Ich ging quer durch die Halle und dachte daran, dass alles gut werden würde, wenn ich erst mal das Stargeheimnis von Hollywood wüsste. Frankie, du Glückspilz!
Das Problem war nur, dass der schwarze Afghane, der Dealer hieß, immer größer wurde, je näher ich ihm kam. Und als ich vor ihm stand, war er drei- oder sechsmal so groß wie ich, und plötzlich zitterten mir die Beine, und meine Stimme war ganz fiepsig, als ich ihn ansprach.
»Hey, Afghane. Was geht? Ich wollte …«
»Digga, sprich lauter, verdammt.«
»Ich wollte … das gute Zeug. Für meine Freundin Bianca.« Dealer schaute auf mich runter. Er sagte nix und leckte erst mal seinen Hintern. Ich hab geduldig gewartet.
Ich weiß nicht, ob ihr schon mal mit nem schwarzen Afghanen zu tun hattet, aber so ein Afghane besteht praktisch nur aus Fell. Seine Augen konnte ich kaum sehen, denn Dealer hing das Fell auch im Gesicht, er trug ne Art Mittelscheitel, dazwischen schoss seine spitze Schnauze hervor.
»Wie viel, Digga?«, fragte Dealer.
»Ich bin Frankie. Nicht Digga. « Weil ich dachte, das wär ’n guter Hinweis.
»Alles klar. Frankie, Digga. Also wie viel?«
»Wie viel was?«, sagte ich.
»Vom guten Zeug, Digga.«
Und das war nun ein weiteres Problem. Wie viel? Wenn man ja noch nicht mal wusste: wovon? Denn was war das gute Zeug überhaupt?
»Eine … Portion?«
»Okay, Digga. Was hast du für mich?«, fragte Dealer.
»Ich? Nix. Ich soll nur abholen.«
»Du willst also mein gutes Zeug und mir nichts dafür geben? Hab ich das richtig verstanden?«
Dealers Stimme klang jetzt bedrohlich.
»Was soll ich dir denn geben?«
»Einen Kauknochen mit Hühnchen. Das ist der normale Preis. Ich akzeptiere auch: eine Kaustange mit Hühnchen. Oder einen Kaninchenhals. Wie sieht’s aus, Digga?«
Ich schüttelte den Kopf. Dealer kam mit seiner spitzen Schnauze ganz dicht an mein Ohr und flüsterte: »Wenn du nichts für mich hast, dann habe ich auch nichts für dich. Und jetzt verpiss dich!«
Ganz ehrlich? Ich weiß nicht, warum ich einfach sitzen blieb. Ich hatte solche Angst. Aber ich war auch wahnsinnig verzweifelt. Und in dieser Verzweiflung nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte Dealer, dass ich mich leider nicht verpissen könne. Nicht ohne das gute Zeug. Denn das bräuchte ich unbedingt, um das Stargeheimnis zu erfahren.
Und dann erzählte ich ihm von Puschnelka Schnurrilenko, wie ich ihr im Mondschein ein Gedicht dichtete und ewig vor ihrem Fenster saß, sprachlos vor Sehnsucht, und dass Hollywood meine einzige Chance wäre, ihr Herz zu erobern. Vielleicht sei er, Dealer, ja auch schon mal verliebt gewesen und wüsste, wie es sich anfühlt, wenn es einem das Herz zerreißt, und dass es Tage gibt, da möchte man nur unter ner alten Badewanne liegen, leise wimmernd vor Liebeskummer, und das Leben is’ finster wie ’n Nachtwald.
Plötzlich hörte ich es über mir schniefen. Und dann sah ich, wie eine große, glitzernde Träne an Dealers Schnauze hing, direkt vorne an der Spitze. Das war die riesigste Träne, die ich je gesehen hatte, sie war so groß wie ne Himbeere, was irgendwie auch logisch war, weil riesige Hunde riesige Tränen haben müssen. Jedenfalls stellte sich heraus: Afghanen sind extremst sensible Typen. Vom Charakter her. Dealer tropfte sein ganzes Fell voll mit himbeergroßen Tränen, und er meinte schniefend, dass ich ihm die dämlichste und berührendste Geschichte erzählt hätte, die er je gehört habe.
