Alveros
Es hatte Worte wie diese gebraucht, um Alveros schmerzhaft wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen. Was, in Dreiteufelsnamen, tat er hier? Hatte er vollkommen den Verstand verloren? Nun, da die Gier fürs Erste gestillt war, sah er blinzelnd auf den Rücken des Omegas hinab und fragte sich, was in ihn gefahren war. Als würde er aus einem Traum erwachen, kam sein klarer, berechnender Verstand wieder zu ihm zurück. Er hatte sich hinreißen lassen. Zerknirscht richtete er sich ganz auf.
Gabriels Liebeserklärung war ohne Frage vom Knoten getriggert, mit dem Alveros erneut seine Prinzipien verletzt hatte – und konnte deshalb nicht für voll genommen werden. Vielmehr machte sich Alveros Vorwürfe, dass es überhaupt so weit gekommen war. Einem Omega vorzugaukeln, eine Bindung eingehen zu wollen, war nicht seine Art. Mit dieser Form von Gefühlen spielte er nicht, das machte alles nur komplizierter. Denn dass es bereits verfahren war, war offensichtlich. Er spürte es. Wie ihm die Kontrolle entglitt, jeden Tag mehr.
Alveros wusste, dass er ohne ein weiteres Wort gehen sollte. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, seine Entscheidung, mit Gabriel die Hitzephase zu durchleben, zu überdenken. Oder seine Reaktion danach. Nun musste er zugeben, dass er sich recht irrational verhalten hatte. Mit jedem Tag in Gabriels Nähe war es schlimmer geworden. Obwohl er versucht hatte, es zu vermeiden, mit mehr Brutalität und Kühle auszugleichen oder sich irgendwie abzuschotten, war er nicht dagegen angekommen.
Das war er nicht gewohnt. Diese Methoden hatten bisher immer geholfen. Und doch schaffte es ein kleiner unscheinbarer Omega, ihn derart aus der Fassung zu bringen, dass es ihn von einer Emotion in die nächste warf. Das machte ihn wütend. Sich seiner eigenen Machtlosigkeit überdeutlich bewusst, wünschte er sich, er hätte sich heute beherrscht. Wieso fiel es ihm bei Gabriel so schwer, sich zu unterbrechen, wenn sie einmal dabei waren? Wenigstens auf den Knoten zu verzichten? War es die Gewohnheit, in ihm zu kommen, weil sie es während der Hitze nicht anders gehandhabt hatten?
Ein dumpfes Gefühl von Trauer ließ ihn in seinen Gedanken innehalten. Es wuchs aus seiner Magengegend hinauf bis in seine Brust und wollte sich dort festsetzen. Stirnrunzelnd warf Alveros einen Blick auf den Omega, der seit seinen abschmetternden Worten stumm geblieben war. Wie deutlich er spüren konnte, was in Gabriel vorging, wäre faszinierend – wenn es nicht zu seinem eigenen Gefühlschaos beitragen würde. Dazu gezwungen zu sein, zu fühlen, was der Omega fühlte, zerrte an seinen Nerven.
Für gewöhnlich reagierte Alveros auf solche Irritation mit Zorn. Aber die bloße Vorstellung, seine Wut an Gabriel auszulassen und mit anzusehen, wie er erneut weinend vor ihm zusammenbrach, stach ihm so schmerzhaft in die Brust, dass diese Empfindung zu all den anderen, die ihn peinigten, nur noch einen drauf setzte.
Beherrscht atmete er tief durch und betete, dass sich sein Knoten nicht allzu viel Zeit lassen würde. Auf diese Weise an den Omega gefesselt zu sein, ausgerechnet jetzt, war unangenehm.
»Ich hoffe, du bist mit dir zufrieden«, zog ihn Gabriels Stimme bitter aus seinen eigenen trüben Gedanken. Und als er ihm über die Schulter einen Blick zuwarf, war der so düster, dass Alveros einen Moment der Atem stockte. »Jetzt hast du mich genau da, wo du mich haben wolltest. Ich bin zu einer deiner Omega-Huren geworden. Bereit, mich benutzen zu lassen, wenn du einen harten Fick brauchst.«
Alveros knirschte mit den Zähnen. »Genug, Gabriel«, mahnte er leise und strich ihm besänftigend über den Rücken. Er war selbst verwirrt und frustriert, aber er war nicht auf Streit aus. Nicht in ihrer derzeitigen Lage. »Das ist nie meine Absicht gewesen.«
Bitter lachte Gabriel auf. »Richtig, ich vergaß. Schließlich bin ich nicht Omega genug, um mit deinen anderen Nutten mitzuhalten.«
Bevor sich Alveros beherrschen konnte, entwich ihm ein warnendes Grollen. Er hasste dieses abfällige Wort.
»Provozier keinen Streit, Gabriel. Nicht jetzt.«
»Verschwinde einfach.« Der Omega warf ihm einen giftigen Blick zu. Anklagend fuhr er fort: »Ich habe dich nicht um den Knoten gebeten. Wie kannst du es wagen, mich so zu erniedrigen?«
Bestürzt sah Alveros dabei zu, wie er die Brille von der Nase nahm und sich mit dem Handrücken Tränen von den Wangen wischte.
»Es tut mir leid«, sagte Alveros leise. Doch seine Worte machten es nicht besser. Er konnte es in Gabriels Augen sehen.
Mit einem schweren Seufzen schüttelte dieser den Kopf, ehe er sich abwandte. »Ich brauche deine Entschuldigung nicht.«
Als er nach dem Toilettenpapier griff, um seine Tränen damit zu trocknen, fühlte Alveros ein so starkes Verlangen danach, ihn tröstend in seine Arme zu ziehen, dass es ihn selbst erschreckte. Würde es ihm ab sofort immer so sehr zusetzen? Diese Empfindungen würden ihn peinigen, bis er sich dem Ruf der unfreiwilligen Bindung ergab und das tat, was für den Omega am besten wäre?
Als er vorhin erkannt hatte, dass Gabriel die Wahrheit gesagt und ihn nicht an Feinde verraten hatte, die Ophelia wegen des Bisses getötet hatten, war er erleichtert gewesen. Die Vorstellung, von ihm hintergangen worden zu sein, hatte ihn zuvor schier zerrissen. Als das aus der Welt geschafft worden war, war er mehr als bereit für einen Neuanfang gewesen.
Aber so, wie es jetzt war, war besagter Neuanfang auf allen Ebenen undenkbar. Alveros wusste nicht, was er sagen konnte, um die Situation zu entschärfen. Das Einzige, was er tun konnte, war, Abstand zu suchen.
Sein Knoten hatte sich noch nicht vollständig zurückgebildet, doch als er ihn jetzt herauszog, gab Gabriels Muskelring dennoch nach und dem Omega entwich ein Keuchen. Alveros überging es. Und weil er ahnte, dass eine Abschiedsfloskel unpassend wäre, drängte er sich in seine Hose zurück, schloss die Kabine auf und verschwand.
♣
Während Alveros ins Pearls fuhr, zwang er sich, nicht darüber nachzudenken, in welchem Zustand er Gabriel zurückgelassen hatte. Oder dass er ihn überhaupt so weit gebracht hatte. Wichtigere Dinge warteten auf ihn, mahnte er sich. Sehr viel wichtigere Dinge.
In den letzten Tagen war er nicht untätig gewesen. Jemand hatte von seiner Bindung erfahren und dieses Wissen seinen Feinden verraten, um ihn zu schwächen. Das und zusätzlich das Wissen darüber, wo er Ophelia versteckt gehalten hatte. Wer auch immer dieser Maulwurf in seinen Reihen war, er musste ihn schnell finden, bevor die Person weitere pikante Details ausplaudern konnte.
Seine Alphas hatte er in den vergangenen Tagen strengen Verhören unterzogen. Nicht viele von ihnen waren überhaupt in Frage gekommen. Freya, die vor der Tür Wache gestanden hatte, als Alveros Ophelia gebissen hatte. Sie hatte er, als Gabriel gerade in seine Hitze gekommen war, aufgefordert, sich um die Omega zu kümmern, bis sie John ins Orchidee fuhr. John hatte zwar von ihrem Biss gewusst, doch nicht von seinem eigenen. Carl und George ebenso wenig. Keiner von ihnen hatte ein erkennbares Motiv, wieso er es riskieren sollte, diese wenigen Informationen weiterzugeben, um auf gut Glück zu hoffen, dass Alveros durch den Tod am Boden zerstört wäre. Sie kannten ihn. Sie wussten, dass ihm der Mord an Omegas zwar naheging, ihn aber vielmehr zornig als deprimiert stimmte.
Bei seinem letzten Besuch allerdings hatte Odil ihm von Gerüchten erzählt. Gerüchten, die über Alveros im Umlauf seien. Sie wären der Grund gewesen, weshalb Odil, sobald er von dem Anschlag auf die Omegas erfahren hatte, sofort zu ihm geeilt sei, um nach ihm zu sehen.
Deshalb hatte Alveros mit jemandem ein Hühnchen zu rupfen.
Als er durch den Eingang des Pearls schritt, blieb sein Erscheinen nicht unbemerkt. Es war bereits früher Abend, die Omegas bereiteten sich auf ihre erste Show vor. Als ihm Amber und Sugar entgegen tänzelten, in identischen Outfits, die auch noch dem letzten Beobachter verdeutlichten, dass sie Zwillinge waren, küsste er sie nur halbherzig auf die Wangen.
»Wo ist Rochelle?«
»Sie macht sich für die Show fertig«, flötete Sugar.
Alveros brummte. »Sagt ihr, ich will sie sehen. Jetzt gleich.«
Er ließ von seinen beiden Schönheiten ab, die sich folgsam umdrehten und in die Garderobe zurückkehrten, während er bereits den Weg in die Hinterzimmer antrat. Sie wusste, wo sie ihn finden würde. Wenn Alveros geschäftlich hier war, arbeitete er im Meetingraum ganz am Ende des Ganges.
Dort drehte er gerade eine kleine Runde im Raum, als es klopfte.
»Komm rein.«
Die Tür wurde aufgeschoben und Rochelle erschien, ein vorsichtiges Lächeln auf den Lippen. »Du wolltest mich sprechen, Boss?«, fragte sie und warf sich das rote, lockige Haar über die Schulter.
Die Hände in die Hosentaschen geschoben, trat Alveros auf sie zu. Er kam gleich zur Sache. »Du hattest Kontakt zu Odil.«
Verunsichert nickte sie. »Ja. W-wir … wir sind Freunde, und… na ja …« Unter seinem eindringlichen Blick schrumpfte sie in sich zusammen, als ahnte sie, dass eine Strafpredigt folgte. Es wäre nicht ihre erste. Sie war die klatschsüchtigste Person, die Alveros kannte. Und er reagierte allergisch darauf, dass jemand tratschte. Das wusste sie.
»Du hast ihm auch von Gabriel erzählt, nicht wahr?«, knurrte er. »Damals, nach Prag.«
Rochelle senkte fahrig den Kopf. »Ja.«
Alveros knirschte mit den Zähnen. Für sie sah es nicht schlimm aus. Dass die Omegas untereinander sprachen, war normal. Aber es gab Grenzen. Nichts, was in Alveros’ Beisein geschah, durfte ausgeplaudert werden. Das war eine seiner Regeln. Sie wusste das.
»Hat Odil dir gesagt, dass Gabriel in London fast gestorben wäre, weil er Jujube gegessen hatte?« Er trat näher an sie heran.
Unsicher ging sie einen Schritt zurück, doch das nützte ihr nichts. Alveros folgte ihr.
»Hast du eine Ahnung, was du hättest anrichten können, wenn du den falschen Leuten von ihm erzählt hättest? Dass Attentäter den Assistenten des Präsidenten wegen deiner Geschwätzigkeit hätten vergiften können?«
Verzweifelt schüttelte Rochelle den Kopf. »So-sowas habe ich nicht gewollt, ich …«
»Vor ein paar Tagen ist ein Omegamädchen im Orchidee ermordet worden«, unterbrach sie Alveros schneidend. »Weil irgendwer dahinter gekommen ist, dass sie an mich gebunden war.« Ein großer Schritt nach vorn.
Rochelle prallte mit den Rücken gegen die Tür.
Mit einem Blick, der ihr bis auf den Grund ihrer Seele gehen sollte, sah Alveros auf sie herab. »Du warst die einzige Omega, die von dem hier erfahren hatte«, sagte er leise und wies mit einer Hand auf seinen Hals.
Inzwischen zitterte Rochelle. Ihr Dekolletee hob und senkte sich schnell unter ihrer flachen Atmung. Dass ihre Unterlippe verräterisch bebte und ihre Augen feucht wurden, machte ihn nicht gnädiger.
»Rochelle«, knurrte Alveros unheilvoll. »Wem hast du davon erzählt?«
»Ich …«, keuchte sie, »ich habe es niemandem erzählt, wirklich nicht!«
Seine Hand knallte neben ihrem Kopf gegen die Wand. Erschrocken fuhr sie zusammen.
»Lüg mich nicht an, Rochelle«, zischte Alveros wütend. »Außer dir kam mir keiner so nah. Irgendwem musst du es erzählt haben und ich will wissen, wem.«
Das Beben, das ihren Körper erfasst hatte, wurde heftiger. Tränen liefen ihr über die Wangen, losgelöst von seiner kleinen Machtdemonstration. Doch sie schwieg. Und das gefiel Alveros nicht.
»Sofort, Rochelle«, mahnte er drohend.
Verstohlen wischte sie sich die Wangen trocken. »Ich habe es niemandem gesagt«, hauchte sie zittrig und sank weiter in sich zusammen, ehe sie ihre Aussage abschwächte mit einem: »Glaube ich. Ich … Al, ich wollte nie …«
Alveros riss allmählich der Geduldsfaden. Dass sie es nicht einmal wusste, ob sie es getan hatte, machte das Ganze nur umso gravierender. Damit stand fest, wer für den Tod der Mädchen im Orchidee verantwortlich war. Wieso hatte er sie nicht gleich verdächtigt? Weil er geglaubt hatte, seine letzte Drohung sei so einschneidend gewesen, dass sie sich ein einziges Mal zusammenreißen würde? Nur dieses eine verdammte Mal!
»Wem hast du es erzählt?«, wiederholte er seine Frage. Er musste es wissen. Vielleicht hatte sie ihn nicht aktiv verraten, aber wenn sich das Gerücht ihretwegen wie ein Lauffeuer verbreitet hatte, kam das aufs Gleiche raus.
Rochelle sagte nichts. Sie stand vor ihm, drückte sich gegen die Tür, weil sie ihm nicht ausweichen konnte, hatte den Kopf gesenkt und weinte.
Das reichte Alveros nicht. Er musste wissen, wen sie ins Vertrauen gezogen hatte. Einer der Mitwisser hatte ihn schließlich hintergangen. Und sie stand hier und faselte etwas von › keine Absicht ‹. Das machte ihn wütend.
»ANTWORTE!«, brüllte er.
Wieder fuhr Rochelle zusammen. Sie wimmerte.
Doch das konnte ihn jetzt nicht mehr milde stimmen. Sein Blick durchbohrte sie.
Fahrig wich sie ihm aus und wischte sich über die nassen Wangen. »Vie-vielleicht ist es mir …« Inzwischen wurden ihre Worte von ihrem hektischen Hicksen unterbrochen. »Mal … mal rausgerutscht, als … als wir nach Feierabend zusammen … also … als wir alle …«
Alveros’ Hand ballte sich neben ihrem Kopf zur Faust. »Du willst mir sagen«, begann er unheilvoll leise und sein Ton war mörderisch geworden, »dass du es dem gesamten Pearls-Ensemble erzählt hast?«
»Nein!«, stieß sie aus und sah ihn panisch an. Aber ihr Blick flackerte und sie konnte den seinen nicht lange halten. Mit dunklen Wangen stammelte sie: »Also … nicht, dass ich mich daran erinnern könnte, ich … wir waren betrunken, wir haben über so viel gesprochen, ich weiß es nicht mehr, ich …« Um Gnade winselnd schaute sie wieder zu ihm auf. »Bitte, Al«, hauchte sie. »Wenn ich es gesagt habe, habe ich es nicht böse gemeint, ich …«
Alveros trat einen Schritt zurück. Dann noch einen. Täte er es nicht, lägen seine Hände bereits an ihrem zierlichen Hals. Seine Wut war so groß, dass es ihm schwerfiel, sich zusammenzunehmen.
»Lauf«, flüsterte er, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt, um sich davon abzuhalten, sie hier und jetzt zu erdrosseln. »Lauf weit weg, Rochelle. Dorthin, wo ich dich nicht finden kann. Wenn ich dich noch einmal sehe, werde ich dir die Zunge rausreißen. Hast du mich verstanden?«
Rochelle schluchzte auf. Zitternd wie Espenlaub, schwankend, als könnten ihre Beine ihr Gewicht nicht halten, stolperte sie zur Tür und zog sie mit bebenden Fingern auf.
Hinter ihr schloss sie sich mit einem Klicken.
Alveros atmete tief durch. Dann entlud sich seine Aggression in einem Wutanfall. Er riss mit einem zornigen Aufschrei den Sessel um, warf Lampen und Vasen zu Boden, schmiss die Deko herunter wie im Wahn, und kam erst wieder zu sich, als er schwer atmend aufs Sofa sank und das Chaos sah, in das er den Meetingraum verwandelt hatte. Um ihn herum lagen Scherben aus Glas und Keramik. Seine Knöchel bluteten von den Momenten, in denen er auf die Wand eingeboxt hatte. Verdammte Scheiße.
♣
Auf der Suche nach dem Verräter in den eigenen Reihen war Alveros durch das Gespräch mit Rochelle keinen Schritt weitergekommen. Er glaubte nicht, dass sie ihn in voller Absicht hintergangen hatte. Doch wer auch immer gewusst hatte, wo er Ophelia finden konnte, hatte sich dieses Wissen, das sie da herumgetratscht hatte, ohne Zweifel zunutze gemacht.
Alveros wusste nicht, wo er noch suchen sollte. Rochelles Plauderei hatte den Kreis der Verdächtigen erheblich vergrößert. Sich weiter darauf zu konzentrieren, würde ihm wertvolle Zeit stehlen. Zeit, die er vernünftiger nutzen musste.
Das Revier der O’Connors war noch nicht lange in seiner Hand. Seine Leute behielten die, die sich aus dem Clan angeschlossen hatten, im Auge. Aber im Falle eines Angriffs der Morellos war er zahlenmäßig unterlegen. Sein gesamtes Gebiet war zu groß und seine Mannstärke zu klein. Er brauchte Verbündete.
Als Alveros vor einigen Monaten entschieden hatte, dass er sich Gabriels Position als rechte Hand des Präsidenten zunutze machen wollte, um Einfluss nach ganz oben zu gewinnen, hatte er es auch getan, um sich in solchen Fällen abzusichern. Es juckte ihm in den Fingern, Campbell direkt zu kontaktieren. Ihn einzuweihen, ihn um seine Unterstützung zu bitten – und um die seines Partners, der für die internationale Sicherheit zuständig war. Alveros brauchte nicht einmal ein eindrucksvolles Polizei-Aufgebot. Im Gegenteil, das wäre ihm eher hinderlich. Grunewald verfügte, so hieß es, auch über eine beträchtliche Zahl grober Schläger, die für ihn die Drecksarbeit erledigten. Ein Dutzend davon würde Alveros schon weiterhelfen.
Er entschied sich dagegen. So groß die Versuchung auch war, einen übermächtigen Verbündeten an seine Seite zu holen, so groß wäre der Preis, den er dafür zahlen müsste. Bisher hatte er seine Karten klug gespielt. Hatte das Präsidentenpaar nur sehen lassen, was sie sehen sollten. Grunewald war ein begabter Stratege und Kriegsherr. Ohne Frage würde er im Austausch für seine Unterstützung vollkommene Transparenz verlangen. Diese Informationen war Alveros nicht bereit zu zahlen. Dafür profitierte er zu sehr von ihrem sporadischen Informationsaustausch, als dass er riskieren wollte, dass sie ihre Meinung zu ihm änderten, weil sie ein paar seiner dunkleren Geschäfte aufdeckten. Er erfuhr vor vielen anderen, wenn sie neue Gesetze planten, die seine Bereiche betrafen. Bekam mit, worauf sich der Minister gerade konzentrierte und worauf seine Razzien abzielten. Diese Einblicke wollte er nicht verspielen. Also musste eine andere Lösung her.
Während Alveros sein Smartphone zückte und die Nummer wählte, fragte er sich, ob das eine gute Idee war. In den Kreisen, in denen er sich für gewöhnlich bewegte, konnte man niemandem trauen. Und er ahnte, was nötig wäre, um sich wenigstens für kurze Zeit etwas wie Loyalität zu sichern.
Es knackte in der Leitung. Dann ertönte von der anderen Seite ein hustendes Lachen. »Welch unerwartete Freude«, sagte eine schwerfällige Stimme in hartem, tschechischem Akzent.
Alveros knirschte mit den Zähnen. »Hallo, Emil.«
Alveros
Der dichte Qualm schwängerte die Luft so sehr, dass man kaum die Hand vor Augen sah. Nur das rötliche Licht der geschmackvollen, herabgedimmten Wandleuchter erhellte den kleinen Raum. Gerade genug, um Umrisse zu erkennen. Torfiger Whiskeygeschmack lag Alveros auf der Zunge. Die schwere Süße vermischte sich mit der des Opiums, doch er spürte bereits die Wirkung schwächer werden. Obwohl sich Sugar und Amber abmühten, verdüsterte sich seine Stimmung mit jeder weiteren Minute. Das kurze Hochgefühl, hervorgerufen durch den Rausch der Drogen, verblasste.
»Genug«, murrte er und schob sie von sich. »Verschwindet.«
Sichtlich irritiert kamen die beiden auf die Füße.
Alveros stand nicht der Sinn nach einer Erklärung. Er sah zu, wie sie zögernd zur Tür gingen, als erwarteten sie, dass er sie zurückrief. Das tat er nicht. Stattdessen schwieg er, bis sie gegangen waren, und starrte stirnrunzelnd die blutrote Wand an. Geistesabwesend legte er die Hand an seinen Hals.
Jeden Morgen und jeden Abend trug er die Salbe auf. Inzwischen war der Biss schon nicht mehr so deutlich zu sehen. Obwohl es ihn erleichtern sollte, bald nicht nur das Zeichen, sondern auch diese vermaledeite Bindung los zu sein, die damit einherging, konnte er sich darüber nicht freuen. Im Gegenteil, vielmehr kam es ihm so vor, als würde ihn der Umstand zusätzlich frustrieren. Er ahnte, was ihm sein Unterbewusstsein damit sagen wollte. Doch der bloße Gedanke daran war lachhaft. Seit er Gabriel vor einigen Tagen das letzte Mal gesehen hatte, hatte sich sein Wunsch, so viel Abstand zwischen sie zu bringen, wie möglich, nur verstärkt. Alveros hatte es aufgegeben, seinen Biss übermäßig verstecken zu wollen. Das Schlimmste war schließlich schon eingetreten: Seine Omegas wussten, dass es jemandem gelungen war, ihn zu binden. Und dass er nicht bereit war, sich davon in eine monogame Beziehung zwingen zu lassen. Wieso also nicht zu alten Gewohnheiten zurückkehren?
Er hatte diesen seltsamen, bitteren Beigeschmack, der ihm auf der Zunge lag, wann immer er an Gabriel dachte, überspielt. Mit exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum und ausschweifenden Orgien mit seinem Harem. Es würde vorbei gehen, hatte er sich gesagt.
Allmählich fing er an, daran zu zweifeln. Amber und Sugar hatten ihn gerade nicht so effektiv ablenken können wie sonst. Dabei verfehlten Blow Jobs von seinen hübschen Omegas eigentlich nie ihre Wirkung.
Alveros war unzufrieden mit seiner Sentimentalität und diesen sonderbar verlangenden Gefühlen in sich. Er war frustriert, weil ihn die Hitzephase zu solchen Dingen verleitet hatte. Ohne sie hätte er sich nie so sehr auf Gabriel eingelassen.
In den letzten Tagen hatte er alles versucht, um sich von dieser lästigen Sehnsucht abzulenken. Hatte viel gearbeitet. Hatte sich mit seinen Lieblingslastern abgelenkt. Das hatte sonst immer geholfen.
Jetzt aber hatte es seinen Zauber verloren.
Alveros war sogar auf alte Methoden zurückgegriffen, die ihm früher einen gewissen Kick verliehen hatten. Wie etwa, sich eine der Shows im Pearls anzusehen – in einer abgetrennten VIP Loge – während ihn Prince mit Händen und Lippen verwöhnt hatte. Doch auch das hatte nichts genutzt. Im Gegenteil, es hatte ihn sogar so kalt gelassen, dass er nicht mal richtig hart geworden war. Es war zum Verrücktwerden.
Die letzten Tage hatte er kaum ein Auge zugetan. Kaum etwas gegessen. Und wenn Alveros nicht darauf achtete, woran er dachte, dann wanderten seine Gedanken unweigerlich zu Gabriel und den Momenten, die sie gemeinsam erlebt hatten. Vor allem die intimen, die so intensiv gewesen waren – und deren Erinnerungen ihn so schnell steif werden ließen, dass es die Bemühungen der Omegas verspottete, die sich ins Zeug legten, ihn zu befriedigen.
Diese aufkommenden Bilder waren so häufig, wie sie unliebsam und unerwünscht waren. Alveros wollte sich nicht binden. Das hatte er noch nie gewollt. Vor allem wollte er keinen sturen Assistenten, der lieber Blocker nahm und mit den Reizen seines verführerischen Harems absolut nicht mithalten konnte.
Wütend auf seine eigenen Empfindungen starrte Alveros in sein Whiskeyglas.
Er wusste, dass er Gabriel nicht wirklich mochte. Wenn sie ehrlich miteinander waren, konnten sie sich doch gar nicht ausstehen! Sie stritten sich andauernd, Gabriel respektierte ihn nur, solange er es war, der ihn bezahlte, und darüber hinaus war der Omega gar nicht sein Typ. Zu langweilig, zu schlicht, zu verbohrt und zugeknöpft.
Wieso nur ging Alveros dann nicht aus dem Kopf, wie einnehmend er roch, selbst außerhalb der Hitze? Wie hinreißend es klang, wenn er ihn › Alpha ‹ nannte? Wie verführerisch sein Stöhnen war? Wie sehr es Alveros schmerzte, ihn weinen zu sehen, und wie gern er ihn stützen und beschützen wollte?
Zähneknirschend trank er den Rest Whiskey aus und straffte die Schultern. Er war nicht gut in solchen Dingen. Gefühlen. Für gewöhnlich spielte er mit ihnen, manipulierte sie. Aber er erlag ihnen nicht. Und das würde er auch dieses Mal nicht. Er hatte die Kontrolle über seine Gefühle. Nicht andersherum.
♣
Am nächsten Morgen fühlte sich Alveros ausgebrannter und erschöpfter denn je. Der Drogen- und Alkoholkonsum, die exzessiven Orgien der letzten Tage und die schlaflosen Nächte forderten allmählich ihren Tribut. Die vielen Überstunden, der psychische Druck, der durch Morellos Bedrohung auf seinen Schultern lastete, und seine Unfähigkeit, in solchen stressigen Zeiten auf sich zu achten, verbesserten diesen Umstand nicht gerade.
Alveros wusste, dass er die Zeichen erkennen und einen Gang runterschalten sollte. Allerdings hatte er viel zu viel auf dem Tisch, als dass er es sich leisten konnte, heute nichts zu tun. Das sähe ihm nicht ähnlich. Er nahm sich nie frei. Nicht einmal für einen Tag, geschweige denn mehrere. Dafür war ihm sein Imperium viel zu wichtig.
Die dringlichsten Themen waren mehr oder minder geregelt. Gegen Morellos nächsten Gegenschlag, der mit Sicherheit nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, hatte er erfolgreich vorgesorgt. Nun musste er sich auf das Tagesgeschäft konzentrieren, das er darüber in den letzten Tagen hatte vernachlässigen müssen. Also stand er trotz aller Erschöpfung, die ihm Kopfschmerzen und ein angespanntes Nervenkostüm bescherte, am frühen Nachmittag im Pearls . Genauer gesagt, in der Garderobe der Omegas.
Alveros hatte sich nur kurz hierher aufgemacht, um sich zu versichern, dass sie für den Tag und für die kommenden gewappnet wären. Er war einmal die Woche hier, um Sorge dafür zu tragen, dass sie alles hatten, was sie brauchten. Dieser Form von geschäftlicher, professioneller Aufmerksamkeit war es zu verdanken, dass sich seine Angestellten in ihrem Arbeitsumfeld wohl fühlten und sich eher selten von der Konkurrenz abwerben ließen.
Gerade sprach er über die Entwicklungen der letzten Wochen und wie er sich den Rest des Jahres vorstellte – denn inzwischen war August und das Jahr neigte sich dem Ende zu – als seine Kopfschmerzen stärker wurden. Nicht auf der Schmerzskala, aber von dem Grad der Konzentrationsschwäche, die damit einherging. Alveros stockte in seinen Worten, verlor den Faden und versuchte, sich wieder zu sammeln. Es ging ihm nicht gut, stellte er fest. Er war fiebrig und schwach, verschwitzt und ausgelaugt. Vielleicht sollte er anschließend in seine Wohnung fahren und dort ein wenig Schlaf nachholen.
Alveros beendete gerade nach einer längeren Pause seinen Satz und setzte den nächsten an, als er den verführerischen Duft bemerkte, der ihn schon in den letzten Stunden umschmeichelt hatte, der nun jedoch so intensiv wurde, dass er sich nicht mehr ignorieren ließ. Beherrscht führte Alveros weiter aus, was er zu sagen hatte, aber der Geruch trug nicht dazu bei, dass er sich besser konzentrieren konnte. Im Gegenteil, er intensivierte sich mit jeder Sekunde.
Kurz fragte er sich, ob eines seiner Omegas in einer Hitzephase war. Das würde seine körperliche Reaktion erklären.
Alveros warf einen Blick durch den Raum, um den Omega ausfindig zu machen, der dafür verantwortlich war. Doch noch während er das tat, erkannte er, mit welchen Mienen ihn seine Mitarbeiter ansahen. Jedes einzelne seiner Omegas hatte einen verträumten Ausdruck und ein gieriges Funkeln in den Augen.
