar weniger, kannst du hier ein Meisterwerk machen!«
Eden stöhnte auf. Verlang nicht zu viel von ihm, dachte sie, sonst verlierst du alles. Sie klammerte sich schon längst nicht mehr an ihren gemeinsamen Erfolg. Die Baxters hatten sie als Matts Partner abgelöst. Und Eden, die sie verachtete und ihnen misstraute, musste zugeben, dass sie eine wichtige Rolle bei Matts Genesung gespielt hatten, indem sie mit ihm Pläne geschmiedet hatten. Sie hatte sie gewähren lassen, weil sie unbedingt wollte, dass Matt wieder vollständig gesund würde. Aber jetzt war ihr klar, dass sie Wind gesät hatte.
Nickys sonniges Gemüt war durch nichts zu beeinträchtigen, aber Liza, Stellina, Eden und Stella schwiegen grimmig, als sie nach Rom zurückfuhren. Matt tat so, als merke er nichts.
Liza hatte einen verzweifelten Wutausbruch, schlug ihrem Vater mit den Fäusten an die Brust und beschuldigte ihn, er wolle sie loswerden, er liebe sie nicht. Hilflos musste Eden zuschauen, wie er bei seiner Tochter die gleiche Taktik anwendete, die er immer bei ihr angewendet hatte: Wenn sie ihren Daddy wirklich liebte und an ihn glaubte, würde sie tapfer sein und ihren kleinen Geschwistern mit gutem Beispiel vorangehen. Sie glaubte doch an ihren Daddy, oder?
Als Eden in jener Nacht neben Matt im Bett lag, sagte sie in die Dunkelheit: »Wie kannst du nur so tief sinken, die Liebe, die wir für dich empfinden, als Waffe gegen uns zu benutzen? Als Waffe gegen ein Kind?«
Matt wandte ihr den Rücken zu.
Am nächsten Tag packte Liza klaglos ihren Koffer, um ihrem Vater zu beweisen, wie tapfer sie war und wie sehr sie ihm vertraute.
Einen Tag vor ihrer Abreise kehrte Stella von ihrer morgendlichen Andacht aus St. Peter zurück und verkündete, sie bliebe hier.
»Wenn ich jetzt fahre«, sagte Stella entschlossen, »hat die Heilige Jungfrau oder ein Engel zu mir gesagt, sehe ich meinen Sohn in diesem Leben nicht mehr wieder. Also muss ich hierbleiben. Ich habe diese Stimme so deutlich gehört, wie ich dich höre.« Sie zeigte auf Matt. »Sie hat Englisch gesprochen«, fügte sie hinzu.
Matt tobte und verlangte von Eden, sie solle dafür sorgen, dass Stella mit nach Amerika käme, aber Eden erwiderte: »Sie ist deine Mutter. Und wenn sie der Meinung ist, dass die Heiligen es ihr gesagt haben, werde ich sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Das musst du schon selber machen.«
Aber es geschah nicht so, wie Stellas Vision es vorausgesehen hatte.
An einem Nachmittag im September hatten Stella und Matt gerade ihr Mittagessen beendet. Matt wischte sich den Mund ab und verkündete: »Es war großartig! Die Tortellini mit deiner Sauce, Mama! Etwas Besseres gibt es nicht! Und der Wein, der Wein war wundervoll!«
In Rom hatte Stella immer ein wenig Sauce auf dem Herd stehen. Matt erklärte, er liebe diese Sauce, sie erinnere ihn an Feste, an zu Hause. Und Stella vermisste zwar Eden und die Kinder, genoss es aber, ihren einzigen Sohn ganz für sich alleine zu haben.
»Ich muss jetzt zur Arbeit. Ich komme spät zurück, warte nicht auf mich.«
»Du gehst jetzt noch arbeiten? Um diese Tageszeit? Alle sind zu Hause!«
»Nun, wenn die Leute hier amerikanische Filme machen wollen, müssen sie auch amerikanische Arbeitszeiten einhalten.«
Er drückte sie überschwänglich an sich und bedankte sich noch einmal für ihre Kochkünste. Selbst wenn er log, übertrieb er noch. Stella dankte ihm mit ihrer üblichen Zurückhaltung. Selbst wenn sie sich freute, hielt sie immer etwas zurück.
Matt March verließ die Wohnung, rief sich an der Ecke ein Taxi und fuhr in einen trostlosen Vorort. Dort nahm er sich ein Zimmer in einem schäbigen Hotel und fuhr mit dem Aufzug bis zum vierten Stock. Es roch übel, nach Hundepisse. In seinem Zimmer schloss Matt die Tür hinter sich ab. Er legte seine Aktentasche aufs Bett.
In der Wohnung in der Via Paolo Emilio wusch Stella das Geschirr ab und schaltete den Fernseher ein. Ein Kinderprogramm lief, während sie spülte. Es erinnerte sie jedoch zu sehr an Nicky, und so schaltete sie den Fernseher wieder aus. Dann machte sie einen Mittagsschlaf.
Um halb sechs stand sie auf und verließ die Wohnung mit einer Einkaufstasche, um ihre übliche Runde zu machen. Metzger, Gemüsehändler, Petersdom, wenn auch nicht in dieser Reihenfolge. Zuerst ging sie natürlich in die Kirche.
