»Alle Wege führen nach …«

Kostas ließ das Satzende in der Luft schweben, doch so, wie er sie ansah, wusste sie schon, wohin sie nun fahren sollte.

»… etwa wieder nach Limassol?«

»Du ersparst mir wirklich gar nichts, Tausendschön.«

Sie wusste, dass Kostas früher als Leiter der Mordkommission in der größten Hafenstadt der Insel gearbeitet hatte, die zufällig auch Sofias Heimatstadt war. Wegen der Liebe zu ebenjener Stefania hatte er sich nach Kato Koutrafas versetzen lassen und damit seine steile Karriere mit einem Schlag beendet. Nur war dann eben auch die Liebe gestorben – am unseligen Ali Kusumbali.

Sofia schlug den Weg ein, den sie am Vortag schon einmal genommen hatten.

»Er hat sein Haus an der Marina, genau um die Ecke vom Tauchladen. Die Meldebehörde in Nikosia kannte die Adresse auswendig, offenbar ist er ein ziemlich bekannter Steuerzahler.«

»Ich dachte, die Ausländer sind alle hier, um keine Steuern zu zahlen.«

»Ich glaube, das sind nur die Russen.«

Sie nahmen den Grenzübergang am Stadtrand von Nikosia und dann die Autobahn 1, die sie erst die Berge hinab und

Sofia kannte die Stadt wie ihre Westentasche, deshalb nahm sie die allerletzte Ausfahrt und schlug sich dann durch die Gewerbegebiete bis zum jüngsten Viertel der Stadt, das nebenbei auch das teuerste Viertel geworden war. Früher war hier nur der alte Fischerhafen gewesen und eine Industriebrache, doch abenteuerlustige Investoren hatten spekuliert – und gewonnen.

Sofia lenkte den Wagen eben am Gebetsturm der Großen Moschee vorbei und parkte dann auf dem Gehsteig genau an der Einfahrt zum Hafen. Kostas pfiff bei dem Anblick durch die Zähne, und es klang so abfällig, wie es gemeint war. Sie hatten tatsächlich eine Marina mitten hinein ins Meer gebaut, schneeweiße Häuser, die aussahen wie Würfel, die Hunderte Meter weit im Wasser standen und durch lange Stege mit dem Festland verbunden waren. Jede dieser Villen hatte einen eigenen Pool und den dazugehörigen Bootsanlegeplatz und war so teuer, dass sich nur zehn zypriotische Reeder hier überhaupt etwas hätten leisten können, der Rest gehörte Oligarchen aus den Emiraten oder aus irgendeinem postsowjetischen Satellitenstaat. Für die Einheimischen gab es wenigstens noch viermal so viele Neubauten um die Marina herum, in denen es auch Wohnungen unter einer Million Euro gab.

Der Clou: Optisch vermischten sich Häuser und Jachten mit ihrem Weiß so perfekt, dass Sofia gar nicht mehr unterscheiden konnte, was jetzt eigentlich auf dem Wasser schwamm und was auf festem Betonuntergrund stand. Sie konnte dennoch nicht umhin, diese Anlage zu bewundern, denn endlich tat sich mal etwas auf dieser Insel, die jahrzehntelang im eigenen Saft geschmort hatte. Es gab hochmoderne Restaurants und Bars entlang der Promenade, und die

»Herrgott, hier sieht es ja mittlerweile wirklich aus wie in einem Musical über die griechische Seele. Bei so viel Weiß kann man doch sicherlich erblinden?« Er kniff die Augen zusammen.

»Das Haus muss ganz dahinten sein«, sagte Sofia, die es plötzlich eilig hatte, weil ihr nicht klar gewesen war, wie nah die Adresse bei einer anderen temporären Sehenswürdigkeit der Stadt lag. »Auf geht’s, Kostas.«

Kostas grunzte und folgte ihr widerwillig.

»Natürlich«, murmelte Sofia. Es war die letzte Villa am hinteren Ende der Marina, die Panorama-Aussicht auf der Spitze der Insel. Das größte, schönste, teuerste Haus. Von Landgraf. Der Name am Klingelschild, so bescheiden schwarz auf weiß, wie es nur die Deutschen halten konnten. Ein Russe hätte seinen Namen direkt auf Gold drucken lassen.

Kostas klingelte an dem weißen Zaun, der alle Blicke auf das Anwesen verbarg. Es dauerte mindestens zwei Minuten, bis etwas passierte. Über ihnen surrte es, und eine Kamera drehte sich in ihre Richtung. Dann ertönte die Gegensprechanlage.

