25

Einen Porsche als Mietwagen gab es nicht, jedoch einen Citroen, der haargenau die Farbe ihres verbrannten Autos hatte und mit dem sie schon nach den ersten zehn Kilometern einigermaßen zurechtkam. Die Sonne schien, der Verkehr war erträglich, sie musste nicht unentwegt wie ein Schießhund aufpassen, gondelte gemächlich auf der rechten Spur hinter einem Trabi her; einer der vielen Aufkleber auf seiner Heckklappe verhieß: Ich bin ein Porsche-Fresser. Das Radio spielte Vivaldis Concerti per Violino – sie fühlte sich rundum wohl und überlegte, ob sie nicht doch eine Woche oder zwei Urlaub nehmen und irgendwo in den Süden fliegen sollte.

Als sie sich der Landesgrenze näherte, hielt sie unwillkürlich nach dem Weg Ausschau, der in den Ahlberger Wald führte. Die Reste der rotweißen Absperrung waren schon von weitem auszumachen, sie schalt sich, wieder einmal, eine dumme Kuh, als sie daran dachte, in den Wald zu fahren und unter der alten Buche nachzusehen, ob nicht am Ende doch Tukul Charejew dort lag; in letzter Minute riss sie dann das Lenkrad herum. Hatte sie Bayerl nicht versprochen, Waldspaziergänge zu unternehmen? Hier war Wald, unberührter, nach moderndem Laub und Pilzen duftender Wald, wie sie ihn kaum besser in der Rhön finden könnte. Und einsam dazu, gerade das richtige für einen gemächlichen Spaziergang.

Wenige Meter, nachdem sie die Betonschwellen verlassen hatte, konnte sie die mächtige Blutbuche erblicken, und ein paar Schritte darauf entdeckte sie, dass sie nicht allein im Ahlberger Wald war; ein Mann lehnte am Stamm des Baumes: Ahlberg. Er blickte überrascht auf, als er das Knistern des Unterholzes unter ihren Schuhen vernahm.

»Sie hier?«, fragte er. »Erneute Untersuchung? Glauben Sie denn, dass Sie jetzt noch …?«

»Nein, nein«, unterbrach ihn Maria lachend. »Ich wollte einen Augenblick ausspannen, spazieren gehen, bevor ich weiterfahre. Warum nicht hier? Und Sie?«

»Abschiedsbesuch«, erklärte Ahlberg. »Morgen wollte ich zu Ihnen kommen.«

»Ja, reisen Sie ab, am Ende …« Maria verkniff es sich gerade noch, ihm von ihrem Traum zu erzählen.

Ahlberg nickte, breitete hilflos die Arme aus.

»Sie haben keine Ahnung, was dieser Baum für mich bedeutete. Doch von dem Fixpunkt meiner Kindheit, an den ich all die Jahre meine Träume, meine Erinnerungen hing, ist nichts mehr geblieben. Wenn ich in Zukunft an diesen Baum denke, wird es nicht mehr der Ort voller Geheimnisse und Abenteuer sein, sondern ein Baum, unter dem mich eine tote Frau anstarrte.«

»Das wird vorrübergehen«, meinte Maria. »Wenn Sie erst wieder in Australien sind, wird das Bild verblassen, und die Bilder der Kindheit werden wieder die Überhand gewinnen; die Vergangenheit kann unheimlich stark sein.« Sie lächelte. »Manchmal buchstäblich unheimlich.«

»Ich hoffe, Sie haben recht. Soll ich morgen trotzdem zu Ihnen ins Büro kommen?«

»Nein, den Weg können Sie sich sparen. Aber Sie dürfen mir sicherheitshalber Ihre Adresse in Australien geben.«

Ahlberg holte eine Visitenkarte aus der Brusttasche, zum ersten Mal huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

»Vielleicht kommen Sie mal nach Adelaine? Ich würde mich freuen.«

»Ja, vielleicht.« Sie reichte ihm die Hand. »Australien – warum eigentlich nicht?«