Matt öffnete seine Aktentasche und nahm den Füller heraus, den Eden ihm letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. In der Ecke befand sich ein kleiner Schreibtisch, auf dem das Telefon stand. Matt öffnete die Schublade, fand jedoch keine Schreibmappe. Eine Zeit lang überlegte er, dann rief er bei der Rezeption an und bat um Papier und etwas Eis.
Während er wartete, stand er am offenen Fenster. Ein langweiliger Ausblick, eine schmale Straße, mit Wäscheleinen an den Balkons, Verkehr und dem Gestank nach Abgasen. Irgendwo lief ein Kinderprogramm.
Er schloss das Fenster wieder und zog die Vorhänge vor. Dann trat er an den Spiegel und betrachtete sich: zweiundvierzig, Ehemann, Vater von drei Kindern, Träumer und Dilettant, Liebhaber und Sohn, ein amerikanischer Versager. Als Eis und Papier kamen, gab er dem Pagen ein Trinkgeld, verschloss die Tür erneut und setzte sich an den Schreibtisch. Er schrieb zwei Briefe. Einen an seine Frau, einen an seine Mutter. Vielleicht wusste er ja, dass er seinen Kindern nichts sagen konnte.
Immer wieder schrieb er, wie sehr er sie liebte und bat um Verzeihung. Vergebung nicht nur für seine Schwäche, sondern auch für sein Versagen. Seine Liebe für sie sei authentisch, schrieb er. Er weinte beim Schreiben, und seine Tränen verschmierten die Tinte, verwischten den Traum, den er einmal von einer amerikanischen Geschichte gehabt hatte. Die authentische amerikanische Geschichte.
Zwischendrin musste er aufhören, ans Fenster treten und durchatmen, bevor er wieder weiterschreiben konnte. Aber alles konnte er nicht schreiben. Er hatte keine Zeit, um zu erklären, dass die Baxters keine Investoren waren. Die Baxters waren Grundstücksmakler. Sie hatten Zeit und Geld. Sie waren unglaublich großzügig gewesen, hatten Matt immer mehr Kredit gewährt und all seine Einwände beiseitegewischt. Ungeheure, unvorstellbar große Summen waren im Spiel. Er schrieb in seinen Briefen nicht, dass er ihnen Greenwater als Sicherheit überlassen hatte. Und dass er noch nichts zurückbezahlt hatte, noch nicht einmal die Zinsen. Greenwater hatte ihm gehört, er allein hatte es von Ernesto geerbt. Er schrieb nicht, dass die Baxters ihr Geld jetzt wiederhaben wollten. Dass ihnen jetzt alles gehörte und er bankrott war. Dass er schon die ganzen letzten Wochen gewusst hatte, was er tun wollte, hier in diesem Hotelzimmer.
Matt March hatte sich gelobt, so lange zu schreiben, bis die Tinte alle war. Mehr hatte er nicht mitgebracht. Seine Schrift wurde immer dünner, und er schüttelte den Füller. Er setzte zu einem weiteren Liebesschwur an, aber die Feder war trocken. Und dabei gab es noch so viel zu sagen.
Aber vielleicht auch nicht.
Zwischen sechs und sieben am Abend des 6. September 1964 steckte Matt March diese Briefe an den Spiegel.
Er drehte sich um, trat ans Bett, öffnete die Aktentasche, holte die Pistole heraus, setzte sich aufs Bett und steckte die Mündung der Pistole in den Mund.
Stella schloss, schwer bepackt mit ihrer Einkaufstasche, die Hausstür an der Via Polo Emilio. Sie keuchte bereits jetzt ein wenig, traute aber dem Aufzug nicht. Sie würde eben langsam die Treppe in den dritten Stock hinaufsteigen. Auf jedem Stockwerk blieb sie stehen und rang nach Atem. Sie wurde alt.
Stella schloss die Haustür auf. Sie trat ein, und die Tür fiel hinter ihr wieder ins Schloss. Sie legte ihr Portemonnaie und den Schlüssel auf den Tisch und brachte die Einkäufe in die Küche. Den Schuss, der Matts irdisches Leben beendete, hörte sie nicht.
Diese Sauce muss »aufgebaut« werden. Beginnen Sie mit geröstetem Knoblauch. Schälen Sie die äußeren Schalen von drei Knoblauchzwiebeln ab, setzen Sie jede auf ein Stück Alufolie, und beträufeln Sie sie mit Olivenöl; Salz und frisch gemahlenen Pfeffer darüberstreuen. Mit Folie bedecken. Etwa eine Stunde bei 180° C backen. Abkühlen lassen. Das kann man schon Tage vorher erledigen, immer wenn man gerade den Backofen benutzt.
In einer gusseisernen Pfanne reichlich Olivenöl - mindestens ¼ Tasse - erhitzen. Zwei Zwiebeln klein schneiden, anbraten und goldbraun rösten, mindestens 30 Minuten lang. Ab und zu umrühren.
Wenn die Zwiebeln golden sind, geben Sie eine ganze Handvoll frischer, grob gehackter Kräuter hinzu, Basilikum, Petersilie, Oregano und Thymian. Wenn es kein frisches Basilikum gibt, verzichten Sie lieber darauf. Nehmen Sie auf keinen Fall getrocknetes Basilikum, höchstens ein wenig Rosmarin. Achten Sie bei Thymian darauf, dass Sie keine Stiele in der Sauce haben.