»Sie wünschen?«

Schwerfälliger griechischer Akzent bei gleichzeitig hochtrabendem Vokabular.

»Officer Perikles, Chief Inspector Kostas. Polizei von Zypern. Herr von Landgraf?«

»Ganz recht.«

Sofia zog eine Augenbraue hoch.

»Wir würden gern mit Ihnen sprechen.«

»Worum geht es?«

Eine Spur lauter noch sagte Kostas:

Sofia sah den Chief Inspector erschrocken an. Diese Taktik hatten sie ihr an der Uni nicht beigebracht, vermutlich hatte sie am Tag mit dem Unterrichtsinhalt Konfrontation wegen eines schweren Katers gefehlt. Doch es funktionierte, es dauerte keine Sekunde, schon schob sich das Tor lautlos auf und gab den Blick auf den Garten und die Villa frei. Das rechteckige Rasenstück war so leuchtend grün und perfekt, als hätte es jemand mit der Nagelschere geschnitten und anschließend mit Acrylfarbe gestrichen. Im hinteren Teil des Grundstücks glitzerte der türkisfarbene Pool im Sonnenlicht. Die Tür zur Villa ging auf, und ein kleiner, korpulenter Mann erschien. Er trug eine runde Brille mit Goldrand auf der Nase. Sofia musste an sich halten, um nicht loszuprusten. Cem hatte nicht gelogen, und dennoch hatte sie sich nicht genügend auf diesen Anblick vorbereiten können. Dieser Herr von Landgraf trug tatsächlich in der gnadenlosesten Sonne des zypriotischen Sommers einen zweireihigen dunkelblauen Anzug mit goldenen Knöpfen, als wäre er von der Handelsmarine, dazu ein weißes Hemd und eine Krawatte. Nun, unrecht tun wollte Sofia ihm nicht, vielleicht erwartete er ja jemanden, aber sie hatte wiederum durchaus Grund zu der Annahme, dass es sich hier um sein ganz reguläres Outfit handelte.

»Kommen Sie herein«, sagte er, und seine Stimme klang in der Realität angenehmer, als Sofia erwartet hatte.

Sie trat zuerst in das Haus, Kostas folgte ihr auf dem Fuß. Durch einen großzügigen Eingangsbereich führte der Deutsche sie in sein Arbeitszimmer, das auf einer Seite nur aus Glas bestand, aber an den beiden einzigen Wänden über und über mit Bildern behangen war. Sofia wusste nicht, wohin sie zuerst schauen sollte: nach draußen aufs offene Meer – oder auf die expressionistischen Werke, die ohne jeden Zweifel alle Originale waren und sündhaft teuer.

»Ach, Chief Inspector«, antwortete der Mann verkniffen, »ich bin zwar vermögend, aber ich bin nicht ultrareich – zudem wäre mir so ein Boot ein wenig zu protzig, ehrlich gesagt.«

»Nun, wenigstens haben Sie hier eine ähnlich starke Klimaanlage wie in Ihrem Haus in Bellapais.«

Von Landgrafs Selbstsicherheit bröckelte mit einem Mal sichtlich, sein heller Teint schien noch blasser zu werden, dafür erschienen kleine rote Flecken über seinem Hemdkragen.

»Sie waren … in Bellapais?«

»Oh ja. Schicke Hütte. Bisschen protzig für meinen Geschmack. Einfach so in diese wunderschöne Landschaft gebaut.«

»Ach, kommen Sie, es war doch schon alles da, damals, als ich das Haus gekauft habe. Ich habe meinen Architekten extra angewiesen, beim Neuaufbau die Landschaft in allem zu berücksichtigen.«

»Nun gut, wir sind ja nicht hier, um mit Ihnen über landschaftsnahes Bauen zu sprechen«, sagte Sofia. »Sie wissen, warum wir dort waren?«

»Ich habe, ehrlich gesagt, keinen blassen Schimmer. Wollen Sie etwas trinken?«

»Wir wollen nicht …«, begann Kostas, aber Sofia fiel ihm ins Wort: »Ich würde sehr gern ein Glas Wasser trinken.«

»Natürlich«, sagte von Landgraf und ging mit unsicherem Schritt in die Küche.

»Willst du, dass er sich Ausreden überlegt?«, zischte Kostas.

