6

Ich ließ mich rücklings in den Sand fallen und blickte zu den Sternen hinauf. Der Himmel erstreckte sich wie eine unendliche funkelnde Kuppel über mir, und der Mond starrte herausfordernd zu mir herunter.

Ich bekam Schluckauf und begann zu kichern.

Rasch richtete ich mich auf, und die Welt kippte zur Seite. Ich starrte zum Horizont, der kaum merklich schwankte, und rieb mir die Augen.

»Ups, ich habe wohl etwas zu viel erwischt.« Ich presste mir eine Hand auf den Mund, bevor der Schluckauf mich erneut packte, und im nächsten Moment lag ich auch schon wieder im Sand. Ray beugte sich über mich, sein Gewicht drückte mich nach unten. Um seinen Kopf herum funkelten die Sterne. Sein warmer Atem strich über meine Haut, und sein Haar fiel auf meine Stirn. Offenbar hatte selbst das beste Haargel keine Chance gegen die Schwerkraft. Es kitzelte, und ich begann erneut zu kichern. »Ich bekomme keine Luft, du Grobian.« Ich atmete erleichtert ein, als Ray etwas Gewicht von mir nahm. Trotzdem blieb er, wo er war, und sah mit ernstem Blick auf mich hinunter. »Was ist denn? Warum schaust du mich so an?«

»Ich schau doch nur. Das darf ich doch, oder?«

»Ja, ich glaube schon.«

Er starrte mich noch einen Augenblick schweigend an, dann senkte er quälend langsam den Kopf und drückte seine Lippen auf meine. Sie schmeckten nach Salz, Bier und frischer Luft und waren warm und trocken. Ich erwiderte seinen Kuss gierig und wand mich unter ihm.

Doch im nächsten Moment rollte er sich auch schon wieder von mir, setzte sich auf und zündete sich eine Zigarette an.

Ich richtete mich ebenfalls auf, griff danach und nahm einen Zug. Ich war das Rauchen noch nicht gewöhnt, sodass mein Blick mit einem Mal verschwamm. Ray grinste und holte eine zweite Zigarette aus der Packung.

Ich war gern in der Nacht am Strand. Es war so ruhig und friedlich, der Himmel schien nur für uns zu leuchten. Der Zigarettenrauch stieg langsam hoch, die Asche fiel in den Sand und glühte noch einige Sekunden lang, bevor sie erlosch.

Ich warf einen Blick auf Ray, der so hastig rauchte, als hinge sein Leben davon ab. Er sog den Rauch gierig ein und stieß ihn in Form kleiner Os wieder aus. Ich betrachtete sein Profil im Licht der Promenade hinter uns. Die gerade Nase, die vollen Lippen. Sein Gesicht war mir in den letzten drei Monaten so vertraut geworden, dass ich es in- und auswendig kannte. Unsere Beziehung hatte nach unserer ersten Verabredung auf dem Motorrad rasant an Fahrt aufgenommen, und mittlerweile drehte sich mein Leben nur noch um diesen Mann, der mir nach wie vor ein Rätsel war, obwohl ich ihn jeden Tag besser kennenlernte. Aber ich liebte die Herausforderung. Mir gefiel die Vorstellung, dass es immer noch etwas Neues an Ray zu entdecken gab. Das verlieh dem Leben Spannung.

Wir verbrachten beinahe jeden freien Tag miteinander, und wenn ich arbeitete, wartete er am Ende meiner Schicht auf der anderen Straßenseite auf mich. Dort stand er dann an sein Motorrad gelehnt, rauchte eine Zigarette nach der anderen und sah dabei aus wie mein ganz persönlicher James Dean. Mein Herz schwoll jedes Mal vor Liebe und Stolz an, wenn ich auf sein Motorrad stieg und meine Arme um ihn schlang, und ich hoffte, dass uns die anderen Frauen eifersüchtig nachsahen – ich für meinen Teil hätte es jedenfalls getan.