Zerdrücken Sie die Zehen der gerösteten Knoblauchknollen in die Kräuter und Zwiebeln. Umrühren.
Dazu kommen sechs bis sieben Pfund Tomaten. Am besten sind geschälte, aber für den Geschmack ist das nicht wirklich wesentlich. Sie können auch Dosentomaten nehmen. Dann gießen Sie Rotwein hinein. An diesem Punkt ist Ihre Sauce hellrot. Lassen Sie die Sauce einige Stunden lang bei niedriger Temperatur köcheln und geben Sie ab und zu noch einen Schuss Rotwein hinein. Wenn die Sauce fertig ist, müsste sie tief burgunderrot sein. Würzen Sie mit Salz und frisch gemahlenem Pfeffer.
Eine Weile bei ausgeschaltetem Herd ruhen lassen. Vor dem Servieren können Sie hineingeben, was Sie möchten, Würstchen, Pilze, usw.
Diese Sauce hält sich gut im Kühlschrank. Und sie bleibt einem im Gedächtnis.
MOMENTAUFNAHME
Die Cowboys von Greenwater
Greenwater existiert noch heute. Wenn man in westlicher Richtung darüber hinwegfliegt, kann man trotz der Bebauung noch die Umrisse der ehemaligen Landschaft erkennen. Heute jedoch ist diese Landschaft durchsetzt mit türkisfarbenen Swimmingpools, die wie Perlen an den Asphaltbändern der Straßen hängen, die sich durch die Hügel schlängeln. In Greenwater haben die Straßen Namen wie Sagebrush Drive, Indian Village, Ranch Avenue oder Cantina Court, und die Häuser sind auf den Ruinen der Hacienda, des Indianerdorfs oder Lariat gebaut.
Vor Baubeginn musste alles mit dem Bulldozer einplaniert werden. Als Letztes musste Lariat dran glauben. Die Baxters gestatteten der Feuerwehr von Los Angeles, die Stadt zu Übungszwecken niederzubrennen. Die Feuerwehrleute legten die Brände, aber Lariat brannte nicht so, wie sie es von Hollywood-Kulissen erwartet hatten. Diese Stadt war solide und auf Dauer gebaut. Das Feuer griff auf die umliegenden Waldstücke über und geriet außer Kontrolle. Zwei Tage lang kämpften die Feuerwehrleute, und zum Schluss mussten doch die Bulldozer nachhelfen. Matt Marchs Träume waren nicht so leicht zu zerstören.
Heute ist in Greenwater nichts mehr von Matt Marchs Visionen zu spüren, wenn man einmal davon absieht, dass die Universal Studios in Hollywood Bustouren für Touristen veranstalten. Sie haben mit diesem Geschäft 1964 begonnen, im gleichen Jahr, als Matt March sich erschossen hat.
Matts Schulden mögen im Himmel vergeben worden sein, auf der Erde jedoch sicher nicht.
Nach seinem Tod offenbarte sich ein Sumpf. Er hatte so viel vor seiner Frau verschwiegen, dass sich die geheimen Dokumente wie eine Lawine über Eden ergossen. Ihre Anwälte kämpften gegen die Anwälte der Baxters, bis diese schließlich zweifelsfrei nachweisen konnten, dass ihnen die gesamte Greenwater Movie Ranch gehörte.
Bevor es zum Prozess kam, einigten sich die Baxters mit Eden March und gestanden ihr ein winziges Stück vom Kuchen zu - das Stück mit der Hacienda, dem Pool und dem Garten. Allerdings war dies von ihrer Seite ein Geschenk und kein Zugeständnis, denn unmittelbar danach machten sie ihr - über ihre Anwälte - das Angebot, ihr dieses Land abzukaufen. Edens Anwalt handelte aus, dass die Witwe und ihre Familie sechs Monate Zeit hatten, um den Besitz zu verlassen. Eden nahm an. Sie wollte Gus und Beverly nie mehr wiedersehen.
Eden, Stella, Liza, Stellina und Nicky verließen das Haus, das anschließend abgerissen wurde. Ernestos Pistole blieb auch vom Bulldozer unentdeckt und ruht immer noch unter der Terrasse von 3246 Hacienda Drive, einem Haus mit vier Schlafzimmern, drei Badezimmern und Doppelgarage.
Abgesehen von der Pistole gibt es kaum noch etwas, das an Ernest March erinnert, abgesehen von den immergrünen Eichen auf dem Hügel am See, die die Bulldozer verschont haben. Sie zieren heute den Agua-Verde-Golfplatz, an dessen Rand Bungalows liegen, von denen allerdings keiner einen direkten Blick auf den See hat. Im Sommer trocknet der See oft aus.
Die Vision, die Ernesto von Agua Verde hatte, ist verschwunden. Sein letzter Blick auf Agua Verde wurde untermalt von Kittys Schreien, während sie sich aneinanderklammerten und das grüne Wasser über ihnen zusammenschlug.
Golfer, die sich spätabends noch auf dem Platz aufhalten, behaupten, unterdrücktes Lachen und leise Stimmen zu hören. Die Bewohner der Bungalows beschweren sich, spät in der Nacht von Musik gestört zu werden.
Es heißt, dass Schall durchs Wasser übertragen wird.
