L iliana und Jack fuhren mit dem Aufzug, in dem sie drei gut gekleideten, still lächelnden chinesischen Geschäftsleuten gegenüberstanden, schnell in den siebten Stock hinauf.
Die Aufzugtüren glitten zur Seite, und Liliana und Jack traten hinaus in den Empfangsbereich. Die Büros der OstBank nahmen die gesamte siebte Etage des 22-stöckigen Gebäudes ein. Die drei Chinesen fuhren weiter nach oben.
Der Rezeptionist war ein junger Mann mit Nickelbrille, der in feinem, dunklen Zwirn hinter einem halbrunden Tisch aus Marmor und Stahl saß.
Noch bevor Liliana ein Wort sagen konnte, trat Jack an den Tisch.
»Dzień dobry« – Guten Morgen –, sagte er in der Hoffnung, mit seinem furchtbaren Akzent keinen internationalen Konflikt heraufzubeschwören.
»Dzień dobry. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich habe einen Termin bei Mr. Zbyszko. Mein Name ist Ryan. Er erwartet uns.«
»Ich rufe ihn an. Nehmen Sie doch bitte solange Platz.«
Jack trat vom Tisch zurück. Liliana zog die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, Sie sprechen kein Polnisch?«
»Tu ich auch nicht, aber mein Onkel Google hat mir auf dem Flug hierher ein paar Wörter beigebracht. Ich kann nach der Toilette fragen und mich in aller Form dafür entschuldigen, dass ich ein vertrottelter Amerikaner bin. Das war’s dann aber auch schon.«
»Mr. Zbyszko kommt sofort«, sagte der Rezeptionist.
»Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Oder ein Wasser?«
»Nein danke.«
Gleich darauf kam ein schlanker Mann mittleren Alters durch die Glastür. Maßgeschneiderter Anzug, goldene Manschettenknöpfe und eine dazu passende Krawattennadel. Sehr altmodisch, wie Jack bemerkte, im Vergleich zu seinem eigenen Sakko und seiner Freizeithose. Der Mann reichte ihm eine kräftige, aber manikürte Hand. Jack drückte sie.
»Dzień dobry, Mr. Ryan. Freut mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Stanislaus Zbyszko. Ich bin der Bankmanager.« Er reichte Jack seine Visitenkarte.
»Die Freude ist ganz meinerseits, Sir. Das ist meine Assistentin Ms. Pilecki.«
Der Manager gab auch ihr die Hand.
»Wenn Sie mir bitte in mein Büro folgen würden. Hat Ihnen mein Rezeptionist etwas zu trinken angeboten?«
»Ja danke.«
»Gut, dann kommen Sie bitte.«
Der Manager führte sie durch einen großen Raum, der vollgestopft war mit Arbeitsplätzen, an denen geschäftige Broker telefonierten, zu seinem Büro am anderen Ende. Die eigentliche Bank – mit Schaltern und dergleichen – befand sich im Erdgeschoss. Liliana hatte ihn in den regionalen Hauptsitz der OstBank gebracht.
Zbyszko öffnete die Tür und führte sie hinein. »Nehmen Sie bitte Platz.«
Jack und Liliana setzen sich in Bürosessel aus Teakholz und Leder mit niedriger Lehne gegenüber dem breiten, modernen Schreibtisch des Managers, der ebenfalls aus Teakholz war.