Ray hatte mir immer noch nicht verraten, warum er nach Norfolk gekommen war – vielleicht gab es auch gar keinen bestimmten Grund –, aber er hatte mittlerweile zumindest zugegeben, dass er praktisch obdachlos war und jede Nacht bei Freunden auf dem Sofa oder auf dem Fußboden schlief.

»Du kannst auch bei mir übernachten, wenn du willst«, schlug ich – ohne Sandy zu fragen, ob sie einverstanden war –, kaum eine Woche nachdem wir uns kennengelernt hatten, vor. Ich hatte Angst, dass sie ablehnen würde, und als er schließlich eines Abends mit einem Rucksack in der Hand vor unserer Tür stand, war es zu spät. Seit diesem Tag war seine Zahnbürste ein Dauergast in unserem Badzimmer, seine Klamotten hingen auf einem Stuhl in meinem Zimmer.

Natürlich war Sandy nicht gerade begeistert, dennoch sagte sie nichts. Sie wusste, dass ich glücklich war, das war alles, was für sie zählte, und ich liebte sie dafür. Ray und ich übernachteten zusammen in meinem schmalen Bett, eng umschlungen, aber vollständig bekleidet. Ich war noch nicht bereit, mit ihm zu schlafen. Egal, wie sehr ich mich danach sehnte.

Obwohl Ray keinen Job hatte, war er den ganzen Tag unterwegs. »Ich treffe mich mit allen möglichen Leuten, die vielleicht Arbeit für mich haben«, erklärte er. Und obwohl sich nie etwas daraus ergab, hatte er immer gerade genug Geld, um über die Runden zu kommen. Er tankte sein Motorrad, er kaufte Lebensmittel, und er führte mich zum Essen aus.

»Womit verdienst du eigentlich dein Geld?«, fragte ich ihn eines Abends, nachdem ich für uns gekocht hatte. Es gab Schweinekoteletts mit Kartoffeln und Erbsen. Ray aß mit großem Appetit, schnitt sich ein Stück Fleisch ab und steckte es sich in den Mund. Ich wartete, bis er gekaut und geschluckt hatte. Er legte Messer und Gabel ordentlich auf den Teller und stützte die Ellenbogen auf den Tisch.

»Ich kaufe und verkaufe Kleinigkeiten, das ist alles. Nichts Großes. Nur so viel, um flüssig zu bleiben, bis ich einen richtigen Job gefunden habe. Damit ich dich weiter ausführen kann.« Er nahm einen Schluck Bier und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Das Kotelett ist übrigens ausgezeichnet. Danke.«

Und damit war die Unterhaltung beendet. Ray verstand es großartig, ein Gespräch abzuwürgen, wenn er nichts mehr zu dem Thema sagen wollte.

Und ich drängte ihn nicht. Ehrlich gesagt war ich mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt wissen wollte, wie er sein Geld verdiente. Solange er über die Runden kam und nicht in Schwierigkeiten geriet, spielte es keine große Rolle.

An den meisten Abenden blieben wir zu Hause, lagen im Bett und sahen zu, wie sich der Zigarettenrauch um die Lampe in meinem Zimmer bauschte. Dann wieder saßen wir mit Sandy im Wohnzimmer, sahen fern oder hörten Musik von David Cassidy, den Rolling Stones oder Fleetwood Mac. Manchmal gingen wir auch aus – und das genoss ich.

An diesem Abend waren wir bei einem Auftritt von Rays Band gewesen, die in einem Pub in der Nähe von Norwich gespielt hatte. Danach waren wir an den Strand gefahren.

»Du warst heute Abend einfach brillant«, sagte ich zu ihm, während der Zigarettenrauch in den Himmel stieg.

