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Washington, D.C.

F all abgeschlossen.

Fortson von der Q Group hatte Zustimmung signalisiert, ebenso die Leiter sämtlicher IT -Abteilungen der Geheimdienstbehörden. Und auch Watson.

Foley seufzte erleichtert. Die Nachrichtendienste waren noch mal davongekommen. Knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Einen schrecklichen Moment lang hatte sie ernsthaft daran gedacht, die ganze IC -Cloud zu schließen, die derzeit täglich 1000 Terabytes an Video- und Audioüberwachungsdaten sowie Billionen Metadaten von Telefon- und Internetverbindungen aus aller Welt verarbeitete. Das Sammeln und Verarbeiten nachrichtendienstlicher Informationen, wie es gegenwärtig praktiziert wurde, wäre zum Erliegen gekommen. Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der amerikanischen Nachrichtendienste wäre verheerend und womöglich nie wiedergutzumachen gewesen. Kein Verbündeter hätte den Vereinigten Staaten jemals wieder vertraut.

Zum Glück war die undichte Stelle geschlossen worden.

Fung war ein Einzeltäter gewesen, und Umfang und Dauer des Schadens waren klar begrenzt geblieben. Die forensische Untersuchung seines Laptops war abgeschlossen und bestätigte Fortsons anfängliche Vermutungen. Watson schloss unverzüglich und heimlich die Lücke, die Fung ins Sicherheitssystem des CIA -Kommunikationssatelliten gerissen hatte.

Dann half sie bei der Entwicklung eines geheimen Sicherheitsaudits und suchte intensiv nach weiteren Anzeichen für Datenlecks in der IC -Cloud. Falls ein Dritter die Cloud gehackt hatte und mitbekam, was sie vorhatten, würde er abtauchen. Die größere Herausforderung bestand darin, die IC -Cloud am Laufen zu halten, solange die Ermittlungen andauerten. Zu viele andere wichtige, aktuelle Projekte standen auf dem Spiel, und selbst der geringste Hinweis auf ein Datenleck würde ihre Verbündeten – besonders die Five-Eyes-Länder – in Panik versetzen.

Foley war dankbar für die Herkulesarbeit, die Watson leistete. Nach den Zeitstempeln ihrer Anrufe, Textnachrichten und E-Mails zu urteilen, hatte sie achtundvierzig Stunden lang rund um die Uhr gearbeitet. Jetzt war sie auf einer Konferenz in London, hatte aber versprochen, dass sie jederzeit zu erreichen sei, falls sie gebraucht würde.

Watson war sich mit allen Experten darin einig, dass Fung eine Art Zufallstreffer gelandet habe und die von ihm entdeckte Schwachstelle kein Indiz für ein größeres Sicherheitsproblem sei. Die Nachricht von Fungs Verrat hatte sie besonders schwer getroffen. Sie kreidete ihn sich als persönliches und berufliches Versagen an. Und in einem gewissen Sinne hatte sie damit auch recht. Aber Foley traf nicht weniger Schuld. Alles war unter ihrer Aufsicht geschehen.

Was sie am meisten umtrieb, war die Frage, wie es Fung gelungen war, die regelmäßigen Sicherheitsüberprüfungen zu bestehen, denen wichtige IC -Dienstleiter unterzogen wurden. Waren sie nicht so häufig und so gründlich durchgeführt worden, wie sie angenommen hatte? Oder hatte man sich zu sehr auf Lügendetektor-Tests verlassen – die sich mit gezieltem Training austricksen ließen? Sie würde das Problem angehen müssen, sobald sich der Staub etwas gelegt hatte.

Im Moment blieben Foley nur noch zwei Dinge zu tun: Sie musste einen Kurzbericht über den Fall Fung verfassen und den Präsidenten anrufen. Als ehemaliger Nationaler Sicherheitsberater und stellvertretender CIA -Direktor würde er die Schwere der Krise ermessen können und es zu schätzen wissen, wie schnell sie gelöst worden war.

In seiner Eigenschaft als Präsident würde er wahrscheinlich alles andere als erfreut sein, aber Foley hielt nichts davon, Probleme unter den Teppich zu kehren.

Transparenz was das beste Mittel gegen Fehlverhalten, besonders in ihrem Gewerbe.

Bezirk Klatovy, Region Plzeňský kraj, Tschechien

Der Lauf von Clarks Colt .45 drückte gegen das Knie des Tschechen, der in seinem Lieblingsbürostuhl mit hoher Rückenlehne saß. Wie überall in seiner großen Jagdhütte hingen auch hier Trophäen von Wild an den Holzwänden, das er im umliegenden Wald erlegt hatte.

»Ach ja, Mr. Clark? So dramatisch?«

»Letzte Chance, Freundchen. Wenn Sie jemals wieder Cha-Cha-Cha tanzen wollen, sagen Sie mir besser, wo ich Cluzet finde.«

Mit im Raum waren Jack, eine Glock 19 in der Hand, und Gavin, der bereits im Laptop des Gangsters stöberte.