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Mr. Ryan, aber ich habe mich kurz im Internet über Ihre Firma informiert. Die Liste Ihrer Kunden ist ziemlich beeindruckend.«
»Wir sind zwar ein kleines Unternehmen, aber wir haben eine ganz besondere Klientel. Wir bieten Dienstleistungen im Bereich Vermögensverwaltung und Anlageberatung. Wir sind ständig auf der Suche nach interessanten neuen Möglichkeiten.«
»Eine sehr kluge Entscheidung, hierherzukommen. Polen entwickelt sich immer mehr zur Wirtschaftsmacht. Jedenfalls zu einer der wichtigsten Volkswirtschaften in Mitteleuropa. Erst letzte Woche hat die Londoner Börse verlauten lassen, dass wir der erste ehemalige Ostblockstaat sind, der den Status eines ›entwickelten‹ Landes erreicht hat.«
Jack nickte. »Glauben Sie mir, unsere Firma ist vom marktwirtschaftlichen Reformeifer Ihres Landes sehr beeindruckt. Nicht weniger beeindruckt uns die Tatsache, dass Sie zwar der Europäischen Union angehören, aber der Währungsunion nicht beigetreten sind und Ihre Währung behalten haben, statt den Euro zu übernehmen.«
»Die Beibehaltung unserer Währung ermöglicht uns, die Finanzgeschicke unseres Landes selbst zu lenken und Schwierigkeiten zu vermeiden, vor denen Volkswirtschaften wie Italien jetzt stehen. Und die EU -Mitgliedschaft eröffnet uns den Zugang zum weltgrößten Binnenmarkt. In Polen sind Sie richtig, und Warschau ist das Herz Polens. Und wie kann Ihnen die OstBank weiterhelfen?«
»Wir brauchen natürlich lokale Expertise und Beratung, und Ihre Bank genießt einen hervorragenden Ruf. Sie verfügen über die Art von Beziehungen, die wir suchen, und wir hoffen, dass Sie uns dabei behilflich sind, Kontakte herzustellen.«
»Vielen Dank für die freundlichen Worte. Im Bankgeschäft dreht sich alles um Beziehungen. Ich hoffe, unsere wird von langer Dauer und gewinnbringend sein. Und was kann ich heute für Sie tun?«
Jack öffnete seine Mappe und entnahm ihr ein notariell beglaubigtes Schreiben mit dem Briefkopf von Hendley Associates, das Jack Ryan Jr. dazu bevollmächtigte, zehn Millionen Dollar auf ein Bankkonto seiner Wahl zu überweisen. Er legte es auf Zbyszkos Schreibtisch. Dann zog er einen schwarzen Kugelschreiber aus der Tasche und fuhr mit einem Klick die Mine aus, bereit, sich auf dem Block in seiner Mappe Notizen zu machen.
»Wie Sie sehen können, sind zehn Millionen Dollar die erste von drei Tranchen, die in den kommenden zwölf Monaten zu investieren ich befugt bin.«
Der Manager überflog das Schreiben ohne erkennbare Reaktion. Das beste Pokerface, das Jack je gesehen hatte.
»Wenn ich heute bei Ihrer Bank einen Scheck über zehn Millionen Dollar einreichen würde, Mr. Zbyszko, was würden Sie mir als Anlage empfehlen?«
Zbyszko legte das Schreiben auf seinen blitzsauberen Schreibtisch. »Ich könnte mir mehrere Möglichkeiten vorstellen, Mr. Ryan. Natürlich hängt alles von Ihrer Risikofreude und Gewinnerwartung ab.«
»Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, oder?« Jack lächelte. »Gleichwohl nehmen wir die Sicherheit von Kundengeldern sehr ernst. Unser Anspruch ist eine anständige Rendite bei möglichst geringem Risiko.«
»Wirklich bewundernswert. Wir sind ähnlich konservativ im Umgang mit Kundenvermögen. Im Moment bietet der Immobilienmarkt hier in Warschau hervorragende Investitionsmöglichkeiten. Die Büromieten pro Quadratmeter sind Jahr für Jahr um sechs Prozent gestiegen, Wohnungsmieten um fast neun Prozent. Ihnen ist sicherlich nicht entgangen, dass die Bauwirtschaft in der Hauptstadt boomt. Abgesehen von dem günstigen Klima für ausländische Investitionen haben wir in Polen über eine Million ukrainische Flüchtlinge, die meisten davon in und um Warschau. Der Wohnungsmangel ist ein Problem – und eine große Chance.«
»Interessant. Ich habe gehört, Polen sei migrantenfeindlich.«
»EU -Propaganda. Wir Polen finden: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Viel zu viele sogenannte Flüchtlinge sind nach Polen gekommen, nur um dann festzustellen, dass unsere Sozialleistungen zu gering sind. Die meisten haben wieder zusammengepackt und sind nach Deutschland weitergezogen, wo die Zuwendungen großzügiger ausfallen und die Auflagen deutlich lockerer bis nicht vorhanden sind.