»Hör auf damit«, flüsterte Sofia ihm zu. »Wie du schon gesagt hast: Ich kenne solche Leute. Bitte lass mich das machen.« Sie blitzte ihn an.

Als der Deutsche wieder eintrat, in seiner Hand drei kleine

»Hören Sie, Herr von Landgraf, vielleicht waren wir etwas stürmisch. Es ist so, dass wir einen ungeklärten Mordfall haben. Und es wäre uns sehr wichtig, dass Sie uns helfen. Alle Wege führen irgendwie zu Ihnen oder zumindest an Ihnen vorbei, aber ich bin mir sicher, dass es dafür eine ganz einfache Erklärung gibt. Schließlich sind Sie ein unbescholtener Bürger und ein wichtiges Mitglied der Limassoler Gesellschaft. Also, ich bitte Sie: Helfen Sie uns bei unseren Ermittlungen.«

Sie konnte förmlich dabei zusehen, wie sich der Mann entspannte, seine Hände lösten sich von den Sessellehnen, die sie bisher krampfhaft festgehalten hatten, und er legte sie nun locker auf seine Oberschenkel. Ihr war, als wische er sich den Schweiß von den Händen.

»Sie ermitteln also in einem Todesfall?«

»Ja, ich weiß nicht, ob Sie davon gehört haben. Ein junger Mann ist ums Leben gekommen. Ein Türke. Wir wissen nicht, wer er ist, und es würde uns sehr helfen, das herauszufinden.«

Sie spürte Kostas’ Blick auf sich ruhen und fürchtete, nervös zu werden. Aber sie riss sich zusammen – das hier war ihr Terrain, sie konnte das.

»Ah, ich sehe«, sagte er, und seine Stimme klang nun anders, tiefer, selbstsicherer, als habe er wieder zu Atem gefunden. »Haben Sie etwa diesen jungen Mann gefunden, der an mich herangetreten ist? Ich wundere mich seit Tagen, dass er sich nicht mehr meldet. Er soll tot sein? Das würde mich sehr betrüben.«

Der kleine Mann maß sie mit seinen listigen Augen, Kostas hingegen hatte er seit Minuten nicht mehr angesehen.

»Er hieß Hakan Gül. Ich glaube, der Name seiner Familie ist in der Türkei ein sehr bekannter, jedenfalls erzählte er das. Ich kannte die Güls allerdings nicht, dieses ganze Wirrwarr Ihrer aller Geschichte hier unten ist mir sehr fremd, auch wenn es mir natürlich sehr leidtut, dass noch kein Frieden herrscht.«

»Ja, Hakan Gül ist tot. Herr von Landgraf, können Sie uns erklären, wie Sie und Herr Gül überhaupt zusammengetroffen sind?«

Es musste genau um die Mittagsstunde sein, denn draußen schob sich die Sonne gerade über die Terrasse und ließ das Weiß der Häuser und Boote noch mehr erstrahlen, sogar Sofia musste nun ihre Augen zusammenkneifen, weil der Deutsche das Licht in seinem Rücken hatte.

»Nun, es ist noch nicht so lange her, deswegen erinnere ich mich sehr gut daran. Ich muss sagen, ich kenne Herrn Gül nicht wirklich, wir haben uns einmal getroffen, und er hat mir seine Idee vorgetragen. Ich erlebe viele solcher Vorkommnisse – wenn Sie in meinem Beruf arbeiten, ziehen Sie die größten Abenteurer an. Doch seine Idee erschien mir zuerst allzu absonderlich, so absonderlich, dass ich lange überlegt habe, bis ich ihm zusagte.«

»Was war das denn für eine Idee, Herr von Landgraf?«

Der Kunsthändler senkte seine Stimme, als bereite er die Zuhörer auf den Höhepunkt vor.

»Oh, er sagte, er hätte Zugang zu sehr speziellen Kunstwerken, Stücke von großem Wert, die in den Wirren des Krieges verschwunden seien. Es seien einzig und allein Stücke, die der nordzyprischen Republik gehören würden, andere dürfte

»Wie kam er denn ausgerechnet auf Sie?« Die Frage konnte nicht mehr warten, weshalb Kostas dazwischengefahren war. Von Landgraf, von der Unterbrechung gestört, rümpfte kurz die Nase und adressierte seine Antwort wiederum nur an Sofia.