Alveros lief ein Schauer über den Nacken. Als Alpha konnte er nicht behaupten, dass er sich oft in die Enge gedrängt fühlte – oder von einer großen Gruppe mit Blicken ausgezogen. Die einzigen Momente, in denen das bisher vorgekommen war, hatten alle mit seiner Brunst zusammengehangen.
Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
Fuck.
Drei Monate waren seit seiner letzten Brunst vergangen. Wieso war ihm das nicht früher aufgefallen? Das war die einzige Zeit, in der er kürzertrat, sich für gewöhnlich mit seinem Harem zurückzog und sich an ihnen auslebte. Weil er einen stabilen Rhythmus hatte, konnte er diese Phase der unentwegten Geilheit beinahe auf den Tag genau berechnen. Und doch hatte er es in den letzten Wochen vergessen. Die Sache mit Gabriel hatte ihn so sehr aus dem Konzept gebracht, dass er nicht mehr darauf geachtet hatte.
Alveros wich zurück. Wie aufs Stichwort traten alle Omegas einen Schritt weiter vor. Seine Wahrnehmung verengte sich weiter. Konzentrierte sich auf die einzelnen Omegas. In jedem Gesicht sah er das gleiche gierige Sehnen. Er sandte Pheromone aus.
Was ihn zusätzlich belastete, war die Tatsache, dass sich sein eigener Körper gegen ihn stellte und er begann, in seinen Omegas das willige, weiche Fleisch zu sehen, an das er sich pressen und in das er eindringen wollte. Rücksichtslos, wieder und wieder, bis das rastlose Verlangen, das in ihm hochkochte, endlich gestillt sein würde.
Ohne einen von ihnen aus den Augen lassen zu können, tastete Alveros nach der Türklinke, fand sie schließlich mit schweißnassen Fingern und drückte sie runter. Er stolperte aus der Garderobe.
Alveros musste hier weg. Irgendwohin, in einen Raum, der so abgeriegelt war, dass er daraus nicht entkäme und über das nächste Omega herfallen könnte, das sich ihm in den Weg stellte.
Gabriel , schoss es ihm verlangend durch den Kopf und er keuchte auf, als ihn dieser innere Ruf die Augen öffnete. Er brauchte ihn. Es musste Gabriel sein. Doch etwas in ihm erinnerte sich daran, dass dieser dann jedes Recht hätte, ihm zu unterstellen, dass er ihn benutzte.
Das ist egal , dachte Alveros, Gabriel würde es verstehen . Sie könnten den Deal vervollständigen, vielleicht wäre der sonderbare Zauber dann gebrochen. Und etwas in Alveros’ Brust rief so verzweifelt nach ihm, dass es seinen Körper immer mehr schwächte.
Seine Beine knickten weg, während er versuchte, den kleinen Korridor entlangzugehen, der von den Garderoben der Omegas vor zur Bühne und zum großen Saal führte. Entschlossen richtete er sich wieder auf. Schweiß trat ihm auf die Haut. Alveros spürte, dass sein Blut in tiefere Regionen gepumpt wurde. Ihm war schwindelig. Alles hier roch nach Omegas und die verschiedenen Düfte raubten ihm den Verstand. Während er lief, stützte er sich an der Wand ab, kam dem Saal immer näher und würde nur noch hindurch und auf die andere Seite der Bühne gelangen müssen, um sich dort in einem Meetingraum einzuschließen und seine nächsten Schritte zu überdenken. Oder wenigstens sicherzugehen, dass er nichts Dummes anstellte.
Vielleicht ließ er sich von einem seiner Leibwächter direkt nach Hause fahren. Sie kannten das Prozedere. Auch wenn es ungewöhnlich war, dass er sich entschied, eine Brunst allein zu überstehen. Aber das war immer noch besser, als sich jemandem aufzuzwingen. Oder Gabriel ausfindig zu machen, und … Er wollte den Gedanken nicht einmal zu Ende denken. Der Omega würde ihn noch mehr hassen. Zugleich entwich Alveros ein gieriges Grollen, weil er ihn so sehr bei sich fühlen wollte. Die Besessenheit der letzten Tage erreichte eine neue Intensität. Es musste Gabriel sein – oder niemand. Also gab es nur eine Antwort auf seine Misere: Alveros musste seine Brunst allein durchstehen.
Mit eisernem Willen und so beherrscht wie möglich schleppte er sich bis zum Ende des Ganges. Doch als er gerade neben der Bühne angelangt war, schwang die breite Tür auf und ein Schwarm Omegas kam schwatzend herein. Panisch ging sein Blick durch den Raum. Überall sah er Omegas sitzen und stehen. Sie verteilten ihre Gerüche.
Verdammte Scheiße, es war Omega-Abend. Jedes Omega, das heute ins Pearls kam, hatte freien Eintritt. Alveros würde es nicht bis zur anderen Seite der Bühne schaffen, ohne sich auf dem Weg zu vergessen, ahnte er. Er war ausgehungert wie ein Wolf nach einem langen harten Winter. Bereit, das nächste jungfräuliche Schäfchen zu reißen.
Erschaudernd spürte Alveros, wie sein Schwanz mit einem gierigen Pulsieren auf die Gedanken reagierte. Stolpernd bog er nach links in den Gang ein, der hinter die Bühne führte. Hin zum einzigen Bereich in der Nähe, der nicht nach Versuchung und Verführung roch.
Alveros hastete den schmalen Korridor entlang und kam endlich zu dem kleinen Raum hinter der Bühne, wo zwischen all den Requisiten das Sofa stand. Mit einem ergebenen Seufzen ließ er sich darauf nieder, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Der Duft war hier schwächer. Kaum wahrzunehmen. Es kühlte Alveros’ erhitztes Gemüt ein wenig.
Nicht für lange. Zwar wurde er nicht mehr provoziert, aber die Brunst ließ sich dadurch nicht abstellen. Nach der ersten Erleichterung fühlte er sein inneres Drängen wieder deutlicher. Es wollte ihm einflüstern, zurückzugehen. Sich ein Omega nach dem anderen zu nehmen. Sein Harem würde ihn mit Freuden lassen, das wusste er. Der Trieb in ihm war so stark und zugleich so voller Widersprüche, weil er einerseits jeden haben wollte und andererseits nur den einen, dass es ihm alle Kraft und Entschlossenheit abverlangte, auf dem Sofa sitzen zu bleiben. Hier hinten wäre er keine Gefahr. Sobald er wieder vor ging, konnte er für nichts mehr garantieren.
Unruhig bemerkte Alveros, dass er sich in eine Falle manövriert hatte. Es gab keinen anderen Ausgang aus diesem Bereich. Wenn er gehen wollte, musste er nach vorn zu den Gästen. Es wäre ein Desaster, wenn er dort durchdrehen würde - doch eines, auf das er sich nur schwer konzentrieren konnte. Überhaupt konnte er kaum einen klaren Gedanken fassen. Sein Körper zitterte vor Anspannung, sein Geist war schwach und benommen und ihm war schwindelig. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn und klebte ihm das Hemd an die Haut. Er spielte mit dem Gedanken, sich an das Sofa zu fesseln, verwarf ihn aber schnell wieder. Dafür fehlten ihm im Augenblick Energie und Konzentration.
Aufgewühlt fuhr er sich mit den Händen durchs Gesicht, das unter seinen Fingerspitzen glühte, und holte tief Luft, ehe er mit ungewohnt wenig Kraft sein Handy aus der Jackettasche kramte. Allein diese Bewegung kontrolliert auszuführen, verlangte ihm schon so viel ab, als wäre er seit Tagen bei sechzig Grad im Schatten in der Wüste unterwegs.
Alveros atmete flach. Er suchte Georges Nummer heraus, doch seine Sicht war verschwommen und er musste dreimal ansetzen, weil er bei den ersten beiden Malen nach einigen Sekunden vergaß, was er gerade tun wollte, und ihm sein Handy zwischendurch aus den schweißnassen, bebenden Fingern glitt. Darüber hinaus war der Druck in seinem Schritt mittlerweile so unerträglich hoch, dass es ihm schwerfiel, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren.
»Scheiße«, fluchte Alveros heiser. Er brauchte jemanden. Er brauchte Gabriel! Ob er ihn anrufen sollte? Ihn bitten sollte, herzukommen? Wie schrieb man Gabriel? Kam das in den Kontakten vor oder nach George? Er konnte nicht mehr klar denken.
Schweratmend schloss Alveros die Augen, um sich zu sammeln. Noch während er das tat, hörte er leichte Schritte, die näher tänzelten. Eine vertraute Duftnote stieg ihm in die Nase, die sein Alphaherz gierig höherschlagen ließ.
»Al«, säuselte eine verträumte, weiche Stimme.
Alveros öffnete die Augen. Er war nicht überrascht, als er Odil sah, der wie eine strahlende Erscheinung auf ihn zu schwebte. Sein Blick war fiebrig.
»Stern«, grollte Alveros heiser. »Was tust du hier?«
»Ich hatte die Gruppe besuchen wollen.« Odil legte ihm eine Hand auf die Brust und schob ihn zurück, bis der Alpha mit dem Rücken gegen die Lehne stieß. Geschmeidig ließ sich Odil rittlings auf ihm nieder. »Dann habe ich dich gerochen.« Er rieb seine Nase an Alveros’ Wange. »Wieso bist du hier so ganz allein, Al? Lass mich dir durch die Brunst helfen.«
Alveros’ Gedanken waren langsam und schwerfällig. Selbst jetzt, da er das Gewicht des Omegas auf seinem Schoß spürte, brauchte er einen Moment, um zu begreifen, dass er wirklich bei ihm war.
Irritiert zog er den Kopf zurück. »Dein Alpha …«, keuchte er. Sein Hirn fühlte sich an, als hätte es zu lang in der Sonne gelegen. Irgendwie wollte er die Fäden nicht richtig zusammenbringen. Aber er konnte schwören, dass da etwas mit einem anderen Alpha gewesen war. Zum Teufel, die Brunst mochte seine Potenz steigern, doch dass das Blut sein Hirn nicht mehr erreichte, machte ihm das Leben wirklich nicht leichter.
Besänftigend rieb sich Odil an ihm. »Mach dir um ihn keine Sorgen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.« Sein Becken kreiste lockend über Alveros’ Schritt und benebelte seinen Geist weiter.
Mit einem Keuchen krallte Alveros die Hände in die Oberschenkel des Omegas. Das hier war vertraut. Odil war während seiner letzten Brunst-Phasen stets dabei gewesen. Sein Geruch war unverändert einnehmend und Alveros wusste, dass es ihm besser gehen würde, wenn er sich in die fähigen Hände des Omegas ergab. Dass die Fingerspitzen über seine Brust strichen, führte dazu, dass sich das rastlose Kribbeln in ihm verstärkte.
Aber etwas war dieses Mal anders. Und noch während er mühsam versuchte, herauszufinden, was es war, tauchte vor seinem inneren Auge Gabriels Gesicht auf, wie er sich unter ihm in den Laken wand. Das war es, was er wollte, erinnerte er sich wieder. Das hier wollte er nicht mit Odil. Er wollte Gabriel. Schwach schüttelte Alveros den Kopf, obwohl sein Schwanz mehr als zugetan reagierte.
»N-nicht«, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sein Körper betrog ihn, war von der Annäherung wie gelähmt, als wollte er den Omega machen lassen. Schauer um Schauer durchliefen ihn.
»Wieso denn nicht?«, raunte ihm Odil ins Ohr. Seine Hände glitten tiefer. Mit flinken Fingern öffnete er den Hosenbund. »Lehn dich zurück, Al, entspann dich. Ich weiß, was du brauchst.«
Alveros entwich ein gequältes Aufstöhnen. Er wollte ihn von sich schieben. Das hier war falsch. Alles in ihm sträubte sich. Seine Brust hatte sich zusammengeschnürt. Doch seine Arme versagten ihm den Dienst, als sich die weichen Finger um sein steinhartes Glied schlossen und ihn lustvolle Blitze durchfuhren. Sein Kopf fiel zurück in seinen Nacken.
»F-fuck«, knurrte er heiser, was Odil mit einem zufriedenen Schnurren kommentierte. Seine Handfläche kreiste über die nasse Spitze und an den Oberschenkeln des Omegas zuckten Alveros’ Finger. Odil wusste viel zu gut, was er tat. Alveros’ Körper war nur allzu bereit, sich darauf einzulassen.
Aber das unangenehme Gefühl verstärkte sich. Da wuchs Ablehnung in ihm heran, Widerstand, Unwillen. Odil sollte aufhören. Stattdessen wollte Alveros Gabriel suchen, wollte die Zeit mit ihm verbringen und mit niemandem sonst. Ganz gleich, wie fähig die vertrauten Hände sein Glied bearbeiteten und wie verheißungsvoll sich Odils Lippen an Alveros’ Kiefer und Kinn anfühlten, wo er ihm kleine Küsse auf die erhitzte Haut setzte.
Alveros spürte einen Orgasmus näherkommen, den er so nicht wollte. Seine Hände krallten sich in Odils Oberschenkel.
»H-hör auf«, keuchte er. Seine Stimme klang fremd in seinen eigenen Ohren. Verzweifelt und schwach. Erschöpft.
Odil kicherte. »Gleich«, versprach er mit einem koketten Unterton. Offensichtlich missverstand er den Sinn hinter den Worten.
Alveros hatte nicht die Kraft, sie ihm zu erklären oder Odil zu unterwerfen. Aber das Gefühl, das alles nicht zu wollen, steigerte sich mit einem Mal so intensiv, dass der Wunsch, Abstand zwischen sie zu bringen, überhandnahm.
»Ich sagte, hör auf«, verlangte er, legte ihm die Hände auf die Hüfte und stieß ihn in einem verzweifelten Akt, der all seine Selbstbeherrschung forderte, von sich.
Odil landete mit einem überraschten Aufschrei mit dem Hintern auf dem Boden. Irritiert starrte er zu ihm auf, während Alveros schwer atmend und fiebrig zu ihm hinunterschaute.
Dann bemerkte er eine Bewegung aus den Augenwinkeln.
Alveros hob den Kopf. Seine Augen weiteten sich.
Gabriel
In den vergangenen Tagen hatte Gabriel ausreichend Zeit gehabt, sich über einige Dinge klarzuwerden. Darüber, dass seine Liebe nicht erwidert wurde. Alveros’ Abgang in der Bahnhofstoilette war schmerzhaft gewesen. Ihn zusätzlich zu demütigen, indem er ihm zuvor noch den Knoten aufzwang, obwohl er nicht das Gleiche empfand, hatte dem Ganzen die Krone aufgesetzt. Es hatte ihn daran erinnert, dass, egal wie charmant und zuvorkommend sich Alveros geben konnte, er tief im Herzen ein reiner Egoist war. Ein Narzisst, der sich gern von anderen feiern und verehren ließ. Dem es, selbst wenn er etwas anderes behauptete, vollkommen gleich war, wie es seinen Mitmenschen ging. Oder den Omegas, mit denen er verkehrte.
Gabriel hätte es wissen müssen. Schließlich war es ihm doch schon von Anfang an klar gewesen: Dass Alveros gefährlich war, auf viele verschiedene Weisen. Dass er mit Gefühlen spielte, um Menschen zu brechen und sie gefügig zu machen.
Und als wäre das alles nicht genug gewesen, hatte er Gabriel ein paar Tage später tatsächlich das Geld überwiesen, das er sich so hart erarbeitet hatte. Plus eine ansehnliche Summe, die nicht vereinbart gewesen war. War das nun schlechtes Gewissen? Eine Entschuldigung? Oder seine Art, mit unerwartetem Sex umzugehen? Zähneknirschend hatte Gabriel sein Notebook geschlossen und versucht, sich nicht zu fühlen, wie eine von Alveros’ Huren.
Er musste dringend zu seinem sachlichen Selbst zurückfinden. Zu dieser Person, die er gewesen war, bevor das ganze Chaos in sein Leben gekommen war. Es wurde Zeit, loszulassen. Sich endgültig abzuwenden, den Umzug nach England zu planen und dort einen neuen Versuch zu starten. Vielleicht hätte er dieses Mal bei der Jobsuche mehr Glück. Und wenn nicht … tja … Alles erschien ihm attraktiver als die Aussicht darauf, weiterhin in Alveros’ Nähe zu sein. Das tat Gabriel nicht gut. So sehr sein Herz auch blutete, wenn er sich ausmalte, bald wieder in einem Land zu leben, in dem er dem Mafiaboss nicht mehr so leicht über den Weg laufen konnte. Alles hatte Grenzen. Seine waren vor langer Zeit überschritten worden.
Am Ende der Woche begann Gabriel, seine Sachen in die Umzugskartons zu packen, die er seit seiner Ankunft im Keller gelagert hatte. Wieso es unnötig in die Länge ziehen? Er besaß nicht viel und das Wenige, das nicht vorher in dieser möblierten Wohnung gewesen war, war schnell eingeräumt.
Gerade hatte er sich mit einem Glas Wasser an den kleinen Küchentisch gesetzt, um eine Pause einzulegen, als sein Handy klingelte. Keine Nummer, die er kannte. Er spielte mit dem Gedanken, nicht ranzugehen. Sein Display blinkte auf, die Melodie des Klingeltons erfüllte die Küche und in wenigen Sekunden würde die Mailbox rangehen – doch dann siegte seine Neugier. Gabriel nahm das Gespräch an.
♣
Er hatte gewusst, dass es eine schlechte Idee wäre. Dass er sich wirklich nicht mehr einmischen sollte, dass er es hätte abblocken und auflegen sollen. Doch dann hatte sein Pflichtgefühl die Oberhand gewonnen. Das Gefühl, die Verantwortung für das Wissen zu haben, das ihm gegeben worden war.
Ein letztes Mal , hatte er sich gesagt, während er ins Pearls gefahren war. Nur noch ein Gespräch. Ich werde sagen, was ich zu sagen habe, werde ihm die Informationen geben und dann werden sich unsere Wege trennen .
Gabriels Entschlossenheit, sich dieses Mal nicht von Alveros manipulieren zu lassen, war groß gewesen, als er eingetreten war. Mit festem Schritt war er an den Gästen vorbeigelaufen, die sich gerade ihre Plätze gesucht hatten, ehe die erste Veranstaltung beginnen würde.
Er hatte geahnt, dass er Alveros in den Garderoben finden würde – nachdem ihm die Empfangsdame aus dem Büro mitgeteilt hatte, dass er in seiner Lieblingsbar wäre. Von Gabriels Kündigung schien sie nichts gewusst zu haben. Sein ehemaliger Boss hatte es wohl nicht für nötig gehalten, den Clan darüber aufzuklären, dass Gabriel nicht mehr für ihn arbeitete. Das war eine der Sachen, über die sie definitiv würden sprechen müssen.
Doch als er widerstrebend in die Garderoben eintrat, fand er Alveros dort nicht. Dafür sah er unter den Omegas einige bekannte Gesichter. Jene, die sich auffällig oft in Alveros’ Nähe aufhielten. Gabriel vermutete, dass sie zum Harem gehörten.
Als ein hübscher junger Mann mit bronzefarbener Haut, goldenen Locken und geschwungenen Lippen auf ihn zukam und ihm ein Lächeln schenkte, war er sich sicher, dass sie sich schon einmal begegnet waren.
»Hey«, grüßte ihn der Omega freundschaftlich. »Gabriel, nicht wahr?«
Gabriel nickte. Er erinnerte sich an den Abend, als wäre es gestern gewesen. Der Omega war mit Alveros gemeinsam in einem abgetrennten Bereich eines Clubs gewesen.
»Ich bin Prince.« Er streckte ihm die Hand hin.
Gabriel schüttelte sie zögernd.
»Schön, dass wir uns mal unter angenehmeren Umständen begegnen«, grinste Prince. »Das letzte Mal, das ich dich gesehen habe, hat dir der Boss ziemlich zugesetzt, hab ich gehört.«
Unangenehm berührt verzog Gabriel den Mund. Das traf auf beinahe jedes Aufeinandertreffen mit Alveros zu. Er nickte knapp, während er verwundert bemerkte, dass ihm Prince die Unterbrechung von damals nicht nachtrug. Dabei hatte er sie offensichtlich in einem recht intimen Moment gestört.
»Kannst du mir sagen, wo er ist?«, fragte er. »Ich dachte, er sei im Pearls . «
Prince stutzte. Dann kicherte er. »Oh, er war hier.« Sein anrüchiges Schmunzeln hielt nicht lang. Bedauern zeigte sich auf seinem hübschen Gesicht. »Aber er ist verschwunden.« Etwas Sehnsüchtiges trat in seine Augen. Etwas, das Gabriel nicht gefiel.
Stirnrunzelnd beobachtete er das Mienenspiel. »Wo ist er hin?«
Blinzelnd, als würde Prince einen Gedanken abschütteln, der ihn festgehalten hatte, sah er zu Gabriel zurück. »Ich weiß es nicht.«
Gabriel seufzte. Das überraschte ihn nicht. Alveros war ein Einzelgänger und Geheimniskrämer.
»Danke trotzdem.«
»Immer gern.«
Mit einem letzten Blick durch die Schar der Omegas, die sich für ihren Auftritt fertigmachten, wandte sich Gabriel um und verließ die Garderobe.
Als er den Gang zurückging und neben der Bühne stehenblieb, hatte er ein sonderbares Déjà-vu. Eigentlich sollte er zur anderen Seite des Saales laufen, wo die abgetrennten Räume lagen. Sicher würde er Alveros im letzten Meetingraum finden. Doch etwas hielt ihn zurück. Lockte ihn, stattdessen hinter die Bühne zu schleichen, wie einst vor vielen Wochen. Inzwischen kam es ihm vor, als sei das Jahre her gewesen.
Es mochte Nostalgie sein. Das Wissen darum, dass er nie hierher zurückkehren würde. Er konnte es sich nicht erklären, aber etwas zog ihn dorthin. Dieser Ahnung folgend, ging er in den Gang hinein, während der Publikumslärm im großen Saal hinter ihm immer leiser wurde.
Je näher er dem Raum kam, der hinter der Bühne lag, desto düsterer wurde es. Wie beim letzten Mal.
Und wie beim letzten Mal hörte er Stimmen, die ihm vertraut vorkamen.
Gabriel wollte durch die Regalreihen spähen, aber sie waren vollgestellt. Er ging weiter, angelockt von den Stimmen, von einer dunklen Vorahnung und von einem Duft, der in der Luft lag und der ihm angenehm um die Nase strich. Das hatte ihn nähergezogen, erkannte er. Der Geruch.
Als er um das Regal herumtrat, bot sich ihm ein schmerzhaftes Bild, das ihm wie ein Dolch ins Herz fuhr.
Odil saß auf Alveros. Natürlich. Wie hätte es auch anders sein sollen? Wie hätte Gabriel je annehmen können, dass die beiden irgendetwas trennen konnte? Giftige Galle stieg in ihm auf. Nach allem, was zwischen Alveros und ihm geschehen war, hatte ein Teil von Gabriel naiverweise gehofft, dass er eine Sonderstellung eingenommen hatte – so wie Odil. Obwohl er gewusst hatte, wie unrealistisch diese Hoffnung gewesen war. Spätestens nach Alveros’ letztem Korb. Trotzdem tat es weh, dass es ihm noch einmal so unter die Nase gerieben wurde. Ganz gleich, welche widrigen Umstände den Mafiaboss und seinen Stern davon abhielten, sich aneinander zu binden, es war offensichtlich, dass sie zusammengehörten. Dass sie nicht voneinander lassen konnten. Gabriel war neidisch darauf. Eifersüchtig, weil Odil das hatte, was er nie bekommen würde.
Aber irgendetwas musste der Omega getan haben, denn mit einem geknurrten Ruf stieß ihn Alveros von seinem Schoß. Diese Brutalität hätte ihm Gabriel bei seinem Liebling nicht zugetraut. Er hatte immer geglaubt, wenn Alveros jemanden gut behandeln würde, dann seinen Stern. Der hockte nun am Boden, sah irritiert zu ihm auf und schien zu verblüfft, um zu reagieren.
Bevor sich Gabriel abwenden und die beiden allein lassen konnte, hatte ihn Alveros entdeckt. Sein Blick suchte und fand ihn. Gabriel kam nicht dagegen an. Dunkle Augen bohrten sich in ihn, als wollten sie sich in ihn brennen, sich einhaken und ihn näherziehen. Einen Moment lang stockte ihm der Atem. Er konnte nicht fortsehen. Das hatte er nie gekonnt.
Dann öffnete Alveros den Mund. Seine Worte waren so leise, dass Gabriel sie kaum verstand. Durch die Lippenbewegung las er das, was ihn nicht erreichte: › Omega ‹
Gabriel durchlief ein Schaudern. Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf fragte sich, ob er wirklich gemeint sein sollte. Aber es bestand kein Zweifel. Alveros sah ihn an, als wollte er ihn verschlingen. Bevor Gabriel wusste, was er tat, setzte er sich in Bewegung und ging auf ihn zu. Folgte dem Ruf, der ohne Worte gekommen und doch so eindeutig gewesen war. Trat an Odil vorbei, ohne ihn zu beachten. Und bemerkte mit jedem weiteren Schritt deutlicher, wie intensiv Alveros’ Duft heute war. Wie lockend. Wie berauschend.
Sein Widerstand fiel in sich zusammen. Der eigentliche Plan, eine Information zu überbringen, die ihm mit einem Mal schrecklich belanglos vorkam, war in den Hintergrund gerückt. Gabriel legte seine Hand in die, die Alveros zu ihm ausstreckte, ließ sich näherziehen und sank auf den Schoß des Alphas, angezogen von dem dunklen Blick und dem verführerischen Duft.
Neben ihm ertönte ein pikiertes Schnauben. »Was?«
»Ich hasse es, dass du Blocker nimmst«, brummte Alveros, ohne Odil Beachtung zu schenken. Seine großen Hände zogen Gabriel an den Hüften näher. Strichen ihm andächtig über die Seiten. Der Mafioso beugte sich vor und drückte die Nase gegen seinen Hals. »Sie hemmen deinen Duft. Ich will dich riechen.«
Gabriels Herz schlug höher. Zu einem klaren Gedanken war er nicht mehr fähig, so nah bei dem Alpha, dessen Duft ihn betörte. Dass er vorgezogen wurde, dass Odil abgelehnt wurde, obwohl Alveros offensichtlich in seiner Brunst war, tat etwas mit ihm. Es ließ ihn vergessen, wo sie waren. Mit welchem Vorsatz er gekommen war. Was alles zwischen ihnen hing. Die verführerischen Pheromone, die ihm den Verstand vernebelten, taten ihr übriges.
»Alpha«, hauchte er und schloss genießend die Augen, als ihm Alveros einen heißen Kuss auf den Hals setzte. Der starke Körper des Mannes strahlte noch mehr Hitze aus als sonst. Und sein Hemd war ganz klamm, als hätte er es durchgeschwitzt. Das kümmerte Gabriel nicht. Wenn überhaupt, erregte es ihn nur weiter. Mit einem Schnurren rieb er sich an ihm.
»Das … ist nicht dein Ernst«, erklang hinter ihm eine Stimme, die er fast schon vergessen hatte. » Er ?!« Es klang pikiert. Zutiefst entsetzt, als sei die Tatsache, dass Alveros einen Omega vorzog, der körperlich nicht mit seinen Reizen mithalten konnte, eine persönliche Beleidigung für Odil. Ein Zischen ertönte. »Ich wusste es!«
»Verschwinde, Odil«, knurrte Alveros. Er ging dazu über, mit den Zähnen an Gabriels Ohrläppchen zu ziehen, was diesem eine angenehme Gänsehaut bescherte. Sein Herz schlug glücklich höher, während Odil hinter ihm hörbar nach Luft schnappte. Der Omega klang, als hätte er Mühe, die richtigen Worte zu finden. Das war Gabriel gleich. So nah bei Alveros, sich seiner Aufmerksamkeit vollkommen sicher und mit diesen betörenden Duft in der Nase konnte er sich um Odils Reaktion keine Gedanken machen. Dafür reagierte sein Körper zu eindeutig auf die Brunst des Alphas. Seine Hände strichen sehnsüchtig über die breite Brust. Natürlich war ihm aufgefallen, dass Alveros bereits aus seiner Hose befreit worden war. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was Odil getan hatte, bevor er hierhergekommen war. Der Geruch machte ihn trunken, er wollte Sex und er wollte ihn jetzt. Mit diesem beeindruckenden Alpha, der selbst während der Brunst noch die Kontrolle behielt und wählte. Vielleicht war es nur der Trieb, der Gabriel dazu brachte, so schnell wieder von Alveros hingerissen zu sein. Doch es fühlte sich berauschend an, auf diese Weise angelockt und begehrt zu werden.
Wüst schimpfend entfernte sich Odil. Gabriel hörte gar nicht hin.
Kaum waren sie allein, riss Alveros fordernd an den Knöpfen seines Hemds. »Du bist meinem Ruf gefolgt«, säuselte er rau, dann schoben sich seine Hände bereits unter den Stoff.
Keuchend sah Gabriel zu ihm hinunter. »Ja.« Stöhnend bog er den Rücken durch, als Alveros in seine Brustwarzen kniff.
Dann grollte der Alpha gierig und zog ihn abermals näher, sodass sie im Schritt übereinander rieben.
»Ich will dich«, brummte er an Gabriels schlanker Brust und leckte ihm mit seiner heißen Zunge über die Haut, bis zum Hals hinauf. »Brauche dich.«
Gabriel erschauderte und sein Herz erzitterte. Wäre er zu einem vernünftigen Gedanken fähig, wüsste er, dass einzig der Trieb aus Alveros sprach. Doch nun war es ihm gleich.
»Seit Tagen will ich dich schon. Ganz gleich, was ich tue, ich kann nicht aufhören, an dich zu denken.«
Gabriel wimmerte auf. Sein Herz zog sich in süßem Unglauben zusammen, während Alveros die Stelle küsste, an der der letzte Rest seiner Bissspur zu sehen war. Dann saugte er kräftig daran und die Lust und der feine Schmerz wanderten durch Gabriels Körper bis in seinen Schoß. Das Wissen, dass der Alpha die Bindung mit einem Knutschfleck neu belebte, erregte Gabriel mehr, als er erwartet hatte.
