Epilog

Washington, D.C.

M it Präsident Ryans Segen und einer Exekutivorder in Händen nutzte Foley alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, um das Eiserne Syndikat zu zerschlagen, das nun als ernste Bedrohung der nationalen Sicherheit eingestuft war.

Innerhalb von Wochen wurden wichtige Agenten des Syndikats enttarnt und identifiziert. Foley setzte sich persönlich mit den Leitern chinesischer, russischer und iranischer Sicherheitsbehörden in Verbindung und gab ihnen die Namen der kriminellen Elemente in ihren jeweiligen Regierungen, um, wie sie ihnen versicherte, »die Flut des weltweiten Drogen- und Menschenhandels einzudämmen«.

Es war auch ein Trick, um sie von ihrem jüngsten Spionagecoup abzulenken – dem vielleicht größten in der jüngeren Geschichte.

Doch das Eiserne Syndikat hatte tiefe Wurzeln geschlagen. Sie auszureißen erwies sich als mühsames Unterfangen. Ermittler lieferten sich einen regelrechten Wettlauf mit den Bossen des Syndikats, die verzweifelt versuchten, undichte Stellen zu stopfen, Beweise zu beseitigen und Spuren zu verwischen.

Präsident Ryan und Foley machten sich auf ungewollte Konsequenzen gefasst.

Und sie kamen. Früher als angenommen.

San Francisco, Kalifornien

Der Hammer der Konkursrichterin fiel.

CloudServe, das mächtigste Cloud-Unternehmen auf dem Planeten, existierte nicht mehr. Die kreisenden Geier würden bald die Überreste unter sich aufteilen.

Elias Dahms Verschwinden hatte überall im Silicon Valley und in Wa shington, D.C. die Alarmglocken schrillen lassen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Einheimische vermuteten, dass Dahms Verschwinden mit dem Selbstmord Lawrence Fungs zusammenhing, dessen bewegtes Leben und finanzielle Probleme in einem ergreifenden Enthüllungsbericht detailliert ausgebreitet wurden, der sich auf namentlich nicht genannte Quellen in der Regierung stützte.

Die Einheimischen hatten nur zur Hälfte recht.

Das FBI befürchtete, Dahm könnte irgendwie in Watsons Komplott verwickelt gewesen sein, was sie selbst energisch bestritt, und sich ins Ausland abgesetzt haben, um einer Befragung zu entgehen, oder, schlimmer noch, bei einem strategischen Konkurrenten Amerikas Zuflucht gesucht haben.

Foley vermutete, Dahm sei einfach nur feige und drücke sich vor der Verantwortung für das Scheitern seines Traums.

Wochen vergingen, ehe eine neuseeländische Witwe, die allein über den Pazifik segelte, das Wrack von Dahms Jacht Prometheus sichtete. Ermittler kamen zu dem Ergebnis, dass sie in einem tropischen Sturm mit Wasser vollgelaufen und auseinandergebrochen war.

Dahms Leiche wurde nie gefunden.

Danzig, Polen

Das Piratenschiff fuhr langsam mit Maschinenkraft, während die Teilnehmer der Themenfahrt an Deck heißen Glühwein schlürften und in der kühlen Luft fröstelten. »What shall we do with the drunken sailor« dröhnte auf Polnisch aus den Lautsprechern.

Zwei pensionierte Lehrer aus Knoxville, Tennessee, standen mit ihren Smartphones auf dem Vorderdeck und suchten auf TripAdvisor ein Fischrestaurant an der hell erleuchteten Uferpromenade der Mottlau.

Die beiden spürten einen dumpfen Schlag unter den Füßen, als das Piratenschiff einen schweren Gegenstand im Wasser rammte.

Das Besatzungsmitglied, das in einem Piratenhemd mit Puffärmeln neben ihnen stand, bedachte sie mit einem nervösen Blick und beugte sich dann über die Bordwand, um nachzusehen, was die Kollision verursacht hatte.

Eine Stunde später brachte ein Leichenwagen der Polizei die halb verwesten Leichen von Christopher Gage und Hu Peng weg, die mit Seilen aneinander gefesselt im selben Leinensack ertränkt worden waren.

Karpaten, Rumänien

Der Tscheche stand am Waldrand und sog die kühle, würzig nach Kiefern duftende Luft durch die Nase ein, seine Lieblingsflinte in der Hand, seinen besten Hund an der Seite. Ein Jagdführer hatte in der Umgebung einen kapitalen Keiler gesichtet, und es versprach ein perfekter Tag zu werden.

Er war seit Jahren nicht mehr so glücklich gewesen. Der Ruhestand, auch wenn es ein erzwungener war, gefiel ihm – befreit von der Last, ein kriminelles Großunternehmen zu führen.

Sein Böhmischer Rauhbart begann wild zu bellen und reckte die bärtige Schnauze in Richtung einer Baumgruppe, die ein gutes Stück entfernt lag.

»Rexi! Braver Junge. Was siehst du denn?«

Der Tscheche hörte das vertraute Knacken, blieb aber reglos stehen. Tatsächlich hatte er damit schon seit Längerem gerechnet.

13 Gramm stahlummanteltes Blei schnitten ungefähr 600 Meter entfernt durch die Gebirgsluft. Die Kugel durchschlug sauber die Stirn des Tschechen, aber sein Hinterkopf explodierte in einer Wolke aus Blut, Knochen und Hirnmasse.

Seine Leiche fiel ins hohe Gras, und Rexi bellte und jaulte zu seinen Füßen.

Auf der anderen Seite der Lichtung zogen sich der Scharfschütze von der polnischen ABW und sein Spotter zu der Stelle zurück, wo sie abgeholt wurden. Heute Abend in ihrer Baracke würde der Wodka in Strömen fließen.