Kugler saß auf der kleinen Bank am Portal, beide Hände auf einen Stock gestützt, als sei er der Herr des Jagdschlosses und warte, dass seine Gäste von der Jagd zurückkämen. Er stand auf, als er Maria erblickte, und kam ihr entgegen. Er reichte ihr nicht die Hand, sondern lächelte ihr nur zu. »Gehen wir wieder ein Stück? Oder möchten Sie lieber erst einen Kaffee trinken?«

»Lieber laufen«, sagte sie. »Ich komme viel zu selten zu einem Waldspaziergang.«

Kugler führte sie heute zur anderen Seite des Tales. Er wolle nicht durch das Spalier seiner Heimgefährten, die im Park saßen. Spießrutenlaufen, sagte er. Er erkundigte sich nicht sofort nach neuen Untersuchungsergebnissen, wie Maria befürchtet hatte, er ging stumm einen halben Schritt vor ihr her. Schließlich durchbrach sie das Schweigen.

»Was werden Sie tun, Herr Kugler, hier in Ebers-

bach …«

Kugler blieb so unvermittelt stehen, dass sie auflief, sich an seinem Arm abstützte, sich entschuldigte.

»Nein«, sagte er ruhig, »hier kann ich nicht bleiben.

Aber wo?« Er sah sie an, lächelte. »Wo ist noch ein Platz für mich? Ich werde doch kaum eine Wohnung finden. Und wenn doch, könnte ich sie bezahlen? Ein anderes Heim? Ich fürchte, dies hier war meine Endstation.«

»Sie wollen doch nicht Ihr Leben wegwerfen?«, sagte Maria betroffen.

»Ist es nicht schon weggeworfen? Mein Leben, das war die Armee. Ich war, wie man so sagt, mit Leib und Seele Soldat. Der politische Kram hat mich nicht interessiert, das musste halt sein. Jedes Regime hat seine Rituale. Ich war vor allem Techniker. Und Taktiker.« Er ging weiter, jetzt achtete er darauf, dass Maria an seiner Seite blieb.

»Hier in Ebersbach habe ich mich wohlgefühlt, geborgen, hier konnte ich alles vergessen. Ja, vergessen. Ich habe versucht, es aufzuarbeiten.« Er schüttelte den Kopf. »Kann man das aufarbeiten? Sehen Sie, ich bin vom Studium direkt zur Armee gegangen, ich bin mein Leben lang Soldat gewesen. Offizier. Ich habe immer daran geglaubt, dass es für eine gute Sache war, bis zuletzt. Den Frieden erhalten, das ist doch eine gute Sache, oder? Das andere …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ja gewiss, ich war nicht völlig blind, ich habe mir meine Gedenken gemacht, dachte, dass so manches verbessert werden müsste, doch das war nicht meine Sache, nicht in erster Linie meine Sache. Ein Soldat hat zu gehorchen, das war immer so, und das wird immer so bleiben, die Marschrichtung gibt die politische Führung an – ist das etwa heute anders? Gut, es gibt Ausnahmesituationen, der zwanzigste Juli, aber Honecker war doch nicht Hitler. Und wir keine nur rotgefärbten Nazis. Ich weise da jeden Vergleich streng von mir.« Er sah Maria kurz an, wartete nicht auf Antwort, ging weiter.

»Der Ansatz war doch nicht verkehrt: Nie wieder Krieg. Frieden und Sicherheit. Gerechtigkeit und Geborgenheit für alle. Freie Entfaltung eines jeden. Ich komme aus einer Häuslerfamilie, beide Großeltern waren arme Krauter, hätten es sich nie träumen lassen, dass ihre Enkelkinder einmal studieren würden. Ein Oberst! Der höchste Dienstgrad, den es bisher in meiner Familie gegeben hat, war ein Obergefreiter. Ich war der Stolz meines Großvaters Emil – nein, das kann nicht verkehrt gewesen sein. Aber was war es dann?«

»Die Antwort müssen Sie schon selbst finden«, erwiderte Maria. »Jeder von uns.«

»Was mich verstört«, sagte Kugler, »das ist, dass ich so lange blind war. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Die drei Affen habe ich von meiner Großmutter geerbt, es ist eines der wenigen Dinge, die ich mit nach Ebersbach genommen habe. Was früher einmal als Tugend galt, ist es heute ein Verbrechen? Ein zu ahndendes Verbrechen? Ich fürchte, ja.« Er seufzte.