Als Alveros von ihm abließ, flüsterte er leise, wie zu sich selbst: »Ich komme nicht dagegen an, Gabriel. Was finde ich nur an dir?«
Er klang so aufrichtig dabei, dass Gabriel nicht anders konnte, als ihm die Hände auf die Wangen zu legen und ihn zu einem Kuss heranzuziehen. Ihre Zungen spielten miteinander, Alveros stieß die seine fordernd vor und stöhnte auf, kaum dass ihm Gabriel entgegenkam. Er wirkte so gierig und so flehend. Als wollte er ihn einerseits unterwerfen und wagte es andererseits nicht, sich aufzudrängen. Als hätte er über die vergangenen Tage etwas wie Anstand entwickelt.
Dass er sich noch so weit beherrschen konnte und zugleich in jedem seiner Küsse überdeutlich mitschwang, wie sehr er all das hier brauchte, ließ Gabriels Herz schmelzen. Seine Hände wanderten über die muskulöse Brust und öffneten flink die Hemdknöpfe. Sobald sie auf die erhitzte Haut trafen, keuchte Alveros auf. Er war um so vieles empfindlicher als sonst. So viel offener. Jegliches Schauspiel war von ihm abgefallen, als hätte er keine Kraft mehr für eine Scharade. Seine Finger zuckten an Gabriels Hüften und seine Schultern wirkten angespannt. Er schien bemüht, sich zu beherrschen. Sich zurückzuhalten. Gerade hätte Gabriel nichts dagegen gehabt, wenn er ihn überwältigt und besinnungslos gevögelt hätte. Doch nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, rührte ihn diese Geste zutiefst.
Gabriel zeigte sich für diese Rücksicht erkenntlich, indem er sich nicht länger mit dem nackten, verschwitzten Oberkörper des Alphas aufhielt. Seine Hände legten sich um Alveros’ steinharten Schwanz. Er wurde mit einem kehligen Stöhnen belohnt.
»Verdammt, Gabriel«, fluchte Alveros und reckte den Kopf für einen weiteren Kuss. Um Gabriels Mundwinkel zuckte ein Lächeln, als er sich abermals hinabbeugte und die hungrigen Lippen einfing. Ihn so in der Hand zu haben – auf mehr als eine Art – berauschte ihn beinahe so sehr wie die Pheromone der Brunst. Er wollte Alveros weiter stöhnen hören, wollte fühlen, wie gut ihm seine Berührungen gefielen, wollte in dem Gefühl ertrinken, so sehr von dem Alpha begehrt zu werden, dass der dafür sogar andere Omegas verschmähte. Von dem Wissen allein war er bereits ganz high.
Sein Griff um den breiten Schaft wurde fester. Alveros reagierte mit einem dunklen Grollen. Die Hände in Gabriels Hintern gekrallt, schmiegte er sich an ihn und leckte ihm über den Hals.
»Mach weiter«, forderte er heiser, doch es klang weniger wie ein Befehl, vielmehr nach einer sehnsüchtigen Bitte. Gott, diese Seite an ihm machte Gabriel ganz schwach.
Bereitwillig massierte er das heiße Glied, das in seiner Hand zuckte, verrieb die Tropfen auf der Spitze und spürte, wie die Wurzel, die er mit der anderen umfasst hatte, immer weiter anschwoll. Alveros begann, den Knoten auszubilden. Nicht mehr lang, dann würde er kommen.
»Fuck«, knurrte der Alpha in sein Ohr, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten und ihm ein lustvoller Schauer über den Rücken lief. »Hör nicht auf, Gabriel.«
Gabriel keuchte auf. Es hatte ihn nie kaltgelassen, wenn Alveros seinen Namen gesagt hatte. Doch jetzt, so aufrichtig erregt und begierig, hatte es eine noch größere Wirkung auf ihn. Er verstärkte seine Anstrengungen, weil er mehr von ihm hören und weil er spüren wollte, wie der Alpha durch seine Hand kam.
Als all das wenige Sekunden später geschah, der erste Schwall heißer Samen über seine Hände lief und sich der intensive Alphageruch verstärkte, wusste Gabriel, dass es ihn nach mehr verlangte als das.
Alveros warf ihm einen erhitzten Blick zu. Seine Augen waren so dunkel geworden, dass sie schwarz waren. Er zog eine von Gabriels Händen von seinem Glied, hob sie zu seinem Gesicht und leckte das Sperma von seinen Fingern. Die große, nasse Zunge kribbelte auf seiner Haut und Gabriel japste auf, als der Alpha an seinem Handballen saugte und die Zähne hinein grub.
»Lass uns hier verschwinden«, grollte Alveros und sah ihn vielsagend an. »Ich will dich ficken, bis du nicht mehr laufen kannst.«
Unwillkürlich zuckte Gabriels Becken nach vorn. Er war in den letzten Minuten so feucht geworden, so begierig.
Sehnsüchtig schlang er Alveros die Arme um den Nacken. »Ich will dich jetzt«.
Er ahnte, dass er sich, sobald sein Geist wieder nüchtern wäre, schämen würde, weil er so bereitwillig erneut einen Fehler beging, der ihm das Herz brechen konnte. Wenn das hier vorbei wäre, würde ihn Alveros fallen lassen. Aber Gabriel kam nicht dagegen an. Weder gegen die Lockstoffe, noch gegen sein eigenes Verlangen nach dem Mann, das wider besserem Wissen ungebrochen war. Offensichtlich war Gabriel weniger lernfähig, als er angenommen hatte.
In Alveros’ fiebrigen Blick legte sich ein Funkeln, bei dem sein Herz höherschlug. »Ich dich auch«, hauchte er und küsste ihn so gierig, dass Gabriel ein flehendes Wimmern entwich. »Aber hier sind wir nicht ungestört.«
Gabriel zog unzufrieden die Stirn in Falten, schlang die Arme fester um den Nacken des Alphas und rieb sich an ihm. »Bitte«, bettelte er. »Ich brauch dich in mir. Du riechst so gut.«
Ein feiner Schmerz durchfuhr ihn, als ihm Alveros ins Ohrläppchen biss.
Dann hörte er den Verbrecherfürsten leise lachen. »Du wirst noch mein Untergang sein.«
Gabriel lief ein wohliger Schauer über den Rücken. »Du bist meiner«, flüsterte er.
♣
Es war Gabriel vollkommen gleich, wo sie waren oder wo Alveros sie hinführte. Wichtig war nur, dass sie sich nicht allzu weit voneinander entfernten. Nachdem der erste Knoten der Brunst abgeschwollen war und Alveros George aufgetragen hatte, die Limousine vorzufahren, konnten sie während der wenigen Minuten Fahrtzeit nicht die Finger voneinander lassen. Gabriel interessierte es nicht, wie viel George mitbekäme. Kaum etwas kümmerte ihn in diesem Moment. Alveros hatte ihn noch immer nicht gevögelt und mit jeder weiteren Minute, die er den lockenden Geruch in der Nase hatte und doch keine Befriedigung erfuhr, wurde seine Sucht nach dem Alpha schlimmer.
Aber dann schob ihn Alveros in einen fremden Fahrstuhl und am Rande bekam Gabriel mit, wie er eine Karte auf das Display drückte und sich die Türen hinter ihnen schlossen.
Gegen die Rückwand der kleinen Kabine gedrängt, küsste ihm Alveros die Seele aus dem Leib. Seine Hände wanderten zu Gabriels Hintern und krallten sich fordernd hinein.
Mit einem verlangenden Seufzen presste sich Gabriel an ihn. Er wollte ihn endlich in sich, wollte die verführerische Dehnung spüren, wenn Alveros’ mächtiger Alphaschwanz ihn ausfüllte, wollte noch den letzten klaren Gedanken vergessen, zu dem er im Moment fähig war.
Der Mafiaboss knurrte begierig, als sie im Schritt übereinander rieben. Überdeutlich fühlte Gabriel, wie sich ihm die harte Länge entgegenstreckte. Seine Hände stahlen sich ganz von allein wieder nach unten und massierten Alveros durch die Hose.
Mit einem atemlosen Keuchen stützte der Alpha die Stirn neben Gabriel gegen die Wand und erschauderte. Die Hitze, die von ihm ausging, war unverändert intensiv. Sein Anzug vollkommen durchgeschwitzt. Gabriel konnte es kaum erwarten, ihm den Stoff endlich vom Körper zu ziehen. Während er sich auf die Unterlippe biss, massierte er Alveros eindringlicher, der ihm ins Ohr stöhnte und seine eigene Lust damit weiter anfachte.
Das leise Klingeln über ihnen verkündete, dass sie auf ihrer Etage angekommen waren. Die Türen öffneten sich. Ohne aufzusehen, packte Alveros Gabriels Hintern fester und hob ihn hoch.
Reflexartig schlang ihm Gabriel die Beine um die Mitte. Er hatte kaum einen Blick für ihre Umgebung übrig. Stattdessen erwiderte er die neuen Küsse mit gleichem Verlangen, legte dem Alpha die Arme um den Nacken und ließ sich von ihm tragen.
Erst als er auf ein ausladendes Bett geworfen wurde, sah sich Gabriel um. Das Zimmer war so groß wie seine gesamte Wohnung. Und Gabriel lag auf einem Kingsize-Bett, das bis auf den Kleiderschrank an der gegenüberliegenden Wand das einzige Möbelstück hier war – von dem Nachtschrank einmal abgesehen. Das Zimmer war schlicht, aber edel. Dunkles Holz, dunkler Teppich, helle Tapete.
Alveros beugte sich über ihn und drückte ihn mit seinem Gewicht tiefer ins Bett. Schon hatte Gabriel seine Beobachtungen wieder vergessen. Er wimmerte auf, als der Alpha ein Knie zwischen seine Beine schob und ihm damit etwas gab, an dem er sich reiben konnte.
»Jetzt«, grollte ihm Alveros erhitzt ins Ohr, »habe ich dich da, wo ich dich immer haben wollte.«
Gabriel bekam eine Gänsehaut.
Gabriel
Als ihm Alveros die Schulterspitze küsste, seufzte Gabriel wohlig auf. Inzwischen war beinahe Mitternacht. Sein Körper war erschöpft und wund, doch er wusste, sobald Alveros’ Knoten abgeschwollen war und sich seine Brunst zu neuen Höhen aufschwang, wäre das vergessen.
Gabriel hatte sich vorgenommen, nicht allzu genau darüber nachzudenken, was er hier tat. Irgendwo zwischen all dem Sex der letzten Stunden hatte er für sich beschlossen, dass er diese wenigen Tage genauso gut als Abschied begreifen konnte. Er würde ohnehin bald nach England zurückziehen. Und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis ihn Alveros wieder verletzte. Eine gemeinsame Zukunft würde es nicht geben. Warum nicht dennoch das genießen, was sie im Moment hatten? Wieso sich nicht geehrt fühlen, dass Alveros in dieser Brunst entschieden hatte, ihn zu wählen? Ihn allein.
Seine Worte davon, dass er das tiefe Verlangen erwiderte, hatten zu unglaublich geklungen. Trotzdem schmiegte sich Gabriel an den Alpha, der hinter ihm lag und ihm den Arm um die Mitte geschlungen hatte, während sie beide die Ruhe nach dem Orgasmus genossen.
»Woran denkst du?«, raunte ihm Alveros zu.
»Nichts.«
Es sollte belanglos klingen und seine melancholischen Gedanken verstecken, doch der Alpha kaufte es ihm nicht ab.
»Ich spüre es«, erinnerte er ihn. »Was ist los, mein Herz?«
Gabriels Brust zog sich in süßem Sehnen zusammen. Irgendwann während ihrer leidenschaftlichen, intimen Stunden hatte der Mafiaboss begonnen, ihn mit diesem Kosenamen zu bedenken. Das gefiel ihm mehr, als er zugeben wollte. Das Wissen darum, dass er die Bezeichnung mochte, rief weitere Sorgen auf den Plan. Es würde schwer werden, sich emotional von Alveros zu lösen.
Um sich zu wappnen, atmete Gabriel tief durch. Eisern schob er seine Gedanken von sich. Er würde ihn nicht darin einweihen. Auf einen neuen Korb, nachdem er sich ihm geöffnet hatte, konnte er gut verzichten.
»Ich hatte vergessen, dass ich dich informieren wollte«, sagte er stattdessen. »Vorhin. Deshalb war ich ins Pearls gekommen.«
Alveros brummte. »Ich bin ganz Ohr.«
»O’Brien hat mich angerufen.«
»O’Brien?« Der Alpha versteifte sich.
Gabriel warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Ja. Im Büro hat man ihr meine Nummer gegeben, weil man dich nicht erreicht hat.« Aufmerksam musterte er Alveros’ Miene. »Du hast niemandem gesagt, dass ich gekündigt habe.«
Wenngleich der Mafioso talentiert darin war, seine Gedanken zu verbergen, so funktionierte die Verbindung über den Knoten doch in beide Richtungen. Und auch wenn Alveros eine gleichmütige Miene aufsetzte, spürte Gabriel den Frust, der sich in sein Gemüt mischte.
»Nein«, knurrte er. Seine Hand fasste die Hüfte fester, als wollte er ihn festhalten.
»Wieso nicht?«
Alveros ließ ein dunkles Grollen vernehmen. »Ist das nicht offensichtlich?«, murrte er. »Weil ich deine Kündigung nicht akzeptiere.«
Seine umschlagende Stimmung hatte einen sonderbaren Effekt auf Gabriel. Er hätte angenommen, dass es ihn verunsichern würde. Stattdessen lag da etwas in den Worten des Alphas, das ihn vielmehr dazu verleiten wollte, ihn zu beschwichtigen.
Sanft sagte er: »Ich bin seit Tagen nicht bei der Arbeit gewesen.«
»Und ich habe dir deshalb keine Vorhaltungen gemacht«, brummte Alveros. »Sei froh darüber.«
»Al …« Gabriel schob sein Becken vor. Der abgeschwollene Alphaknoten glitt aus ihm heraus. Er drehte sich zu Alveros um, bis sie Brust an Brust lagen, und strich ihm behutsam über die scharf geschnittene Kieferkante. »Du kannst nicht im Alleingang entscheiden, dass meine Kündigung wirkungslos ist.«
Gabriel wollte gern glauben, dass er in den Augen des Alphas etwas wie Wehmut sah. Doch die Hoffnung war trügerisch.
Und als sich Alveros räusperte, verschwand dieser Funken in seinem Blick. »Was wollte O’Brien?«
Gabriel ahnte, dass er nicht weiter auf dem Thema herumreiten sollte. Gerade konnte er sich Angenehmeres vorstellen als Streit.
Also antwortete er: »Sie hat die Liste abgearbeitet.«
»Tatsächlich?« Alveros klang milde überrascht. »Das hatte ich ihr so schnell nicht zugetraut.«
Dem war nichts hinzuzufügen. Gabriel nickte tapfer, obwohl er wusste, dass besagte Liste eine wortwörtliche Abschussliste gewesen war. Und dass Alveros ihr gedroht hatte. Zwei Themen, die dem Omega in ihm Angst machten und die er, wäre er vollkommen frei von den Einflüssen der Blocker, um einiges emotionaler aufnehmen würde.
So allerdings gelang ihm eine gewisse Sachlichkeit, als er vorsichtig fragte: »Ist ihre Schuld damit beglichen?«
»Vielleicht.« Alveros schmiegte sich an ihn. Er klang nicht so, als wollte er das Thema unnötig vertiefen. Seine Hand war wieder auf Wanderschaft gegangen. »Aber jetzt werde ich erst einmal dafür sorgen, dass du nicht mehr an die Arbeit denkst.«
Sein Becken drückte sich gegen Gabriels. Die Brunst war offensichtlich ein ebenso gefräßiges Monster wie die Hitzephase. Gabriel spürte, wie sich das Glied des Alphas abermals aufbaute. Es rieb betörend gegen sein eigenes. Doch anders als Alveros war er weder mit dieser beeindruckenden Ausdauer gesegnet, noch hatten ihn die Hormone so im Griff wie den Alpha im Moment. Sein Becken fühlte sich schwach an und an einem seiner Oberschenkel zuckte vor Überanstrengung unkontrolliert ein Muskel.
»Ich glaube nicht, dass ich so schnell wieder kann.«
Alveros schenkte ihm ein verführerisches Lächeln und zog ihn mit einem Ruck näher. Dann rieb er mit der Nase über Gabriels Hals. »Ich werde rücksichtsvoll sein.«
Gabriel kommentierte es mit einem ungläubigen Schnauben und einem halb vorwurfsvollen: »Lügner.« Inzwischen hatte er oft genug die Erfahrung gemacht, dass sich Alveros, wenn er erst einmal dabei war, nicht mehr zurückhielt. Dass er immer ein wenig grober war, als er sein musste. Dass die Lust stets von feinem Schmerz begleitet wurde, weil er seine rohe Kraft nicht zügelte.
Gabriel liebte es so am meisten. Die Schmerznote machte es umso intensiver und so sehr es Alveros genoss, ihn hart ranzunehmen, so sehr wollte Gabriel, dass er genau das tat. Sanft und kitschig gab ihn nicht den gleichen Kick.
Der Alpha schien zu ahnen, welche schmutzigen Gedanken ihm durch den Kopf gingen. Mit einem wollüstigen Knurren rieb er sich gegen Gabriel und krallte die Hände in seinen Hintern. »Ich will dich noch einmal hier«, brummte er ihm verheißungsvoll ins Ohr, »und danach auf jeder anderen Oberfläche dieser Wohnung.«
Gabriels Herz machte einen freudigen Hüpfer. Auf diese Weise daran erinnert zu werden, dass sie in einem Bett lagen, in das bisher angeblich kein anderer von Alveros’ Liebhabern gekommen war, steigerte seine Euphorie und seine Lust auf den Alpha nur weiter. Keiner aus dem Harem war je im Penthouse gewesen. Nicht einmal Odil.
Gabriel würde bald sogar noch mehr davon zu sehen bekommen als das Bett und die Schlafzimmerdecke, die er die letzten Stunden weggetreten angestarrt hatte.
»Dein Duft macht mich ganz berauscht«, säuselte Alveros, dessen Brunst spürbar Fahrt aufnahm. Die großen Hände kneteten Gabriels Hintern gieriger. »Du bist meine ganz persönliche Droge, mein Suchtmittel. So viel süßer als die anderen. So viel erregender. Die reinste Sünde.« Mit einem verlangenden Knurren drängte er sich an Gabriel, der sich ihm willig entgegenbog und die Aufmerksamkeit genoss.
Als er ohne Vorwarnung drei Finger in ihn hineinschob, sog Gabriel so scharf die Luft ein, dass er sich daran verschluckte. Haltsuchend krallte er sich in die breiten Schultern.
Alveros kommentierte es mit einem zufriedenen Grollen, während er die Finger in ihm spreizte. »Die Knoten haben dich ganz weich und durchlässig gemacht.«
Sein Dirtytalk war zugleich so schmutzig und so bewundernd. Die tiefe Stimme jagte Gabriel einen Schauer über den Rücken. Als Alveros’ heiße Zunge über seine Halsbeuge leckte, zogen sich seine Muskeln sehnend um die Finger zusammen. Der anziehende, betörende Duft des Alphas hatte wieder zugenommen und sein anschmiegsames Verhalten tat sein Übriges, damit sich ihm Gabriel abermals hingeben wollte.
»Fuck«, fluchte ihm Alveros heiser ins Ohr. »Ich will in dich rein, mein Herz. Du bist so bereit für mich. So feucht.«
Gabriel biss sich auf die Unterlippe, um nicht allzu offensichtlich aufzustöhnen. Sicher lag es an der Brunst, dass Alveros heute so zärtlich war. Eisern mahnte er sich, sich darauf nichts einzubilden – obwohl er zugleich ahnte, dass es bereits zu spät für ihn war. Er war diesem schrecklich verführerischen Teufel vollkommen verfallen.
♣
Unnötig, zu erwähnen, dass Gabriel zwei Tage später alles wehtat. Er war schon früh von seinen Eltern gewarnt worden, sich einem brünstigen Alpha nicht zu nähern. Man wüsste nie, worauf man sich einließe. Ein Omega könne es nicht immer allein mit einem Alpha in der Brunst aufnehmen. Sie würden sich noch mehr vergessen als während der Hitze eines Omegas. Könnten ihre rohe Kraft nicht kontrollieren. Wieso fielen ihm die Warnungen erst jetzt wieder ein?
Nun war es zu spät. Die Brunstphase hatte Gabriel so ausgepowert, dass er ahnte, dass er sich zu viel zugemutet hatte.
Er blinzelte im schwachen Licht und erkannte, dass die langen Vorhänge die aufsteigende Sonne aussperrten. Es musste früh am Morgen sein. Er war allein in Alveros’ großem Bett. Vom Alpha weit und breit keine Spur.
In Gabriels Kehle bildete sich ein Kloß. Unvermittelt ging seine Hand hinauf zu seinem Hals. Kein neuer Biss. Das war beruhigend. Das hier würde auch so schon schwer genug werden.
Nun, da er zum ersten Mal seit Tagen wieder bei klarem Verstand war, legte sich die Schwermut auf seine Brust wie ein Stein. Heute würde es enden. Alles, was jemals zwischen ihnen gewesen war. Und wenn es Alveros noch immer nicht akzeptieren wollte, dass er gekündigt hatte, dann würde er es spätestens begreifen, wenn Gabriel im Flieger nach Großbritannien säße und nicht zurückkehrte. Er hatte sich freiwillig auf diese paar Tage eingelassen. Dafür würde er Alveros keinen Vorwurf machen. Doch ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es nicht für immer wäre. Dass er, ganz gleich, wie sehr der Alpha Süßholz raspeln würde, keine neue Hoffnung zulassen würde.
Also streifte sich Gabriel die Kleidung über, die um das Bett verteilt lag, zog seine Schuhe an und ging auf leisen Sohlen aus dem Schlafzimmer heraus. Sein Blick wanderte durch den großen Wohnbereich, zum Sofa und zur verglasten Wand dahinter, durch die man eine unverschämt atemberaubende Aussicht auf den Central Park und die Stadt hatte.
Erinnerungen kamen auf, wie ihn Alveros letzte Nacht gegen eines der Fenster gedrängt und genommen hatte, während von unten die nächtlichen Lichter ihre nackten, vom Schweiß glänzenden Silhouetten beleuchtet hatten.
Gabriel durchlief ein Schaudern. Eilig sah er fort und fixierte stattdessen den Fahrstuhl, der direkt in der Wohnung endete. Sicher würde er ihn von hier aus auch ohne Karte rufen können.
Nur noch wenige Schritte trennten ihn davon, als hinter ihm eine tiefe Stimme fragte: »Wo willst du hin?«
Gabriel zuckte zusammen. Er hatte Alveros nicht herannahen gehört.
Nun straffte er die Schultern und drehte sich zu ihm um. Sofort wünschte er sich, er hätte das gelassen. Alveros trug eine schwarze Anzughose und ein offenes Hemd, das den Blick auf seine eindrucksvollen Brustmuskeln und das Sixpack freigaben.
»Gehen«, antwortete Gabriel dennoch tapfer, nachdem er sich von dem Anblick losgerissen hatte. »Wir sind quitt, richtig?«
Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte etwas in Alveros’ dunklen Augen auf. Etwas, das Gabriel spürte wie einen Dolch in der Brust. Seine Eingeweide zogen sich zusammen, während der Alpha lauernd nähertrat.
»Ist das so?«, fragte er mit einem kühlen Lächeln. »So viel Kaltschnäuzigkeit hätte ich dir gar nicht zugetraut, Gabriel. Der Untergrund hat dich härter gemacht, als ich angenommen hatte.«
Unsicher wich Gabriel zurück. »Ich wollte nicht …« Er stockte. Ihm fielen eine Menge Dinge ein, die er nicht wollte. Dem Alpha zur Last fallen. Ihm einen Grund geben, wütend zu werden. Oder dass Alveros glaubte, dass er irgendetwas von ihm erwartete.
Weil er sich unverändert anpirschte, wich Gabriel weiter zurück – bis er die Edelstahltüren des Fahrstuhls im Rücken spürte.
»Ja?«, raunte ihm Alveros zu.
Gabriel schluckte schwer. »Ich wollte vermeiden, dass es so endet wie die letzten Male«, murmelte er und sah zu Boden.
Der Mafiaboss stützte einen Unterarm über ihm ab und beugte sich vor. Seine Nähe war Gabriel jetzt, da er sich eisern vorgenommen hatte, zu verschwinden und nie mehr wiederzukommen, zu viel. Der angenehme, warme Geruch nach Feuerholz, Old Spice und Karamell kroch in seine Nase und schnürte ihm die Kehle zu. Gabriel wollte nicht gehen. Er wollte bleiben, sich an Alveros schmiegen und den Duft tief einatmen.
Aber jetzt, da er es ausgesprochen hatte, bestand kein Zweifel daran, dass ihm der Alpha zustimmen würde. Also wappnete er sich für die Abschiedsworte und dafür, dass sie ihn mitunter verletzen würden. Das taten sie oft, wenn Alveros sie aussprach.
»Ohne ein anständiges Frühstück kann ich dich nicht gehen lassen.«
Blinzelnd sah Gabriel zu ihm auf. Hatte er sich verhört?
Sein Gegenüber schenkte ihm ein kleines Lächeln. »Ich habe dich ziemlich gefordert«, gab er zu bedenken. »Und du hast einen langen Tag vor dir.«
Ungläubig starrte ihn Gabriel an. »Ach ja?«
Alveros nickte ernst. »Unser Terminkalender lässt heute kein Platz für ein Mittagessen. Wir haben viel zu erledigen.« Irgendetwas an der neuen, geschäftsmäßigen Abgeklärtheit kaufte ihm Gabriel nicht ab.
Eine Hand an seinem Kinn machte ihm bewusst, dass ihm der Mund aufgeklappt war. Alveros schob ihn wieder zu. Dann trat er zurück und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der die offene Küche lag. »Komm.«
Sprachlos sah Gabriel dabei zu, wie sich der Alpha herumwandte und lässig hinüber schlenderte. Er fühlte sich, als sei er über Nacht in eine Parallelwelt gerutscht. Eine, in der Alveros nicht das Weite suchte, nachdem sie einander nahegekommen waren. Eine, in der er nett war. Gabriel schüttelte sich.
Verwirrt trottete er hinter ihm her, während er noch versuchte, die ungewöhnliche Stimmung zu verarbeiten. Und die kleine, unwesentliche Nebeninformation, dass es Alveros anscheinend ernst damit meinte, ihn weiter beschäftigen zu wollen.
Was war hier los? War er beim Sex mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen? Daran konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Trotzdem tastete Gabriel vorsichtshalber seinen Hinterkopf ab. Da war nichts außer zerzaustes Haar. Keine Platzwunde. Keine Beule.
Als er an der Kücheninsel ankam, wurde Gabriel Zeuge davon, wie Alveros im großen Stil Eier anschlug und den Inhalt in eine Pfanne warf. Das meiste spritzte auf den Herd und die Arbeitsfläche daneben.
Abwesend ließ er sich auf einem der Hocker nieder, während Alveros Speckstreifen zum Rührei gab. Es war befremdlich, den Boss der größten Untergrundorganisation New Yorks bei etwas so Banalem wie Kochen zu sehen. Gabriel kam sich vor wie im falschen Film. Er fragte sich, wann er aufwachen würde. Wann der Fall aus den Wolken folgte, weil er sich abermals zu nah an die Sonne gewagt hatte. Es wäre nicht sein erster Ikarusflug. Nicht der erste Sturz.
Der beißende Geruch von verbranntem Essen riss ihn aus seinen Gedanken. Provoziert von der großen Hitze der Flamme waren Ei und Speck unten angebrannt, während sie oben noch vollkommen roh aussahen. Aber der unangenehme Geruch kam nicht nur aus der Pfanne. Auch vom Toaster daneben, aus dem gerade schwarze Toastbrotscheiben hinaufsprangen.
Monatelang hatte Gabriel nach einer Schwäche gesucht. Nach irgendetwas, das der Alpha nicht konnte. Etwas, worin er nicht gut war. Nun war es offensichtlich: Er konnte wirklich nicht kochen.
Die Erkenntnis war, wie alles im Moment, so surreal, dass Gabriel darüber nicht einmal schmunzeln konnte.
Stattdessen sah er dabei zu, wie Alveros unter leisem Fluchen das Handtuch warf, die Pfanne nahm und den Inhalt in den Mülleimer schob. Das schwarze Toast folgte. Während Gabriel mit eingezogenem Kopf darauf wartete, dass er darüber, dass etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief, tobte, zückte Alveros beherrscht sein Smartphone.
»Besser ist es, wir bestellen etwas«, verkündete er überraschend ruhig und warf Gabriel einen Seitenblick zu. »Zu früh für Sushi und Misosuppe?«
Die Frage war zu viel. »S-sushi?«, krächzte Gabriel.
Alveros nickte ernst.
Während er ihn abwartend ansah, versuchte Gabriel, sich zu sammeln. Er räusperte sich, setzte sich gerader hin und mahnte sich, dass er heute ein Vorhaben gehabt hatte. Eines, für das er Abstand zu dem Alpha hatte gewinnen wollen, damit ihn dieser nicht verletzte, wenn er am empfindlichsten war. Wie sollte er das anstellen, wenn ihm Alveros solche Sachen vorschlug? Das war nicht fair!
Darum bemüht, darüber nicht allzu rührselig zu werden, fragte Gabriel tapfer: »Gehört das zu den Informationen, die du über deine Zielpersonen in Erfahrung bringst? Ihr Lieblingsessen?«
Alveros hob eine Augenbraue. »Unter anderem.«
Zerknirscht nickte Gabriel. Natürlich.
»Danke«, murmelte er und rutschte vom Hocker herunter. »Aber ich denke, es ist wirklich besser, wenn ich jetzt gehe.« Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief er erneut auf den Fahrstuhl zu. Ihm war nicht ganz klar, was für ein Spiel Alveros spielte, doch er war es leid, sich von ihm so manipuliert zu fühlen.
»Gabriel«, hörte er Alveros’ Stimme hinter sich. »Bleib hier.«
Gabriel ignorierte es. Während er den großen Wohnbereich durchquerte, fragte er sich, wieso der Alpha nicht den Ruf nutzte, wenn er ihn unbedingt seinem Willen unterwerfen wollte. Der Biss war zwar so gut wie verheilt, doch dass sie die letzten Stunden miteinander verbracht hatten – und das überaus intim – hatte in seinem Unterbewusstsein mit Sicherheit Spuren hinterlassen. Es würde einen Effekt haben, ihn › Omega ‹ zu rufen. Eine Chance, die sich Alveros bestimmt nicht entgehen lassen wollte.