»Er bat erst per Mail um einen Termin, aber ich antwortete ihm nicht, weil ich normalerweise nicht mit Fremden arbeite. Dann wiederholte er seine Bitte, ich sagte ihm freundlich ab. Und dann stand er eines Tages hier vor der Tür. Ich wollte ihn nicht hereinlassen, aber er klang so dringlich, dass ich es dann doch getan habe. Er sagte, er kenne da diese Schätze, die versteckt seien, sein Großvater habe ihn davon in Kenntnis gesetzt. Vor seinem Ableben, so formulierte er es. Er wisse nicht, was er mit dieser Erkenntnis anfangen sollte, aber er habe gehört, dass ich ein vertrauensvoller Kenner der Materie sei. Damit hatte er natürlich recht, für die Kunstwerke der Levante bin ich ein ausgesprochener Experte, vielleicht der kenntnisreichste auf der ganzen Welt. Wenn ich das in aller Bescheidenheit sagen darf.«

Er lächelte sie an, und Sofia tat ihm den Gefallen und schenkte ihm ihrerseits ein anerkennendes Lachen.

»Nun, das Einzige, was er bräuchte, wäre Zeit, um alles zu beschaffen, um Ausgrabungen vorzunehmen und in Ruinen zu suchen. Und neben Zeit brauchte er auch eine Bleibe im Norden und etwas Geld, sozusagen eine Vorauszahlung. Die Kunstwerke würden ein Vielfaches davon wert sein. Mir ging es nun gar nicht ums Geld, überhaupt nicht. Mir geht es darum, diesem geschröpften Land ein Stück seiner Geschichte

»In Ihrem Metier ist man doch sehr vorsichtig, nehme ich an«, sagte Sofia. »Trotzdem lassen Sie einen Mann in Ihrem Haus wohnen, den Sie gar nicht kennen?«

»Ich habe zu dem Haus keine persönliche Bindung aufbauen können. Die Menschen in der Türkei … wie sage ich es am besten … sie sind primitiv, während hier in Ihrem Süden alles so schön geordnet und gesittet ist. Ich habe nie Anschluss gefunden dort oben, aber ich habe aus irgendeinem Grund dieses Haus behalten. So hatte ich keine Skrupel, diesen Gül dort wohnen zu lassen. Und außerdem, junge Dame, in meinem Beruf ist man immer auch ein bisschen Abenteurer. Deshalb habe ich so entschieden. Und ein Abenteuer ist es ja nun auch geworden. Leider im negativen Sinn. Darf ich fragen, wie der junge Mann ums Leben gekommen ist?«

»Dazu kommen wir gleich«, sagte Sofia, und ihr Ton war nur eine winzige Spur verändert, einen Hauch schärfer. Die Dosis machte das Gift. »Sie sagen, Sie haben Hakan nur einmal gesehen. Wie lange war er denn schon in Ihrem Haus? Und hatte er denn schon etwas gefunden? Ein Stück, das seine Spur bestätigte? Sie sind ja nun auch kein Samariter, denke ich. Sonst hätten Sie sich nicht ein so wunderschönes Anwesen sichern können.«

»Vortrefflich, junge Frau, vortrefflich. Ihre Intelligenz beeindruckt mich. Aber ich muss zugeben, das alles ist erst vor wenigen Wochen geschehen, und ich wollte Herrn Gül nicht drängen. Ich war mir sicher, er wäre in wenigen Tagen auf

»Er ist ertrunken. In einem Kupfersee oberhalb von Skouriotissa. Wir sind uns sicher, dass er dort Kunstwerke gesucht hat.«

»Skouriotissa? Aber der Name klingt griechisch. Wieso sollte er …«

»Genau das fragen wir uns auch. Wieso sollte er auf griechischer Seite türkische Schätze suchen, Herr von Landgraf? Haben Sie darauf eine Antwort?«

»Nun, es sind viele verworrene Dinge passiert in diesen Kriegsjahren.«

»Er hat Ihnen erzählt, wer sein Großvater war?« Sofias Ton war noch eine Umdrehung schärfer.

»Ein bedeutender Soldat, ja, das hat er mir erzählt. Aber mir hat der Name nichts gesagt.« Die alte Unsicherheit schlich sich langsam an wie eine träge Eidechse auf dem warmen Stein. »Wenn Sie sagen, ertrunken, dann wurde er ja nicht ermordet. Warum ermitteln Sie denn dann?«

»Die Gerichtsmedizin untersucht noch, was genau passiert ist. Man kann ja auch in seiner Badewanne ertrinken, wenn die richtigen Leute hinter einem her sind.« Jetzt war es Kostas, der Sofias Blick aufgefangen hatte und half, das Tempo anzuziehen.

