F ung hatte Dahms Angebot selbstverständlich angenommen. Die Chance, ein eigenes Imperium aufzubauen, war zu unwiderstehlich.
Er stand am großen Panoramafenster seiner Wohnung mit Blick auf die Bucht. Jüngere und weniger talentierte Männer als er waren bereits Milliardäre. Warum sollte er nicht die gleichen Höhen erreichen? Ja, warum denn eigentlich nicht?
Vielleicht würde ihn sein Vater dann endlich akzeptieren.
Sein Privathandy riss ihn aus den Gedanken. Eine unbekannte Nummer. Ein Anruf, keine Textnachricht. Ein Kribbeln im Rücken verriet ihm, wer dran war.
»Ja?«
Eine elektronisch verzerrte Stimme, männlich und fremd. »Hier ist CHIBI . Lawrence, wir haben ein Problem.«
Fung erschrak. »O Gott.«
Es konnte sich nur um eines handeln.
»Ich habe Grund zu der Annahme, dass man Ihnen auf die Schliche gekommen ist. Wir müssen sofort etwas unternehmen.«
Fung zitterte. Vor diesem Moment hatte er sich seit Monaten gefürchtet.
Er versuchte, sich zu beruhigen und einen klaren Kopf zu bekommen. Genau für diesen Fall hatte er doch Vorkehrungen getroffen.
Er wurde Zeit, von ihnen Gebrauch zu machen. Gefälschter Pass, Konten auf den Kaimaninseln, ein Bug-out-Bag mit wichtigen Papieren, Goldmünzen …
»Hören Sie mir zu, Lawrence?«
»Wie eng hat sich die Schlinge schon zugezogen?«
»Sie haben keine vierundzwanzig Stunden mehr. Soweit ich weiß, sind sie schon auf dem Weg zu Ihrer Wohnung.«
Es klingelte an Fungs Tür. Er hätte sich fast zu Tode erschreckt.
»Sie sind da!«
»Nein, ich habe mir die Freiheit genommen, Ihnen eine meiner besten Agentinnen zu schicken. Lassen Sie sie herein und befolgen Sie genauestens ihre Anweisungen.«
»Sie wollen mich in die chinesische Botschaft bringen lassen, richtig? Dort wäre ich sicher.«
»Dort wartet schon das FBI auf Sie.«
»O nein!«
»Keine Sorge. Ich habe das alles vorausgesehen. Ich habe einen Plan. Aber Sie müssen mir vertrauen.«
Fungs Hirn stellte blitzschnell eine Überlegung an – für den Fall, dass etwas schiefging, hatte er ein anderes Szenario durchgespielt. Er könnte gegen CHIBI aussagen, wenn er seine Vergehen gestand, und den Behörden sogar zeigen, wie sie sich vor Leuten wie ihm schützen konnten. Dann würden sie beide Augen zudrücken. Zum Teufel, sie würden ihm sogar gutes Geld dafür zahlen, dass er sie vor Milliardenverlusten durch Cyberkriminalität bewahrte.
Wieder klingelte es an der Tür.
»Lawrence, jetzt ist nicht die Zeit zum Improvisieren. Wenn Sie mich Ihnen jetzt nicht helfen lassen, müssen Sie die Konsequenzen tragen.«
»Woher weiß ich, dass Sie nicht nur versuchen, sich selbst zu schützen?«
»Lawrence, wie können Sie so etwas sagen? Sie sind mein wichtigster Agent, und ich möchte Sie auf keinen Fall verlieren. Aber Sie sind auch mein Freund. Sie können mir vertrauen.«
»Ich weiß nur nicht, was ich tun soll.«
»Denken Sie an Ihre Eltern. Denken Sie an Torré. Wie wollen Sie ihnen helfen, wenn Sie wegen Hochverrats gehängt werden?«
»O Mann …«
Fung holte langsam tief Luft. CHIBI hatte recht. Durch eine Verhaftung würde er Schande über seine Eltern bringen, und der arme Torré wäre ohne ihn hoffnungslos verloren. CHIBI war seine beste Option. Seine einzige Option.
Er ging zur Tür.
»Ich mache jetzt auf.«
»Ausgezeichnet. Bald sind Sie Ihre Sorgen los.«
Fung riss die Tür auf.
Eine junge Chinesin mit Sonnenbrille und schickem Anzug stand vor der Tür, in den lederbehandschuhten Händen eine Laptoptasche und einen Aktenkoffer aus Aluminium.
»Tun Sie genau, was sie sagt«, sagte CHIBI .
»Das werde ich.«
Und das tat er auch.
Jack schlief wie ein Toter in dem durchgelegenen Hotelbett, wie betäubt von Sands’ billigem Whiskey und Bier, denen er so kräftig zugesprochen hatte.
Er träumte zu fallen, bis er mit dem Gesicht auf dem Fußboden aufschlug. Er erwachte von dem scharfen Schmerz und spürte im nächsten Moment, wie sich ein Stiefel in seine Rippen rammte. Er stöhnte und krümmte sich instinktiv zusammen. Ein zweiter Tritt in den Bauch veranlasste ihn, nach dem anderen Fuß zu greifen, der neben seinem Gesicht auf dem Boden stand. Ein harter Faustschlag auf die Wange stoppte ihn jäh, dann pressten zwei andere Hände seine Schultern gegen den Boden. Jemand drückte ihm ein Tuch aufs Gesicht, bis der süßliche Chloroformgeruch in seinen Nasenhöhlen dafür sorgte, dass bei ihm die Lichter ausgingen.