4
Meins! Das ist meins! Es gehört mir!« Eden, die gerade in Nickys Zimmer die letzten Dinge eingepackt hatte, rannte auf den Flur. Geschickt wich sie Kisten und Kinderspielzeug aus, das überall herumlag, und stürzte auf Liza und Stellina zu, die vor der Badezimmertür standen und sich stritten. Beide zogen sie an dem Türgriff und kreischten: »Der gehört mir!« Liza hatte einen Schraubenzieher in der Hand, den Eden ihr als Erstes wegnahm. Stellina hielt einen Kissenbezug umklammert, der so schwer war, dass er sie zu Boden zog. Sie brach in Tränen aus.
»Warum streitet ihr euch?«
»Gib mir meinen Schraubenzieher zurück«, sagte Liza.
»Was ist in dem Kissenbezug?«, wollte Eden wissen. »Gib ihn mir mal.« Stellina ließ ihn los, und Eden blickte hinein. Türgriffe. Lauter Türgriffe.
»Ich darf keinen davon haben«, heulte Stellina. »Sie will sie alle selber behalten.«
»Warum machst du überall die Türgriffe ab, Liza?«, fragte Eden.
»Warum soll ich sie denn nicht mitnehmen? Ich kann doch alles mitnehmen, oder? Du lässt zu, dass sie alles abreißen. Sie werden das Haus abreißen und es verbrennen, so wie sie Lariat verbrannt haben.« Wütend wedelte sie mit den Armen.
»Ich schraube alle Türgriffe ab und nehme sie mit. Du kannst mich daran nicht hindern. Und du auch nicht«, fuhr sie Stellina an, die weinend in Richtung Esszimmer lief.
Eden überlegte. »Kannst du die Türgriffe nicht teilen?«
»Nein. Sie gehören mir. Du hast doch alles den Baxters überlassen!« Liza verschränkte die Arme vor der Brust, die in den letzten Monaten gewachsen war. Sie kam in die Pubertät, hatte Pickel im Gesicht, ihr Hals war zu lang, und ihre Füße deuteten darauf hin, dass sie später einmal mindestens so groß werden würde wie ihre Mutter. Jetzt brach sie in Tränen aus.
Eden nahm sie in die Arme. »Wein ruhig, Baby. Wein, so viel du willst.« Sie wiegte sie und wiederholte, wie schon in den vergangenen neun Monaten, dieselbe Litanei: Niemand ist schuld, auch Daddy nicht. Wir hätten nichts daran ändern können. Wir müssen umziehen, wir können nicht hierbleiben. Das wird ein richtiges Abenteuer in Washington. Und dabei hatte Eden das Gefühl, eine schwankende Hängebrücke über einem Abgrund zu betreten.
Sie hielt Liza im Arm, bis ihr die Füße einschliefen, dann erhob sie sich und sagte: »Okay, du kannst die Türgriffe nehmen. Aber geh nie wieder mit dem Schraubenzieher auf deine Schwester los, hörst du? Wenn du das tust, werde ich dich bestrafen. Antworte mir.«
»Am liebsten würde ich den Pool und die Bäume, die Fenster und Türen mitnehmen. Ich möchte alles mitnehmen, aber ich kann es nicht.«
»Dafür hast du dein Herz, Liza. Dein Herz, deinen Verstand und dein Gedächtnis. Dort kannst du alles mitnehmen, was du willst.«
»Nein, das geht nicht, und es ist alles deine Schuld. Du bist schuld, dass wir Daddy in Italien allein gelassen haben.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.«
Liza ließ den Kopf hängen, und Eden gab ihr ihren Schraubenzieher zurück und machte sich auf die Suche nach Stellina. Im Esszimmer saß Stella auf dem Klappbett, in dem sie jetzt schlief, da alle anderen Möbel verkauft worden waren.
»Wo ist Stellina?«, fragte Eden. »Sie ist eben hierhergelaufen.«
»Ich habe sie in die Küche geschickt.«
»Du hast sie weggeschickt? Konntest du sie nicht wenigstens in den Arm nehmen? Stellina braucht dich. Ich brauche dich. Wir alle brauchen dich«, fügte sie hinzu, als Stella die Augen schloss und die Lippen zusammenpresste. »Du bist nicht die Einzige, die leidet, Stella. Denk an die Kinder.«
»Er hat uns vernichtet. Er ist jetzt in der Hölle. Wie kann ich an etwas anderes denken?«
»Du musst es einfach versuchen.«
»Ich möchte hier sterben, aber du lässt mich nicht. Lass mich hier. Sie sollen mir das Haus über dem Kopf einreißen.«
»Am 1. Juli«, sagte Eden in dem gleichen harten Tonfall, in dem sie gerade mit Liza gesprochen hatte. »Am 1. Juli müssen wir hier draußen sein. Sobald ich alles gepackt habe, sind wir weg, und du kommst mit uns.«
Obwohl auch Eden am Ende ihrer Kraft war, ließ sie sich nichts anmerken. Wenn sie einmal Trost und Zuspruch brauchte, stützte sie sich auf Ginny und Les, auf Annie oder sogar auf ihren Bruder Ernest, der ihr zur Seite stand. Mit Stella konnte sie nicht mehr rechnen. Sie wollte nur noch sterben und musste sogar zum Essen überredet werden. Die Kinder, vor allem die Mädchen, brachen bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und mussten ständig überwacht werden. Ginny Doyle hatte sich ein Campingbett in Lizas Zimmer gestellt und zwei Wochen dort übernachtet; Annie hatte es bei Stellina genauso gemacht. Und dann hatte Eden einen genialen Einfall gehabt. Sie hatte einen Hund gekauft, einen schwarzen Labrador, der die Kinder mit seiner Energie und Zuneigung überschüttete. Sie hatten ihn Buster genannt.