»Wie viel Provision wollte er denn von Ihnen haben, dafür, dass er die Kunstwerke besorgt und sie Ihnen zum Verkauf überlässt?«

»Hören Sie mal, ich wusste doch noch gar nicht, was es für Kunstwerke sind.«

»Wie viel Provision, Herr von Landgraf?«

»Ich habe ihm fünfunddreißig Prozent vom Kauferlös zugesagt.«

Er sah sie unsicher an.

»Ja, fünfunddreißig Prozent, warum fragen Sie …«

»Okay, Herr von Landgraf, jetzt hören wir mal auf mit all dem Unsinn, sonst müssen wir Sie für ein paar Wochen in Untersuchungshaft stecken, aber in dem Gefängnis in den Bergen, das nicht kürzlich renoviert wurde. Wie viele Ikonen hat er Ihnen versprochen, und was hätten Sie damit verdient?«

»Was? Hören Sie mal, junge Frau, Sie sind ja genauso … verrückt, ja, verrückt wie Ihr Kollege.«

»Sie wollen uns wohl für dumm verkaufen«, fuhr Sofia ihn an, »ich kenne zufällig viele Kunsthändler, ich war oft bei Sotheby’s in London – und wenn dort eine Provision von fünfunddreißig Prozent abgenickt würde, dann wäre nicht nur eine Kleinigkeit an diesem Kunstwerk faul. Und es gibt sehr viel mehr, was hier faul ist: Der Tauchladen, bei dem Hakan seine Ausrüstung geliehen hat, liegt gerade mal dreihundert Meter Luftlinie von hier. Und Sie leihen Ihr Haus einem völlig Fremden? Sie? Der in einem anderen Haus lebt, in dem man vom Boden essen kann, eingemauert hinter meterhohen Zäunen? Im Ernst? Das sollen wir Ihnen abnehmen? Ehrlich, Herr von Landgraf, Sie haben hier auf das ganz große Geschäft gehofft. Und nun laufen die Dinge nicht mehr so, wie Sie es sich erhofft haben.«

Mehrere Dinge passierten nun gleichzeitig und liefen wie ein Film vor Sofia und Kostas ab: Das Gesicht des Kunsthändlers verfärbte sich rot, seine Hände gerieten ins Zittern, und er stand auf, drehte sich von den Polizisten weg, als wolle er augenblicklich die Flucht durch die geschlossene Terrassentür ergreifen, doch dann fügte er sich ins Unvermeidbare, ließ die Hände sinken und wandte sich wieder Sofia zu.

»Ich möchte mit dem deutschen Botschafter sprechen«, flüsterte er.

»Mit dem deutschen Botschafter.«

»Mein Vater ist zufällig Botschafter dieses Landes – und Sie wissen wie ich, dass in diesen Angelegenheiten die gastgebenden EU-Länder die alleinige polizeiliche Ermittlungsarbeit leisten. Sie können später einen Anwalt konsultieren. Also, wie viele Ikonen?«

»Wie kommen Sie denn bloß auf die Ikonen?«, fragte er und schien wirklich verzweifelt darüber, dass sein verbrecherisches Geschäft auf magische Weise aufgeflogen war.

»Sagen wir, ich habe einen Zeugen, der diese Zeit noch besser kannte als der Großvater des Toten. Herrgott, Herr von Landgraf, nun reden Sie endlich.«

»Ich habe das doch alles nicht gewollt«, stammelte er und begann auf und ab zu laufen. »Aber er hat mich geradezu gedrängt. Er sagte, das seien einmalige Schätze und ich müsse ihm Geld geben, damit er sie suchen könnte. Und er müsse in mein Haus. Er brauche eine Basis.«

»Um wie viele Ikonen und Kunstwerke ging es?«

»Mein Herz lief über, als er davon erzählt hat, so glauben Sie es mir doch. Es ging um Hunderte goldene und silberne Ikonen aus den ältesten Kirchen des Landes, Stücke, bei denen sich Sammler in aller Welt die Hände reiben würden, Millionenwerte. Dazu ging es auch um Bilder und Altarkunst, um Schätze, die in der Kunstwelt seit langem als verloren gelten – oder galten. Deshalb konnte ich ja nicht anders, ich war wie gebannt.«

»Warum haben Sie sich dann nicht an die Behörden gewandt? Das ist doch Raubkunst. Sie hätten diesem Volk seine Kunst geraubt.«

Von Landgraf ließ die Schultern hängen und wagte es nicht, sie anzusehen.