Abgesehen von der Tatsache, dass die Ukrainer unsere slawischen Brüder sind und eine ähnliche Sprache sprechen, haben sie sich als fleißige Arbeiter erwiesen – die besser sind als viele Polen, wie sich gezeigt hat. Wie Sie also sehen können, heißt die polnische Gesellschaft jeden willkommen, der integrationswillig ist, unsere Sprache spricht und arbeitet, statt Sozialleistungen zu kassieren.«
Ich muss einen wunden Punkt berührt haben, dachte Jack bei sich und sagte, das Thema wechselnd: »Immobilien wären auf jeden Fall eine Möglichkeit.« Er machte sich eine Notiz. »Wir investieren auch gern in die Bauwirtschaft.«
»Da gibt es viele Möglichkeiten. Wohnungsbau, gewerblicher und industrieller Bau, öffentliche und private Infrastruktur. Suchen Sie sich etwas aus.«
»Und wie steht es um das Risiko?«
»In dieser boomenden Wirtschaft besteht kein großes Risiko.« Zbyszko lächelte.
»Trotzdem, ein gewisses Risiko besteht immer. Und wir haben festgestellt, dass eine Möglichkeit, das Risiko zu mindern, in der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen besteht. Wir finden, dass es bei Investitionen, genau wie im Bankgeschäft, vor allem auf langfristige Beziehungen ankommt.«
Zbyszko warf einen verstohlenen Blick auf den Brief auf seinem Schreibtisch. Der US -Dollar war gegenüber dem polnischen Złoty zurzeit außergewöhnlich stark.
»Unsere Juristen können Ihnen bei Partnerschaftsverträgen helfen. Außerdem haben wir eine Abteilung, die auf Fusionen und Übernahmen spezialisiert ist.«
»Perfekt. Wir haben in der Tat schon eine mögliche Partnerschaft ins Auge gefasst. Es geht um ein Unternehmen namens Baltic General Services. Kennen Sie es?«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Ein gewisser Christopher Gage ist einer der Besitzer und der CEO .«
Die Augen des Managers verengten sich.
»Christopher Gage ist der CEO der Gage Group International und der Senior Vice President von Gage Capital Partners, einem sieben Milliarden Dollar schweren Equity-Unternehmen.«
»Ah ja. Jetzt erinnere ich mich. Baltic General Services ist eine gute und seriöse Firma.«
»Ich glaube, sie hat bei Ihrer Bank einen beträchtlichen Kredit aufgenommen, um mindestens ein weiteres Unternehmen hier in Warschau zu erwerben.«
»Welches?«
»Das weiß ich nicht genau. Deswegen bin ich hier. Ich würde es gern erfahren, bevor ich ihnen eine Zusammenarbeit anbiete. An ihren Finanzen oder anderen vertraulichen Informationen bin ich nicht interessiert. Ich interessiere mich nur für die Firmen, die sie erworben haben oder mit denen sie zusammenarbeiten, und für die Finanzlage dieser Firmen.«
»Bedauere, ich glaube nicht, dass das möglich sein wird. Wir legen allergrößten Wert darauf, die Daten unserer Kunden mit Vertraulichkeit zu behandeln.«
»Sie müssen doch eine Due-Diligence-Prüfung durchgeführt haben, bevor Sie Baltic General Services das Geld für die Firmenkäufe geliehen haben. Was ist das für ein Unternehmen, wo ist es geschäftlich tätig, ist es profitabel und so weiter. Nur allgemeine Informationen. Mehr will ich gar nicht wissen.«
»Warum wenden Sie sich nicht direkt an Baltic General Services?«
»Sie sollen nicht wissen, dass wir Erkundigungen einziehen. Wenn sie erfahren, dass meine Firma an einer Partnerschaft interessiert ist, könnten sie auf die Idee kommen, die Kosten einer Zusammenarbeit zu erhöhen. Wenn ich ihre Finanzlage kenne, bevor ich ein Angebot mache, bin ich in einer besseren Verhandlungsposition. Das verstehen Sie doch sicher.«
»Tut mir leid, aber es ist einfach nicht möglich.«
»Können Sie mir wenigstens den Namen der Firma geben, die BGS hier in Warschau unlängst erworben hat?«
Zbyszko lehnte sich in seinem Sessel zurück, legte die Fingerspitzen zusammen und dachte nach. Schließlich sagte er: »Ich werde mit dem regionalen Vizepräsidenten sprechen. Wenn Sie mich für einen Moment entschuldigen würden?«
»Wir warten vorn in der Lobby.«
Jack legte Mappe und Kuli auf den Stuhl, stand zusammen mit Liliana auf und verließ das Büro, während Zbyszko zum Telefon griff.