Foley hatte zwar eingewilligt, das Leben des Tschechen zu schonen, aber sie hatte nie versprochen, von seiner Verfolgung abzusehen oder den polnischen Behörden zu verschweigen, dass er indirekt für Lilianas Tod verantwortlich war.

Lilianas wahrer Mörder blieb den Polen unbekannt.

Aber nicht Jack.

Bengasi, Libyen

Die Nachricht vom Tod seines Bruders hatte ihn eben erst erreicht.

Cluzet war nun schon seit mehreren Wochen auf der Flucht.

Er hatte sich in einer Wohnung in der vierten Etage eines ausgebombten, sechsstöckigen Mietshauses verschanzt, das vor Jahrzehnten mit Ölgeld des Gaddafi-Regimes gebaut worden war. Gaddafis Tod und das darauffolgende Chaos hatten das reichste Land Afrikas innerhalb weniger Monate in eine anarchische Höllenlandschaft verwandelt, in der rivalisierende islamistische Gruppen, Drogenschmuggler und Schlepperbanden den Ton angaben. Mitten in diesem Chaos aus Gewalt und Tod hatte Cluzet schließlich eine Zuflucht gefunden – und Gleichgesinnte.

Die Wohnung, in der es nur zeitweise fließend Wasser und Strom gab, war zwar weniger ein Zuhause als eine Betonhöhle, in seiner momentanen, verzweifelten Lage aber dennoch von Nutzen für ihn, da feindliche Regierungen und auf Rache sinnende Gegner Jagd auf ihn machten. Ihr einziger Vorzug war der unverstellte Blick auf das Mittelmeer hinter der Küstenstraße.

Er hatte einem ehemaligen Kollegen vom Eisernen Syndikat, einem hier lebenden Waffenschieber namens Tóth, die Nachricht zukommen lassen, dass er in der Stadt sei und für »nasse Sachen« – für die er bekannt war – zur Verfügung stehe. Sein Freund wollte in ein paar Minuten hier sein. Er hatte ihm gute Neuigkeiten versprochen.

Glasscherben knirschten unter Cluzets Stiefeln, als er an das geborstene Fenster trat, das auf den Parkplatz und die Straße dahinter hinausging. Er blieb vorsichtig im Schatten. Man wusste nie, ob da draußen nicht jemand mit einem Präzisionsgewehr lauerte, in dem eine Kugel steckte, auf der sein Name stand.

Ein kühler Wind strich über seinen tätowierten Arm. In der Ferne echote ein kurzer Feuerstoß aus einer automatischen Waffe, ein alltägliches Geräusch in der zerstörten Küstenstadt.

Er ließ den Blick über den müllübersäten Parkplatz schweifen, den der morgendliche Regen unter Wasser gesetzt hatte. Neben dem Nachbarhaus stand ein rostiger, kugeldurchlöcherter Wagen mit geplatzten Reifen, in dem eine ältere Frau hauste, die noch verzweifelter war als er.

Ein weißer Toyota Hilux kam die Straße entlang gerast. Hinter dem auf der Pritsche montierten 7.62-mm-Maschinengewehr stand ein Mann, der eine Sonnenbrille trug und sein Gesicht wie der Fahrer mit einem schwarz-weißen Palästinensertuch vermummt hatte.

Der Hilux hielt auf Cluzets Haus zu, und unter seinen Offroad-Reifen spritzten die in den Pfützen schwimmenden Zigarettenkippen und Getränkedosen hervor. Direkt unter Cluzets Balkon kam er schlitternd zum Stehen.

Sein Freund Tóth, ein dicker Ungar mit einer Messernarbe auf der Wange, sprang aus der Beifahrertür und landete mit den Stiefeln platschend im Dreckwasser. Sein rundes, bärtiges Gesicht war dem Franzosen zuliebe nicht vermummt.

»Cluzet!«

Der blonde Legionär trat aus dem Schatten hinaus auf den Balkon. »Tóth, du alter Fuchs! Du bist wirklich gekommen!«

»Natürlich! Warum denn nicht?«

»Es ist sehr riskant, mich zu kennen.«

Cluzets Blick wanderte zu dem Mann am Maschinengewehr, der ihn durch seine Sonnenbrille anstarrte. Er hatte sich nicht gerührt.

»Wir werden alle gejagt, mein Freund«, sagte Tóth. »Deswegen müssen wir zusammenhalten.«

»Ich brauche Arbeit. Was hast du für mich?«

Tóth stemmte die Hände in die breiten Hüften und schüttelte lächelnd den Kopf. »Ja, du brauchst Arbeit. Aber ich fürchte, vorher muss jemand anders mit dir reden.«

»Wer denn?«

»Ich, du Arschloch.«

Cluzet wirbelte herum und zog dabei seine SIG .

Jacks Glock feuerte zuerst und jagte zwei Kugeln in Cluzets Nasenrücken, die ihn auf der Stelle töteten.

Cluzets SIG feuerte, als seine Hand sich verkrampfte.

Das 9-mm-Geschoss fuhr nur Zentimeter neben Jacks Kopf in die abblätternde Farbe der schimmligen Wand.

Jack trat zu der Leiche, schoss noch zwei Kugeln in den blonden Kopf und dann zwei weitere in das leblose Herz, die es zerfetzten.

Zufrieden starrte er auf den Toten.

Er steckte die Waffe ins Holster zurück, trat auf den Balkon und blickte hinaus in die grenzenlose Weite des Meeres. Eine kreisende Möwe schrie in der Ferne.

Der Mann auf der Pritsche des Hilux nahm das Palästinensertuch ab.

»Alles in Ordnung, mein Junge?«, fragte Clark, auf das Maschinengewehr gelehnt.

Jack nickte.

»Ja. Alles gut.«