»Wenn wir so wenigstens ein nie wieder zu vergessendes Vorbild, ein wahrhaft historisches Beispiel dafür geben würden, dass man sich mit Gleichgültigkeit, Opportunismus, Anpassung auch schuldig machen kann. Aber glauben Sie, dass ein Bayer, ein Württemberger das von uns lernen wird? Sind die Wessis denn überhaupt bereit, irgendetwas aus unserer Geschichte zu lernen? Haben Sie es etwa nicht nötig? Gibt es in den alten Bundesländern nicht mehr als genug Gleichgültigkeit? Gibt es keinen Opportunismus, keine Unterwürfigkeit, keine Anpassung gegen den eigenen Willen und den eigenen Charakter?« Er blieb stehen, blickte sie eindringlich an.

»Gibt es im Westen keine Ungerechtigkeiten, himmelschreiende Skandale, nicht genug Gründe zu protestieren, sich zu engagieren, auf die Straße zu gehen, statt sich alle paar Jahre mit der Stimmabgabe einen Ablass zu erkaufen? Die Anpassung und Resignation, die man uns vorwirft, ist doch überall eine Grundhaltung, und die wenigen, die sich empören, gelten überall als Außenseiter, oder? Und lernen? Hat denn jemand die richtigen Lehren aus der Nazizeit gezogen? Ich dachte, wir hätten es, aber … Haben Sie die Berichte über die Atomversuche in Tscheljabinsk gelesen?«

Ja, sie hatte die unglaublichen, jedoch authentischen, nicht zu bezweifelnden, nicht zu verleugnenden Berichte über die geheimen Atomwerke rund um Tscheljabinsk gelesen.

»Über Jahrzehnte wehrlose, ahnungslose Menschen der Atomstrahlung auszusetzen«, sagte Kugler, »mit Leukämie und Krebs zu verseuchen und dann noch von Medizinern heimlich die gesundheitsschädlichen Auswirkungen akribisch zu beobachten!« Kugler spuckte aus. »Die schutzlosen Kinder – und es ist ja nicht nur Tscheljabinsk.« Er stapfte davon, blieb stehen, wartete auf Maria.

»Von diesem Tag an habe ich aufgehört, mir noch länger Gedanken zu machen«, sagte Kugler leise. »Ich musste mir eingestehen, dass ich, ob ich es nun wollte oder nicht, Angehöriger einer verbrecherischen Organisation gewesen bin. Ich konnte mich auch nicht damit herausreden, dass das ja weit weg in der Sowjetunion geschehen ist, nein, ich habe Verbrechern, habe einer Mörderbande gedient, daran ist nichts zu deuteln, das wäscht kein Regen weg. Mitte der fünfziger Jahre bekam ich einmal einen Bericht über die Stalinschen Verbrechen in die Hände, doch – Millionen von Umgebrachten, Verschleppten, Verhungerten, Hunderttausende von ermordeten Kommunisten, viel mehr als unter Hitler – wer sollte das glauben? Die Dimensionen waren einfach zu groß, das konnten doch nur ungeheure Verleumdungen des Klassenfeindes im Kalten Krieg sein.

Dann der zwanzigste Parteitag, Chrusschtschows Geheimrede, die uns vorgelesen wurde, Tausende meiner Berufskollegen waren den Säuberungen unschuldig zum Opfer gefallen. Warum habe ich damals nicht die Uniform in die Ecke geworfen? Ich dachte wahrhaftig, das sei ein abgeschlossenes Kapitel, eine der fast unerklärbaren grausamen Episoden, wie sie immer wieder in der Geschichte vorkamen, eine Jugendsünde des Sozialismus, erklärbar aus der Bedrängung durch eine Welt von Feinden. Aber diese Versuche – Tscheljabinsk ist nur ein Synonym, doch treffender für mich als alles andere –, kann ich mich damit herausreden, dass ich es so lange nicht gewusst habe?«