»Das kennen wir doch zur Genüge. Wenn ich es Ihnen sage, erschießen Sie mich trotzdem.«

»Wir wollen nur Cluzet«, sagte Jack. »Nicht Sie.«

»Haben Sie das auch meinen Wachleuten draußen erzählt, bevor Sie sie umgelegt haben?«

»Sie haben nicht kooperiert«, erwiderte Jack. »Das hat sie zu Kollateralschäden gemacht. Jetzt ist die Wahl an Ihnen.«

Die eulenhaften Augen hinter den Brillengläsern musterten Jacks Gesicht. »Sie haben eine persönliche Rechnung mit Cluzet zu begleichen, stimmt’s?«

Jack sprang vor und drückte ihm den Lauf seiner Waffe gegen den Schädel, wobei er ihm die Brille von der Nase schlug. »Wo ist Cluzet?«

»Jack …«

»Letzte Chance, du Arschloch!«

Der Tscheche sah die mörderische Wut in Jacks Augen. »Ich bin kein Mikromanager. Ich habe wirklich keine Ahnung.«

»Dann gibt es für Sie keinen Grund mehr, noch länger Platz auf dem Planeten zu verschwenden.« Jacks Finger glitt zum Abzug.

»Nein! Warten Sie. Vielleicht habe ich etwas Wertvolleres als Cluzet zu bieten.«

Clark schob Jacks Pistole von der Stirn des alten Mannes weg.

»Was denn zum Beispiel?«

»Ihr Land hat ein Problem. Ein sehr großes Problem. Ein Problem, das nur ich lösen kann. Aber dazu werde ich mit Direktorin Foley sprechen müssen.«

»Haben Sie jetzt komplett den Verstand verloren?«, sagte Jack.

»Warum Direktorin Foley?«, fragte Clark.

»Glauben Sie mir, sie wird hören wollen, was ich zu sagen habe.«

Washington, D.C.

Mary Pat Foley runzelte verwirrt die Stirn, als der Tscheche ihr von dem Mord an dem BKA -Ermittler in Berlin erzählte. Und dass dabei alles auf Informationen basiert habe, die ihm CHIBI geliefert habe.

»Ich bedaure, Ihnen sagen zu müssen, dass CHIBI tot ist. Er hat sich umgebracht. Das Datenleck ist geschlossen.«

»Das kann nicht sein«, sagte der Tscheche am Telefon. »Mein Bevollmächtigter trifft sich morgen mit ihm. Die Bestätigung ist vor einer Stunde eingetroffen.«

Das Blut wich aus Foleys Gesicht.

Der Tscheche führte den Gedanken für sie zu Ende. »Sie sollten glauben, dass das Leck geschlossen ist. Was für eine Leiche man Ihnen da auch präsentiert hat, es war ein Trick, und nach dem Klang Ihrer Stimme zu urteilen, hat er hervorragend funktioniert.«

Fünfzehn Minuten später gab der Tscheche mit einem triumphierenden Grinsen Clark das Telefon zurück.

»Mr.  Clark, hier Mary Pat. Ich fürchte, wir müssen auf seine Bedingungen eingehen. Vollständige Straffreiheit im Austausch gegen diesen Algorithmus-Schlüssel.«

»Trauen Sie ihm, Ma’am?«

»Leider ja.« Was er über den Mord an dem BKA -Mann wusste, genügte ihr als Beweis.

»Und nun?«

»Sie müssen sich etwas gedulden. Ich werde Sie zu einer Telefonkonferenz zuschalten. Ich habe da eine Idee. Ich rufe Sie in zwanzig Minuten zurück. Und tun Sie ihm nichts.«

»Wenn Sie darauf bestehen, Ma’am.«

Der Tscheche lehnte sich in seinem Stuhl zurück, zufrieden, dass er dem Tod wieder mal ein Schnippchen geschlagen hatte.

Clark hätte dem Alten das Grinsen am liebsten mit dem Handrücken aus dem Gesicht gewischt, doch er hatte seine Befehle. Und er musste zugeben, dass der Tscheche sie ausgetrickst hatte. Er hatte Foley von einem Mann namens CHIBI erzählt und von einer geheimen, stillen Auktion, die morgen Abend in London stattfinden sollte. Jeder Bieter, vertreten durch einen Bevollmächtigten, durfte dabei nur ein Gebot abgeben. Der Höchstbietende würde einen besonderen Algorithmus-Schlüssel erhalten, mit dem sich die gesamte IC -Cloud öffnen ließ – ohne dass die Geheimdienstgemeinde jemals davon erfuhr.

Als Gegenleistung für sein Leben versprach ihnen der Tscheche das verschlüsselte Passwort, das seinem Bevollmächtigten das Mitbieten ermöglichte. »Sie wissen nicht, wer kommt. Zur Identifizierung genügt das Passwort.«

Clark war kein Sicherheitsexperte, doch als Gavin entgeistert die Kinnlade fallen ließ, wusste er, dass die Sache sehr ernst war.

»Hören Sie«, sagte er zum Tschechen, »wenn Sie uns hier verscheißern, werden Sie sich wünschen, ich hätte Ihnen von Jack das Hirn wegpusten lassen.«

»Ich bin nichts und niemandem verpflichtet außer mir, Mr. Clark. Mein inniger Wunsch nach Selbsterhaltung ist Ihre beste Garantie.«

Dom und Adara bewachten den Tschechen in einem anderen Raum, während Gavin, Clark, Jack, Mary Pat und zwei Cyber-Cracks von der NSA miteinander über Clarks Handy telefonierten.

Der Plan, den sie sich ausdachten, war unausgegoren und nicht übermäßig erfolgversprechend.

Doch er war ihre einzige Chance.

Und alles hing jetzt von Gavin Biery ab.