Du lebst noch. Deine Augen sind immer geschlossen, das Gesicht halb bedeckt vom Beatmungsschlauch, im Magen die Sonde, im Arm die Nadel für die Kochsalzlösung, aber du lebst noch. Du atmest.
Wir sind im siebten Stock, dem obersten des Krankenhauses. Hierher dürfen nur Ärzte, alle anderen nur in Begleitung. Die Eichen sieht man nicht mehr, nur leeren Himmel.
Das Ruhezimmer ist ein kleiner, viereckiger Raum mit einem Bett und daneben den gleichen Apparaten wie auf der Intensivstation. An die Wände hat irgendwer das Meer gemalt. Das hätte mir gefallen, meine Hände mit Temperafarben bekleckern und die Mauern dieses Raums ein wenig freundlicher gestalten. Ich hab auch oft das Meer gemalt, früher. Segelschiffe, die aus dem Blau herausstachen. Kräftige Pinselstriche in Weiß für die Segel, für die Schaumkronen nur zarte Sprenkel.
Wir müssen uns trennen, ich darf nicht länger an deiner Seite bleiben. Im Vorraum darf ich bleiben, auf einem Stuhl hinter einem Bänkchen, auf das sich die Ärzte setzen. Ab jetzt sehe ich dein Gesicht von einem Monitor eingerahmt. Das ist doch unglaublich, jetzt bin ich hier und darf dich wieder nur über einen Bildschirm sehen, als wäre ich noch in Italien.
»Keine Widerrede«, ermahnt mich Doktor Petran. »Wenn’s Ihnen nicht passt, dann packen Sie Ihren Krempel und kommen zu den Besuchszeiten wieder wie alle anderen.«
Als ich folgsam hinausgehen will, fragt er plötzlich, ob ich dir das Gesicht waschen möchte. Er reicht mir das Tablett mit den Baumwolltupfern und dem Mizellenwasser und überwacht, wie ich dir über Stirn und Backenknochen wische, über Nase und Wangen, Mund und Kinn.
»Möchten Sie ihn berühren?«
»Wie bitte?«
»Ob Sie ihn berühren möchten?«
»Ja, klar«, antworte ich verdutzt.
»Aber sanft, mit dem Fingerrücken.«
Ich streichele deinen nackten Arm, und mir ist, als sähe ich einen Schauder auf deinem Gesicht. Ich verabschiede mich von dir und gehe.