»Die Frage ist, was man getan hätte, wenn man es schon früher gewusst hätte«, sagte Maria. »Ich finde, das ist die Frage, die jeder sich immer wieder stellen muss.«

»Muss ich mich jetzt umbringen, weil ich heute weiß, dass ich mitschuldig bin? Tscheljabinsk, das war jeder Tag. Bis an das Ende. Und es waren meine Kollegen, die das verbrochen haben, Leute wie ich. Genossen, Kumpane, Spießgesellen.«

Er stapfte wieder davon. Maria ließ ihm ein paar Schritte Vorsprung, damit er sich wieder fassen konnte. Hatte er sie deshalb nach Ebersbach gerufen, um sein Leben mit ihr zu diskutieren? Weil er hier niemanden wusste und zu ihr Vertrauen gefunden hatte? Um Antworten abzufragen, die sie nicht geben konnte? Kaum sich selbst. Damit musste jeder selbst ins Reine kommen. Was sollte sie noch alles auf ihre Schultern laden. Kugler wartete, bis sie aufgeholt hatte.

»Aber Sie sind ja nicht nach Ebersbach gekommen, um die Seelenergüsse eines alten Mannes über sich ergehen zu lassen«, sagte er.

»Ich hoffe nicht«, gab sie freimütig zu. Kugler holte einen Briefumschlag aus der Tasche, behielt ihn jedoch in der Hand.

»Ich hoffe, Sie verstehen mich«, sagte er. »Und verzeihen mir altem Mann. Ich musste das noch einmal loswerden, und hier …« Er zog verzweifelt die Schultern hoch. »Ich habe niemanden mehr, und niemand braucht mich mehr. Dabei bin ich noch nicht einmal sechzig. Trotzdem schon altes Eisen. Schlimmer: Rost. Es ist bitter, wenn man sich noch stark fühlt. Ich bin körperlich und geistig noch voll da. Aber ich werde nicht mehr gebraucht.«

»Ja, das ist bitter«, bestätigte Maria, »und es tröstet nicht, dass es auch anderen so geht, vielen.«

»Das ist das bitterste am Ende unserer Gesellschaftsordnung«, sagte Kugler, »so viele Träume, so große Pläne und dann ein so erbärmliches Ende. Millionen Menschen, die sich sagen müssen, dass sie ihr Leben umsonst gelebt haben, dass ihre Biografien wertlos geworden sind. Wie viele hunderttausend nicht mehr gebrauchte Leben. Marion hat mich auch nicht gebraucht; ja, vielleicht habe ich mir da auch Illusionen gemacht. Nicht sie brauchte mich, ich brauchte sie. Wie sehr, das weiß ich jetzt erst. Es ist nicht das Geld, obwohl ich ihr bis an das Ende meiner Tage dankbar sein werde, dass sie mir Ebersbach ermöglicht hat. Ich weiß nicht, wie, ich fürchte …« Er wischte das mit einer Handbewegung weg. »Nein, was auch immer, sie hat es aus Liebe zu mir gemacht, und das werde ich ihr nicht vorwerfen. Was auch immer es gewesen sein mag. Niemals, verstehen Sie?«

Maria nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Kugler meinte.

»Am Tag der Beerdigung gab mir Frau Jandl diesen Brief von Marion. Sie hatte ihn bei ihrem letzten Besuch bei ihr hinterlegt, und Frau Jandl hat nicht gleich daran gedacht. Vielleicht können Sie etwas damit anfangen. Ich nicht. Aber wenn es Ihnen hilft …«

»Könnte sein«, sagte Maria. »Wir haben den Mörder von Marion noch nicht, wir …«

»Das ist nicht mehr wichtig für mich«, unterbrach Kugler sie. Er gab ihr den Brief, es waren nur ein paar handschriftliche Zeilen.