Buster war bei Nick und Stellina in der Küche. Stellina saß am Küchentisch und hatte den Kopf in den Armen vergraben, und Nicky hockte still neben ihr, seine Pinocchio-Puppe an die Brust gedrückt. Als Buster Eden erblickte, sprang er auf und wedelte mit dem Schwanz. »Kommt«, sagte Eden zu den Kindern, »wir gehen nach draußen und suchen Busters Bällchen.«
Sie wanderten hinaus, vorbei am Pool, in dem Algen wuchsen. Das Wasser war schon lange nicht mehr gereinigt worden. Wozu auch? Es würde ja doch alles abgerissen werden. In der Ferne hörten sie das dumpfe Grollen der Bulldozer.
Liza trat aus der Küchentür und rief ihr zu: »Telefon für dich, Mom. Es ist Tante Alma.« Als Eden in die Küche kam, streckte Liza ihr den Hörer entgegen. »Schlechte Nachrichten, Mom. Es tut mir leid, Mom. Alles tut mir leid. Ich werde mich in Zukunft besser benehmen.«
Eden ergriff den Hörer. »Hallo?«, sagte sie.
Eden parkte den Kombi hinter dem Haus der Lances. Auf der Veranda brannte nur eine einzelne Lampe. Die Tür ging auf, und sie meinte Afton zu sehen, die mit ausgebreiteten Armen im Lichtschein stand.
Aber es war Aftons Tochter Alma Epps, die Eden weinend umarmte. »Warum hast du so lange gewartet, bis du mich angerufen hast?«, fragte Eden, die selber mit den Tränen kämpfte.
»Ich hätte es dir ja gesagt, Eden. Ehrlich. Ich wollte es nicht vor dir verheimlichen, aber Mutter hat gesagt, wir dürften dich nicht anrufen, du hättest selber genug Sorgen und bräuchtest nicht noch mehr.«
»Seit wann weiß sie es?«
»Seit ein paar Monaten. Sie hat dasselbe wie Connie, sie wusste von Anfang an, was auf sie zukommt, und hat angefangen, ihr Haus in Ordnung zu bringen.«
»Und Tom?«
»Daddy hat fünfzig Jahre lang nichts gesagt. Warum sollte er jetzt?«
»Und Lil?«
Almas Unterlippe bebte. »Lil ist zerbrechlich. Sie hat ihr ganzes Leben lang in Mutters Schatten gelebt. Glaubst du, sie kann ohne Afton Lance weiterleben?«
»Wie viel Zeit bleibt Afton noch?«
»Nicht mehr viel.«
»Wäre sie nicht besser im Krankenhaus?«, fragte Eden.
»Das will sie nicht. Sie sagt, es kostet nur Geld, und am Ende läuft es auf das Gleiche hinaus. Aber die ambulante Pflegerin kommt jeden Tag«, erwiderte Alma. »Komm herein, Eden. Du hast sicher Hunger. Ich schaue schnell nach Mutter. Sie weiß, dass du kommst, und sie will dich unbedingt sehen, aber ich soll sie vorher noch ein wenig zurechtmachen.«
Eden nickte und folgte Alma in die Küche. Alles wirkte so wie immer. Die Wachstuchdecke lag auf dem Tisch, die karierten Vorhänge um die Spüle, hinter denen sich die Rohre verbargen, waren gewaschen und gebügelt, und auf dem Herd standen Töpfe. Aftons Haus war wirklich in Ordnung. Selbst der Hund, der auf Eden zukam, schien derselbe wie immer zu sein.
»Mach dich ein wenig frisch. Es war eine lange Fahrt. Ich schaue rasch nach Mutter.«
Eden ging ins Badezimmer und wusch sich Hände und Gesicht. Als sie wieder in die Küche kam, saß Tom am Tisch. Zögernd ließ er sich von Eden umarmen.
»Du hättest es mir früher sagen müssen, Tom.«
»Du hattest deine eigenen Probleme.«
»Aber ihr habt es schon vor Monaten erfahren.«
»Vor vier Monaten. Wie bei Connie.«
»Ich kann es nicht fassen, dass sie es vor mir verheimlicht hat.«
»Du hattest deine eigenen Probleme«, wiederholte er. »Und außerdem ist es nicht so eine Tragödie wie bei Connie. Connie war eine junge Mutter, aber Afton ist bereit. Sie will dich sehen, bevor sie unserem Himmlischen Vater gegenübertritt, und vorher wird der Tod sie nicht berühren.« Die Muskeln an seinem Kiefer zuckten. Er trat an den Herd und schaute in einen Topf. »Hier ist noch ein wenig Kartoffelpüree. Soll ich dir Spiegeleier dazu braten? Ich möchte gern etwas tun, und du hast doch sicher Hunger.«
»Ja, danke.«
Tom machte sich am Herd zu schaffen. Während er zwei Eier aufschlug, sagte er: »Sag Mutter nicht, dass ich seit ihrer Krankheit Instantkartoffelpüree verwende. Wenn sie es wüsste, würde sie wütend werden. Wir haben die Schachtel versteckt.«
»Sie hat mir verschwiegen, dass sie krank ist.«
»Sie wollte dich nicht noch zusätzlich belasten.«
»Ich hatte seit einigen Wochen nichts von ihr gehört, und eigentlich hätte ich mir denken können, dass irgendetwas nicht stimmte.«
»Ach was, du hattest so viele andere Sorgen.« Tom schüttelte den Kopf. »Ich bin mir sicher, dass Gott Matt verzeihen wird, was er getan hat.«
Eden hatte Matt nicht verziehen. Irgendwann einmal würde sie vielleicht dazu in der Lage sein, aber im Moment kam es ihr so vor, als habe er sich davongemacht und sie im Stich gelassen. Sie schluckte und drängte die Tränen zurück. Sie brauchte Aftons Gewissheit.
