N eben den Bereichen Logistik und Terminplanung war Lisanne Robertson auch für das Wohl der Campus-Crew und die Sicherheit des Flugzeugs verantwortlich, Aufgaben, für die sie sich in ihrer Zeit beim Marine Corps und im Police Department von Alexandria fit gemacht hatte.
Doch so gut sie sich in einem Kampf behaupten konnte, so gut kam sie auch in einer Bordküche zurecht. Während Jack in dem kleinen, aber adäquaten Badezimmer der Gulfstream duschte und frische Sachen anzog, kam Lisanne seiner Bitte nach und machte ihm etwas zu essen: Waffeln, Eier und Speck.
In Erinnerung an Clarks Besuch in seiner Wohnung ein paar Tage zuvor – der gefühlt eher Jahre zurücklag, nach den Schmerzen zu urteilen, die er am ganzen Körper hatte – rief er als Erstes seinen Vater auf dessen Privatnummer an und versicherte dem alten Herrn, dass er zwar müde, sonst aber wohlauf sei und noch am selben Abend wieder in den Staaten sein werde.
Sein zweiter Anruf galt Gavin Biery, dem IT -Genie des Campus. »Hast du die Fotos bekommen, die ich dir geschickt habe?«, fragte Jack. Mit dem Handy des Lieutenants hatte er den toten französischen Söldner und das Fallschirmjäger-Tattoo der Fremdenlegion auf seiner Hand fotografiert und an Biery weitergeleitet.
»Na klar. Hat mir geholfen, die Trefferliste bei meiner Suche von 327 auf nur zwei zu reduzieren. Beide heißen mit Nachnamen Cluzet. Und du hast richtig vermutet, es sind Brüder, nur elf Monate auseinander.«
»Ich weiß, dass einer von ihnen jetzt in einem Kühlfach in der Pathologie von Lima liegt. Wo steckt der andere enculé? «
»Ich arbeite dran. Ich muss noch ein paar Datenbanken durchforsten. Bis du wieder im Büro bist, dürfte ich die Antwort haben.«
Jack dankte Gavin dafür, dass er wieder einmal seine digitale Trickkiste auspackte, und legte auf.
Lisanne brachte ein Tablett mit dampfend heißen Speisen und eiskaltem, frisch gepressten Orangensaft zu seinem Sitz, doch Jack war bereits eingeschlafen und schnarchte wie eine Kettensäge. Sie stellte das Tablett ab, breitete ein Tuch darüber, setzte sich in den Sitz ihm gegenüber und wachte über ihren erschöpften Passagier.
Die Bombardier Global 8000 von CloudServe hob um 17 Uhr Pazifischer Standardzeit ab. Obwohl die Maschine bis zu 17 Passagiere fasste, befanden sich heute neben der Crew nur Elias Dahm und Amanda Watson an Bord. Von San Francisco aus hätten sie ohne Auftanken bis nach Sydney oder Moskau fliegen können, doch laut Flugplan ging es nur nach London Heathrow, wo sie morgen um 12 Uhr Ortszeit eintreffen würden, pünktlich zum Beginn der TechWorld-Konferenz.
Watson war dankbar dafür, dass der Innenraum der Bombardier in geräumige Suiten aufgeteilt war. Elias hatte sich bereits in seine zurückgezogen, wohl um an seiner Rede zu schreiben. Er war in einer merkwürdig gereizten Stimmung im Charterterminal eingetroffen, hatte sie und die Besatzung im Gegensatz zu sonst nur flüchtig gegrüßt. Sie vermutete, dass er noch über das Desaster in Franzosisch-Guayana nachgrübelte, aber seine Stimmungen waren so schwer zu lesen wie Kierkegaard.
Es hätte weitaus schlimmer für ihn ausgehen können. Watson hatte Foley nur mit Mühe dazu überreden können, über die Sache mit Fung vorerst Stillschweigen zu bewahren. Ihr Argument: Je weniger Leute davon wüssten, desto besser. Sie hatte Foley versprochen, Elias sofort nach der Konferenz zu informieren, was ja nur eine Verzögerung von ein paar Tagen war.
»Und offen gesagt, Mary Pat, brauche ich in London einen konzentrierten Elias. Es ist für uns die wichtigste Veranstaltung im Jahr. Er wird ausrasten, wenn er es erfährt.«
Foley verstand ihre Bedenken und willigte widerstrebend ein, aber nur weil Watson sie als Erste auf Fungs Spur gebracht hatte. »Ich möchte, dass Sie beide am Tag Ihrer Rückkehr aus London zu mir ins Büro kommen.«
»Wir werden kommen. Sie haben mein Wort.«
Watson war froh, dass sich Dahm zurückgezogen hatte, denn es war ein langer Flug. Nach dem Essen würde sie ihren Bericht für Foley fertig machen und sich dann hinlegen. Nach den Ereignissen der letzten Tage konnte sie einen erholsamen Schlaf gebrauchen. Bei der wichtigsten Branchenkonferenz der Welt musste sie ausgeruht sein.