»Danke. Aber bin ich das nicht jeden Abend?«

»Ha, ha! Du weißt genau, was ich meine.«

»Ja, klar. Danke.«

»Wie hieß das Stück am Ende?«

»Das ist ein neuer Song, den wir gerade eingespielt haben. Er heißt Killing Me Softly. Hat er dir gefallen?«

Ich nickte. »Ja, sehr.«

»Gut. Genau das hatte ich gehofft.«

Ich malte schweigend ein Herz in den Sand. »Ich glaube, die Mädchen in der ersten Reihe mochten ihn auch.«

Es folgte ein Augenblick betretener Stille, bevor er antwortete. »Welche Mädchen?«

»Du weißt genau, welche Mädchen. Diese stark geschminkten jungen Frauen in den kurzen Röcken, die ganz vorne standen und dich angesabbert haben.«

»Hm.«

Mein Kopf fuhr herum. »Was soll denn das heißen?«

Er zuckte mit den Schultern. »Nichts. Die sind mir gar nicht aufgefallen.«

»Echt jetzt?«

Er nickte. »Ja, echt jetzt. Ich meine, ich habe sie natürlich gesehen. So wie die anderen Leute im Publikum. Es sind immer irgendwo ein paar Mädchen, aber das spielt keine Rolle. Zumindest nicht für mich.«

»Verstehe«, erwiderte ich kurz angebunden und starrte aufs Meer hinaus, während sich meine Augen mit Tränen füllten. Ich schniefte hörbar.

Ray wandte sich zu mir um. »Du musst dir keine Sorgen machen, weißt du?«

Ich hielt den Blick stur aufs Wasser gerichtet. »Nicht?«

»Nein.« Seine Stimme klang nun sehr viel sanfter, und er rückte näher, bis sich unsere Hüften berührten. Er legte mir eine Hand auf die Wange, und ich sah ihn an. »Du bist die Einzige, die mich interessiert.«

»Die Einzige?« Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern im Dunkeln.

»Ja.« Er nickte und senkte kurz den Blick, bevor er mir erneut in die Augen sah. »Ich liebe dich, Jane.«

Ich wollte nach Luft schnappen und begann eilig zu husten, damit er es nicht bemerkte. Er liebte mich! Er liebte mich! Ich wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.

»Hast du mir denn gar nichts zu sagen? Lässt du mich jetzt einfach so hängen?«

»Tut mir leid, ich …« Ich räusperte mich und zwang mich, ihm zu antworten. »Du meine Güte, Ray! Ich liebe dich auch.« Das Blut schoss mir in die Wangen, und ich war froh, dass er in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wie ich errötete. Im nächsten Augenblick drückte er mich erneut in den Sand und küsste mich – und von diesem Moment an war Ray alles, was zählte.

Wie bei den meisten Dingen hielt die erste Aufregung einige Monate, bevor die Normalität Einzug hielt. Ich stellte Ray meinen Freunden vor, und sie mochten ihn.

»Du solltest ihn lieber an die kurze Leine nehmen«, erklärte Pamela grinsend.

»Ja, ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefallen würde, wenn mein Freund ständig mit anderen Frauen in den Pubs abhängt«, stimmte Shirley ihr zu und sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.

Ich wusste natürlich, was die beiden meinten. Die meisten Frauen schienen auf Ray abzufahren. Er war wie ein Magnet und wurde ständig von Mädchen umschwärmt, die an seinen Lippen hingen. Aber das spielte keine Rolle, denn er schien tatsächlich nur Augen für mich zu haben. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke über die toupierten Frisuren seiner weiblichen Fans hinweg trafen, verzog sich sein Mund zu einem Lächeln.

Außerdem war ich ohnehin die meiste Zeit mit ihm zusammen. Wir fuhren auf seinem Motorrad die Küste entlang, aßen im Sonnenschein am Strand Fritten oder zogen uns in einen gemütlichen Pub zurück, wenn es draußen kalt und feucht war. Manchmal blieben wir auch einfach nur in Cromer, gingen zum Pier und sahen den Austernfischern zu. Ich liebte es, auf der alten Metallbank zu sitzen, während der Wind in mein Haar fuhr, und mit Ray zusammen zu sein und zuzusehen, wie die Wellen übers Wasser tanzten. Es fühlte sich an wie ein Blick in die Zukunft auf das alte Ehepaar, das wir vielleicht eines Tages sein würden. Obwohl ich tief im Inneren ahnte, dass Ray nicht viel von der Ehe hielt.