»Afton lässt es nicht zu, dass man um sie trauert, also pass auf, was du sagst. Sie hat keine Angst vorm Sterben. Sie lässt nur alle zu sich kommen und verlangt von ihnen, dass sie ihr verzeihen.«
Alma trat in die Küche. Sie sank auf einen Stuhl und sagte: »Mutter geht es nicht gut, Eden. Du musst noch eine Weile warten, bis du zu ihr kannst. Im Moment steht sie zu stark unter Morphium. Kurz bevor sie die nächste Dosis bekommt, ist sie ansprechbarer.«
Die Sonne ging bereits auf, als Alma Eden, die auf der Couch eingeschlafen war, schließlich weckte. Sie hatte von Matt geträumt und fuhr erschreckt auf, als Alma sie an der Schulter rüttelte.
»Ja? Was ist?«
»Ich glaube, Mutter ist jetzt bereit. Sie wollte einen klaren Kopf haben, wenn sie mit dir spricht, aber möglicherweise werden die Schmerzen zu stark werden.«
»Ich bleibe nicht lange. Ich werde sie nicht überanstrengen.«
Afton lag in dem Zimmer, in dem Ruth in ihren letzten Lebensjahren gewohnt hatte. Es war das Zimmer, in dem auch Eden geschlafen hatte, als sie auf Nachricht von Logan Smith gewartet hatte. Alles in diesem Zimmer erinnerte sie an die einsamen, langen Nächte damals.
Afton Lance lag in einem Krankenhausbett. Ihr Gesicht war grau und eingefallen, und ihre Haare waren weiß geworden. Die Lippen dünn und zusammengekniffen. Sie atmete rasselnd.
Eden hatte irgendwie erwartet, die alte Afton anzutreffen, stiller und gebrechlicher vielleicht, aber auf diese hinfällige Gestalt war sie nicht vorbereitet. Lass dir nichts anmerken, mahnte sie sich im Stillen.
Lächelnd hob Afton zweimal den Finger.
»Sie möchte ab und zu einen Schluck Wasser, Eden«, übersetzte Alma. »Der Krug steht dort auf dem Tisch.« Dann verließ sie das Zimmer.
Eden zog sich einen Stuhl ans Bett und ergriff Aftons Hand, die so dünn und durchscheinend war, dass die Venen dick und blau hervortraten.
»Ich bin es, Eden Louise.«
Langsam und mühsam drehte Afton den Kopf und blickte sie an. Ihre Augen waren dunkel vor Schmerzen, und Eden begann zu weinen.
»Weine nicht. Du verschwendest deine Zeit, und wir haben nicht mehr viel Zeit.« Die Stimme klang belegt und rau.
»Ich kann bleiben, so lange du willst.« Eden schluckte ihre Tränen hinunter.
»Aber ich nicht«, erwiderte Afton. Erneut wies sie auf den Tisch, und Eden brachte ihr ein Glas Wasser.
»Strohhalm.«
Gehorsam steckte Eden einen Strohhalm ins Wasser. Afton trank einen Schluck und spuckte dann den Strohhalm aus.
»Zu spucken ist vulgär. Ich habe meinen Söhnen nie erlaubt zu spucken.«
Eden stellte das Glas auf den Nachttisch.
»In der Ewigkeit wird sicher alles wiedergutgemacht, Eden. So steht es jedenfalls im Wort des Herrn, wie es uns durch die goldenen Tafeln von Joseph Smith überliefert worden ist.«
»Ich vergebe dir«, sprudelte Eden hervor. Tom hatte sie ja darauf vorbereitet, dass Afton alle um Verzeihung bat. »Bitte, vergib mir auch.«
Afton warf ihr einen verwirrten Blick zu. »Du weißt doch noch gar nicht, was ich sagen will.«
»Das ist egal. Streng dich nicht so sehr an. Uns allen wird vergeben.«
»Ach ja?« Stirnrunzelnd blickte Afton zur Decke. »In der Ewigkeit wird sicher alles wiedergutgemacht, Eden«, wiederholte sie. »Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich weiß, dass mein Himmlischer Vater auf mich wartet, dass ich mit denen wiedervereint sein werde, die ich geliebt habe, mit meinem Sohn Lucius, den mir der Krieg genommen hat, meiner geliebten Tochter Connie, meiner lieben Mutter, meiner Schwester Eden, die vor so langer Zeit schon gestorben ist. Ich weiß, dass sie bis in alle Ewigkeit im Himmlischen Königreich leben, so wie ich auch. Der Tod ist nichts. Allerdings muss ich zugeben, dass ich mir das Sterben nicht so schwer vorgestellt habe.«
Eden hielt Aftons Hand und lauschte, obwohl sie ihre Tante am liebsten unterbrochen hätte, um die Fragen zu stellen, die sie selber bedrängten. Wie soll ich jetzt weiterleben, Afton? Du weißt doch alles. Du zweifelst nie. Bitte, sag mir doch, was ich tun soll. Wie soll ich mit der Bürde von Matts Tod weiterleben? Wie kann ich meine Kinder davor bewahren, dass die Trauer ihr Leben verdüstert? Und Stella, was kann ich gegen Stellas Schmerz tun? Und dann gab es noch die Fragen zur Vergangenheit, die ihr wahrscheinlich niemand beantworten konnte, noch nicht einmal Afton. Habe ich mich falsch verhalten? Hätte ich Matt, meine Kinder, mich selber retten können?