»Gabriel!«, rief der Alpha nun energischer.
Gabriel knirschte mit den Zähnen. Er war beim Fahrstuhl angekommen. Nun drückte er den Knopf und versuchte, sich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, dass Alveros die Verfolgung aufgenommen hatte. Innerlich betete er, dass der Fahrstuhl nicht allzu lang brauchen würde.
Endlich ertönte das leise Ding und die Türen glitten auf. Gabriel trat ein. Eine Hand schloss sich um seinen Unterarm und zog ihn entschieden zurück. Rückwärts stolperte er heraus und ehe sich Gabriel versah, hatte ihn Alveros zu sich umgedreht, ihn gegen die Wand gedrängt und ihm die Arme um die Mitte geschlungen, als wollte er ihn festhalten.
»Lauf nicht vor mir davon, mein Herz«, grollte er ihm ins Ohr. »Deine Flucht würde dir nichts nützen. Ich würde dich finden.«
Seine Stimme war so dunkel und zugleich so zärtlich, dass Gabriels Augen verräterisch brannten. Das hier war das schlimmste manipulative Spiel, das er je mit ihm gespielt hatte. Ihm durch doppeldeutige Signale Gefühle vorzugaukeln, war grausam. Tapfer bemühte sich Gabriel, davon unbeeindruckt zu wirken. Er würde nach England zurückkehren, mahnte er sich. In das kleine, verschlafene Nest seiner Eltern. Niemand würde ihn da je finden. Erst recht kein Mafiaboss, der seinen Namen schon wieder vergessen hätte, sobald sich ihm das nächste interessante Spielzeug näherte.
»Vielleicht«, murmelte er, legte Alveros die Hände auf die Oberarme und wollte ihn von sich schieben. Ohne Erfolg. Der Alpha zog ihn nur noch näher. Resigniert seufzte Gabriel auf und ließ von seinen Versuchen ab. »Was willst du von mir?«
»Nun, zuerst möchte ich, dass du ordentlich isst und dass du duschst.«
Gabriel stutzte. »Bitte?« War das eine subtile Beleidigung? Wenn er stank, dann maximal nach Sex.
Seine Reaktion erheiterte Alveros, der ihm leise ins Ohr lachte. »Meine Leute sind es zwar gewohnt, dass du nach mir riechst«, schnurrte er, »aber nicht so intensiv wie jetzt.«
Hatte er sich tatsächlich die fixe Idee in den Kopf gesetzt, dass Gabriel ohne Widerstand die Arbeit wieder aufnehmen würde?
Ihm etwas direkt ins Gesicht zu sagen, was er nicht hören wollte, ging selten gut aus. Trotzdem verkündete Gabriel noch einmal, damit keine Missverständnisse mehr zwischen ihnen hingen: »Ich werde nicht zurückkommen.«
»Doch, das wirst du.« Als ihn Alveros ansah, lag unverschämte Entschlossenheit in seinem Blick.
Störrisch machte sich Gabriel aus seinen Armen frei. »Wieso sollte ich?«
»Ich bezahle dich.«
Ungläubig schnaubend trat Gabriel an ihm vorbei. Tiefer in eine Wohnung hinein, aus der er schon lang verschwunden sein wollte. Anscheinend blieb ihm keine andere Wahl, solange Alveros den Ausgang blockierte.
»Oh, wie wunderbar«, sagte er und sein Ton war eine Spur bissig geworden. »Bedeutet das, nach diesen Nächten habe ich die nächste großzügige Summe auf dem Konto?«
Im Blick des Alphas glaubte er zu sehen, dass er sich ertappt fühlte.
»Ja, mir ist aufgefallen, dass du mir mehr gezahlt hast«, fauchte Gabriel, durch diese Reaktion nur bestätigt.
»Das war nicht …« Alveros fuhr sich durchs Haar und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du glaubst, ich hätte dich für Sex bezahlt?« Er klang entrüstet.
Doch Gabriel hatte lange aufgehört, auf das zu vertrauen, was ihn der Mafiaboss sehen ließ.
»Willst du etwa behaupten, dass ich mich irre?«, fragte er spitz.
»Ja!« Alveros machte einen so energischen Schritt auf ihn zu, dass Gabriel erschrocken zurückwich. Natürlich vergebens. Der Alpha packte ihn an den Oberarmen und sah ihm eindringlich in die Augen. »Du irrst dich.«
Irgendetwas war heute anders als sonst. Diese neue Seite an Alveros verunsicherte ihn. Sie wirkte so ehrlich, so aufrichtig. Ungeschönt und unmaskiert. Alles in Gabriel rief ihm warnend zu, dass es eine Falle war.
»Komm zurück, Gabriel. Zurück zur Arbeit. Zurück zu mir.«
Alveros’ Worte bohrten sich wie Enterhaken in seine Brust. Es war ungerecht, wie schnell der Alpha seine Hoffnungen auf mehr beleben konnte. War Gabriel denn gar nicht lernfähig?
»Wieso?«, flüsterte er.
»Du weißt, wieso.«
Beteuernd schüttelte Gabriel den Kopf. »Nein.« Dann machte er sich behutsam aus dem klammernden Griff frei und legte Alveros eine Hand auf die Wange, wie er es die letzten Tage hin und wieder getan hatte. »Sag mir, wieso, Alpha.«
Alveros zog die Augenbrauen stärker zusammen. »Ich werde nicht den Fehler machen, das auszusprechen«, brummte er abwehrend. »Ich weiß doch, wie ihr seid. Man gibt euch den kleinen Finger und …«
»› Ihr ‹?«, unterbrach ihn Gabriel pikiert und ließ die Hand sinken. Bitter trat er einen Schritt zurück und lachte freudlos auf. »Ach, das hatte ich ganz vergessen. Wir Omegas brennen alle darauf, dass sich endlich ein toller Alpha an uns bindet.« Der Spott in seiner Stimme sah Gabriel nicht ähnlich. Aber solange Alveros ihm nicht sagte, was hier lief, wusste er sich nicht anders zu behelfen.
»So habe ich das nicht gemeint«, behauptete der Alpha, dessen Stimmung allmählich in den Frust umschwang, auf den Gabriel schon den ganzen Morgen gewartet hatte. »Du zwingst mich wirklich, es auszusprechen.«
Von Wollen konnte keine Rede sein. Doch Gabriel tat ihm nicht den Gefallen, jetzt zurückzurudern. Stattdessen hielt er dem finsteren Blick so lange stand, bis Alveros schwer schnaufte und blaffte: »Ich will dich, Gabriel! In den letzten Tagen habe ich so oft an deinen kleinen, geilen Arsch und dein erregendes Stöhnen gedacht, dass es peinlich ist.«
Die Worte jagten Gabriel die Hitze in die Wangen, obwohl sie so zornig ausgesprochen worden waren. Was sie in ihm auslösen wollten, drängte er eisern zurück.
»Ich soll zurückkommen, weil es dir gelegen kommt, dass du deinen Assistenten vögeln kannst, wenn dir danach ist«, fasste er nüchtern zusammen. Er war es leid, dass Alveros die Unverfrorenheit besaß, so überzeugend gequält auszusehen, wenn der Einzige, der seit Monaten gequält wurde, Gabriel war.
Nun trat er an Alveros vorbei. »Danke, ich verzichte.«
»Nein.«
Eine Hand packte ihn am Oberarm und hielt ihn zurück.
»Du wirst mich zwingen?«, fragte Gabriel bitter. Er warf ihm einen Blick über die Schulter zu.
Alveros schüttelte den Kopf. »Niemals.« Und dann zog er ihn so behutsam an seine Brust zurück, dass es unfair war, wie schwach es Gabriel machte. Eine Hand stahl sich in sein Haar und strich ihm über den Hinterkopf, während sein Gesicht gegen die breite, nackte Brust gedrückt wurde. Es fühlte sich so gut an, dass er sich nicht einmal darüber beklagen konnte, dass der Kontakt seine Brillengläser verschmierte und ihm den Rahmen unangenehm in den Nasenrücken schnitt.
»Ich will beides«, raunte ihm Alveros zu. »Ich brauche dich als meinen Assistenten. Deine Cleverness, deine Anpassungsfähigkeit, deine hohe Auffassungsgabe. Mit deiner Unterstützung kann ich besser gegen Morello vorgehen als allein.« Der Griff in Gabriels Haar wurde fester. Es kribbelte an seiner Kopfhaut, als Alveros leicht daran zog. »Und ich will nach Feierabend deinen hübschen Hintern auf meinem Schreibtisch. Oder auf dem Sofa. Im Bett. Ganz gleich wo, Hauptsache bei mir.«
Es fiel Gabriel immer schwerer, sich Alveros’ Verführungskunst zu entziehen. Er war so unverschämt talentiert darin. Das Bild, das er zeichnete, war verführerisch. Zu gut, um wahr zu sein.
»Ich bin sicher, dein Harem wird dir deine Wünsche besser erfüllen können als ich«, murmelte er gegen die nackte Alphabrust, in einem letzten Aufbäumen von vernünftiger Vorsicht. »Und du hast genügend Leute, die dir helfen, dich zu behaupten.«
»Ich werde den Harem auflösen.«
Gabriels Herz setzte einen Schlag aus. Er stemmte sich gegen den Griff und schaute zu Alveros auf. »Was?«
»Ich werde ihn auflösen«, wiederholte der Alpha und sah ihn dabei so entschlossen an, dass Gabriel eine Gänsehaut bekam.
»Wieso?«
Um Alveros’ Lippen zuckte ein Lächeln. »Weil ich nicht mehr mit ihnen schlafen will«, sagte er, als sei es offensichtlich. »Hast du mir nicht zugehört, mein Herz? Dabei habe ich es dir so oft ins Ohr geflüstert.« Er drehte sich mit Gabriel herum und drückte ihn gegen das große Fenster, ehe er die Arme um ihn schlang und ihm den Hals küsste. »Du bist meine ganz persönliche Droge«, raunte Alveros samten in sein Ohr. »Komm zurück. Bitte.«
Gabriel biss sich auf die Unterlippe, doch das nützte nichts mehr. Für Beherrschung, für Widerstand, für weitere Fragen war es jetzt zu spät. Da schmiegte sich dieser Alpha an ihn, den er seit Monaten begehrte, und eröffnete ihm, dass er mit ihm exklusiv werden wollte. Davon schwirrte Gabriel der Kopf. Er wusste gar nicht, was er sagen sollte. Geschweige denn denken. Und als Alveros sanft an seinem Hals saugte, entwich ihm ein wohliges Seufzen.
»Wir … wir können nicht einfach …«, keuchte er atemlos, schwachgemacht von der Nähe und den bezirzenden Worten.
»Nein, können wir nicht«, stimmte Alveros zu. »Ich weiß noch nicht, wer das Wissen um meinen Biss gegen mich verwendet hat. Wenn sie von dir erfahren, bist du in Gefahr. Also müssen wir uns tagsüber zurückhalten.«
Gabriel nickte tapfer. »Das ist besser so.« Privates und Berufliches hielt er ohnehin lieber getrennt. Zu wissen, dass sie bis zum Feierabend nur Geschäftspartner wären, würde diese neuen Gegebenheiten erleichtern.
»Ist das ein Ja?«, fragte Alveros. Er ließ nicht locker.
Konnte Gabriels Herz noch stärker schmelzen? Wenn es ein Traum war, wäre er beim Aufwachen mehr als nur am Boden zerstört.
»Ich denke schon?«, murmelte er zaghaft und wand sich in den Armen des Alphas.
Der schnalzte mit der Zunge und hob den Kopf, um ihn anzusehen. »Sag es mir eindeutig, mein Herz. Ich möchte es hören.«
Wieder ein Moment, in dem ihm der Bindungsruf gute Dienste geleistet hätte. Dass er darauf verzichtete und ihm die Freiheit ließ, seine Antwort selbst zu wählen, machte Gabriel schwach.
»Ja«, murmelte er verhalten. Seine Wangen glühten. Er konnte ihm nicht in die Augen sehen.
Alveros gluckste. »Gestern Nacht hast du es lauter geschrien«, säuselte er, bevor er ihn so innig küsste, dass Gabriels Knie weich wurden. Keuchend ergab er sich in den Kuss und fühlte, als er vor Überwältigung zu taumeln drohte, wie die starken Arme ihn sicher hielten.
»Wir sind spät dran«, raunte Alveros an seinen Lippen, als er sich wieder von ihm löste. »Ich fahr dich nach Hause, damit du duschen und dich umziehen kannst. Auf dem Weg besorgen wir etwas zu essen. Und dann werden wir im Büro erwartet.«
Benebelt nickte Gabriel. »Ist gut.« Sein Blick blieb am Mund des Alphas hängen, der dem seinen so nah war. Das hier fühlte sich surreal an. Er würde lange brauchen, bis er es glauben konnte.
Gabriel
Alveros hielt sich an seine Worte. Nicht nur an diesem Tag, auch an den darauffolgenden. Es wäre zu viel gewesen, ihn für vollkommen auswechselt zu erklären, aber dennoch musste sich in der Brunst irgendetwas verändert haben, denn er war regelrecht liebevoll. Was Gabriel anfangs nur für eine Phase oder den Einfluss der Hormone gehalten hatte, blieb Teil von Alveros’ Umgangston ihm gegenüber. So skeptisch Gabriel auch hatte sein wollen, fiel ihm diese Wachsamkeit nun immer schwerer. Seine Sachen hatte er wieder aus den Umzugskartons geräumt. So, wie es aussah, würde er New York wohl doch nicht verlassen.
Die folgenden Tage verliefen in geschäftiger Konzentration und an den Abenden fuhren sie zu Gabriel nach Hause – oder in Alveros’ Penthouse. Aßen, unterhielten sich, sahen vielleicht einen Film. Fielen gemeinsam ins Bett. Spätestens dann konnten sie die Finger nicht mehr voneinander lassen.
Es war perfekt. So perfekt, dass sich Gabriel fragte, wo der Haken wäre. Zugleich mahnte er sich, nicht so skeptisch zu sein. Alveros mochte Wahrheiten verdrehen und Menschen manipulieren, doch in diesen Dingen log er nicht. Er war seinen Omegas gegenüber immer ehrlich gewesen und so schien er es auch mit ihm zu handhaben.
Zumindest glaubte Gabriel das – bis er eines Tages in einen der Meetingräume im Pearls kam und Alveros inmitten seines Harems wiederfand. Oder dem, was davon übrig war: Amber, Sugar und Prince saßen mit dem Alpha auf dem Sofa und verteilten dabei ihren Omegageruch auf ihm. Sie tuschelten und kicherten, schmiegten sich aneinander und an Alveros und ließen ihre Hände über seinen Körper wandern, als wären sie kurz davor, eine Orgie zu feiern. Gabriels Magen verkrampfte sich. Es konnte ihn kaum trösten, dass Odil fehlte. Von ihm hatte er seit dem Beginn von Alveros’ Brunst nichts mehr gehört. Und Rochelle war, so ging das Gerücht, verstoßen worden.
Trotzdem. Drei Harems-Omegas waren drei zu viel.
Zähneknirschend und hochgeschlossen fragte Gabriel: »Komme ich ungelegen?« Er griff das Klemmbrett fester. Gerade war er mit dem Beta, der das Pearls managte, die Zahlen durchgegangen. Eigentlich hatte er Bericht erstatten wollen. Jetzt wünschte er sich, er hätte sich mehr Zeit gelassen. Oder weniger.
Alveros hatte eine gleichgültige Miene aufgesetzt. »Ganz und gar nicht«, sagte er, als würde er nicht gerade vor Gabriels Augen von anderen Omegas berührt werden, mit denen er einst geschlafen hatte.
Vielleicht noch immer schläft, schoss es Gabriel durch den Kopf. Der Gedanke, dass ihn Alveros in dieser Sache belogen haben könnte, tat weh.
»Du hast die Zahlen von Braden bekommen?«
Gabriel nickte steif.
Hoheitsvoll wies Alveros mit dem Kopf zu einem Sessel auf der anderen Seite. »Setz dich, ich überprüfe sie gleich.«
Widerstrebend lief Gabriel hinüber, vorbei am Sofa, das bis auf den letzten Zentimeter belegt war. Er bemühte sich, nicht allzu genau hinzusehen und hinzuhören.
Alveros gurrte: »Ruhig, meine Süßen«, und Gabriels Vorhaben, sich emotional abzuschotten, verpuffte.
Es war also doch nur eine Phase gewesen. Er hätte es wissen müssen. Nur hätte Gabriel nicht erwartet, dass Alveros so grausam sein würde, es ihm auf diese Weise unter die Nase zu reiben. Bereute es der Alpha, dass er ihm Monogamie zugesichert hatte? War das seine Art, ihm deutlich zu machen, dass das von nun an Geschichte wäre?
Während sich Gabriel im Sessel niederließ, spürte er den Stich. Natürlich könnte er klaglos für die Zeit dankbar sein, die er bekommen hatte. Alveros war ohne Frage begehrt. Die Erfahrungen mit ihm waren einzigartig gewesen. Und was könnte er schon bieten, um so vermessen zu sein, seinen Platz neben dem Alpha einzufordern? Nichts. Das war ihm von Anfang an klar gewesen.
Verstohlen schaute er zum Sofa hin. Nein, mit diesen Omegas, die alle auf ihre Art perfekt waren, konnte er nicht mithalten. Das würde er nie können. Trotzdem war er eifersüchtig.
Dass ihn Alveros nicht einmal eines Blickes würdigte, schmerzte umso mehr.
Der sah gerade mahnend in die Runde und die Omegas um ihn herum verstummten. »Ich habe euch hergebeten, weil ich euch etwas mitteilen möchte«, verkündete er ruhig. »Ab sofort werden wir unser Verhältnis auf einer rein geschäftlichen Ebene fortführen. Ich stehe euch nicht länger sexuell zur Verfügung.«
Ungläubig erstarrte Gabriel. Sicher, Alveros hatte behauptet, dass er den Harem auflösen würde, aber dass er es so tat, in seiner Anwesenheit … Es war inszeniert gewesen, damit er Zeuge davon werden konnte.
Während die Omegas, die eng an Alveros geschmiegt saßen, überrascht aufkeuchten, jammerten und quengelten, spürte Gabriel, wie sein Herz geradezu vor Zuneigung überquoll. Er hatte dem Alpha das Schlechteste unterstellt, doch der hatte ihn in diese Sache geschickt eingebunden, ohne dass es auffiel. Und gab ihm damit so viel mehr, als Gabriel erwartet hatte, dass er nicht wusste, wie er reagieren sollte. Sein Herz hämmerte kräftig in seiner Brust und seine Wangen wurden heiß. Eilig senkte er den Blick auf sein Klemmbrett, während die Enttäuschung der anderen noch in seinen Ohren klang. Es wollte ihn grinsen lassen. Eisern zwang Gabriel seine Mundwinkel nach unten, obwohl ihn die Euphorie berauschte.
»Kein Grund zur Trauer, meine Hübschen«, sagte Alveros gerade weich. »Ich weiß, es kommt plötzlich. Doch nun lenke ich euch nicht mehr von der Suche nach einem geeigneten Alpha ab.« Seine Worte konnten die gedrückte Stimmung nicht heben. »Das wäre dann alles.« Er wedelte mit der Hand. »Geht schon. Ich habe zu tun.«
Die Omegas erhoben sich, sichtlich niedergeschlagen. Verstohlen sah ihnen Gabriel hinterher. Als sich hinter ihnen die Tür schloss, warf er Alveros einen Blick zu.
Der erwiderte ihn ruhig. »Gut?«, fragte er.
Gabriel kam auf die Füße. Er überwand die wenigen Meter und sank rittlings auf Alveros’ Schoß. Nach dieser überwältigenden Geste wollte er keinen Abstand zwischen ihnen.
»Mehr als gut«, versicherte er. Seine Stimme war vor Rührung ganz kratzig.
»Mein Herz«, brummte Alveros, »wir gehen ein unnötiges Risiko ein.« Trotzdem platzierte er die Hände auf seinen Hüften und hielt ihn fest.
Davon wollte Gabriel nichts wissen. Er legte das Klemmbrett neben ihnen ab, zog sich die Brille von der Nase und legte sie dazu. Dann schlang er Alveros die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn.
»Du riechst sowieso schon nach Omega«, wisperte er. »Da macht das doch keinen Unterschied.«
Alveros’ tiefes Lachen wärmte ihm die Brust.
Zwar stimmte der Geruch, den die anderen auf dem Alpha verteilt hatten, Gabriel eifersüchtig, aber das Gefühl, sich erkenntlich zeigen zu wollen, überwog.
Sehnsüchtig küsste er ihn, genoss, wie bereitwillig Alveros auf den Kuss einstieg, und murmelte an seinen Lippen: »Danke.«
Die Tat hatte ihn gerührt. So unangenehm es im ersten Moment gewesen war, hatte der Alpha damit zugleich dafür gesorgt, dass Gabriel nicht an ihm und seinen Beweggründen zweifeln konnte. Er wusste, dass sie noch einen weiten Weg vor sich hatten, wenn es darum ging, einander zu vertrauen. Dieser transparente, direkte Schritt, der keine Zweifel ließ, schenkte ihm neue Hoffnung.
»Sehr gern«, antwortete Alveros zärtlich. Dann schmunzelte er verrucht. »Dir ist doch klar, was das für dich bedeutet, nicht wahr?« Seine Hände packten Gabriels Hintern fester. »Du bist jetzt der Einzige, der meine sexuellen Gelüste befriedigt. Bist du darauf vorbereitet, kleiner Omega?«
Gabriel lachte leise. »Ich hoffe es.« Noch einmal küsste er ihn. Allein schon deshalb, weil er es genoss, Exklusivrechte darauf zu haben. »Und ich kann es kaum erwarten.«
Als er sein Becken lockend über den Schritt reiben ließ, knurrte der Alpha zufrieden. »Gut.«
Gabriel küsste ihm den Hals – bis er zärtlich fortgeschoben wurde.
»Das genügt.«
»Du riechst nach ihnen«, murrte Gabriel. »Wieso kannst du nicht wenigstens ein wenig nach mir riechen?«
»Du weißt, wieso nicht.« Alveros strich über seine Oberschenkel. »Ich werde immer irgendwie nach Omega riechen. Ich arbeite mit ihnen zusammen. Wirst du jedes Mal eifersüchtig, wenn wir uns sehen und ich gerade aus dem Backstagebereich vom Pearls komme?«
»Würde es dich denn nicht stören, wenn ich am Ende des Tages den Geruch anderer Alphas am Körper trage?«, konterte Gabriel.
Mit einem schweren Seufzen schüttelte Alveros den Kopf. »Du kennst meine Antwort dazu«, sagte er und trotz der finsteren Miene zuckte ein Lächeln um seine Mundwinkel. Ja, Gabriel kannte ihn gut genug, um zu wissen, wie besitzergreifend er werden konnte. Es ließ ihn ebenfalls schmunzeln.
»Aber wir können nicht offen sein«, erinnerte ihn Alveros. »Nicht im Moment. Und ich kann dir nicht versprechen, ob wir es je können.« Zärtlich streichelte er Gabriel die Wange. »Da, wo ich dich mit hinnehme, ist es auch so schon gefährlich für dich. Was meinst du, was es auslösen würde, wenn meine Feinde wüssten, dass du mehr bist als nur ein Assistent?«
Mit zusammengepressten Lippen nickte Gabriel und senkte den Kopf. Alveros hatte Recht. Schließlich erinnerte er sich überdeutlich an jedes Meeting, in dem es brenzlig geworden war, einfach nur, weil er ein Omega war. Daran, dass Ophelia dafür gestorben war, an den Mafiaboss gebunden gewesen zu sein. Das war ungerecht, doch es war nicht Alveros’ Schuld. Er sollte froh sein, dass sie wenigstens heimlich beieinander sein konnten. Alles andere würde sich entwickeln. Oder er würde stets im Verborgenen bleiben. Könnte er das? Gabriel entschied, dass es zu früh wäre, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Als es an der Tür klopfte, zuckte er zusammen und rutschte hastig von Alveros runter. Eilig streifte er sich die Brille über und nahm das Klemmbrett, während sich der Alpha erhob.
Eine Sekunde später steckte John den Kopf herein. »Boss«, sagte er und sein Blick wanderte von Gabriel, dessen Wangen sich ertappt gerötet hatten, zu Alveros, der sich den Anschein gab, durch den Raum zu schlendern. »Crystal sagt, ihr geht es nicht gut. Ich werde sie nach Hause fahren.«
Alveros nickte nur. »Weiß Braden Bescheid?«
»Er kümmert sich gerade um eine Vertretung für die Show am Abend.«
»Gut. Dann bring sie nach Hause.« Abwesend wedelte ihn Alveros fort. Noch während sich die Tür wieder schloss, sah er Gabriel auffordernd an. »Lass uns die Zahlen durchgehen.«
♣
Der Tag zog in geschäftiger Betriebsamkeit vorbei. Sobald sie die Umsätze des Pearls überprüft und sich versichert hatten, dass die Show am Abend stattfinden würde, waren sie zurück ins Büro gefahren.
Dort saß Gabriel nun, lange nachdem die Sonne untergegangen war, noch immer hochkonzentriert in seine Arbeit vertieft. Es kümmerte ihn nicht, wie spät es wurde. Das hatte es nie. Dafür liebte er die Freiheit, die er als berufstätiger Omega hatte, zu sehr. Dass er den Tag über in der Nähe des Alphas sein durfte, mit dem er eine Beziehung führte, verschaffte ihm ein zusätzliches Glücksgefühl.
Umso mehr, wenn er bemerkte, dass ihm Alveros seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, so wie jetzt.
Fragend sah Gabriel auf und erkannte, dass man ihn schmunzelnd beobachtete.
Das Lächeln steckte ihn an. Amüsiert hob Gabriel die Augenbrauen. »Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem Sie mich anstarren, Mr. Greystone?«
Alveros’ Schmunzeln wurde breiter und eine Spur teuflischer. »Dafür gibt es mehr als einen Grund«, schnurrte er und lehnte sich in seinem Chefsessel zurück. »Im Augenblick finde ich es vor allem amüsant, dass Sie meinen, auf diese Frage eine direkte Antwort zu bekommen, Mr. Fleming.«
Gabriel verkniff sich ein Grinsen. »Was müsste ich für die Antwort tun, Sir?«
»Bei mir hat alles einen Preis«, erinnerte ihn Alveros, unverändert lauernd lächelnd. »Was sind Sie bereit, für die Information zu zahlen?«
Sehnend biss sich Gabriel in die Unterlippe. Er genoss dieses kleine Spiel mehr. Den Nervenkitzel, der seinen Puls beschleunigte.
Hypnotisch angezogen von Alveros’ dunklen Blick kam er auf die Füße und schlenderte zu ihm herüber. »Eine Menge«, säuselte er.
Doch bevor er sich, wie er es geplant hatte, auf Alveros’ Schoß setzen könnte, erhob sich dieser und drängte ihn gegen den großen Schreibtisch. Er war so nah. Sein Duft so angenehm. Und der Blick, mit dem er ihn ansah, gab Gabriel das Gefühl, bereits nackt unter ihm zu liegen und sich seinen kräftigen Stößen zu ergeben.
Er streckte die Hand aus, um über die Krawatte des Alphas zu streichen, als wollte er sie glätten. Dann versuchte er sich an einem verführerischen Augenaufschlag.
Es zeigte Wirkung. Als Alveros sprach, war seine Stimme ganz heiser. »Ich denke, ein leidenschaftlicher Kuss wäre ein angemessener Preis.«
Schmunzelnd legte Gabriel seine Hände an Alveros’ Wangen und zog ihn zu einem verlangenden Kuss heran, der sie beide zufrieden aufseufzen ließ. Er genoss es, wie sich ihre Körper aneinanderdrückten, und keuchte auf, als der Alpha seinen Hintern packte und ihn auf den Schreibtisch hob. Neben ihnen segelten Dokumentstapel auf den Boden, doch es interessierte ihn nicht. Dafür wurden seine sehnsüchtigen Küsse so gierig erwidert, dass es Gabriel den Atem raubte. Nachdem sie sich den ganzen Tag hatten zurückhalten müssen, waren sie beide entbrannt.
»Ich hatte daran gedacht, welch ein Glück ich habe, einen so bezaubernden Assistenten zu haben«, raunte Alveros an seinem Mund. »Und einen fähigen und fleißigen noch dazu.«
»Charmeur.«
Der Alpha lachte dunkel. »Ein Deal ist ein Deal. Ein Kuss gegen meine Gedanken.« Dann saugte er sich abermals an Gabriels Lippen fest und beugte ihn nach hinten, bis er auf dem großen Schreibtisch zum Liegen kam. Alveros setzte heiße Küsse auf seinen Hals, drückte sein Becken gegen ihn und ließ ihn spüren, wie erregt er war. Gabriel durchlief ein wohliger Schauer.
»Wir haben genug getan«, brummte ihm der Alpha ins Ohr. »Lass uns heute nicht mehr an Arbeit denken.« Seine Hände packten den Hintern fester und hoben ihn an. Gabriel keuchte auf, als sich die eindrucksvolle Härte gegen ihn presste. Allmählich wurde er ungeduldig.
Damit war er nicht der Einzige.
»Ich will dich nehmen«, knurrte Alveros gierig. In einer vielsagenden Bewegung stieß er sein Becken nach vorn und Gabriel stöhnte auf.
»Ja«, flüsterte er. »Bitte.«
»Zu mir oder zu dir?«
Das war ihm egal. Beides hatte seinen Reiz und er war im Moment zu erregt, um eine solche Entscheidung zu treffen.
Das schien Alveros zu bemerken. Er lachte leise. »Zu mir.«
Als er von Gabriel abließ, nickte dieser benommen. Die hitzigen Küsse hatten ihn berauscht. Er ließ sich an der Hand hochziehen, vom Schreibtisch runterführen und stieß dann mit den Schuhen gegen die Dokumente, die sie eben runtergeworfen hatten.
Dabei, sie auf dem Boden liegen zu lassen, hatte Gabriel kein gutes Gefühl. Er ging in die Knie und sammelte sie wieder ein.