Jack und Liliana saßen auf einem der beiden Sofas in der Lobby, außer Hörweite des Rezeptionisten. Jack hantierte mit seinem Telefon. Ohne aufzusehen, fragte er Liliana: »Wie ist es Ihrer Meinung nach gelaufen?«
»Mit dem Schreiben und den zehn Millionen Dollar hatten Sie ihn sofort am Haken.« Sie unterdrückte ein Lachen. »Also fair war das nicht.«
Jack steckte sein Telefon in die Jackentasche. »Hoffentlich sitzt der Haken so tief, dass er nicht wegschwimmen kann.«
Lilianas Telefon summte in ihrer Tasche.
»Entschuldigen Sie mich, Jack. Ich muss meine Nachrichten checken.«
»Sicher. Nur zu.«
Er beschloss, dasselbe zu tun, doch er hatte keine neuen bekommen. Er sah, wie der Rezeptionist einen Anruf entgegennahm. Im nächsten Moment rief er herüber:
»Mr. Ryan? Verzeihung, aber Mr. Zbyszko würde jetzt gerne mit Ihnen sprechen.«
Der Manager trat hinter seinem Schreibtisch hervor, bevor die beiden Platz nehmen konnten.
»Es tut mir leid, Mr. Ryan, aber ich habe mit meinem Vizepräsidenten gesprochen und sehe mich leider außerstande, Ihnen über die Finanzen von Baltic General Services Auskunft zu geben. Vertrauen und Datensicherheit sind unser wichtigstes Kapital.«
»Ich verstehe.«
»Doch ich bin autorisiert worden, Ihnen den Namen der Firmen zu nennen, in die Baltic General Services durch unsere Filialen investiert hat.«
»Firmen? Mehr als eine?«
»Ja. Eine hier in Warschau, eine in Krakau und eine in Danzig. Ich maile Ihnen die Einzelheiten binnen einer Stunde.«
»Das ist überaus freundlich von Ihnen.«
»Ich bitte Sie. Unter Freunden ist das doch selbstverständlich.«
Jack nahm seine Mappe und seinen Kuli vom Sessel. Den Brief ließ er als Erinnerung auf Zbyszkos Schreibtisch liegen, dazu reichte er ihm seine Visitenkarte. »Ich freue mich darauf, in nächster Zukunft mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
»Ganz meinerseits!« Zbyszko strahlte und verabschiedete sich mit einem kräftigen Händedruck. »Auf der Karte, die ich Ihnen gegeben habe, stehen meine Durchwahlnummer im Büro und meine private Handynummer. Zögern Sie bitte nicht, mich anzurufen, wenn ich etwas für Sie tun kann.«
»Danke. Das werde ich.«
»Ms. Pilecki«, sagte Zbyszko und gab auch ihr die Hand. »Es war mir ein Vergnügen.«
»Ganz meinerseits.«
Jack und Liliana gingen zum Aufzug, verfolgt von den wachsamen Augen Zbyszkos.