Edens Tränen wurden zu unkontrolliertem Schluchzen und unwillkürlich stieß sie hervor: »Wie soll ich weiterleben? Was soll ich tun? Wie kann ich meine Kinder vor dieser Trauer schützen? Wie konnte es geschehen, dass er mir so entglitten ist, Afton?«
»Ich weiß es nicht.«
Das war eine so ungewöhnliche Antwort für Afton Lance, dass Edens Tränen versiegten und sie sie fassungslos anstarrte.
Erneut wies Afton auf das Wasser und trank einen Schluck, als Eden ihr das Glas reichte. »Hör mir jetzt gut zu, und lass mich nicht abschweifen.«
»Ja, in Ordnung.«
»Gut. Du musst nicht glauben, dass ich Angst habe. Wir sind nur auf dieser Welt, um uns des Himmlischen Königreichs als würdig zu erweisen. Gott schenkt uns Körper, damit unser Geist geprüft werden kann.«
Eden wischte sich über die Augen und ermahnte sich zur Aufmerksamkeit.
»Ich kann nicht sterben, ohne dich um Vergebung zu bitten.«
»Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dir vergebe...«
»Lass mich ausreden. Hier geht es um etwas Besonderes. Ich kann nicht sterben, bevor ich mein Gewissen nicht erleichtert habe. Mein Haus habe ich bestellt, aber diese Angelegenheit lastet noch auf meinem Gewissen.«
»Bitte, streng dich nicht so an. Ruh dich aus.«
Afton ignorierte sie. »Vor zwanzig Jahren, nach dem Krieg, kamst du hierher, zu uns, und wir waren so stolz auf dich. Du hast für unser Land gekämpft, wie Lucius, Ernest oder Junior, oder jeder andere Mann. In dir steckte immer schon so viel Kraft, das habe ich immer an dir bewundert. Von all meinen Mädchen habe ich dich am meisten geliebt, dich und Connie. Ich weiß, so etwas darf man nicht sagen, aber es ist die Wahrheit. Und ich muss die Wahrheit sagen.« Sie schwieg und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, blickte sie Eden flehend an. »Connie hatte ich bereits verloren. Sie lief davon und heiratete einen Mann, den ich in meiner Familie nicht dulden konnte. Victor war kein schlechter Mann, aber sie wusste, dass ich ihn nie lieben würde. Sie heiratete ihn gegen meinen Willen. Ich hatte sie für immer verloren. Dich wollte ich nicht auch noch verlieren. Ich dachte, wenn du einen guten Mormonen heiraten könntest, vor allem hier in St. Elmo, dann hätte ich dich in der Nähe und du wärest eine glückliche, erfüllte Frau.«
»Die Parade der potenziellen Ehemänner«, murmelte Eden und musste unwillkürlich lächeln.
»Aber du hattest bereits einen potenziellen Ehemann.« Aftons Blick flackerte. »Einen Mann in Philadelphia. Er schrieb dir Briefe. Ein Anwalt. Ein Mann, der bereits verheiratet war, mit dem du Ehebruch begangen hattest. Ein Katholik.«
Wieder wies sie auf das Wasser, aber Eden saß einen Moment lang da wie erstarrt. Das Blut brauste in ihrem Kopf, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Dann besann sie sich und hielt Afton das Glas Wasser mit dem Strohhalm an die Lippen. Afton trank.
»Ich kann mich nicht mehr an seinen Namen erinnern«, fuhr sie fort.
Mühsam formte Eden die einzelnen Silben. »Logan Smith.«
»Ich habe die Briefe gefunden. Draußen im Briefkasten. Ich habe sie gelesen.«
Eden schnürte es die Kehle zu. »Logan hat mir geschrieben?«
»Ja.«
»Wo sind die Briefe?«
»Ich wollte nur das Beste für dich«, beharrte Afton.
»Wo sind die Briefe?«
»Ich habe sie verbrannt«, antwortete sie zögernd. »Sie waren schockierend. So viel... Lust und Sehnsucht. Er hatte im Krieg Schlimmes erlebt und ist nur unter Schwierigkeiten wieder zurückgekommen. Beinahe hätte er mir leidgetan, wenn nicht diese Lust und der Ehebruch gewesen wären. Er wollte sich von seiner Frau scheiden lassen und dich heiraten.« Afton runzelte die Stirn. »Oder vielleicht hatte sie ihn auch schon verlassen. Das spielt ja keine Rolle. Ehebruch ist eine schreckliche Sünde. Meine liebe Eden war eine Ehebrecherin. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen. Dass ich dir nicht von den Briefen erzählt habe, war eine lässliche Sünde. Aber ich gebe zu, ich habe gelogen. Wasser.«
Erneut führte Eden den Strohhalm an Aftons Mund und zog ihn wieder zurück.