Sie hatte das Gefühl, dass ihnen in London bewegte Tage bevorstanden.
Jack fühlte sich überhaupt nicht wie einer, aber Clark und die übrigen Campus-Agenten – Ding, Dom, Midas, Adara und Gavin – empfingen ihn im Hangar von Hendley Associates wie einen heimkehrenden Lokalhelden. Sie strahlten ihn an, nahmen ihn reihum in die Arme und klopften ihm auf den Rücken.
Der Campus war über die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden informiert worden, auch über die erfolgreiche Evakuierung aller zweiundvierzig Minenarbeiter von der Hermana Alta und ihre Einlieferung in Krankenhäuser.
Clark fiel auf, dass sich der junge Ryan seit ihrem letzten Gespräch verändert hatte. Er war still, aber bei guter Laune. Offensichtlich hatte Jack einen ausgiebigen Blick in den Spiegel geworfen, über den sie in seiner Wohnung gesprochen hatten, und da unten in Peru alles zu seiner Zufriedenheit erledigt.
»Irgendwas Neues zu Cluzet?«, fragte Jack Gavin, der gerade ein XXL -Snickers mampfte.
»Ja, allerdings. Du erinnerst dich an das Eiserne Syndikat, die Organisation, die letztes Jahr hinter dir her war? Ich sollte sie auf Clarks Anweisung im Auge behalten. Und nun bin ich auf ein internes Memo von Interpol gestoßen, das die Brüder Cluzet mit dem Syndikat in Verbindung bringt, dank dieser ausgefallenen Tattoos.«
»Dann hast du Interpol kontaktiert, um etwas über ihn zu erfahren?«
Clark antwortete: »Wir haben es erwogen. Aber das Eiserne Syndikat ist weltweit aktiv. Es hat in jeder größeren Sicherheitsbehörde Agenten und Spitzel platziert. Deshalb halten wir es für besser, wenn wir ihn auf eigene Faust jagen. Vielleicht können wir Beweismaterial sammeln und dazu beitragen, die Geheimnisse um diese Organisation zu lüften.«
Jack hatte die globale Bedrohungsanalyse der nationalen Sicherheitsdienste gelesen. Darin wurde das organisierte Verbrechen, das weltweit zwei Billionen Dollar umsetzte, als ernste Bedrohung für die Sicherheit Amerikas eingestuft. Er wollte Cluzet zur Strecke bringen, aber natürlich hätte er nichts dagegen, wenn man bei der Gelegenheit auch das Eiserne Syndikat zerschlagen könnte.
»Wenn wir nicht zu Interpol gehen, ist unsere einzige Chance, Cluzet zu finden, der Tscheche.«
»Genau deshalb sind wir hier«, sagte Clark.
»Wo ist er im Moment?«
»Zu Hause, in Tschechien.«
»Er macht es uns ziemlich einfach, oder?«, fragte Jack.
»›Ein Hund kehrt immer zu dem zurück, was er erbrochen hat‹, heißt es in der Bibel«, bemerkte Gavin und wischte sich Schokolade von den Lippen.
»Und wie mir scheint, vertraut ihr auch nicht darauf, dass die tschechische Regierung ihn sich für uns vornimmt.«
»Ich halte es für besser, wenn wir selbst mit ihm reden. Ich wäre untröstlich, wenn der alte Sack aus Versehen eine Kugel ins Gesicht bekommt und seine Geheimnisse mit ins Grab nimmt, weil wir den falschen Leuten einen Tipp gegeben haben.«
»Dann reden wir doch mit ihm.«
»Wir sind schon am Planen. Willst du mit?«
»Das fragst du noch?«
»Es wird wieder ein langer Flug.«
»Ich kann die Meilen gebrauchen.«
»Bist du hundertprozentig fit? Die Sache könnte etwas haarig werden.«
Jack kniff die Augen zusammen. »Denk nicht mal dran, mich außen vor zu lassen.«
Clark sah die Entschlossenheit in seinen Augen. Und er verstand sie auch. In ihm selbst hatte dasselbe Feuer gebrannt, als er vor vier Jahrzehnten für den Mord an Pamela Madden blutige Rache genommen hatte. Er deutete mit dem Daumen über seine Schulter. In der Ecke des Hangars war Ausrüstung für eine Mission gestapelt. Etwas Ernstes stand bevor.
»Ich hab deine Sachen mitgebracht, nur für den Fall. Wir brechen gleich auf. Der Flieger startet, sobald er aufgetankt ist und alle Checks abgeschlossen sind. Die Einsatzbesprechung machen wir unterwegs.«
»Danke. Ich weiß das zu schätzen.«
»Du hast es verdient, mein Junge. Du hast da unten einen Riesenjob gemacht.«
Alle in der Runde nickten.
»Nein«, sagte Jack. »Der Job ist erst angelaufen. Jetzt wird es Zeit, ihn zu Ende zu bringen.«