»Lass sie«, sagte Alveros. »Hier kommt niemand rein. Ich räume es morgen auf.«
Doch Gabriel hörte nur mit halbem Ohr zu. Sein Blick war auf einen Vertrag gefallen, den er nicht kannte. Einen, den er nicht vorbereitet hatte. Das allein war vielleicht ungewöhnlich, aber nicht dramatisch. Was ihn innehalten ließ, war der Vertragspartner. Die wenigen Worte, die er bereits überflogen hatte, zogen ihn aus dem Rausch der Erregung. Sein Geist wurde klarer, als hätte er ihn in ein Eisbad getaucht.
»Was ist das?«, fragte er und sah zu Alveros auf.
Mit gleichmütiger Miene zog ihm dieser das Blatt aus den Fingern. »Nichts, was dich beunruhigen müsste.«
»Das …« Gabriel sammelte weitere Seiten ein, die dazugehörten. Aufstellungen von Zahlen, Routen und Umgehungen von Grenzkontrollen. »Das sind Handelsvereinbarungen. Für den Menschenhandel, Alveros, du …« Als er fassungslos den Kopf hob und sah, wie verdrießlich der Alpha seinen Blick erwiderte, wurde ihm schwindelig. Er kam aus der Hocke in den Stand und stolperte zurück. »Du treibst den Menschenhandel voran«, hauchte er ungläubig, die Dokumente fest in den zitternden Händen. »Obwohl Campbell das Gesetz verabschiedet hat. Du sorgst dafür, dass weitere Omegas versklavt werden.«
Das war unmöglich. Sicher irrte sich Gabriel und Alveros würde ihm gleich eröffnen, was es damit wirklich auf sich hatte. Der Mafiaboss tat viel, das nicht legal war. Doch er behandelte Omegas anständig. Gab ihnen Arbeit, statt sie zu versklaven oder in entwürdigende Situationen zu zwingen. Statt sie auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen wie Vieh.
»Dieser Deal geht dich nichts an«, knurrte Alveros.
Dass er es nicht leugnete, traf Gabriel wie einen Tritt in die Magengrube. Etwas in ihm brach.
»Es geht mich nichts an?«, flüsterte er, ehe die Fassungslosigkeit, die ihm einen Moment den Atem geraubt hatte, in Wut umschwang. Aufgewühlt funkelte er den Alpha an. »Ich BIN ein Omega! Und vor wenigen Monaten wäre ich genauso Sklavenhändlern zum Opfer gefallen, wenn du mich da nicht rausgeholt hättest.« Er knallte die Papiere auf den Tisch. »Genau diesen Händlern, mit denen du jetzt Geschäfte machst!« Bebend vor ungläubigem Zorn starrte er Alveros an. »Wie konntest du nur?«
Da hatte er gerade langsam das Gefühl gehabt, diesen Mann zu kennen. Hinter die manipulative, eiskalte Fassade zu blicken. Etwas in ihm hatte gehofft, dass der Alpha im Kern nicht so verdorben war, wie er sich gern gab. War Gabriel zu naiv gewesen? Zu gutgläubig? Er hätte es doch wissen müssen. Wieso überraschte es ihn jetzt?
»Es musste sein«, sagte Alveros entschieden, als wollte er jede Widerrede im Keim ersticken. »Ich brauche Emils Männer. Meine eigenen reichen nicht aus, um Morello Paroli zu bieten.« Finster brannte sich sein Blick in Gabriel, während er weitersprach, als wollte er sich rechtfertigen. »Das Abkommen war sein Preis. Ich liefere ihm Informationen zu Grunewalds Razzien und unterstütze ihn bei diesem Handel. Dafür hat er ein paar seiner Alphas hierher geschickt und lässt seine Beziehungen spielen.«
Sprachlos starrte ihn Gabriel an und schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht fassen. Das durfte einfach nicht wahr sein! Alveros war doch genauso wütend gewesen, als man die Omegas im Orchidee ermordet hatte. Er kümmerte sich um das schwächste Geschlecht, statt es ans Messer zu liefern.
Das hatte Gabriel jedenfalls geglaubt. Aber jetzt wusste er nicht mehr, was er noch denken sollte. Ob er den Mann, der ihm da gegenüberstand und sich gerade sichtlich frustriert durchs Haar fuhr, weil seine Vereinbarung entdeckt worden war, überhaupt kannte. Ob er ihn jemals kennen würde oder ob es da immer Geheimnisse gäbe, unethische Machenschaften, die Gabriel und sein Geschlecht bedrohten. Dinge, von denen ihn Alveros fernhalten würde, weil er wüsste, wie Gabriel reagieren würde.
»Du opferst lieber tausende fremde Omegas statt ein Teil deines Reviers?«, fragte er erschüttert.
Alveros knirschte mit den Zähnen. Seine Kiefermuskeln traten hervor. »Wenn es nötig ist, ja«, knurrte er, schritt um den Schreibtisch herum und auf Gabriel zu. »Ich beschütze, was mir gehört.«
Gabriel wollte vor ihm zurückweichen, aber der Alpha griff ihn bei den Schultern und schüttelte ihn leicht.
»Versteh doch, wenn ich es nicht im kleinen Stil tun würde, täte es Morello im großen. Du weißt nicht, wie er ist. Sein Clan hat keinen Respekt vor Omegas. Wenn er mein Gebiet überrennt, wird der Omega-Handel hier bald florieren, ganz gleich, was Campbell und Grunewald dagegen unternehmen wollen.«
Die Aussicht behagte Gabriel nicht. Mit bebender Unterlippe trat er zurück. »Es muss einen anderen Weg geben«, hauchte er. »Du behauptest, es ist das kleinere Übel, dabei hast du das Übel lediglich auf einen anderen Kontinent verschoben.« Und dann kam ihm ein Gedanke, der ihn zusätzlich verwirrte. Alveros hatte seinerzeit solche Mühen dafür aufgewendet, dem Präsidentenpaar näherzukommen. »Wieso wendest du dich nicht direkt an Grunewald?«
Mit einem verächtlichen Schnauben spottete Alveros: »Großartige Idee. Er wird sicher begeistert sein, zu erfahren, in welche Geschäfte ich sonst noch verwickelt bin.«
Als er zurücktrat und der Ausdruck in seinen Augen kälter wurde, traf es Gabriel schmerzhaft ins Herz.
»Ich werde darüber nicht mehr mit dir diskutieren«, verkündete er kühl und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Jeder andere Weg wäre schlimmer. In diesem Milieu überlebt nur der Stärkere. Und das werde ich sein.«
»Deine Stärke spielt keine Rolle, wenn sie nur darauf gründet, dass du Schwächere ausbeutest«, erinnerte ihn Gabriel leise. »Du trägst deine Kämpfe auf den Rücken der Omegas aus und behauptest allen Ernstes, dass du nur das Beste willst?« Zerrissen sah er ihn an, als würde er ihn zum ersten Mal wirklich sehen. Dabei war Alveros schon von Anfang an ein wahrer Teufel gewesen. Wann hatte Gabriel angefangen, ihm diese illegalen Machenschaften zu verzeihen? War er so verblendet gewesen? Gabriel konnte vor vielen Themen die Augen verschließen. Aber nicht davor. Es war zu persönlich. Traf ihn selbst zu empfindlich.
Weil er nicht wusste, was er denken sollte, eilte er am Alpha vorbei auf die Tür zu.
Eine Hand packte ihn am Oberarm und hielt ihn zurück. »Bleib hier«, befahl Alveros.
Stur zog Gabriel an dem Arm, um ihn aus dem Klammergriff zu befreien. »Lass mich los!«
Mit finsterer Miene grollte Alveros: »Du bist wütend. Wütend lasse ich dich nicht durch die Stadt laufen.« Gabriel öffnete den Mund, um ihm etwas entgegen zu keifen, aber Alveros kam ihm zuvor und brummte: »Wut macht unvorsichtig. Unvorsichtigkeit kann dich töten. Ich fahre dich nach Hause.«
Alveros
Alveros musste sich eingestehen, dass er an diesem Abend zwiegespalten ins Bett fiel. Er hatte nicht den Fehler gemacht, bei Gabriel zu übernachten. Nicht nach diesen Diskussionen. Aber nun, da er an die Decke starrte und das Gespräch noch einmal Revue passieren ließ, fragte er sich, ob er Gabriel gegenüber richtig gehandelt hatte. Kein anderer Omega hatte je so tiefe Einblicke in seine Geschäfte erhalten. War er in den letzten Wochen zu weich geworden?
Etwas hatte sich definitiv verändert. Jetzt kam ihm seine Entscheidung vom Nachmittag, den Harem aufzulösen, beinahe überstürzt vor. Er war zuvor nie monogam gewesen, weil er in jungen Jahren bereits Einfluss im Untergrund gewonnen hatte und seither von Omegas umschwärmt worden war. Kein Wunder. Er wusste, dass er gut aussah. Außerdem war er wohlhabend und in einer machtvollen Position. Darüber hinaus schien Alveros etwas auszustrahlen, was Omegas im Allgemeinen nicht abschreckte, wie es bei anderen Alphas der Fall war, sondern ihnen den Eindruck vermittelte, bei ihm sicher zu sein. Vielleicht war es seine Arroganz und das Wissen darum, dass er niemandem hinterherlaufen musste. Die Verzweiflung, mit der andere Alphas Omegas hinterher lechzten und sie bedrängten, hatte er nie empfunden.
War es ein Fehler gewesen, seinen Schönheiten zu entsagen, für den Preis eines störrischen Omegas, der sich ungefragt in Geschäftsentscheidungen einmischte, die er nicht mit ihm hatte teilen wollen? Würde Alveros die anderen vermissen, die ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit hatten erfolgreich auf schönere Gedanken bringen können?
Seufzend dachte er an Gabriel. Schon vor seiner Brunst hatte er es geahnt, doch spätestens danach war es nicht mehr zu bestreiten gewesen: Alveros hatte Gefühle für den kleinen Sturkopf entwickelt. Je näher sie sich gekommen waren, desto mehr hatte er ihn ergründen wollen. Das Spiel, das er begonnen und kontrolliert hatte, war aus dem Ruder gelaufen. Er selbst war nicht länger der Spielmeister, sondern kaum mehr als eine Figur, über das Feld getrieben vom eigenen Verlangen. Und so verblasst, wie der Biss inzwischen war, konnte er der unerwünschten Bindung nicht die Schuld daran geben.
Alveros wollte eisern bleiben, weil er es schon immer so gehandhabt hatte. Nicht einmal Odil hatte er ganz an sich rangelassen. Aber jetzt ahnte er, dass das ein verlorenes Vorhaben wäre. Gabriel tat irgendetwas mit ihm, das ihn dazu bringen wollte, sich zu öffnen. Doch das konnte er nur im begrenzten Rahmen. Alveros war, wer er war. Solange Gabriel das nicht akzeptieren konnte, würden sie immer wieder aneinandergeraten.
In dieser Nacht fand Alveros kaum Schlaf. Gabriel fehlte ihm. Sein Geruch und die vertraute Wärme. Die Art, wie er seufzte, wenn er kurz davor war, einzuschlafen. Alveros vermisste das Gefühl des hübschen kleinen Hinterns, der sich gegen ihn rieb, unabsichtlich und doch so provozierend. Es fehlte ihm, seine Nase in Gabriels Haarschopf zu vergraben und tief einzuatmen, während er die Augen schloss.
Das Sehnen bestätigte ihn darin, dass Gabriel alles war, was er wollte. Er wollte niemand anderen.
Und als er am nächsten Morgen aufstand, nach wenigen Stunden schlechtem Schlaf, nahm er sich vor, die Diskussion von gestern hinter sich zu lassen. Er hoffte nur, dass Gabriels Zorn ebenso verraucht war.
♣
Als Alveros ins Büro kam, war er überrascht, Gabriel bereits am Schreibtisch sitzen zu sehen. Er war selbst früher hier als üblich und hatte noch gar nicht mit ihm gerechnet.
Hochkonzentriert war Gabriel über Dokumente gebeugt. Es ließ Alveros schmunzeln. Er mochte es, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Wenn er ehrlich zu sich war, dann hatte ihm der gewissenhafte Fleiß von Anfang an imponiert.
»Guten Morgen«, grüßte er ihn friedfertig und schloss die Tür hinter sich.
Gabriel schaute auf. Sein Blick flackerte, als sei er sich nicht sicher, wie er Alveros begrüßen wollte. Doch dann stieg er zögernd auf das Lächeln ein. »Morgen.«
»Du bist früh dran«, stellte Alveros fest, ging zu seinem eigenen Schreibtisch und streifte sein Sakko von den Schultern, um es über die Lehne seines Chefsessels zu hängen.
Der Omega nickte. »Ich konnte nicht anders.«
Fragend hob Alveros eine Augenbraue. Dann sah er, wie viele Akten auf Gabriels Tisch lagen. Und dass ein gewisser Stapel auf seinem eigenen fehlte.
Stirnrunzelnd fasste er ihn schärfer ins Auge. »Ich sagte dir doch, du sollst dich raushalten.«
Störrisch reckte Gabriel das Kinn. »Du hast auch gesagt, dass du meine Unterstützung gegen Morello willst.«
Mit einem ergebenen Seufzen ließ Alveros die Luft entweichen. Er hätte es sich denken können. Gabriel war stur. Aber immerhin schien er nicht länger auf Streit aus. Mit seinem Fleiß hatte er sich eine Chance verdient.
»Na schön«, lenkte Alveros ein, ging um seinen Schreibtisch herum und lehnte sich gegen die Kante. »Was hast du für mich?«
»Ich habe mir das O’Connor-Revier noch einmal angesehen«, begann Gabriel, als hätte er auf so eine Frage nur gewartet. »Alle Grenzen, die es zu deinem hat und die zu Morellos Areal.«
Alveros nickte. Das war vernünftig. So hätte er in seiner Planung auch begonnen, wenn er die Gebiete nicht im Schlaf voneinander hätte abtrennen können.
»Dann bin ich die Gehaltslisten durchgegangen«, fuhr Gabriel fort und zog einen schmalen Aktenordner unter ein paar Dokumenten hervor. »Um zu sehen, wie viele Alphas dir zur Verfügung stehen. Ich habe mir ihre Akten angesehen und wo du sie derzeit einsetzt.« Er legte den Ordner zur Seite. »Ab da wurde es schwieriger. Die O’Connors haben ihre eigenen Zahlen und die, die wir im Auge behalten, haben zwar Akten, doch wie vertrauenswürdig sie im Fall eines Angriffs der Morellos wären, ist fraglich.«
Alveros nickte erneut. Gabriels Fähigkeit, sich selbst zu helfen, war nicht zu unterschätzen. Er mochte das an ihm.
»Emil hat dir hier in der Vereinbarung eine feste Anzahl Alphas zugesichert, aber wir wissen eigentlich nichts über sie«, führte Gabriel weiter aus. »Sie werden wohl leichter zu steuern sein als die O’Connors. Ausgehend von meinen eigenen Erfahrungen mit seinen Leuten rechne ich allerdings im Falle eines Konflikts mit unkontrollierten Wutausbrüchen, die wichtiges Kampfpotenzial verschenken und den Weg für weitere Fehler ebnen könnten.«
Ein Schauer lief Alveros über den Rücken. Er hatte Gabriel noch nie so strategisch reden gehört. Und er hätte nicht für möglich gehalten, was für einen Effekt es auf ihn hatte. Diese lösungsorientierte, clevere Seite imponierte ihm. Sie brachte ihn dazu, sich vom Schreibtisch abzustoßen und in langen Schritten die Distanz zwischen ihnen zu überwinden.
»Sollte es zu einer offenen Straßenschlacht kommen, könnten sowohl die O’Connors als auch Emils Leute Chaos anrichten und unnötige Verluste auf beiden Seiten provozieren«, sagte Gabriel gerade, den Blick konzentriert auf seine Notizen geheftet. »Mir ist klar, dass man sie nicht alle abziehen sollte, um eine disziplinarische Schulung anzusetzen, aber vielleicht können wir in den kommenden Tagen … hmpf!«
Alveros hatte sich zu ihm vorgebeugt, Gabriels Kinn angehoben und küsste ihn so leidenschaftlich, dass der Omega aufkeuchte.
Als sie sich wieder voneinander lösten, fragte er mit kratziger Stimme: »Wofür war das?«
»Für dein bewundernswertes Engagement.« Während Gabriel über das Lob errötete, küsste ihn Alveros noch einmal. »Seit wann sitzt du schon daran?«
Gabriel zog den Kopf zurück. »Gegen sechs konnte ich nicht mehr schlafen«, murmelte er. Dann straffte er die Schultern und sagte fast schon herausfordernd. »Ich war noch nicht fertig.«
Um Alveros’ Mundwinkel zuckte ein Lächeln. »Bitte entschuldige.« Er richtete sich wieder auf und nickte ihm aufmunternd zu. »Fahr fort.«
Der Kuss hatte Gabriel sichtlich aus der Fassung gebracht.
»J-jedenfalls«, begann er und sah auf seine Notizen. »Ich dachte mir, dass es nicht nur auf die Anzahl ankommt, auch auf die Fähigkeiten der Truppen. Auf ihre Einheit. Wenn wir die O’Connors und Emils Alphas eingliedern könnten, könnten wir strategischer und gezielter vorgehen und …«
Ein Klingeln ließ ihn innehalten. Alveros’ Smartphone vibrierte in seiner Hosentasche. Er zog es hervor und als er die Nummer erkannte, warf er Gabriel, der abermals unterbrochen worden war, einen entschuldigenden Blick zu und hob ab.
»Was gibt es, Carl?«
Die vertraute Stimme des Alphas drang in sein Ohr. Je mehr er sagte, desto stärker weiteten sich Alveros’ Augen.
Als er ein paar Minuten später auflegte, schenkte er Gabriel ein bitteres Lächeln. »Du wirst eine neue Aufstellung machen müssen«, sagte er, während er gedanklich bereits die Maßnahmen durchging, die er würde treffen müssen. »Es hat einen Angriff gegeben.«
♣
Als sie ein paar Tage später aus der Limousine ausstiegen, war Alveros wachsam, skeptisch und auf der Hut. Er hatte Vorkehrungen getroffen, so gut es ging.
»Das gefällt mir nicht«, murrte Freya neben ihm.
Alveros schwieg. Er hatte sie hergeführt. Also würde er dafür sorgen, dass sie hier auch wieder lebend rauskamen. Selbst wenn er die gleiche dunkle Vorahnung verspürte.
Er legte Gabriel einen Arm über die Schultern und zog ihn an sich. Der einzige Grund, aus dem er ihn mitgenommen hatte, war, weil er noch immer nicht wusste, wer in seinen Reihen der Verräter war. Das Risiko, Gabriel bei seiner Rückkehr im Büro tot aufzufinden, wollte er nicht eingehen. Wenn das hier nicht das offene Friedensangebot war, das man ihm gemacht hatte, sondern nur ein Vorwand, um ihn von dem einzigen Omega fortzulocken, das er derzeit an sich ranließ, dann hätte er damit dagegen vorgesorgt. Ihn auf diese Weise öffentlich zu berühren, würde sie noch nicht verraten. Die Geste war älter als jedes andere Zugeständnis. Der Schutz des Mafiabosses gegenüber dem schwächsten Glied ihrer Truppe.
»Es wird gutgehen«, sagte Gabriel neben ihm leise und Alveros war sich nicht sicher, ob er damit Freya antwortete, die eben die Munition in ihrer Maschinenpistole prüfte, oder ob er sich selbst Mut zusprach. »Sie haben genauso Verluste erlitten.«
Alveros nickte knapp. Morellos Friedensangebot war überraschend und unerwartet gekommen, doch nicht unbegründet. Bei der letzten Straßenschlacht, die sich der verfeindete Clan mit Carl und seiner kleinen Einheit geliefert hatten, war sein ältester Sohn gestorben, so hieß es. Der Morello-Clan mochte Omegas gegenüber weder Respekt noch Zuneigung empfinden, aber ihre Familienbande waren ausgesprochen stark. Alfonso Morello hätte die Position des Paten übernehmen sollen, wenn sein Vater zurückgetreten oder verstorben wäre. Er hatte bereits einen Teil des Gebiets regiert. Der Verlust bedeutete einen herben Rückschlag für den Clan und eine Schwächung ihrer Machtposition.
Während sie durch die Seitengassen des O’Connor-Reviers liefen und sich der Grenze zu Morellos Terrain immer mehr näherten, schien sich die unangenehme Stille stärker in ihre Ohren zu drängen. So nah war Alveros lange nicht mehr dem feindlichen Gebiet gekommen, das es auf seinen Kopf abgesehen hatte. Dass ihn seine Alphas in einer dichten Traube umgaben, half kaum gegen die steigende Anspannung. Die Luft wurde drückend. Schwer wie Blei legte sie sich auf ihre Schultern.
Alveros spähte hinauf, auf die hohen Dächer der Häuser, zwischen denen sie entlanggingen. Er wusste, dass seine Leute dort Position bezogen hatten. Alveros war kein gläubiger Mensch. Zu einem Gott zu beten, der ihn auf seinen Wegen beschützte, hatte ihm nie etwas gebracht. Die einzige Hilfe von oben, die er heute erwartete, waren die Sniper, die er als Vorsichtsmaßnahme auf dem Dach postiert hatte.
Alveros’ Blick ging wieder nach vorn. Sie bogen in die Gasse ein, in der sie sich mit Morello und seinen Leuten treffen wollten. Dort, einige Dutzend Meter vor ihnen, wo sie in eine Kreuzung mündete, würden sie offiziell einen Waffenstillstand vereinbaren.
Morello war noch nicht da. Von seinen Alphas war keiner in Sicht.
Alveros beobachtete, wie seine eigenen Leute eine wachsamere Haltung annahmen. Er ahnte, was sie dachten. Dort, wo sich der Pate des Feindesclans mit ihnen treffen wollte, wären sie von vier Seiten angreifbar. Doch auch Morello wäre es. Es wäre ein gegenseitiger Vertrauensbeweis, sollte alles so kommen wie geplant.
»Boss«, brummte George neben ihm. »Irgendetwas ist hier faul.«
Alveros runzelte die Stirn. Ja, es war ungewöhnlich, wie still es um sie war. Das Einzige, was man hörte, waren ihre eigenen Schritte. Vom fremden Clan keine Spur. Die Gasse lag so verräterisch friedlich vor ihnen, dass auch seine inneren Alarmglocken klingelten. Aber er schüttelte den Kopf und zog zugleich Gabriel näher. Sie waren abgesichert. Es war nicht Morellos Stil, eine solche Falle zu inszenieren. Nicht jetzt, da er selbst so viel verloren hatte. Schließlich war er von tiefer Trauer gebeutelt.
Also gingen sie weiter. Während sie der Kreuzung immer näher kamen, verstärkte sich seine ungute Vorahnung.
»Zieht eure Waffen«, wies er die Gruppe an und die Alphas, die nicht schon ihre Pistolen in den Händen hielten, kamen dem Befehl sofort nach.
Jetzt trennten sie nur noch wenige Schritte von der Kreuzung. Die hohen Hauswände versperrten ihnen den Blick auf das, was dahinter lag. Sie wurden langsamer und Alveros hob die Hand. Der Trupp blieb stehen. Keiner sprach ein Wort, alle lauschten. Man hätte einen Stecknadelkopf fallen hören können. Wachsam spähten sie hinauf, doch da schien niemand an dunklen Fenstern zu lauern. Vor ihnen war die Gasse leer. Hinter ihnen ebenfalls. Sie hielten den Atem an.
»Dort«, wisperte Gabriel plötzlich. Alveros schaute in die Richtung, in die er deutete. Ganz am anderen Ende der Gasse waren fünf Gestalten aufgetaucht, allesamt groß, massig und breitschultrig. Alveros glaubte, in dem Mann, der sie anführte, Morello persönlich zu erkennen. Er atmete auf. Der Feindesclan hatte sich an die Vereinbarung gehalten. Sie würden sich auf der Kreuzung gegenüberstehen, Alveros würde Morello die Hand reichen und mit ihm gemeinsam den Waffenstillstand erklären, bezeugt von einem engen Kreis ihrer Vertrauten.
Um ihn herum entspannten sich seine Alphas. Zu acht waren sie in der Überzahl und die Sniper auf den Dächern gaben ihnen zusätzliche Rückendeckung. Als er sah, wie der italienische Pate in einer versöhnlichen Geste die Hände öffnete, während er auf Alveros zuging, nahm auch er seinen Weg wieder auf. Sie liefen Morello entgegen, der von der Kreuzung noch ein paar Meter mehr entfernt war, überschritten den Punkt, an dem sie von den überkreuzten Gassen nicht gesehen werden konnten, und blieben in der Mitte stehen.
Ein Schuss ertönte. Es riss John von den Füßen, der mit einem Schrei zu Boden fiel.
Dann ging alles ganz schnell. Reflexartig sprang Alveros zurück, zog Gabriel mit sich und sah, wie die eine Hälfte seiner Alphas im Kreuzfeuer niederging und die andere den Kugeln gerade noch rechtzeitig auswich, um ebenfalls in die Sicherheit der engen Gasse zu springen. Ein Blick in Morellos Richtung verriet, dass sein Clan die Waffen gezogen hatte. Von oben ertönten Schüsse, als ihn Alveros’ Sniper anvisierten, sodass er sich in Sicherheit bringen musste. Alveros zerrte seine Pistole aus dem Holster, gab Schüsse auf die Alphas ab, die gerade um die Ecken bogen, rappelte sich auf und rannte die Gasse zurück, Gabriel an der Hand mit sich ziehend, während er sich mehr als bewusst war, dass Morellos Leute die Verfolgung aufgenommen hatten. Die, die an der Kreuzung gewartet hatten, um ihn und seine wichtigsten Alphas alle auf einen Schlag dem Erdboden gleichzumachen, waren ihnen ohne Frage auf den Fersen. Alveros rannte durch das Labyrinth aus Gassen, das ihm nicht so vertraut war, wie er sich wünschte, und blieb erst stehen, als er sah, wie ihm fremde Männer entgegenkamen, die auf ihn zielten. Sie waren umstellt. Ein Hinterhalt, der eine größere Zahl von Morellos Männern einbezog, als Alveros befürchtet hatte.
Instinktiv schmiss er sich mit Gabriel hinter einen großen Müllcontainer, der ihm Schutz bot, während Carl hinter ihm fluchte. Er bot ihnen Rückendeckung.
Der Lärm der Schüsse, die durch die engen Gassen hallten, war ohrenbetäubend. Sie verschmolzen mit dem Geschrei der Kämpfenden zu einem undurchdringlichen Brei, auf den Alveros nicht achten konnte. Neben sich spürte er, wie Gabriel zitterte. Er drückte ihn runter, während sie sich hinter dem Container mehr schlecht als recht verschanzten. Die Waffe gezogen, feuerte er Schüsse ab. Es waren zu viele. Ein Hinterhalt, wie er ihn befürchtet hatte. Und wenn Alveros nicht darauf vertrauen würde, dass sich der zweite Trupp, den er für den Notfall ganz in der Nähe postiert hatte, bald einen Weg bahnen würden, würde es übel aussehen.
Alveros kämpfte, wie er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr gekämpft hatte. Er schoss auf seine Feinde, behielt sie alle im Blick, wusste, dass sie nicht nur in der Gasse vor ihm näher kamen, sondern auch von der, die hinter ihnen lag, und ließ sich davon dennoch nicht unterkriegen. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, das Adrenalin in seinen Adern machte ihn hellwach. Fokussiert visierte er sein nächstes Ziel an, schoss und traf einen Mann frontal zwischen die Augen. Einer weniger. Er fletschte die Zähne, sprang hoch und erledigte einen zweiten. Eilig ging er wieder in Deckung. Haarscharf zog eine Kugel über seinen Kopf hinweg. Alveros sah zu dem Omega, der ihn geschockt ansah, kreidebleich und am ganzen Körper bebend. Er kaurte sich in die Ecke von Hauswand und Container. Der scharfe Geruch verriet seine Panik.
Alveros würde ihn nicht sterben lassen. Und wenn es das Letzte war, das er tat, er würde dafür sorgen, dass Gabriel und er heil hier herauskamen.
Also riss er den Blick zurück zu seinen Feinden, schoss auf sie und traf erneut. Wutgeschrei durchmengte das stete Knallen der vielen Schüsse. Schmerzerfülltes Aufheulen, Todesschreie. Nicht mehr lange und ihm würde die Munition ausgehen. Seine Verstärkung sollte besser bald durch die Verteidigungsmauer brechen, sonst hätte er ein Problem. Schwitzend überlegte er, wie sie aus dieser verzwickten Lage entkommen konnten. Wieder flog eine Kugel knapp an seinem Ohr vorbei. Alveros streckte den Arm aus und feuerte.
Neben ihm schrie Gabriel auf. Er konnte nicht schnell genug nach ihm sehen, da spürte er bereits, wie ihm der Omega die zweite Waffe aus dem Holster zog und dann ertönte neben seinen Ohren ein Knall, gefolgt von Tinnitus.
Alveros riss den Kopf herum. Hinter ihm fiel jemand mit einem Schrei zu Boden und hielt sich den blutenden Oberschenkel. Die Waffe, die er eben noch auf sie gerichtet hatte, war ihm aus der Hand gefallen.
Alveros’ Blick wanderte zu Gabriel hin, der grün im Gesicht und mit vor Grauen geweiteten Augen auf die Stelle starrte, wo der Fremde eben noch gestanden hatte. Er hielt Alveros’ Pistole in den Händen. Tränen strömten ihm über die Wangen. Heftig zitternd saß er auf dem Kopfsteinpflaster. Fassungslos starrte ihn Alveros an. Die Zeit kam zum Stillstand. Kein Omega, den er kannte, wäre in der Lage gewesen, die Waffe auf jemanden zu richten. Und niemand, den er nicht dafür bezahlte, hätte ihm in diesem Moment das Leben gerettet. Doch Gabriel hatte sich entschieden, Alveros den Rücken freizuhalten, obwohl er noch nie eine Waffe geführt hatte. Obwohl man ihm deutlich anmerkte, wie sehr es ihn belastete, jemandem verletzt zu haben.
Aber eben nur verletzt.
Alveros sah zu dem Mann zurück, der sich aufzurappeln versuchte und die Hand nach der Waffe ausstreckte. Carl, der ihm offensichtlich zum Opfer gefallen war, lag leblos zwischen ihnen und versperrte dem Angreifer den Weg.