Afton holte keuchend Luft. »Eines Nachmittags hat er hier angerufen. Du warst nicht da. Und er sagte, wer er war, …«
Wieder warf Eden ein: »Logan Smith.« Die ganze Vergangenheit stand ihr auf einmal so deutlich vor Augen, als sei es gestern gewesen.
»Er rief aus Philadelphia an und wollte dich sprechen, aber ich antwortete ihm, es sei zu spät. Eden Louise hat letzte Woche geheiratet, sagte ich zu ihm. Sie kommen zu spät. Und er sagte, es täte ihm leid, dass er mich belästigt habe, und ich sollte dir und deinem Mann alles Gute wünschen. So etwas in der Art. Es ist schon lange her.«
»Wie konntest du das tun? Wie konntest du mir das antun? Ich habe ihn geliebt!«
Afton umklammerte Edens Hand mit ungeahnter Stärke. »Ich wollte einen guten Ehemann für dich, keinen geschiedenen Katholiken!«
»Matt war auch ein geschiedener Katholik«, sagte Eden.
»Du musst nicht glauben, dass mir die Ironie entgangen ist«, erwiderte Afton. Sie schloss die Augen, ließ aber Edens Hand nicht los.
Vor Eden drehte sich alles. Logan hatte sie geliebt. Er hatte ihr geschrieben. Wie viele Briefe mochten es gewesen sein? Und Afton hatte sie alle verbrannt... Er hätte sie geheiratet. Und er hätte sich nicht umgebracht und sie im Stich gelassen. Sie zog ihre Hand zurück.
»Tom hat keine Schuld.« Afton öffnete die Augen nicht. »Er wusste gar nichts davon. Ich glaubte, ich bewahre dich vor Sünde und Kummer. Aber den Kummer hast du auch auf anderen Wegen gefunden. Und Sünde ist das Schicksal der Sterblichen.«
»Es war falsch, was du getan hast«, sagte Eden und wischte sich übers Gesicht.
»Ja, es war falsch. Ich bitte dich um Vergebung.«
»Wie konntest du mir das nur antun?«
Eden schloss die Augen und schlug die Hände vors Gesicht. Sie hatte in ihrem Leben nur zwei Männer geliebt, und beide waren nun unwiederbringlich für sie verloren. Ganz allein stand sie der Zukunft gegenüber. Lange einsame Jahre lagen vor ihr.
»Sag einfach, du vergibst mir. Du brauchst es ja nicht so zu meinen«, flehte Afton. »Aber du wirst dich besser fühlen, wenn du mir vergeben hast. Eines Tages wirst du mir wirklich verzeihen, und dann wirst du bereuen, dass du es jetzt nicht gesagt hast.« Ihr Zunge glitt über ihre aufgesprungenen, trockenen Lippen.
Die laut ausgesprochene Vergebung. Matt hatte sie damals im Krankenhaus auch darum gebeten. Warum wollten sie immer nur alle von Eden hören, dass sie ihnen verzieh, was sie ihr angetan hatten?
»Ich habe nicht mehr viel Zeit«, sagte Afton. »Vergib mir.«
Eden stieß ein hartes, freudloses Lachen aus. »Mein Leben wird sowieso nur aus Reue bestehen. Etwas anderes erwartet mich nicht mehr.«
Afton tastete auf der Bettdecke nach ihrer Hand und drückte sie, ließ sie jedoch sofort wieder los. »Du wirst ein neues Rezept zum Glücklichsein finden. Es wird bestimmt ein paar neue Zutaten geben, und du wirst deinen Weg machen. Er mag hart sein, aber du besitzt so viel Unabhängigkeit und Kraft, dass du es schon schaffen wirst. Schau nicht zurück. Blick nach vorn.«
O Gott! Erneut schlug Eden die Hände vors Gesicht. »Jedem Babylon den Rücken zugewandt, und die Augen auf ein neues Zion gerichtet«, murmelte sie weinend.
»Hast du mir vergeben?«, krächzte Afton.
Eden stieß die Luft aus und wischte sich mit dem Handrücken über Nase und Augen. »Ja.«
»Gut.« Erneut schloss Afton die Augen. »Ich vergebe dir auch. Und jetzt hol Alma. Ich brauche meine Medizin. Morphium. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal Morphium nehmen muss.«
Eden stand auf und wandte sich langsam zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und spähte in das dämmerige Zimmer. »Lebwohl, Afton.«
»Lebwohl, Eden.«
»Lebwohl, Afton«, wiederholte sie.
»Sagst du ihnen bitte, bevor du gehst, dass sie die Musik lauter stellen sollen?«
Es war gar keine Musik zu hören, nur der Wind, der in den Blättern der Bäume vor dem Haus rauschte, aber Eden antwortete, sie wolle Bescheid sagen.
»Lebwohl, geliebtes Kind.« Aftons Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr rasselnd oder belegt, sondern jung und frisch, wie damals, als sie mit dem Baby Connie auf dem Arm Eden von der Veranda aus nachgewunken hatte. Mach winke, winke. Auf Wiedersehen, Eden.