Wenn es regnete, gingen wir ins Kino. Wir kauften Karten für den neuesten James Bond oder einen anderen Film, der gerade lief, und saßen anschließend die meiste Zeit über knutschend in der letzten Reihe, wobei ich versuchte, nicht zu laut nach Luft zu schnappen, wenn Ray die Hand unter meine Bluse schob und meinen BH umfasste.

Manchmal gingen wir auch mit meinen Freundinnen aus, schlenderten den Pier entlang zur Spielhalle und steckten eine Münze nach der anderen in die Automaten. Die Lichter um uns blitzten, bis uns schwindelig wurde, die Geldstücke fielen klappernd in die Metallbehälter, und die Musik dröhnte genauso wie die Stimmen der anderen Besucher.

Ab und zu begleitete ich Ray zu seinen Auftritten in die Pubs der Umgebung. Wir fuhren zu zweit auf seinem Motorrad, oder ich folgte ihm zusammen mit meinen Freundinnen im Bus. Wir stöckelten in unseren High Heels und Hotpants zur Bushaltestelle und stiegen eine Stunde später in Norwich wieder aus.

Ich war jedes Mal so stolz, wenn ich Ray mit der Bassgitarre auf der Bühne sah und sich die hellen Lichter in seinen dunklen Augen brachen, während er sich vollkommen in der Musik verlor. Das Schönste war allerdings, wenn die Band Pause machte und er zu uns an die Bar kam. Mir war natürlich klar, dass es armselig war, aber ich genoss die eifersüchtigen Blicke der anderen Mädchen, wenn Ray mir einen Kuss auf die Lippen drückte. Ich hatte so etwas noch nie erlebt, und es fühlte sich toll an.

Allerdings gab es da ein bestimmtes noch sehr junges Mädchen, das ich bereits öfter auf Rays Konzerten gesehen hatte und das daher meine Aufmerksamkeit besonders auf sich zog. Es war immer allein unterwegs und stand am rechten Bühnenrand, also auf der Seite, wo sich Ray normalerweise aufhielt. Dieses Mädchen sang jedes Lied mit und streckte beim Tanzen die Arme hoch in die Luft, sodass seine langen Haare hin und her schwangen. Den anderen fiel das vermutlich nicht auf, mir dagegen war sofort klar, dass es nur wegen Ray da war. Es ließ ihn kaum aus den Augen, und wenn er am Ende des Abends zu mir kam und seine Arme um mich schlang, stand es auf der anderen Seite des Raumes und beobachtete uns, bevor es schließlich verschwand.

Eines Abends beschloss ich, Ray darauf anzusprechen, als er von der Bühne kam. Sein Gesicht war schweißbedeckt.

»Sie ist schon wieder da.«

»Wer?« Er schob sich das Haar, das ihm in die Augen fiel, aus der Stirn und wischte sich die Hand anschließend an seiner Jeans trocken.

»Die mit den langen dunklen Haaren dort drüben. Sie taucht ständig auf, wenn du spielst.«

Ich deutete mit dem Kopf in Richtung meiner Rivalin. Sie nippte an ihrem Drink und wandte den Blick ab, als Ray sich zu ihr umdrehte, aber er wusste auch so, wen ich meinte.

»Ach die. Ja, sie kommt zu den meisten Gigs.«

Er legte den Kopf in den Nacken, um einen Schluck von dem Bier zu trinken, das ich ihm besorgt hatte, dann sah er mich erneut an.