Ich so: »Echt?«
Er so: »Bin voll fertig, Digga. So emotional. Boah! War ergreifender als Titanic. «
Dealer erzählte mir, dass er auch mal schwer verliebt gewesen war. Früher, als Afghane in Afghanistan. Aber aus religiösen Gründen wäre es dann leider nix geworden. Es ging um Schiiten und Sunniten und Dolomiten, und die hatten alle irgendwie Probleme miteinander. Ich hab lieber nicht weiter nachgefragt, weil Dealer hatte ja schon genug geheult.
»Und du weißt wirklich nicht, was das gute Zeug ist?«
»Keinen Schimmer, Dealer.«
»Viel weißt du nicht, Digga.«
»Ich weiß. Bin vom Dorf.«
Dealer hob seinen Hintern, und ich dachte schon, jetzt leckt er wieder ewig dran rum, aber dann hob er den Hintern noch ’n ganzes Stückchen höher, und ich sah, dass er unter seinem Fell kleine, durchsichtige Säckchen versteckt hatte, und eines der Säckchen schob er mir jetzt mit der Pfote zu.
»Das is’ das gute Zeug?«
Es sah aus wie getrockneter Rasen.
»Katzenminze. Reinste Qualität. Unverschnitten«, sagte Dealer. Von Katzenminze hatte ich schon mal gehört. Und dass es die Katzen verrückt macht.
»Aber ich kann dir nix dafür geben.«
»Ich hab geflennt wie schon lange nicht mehr. Das reicht mir. Hab’s echt genossen, Digga. Du weißt, warum wir schwarze Afghanen heißen? Weil wir extreme Melancholiker sind. Und jetzt tu mir einen Gefallen und verpiss dich, bitte.«
Ich latschte mit dem Säckchen in der Schnauze davon und fühlte mich wie ne Raubkatze, die erfolgreich von der Jagd zurückkam. Frankie, Löwenherz! Ich wollte Bianca natürlich alles erzählen, das ganze Abenteuer mit Dealer. Aber sie hörte mir überhaupt nicht zu. »Quatsch nicht, Kleiner. Gib mir das gute Zeug. Gib schon her!«
Gierig schlitzte sie mit ihren Krallen das Säckchen auf, roch volle Nase, steckte die ganze Schnauze rein. Dann warf sie sich auf den Rücken. Wälzte sich mit der Katzenminze wild hin und her. Immer und immer wieder. Ganz und gar unheimlich.
»Hallo?«, versuchte ich sie anzusprechen. »Bianca? Das Stargeheimnis, das du mir verraten wolltest? Du erinnerst dich?«
Und dann stoppte das Gewälze für nen Moment, und sie schaute mich an. Ihre blauen Augen waren kalt und hart. »Das Stargeheimnis, ja? Gut. Hier kommt’s: Vertraue in Hollywood nie einer Katze, die du nicht kennst. Und jetzt zisch ab, du dämlicher Schwachkopf! Los, zisch endlich ab!«
Ich ging durch die Halle, verwirrt und im Herzen leer, bis ich in einer Ecke zusammensackte. Aber das Schlimmste war nicht die Lüge. Das Schlimmste war, dass Bianca vollkommen recht hatte. Ich war ’n dämlicher Schwachkopf. Jemand, der anscheinend alles glaubte, wenn es nur gut klang. Und wenn man sich erst mal wie ’n dämlicher Schwachkopf fühlt, dann will man am liebsten weit wegrennen oder in ein tiefes Loch im Wald springen. Und genau das wollte ich jetzt: zurück in mein Dorf, wo ich hingehörte. Zurück zu meinen guten Freunden, auch wenn manche nur drei Beine haben. Schluss mit den Träumereien. Denn es is’ nicht anzunehmen, dass sie hier in Hollywood dämliche Schwachköpfe suchen. Oder irgendwo ’n Schild aufstellen, auf dem steht: Wer will Filmstar werden? Dämliche Schwachköpfe immer willkommen!