»Wie oft haben Sie sich getroffen?«

»Wie kam er auf Sie?«

Der Deutsche sah sie noch immer nicht an. Er antwortete erst nach einer Weile, dann aber schnell und hastig. »Ich bin eben der ausgewiesene Kunstkenner auf dieser Insel. Jeder weiß das. Ich habe ihn nicht gefragt, wie er auf mich kam. Ehrlich nicht. Hören Sie …«, jetzt blickte er endlich auf und sah sie direkt an, »ich habe nichts getan, Sie können mir gar nichts nachweisen. Erst recht keinen Mord. Ich werde jetzt meinen Anwalt anrufen, und bis er hier ist, haben Sie mein Haus verlassen.«

»Wo stecken die Ikonen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Herr von Landgraf, wo …«

»Wirklich, ich weiß es nicht. Er erzählte, er wisse von fünf Stellen, an denen sie sein könnten, aber wo dort genau, das müsse er eben herausfinden. Drei Stellen hatte er bereits erforscht, nun wollte er an der vierten suchen, der Mine von Skouriotissa. Sein Großvater hatte alles auf einer Karte markiert. Ich habe mich nach der dritten Mine schon gefragt, ob das nicht alles ein Riesenschwindel ist. Warum sollten die denn die Sachen von einem Ort zum nächsten gebracht haben? Das ergab doch alles keinen Sinn.«

»Wir werden die Schätze jetzt suchen.«

»Tun Sie das, aber lassen Sie mich damit in Ruhe. Für mich ist die ganze Sache gestorben.«

»Sie sind für uns aber noch nicht gestorben, Herr von Landgraf«, sagte Kostas mit all der Kälte, für die ihn Sofia früher zu fürchten gelernt hatte. »Und Hakan Gül wird nicht umsonst gestorben sein. Wir kriegen Sie dran, allein für den Auftrag

Kostas brach ab, und Sofia sorgte sich einen kurzen Moment, er hätte einen Schlaganfall erlitten. Doch dann sah sie, wohin sein Blick fiel und wie aus der Fassungslosigkeit in seinem Gesicht langsam aber sicher ein finsteres Grinsen wurde. Sie wandte den Kopf zum Fenster und schloss schnell die Augen. Oh nein.

»Tausendschön, das glaube ich ja nicht.«

Sie war nicht imstande, etwas zu erwidern.

»Das da draußen ist wirklich deine Hochzeitsjacht? Dein Ernst? Heiratest du etwa einen russischen Oligarchen? Herrgott, ich wusste ja, dass du und deine Familie und dein Verlobter, dass ihr alle verrückt seid, aber das …« Er brach in lautes Lachen aus. »Machst du das, um dich von deiner eigentlichen großen Liebe abzulenken?« Sein Lachen wurde noch lauter. Sie hielt es nicht mehr aus und öffnete die Augen. Es war wirklich eine Tragödie, oder war es eine Tragikomödie, dieser riesige Schatten, der die Sonne verdeckte: Da stand es, das Monstrum von einem Schiff. Und an Deck, wo die weißen Stühle aufgereiht standen und die Pergola mit echten Rosen berankt war, unter der Carl und sie sich noch mal das Jawort geben würden, dort an Deck wurde gerade ein riesiges Plakat aufgespannt, auf dem in funkelnden Lettern, als wäre es mit Diamanten besetzt, stand:

Die Hochzeit des Jahres

Oh, sie wollte im Boden versinken. Warum nur hatte Martha das nicht mit ihr abgesprochen? Peinlicher ging es ja überhaupt nicht. Ihr Vater, ein überaus diskreter Mann, würde vor Scham nie wieder einen Fuß auf die Insel setzen.

Es stimmte: Im Jachthafen von Limassol hatten die Evans die größte Jacht gechartert, die für Geld aufzutreiben war. Wo Kostas falschlag: Selbst normal schwere russische Oligarchen hätten hier gezögert, der Preis war so horrend, dass sogar Martha einmal von dem besorgten Berater ihrer Hausbank angerufen worden war.