Mit tödlicher Entschlossenheit drehte sich Alveros herum, hielt Gabriel mit einer Hand die Augen zu und zielte mit der anderen auf den Kopf des Fremden. Er drückte ab. Der Knall ertönte und es riss den Mann nach hinten. Er stand nicht mehr auf.
Alveros rückte zur Seite, bis er Gabriel die Sicht auf den Leichnam verdeckte. Bebend ließ dieser die Waffe fallen. Eine Sekunde später bemerkte Alveros, dass der Schusswechsel aufgehört hatte. Der ohrenbetäubende Lärm war verstummt. Alveros spähte über den Rand des Müllcontainers hinweg. Seine Verstärkung stand auf der anderen Seite. Keiner ihrer Feinde schien überlebt zu haben. Gut.
Alveros schob seine Waffen in die Holster zurück und zog Gabriel in seine Arme. »Schon gut«, raunte er ihm besänftigend zu. »Es ist alles gut. Es ist vorbei.«
Nun, da die Anspannung nachließ, brachen bei Gabriel alle Dämme. Er heulte an Alveros’ Brust, schluchzte und bebte und Alveros drückte ihn an sich, bis Freya bei ihm angekommen war und fragte: »Alles in Ordnung, Boss?« Sie hielt sich eine Seite. Zwischen ihren Fingern glänzte es rot.
Er nickte und sein Blick suchte George, der hinter ihr auftauchte.
»Wir fahren«, verkündete Alveros, schob Gabriel einen Arm unter die zitternden Beine, den anderen in seinen Rücken und hob ihn hoch.
Es war ihm egal, dass die anderen ihn beobachteten. Als Gabriel von seiner Brust abließ, als wollte er aufsehen, brummte er mahnend: »Schließ die Augen, Omega.«
Gabriel fügte sich, drückte das Gesicht erneut in sein Hemd, und Alveros trug ihn die Gasse entlang, vorbei an den Verwundeten und Leichen derer, die sie aus dem Hinterhalt angegriffen hatten. Zwischen ihnen sah er ein paar seiner eigenen Leute liegen. Den Verlust würde er später betrauern. Im Moment zählte für ihn nur eins: Das übermächtige Gefühl in seiner Brust, das sich Luft machen wollte, ausgelöst von Gabriels tapferer Tat. Alveros schritt auf das Ende der Gasse zu, so angespannt, als wäre er noch immer im Kampf. Seine gereizten Nerven sehnten sich nach einem Ventil. Und die Linderung hielt er bereits in seinen Armen.
Als George die hintere Tür der Limousine öffnete, warf ihm Alveros einen vielsagenden Blick zu. »Lass dir Zeit bei der Rückfahrt«, befahl er, schob Gabriel hinein und stieg hinterher.
Noch während sich die Tür schloss, packte er den Omega im Nacken, zog ihn zu sich und küsste ihn. Sie stanken nach Schießpulver, Angstschweiß und dem Schmutz der Straße. Alveros hatte es noch nie so wenig gekümmert. Er war aufgewühlt und wenn er in Gabriels Augen sah, erkannte er, dass der Omega ebenso aufgelöst war. Vielleicht aus einem anderen Grund, aber das war Alveros gleich. Er nahm es nicht persönlich, dass Gabriel noch immer weinte, zog ihm seine schmutzige Brille von der Nase und küsste ihm die nassen Wangen. Gabriels Hände krallten sich in sein Hemd, während ein Ruck durch die Limousine ging und sie losfuhr. Verlangend drängte ihn Alveros nach hinten, bis Gabriel auf der breiten Sitzfläche zum Liegen kam, riss ihm das feuchte Hemd auf und nahm mit einem gierigen Knurren zur Kenntnis, dass der Omega die Beine für ihn öffnete.
»A-Al«, hauchte er atemlos, die kalten Finger in Alveros’ Haar vergraben, ehe die große Alphazunge besitzergreifend über seinen verblassenden Biss leckte.
Alveros schob sich seinen Mantel und das Jackett von den Schultern, riss an den Knöpfen von Weste und Hemd und kapitulierte dann mit einem frustrierten Grollen. Stattdessen zog er seinen Gürtel auf, öffnete die Hose und zerrte sie runter, um sein hartes Glied zu befreien.
Als er sich auf Gabriel legte und zeitgleich versuchte, ihm die Hose zu öffnen, entwich dem Omega ein Schluchzen.
»Alles ist gut, mein Engel«, raunte ihm Alveros ins Ohr, knöpfte Gabriels Hose auf und zog den Reißverschluss hinunter. Er küsste ihn und seine Küsse wurden so stürmisch erwidert, dass Alveros gar nicht anders konnte, als Gabriel noch fester ins Polster zu drücken und die Hüfte vorzuschieben. Eilig zog er ihm Schuhe, Hose und Unterhose von den Beinen, dann war er wieder über ihm.
Gabriel war so feucht, wie er hart war. Er schlang die Arme um Alveros‘ Nacken, zog ihn zu sich und als Alveros in ihn eindrang, entlockte ihm das ein Stöhnen, das fast schon einem verzweifelten Aufschrei gleichkam. Er zitterte noch immer. Weinte noch immer.
Alveros trieb sich tiefer, vergrub seine Nase in Gabriels Haar und sog seinen Geruch ein, während er ihn bei der Hüfte packte und vorrutschte, bis ihn sein Omega bis zum Anschlag aufgenommen hatte.
»Bitte«, schluchzte Gabriel. »Bitte, ich … Alpha!« Haltsuchend krallte er sich an ihm fest, als fürchtete er, Alveros würde ihm durch die Finger rinnen.
Die überlaufenden Empfindungen ließen Alveros’ Brust anschwellen. »Schh, Omega«, besänftigte er ihn, zog sich aus der feuchten, warmen Enge und stieß sich wieder hinein, was Gabriel einen weiteren hilflos gestöhnten Schluchzer entlockte. »Ich bin bei dir.«
»Al, bitte … hah …«, keuchte Gabriel aufgewühlt, »… bitte lass nicht … lass nicht zu, dass sie …« Er wimmerte auf, als sich Alveros abermals in ihm versenkte. Seine Muskeln schlangen sich eng um ihn. »Lass mich nicht allein.«
Sein Sehnen raubte Alveros den Atem. »Du machst mich fertig, mein Engel«, knurrte er dem Omega ins Ohr, genauso erregt, wie er aufgewühlt war.
Noch nie hatte er so leidenschaftlichen Sex gehabt. Noch nie hatte er es so sehr genossen, Gabriel zum Weinen zu bringen. In diesem neu erkämpften Leben, das sie beide teilten, fühlte er sich so verletzlich und zugleich so euphorisch in ihrem Triumph über den Tod.
»Klammer dich an mich«, raunte er ihm zu, zog eine der Hände von seinem Hals und presste sie gegen seine Brust. »Fühlst du mein Herz schlagen? Spürst du es?« Er stieß sich wieder tiefer.
Mit einem hilflosen Stöhnen bäumte sich Gabriel unter ihm auf und warf den Kopf in den Nacken. Schweratmend nickte er und ließ sich von Alveros in einen sehnsüchtigen Kuss ziehen.
»Mein kleiner Schutzengel.« Alveros packte den schmalen Hintern des Omegas und trieb sich in ihn. Wieder und wieder, bis Gabriels aufgewühlte, lustvolle Aufschreie die Geräusche der Motoren übertönten.
Der Druck in Alveros’ Glied nahm zu. Er begann, den Knoten auszubilden.
»Bleib bei mir«, brummte er Gabriel ins Ohr.
»Ja«, hauchte dieser, ehe er erneut schluchzte und sein Gesicht in Alveros’ Halsbeuge drückte. »Ja, Alpha, ja!« Sein Zittern und die Art, wie er sich an ihn klammerte, war betörend.
Alveros hatte sich noch nie von jemandem so gewollt gefühlt. Der Rausch, in den es ihn versetzte, schaltete sein Denken ab. Es war ihm egal, wo sie waren. Welchen Tag sie hatten. Welches Jahr. Das alles spielte keine Rolle. Wichtig war nur, dass er bei Gabriel war. In ihm war. Seinen Knoten in ihn drängte und ihn damit zu seinem machte. Er war wie rasend, triebgesteuert und verlangend. So schrecklich verlangend.
»Fuck«, fluchte er überwältigt, als sein Knoten erneut am Muskelring des Omegas hängenblieb und Gabriel ein Schluchzen entriss. Ein letztes Mal stieß sich Alveros in ihn. Sein grollendes Stöhnen wurde von Gabriels Wimmern untermalt. Bebend klammerte sich der Omega an ihn, als wollte er ihn nie wieder loslassen.
»Ich liebe dich, Gabriel«, raunte ihm Alveros zu. »Hörst du, mein Engel? Ich liebe dich.«
Gabriel
Am Ende des Tages war Gabriel so erschöpft, dass er nicht einmal mehr sagen konnte, wie er sich fühlte. Viele Menschen waren heute gestorben. Doch er hatte den Mann, den er liebte, gerettet. Sie hatten sich gegenseitig ihr Leben geschenkt. Wenn er daran dachte, wollte er vor Überforderung zusammenbrechen und zittern. Es war so viel gewesen. So intensiv. So traurig und so schön. Die jüngsten Erlebnisse ließen ihn lächeln. Wie leidenschaftlich ihn Alveros geliebt hatte. Dass die Euphorie darüber, am Leben zu sein, so übermächtig gewesen war. Das Gefühl, dass ihnen nichts schaden konnte, solange sie zusammen waren. Dass niemand sie würde trennen können. Alveros’ neuer Kosename für ihn klang Gabriel noch in den Ohren und ließ sein Herz höherschlagen – ebenso wie die Liebeserklärung, die eine Premiere gewesen war.
Nachdem sie im Büro ein paar erste Dinge in Reaktion auf den Hinterhalt erledigt hatten, fuhr ihn Alveros nach Hause. Er selbst würde noch einige Leute kontaktieren. Angehörige, die er über den Verlust informieren musste. Unterstützer, bei denen er noch etwas gut hatte. Seinen Clan, der über die Veränderungen auf dem Laufenden gehalten werden musste. Alveros versprach, danach zu Gabriel zurückzukommen und die Nacht bei ihm zu verbringen.
Sie küssten sich, als der Wagen vor dem Mehrfamilienhaus hielt.
»Pass auf dich auf, Alpha«, bat Gabriel, der sich nicht von ihm trennen wollte.
»Ich beeil mich, mein Engel«, raunte ihm Alveros zu und stahl sich einen weiteren Kuss.
Gabriel stieg aus und warf hinter sich die Tür zu. Dann brauste der Sportwagen davon. Von den Eindrücken des Tages war er so überreizt, dass er sich nichts mehr ersehnte als eine Dusche und erholsamen Schlaf.
Er zog den Schlüssel aus der Jackentasche, bemerkte, dass die Haustür nur angelehnt war, und schob sie auf. Dann öffnete er den Briefkasten, der leer war, nahm die Treppen bis in seine Etage und blieb abrupt stehen.
Zwei Alphas in schwarzen Anzügen, mit Sonnenbrillen und Headsets im Ohr flankierten seine Wohnungstür. Ein mulmiges Gefühl legte sich in Gabriels Magen. Diese Art von Sicherheitsmännern kannte er. Er hatte sie viele Monate lang nicht mehr gesehen.
Einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, auf dem Absatz kehrtzumachen und zu gehen. Doch die Alphas hatten ihn bereits ausgemacht und darüber hinaus wusste er aus Erfahrung, dass man vor einflussreichen Menschen nicht fliehen konnte.
Gabriel atmete tief durch. Ihm würde nichts geschehen, mahnte er sich. Er hatte nichts verbrochen. Also straffte er die Schultern, kratzte den letzten Rest selbstsicheren Auftretens zusammen und ging zur Tür. Es war beklemmend, nach der Klinke zu greifen, die zwischen den Alphas seiner harrte. Sie hielten ihn nicht auf. Und er trat ein.
Im Flur deutete nichts auf seinen hochrangigen Gast hin – außer die feine Duftnote, die ihm vertraut war und die ihm nun, da er die Blocker abermals abgesetzt hatte, deutlicher in der Nase lag. Gabriel hielt sich nicht damit auf, sich Jacke und Schuhe auszuziehen. Er ging direkt ins Wohnzimmer und war nicht überrascht, dort den Präsidenten auf seinem Sofa vorzufinden.
Campbell schaute auf und schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Gabriel«, sagte er und nickte ihm grüßend zu. »Wie schön, dich wohlbehalten zu sehen.«
Gabriel deutete eine respektvolle Verbeugung an. »Mr. President.« Er blieb im Türrahmen stehen. »Was verschafft mir die unerwartete Ehre?«
Campbells Lächeln wurde eine Spur wehmütig. »Setz dich zu mir. Wir müssen reden.«
Er war nicht so dumm, das abzulehnen. Auch, wenn ihn die Formulierung ebenso besorgte, wie der Gesichtsausdruck. Also ging Gabriel zum mächtigsten Mann der Welt hinüber und ließ sich in einiger Entfernung neben ihm nieder.
»Wie geht es dir?«, fragte der Präsident, als wollte er Smalltalk betreiben.
Gabriel nickte knapp. »Danke. Gut.«
Der wissende Ausdruck in Campbells Augen gefiel ihm nicht. Unangenehm dehnte sich die Stille zwischen ihnen aus, während der Mann die langen Finger auf seinen übereinandergeschlagenen Beinen miteinander verwob.
»Ich bin hier, um dir einen Job anzubieten.«
Irritiert stutzte Gabriel. Das kam jetzt doch plötzlich. Zumal der Präsident für gewöhnlich Besseres zu tun hatte, als für solche Banalitäten persönlich die Wohnung eines ehemaligen Mitarbeiters aufzusuchen, der auf der anderen Seite der Welt wohnte. Dass er von Gabriels Adresse Kenntnis hatte, verwunderte ihn dabei noch am wenigsten.
»D-das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir«, sagte er eilig, bevor er seinen Anstand vergessen konnte. Er hatte peinlich lange geschwiegen. Nun setzte er zögernd hinzu: »Trotzdem bin ich ein Omega.« Gabriel bezweifelte, dass sich die Einstellung des Präsidenten geändert hatte. Schließlich war die Sicherheit eines Omegas so nah an der Spitze der Macht nicht gewährleistet.
»In der Tat«, stimmte Campbell zu. »Allerdings ist es mir im Laufe der vergangenen Monate gelungen, einige bedeutende Positionen so anzupassen, dass ein Omega sie guten Gewissens ausführen kann. Angemessene Verantwortung bei gleichzeitig sichergestelltem Schutz gegen Übergriffe.« In seine sorgsam kontrollierte Miene legte sich milde Anteilnahme. »Ich bedaure, dass ich dich damals habe entlassen müssen. Ein Job als Assistenten kann ich dir nicht bieten. Trotzdem möchte ich dir eine Perspektive bieten.« Er neigte den Kopf und schenkte Gabriel ein weiteres sanftes Lächeln. »Betrachte es als kleines Entgegenkommen unter Freunden. Ich habe die Zusammenarbeit mit dir immer genossen.«
Gabriel wollte ihm gern dafür dankbar sein. Es hatte Tage gegeben, vor einigen Monaten, da hätte er ohne Umschweife zugestimmt. Doch jetzt war sein Leben ein anderes und darüber hinaus sah es dem Präsidenten nicht ähnlich, wahllos ehemalige Mitarbeiter zu rekrutieren, nur weil er Omega-taugliche Positionen geschaffen hatte. Gern wollte Gabriel glauben, dass er einen so großen positiven Eindruck hinterlassen hatte. Das schmeichelte ihm tatsächlich.
»Ich weiß Ihr Angebot zu schätzen, Sir«, sagte er ausgesucht höflich. »Aber ich habe bereits einen Job.«
Als Campbell nickte, war Gabriel nicht überrascht. Er hatte seine neue Adresse ausfindig gemacht. Ohne Zweifel wusste der Präsident deshalb auch, bei wem er im Moment angestellt war.
»Deswegen bin ich hier.« Er fasste Gabriel schärfer ins Auge. »In den vergangenen Monaten bist du Mr. Greystone recht nahe gekommen, nicht wahr?«
Dass er es so direkt aussprach, trieb Gabriel die Röte ins Gesicht. Er konnte den Blick nicht länger halten und senkte den Kopf.
»Ich mache dir keinen Vorwurf«, hörte er den Präsidenten sagen. »Im Gegenteil. Ich bin davon überzeugt, dass du von ihm genauso geblendet wurdest wie wir alle. Deshalb stellen wir dich von jeglicher Schuld frei.«
Gabriels ungutes Gefühl verstärkte sich. »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen, Sir.«
Campbell nickte erneut, als hätte er nichts anderes vermutet. »Wir haben Informationen von einem engen Vertrauten von Mr. Greystone erhalten. Er berichtete über illegale Geschäfte, die mehr als nur ein wenig rufschädigend sind. Deals, die Schwächeren bewusst schaden und sie ihrer Freiheit berauben. Geschäfte, die das, wofür die Freie Neue Welt steht, untergraben und bedrohen. Diesen Hinweisen sind wir nachgegangen.«
Bei den Enthüllungen wurde Gabriel schwindelig. Haltsuchend krallte er die Hand in die Armlehne seines Sofas. Er hatte nicht geglaubt, dass Alveros’ Deal mit Emil so schnell auffliegen würde.
»W-wer … wer hat Ihnen das gesagt?«, krächzte er.
Nachdenklich runzelte Campbell die Stirn. »Sein Name war John, wenn ich mich recht entsinne. Ein ehemaliges O’Connor-Mitglied. Wie es scheint, hatte er über einen längeren Zeitraum Beweise für die illegalen Aktivitäten der New Yorker Clans gesammelt. Er hat Gawain damit vor einigen Wochen aufgesucht, nach diesem schrecklichen Anschlag in dem Bordell.«
Gabriels Brust schnürte sich zusammen. Zugleich knirschte er mit den Zähnen. John also. Bittere Galle stieg in ihm auf. John hatte sie verraten und hatte Ophelia von seinen ehemaligen Clan-Mitgliedern umbringen lassen. Dann hatte er sicher kalte Füße bekommen, sobald Alveros nach dem Maulwurf gesucht hatte. Also hatte er sich an den einzigen Menschen gewandt, der ihm helfen könnte, den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und Alveros zugleich ans Messer zu liefern.
Gabriel ballte die Hände zu Fäusten. Jeder hatte John vertraut. Jeder hatte ihn gemocht. Die Omegas hatten sich in seiner Nähe so wohl gefühlt und doch hatte er dafür gesorgt, dass ein ganzes Haus voller Omegas von einem Tag auf den anderen ausgelöscht worden war.
Wenn Gabriel daran dachte, wie oft er sich selbst von ihm hatte fahren lassen! Nicht auszudenken, was John mit ihm angestellt hätte, wenn er geahnt hätte, dass er es gewesen war, der Alveros gebunden hatte, statt Ophelia. Ihm fröstelte. Mit einem Mal war Gabriel schlecht. Sein Magen hatte sich so zusammengekrampft, dass Übelkeit in ihm aufkam.
»Heute Morgen war er leider verstorben, wie ich hörte«, sprach Campbell weiter und seufzte teilnahmsvoll. »Dieser unschöne Zwischenfall zwischen den Clans muss dir ziemlich zugesetzt haben.«
Offensichtlich interpretierte er das käseweiße Gesicht und den bitteren Gesichtsausdruck falsch. Gabriel hatte nicht vor, ihn zu korrigieren.
»Du warst dabei, nicht wahr?«
Er nickte knapp. Wozu es leugnen?
Einen Moment streckte der Alpha die Hand aus, als wollte er ihm die Schulter tätscheln. Doch dann zog er sie zurück und richtete stattdessen seine Manschetten. »Wie dem auch sei. Die ganze Sache ist überaus unschön.«
Steif und verkrampft warf ihm Gabriel einen verstohlenen Blick zu. »Was wird jetzt aus Mr. Greystone? Und seinem Clan?«
»Gawain nimmt sich der Sache an«, antwortete Campbell. Der Ausdruck in seinen Augen wurde kühl. »Du weißt besser als jeder andere, wieso diese Gesetze zur Befähigung der Omegas für uns so wichtig sind. Sicher verstehst du unser Unverständnis darüber, dass uns jemand, der sich zuvor so kooperativ zeigte, nun so in den Rücken fällt. Gawain ist nicht erfreut, um es milde auszudrücken.«
Der Schwindel nahm zu. Schwankend kam Gabriel auf die Füße. Das hörte sich wie ein vorgefälltes Urteil an. Der Minister für internationale Sicherheit war kurz davor, Alveros festzunehmen, um ihm den Prozess zu machen. Oder schlimmer, richtete sofort über ihn. Panik stieg in Gabriel auf.
»Ich muss zu ihm«, krächzte er.
Campbell runzelte die Stirn. Kopfschüttelnd erhob er sich ebenfalls und sagte ruhig: »Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen.«
Gehetzt sah Gabriel ihn an. »Wieso nicht? Werden Sie mich dann genauso bedrohen wie ihn? Werden Sie mich festnehmen?« Er stolperte rückwärts. Plötzlich kam ihm Campbells Erscheinen wie ein Ablenkungsmanöver vor. Eine Masche, um ihn länger von Alveros zu trennen. Während sie hier sprachen, tat der Partner des Präsidenten seinem Alpha gerade Unaussprechliches an. Wie konnte Campbell ihn so gleichmütig ansehen, als würde ihn das alles nicht berühren? Wie konnte er diese mitfühlende Scharade weiter aufrechterhalten?
»Gute Güte«, sagte er gerade teilnahmsvoll. »Er hat dich ja vollkommen verwirrt.«
Schwer atmend starrte ihn Gabriel an. Tränen sammelten sich in seinen Augen. »Bringen Sie mich zu ihm.«
Sanft runzelte Campbell die Stirn. »Nein.«
Gabriels Brust zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn sich der Präsident und sein Partner persönlich einer Sache annahmen, bestünde keine Hoffnung, glimpflich davonzukommen. Gabriel konnte nicht untätig hierbleiben. Also wirbelte er herum und stürzte aus dem Wohnzimmer, durch den Flur und riss die Tür auf.
Er war gerade an den Alphas vorbeigesprungen, als ihn einer am Arm zu fassen bekam und zurückzerrte. Man stieß ihn in seine Wohnung und schloss die Tür.
Flachatmend blieb Gabriel im düsteren Flur stehen und sah sich abermals dem Alpha gegenüber, für den er vor wenigen Monaten noch bereit gewesen wäre, sein Leben zu lassen, aus reiner, ergebener Loyalität.
Nun näherte sich ihm Campbell langsam und bedrohlich. Seine sonst so hellblauen Augen waren im dämmrigen Licht ganz dunkel.
Erschrocken wich Gabriel zurück. Er hatte die Gerüchte gehört. Aber darum hatte er sich nie geschert. Als Beta hatte er den mächtigsten Alpha der Welt nicht fürchten müssen. Musste er es nun? Als Omega?
Mit dem Rücken stieß er gegen seine Wohnungstür und wusste doch, dass er nicht fliehen konnte. Die Security vor der Tür würde ihn nicht lassen.
»Dich zu verlieren, wäre ein wahrer Verlust«, sagte Campbell leise. »Deine Kompetenz, deine Fachkundigkeit.« Sanft schüttelte er den Kopf. »Lass nicht zu, dass dir dieser Mann das Leben zerstört. Und alles, was du dir so ehrgeizig aufgebaut hast.«
Inzwischen war er so nah, dass Gabriel, der schweratmend und mit rasendem Puls zu ihm aufsah, seinen dominanten Geruch deutlicher in der Nase hatte.
Als sich der Alpha vorbeugte, blieb ihm beinahe das Herz stehen.
Dann flammte über ihnen das Flurlicht auf, das der Präsident betätigt hatte. Dagegen anblinzelnd, beobachtete Gabriel, wie Campbell einen Schritt zurücktrat, und atmete innerlich auf, weil er ihn offensichtlich falsch eingeschätzt hatte. Campbell war glücklich gebunden. Gabriel würde ihn aus anderen Gründen fürchten müssen.
»Heute wirst du vielleicht noch um ihn trauern«, sagte der Präsident gleichmütig. »Doch in ein paar Wochen wirst du ihn vergessen haben. Und die Reste von dem, was er dir da aufgezwungen hat, werden ebenfalls verschwunden sein.« Beiläufig wies er auf Gabriels Hals, an dem der Kragen der Jacke durch seine Flucht verrutscht war.
Peinlich berührt legte Gabriel die Hand auf die Stelle, als könne er damit ungeschehen machen, dass Campbell den Biss gesehen hatte.
Der neigte den Kopf zur Seite, während er ihn unverwandt ansah. »Mein Angebot steht«, betonte er. »Du hast meine Kontaktdaten. Melde dich bei mir, sobald du wieder bei klarem Verstand bist.« Erneut ging er auf ihn zu und wedelte dabei hoheitsvoll mit der Hand.
Eilig trat Gabriel zur Seite.
Ehe er die Türklinke herunterdrückte, sagte Campbell noch: »Ich rate dir zu einem Umzug nach Großbritannien. New York ist kein Ort für dich, Gabriel. Er hat dich tief in die verbotenen Sümpfe der Stadt gezogen. Sieh zu, dass du Abstand bekommst.«
Die Zähne in die Unterlippe gegraben, schaute ihn Gabriel an. Er hatte dem Präsidenten nichts zu sagen, außer dass er weiter flehen wollte. Und das wäre fruchtlos.
Campbells Blick bohrte sich in seinen. »Such nicht nach ihm. Damit würdest du dich nur selbst in Gefahr bringen.«
Bei den Worten wurden Gabriels Knie weich. Wieso klang das so, als würde Alveros weit Schlimmeres blühen als eine Festnahme? Was würde Grunewald mit ihm anstellen?
Starr beobachtete er den Präsidenten dabei, wie dieser die Tür öffnete. Vor seinem inneren Auge zog ein Horrorszenario nach dem anderen vorbei.
»Alles Gute, Gabriel«, drang Campbells Stimme an sein Ohr.
Gabriel hörte ihn kaum. Er starrte auf die Tür, die zwischen ihnen ins Schloss fiel. Mit jeder Sekunde, die verstrich, sah er sie verschwommener. Die Zeit zog an ihm vorbei. Draußen verhallten die Schritte des Präsidenten und seiner Security.
Alveros
Während sich Alveros seinen Weg durch den New Yorker Verkehr bahnte und dabei, wann immer möglich, das Geschwindigkeitslimit ausreizte, war er in Gedanken bei Morello. Morello, der Rache hatte nehmen wollen. Der ihm unter Vortäuschen eines Friedensangebotes eine Falle gestellt hatte. Alveros hatte tapfere Alphas in diesem Kampf verloren, aber er redete sich gern ein, dass er im Ausgleich dafür von der Gegenseite einen ordentlichen Teil in den Tod gerissen hatte. Dass Carl und John ihr Leben hatten lassen müssen, ging ihm dabei näher, als er zugeben wollte. Sie waren ihm treue Mitarbeiter gewesen. Überaus nützlich in ihren jeweiligen Aufgabenfeldern. Nun hinterließen sie Lücken im Clan. Lücken, die gefüllt werden mussten, mit Alphas, die er dafür aus den unteren Rängen befördern würde.
Gedanklich ging er sein großes Beziehungsnetz durch und fragte sich, wer sich eine Position an seiner Seite verdient hatte. O’Brien hatte bewiesen, wie motiviert sie war, das, was zwischen ihnen stand, aus der Welt zu räumen. Sicher, sie war vernünftig und wusste, was ihrem Omega blühte, sollte sie nicht spuren. Doch wenn er es richtig spielte, könnte es ihm gelingen, sie zu überzeugen, zum Clan zurückzukehren, statt sich zur Ruhe zu setzen. Im Geiste machte er sich eine Notiz, sie in den kommenden Tagen zu sich zu bestellen.
Er parkte den Wagen direkt vor dem Pearls, stieg aus, nickte den Alphas am Eingang geistesabwesend zu und ging hinein. Die Stille im Eingangsbereich nahm er kaum wahr. Zu sehr war er in Gedanken bei der Rede, die er gleich vor den Omegas halten würde, um sie über den Verlust zu informieren. John war bei ihnen beliebt gewesen. Sie hatten es verdient, darüber Bescheid zu wissen, wieso er ihnen nicht länger Schutz bieten konnte.
Aber als Alveros in den Saal eintrat und bemerkte, wie leer dieser war, blieb er irritiert stehen. Eigentlich hätten bereits Besucher in Erwartung der baldigen Show hier sein müssen. Der Beta hinter der Bar fehlte und wenn sich Alveros umsah, fiel ihm auf, dass er die Alphas, die an den Türen standen, nicht kannte.
Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er trat einen Schritt zurück, hin zur Wand, damit er sie im Rücken hätte.
Etwas Kaltes drückte sich gegen seinen Hinterkopf. Der Lauf einer Waffe.
»Mr. Greystone«, schnarrte eine unbekannte Stimme. »Wir haben Sie erwartet.«
Alveros knirschte mit den Zähnen. Langsam hob er die Hände auf Kopfhöhe. Wenn Morello und seine Leute den Omegas irgendetwas angetan hatten, würde er jedem der fremden Alphas, die eben im Pearls herumlungerten, eigenhändig den Hals umdrehen. Sein Blick wanderte zum Gang, der zu den Umkleiden führte.
Von dort hörte er Schritte. Felsenfest davon überzeugt, Morello mit einem schmierigen Grinsen auf ihn zutreten zu sehen, verfinsterte sich Alveros’ Miene. Doch als er sah, wer ihn stattdessen mit seiner Anwesenheit beehrte, entglitten ihm die Gesichtszüge.
Als hätte er alle Zeit der Welt, schlenderte Gawain Grunewald auf ihn zu. Alveros hielt den Atem an. Er war sich nicht sicher, ob er über das Auftauchen des Ministers erleichtert sein sollte. Dass ihm einer seiner Alphas eine Waffe in den Nacken drückte, ließ Alveros nichts Gutes erahnen. Die Gewissheit, dass Grunewald den Omegas nichts antun würde, war beruhigend. Doch das war auch schon der einzige Punkt, bei dem er aufatmen konnte. Die Vergangenheit des heutigen Ministers war dunkler, als Alveros’ je gewesen war. Er hatte aus seiner Zeit als berüchtigter Feldherr eine so blutrote Weste, dass sie sich nicht mehr reinwaschen ließ, und wurde zurecht gefürchtet. In Alveros’ Kreisen wusste man, dass er sich mit Kriminellen, die ihn verärgert hatten, gern in ihrer eigenen Sprache verständigte – anstatt ihnen ein anständiges Gerichtsverfahren zuzugestehen. Sie verschwanden einfach von der Bildfläche und niemand hörte je wieder etwas von ihnen.