»Findest du nicht, dass das seltsam ist?«

Er zuckte mit den Schultern. »Eigentlich nicht. Vielleicht gefällt ihr unsere Musik.«

Ich hätte beinahe meinen Wodka Orange auf sein Shirt geprustet. »Ach, komm schon, Ray! Du weißt doch, dass es mehr ist als das. Sie lässt dich nicht aus den Augen, solange du auf der Bühne stehst, und auch später nicht, wenn du mit mir zusammen bist. Sie glaubt vermutlich, dass es niemand merkt, aber es ist irgendwie unheimlich.«

»Ignorier sie einfach. Das mache ich auch.«

Ich warf einen Blick auf die Dunkelhaarige, die gerade so tat, als würde sie ihre Handtasche durchwühlen. Sie war groß und schlank. Ihr kurzer Rock schmiegte sich an ihre dünnen Schenkel. Ich warf einen Blick auf die Schlaghosen, die ich mir gekauft hatte, weil ich sie cool fand, und mir wurde mit einem Mal klar, dass sie nicht gerade sexy waren. Ich verzog das Gesicht.

»Aber ich mache mir Sorgen, Ray.«

»Worüber denn?«

»Na ja …« Ich nestelte an meinen Blusenknöpfen. »Was ist an den Abenden, an denen ich nicht dabei bin? Du sagst zwar, du würdest dich nicht für sie interessieren, aber sie steht ganz offensichtlich auf dich. Und wenn sie es darauf anlegt, dann …«

Ray nahm mein Kinn und drehte meinen Kopf sanft zu sich herum. »Hör mir zu: Ich weiß nicht, wer sie ist und warum sie hier ist, trotzdem musst du mir eines glauben: Ich habe kein Interesse an ihr. Absolut nicht. Und daran wird sich auch nichts ändern. Du musst mir vertrauen.«

Sein Gesicht war mir so nahe, dass ich seinen Atem riechen konnte. Es war eine Mischung aus Bier, Zigaretten und noch etwas anderem, Moschusartigem. Ich atmete tief ein. Ich musste damit aufhören und ihm vertrauen. Ich wusste doch, dass er mich liebte, das hatte er mir selbst gesagt. Was wollte ich denn noch?

Langsam ließ ich die Luft wieder entweichen. »Es tut mir leid«, murmelte ich. »Ich weiß. Ich vertraue dir ja. Es ist bloß …«

Es war einfach so, dass ich diesem Mädchen nicht vertraute – was ich Ray natürlich nicht sagte. Ich lehnte mich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen, und als ich mich schließlich von ihm löste, war die mysteriöse Fremde verschwunden.

An einem der seltenen Abende, an denen Ray unterwegs und ich zu Hause geblieben war, ließ ich mich schließlich neben Sandy aufs Sofa fallen. Sie sah gerade fern, und ich setzte mich in den Schneidersitz und fragte: »An wen denkst du andauernd?«

Ihr Kopf fuhr herum. »Wie bitte?«

Ich grinste. »Komm schon, du bist seit Wochen ständig mit den Gedanken woanders. Da gibt es doch sicher jemanden.«

Sandy wurde rot, wandte den Blick ab und beschäftigte sich eingehend mit einem nichtexistenten Loch in ihrer Socke.

»Stimmt doch gar nicht!«, fauchte sie, aber ich wusste, dass sie es nicht böse meinte.

»Oh, okay! Entschuldige, mein Fehler.« Ich stand auf, strich meine Hose glatt und machte mich auf den Weg zur Tür.

»Warte … Vielleicht gibt es da doch jemanden.«

Ich machte triumphierend auf dem Absatz kehrt. »Ha! Ich wusste es!« Schnell setzte ich mich wieder neben sie und zog die Beine hoch. »Dann mal los. Erzähl mir von ihm.«

Sandy wurde noch roter und räusperte sich. Ich hatte sie noch nie so unsicher gesehen. Allerdings hatte ich auch noch nie erlebt, dass sie sich ernsthaft für einen Mann interessierte. Das war ziemlich aufregend.

»Äh … Na ja …« Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und sah mich an. »Es ist Mal, okay?«

Ich schnappte nach Luft. »Mal? Rays Mal?«

Mal war der Drummer in Rays Band, und mir war bisher nicht aufgefallen, dass Sandy Interesse an ihm hatte. Er war immer so ruhig und in Gedanken versunken und sprach selten mit irgendjemandem – vor allem nicht mit Sandy.