Das schneeweiße Monster schaukelte nun seit ein paar Tagen an dem Anleger herum, der sich ausgerechnet in Sichtweite zur Villa des Herrn von Landgraf befand. Das Boot wurde so lange gewienert und geschrubbt, dass Sofia schon fürchtete, die Farbe würde dünn. Die Aufbauten waren nun – mit dem Plakat – alle fertig, sie mussten seefest sein, schließlich sollte der goldene Höhepunkt der Hochzeitsnacht die Fahrt hinaus aufs Mittelmeer sein, Höhenfeuerwerk am Aphrodite-Felsen inklusive. Es war eine absurde Geldverbrennung.

»Oh Mann«, sagte Kostas, »du bist ja so bleich, als würdest du das zum ersten Mal richtig sehen.«

Sofia konnte gar nicht antworten, sie wollte gerade abdrehen, da hörte sie aus der Ecke den Deutschen sagen: »Na, das sind ja schöne Polizeibeamte, die selber dem Geld nachjagen, aber andere Menschen, die dies auch wollen, diskredi…«

Sofia wollte nur noch raus hier, sie hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, doch dann erschrak sie angesichts der schnellen Bewegung vor ihren Augen. Kostas ging, ohne zu zögern, auf von Landgraf zu, baute sich dicht vor ihm auf und brummte mit tiefer Stimme: »Sie lassen sofort meine

Dann wandte er sich brüsk ab und ließ den vor Wut zitternden Deutschen stehen, Sofia folgte ihm. Erst als sie den Steg hinter sich gelassen hatte und sich auf eine Mole setzte, den Blick vom Hafen abgewandt, wagte sie es, durchzuatmen.

»Danke«, sagte sie matt, als Kostas sich neben ihr niederließ. »Obwohl ich gar nicht weiß, warum ich dir eigentlich danke. Klar, du hast dich vor mich gestellt, aber …«

»Ach, Tausendschön«, antwortete er, und sie hörte immer noch sein Glucksen, offenbar überwog die Schadenfreude sein Bedauern noch immer deutlich, »ich konnte nicht anders. Als ich das gesehen habe, war ich zu überrascht. Und sieh es dir doch mal an, es ist ja auch wirklich zu komisch.«

Sofia tat wie ihr geheißen, obwohl es sie einige Überwindung kostete. Sie betrachtete den spitzen Bug, der wie ein Speer in den Hafen ragte, die Männer in weißen Hemden, die an Backbord hingen und die Scheiben putzten, dieses Plakat im Stile einer königlichen Krönungseinladung, und dann begann sie zu lachen. Und Kostas, der neben ihr saß, auf diesem schwarzen Poller, an dem Bootsführer ihre Leinen festmachten, lachte mit, Sofia konnte gar nicht mehr aufhören, sie prustete, schlug sich auf die Schenkel und schrie, weil ihr der Bauch wehzutun begann, Kostas heiseres Lachen wurde auch immer lauter, sie schienen sich gegenseitig anzufeuern, anzuheizen, immer wieder fiel ihr Blick auf ein neues Detail auf dem Boot, und obwohl sie vor lauter Tränen schon fast nichts mehr sah, ging es nochmals und nochmals von vorne los: wegen des Dieners in Livrée, der ein Tablett trug, wegen des Küchenbootes, von dem gerade riesige Kisten auf die Jacht

»Klassische Musik?«, schrie Kostas unter einem neuen Lachflash. »Wirklich? Was spielen sie denn? Pomp and Circumstance?« Sofia konnte nicht antworten, und dann sagte ihr Kollege: »Ehrlich mal, das bist doch gar nicht du, hast du irgendwas mitplanen dürfen? Das entspricht dir doch gar nicht. Kennt diese Familie dich überhaupt?«

Ihr Lachen war so plötzlich verschwunden, wie es gekommen war. Sie sprang auf und fuhr ihn an:

»Du bist so ein Arsch, du kannst und willst mir das nicht gönnen, weil es bei dir in die Hose gegangen ist, oder?«

Sie stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn wütend an. Und was tat Kostas? Er sah hinauf zu ihr, blinzelte gegen die Sonne und schüttelte den Kopf. »Nein, Sofia, nein«, sagte er ruhig, »so ist es nicht. Aber wenn du es so siehst, dann ist es besser, wenn ich jetzt gehe.«

Er stand auf, und Mitleid durchfuhr sie, Mitleid mit ihm, auch Selbstmitleid, gewiss, sie sah ihn davongehen und ging ein Stück hinterher, dann sagte sie leise: »Nein, Kostas, bleib.«

Er ging noch ein paar Meter, dann wandte er sich um und setzte sich auf den Rand der Hafenmauer, Sofia nahm neben ihm Platz. Sie wischte sich wütend die Tränen aus den Augen, dann setzte sie sich aufrecht und betrachtete sein Gesicht lange und prüfend.