Alveros hoffte, dass die gute Beziehung, die er zum Präsidenten aufgebaut hatte, das in Selbstjustiz verhängte Urteil des Mannes abmildern würde. Denn ihm war vollkommen klar, warum Grunewald hier war. Es konnte nur einen Grund für diesen bedrohlichen Besuch geben.
»Mr. Grunewald«, grüßte er höflich und neigte den Kopf in der vorsichtigen Andeutung einer Verbeugung. »Welch unerwartete Überraschung.«
Grunewald lächelte kühl, während er an ihn herantrat. Dann holte er aus und verpasste Alveros einen so kräftigen Fausthieb, dass es ihn zur Seite warf und er hart auf dem Parkettboden landete. Sterne flammten in seinem Sichtfeld auf, scharfer Schmerz zog von Alveros’ Nase direkt in sein Gehirn und Tränen schossen ihm in die Augen. Eher schlecht als recht hatte er sich mit den Händen abgefangen.
Während er sich das Blut von der Nase wischte, beobachtete Alveros, wie Grunewald dem Alpha die Waffe abnahm. Hochmütig sah der Minister auf ihn herab, ein kleines, unheilvolles Schmunzeln auf den Lippen, das seine Augen nicht erreichte.
»Das war eine persönliche Genugtuung«, säuselte er, ehe er langsam vor ihm in die Hocke ging und ihn studierte wie ein interessantes, aber ekelerregendes Insekt. Lässig deutete er mit der Waffe auf Alveros’ Brust. »Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass der New Yorker Untergrund einer Säuberung bedarf.« Grunewald neigte den Kopf zur Seite. »Ich wollte es mir nicht nehmen lassen, das selbst zu übernehmen.« Er grinste so breit, dass es an einen Hai erinnerte.
Eisern unterdrückte Alveros ein Frösteln. Bis eben hatte er den Minister nicht gefürchtet. Respektiert und wachsam beobachtet, das schon. Nie wäre Alveros so dumm gewesen, ihn zu unterschätzen, nur weil er in einen Omega-Körper hineingeboren worden war. Der heutige Minister hatte schon früh deutlich gemacht, wie wenig er sich in eine klischeehafte Schublade pressen ließ, die ihm sein Körper aufzwingen wollte.
Wachsam beäugte Alveros die Waffe, die der Mann in scheinbarer Unachtsamkeit locker zwischen den Fingern hielt. Es sollte ihn vielleicht in Sicherheit wiegen. Sollte ihn provozieren, die vermeintliche Schwäche auszunutzen, und ihn in Versuchung führen, Grunewald die Waffe zu entreißen. Aber Alveros sah das aufmerksame Funkeln in den wachen Augen zu deutlich. Er würde dem Minister nur einen Vorwand liefern, seinem Leben ein jähes Ende zu bereiten.
Also verhielt sich Alveros ruhig und schaute zu ihm auf, während das Blut aus seiner Nase über sein Kinn lief und ihm aufs weiße Hemd tropfte.
Um Grunewalds Mundwinkel zuckte ein mitleidloses Schmunzeln. »Haben Sie noch etwas zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?«
Alveros knirschte mit den Zähnen. »Was ist mit den Omegas des Pearls passiert?«
Grunewald hob eine Augenbraue. »Es stimmt also, was man über Sie sagt«, antwortete er nickend und kam aus der Hocke wieder hoch. »Der › Omegafreund des Untergrunds‹ .« Er schnaubte abfällig. »Wie scheinheilig.«
Alveros sagte nichts. Dafür waren die Worte des Ministers zu provozierend. Eine falsche Reaktion und er würde nicht nur keine Antwort bekommen, sondern ohne Zweifel auch weitere Konsequenzen am eigenen Leib erfahren. Also hielt er den Blick, den Grunewald ihm zuwarf. So lange, bis dieser mit einem schweren Seufzen den Kopf schüttelte.
»Der Laden wird an jemanden übertragen, der vertrauenswürdig ist und sich an die Gesetze hält. Die Angestellten, denen man keine Beteiligung an Ihren verdorbenen Geschäften nachweisen kann, werden ihre Jobs behalten. Sie selbst allerdings … Nun, ich würde gern behaupten, dass ich es bedaure. Doch wenn ich ehrlich bin, konnte ich Sie nie sonderlich ausstehen.«
Sein Blick wurde kälter. Er hob die Waffe und zielte.
In Alveros’ Geist rasten die Argumente durcheinander, die er vorbringen konnte, um sich zu retten.
Bevor ihm auch nur eins davon über die Lippen kommen konnte, drückte Grunewald ab. Der Knall des Schusses hallte durch den Raum.
Alveros spürte, wie sich die Kugel in seinen Körper bohrte und ihn auf der anderen Seite wieder verließ. Schmerz, wie er ihn noch nie gespürt hatte, brannte sich gleißend in seine Sinne und machte ihn blind. Die Luft entwich ihm in einem schmerzerfüllten Aufschrei und er fiel, von der Wucht der Kugel mitgerissen, zurück auf den Boden, wo er auf dem Rücken aufkam und benommen hinaufstarrte. Die Zeit verlangsamte sich. Tinnitus klingelte ihm in den Ohren, Schwindel ließ die Decke über ihm drehen. Sein Körper war mit einem Mal sehr schwer. Das Leben verließ ihn. Er konnte es fühlen. Krampfhaft presste sich seine Hand auf die Wunde. Warmes Blut sprudelte daraus hervor.
In seinem verschwommenen Sichtfeld tauchte Grunewalds Gesicht auf. Ohne jegliches Mitgefühl legte sich der kalte Blick auf Alveros. »Sie haben mir einst das Leben gerettet. Das habe ich nicht vergessen. Darum unterscheidet sich mein Geschenk um ein paar entscheidende Zentimeter von dem, das Morello bereits erhalten hat.«
Alveros hatte Mühe, ihm zu folgen. In seinem Kopf herrschte vor allem Schmerz. Schmerz riss an seinen Nerven, Schmerz grub sich qualvoll in jede Zelle seines Körpers.
Als sich Grunewald zu ihm herunterbeugte und ihn am Kinn packte, fiel es ihm schwer, ihn zu fixieren, ohne dass sein Blick verschwamm.
»Spüren Sie das Leid, das Millionen Omegas auf der Welt tagtäglich ertragen müssen«, hörte er ihn zischen, während die Ränder seines Sichtfelds bereits bedrohlich schwarz flimmerten. »Vielleicht rettet Sie ja ein Schutzengel, bevor Sie an den Qualen jämmerlich zugrunde gehen.«
Angewidert stieß er Alveros’ Kopf zurück. Den dumpfen Schmerz, als sein Schädel auf dem Boden aufkam, spürte Alveros kaum.
Das Flimmern nahm zu. Ein Zittern erfasste seinen Körper. Mit jeder Sekunde, die verging, wurde es stärker. Alveros fühlte die Schwere nun heftiger. Sie legte sich auf seinen Brustkorb, schlang sich um Arme und Beine, zog ihn tiefer. Hinein in die Schwärze.
Gabriel
Schwer atmend eilte Gabriel die Straße entlang. Inzwischen war die Nacht über die Stadt hereingebrochen, doch das war ihm gleich. Er war aus der Wohnung gestürmt, sobald er durchs Fenster die Limousine des Präsidenten hatte davonfahren sehen. Alveros war nicht ans Handy gegangen. Das hatte er schon befürchtet.
Er hatte George angerufen und Freya, hatte alle Nummern angewählt, die er von Alveros’ Clan hatte. Niemand hatte abgehoben. Also war Gabriel ins Bürogebäude gefahren. Mit seinem Schlüssel war er hinein gekommen, aber die Gänge waren ausgestorben gewesen. Von Alveros und Grunewald keine Spur. Gabriel hatte sich zu allen anderen Orten aufgemacht, die ihm eingefallen waren. Er war sich nicht ganz sicher gewesen, was genau er erwartet hatte. Vielleicht, dass Alveros an einem der Schauplätze in seinem eigenen Blut lag. War das zu offensichtlich gedacht? Hatte ihn der skrupellose Partner des Präsidenten stattdessen in einer kleinen Gasse um die Ecke gebracht, wie irgendeinen ehrlosen, dahergelaufenen Taschendieb, um ihn anschließend den Ratten zu überlassen? Heftig schüttelte Gabriel den Kopf und atmete gegen die Enge in seiner Kehle an. Nein, so weit würde es nicht kommen. Wenn er Alveros heute nicht fände, würde er morgen in den Zeitungen lesen können, dass er festgenommen worden war. Und dann könnte er ihn in einem Gefängnis besuchen. Es wäre nicht ideal, aber es beinhaltete einen kleinen Hoffnungsschimmer. Den, dass ihn Alveros nicht verlassen hatte. Dass er noch irgendwo war.
Es erschien ihm jetzt Wochen her, seit er einen Mann angeschossen hatte, um den Alpha zu retten. War das wirklich erst heute Morgen gewesen? Seither war so viel geschehen, dass er es verdrängt hatte. Was, wenn das alles umsonst gewesen war?
Gabriels Augen brannten verräterisch, als er beim Pearls ankam und an der verschlossenen Tür rüttelte. Es hätte offen sein müssen. Stattdessen waren die Eingänge verriegelt. Hinter den Fenstern war es stockdunkel. Hatten Grunewald und Campbell all seine Etablissements geschlossen? Auf dem Weg hierher war Gabriel bereits an zwei Bars und einem Casino vorbeigekommen. Alles war wie das Pearls verrammelt gewesen.
Gabriel wischte sich die Tränen der Verzweiflung von den Wangen. Etwas in ihm wollte resignieren. Wollte einknicken und den Verlust des Alphas betrauern. Doch noch würde er die Hoffnung nicht aufgeben. Obwohl ihm das Herz schmerzte, ging er in Richtung Central Park. Von hier aus wäre es nicht weit.
Als er ein paar Minuten später vor dem Pritz ankam, wollte er fast auflachen, weil es hell erleuchtet und im Betrieb war. Sein Herz schlug in wilder, irrationaler Hoffnung in seiner Brust, während sich Gabriel die Tränen trocknete und hineinging.
An der Rezeption nannte er seinen Namen und bat um Zugang. Die Beta hob einen Hörer an ihr Ohr, wählte eine Nummer und wartete. Ungeduldig und vor Aufregung zitternd wartete Gabriel mit ihr.
Doch als sie den Hörer wieder auf die Gabel legte und mit einem höflichen Lächeln den Kopf schüttelte, brach seine neue Zuversicht in sich zusammen.
»Tut mir leid«, sagte sie freundlich. »Mr. Greystone scheint im Moment nicht da zu sein.«
Gabriel wollte das nicht hören. Er wollte nicht darüber nachdenken, was das bedeutete. Alveros wäre sicher irgendwo. Ganz gleich, wie fatal Campbells Worte geklungen hatten. Oder seine Warnungen.
»Lassen Sie mich trotzdem rein?«, fragte er. »Dann warte ich in seiner Wohnung auf ihn.«
Die Angestellte setzte eine entschuldigende Miene auf. »Das kann ich leider nicht tun.«
Natürlich nicht. Gabriel knirschte mit den Zähnen. Ihm war klar, dass er ein vollkommen aufgelöstes Bild abgeben musste. Dass man ihn vielleicht für einen verwirrten Verehrer hielt. So sehnsüchtig, wie er auf den Fußballen vor und zurück wippte, als wartete er nur auf den Startschuss, wirkte er vermutlich recht verdächtig. Es war ihm gleich.
»Bitte. Er kennt mich, wir … wir sind befreundet«, beendete Gabriel den Satz vage.
»Ich kann nichts für Sie tun«, wiederholte die Dame mit einem mitfühlenden Lächeln. »Das würde gegen unsere Vorschriften verstoßen. Mir sind die Hände gebunden.«
Gabriel seufzte. »Ich verstehe. Kann ich eine Nachricht für ihn hinterlassen?«
Die Beta nickte freundlich. »Natürlich.«
Also verlangte Gabriel nach Stift und Papier.
♣
Als er am späten Abend in seine eigene Wohnung eintrat, tat er es aus der reinen Hoffnung, dass ihn Alveros vielleicht aufsuchen würde. Er legte sich ins Bett und malte sich aus, wie der Alpha einen Weg hineinfände. Doch niemand verschaffte sich in dieser Nacht Zugang zu seiner Wohnung, keiner klingelte an seiner Tür und niemand rief ihn an. Gabriel schlief nicht. Er lag wach in der Dunkelheit, ging im Kopf all die Möglichkeiten durch, was mit Alveros geschehen sein und wer ihn gesehen haben könnte, und stand in den frühen Morgenstunden schließlich auf, weil er es nicht länger ertrug. Ein unnötiger Blick auf sein Handy verriet, dass sich niemand bei ihm gemeldet hatte. Er rief Alveros an. Es klingelte. Dann ging die Mailbox ran. Gabriel legte auf. Er wusste nicht, was er aufs Band sprechen sollte, ohne panisch oder emotional zu klingen. Alveros würde sehen, dass er angerufen hatte. Ganz sicher. Und er würde zurückrufen. Gabriel musste nur geduldig darauf warten.
Bis dahin würde er sich zu beschäftigen wissen. Während sich Gabriel einen starken Kaffee aufbrühte, schaltete er den Fernseher an. Die Stille zermürbte ihn, doch sobald das Frühstücksfernsehen über den Bildschirm flimmerte, entspannte sich etwas in ihm. Frühstücksfernsehen hatte diesen beruhigenden Effekt. Es suggerierte das Gefühl, das alles gut war. Er hörte den Moderatoren mit einem Ohr bei ihrem Geplauder zu und sein Kaffee war gerade fertig, als sie bei den Nachrichten angekommen waren.
Seine Hand krampfte sich um die Tasse, als er Campbells Gesicht sah. Man zeigte ein Bild des Präsidenten am Rednerpult. Jeden Tag gab es etwas über ihn zu berichten, der Anführer der Freien Neuen Welt war fleißig.
Gabriel nippte an seinem Kaffee – und spie ihn in dem Moment wieder aus, in dem die Moderatoren von einer › großangelegten Säuberung ‹ berichteten. Weltweit hätte es bei Banden und Clans, die das organisierte Verbrechen vorantrieben, Razzien gegeben. Der Präsident hätte sich dazu gezwungen gesehen, schockiert über die Missstände, die in einigen Regionen noch immer herrschten. Polizei und Militär hätten ihn bei dieser Maßnahme unterstützt.
Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Gabriel den Bericht darüber, wie auch hier in New York die großen Banden zerschlagen worden seien und die Etablissements veräußert werden würden. Die Verantwortlichen habe man › ihrer gerechten Strafe zugeführt‹ .
Gabriel musste den Fernseher ausschalten. Er bebte zu heftig, bekam kaum Luft und der Kaffee schwappte bedrohlich in seiner Tasse. Nachdem er sie abgestellt hatte, nahm sich Gabriel fahrig die Brille von der Nase und wischte sich die Augen trocken. Gefängnis , mahnte er sich. Es bedeutet Gefängnis.
Doch eine kleine Stimme erinnerte ihn daran, dass er sehr genau wusste, dass Grunewald nicht zimperlich war. Dass er kein unnötiges Risiko einging. War die Tatsache, dass Alveros Emil bei seinen krummen Geschäften unterstützt hatte, bereits Verrat genug?
Übelkeit erfasste ihn. Schwer atmend setzte sich Gabriel seine Brille wieder auf, öffnete ein Fenster und hielt die Nase in die frühmorgendliche New Yorker Brise, um sich zu beruhigen. Er brauchte einen klaren Verstand. Musste warten, bis die Panik verschwunden war, damit er darüber nachdenken konnte, was er nun tun sollte.
Aber wie er es auch drehte und wendete: Gabriel fand keine Antwort.
Ein paar Minuten gab er sich noch dem Gefühl der vollkommenen Hoffnungslosigkeit hin, die seinen Körper und seinen Geist lähmte. Der Taubheit, die den tiefen Schmerz überdeckte, der sich in seine Brust gebohrt hatte. Dann zog er mit zittrigen Fingern abermals das Handy hervor. Wieder rief er alle Nummern an, die er vom Clan hatte. Er wusste nicht recht, was er damit erreichen wollte. Wenn die kriminellen Organisationen zerschlagen worden waren, konnte ihm niemand Neues berichten. Trotzdem wollte Gabriel irgendetwas tun. Untätig herumzusitzen, brachte ihn fast um.
Dann wählte er Alveros’ Nummer erneut. Seine Kehle hatte sich zugeschnürt, das Herz schlug ihm bis zum Hals.
Kein Klingeln ertönte.
Stattdessen meldete sich eine ihm unbekannte Stimme und verkündete, dass die gewünschte Rufnummer nicht vergeben sei.
Gabriel schluchzte auf und schlug sich eine Hand auf den Mund, obwohl niemand sein Wehklagen hören konnte. Sein Leben zerbröckelte. Das Fundament, auf dem er die letzten Monate gestanden hatte, war einfach auf einen Schlag unter ihm zerbrochen. Nun fühlte er sich in einem endlosen freien Fall, der ihm jegliche Kraft raubte. Verzweifelt sank Gabriel auf den Boden und blieb dort sitzen. Alveros war wie vom Erdboden verschwunden und jemand hatte seine Nummer deaktiviert. Gabriel hatte ganz stark Grunewald in Verdacht. Vielleicht war das einer der Schritte, die die Spuren verwischen sollten? So zu tun, als hätte es einen Schandfleck nie gegeben, entsprach genau Grunewalds und Campbells Stil.
Noch nie hatte er die beiden so sehr verabscheut wie in diesem Moment. Sie hatten ihm nie einen Grund gegeben, an ihnen oder ihren Methoden zu zweifeln. Er war ihnen gefolgt, ohne Fragen zu stellen. Hatte die Augen vor unangenehmen Themen verschlossen, weil er gewusst hatte, dass sie notwendig gewesen waren. Doch jetzt war es persönlich geworden. Und dieses fadenscheinige Mitleid, mit dem der Präsident ihn erneut zu rekrutieren versucht hatte, um vielleicht an weitere Informationen zu Alveros und seinem Clan zu gelangen, machte Gabriel ganz krank. Keine zehn Pferde würden ihn je dazu bekommen, sich ihnen wieder anzuschließen. Er konnte nicht die Männer unterstützen, die über den Alpha, den er liebte, hinter verschlossenen Türen gerichtet hatten. Sie kannten ihn nicht. Sie wussten nicht, wie gutmütig und rücksichtsvoll Alveros sein konnte. Dass er, genau wie sie, darauf achtete, Schwächere zu schützen und zu stärken. Dass er eigentlich, trotz all der Grausamkeit und Härte, die im Untergrund notwendig war, tief im Inneren gut war. Nun würden sie es nicht mehr erfahren , schoss es Gabriel durch den Kopf und die Tränen überwältigten ihn.
♣
Über die kommenden Tage wandelte sich Gabriels aufgewühlte Verzweiflung in endlose Trauer und Trostlosigkeit. Ein paar Mal noch fuhr er zum Pritz, um nachzufragen, ob sie vom Alpha etwas gehört hatten. Die Besuche waren von wenig Erfolg gekrönt. Ab und zu wählte er Alveros’ Nummer. Sie war weiterhin › nicht vergeben ‹. Verzweiflung trieb ihn dazu, beides oft zu wiederholen, nicht Vernunft. Denn wenn er auf seine Vernunft gehört hätte, dann hätte er sich der grausamen Erkenntnis stellen müssen, dass jegliche Hoffnung verloren wäre, Alveros je wieder zu sehen. Das hätte ihn zerstört.
Als er nach zwei Wochen von einem Handyklingeln aus seiner tiefen Depression gezogen wurde, hob er abwesend ab.
»Gabriel, Darling«, drang die Stimme seiner Ma aus dem Telefonhörer. Er drückte auf das Lautsprechersymbol und legte das Handy neben sich aufs Bett. Den Tag über war er nicht hochgekommen. Der Trübsinn zog ihn zu sehr runter, als dass er sich in der Lage gesehen hätte, sich aufzuraffen, um aufzustehen. Wozu auch? Es hätte keinen Sinn. Es gab niemanden mehr, zu dem er gehen wollte. Keinen Job mehr, bei dem er sein musste.
»Hallo, Mama«, nuschelte er erschöpft.
Zwischen ihnen zog eine Pause ein. Dann fragte seine Ma hörbar besorgt: »Alles in Ordnung bei dir? Wir haben so lange nichts von dir gehört.«
Gabriel presste die Lippen aufeinander und schüttelte schwach den Kopf, obwohl sie es nicht sehen konnte. »Mir geht es nicht so gut.«
»Oh, mein armes Baby«, sagte sie teilnahmsvoll. »Was hast du denn?«
»Ich …«, krächzte Gabriel, dann brach seine Stimme und die Tränen schossen ihm in die Augen. Er hatte in den vergangenen Tagen so viel geweint, dass seine Nase ganz wund war und er sich schrecklich ausgetrocknet fühlte. Nun drohte er erneut in einen Heulkrampf abzurutschen. Ein gewürgtes Schluchzen entfuhr ihm.
»Ach, Liebes«, drang die sanfte, mütterliche Stimme seiner Ma an sein Ohr. »Was ist denn los? Erzähl es mir.«
»Ich kann nicht.«
»Natürlich kannst du, Gab, Liebling.«
Als seine Mum im Hintergrund sagte: »Du kannst mit uns über alles reden«, wusste er, dass Mama das Telefonat auf laut gestellt hatte.
Zitternd holte Gabriel Luft. Dann entschied er, dass er nicht länger mit diesen Sorgen allein bleiben konnte. Die vergangenen Wochen hatte er sich niemandem anvertrauen können. Wenn er den Mund nicht aufmachte, würde er eines Tages implodieren.
Also erzählte Gabriel seinen Eltern alles, was ihm auf der Seele brannte. Er berichtete davon, wie er Alveros getroffen hatte. Wie er sich einen Platz in seinem › Unternehmen‹ erkämpft hatte. Dass sie sich näher kennengelernt hatten. Gabriel erzählte sogar von dem ungewollten Biss und der Bindung, die ihre Beziehung zueinander vertieft hatte. Er sprach von den gefährlichen Momenten, in denen ihn Alveros beschützt hatte, von ihren wachsenden Gefühlen füreinander, von Morellos Attacken und der Bedrohung, die der feindliche Clan dargestellt hatte. Als er schließlich an dem Punkt angekommen war, an dem er von Alveros’ Handel mit Emil und Grunewalds konsequentem Einschreiten erzählen sollte, brach seine Stimme abermals und eine Reihe verzweifelter Schluchzer schüttelte seinen entkräfteten Körper.
Es zerriss ihm die Brust, an Alveros zu denken. Zu wissen, dass der Alpha höchstwahrscheinlich mit seinem Leben für den illegalen Handel mit Emil bezahlt hatte. All die Emotionen, die er in den vergangenen Tagen eisern von sich geschoben hatten, drangen nun wieder an die Oberfläche und drohten, ihn zu ersticken. Gabriel hielt das nicht mehr aus. Er wollte, dass es endlich aufhörte. Sein Körper würde sonst vor lauter Leid jämmerlich zugrunde gehen.
»Komm nach Hause, Gabriel«, sagte seine Mum sanft. »Bitte. Komm nach Hause.«
Mit zusammengepressten Lippen schüttelte Gabriel den Kopf, setzte sich auf und langte nach einem neuen Taschentuch. Um sich herum lag bereits ein ganzer Haufen verteilt. Sie waren nass von seinen Tränen.
»Ich kann nicht«, krächzte er. »Was, wenn er … wenn er zurückkommt?«
Seine Eltern schwiegen. Er wusste, was sie dachten. › Er wird nicht zurückkommen .‹ Sie waren so feinfühlig, es nicht auszusprechen.
Stattdessen verkündete seine Mum: »Wir kommen zu dir.«
Und obwohl Gabriel ablehnen wollte, obwohl er beteuern wollte, dass das nicht nötig sei, konnte er es nicht. Er hatte einfach keine Kraft mehr.
Epilog
Mit einem schweren Seufzen ließ sich Gabriel auf dem Barhocker nieder.
Es war ein langer Tag gewesen. Einer, dessen Ende er regelrecht herbeigesehnt hatte. Die Tourismus-Tagung hatte das Hotel bis auf den letzten freien Raum ausgereizt, Gästezimmer hatten hergerichtet und Meetingräume nach der Benutzung aufgeräumt werden müssen. Gabriel hatte ein Auge darauf gehabt, dass alles so vonstattengegangen war, wie es hatte sollen. Es gehörte zu seinen Aufgaben, das große Ganze im Blick zu behalten. Zu erkennen, wann sie in einen Engpass gerieten. Probleme zu lösen, Herausforderungen zu meistern, zu delegieren und zu organisieren.
Jetzt, kurz vor Mitternacht, nachdem auch noch die letzte Veranstaltung des britischen Tourismusverbandes zum Ende gekommen war und sich jene Gäste, die in dem Hotel übernachteten, entweder in ihre Zimmer zurückgezogen oder sich wie er in den Hotelbars und der Lobby niedergelassen hatten, konnte Gabriel guten Gewissens seinen Feierabend genießen.
Fast ein halbes Jahr war vergangen, seit er nach England zurückgekehrt war. Seine Eltern hatten ihm beim Umzug geholfen (allein hätte er die Kraft dafür nicht aufbringen können) und nachdem er sich einige Wochen bei ihnen versteckt und sich von ihnen hatte aushalten lassen, war er wieder auf die Füße gekommen. Die ersten vorsichtigen Versuche seiner Ma, ihn zu verkuppeln, hatten ihn hinausgetrieben. Die Erkenntnis, dass er Beziehungen nicht generell abgeneigt war, hatte ihr neue Hoffnung auf zukünftige Enkelkinder gegeben. Es hatte ihm geholfen, sich darauf zu besinnen, was er eigentlich wollte. Also hatte er sich beworben, hatte seine Berufserfahrung, die er in New York gesammelt hatte, vage umrissen und mit seinem Lebenslauf einen Beruf als Hotelmanager ergattern können. Er war wieder auf Blockern. Die Gerüchte um ihn schien niemanden mehr zu kümmern. Es war genug Zeit vergangen, um zu vergessen, dass es sie je gegeben hatte. Als Beta führte er das Hotel nun recht erfolgreich. Nach außen hin lebte Gabriel ein zufriedenes, ehrgeiziges Leben, das mehr aus Arbeit denn aus Freizeit bestand.
In seinen stillen, einsamen Stunden freilich sah es anders aus. Mit dem Verschwinden von Alveros, dessen Verbleib oder Tod ihm nie jemand hatte bestätigen können, war sein Herz so heftig gebrochen, dass er bezweifelte, dass es je wieder würde heilen können. Er vermisste den Alpha jeden Tag. Vermisste die tiefe, samtige Stimme. Den angenehmen Geruch nach Feuerholz, Karamell und Old Spice. Er vermisste seine aufbrausende, besitzergreifende Art, seine Vorliebe, Omegas mit seinem Charme um den Finger zu wickeln. Sein Talent, sich aus gefährlichen Situationen zu manövrieren, sein Geschick im Umgang mit Waffen und schnellen Autos. Gabriel vermisste es sogar, sich mit ihm zu streiten.
Seit er wieder ein Beta-Leben führte, musste er sich kaum mit ungewollter Aufmerksamkeit herumschlagen. Das war ihm ganz recht. Er verschwendete keine Zeit damit, auf Dates zu gehen, die seine Ma für ihn in die Wege geleitet hatte. Niemand würde ihn jemals wieder so sehr begeistern, ihn so fuchsteufelswild und ihn zugleich so süchtig nach mehr machen, wie Alveros Greystone, der unverschämte Mafiaboss.
Als ihm der Barkeeper einen Drink direkt vor die Nase stellte, den er nicht bestellt hatte, hob er fragend den Kopf. Ja, seinen ersten Whiskey hatte er schnell getrunken. Aber er hatte nicht angenommen, dass er ein so trauriges Bild abgab, dass selbst die Belegschaft Mitleid mit ihm hatte.
»Sehen Sie mich nicht so an, Mr. Fleming«, sagte Bill grinsend und hob die Hände. »Der ist nicht von mir.«
Skeptisch musterte ihn Gabriel, bis zu ihm durchrieselte, dass das nur eines bedeuten konnte. So viel dazu, dass er nicht länger in der Aufmerksamkeit irgendeines Alphas lag.
Bill bestätigte seine Gedanken mit seinen nächsten Worten: »Der ist von einem Herrn dort hinten.«
Gabriel seufzte und vermied es, sich umzudrehen. Er mochte es nicht, jemandem eine Abfuhr zu erteilen. Seine Konfliktscheu bestand unverändert, auch wenn er im Arbeitsalltag alles daran setzte, sich wichtigen Herausforderungen tapfer zu stellen.
Gedankenverloren hob Gabriel den neuen Drink an seine Lippen, während er sich fragte, wie er geschickt und freundlich die Avancen im Keim ersticken konnte, ohne dass sein Gegenüber vor verletztem Stolz mit Aggression reagierte.
Fruchtige Süße traf auf seine Zunge. Honig und Kirschsirup. Gabriels Herz setzte aus. Dann schlug es schneller, ehe sich seine Brust schmerzhaft zusammenzog und ihm Tränen in die Augen traten. Ungewollte Erinnerungen kamen in ihm hoch, stürzten ihn in einen Flashback, in dem er auf einem Balkon stand und ein angenehmer Duft seine Nase umschmeichelte. Jener Abend, an dem er das erste Mal der Versuchung nachgegeben hatte.
Eisern blinzelte er die Tränen fort und schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an, während er versuchte, die Hoffnung im Keim zu ersticken, die sich mit dem Geschmack ungefragt in sein Herz geschlichen hatte. Das konnte nicht sein. Es war ein reiner Zufall. Vielleicht ein anderer Alpha, der die gleiche Masche ausprobierte, weil er ihn für einen Omega hielt. Und doch …. Was, wenn es ein Zeichen war?