Sie nickte. »Du musst mir versprechen, es niemandem zu sagen. Nicht mal Ray. Vor allem nicht Ray.«

»Ha! Ich wusste, dass es da jemanden gibt. Aber warum darf ich es niemandem erzählen? Mal ist doch sehr nett, und er mag dich sicher. Stell dir nur mal vor: Wir könnten auf Doppeldates gehen und zusammen fortfahren …« Ich brach ab.

»Nein!«, erwiderte Sandy bestimmt. »Du darfst es ihm nicht sagen.«

»Warum denn nicht?«

»Na ja«, begann sie und steckte sich eine Haarsträhne hinters Ohr. »Wenn er mich nicht mag, kann ich nie wieder mit euch losziehen. Das würde alles kaputtmachen, Jane.«

»Aber er mag dich bestimmt, Sandy! Warum sollte dich irgendjemand nicht mögen?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist einfach zu peinlich.« Sie sah mich flehend an. »Versprichst du mir, dass du nichts sagst?«

Ich musterte sie eingehend. Ich war verwirrt darüber, dass Sandy plötzlich so unsicher und ängstlich war. Doch dann dachte ich an die vier Jahre zurück, die ich sie bis jetzt kannte. Sie war nie mit jemandem ausgegangen und hatte auch nie Interesse an einem Mann gezeigt. Ganz offensichtlich war das hier eine sehr große Sache für sie.

»Ja, ich verspreche es dir.«

»Danke, Jane.« Sie stand auf und verließ das Wohnzimmer. Wenige Minuten später hörte ich, wie sie in ihr Schlafzimmer und gleich darauf zu Bett ging.

Ich wollte mein Versprechen natürlich halten. Ehrlich! Aber ich hatte das Gefühl, ich würde platzen, wenn ich es Ray nicht erzählte, also tat ich es schließlich. Und als wir uns einige Abende später hübsch herausgeputzt zum Tanzabend im örtlichen Jugendzentrum trafen, wusste ich sofort, dass Ray es Mal weitergesagt hatte.

»Wie konntest du nur?«, zischte ich. »Du hast es versprochen!«

Er zuckte mit den Schultern. »Ja, und du hast es Sandy versprochen. Man sieht ja, wohin das geführt hat.« Er grinste. »Abgesehen davon ist es schon okay. Er mag sie auch. Und wenn du uns schon alle zwingst, zum Tanzen zu gehen, sollten wir wenigstens ein bisschen Spaß haben.«

Ich knuffte ihn spielerisch in den Arm. »Dann hoffen wir mal, dass du nicht alles ruiniert hast, sonst kannst du was erleben!«

Er grinste. »Wir werden ja sehen.«

Ich hatte mich seit Wochen auf diesen Abend gefreut. Es war zwar nur eine einfache Tanzveranstaltung, aber es war das erste Mal, dass ich mit einem Freund hinging, der immerhin älter war als ich. Ich war unglaublich stolz. Normalerweise saß ich an solchen Abenden in einer Ecke mit den Mädchen, wo wir versuchten, nur ja nicht die Aufmerksamkeit der Jungs auf der anderen Seite des Raumes auf uns zu ziehen. Als Draufgabe hatte Ray seine Bandkollegen überzeugt, ebenfalls mitzukommen – Mal, den Drummer, Tom, den Sänger, und Ken, den Gitarristen. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, zu den Coolen zu gehören.

Als wir vor dem Jugendzentrum ankamen, hörten wir bereits Al Greens Tired of Being Alone, das jedes Mal aus dem Saal drang, wenn sich die Tür öffnete, und mein Herz begann, heftiger zu schlagen. Ich war tatsächlich hier und hielt Rays Hand! Noch nie war ich glücklicher gewesen als in diesem Moment. Als wir schließlich durch die Tür traten, ruhten die Blicke auf uns. Alle fragten sich, wer wohl diese fremden Männer waren. Ich platzte fast vor Glück.