»Denkst du das wirklich? Dass ich einen Fehler mache? Oh Mann«, sie schlug sich die Hände vors Gesicht, »ich weiß jetzt gar nichts mehr.«

»Du musst keine Panik oder kalte Füße bekommen, nur weil die Hochzeit naht«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Das passiert doch fast jedem. Aber ich frage mich eben, wie sehr dir dieses ganze Brimborium hier zusagt. Ob das wirklich die

Sie schüttelte den Kopf, schwankte immer noch zwischen Trauer und Wut. »Natürlich ist das hier nicht auf meinem Mist gewachsen. Auch nicht auf Carls Mist. Es war seine Mutter, die all das angeordnet, quasi befohlen hat. Aber, hey, du musst das auch verstehen. Das ist eine andere Welt, da gelten andere Regeln. Wenn der Sohn heiratet, dann muss alles stimmen, so ist das in der gehobenen Gesellschaft. Und da ordnet man dann einiges unter.«

»Auch dein Glück?«

»Aber hängt das denn wirklich von diesem einen Tag ab?«

»Ich glaube, dann hättest du eben anders reagiert. Sofia, wie stellst du dir deine Traumhochzeit vor?«

Sie machte eine wegwerfende Geste und versuchte, irgendwie den Sound ihres Herzens zu hören. Aber das Getöse in ihrem Kopf war zu laut dafür.

»Ja, ich will schon eine Traumhochzeit, klar, jedes Mädchen will das. Es war immer mein Kindertraum, ein Prinzessinnenkleid zu haben und … ach, was weiß ich, das hat sich natürlich auch verändert, weil ich mich jetzt besser kenne, und wahrscheinlich …«

»… bist du einfach zu wild für dieses fein aufgefädelte Luxusding.«

»Du findest mich wild?«

»Du bist wild, unbändig, und du liebst die Freiheit, ja, das

»Ja, mit all den Folgen. Ich hätte dich fast erschossen.«

»Nun ja, aber nur fast.«

»Ja, du hast ja recht. Ich habe früher gedacht, ich bräuchte den goldenen Löffel, aber ich will gar nicht etwas Besonderes, weil meine oder seine Familie viel Geld hat, sondern ich will etwas Besonderes, was gar nichts kosten muss. Verstehst du das?«

»Ja, das verstehe ich.«

»Eine Hochzeit am Strand, ein paar Blumen im Haar, und den richtigen Kerl natürlich, das will ich.«

»Und ist Carl der richtige Kerl?«

Ihr Gesicht verformte sich, als wolle sie sich wieder verschließen, dann trat der Trotz in ihre Augen.

»Jetzt hast du mich da, wo du mich haben willst, hm?«

»Ich will nur, dass du nicht halb sehenden Auges in einen Käfig marschierst, Sofia.«

»Immer wenn du mich Sofia nennst, denke ich, ich hätte was ausgefressen. Furchtbar, der Ton erinnert mich an meinen Vater.«

»Ist ja nicht sehr beleidigend, mit dem wichtigsten Botschafter des Landes verglichen zu werden.«

»Lass den Quatsch. Im Ernst: Carl ist toll, und er findet das ganze Spektakel auch furchtbar. Unser Leben wird doch nicht so sein wie diese Hochzeit.«

»Ach nein? Wirst du also weiter als Polizistin arbeiten? In Kato Koutrafas?«

»Ich … Kostas …«

»Siehst du?«, fragte er und wandte den Blick ab. »Du wirst aufhören mit dem Job, du wirst Kinder bekommen und dein Talent vergeuden.«

»Tja, denk wirklich noch mal drüber nach, Sofia, das Problem ist nur, viel Zeit bleibt nicht.«

»Ich weiß, was ich will, Kostas.« Jetzt war es genug.

»Gut. Ich gehe jetzt was essen. Danach schaue ich, was ich zu diesem Landgrafen rauskriege.«

»Ich muss ins Hotel, sehen, was noch zu tun ist.«

»Wir treffen uns dann um sieben und fahren zusammen zur Mine. Ich bestelle die Kollegen. Bis nachher, Tausendschön.«

Langsam entfernte er sich. Sofia aber blieb noch eine Weile auf der Mauer sitzen und hing ihren Gedanken nach.