Der Drink und das Erscheinen eines ominösen neuen Verehrers stürzten Gabriel in ein so großes Gefühlswirrwarr, dass er gar nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte. Da war unbändige Freude, die schreckliche Angst, dass er sich irrte, und zugleich die Furcht vor der grausamen Erkenntnis, dass all das nur Wunschdenken wäre. Gabriel bekam kaum noch Luft, so aufgewühlt war er.
Mit einer zitternden Hand wischte er sich verstohlen die Tränen von den Wangen, wo sie unter seinen Brillengläsern hinuntergelaufen waren.
Dann atmete er tief durch. Er war zu keinem klaren Gedanken fähig. Sein Geist war wie leer gefegt. Doch was nun, nach den ersten Sekunden der Überforderung überwog, war Hoffnung. Er klammerte sich daran wie an den letzten Strohhalm, wohlwissend, dass es ihn, sollte er sich irren, in die nächste Krise stürzen würde.
Bevor er weiter darüber nachgrübeln konnte, trank Gabriel den Ardor-Met in einem Zug aus. Kaum war das Glas leer, bestellte er einen weiteren.
Als Bill ihm diesen vor die Nase stellte, griff er danach, drehte sich um und rutschte vom Barhocker. Die Bar war nicht groß, aber nach der Tagung gut besucht. Während sich Gabriel an Gästen vorbeischob, bemerkte er bereits, wie die Wirkung seiner Blocker immer mehr nachließ. Eilig nahm er noch einen Schluck. Wenn er sich nicht irrte, wenn er seiner Hoffnung wirklich trauen durfte, dann wollte er gleich so deutlich nach Omega riechen wie schon seit Monaten nicht mehr. Und er wollte den Duft aufnehmen, der ihm entgegenwehen würde.
Ein rastloses, freudiges Kribbeln hatte ihn erfasst. Gabriel bemühte sich, seine sachliche Miene aufrechtzuhalten und nicht so zu wirken, als wäre er ein kleines Kind auf einem Jahrmarkt – obwohl er sich mindestens genauso aufgedreht fühlte. Er ging an den Gästen vorbei, betrachtete jeden eingehend und scannte die Gesichter. In keinem von ihnen erkannte er den, den er sich sehnlichst wünschte.
Seine Hoffnung geriet ins Straucheln, als er fast den gesamten Raum durchquert und noch immer nicht gefunden hatte, wen er suchte. Tapfer machte Gabriel weiter. Er zwängte sich an den letzten Stehtischen vorbei und blieb schließlich auf der anderen Seite der Bar stehen, nah an der Wand, direkt vor den breiten Ledersofas.
Und da war er. Gabriel wagte es nicht, seinen Augen zu trauen.
Auf dem Sofa saß, die Beine breit aufgestellt und mit einem hinreißenden Schmunzeln auf den Lippen, Alveros Greystone und nippte an seinem Whiskey. Sein dunkler Blick drang in Gabriel ein, sinnlich und voll Wärme.
»Hallo, mein Engel«, sagte er samten.
Gabriel entwich ein halb abgewürgtes Schluchzen. Seine Knie wurden weich, während Alveros die Hand nach ihm ausstreckte und Gabriel sie mit der seinen ergriff, um sich näherziehen zu lassen. Langsam und so aufgewühlt, dass er am ganzen Leib zitterte, sank er rittlings auf Alveros’ Schoß. Die Tränen liefen ihm in Sturzbächen über die Wangen. Achtlos stellte er sein halbvolles Glas neben ihnen auf dem Sofa ab, legte die Hände an Alveros’ Wangen und zog ihn zu einem sehnsüchtigen Kuss heran. Die Lippen des Alphas fühlten sich echt an. Warm und weich – und nass, weil Gabriel sein tränenüberströmtes Gesicht gegen ihn presste. Hätte er nicht den vertrauten Geschmack auf der Zunge, würde er glauben, dass er träumte. So allerdings konnte er sich nicht entscheiden, ob er lachen oder weinen sollte.
Große Hände legten sich auf seine Hüften und zogen ihn näher, während der Alpha zufrieden in den feuchten, salzigen Kuss brummte. »Du hast mir schrecklich gefehlt«, murmelte er.
Gabriel lachte auf. Er wusste nicht einmal, wieso. Da war so unbändige Freude in ihm, nun da er Alveros gesund und wohlbehalten wieder bei sich hatte, ganz gleich, wie unwirklich es ihm vorkam. Er brachte gerade genug Abstand zwischen sie, um sich die nasse, beschlagene Brille von der Nase zu nehmen, und küsste ihn abermals stürmisch. Es war nicht in Worte zu fassen, wie sehr Gabriel das vermisst hatte. Wie fremd es sich nach all den Monaten anfühlte – und zugleich so vertraut. Surreal und abstrakt, nachdem ihm seine Vernunft so vehement hatte einreden wollen, dass er das hier nie wieder würde bekommen können.
»Wo bist du gewesen?«, wisperte er an Alveros’ Lippen, ehe er ihn erneut küsste und ihm somit die Möglichkeit einer Antwort raubte. »Wieso hast du dich nicht bei mir gemeldet?« Entrüstung mischte sich in seine überbordenden Glücksgefühle. Gabriel hob den Kopf und sah den Alpha anklagend an. Er schlug ihm leicht gegen die breite Brust. »Ich dachte, du wärst tot!«
Alveros schmunzelte traurig. »Und das war auch besser so.« Bei dem verletzten Blick, den ihm Gabriel zuwarf, setzte er hinzu: »Ich musste dich schützen. Hätte jemand gemerkt, dass wir Kontakt haben, hätte man dich gegen mich verwenden können.«
Zärtlich strich er Gabriel eine Strähne hinters Ohr und trocknete ihm mit dem Handrücken eine Wange.
»Seit Grunewald mit seiner ›Säuberung ‹ die großen Clans zersprengte, lauerten die Feinde überall. Es war keine erfolgreiche Aktion, wie die Medien euch glauben ließen. Sie haben der Hydra ein paar Köpfe abgeschlagen. Das hatte einige Tage später heftige Rangkämpfe im Untergrund zur Folge.«
Seine Hand legte sich in Gabriels Nacken. Nach den Monaten der Einsamkeit genoss dieser die Berührung so sehr, dass er sich ungeniert hinein schmiegte. Jetzt spielte alles andere ohnehin keine Rolle mehr. Ja, sie saßen in einer Bar seines Hotels, doch es war beinahe Mitternacht und die wenigsten Gäste wussten, dass er hier arbeitete. Außerdem waren sie vielleicht das einzige Pärchen, aber solange sie züchtig blieben … Gabriel biss sich auf die Unterlippe. Er hatte große Lust, die letzten Monate auf mehr als eine Art wieder aufzuholen.
»Es gibt noch immer Clans«, sagte Alveros in seinem tiefen Bass, den Gabriel so liebte und der ihm direkt in die Brust ging, um sich dort warm festzusetzen. »Nur kennt niemand mehr die Gesichter ihrer Anführer.« Er zog Gabriel für einen weiteren Kuss hinunter und brummte dann: »Tut mir leid. Ich hatte dich nicht so lang warten lassen wollen.«
Seine Worte rührten Gabriel zutiefst. Er wollte jetzt nicht mehr reden. Lieber wollte er sich an Alveros schmiegen, wollte das Herz des Alphas an seiner Brust schlagen spüren, wollte sich vergewissern, dass er wirklich und wahrhaftig bei ihm war.
»Lass uns woanders hingehen«, bat er.
»Alles, was du willst, mein Engel.«
Gabriels Herz zog sich in süßem Schmerz zusammen. Der Kosename fühlte sich fremd und zugleich vertraut an. Sie hatten nicht viel Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Dass es Alveros nach all den Monaten nicht vergessen hatte, wollte ihn fast schon wieder zum Weinen bringen. Entschieden hielt Gabriel den Atem an und drängte die Tränen zurück. Er hatte sich genug gequält. Hatte genug geheult. Jetzt wollte er sich dem Schmerz aus der Seele streicheln lassen. Wollte sich ganz bewusst auf Alveros einlassen und sich vergewissern, dass er echt war. Das er leibhaftig bei ihm war. Dass er lebte.
Sehnsüchtig küsste er den Alpha erneut.
»Ich habe eine der Suiten«, wisperte Alveros an seinen Lippen.
Gabriel gluckste. »Wieso überrascht mich das nicht?«
♣
Es war so lange her, dass jemand Gabriel auf diese Weise berührt hatte. Er hatte in den vergangenen Monaten niemanden an sich rangelassen. Sich jetzt Alveros hinzugeben, ganz frei und ohne Eile, machte das Leid, das er erlebt hatte, tausendmal wieder wett. Hatte er den Alpha anfangs für einen egoistischen Schürzenjäger unter dem Deckmantel eines Charmeurs gehalten, so spürte er nun deutlicher, was für ein aufmerksamer, leidenschaftlicher Liebhaber Alveros sein konnte. Gabriel liefen zwar noch immer die Tränen, doch kamen sie vor Glück, während er sich von ihm umarmen und langsam und sinnlich in die Ekstase führen ließ. Sie genossen einander, wie sie es noch nie zuvor getan hatten. Und als Alveros schließlich über ihm verharrte, den Knoten bis zum Anschlag in ihm versenkt, verschränkte Gabriel die Beine hinter ihm, schloss die Augen und kam zu Atem.
Über den Knoten fühlte er, dass er in seinen Empfindungen nicht allein war. Alveros’ Liebe umhüllte ihn wie einen schützenden Kokon. Nach der langen Trauer wusste Gabriel gar nicht, wie er diese intensiven Eindrücke verarbeiten sollte.
Der Alpha schmiegte sich an ihn. »Ich war viel zu lang nicht in dir.«
Gabriel lächelte, während er gedankenverloren den breiten Rücken streichelte. Unter seinen Fingerspitzen spürte er die Erhebungen der Striemen, die er dem Alpha vorhin im Rausch der Leidenschaft zugefügt hatte. Er fragte sich, wie es mit ihnen weitergehen würde. Dass Alveros seine Gefühle auch nach der langen Trennung teilte, stimmte ihn glücklich. Aber Welten lagen zwischen ihnen. Gabriel war sich nicht sicher, ob er einfach alles hinwerfen konnte. Gerade hatte er in der Arbeitswelt Fuß gefasst. War er schon bereit, wieder nach Amerika zu ziehen, um dem Alpha zu folgen?
Seine Grübeleien verflüchtigten sich, als Leben in Alveros kam.
Er stützte sich auf und sah mit einem warmen Schmunzeln zu Gabriel runter. Zärtlich strich er ihm eine Strähne von der Stirn. »Es tut gut, dein Gesicht zu sehen«, säuselte er und streichelte ihm die Wange.
Genießend schmiegte sich Gabriel in die große Hand. Sein Blick wanderte bewundernd über Alveros’ breite Brust. Wie sehr er es vermisst hatte, ihm so nahe zu sein. Alveros hatte sich in dem halben Jahr kaum verändert. Er war noch immer verboten attraktiv, mit seinen stattlichen Oberarmmuskeln und dem eindrucksvollen Kreuz.
Doch etwas fiel Gabriel ins Auge. Etwas, das er nicht kannte. Vorsichtig streckte er die Hand aus und berührte die ringförmige Narbe an der Seite, unterhalb des letzten Rippenbogens. »Was ist das?«, fragte er und sah besorgt zu Alveros auf. Er war sich sicher, dass die Narbe bei ihrem letzten Zusammentreffen noch nicht dagewesen war. Etwas in ihm erahnte bereits die Antwort.
Sanft zog Alveros die Hand fort und küsste Gabriels Fingerspitzen. »Grunewalds Strafe für meine Unterstützung in Emils Menschenhandel.«
Gabriels Nackenhaare stellten sich auf. Man hatte tatsächlich auf ihn geschossen?
»Der Mann hat einen seltsamen Humor«, fuhr Alveros fort. »Seine Ärzte haben mich gleich danach wieder zusammengeflickt. Morello hat er mit einem Schuss direkt ins Herz getötet, heißt es. Bei mir begnügte er sich mit einem sehr schmerzhaften Denkzettel.«
Die Erzählung trieb Gabriel erneut die Tränen in die Augen. Sich vorzustellen, wie der Minister kaltblütig auf Alveros geschossen hatte und damit das Risiko eingegangen war, ihn zu töten, machte Gabriel in seinem verwundbaren Zustand sehr zu schaffen. Schließlich hatten nach zwei Ardor-Met die Blocker ihre Wirkung eingebüßt und das Wiedersehen, der Sex und der Knoten hatten ihn schon genug überwältigt.
Alveros stützte sich zu ihm hinunter, nahm Gabriels Gesicht in beide Hände und küsste ihm die Tränen von den Wangen. »Ganz ruhig, mein Engel«, raunte er zärtlich. »Ich bin mit einem Schrecken davongekommen. Mir geht es gut.«
Schniefend nickte Gabriel, legte seine Hände auf die des Alphas und atmete tief durch.
»Grunewald hat mir alles genommen, was gegen Gesetze verstieß«, fuhr Alveros fort. »Er hat sogar meine Konten sperren lassen. Die ersten Wochen waren nicht leicht.« Sanft küsste er Gabriels Stirn. »Alles, was mir blieb, waren meine Hotels. Der Clan ist Geschichte. Meine Zeiten im Untergrund sind vorbei.«
Mit großen Augen schaute Gabriel zu ihm auf. »Sie sind vorbei?« Das bedeutete keine weiteren Beteiligungen in Straßenkämpfen? Keine unangenehmen Meetings mehr mit dubiosen Geschäftspartnern?
Alveros nickte finster. Er sah Gabriel so eindringlich an, dass dessen Herz höherschlug. »Du wirst meinetwegen nie wieder in Gefahr geraten.«
Seine Worte trieben Gabriel die Hitze in die Wangen. Er konnte den intensiven Blick nicht länger erwidern.
»Wie hast du mich gefunden?«, murmelte er leise.
Alveros gluckste. »Mein Engel, ich habe dich nie verloren.«
Gabriels Herz schmolz. Er war im siebten Himmel. Es war so surreal, nach der dunklen Zeit, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, dass es lange dauern würde, bis er wirklich glauben konnte, dass der Alpha wieder Teil seines Lebens war.
»Ich habe vielleicht den Clan aufgegeben«, sagte Alveros, »aber ich hatte immer ein Auge auf dich.« Als wollte er dem Moment die Intensität nehmen, schmunzelte er und setzte deutlich sachlicher hinzu: »Außerdem habe ich darüber nachgedacht, diese Hotelkette zu kaufen. Im Ausland zu investieren, erscheint mir vielversprechend.«
Gabriel musste kichern. Doch sein Lachen blieb ihm Hals stecken, als Alveros die Arme um seine Mitte schlang und ihn an sich drückte.
»Spätestens seit ich weiß, wie kompetent dieses Hotel geführt wird«, raunte er ihm ins Ohr, ehe er eine Reihe Küsse auf Gabriels empfindlichen Hals setzte.
Bereitwillig neigte dieser den Kopf zur Seite. Auch, als ihn ein Schauer durchlief, weil die Lippen des Alphas an jener Stelle angekommen waren, an der einst sein Biss geprangt hatte.
»Charmeur«, hauchte er.
Alveros gab ein Brummen von sich. Seine heiße Zunge leckte über Gabriels Haut. »Wenn ich dieses Hotel kaufe, bekomme ich dich dann dazu?«
Gabriels Herz machte einen glücklichen Satz. »Wenn du mich noch willst?«
Als Alveros den Kopf hob, sah er Gabriel so eindringlich an, dass diesem der Atem stockte. »Mein Engel.« Er verwickelte Gabriel in einen leidenschaftlichen Kuss. Als er wieder von ihm abließ, wisperte er nah an seinen Lippen: »Ich habe dich nie nicht gewollt.«
Omegaverse
Begriffserklärung
Allgemein: Das Omegaverse beschreibt ein alternatives Universum, das sich auf die Idee stützt, dass Menschen neben dem primären Geschlecht (Frau, Mann, nicht-binär) auch ein sekundäres Geschlecht (Alpha, Beta, Omega) besitzen.
An alten, traditionellen Rollenbildern gemessen wird mit Alphas Stärke, Dominanz und Potenz assoziiert, mit Omegas dagegen Schwäche, Sanftmut und Fruchtbarkeit.
Alphas können schwängern und entwickeln während der Paarung einen Knoten an der Wurzel des Gliedes, mit dem sie sich verhaken. Periodisch durchlaufen sie eine Phase, die sich ›Brunst‹ nennt.
Omegas können schwanger werden und haben eine periodische Phase namens ›Heat‹ oder ›Hitzephase‹, die ihre Fruchtbarkeit signalisiert und Alphas in ihrer Umgebung aufgrund der ausgestoßenen Pheromone rasend vor Lust werden lässt. Betas haben nichts von alledem. Weder Hitze noch Brunst. Keine Pheromone, keine Lockstoffe. Sie werden nur schwanger, wenn sie die körperlichen Veranlagungen des primären Geschlechts mitbringen. In der Paarungswahl von Alphas und Omegas sind sie daher oft eher die zweite, langweiligere Wahl.
Biss: Abdruck der eigenen Zähne am Hals des auserwählten Partners. Üblicherweise am Übergang von Hals zu Schulter. Der Biss ist von ähnlicher Symbolkraft wie ein Ehering und bildet oft eine Vorstufe der Eheschließung, ein gegenseitiges Versprechen. Darüber hinaus ist die Verbindung durch den Biss nicht nur offensichtlicher, sondern geht auch psychisch tiefer. Es heißt, dass es beide Partner einander so nahebringt, dass sie die Gedanken des anderen hören können. Ein Biss, der nicht wiederholt wird, verheilt nach einiger Zeit, wodurch sich die intime Bindung immer mehr auflöst. Üblicherweise wird er deshalb bei jeder Hitze des Omegas, bzw. jeder Brunst des Alphas erneuert, bis das Gewebe irgendwann so vernarbt ist, dass eine Auffrischung immer weniger notwendig ist.
Blocker: Omegas, die sich nicht in die klischeebeladene Schublade des schwächsten Geschlechts schieben lassen wollen oder die die Aufmerksamkeit der Alphas leid sind, greifen zu Medikamenten, die ihre Pheromone und ihren Fruchtbarkeitszyklus unterdrücken. Dadurch kann man sie leichter mit Betas verwechseln. Wenige Omegas greifen zu diesen drastischen Maßnahmen. Nicht zuletzt, weil die Medikamente einige (un-)bekannte Nebenwirkungen haben, die nicht alle Omegas in Kauf nehmen wollen.
Brunst: Eine Fruchtbarkeitsphase der Alphas, die alle zwei bis drei Monate eintritt und für drei Tage anhält. In dieser Zeit sind die betroffenen Alphas wie rasend vor Gier und wollen Omegas befruchten. Steht ihnen kein gebundenes Omega zur Verfügung, kann es zu Übergriffen auf ungebundene Omegas in der Nähe kommen.
Duft / Geruch: Der Geruch spielt bei der Partnerwahl von Alphas und Omegas eine große Rolle. Über die Pheromone merkt man, ob man sich wortwörtlich riechen kann. Man wird entweder davon angezogen oder abgestoßen. Vor allem während der Hitze und der Brunst sind die Düfte so intensiv, dass sie schnell Reaktionen bei den Umstehenden triggern. Aber nicht nur zur Fortpflanzung sind sie von Bedeutung. Sie sagen auch bis zu einem gewissen Grad etwas über die Gefühlswelt der betreffenden Person aus. Wütende Alphas sind beispielsweise ebenso deutlich zu riechen wie ängstliche Omegas. Über die eigenen Empfindungen zu lügen, ist für beide schwerer als für die Betas, deren Pheromon-Produktion im Vergleich niedrig ist.
Hitze / Hitzephase / Heat: Eine Fruchtbarkeitsphase der Omegas, die alle zwei bis drei Monate eintritt und für drei Tage anhält. Durch den verstärkten Pheromon-Ausstoß kann es in dieser Zeit durch Alphas in der Nähe zu Übergriffen auf besagtes Omega kommen. Omegas wird daher geraten, in dieser Zeit das Haus nicht zu verlassen oder die Zeit mit einem Partner zu verbringen, der ihre Lust stillt, ohne ihre verwundbare Situation auszunutzen.
Knoten: Eine Wölbung an der Wurzel des Gliedes des Alphas, die sich während des Geschlechtsverkehrs ausbildet und kurz vor dem Samenerguss ihre volle Größe erreicht hat. Wird der Knoten in den Omega eingeführt, ist die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung (während der Hitzephase) sehr hoch. Wird der Knoten vom Alpha nicht hineingedrängt, fehlen bedeutende Zentimeter, die eine Befruchtung unwahrscheinlicher machen.
Ruf: Ein gebundener Omega hört auf den Befehl seines Alphas, wenn dieser ihn mit dem Wort ›Omega‹ verknüpft. Je tiefer die Bindung ist (Freundschaft > Sex ohne Knoten > Sex mit Knoten > Bindung durch den Biss), desto weniger wird sich der Omega gegen einen Befehl des Alphas wehren können. Alles in ihm drängt dann danach, diesem Befehl Folge zu leisten. Evolutionsbedingt war dadurch seinerzeit in der freien Wildbahn gewährleistet, dass dem verletzlichen, schwächeren Omega nichts geschieht, da es der Alpha, der die Verantwortung übernimmt, schützt und in Krisensituationen, die das Omega überfordern könnten, die überlebenswichtigen Entscheidungen trifft. Andersherum wird der Bindungsruf eher seltener verwendet und hat dann den Effekt, den Alpha zu ermahnen, das Wohl seines Omegas zu priorisieren.
Schicksalsbindung: Ein Gerücht, das von Film und Fernsehen gern aufgenommen wird, um große Gefühle doch besser zu verkaufen. Gemäß der Idee der Schicksalsbindung kommt es, wenn man auf seinen Schicksalspartner trifft, zu einer Liebe auf den ersten Blick, die alle anderen Beziehungen in den Schatten stellt. Sofortige Anziehung, selbst wenn man die Pheromone der auserwählten Person (noch) nicht riecht. Tiefe Intimität und mentale Übereinstimmung lange bevor man sich berührt. Kaum jemand hat die Erfahrung einer Schicksalsbindung gemacht, weshalb sie im Allgemeinen für ein modernes Märchen gehalten wird.
Danksagung
Zuallererst gebührt ein großer Dank der lieben Nele, meiner Schwester einer anderen Mutter. Du bist das Yin zu meinem Yang, die Peitsche zu meinem Zuckerbrot und die zweite Phönixglucke, ohne die all das hier nie Gestalt angenommen hätte. Du gibst meinen Ideen einen Spielplatz. Danke, dass du mir vertraut hast, dass ich aus der Geschichte um Alveros und Gabriel das Beste heraushole. Ich freue mich schon auf zahllose neue Gedankenexperimente in weiteren Universen.
Weiter gilt ein Dank meinen lieben Testleserinnen, die nicht müde werden, sich meine Geschichten in einem frühen Stadium zu Gemüte zu führen. Danke, Vivienne, Sabrina und Helene. Euer Feedback verhindert, dass ich Höhenflüge bekomme, und zugleich bewahrt ihr mich zuverlässig vor Minderwertigkeitskomplexen.
Darüber hinaus danke an Louisa und ihrer Partnerin, die für dieses Buch das Sensitive Reading übernommen haben.
Wer New York Devil aufmerksam gelesen hat, wird die eine oder andere satirische Spitze bemerkt haben. Ich mache hier bewusst auf Missstände aufmerksam, die auch in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Etwa die Angst der Frauen vor nächtlichen Übergriffen, die Reduzierung auf das Geschlecht, das Naserümpfen bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen und das traditionelle Rollenbild, das einigen Menschen noch immer auferlegt wird, ungeachtet ihrer eigenen Lebensvorstellungen. In New York Devil sind unendlich viele Pärchen-Kombinationen möglich. Jede*r sollte lieben dürfen, wen das eigene Herz verlangt. Wenn ich mit dem Buch wenigstens ein bisschen zum Nach- und Umdenken anregen konnte, bin ich schon glücklich.
Noch glücklicher bin ich, dass ihr bis hierher gelesen habt. Ein großer Dank geht an all die Leser, die dem Buch bereits entgegengefiebert oder es vielleicht durch Zufall entdeckt haben. Ich hoffe, dass ich euch ein paar unterhaltsame Stunden bieten konnte. Danke, dass ihr meine Werke lest, mich auf Patreon und auf den Social Media Seiten so tatkräftig unterstützt und dass ihr mir immer wieder das Feedback gebt, dass ihr Spaß mit meinen Geschichten habt. Das ist für mich das größte Kompliment.
Danke!
Über Jessica Graves
Jessica Graves wurde 1990 im schönen Sachsen geboren, wo sie nach dem Abitur eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolvierte. Ein zusätzliches Studium der Unternehmensführung im Gepäck verschlug es sie einige Jahre später nach Hamburg. Sie arbeitete in der Personalabteilung, ehe sie dem Büroleben den Rücken kehrte und sich ganz ihrer Leidenschaft fürs Geschichtenerzählen widmete. An Hamburg hat sie ihr Herz verloren. Hier schreibt sie Liebesromane und legt dabei großen Wert auf Abwechslung, Diversität und Buntheit, hin und wieder durchsetzt von einer ordentlichen Prise Erotik oder Fantasy.
Erfahre, woran sie gerade arbeitet und worauf du dich freuen kannst.
Abonniere ihren Newsletter: https://www.jessica-graves.com/kontakt
Verbinde dich mit ihr auf
Instagram: www.instagram.com/jessicagraves.schreibt/
und Facebook: www.facebook.com/JessicaGraves4
Schau auf ihrer Patreon-Seite vorbei, um die Autorin bei der Umsetzung ihrer zukünftigen Buchträume zu unterstützen: www.patreon.com/Jessica_Graves
Wie hat dir die Geschichte gefallen?
Hat sie dich berührt und bewegt? Hat sie dich mitfiebern lassen und hattest du manches Mal vielleicht den Atem angehalten, während deine Augen über die Zeilen flogen? Was hast du an der Geschichte besonders gemocht? Und was nicht?
Denk einen Moment darüber nach. Möchtest du deine Meinung in einer Rezension formulieren?
Für die Autorin sind deine Eindrücke eine Wertschätzung und eine Chance. Sie helfen ihr, sich weiterzuentwickeln.
Zugleich erhöhst du mit deiner Rezension die Reichweite des Buches, sodass es auch andere Leser finden und genießen können.
Ich freue mich auf deine Rezension auf Amazon und überall dort, wo du andere an meiner Geschichte teilhaben lassen möchtest. Vielen Dank, dass du dir Zeit dafür nimmst.
Lust auf Mehr?
Dann ist London Saint genau das Richtige für dich!
Angesiedelt in der gleichen Welt wie New York Devil erzählt es die Geschichte von Dr. Fabarius, Campbells Arzt, und Lord Levi Duskwood, einem Omega, dessen Bekanntschaft er durch sehr unschöne Umstände macht. Die Romanze, die sich zwischen ihnen entspinnt, ist nicht nur ungewollt, sie müssen sie zudem auch geheim halten. Denn der junge Lord soll bald verheiratet werden – an einen Alpha seines Standes. Charaktere aus New York Devil werden in London Saint einen Auftritt haben.
AUSZUG AUS LONDON SAINT
Levi ging zu dem Stuhl hinüber, auf dem der Arzt saß. Als er vor ihm stehen blieb und sich Fabarius zurücklehnte, um zu ihm aufsehen zu können, sank Levi in einer geschmeidigen Bewegung auf seinen Schoß, legte ihm die Hand an den Hals und küsste ihn.
Unter ihm verkrampfte sich der Arzt. Nach der ersten Überraschung ließ es nach. Levi grinste gegen seine Lippen. Es war so leicht. Es war immer so leicht. Er musste sich nur anbieten und schon wollte man ihn. Wer konnte sich ihm auch verwehren? Er war adlig, gutaussehend und ein williges Omega. Niemand sagte dazu nein. Und er konnte diese Ablenkung wirklich gut gebrauchen. Sie wäre nicht so berauschend wie unter Drogeneinfluss, aber besser als nichts.
Doch nach einigen Sekunden fiel ihm auf, dass der Arzt seine Lippen nicht bewegte. Sie blieben hart und fest verschlossen. Und als er die Augen öffnete, bemerkte Levi, dass er beobachtet wurde. Ihm lief ein Schauer über den Rücken, von dem er sich nicht sicher war, ob es ein guter war. Er hob den Kopf.
Fabarius' Blick durchbohrte ihn. »Gehen Sie von mir runter.«
Irritiert, dass er eine Abfuhr bekam, zog Levi den Kopf weiter zurück. Er rührte sich nicht. Stattdessen grinste er breiter. »Was ist denn, Doktor?«, säuselte er und ließ auffordernd sein Becken kreisen. »Sind Sie etwa prüde?«
»Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten, Mr. Duskwood«, erwiderte Fabarius ruhig. »Entweder Sie stehen auf und setzen sich zurück aufs Bett oder ich sehe mich gezwungen, mich zu befreien. Zweiteres wird für Sie deutlich schmerzhafter werden. Das bringt die Handlung leider mit sich, fürchte ich.«
D ie Art, wie der Arzt das sagte, so ungerührt, als würde Levi nicht gerade auf seinem Schoß sitzen und ihn zum Sex verführen wollen, versetzte seinem Ego einen pikierten Stich.
»Lord Duskwood«, knurrte er und seine Hand griff den Hals direkt unter halb von Fabarius' Kieferpartie fester. Ein neues Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Und Sie müssen nicht schüchtern sein, Doktor. Geben Sie es zu, Sie wollen mich. Jeder will mich. Mit mir zu schlafen ist, wie mit einem Prinzen zu schlafen. Wollten Sie nicht schon immer mal einen Prinzen ficken?«
Weitere Bücher von Jessica Graves
Heat im Zoo
Gay Romance im Omegaverse
Sugardaddy zum Entlieben
Gay BDSM Age-Gap Geschichte mit unerwiderter Liebe
Zimtsterne & Punschküsse
Gay Romance in 12 weihnachtlichen Kurzgeschichten, darunter auch eine über Alveros und Gabriel
Daddy’s kleines Geheimnis
BDSM Age-Gap Geschichte im Hetero-Bereich mit Daddykink-Einschlag
Band 2: Daddy’s neues Spiel
Band 3: Daddy’s befreites Verlangen
Verführt & Begehrt
Age-Gap Seitensprung Geschichte im Hetero-Bereich
Alle Bücher der Autorin sind auf Amazon erhältlich.