Das Problem war nur: Durch meinen Besuch bei Dealer hatte ich Gold im Getümmel verloren. Keine Spur mehr von ihm. Und noch ’n Problem war, dass ich furchtbaren Hunger hatte, der meine Beine schlapp machte. Und noch ’n Problem war, dass ich aufgrund der anderen Probleme immer verzweifelter wurde. So isses leider oft mit Problemen: Haste erst mal eins, kommen gleich andere dazu. Die vermehren sich wie Kaninchen. Kannste nix machen.
An dem Tisch, wo vorhin die Frau mit den roten Krallen und der Mann ohne Fell auf dem Kopf gesessen hatten, hockte ich mich hin und wartete auf Gold, weil ich dachte: Sei mal ’n bisschen klug, Frankie . Und klug isses, an dem Ort zu warten, wo man den, den man sucht, zuletzt gesehen hat. Aber Gold tauchte nicht auf. Und bald hatte ich nicht nur riesigen Hunger, sondern auch Durst. Ich war mächtig verzweifelt, und die Warterei erschien mir gar nicht mehr so klug, weil man nur aufm Arsch sitzt und verrückt wird, aber dann fiel mir was auf: Neben dem Tisch war ne große Tür, und dort gingen Katzen mit ihren Menschen erst rein und kamen nach ner Weile wieder raus. Die Menschen sagten zu den Katzen: »Das lief echt gut, Jacqueline!« Oder: »Warum warst du so aufgeregt, Peter?« Oder: »Du hättest wenigstens so tun können, als würde es dir schmecken, Luzie!« Ich hab mir das ne Weile angeschaut. Hab gelugt und gelauscht. Und als dann wieder jemand hinauskam, und die Tür nen Moment lang offen stand, bin ich schnell hindurchgeschlüpft.
Stellte sich heraus: Hinter der Tür war direkt ein Raum. Da saßen einige Menschen drin. Auch die Frau mit den roten Krallen und der Mann ohne Fell auf dem Kopf. Und dann waren da auch so kleine Sonnen, die auf Stangen standen. Diese Sonnen machten ein wahnsinniges Licht, das in den Augen brannte. Aber Gold sah ich hier nicht.
Ich wollte schon wieder zurückflitzen, da roch ich auf einmal was. Volle Nase. Und dann sah ich auch was. Freunde, ihr werdet’s nicht glauben! Erst dachte ich, das is’ wieder so ein gemeiner Trick aus Hollywood. Denn auch wenn ich ’n dämlicher Schwachkopf bin, so weiß ich doch, dass es manche Dinge einfach nicht gibt im Leben. Zum Beispiel: Eine fette Maus steckt ihren Kopf in meine Schnauze und sagt: »Guten Appetit, lieber Frankie.«
Oder: Ein Rudel Wölfe kommt vorbei und sagt: »Wir finden, du bist superklug und attraktiv, gnadenloser Frankie. Deshalb wollen wir, dass du ab sofort unser Oberwolf bist.«
Oder: Ich gehe durch den Wald und finde das vierte Bein vom Professor, und dann kleben wir es mit Spucke an seine alte Stelle, und es hält!
Gibt’s alles nicht.
Aber was ich jetzt in Hollywood sah und roch, das gab es. Denn da stand: ein voller Fressnapf. Der stand einfach so rum, als wär er vom Himmel gefallen oder was. Jemand hatte sogar ’n Zweig Gemüse auf die Spitze gelegt, hätte man sich sparen können. Aber hübsch sah’s ja aus.