Wir kauften uns etwas zu trinken und ließen uns an einem der Tische nieder. Mal saß neben Sandy, ich hoffte, dass er sich den Platz absichtlich ausgesucht hatte. Ray legte unter dem Tisch eine Hand auf mein Knie, und ich grinste ihn an. Seine Hand fühlte sich warm an, doch ich erschauderte trotzdem, als er sie langsam zum Saum meines Rockes hochwandern ließ.

Er lehnte sich zu mir herüber, und ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Ohr.

»Ist das okay für dich?«

Ich nickte. Alles drehte sich, ich hatte Angst, vom Stuhl zu fallen, als er die Hand schließlich unter meinen Rock schob und sich an mein Höschen herantastete. Er schmiegte sein Gesicht an meinen Hals, während seine Finger langsam immer weiterwanderten, sodass ich kaum noch Luft bekam. Mein Herz hämmerte, und einige Sekunden lang waren Ray und ich vollkommen allein im Saal. Ich sehnte mich so sehr nach ihm.

Dann zog er seine Hand plötzlich zurück und ließ von meinem Hals ab. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Nicht hier«, hauchte er.

Obwohl ich unglaublich enttäuscht war und sich mein ganzer Körper nach ihm verzehrte, wusste ich, dass er recht hatte. Ich wollte, dass das erste Mal etwas Besonderes wurde und kein schnelles Gefummel unter dem Tisch im Gemeindesaal. Ich rückte von ihm ab und stand auf.

»Wollen wir tanzen?«

Er nahm meine Hand, erhob sich und deutete eine leichte Verbeugung an. »Sehr gern.«

Wir schwebten zu Stevie Wonders My Cherie Amour über die beinahe menschenleere Tanzfläche, und zum ersten Mal in meinem Leben machte es mich nicht verlegen, dass mir alle zusahen. Ich spürte Rays Arm um mich und war einfach nur glücklich. Kurz darauf erhoben sich auch Sandy und Mal und gesellten sich zu uns. Ich lächelte den beiden zu, bevor ich meinen Kopf auf Rays Schulter legte und mich von der Musik davontreiben ließ.

Einige Stunden später – wir tanzten schwitzend und lachend zu den Rolling Stones – nahm Ray plötzlich meine Hand und zog mich zur Tür hinaus. Sie schwang hinter uns zu, und ich schnappte überrascht nach Luft, als mich kühler Nebel umfing. Ray legte mir seine Lederjacke um die Schultern und drückte mir einen Kuss auf die Lippen.

»Lass uns von hier verschwinden.«

Ich nickte. Ich wusste, was er meinte. Ich hatte mich den ganzen Abend nach seinen Berührungen gesehnt, und da Sandy mit Mal beschäftigt war, hofften wir, dass uns zumindest ein paar Stunden blieben, bevor sie nach Hause kam.

»Okay, gehen wir.«

Ich nahm seine Hand, zog ihn hinter mir her zum Strand und zurück zu mir nach Hause. Wir stolperten die Treppe hoch und in mein Schlafzimmer, und sobald sich die Tür hinter uns geschlossen hatte, begannen wir auch schon, uns aus unseren Kleidern zu schälen. Mein Rock und sein Hemd gingen zu Boden, doch seine viel zu enge Hose weigerte sich standhaft. Ich kicherte, als Ray sich aufs Bett setzte und frustriert daran herumzerrte.

»Mein Gott, Jane, es tut mir leid! Das hier gehört nicht zum Plan.«

Er grinste verlegen, und als er seine Knöchel endlich aus der Hose befreit hatte, sprang er hoch, drückte mich aufs Bett und legte sich auf mich. Ich hatte das Gefühl, ich müsste explodieren, als seine Lippen zärtlich über meinen Hals, meine Schultern, meinen Bauch wanderten. Schon immer hatte ich gehofft, dass das erste Mal unglaublich werden würde, und ich wusste, dass dieser Wunsch mit Ray in Erfüllung gehen würde.

Er war der Richtige.

Er gehörte mir.

Und in dieser Nacht gab ich mich ihm vollkommen hin.