»Lieber Paps! Wenn du diese Zeilen erhältst, gibt es mich nicht mehr Ich muss dir nicht schreiben, wie sehr ich dich geliebt habe, große Worte waren nie üblich zwischen uns, jeder wusste es auch so. Wenn mein Tod merkwürdig war, auch wenn es ein Unfall war, dann zeige diesen Brief der Polizei. Sie sollen in die Stadtsparkasse von Ebersbach gehen, dort habe ich ein Schließfach gemietet, in dem eine Erklärung für meinen Tod zu finden sein wird. Mehr will ich dir nicht schreiben, denn vielleicht ist es ja ohne Bedeutung. Was auch immer du hören wirst über mich, glaube nur, was du willst – du kennst mich besser als jeder andere – und dass ich es aus Liebe zu dir getan habe. Marion«.

Kugler hatte sich an einen Baum gelehnt, und er schien ganz und gar damit beschäftigt, dem Zwitschern der Vögel zu lauschen.

»Darf ich den Brief kopieren?«, fragte Maria. »Frau Jandl hat sicher ein Kopiergerät.«

»Behalten Sie ihn«, sagte Kugler. »Ich kenne den Brief auswendig.«

»Leider befindet sich nichts in dem Schließfach, Herr Kugler. Was immer Marion Ihnen und uns mitteilen wollte, sie hat es nicht mehr hinterlegt. Ihr Mörder war schneller.«

Schweigend gingen sie zurück zum Haus. Die Gedanken wirbelten Maria im Kopf herum. Also hatte Marion Kugler damit gerechnet, umgebracht zu werden. Warum? Was hatte diese junge, schöne Frau zu befürchten gehabt? Tukul Charejew schied damit wohl als Mörder aus. Sie war ihm so lange erfolgreich aus dem Weg gegangen, warum hätte sie ihn fürchten sollen? Und Pohlmann, das Waldschlösschen? Selbst wenn sie bei den Pornos mitgemacht hatte … Ein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken.

»Ich habe die ganze Zeit nachgedacht«, sagte Kugler, »ich wusste, da war irgendetwas, das Marion mir einmal gesagt hat, doch es wollte mir nicht einfallen.«

»Und jetzt wissen Sie es wieder?«

Kugler hob die Hände. »Ob es das war? Und ob es Ihnen helfen kann? Das war vor ein paar Wochen, wir hatten Wein getrunken, vielleicht ein wenig mehr als sonst, da Marion über Nacht bleiben und am Sonntag mit mir zu einem Konzert nach Fulda fahren wollte. Wir haben uns an die alten Zeiten erinnert, waren ausgelassen und dann traurig, sentimental, Marion sagte, sie sei so glücklich, dass sie mich als Vater ausgesucht hätte …« Als Kugler Marias überraschten Blick bemerkte, erklärte er es ihr.

»Marion ist nicht meine leibliche Tochter, aber das hat nie etwas ausgemacht, wir haben sie schon als kleines Kind adoptiert, als sie gerade ein Jahr alt war. Ihre Mutter hatte sie in einem Heim untergebracht, um Urlaub in Bulgarien zu machen, aber sie ist nie zurückgekommen. In den Westen abgehauen. Und wer ihr Vater war? Marion hat sich nie dafür interessiert und ihr Vater sich nicht für sie. Auch die Mutter nicht, nicht einmal jetzt, sonst hätte ich vielleicht noch ein Verfahren wegen Zwangsadoption zu befürchten.« Kugler lachte bitter. »Marion wusste es, wir haben es ihr zur Jugendweihe gesagt. Und dass eigentlich sie es war, die uns ausgesucht hat, als meine Frau und ich in dem Kinderheim waren – ihr Lächeln.« Kugler wischte sich verstohlen über die Augen.

»Mir ist so, als hätte sie damals gesagt, wenn ich sie eines Tage nicht mehr finden könnte, dann sollte ich sie in ihrem Labor suchen, im dritten Wandschrank von links, dort sei die verbotene Tür. Aber da waren wir wohl schon ein wenig blau. Als ich Marion am nächsten Tag darauf ansprach, hat sie abgestritten, so etwas überhaupt gesagt zu haben.«

»Nun, ich kann dort ja mal nachsehen«, sagte Maria. »Vielleicht hilft uns das.«

»Mir nicht mehr«, sagte Kugler. »Ich habe eine letzte Bitte, Frau Baron. Wenn sie dort etwas finden – ich will nicht erfahren, was sich hinter dieser verbotenen Tür befindet.«