Ich bin hingeschlichen, Arsch ganz flach übern Boden, damit die Menschen nix merkten. Ich hatte solchen Hunger. Ich fraß wie ’n Irrer. Das Einzige, was ’n bisschen störte, waren die Sonnen, die genau auf den Fressnapf strahlten. Und wenn ihr jetzt denkt: Echt komische Geschichte, Frankie, dann habt ihr keine Ahnung, was komisch is’. Es war nämlich so: Plötzlich reagierten die Menschen. Sie sagten: »Jane, welche Katze ist das? Guck bitte mal in die Liste.« Und: »Tom, hast du das drauf? Läuft die Kamera? Mach mir unbedingt auch ein Close-up.« Und: »Wow. Die kommt hier rein und frisst gleich los! Als würde ihr das Zeug wirklich schmecken.« Und: »Guckt mal, wie die Katze reinhaut!« Und: »Die frisst super authentisch , findet ihr nicht?« Und: »Ja, die Pose ist super authentisch! « Das war so ihr Lieblingswort.
Ein Mensch kam auf mich zu, mit nem großen Kasten auf der Schulter. Hab ihn gleich angefaucht. Volle Kehle. Denn ich kann es nicht leiden, wenn man mich beim Fressen stört. Is’ einfach unhöflich. Dann hab ich mir natürlich die Schnauze geleckt, weil da ’n bisschen Soße dranhing. »Seht ihr das? Oh Gott! Die spielt richtig mit der Kamera! Hast du endlich den Namen auf der Liste gefunden, Jane?«
Und so weiter und so weiter. Bis ich hörte, wie hinter mir eine bekannte Stimme rief: »Frankie! Hier steckst du. Verdammt. Ich hab dich gesucht wie ein Verrückter!«
Ich war wahnsinnig froh, dass Gold mich gefunden hatte. Aber erst mal musste ich den Napf leer fressen. Die Menschen im Raum stürzten sich auch gleich auf Gold und sprachen aufgeregt mit ihm. So richtig mit Pfotenschütteln und bedeutsam mit dem Kopf nicken und so. Schließlich kam er zu mir und sagte: »Was hast du gemacht, Frankie?«
»Ich? Nix. Gefressen. Hatte Hunger.«
»Die Filmtypen sind völlig aus dem Häuschen.«
»Wegen mir?«
»Klar wegen dir.«
»Die sollen mich erst mal bei Casting sehen. Ich kann ne Menge! Hoch springen, flitzen, jagen, fauchen, lauern, lauschen, lugen, anschleichen …«
»Frankie. Das war das Casting.«
»Hä? Kapier nix.«
»Du stehst jetzt ganz oben auf ihrer Liste. Glückwunsch!«
»Was?«
»Tja, Frankie. Sieht ganz so aus, als würdest du das neue Soßenschmaus-Gesicht werden. Wer hätte das gedacht.«
»Hä?«
Selbst als wir schon längst im Auto saßen und die Stadt mit ihren Türmen und Zebra-Häusern hinter uns ließen, dachte ich immer noch: Hä? Weil es war einfach zu komisch. Ich hätte jetzt wirklich gerne mal mit Flipper gequatscht, was seine Erfahrung mit Casting war. Aber so is’ Hollywood, Freunde. Man kann hier viel wollen. Und wie verrückt Träumen nachjagen. Oder man schlägt sich einfach nur den Bauch voll und wird berühmt. Denn Hollywood is’ ein Ort für Leute, die nix machen. Aber man muss eben authentisch nix machen. Falls ihr mein Stargeheimnis wissen wollt.
Wir fuhren wieder durch die weite Welt. Über ne endlose Straße, durch Felder und Wiesen und Wälder hindurch. Ich kroch zu Gold auf den Schoß, er streichelte meinen Kopf, während das Auto wie verrückt sauste und schaukelte. Aber es machte mir keine Angst mehr. Und als wir so zusammen fuhren, Gold und ich, da war ich glücklich. Ich glaub nicht, dass ich jemals in meinem Leben so glücklich war. Und ich hätt mir gewünscht, dieser Moment hält ewig. Aber wen interessiert’s schon, was sich ein Kater wünscht.