31

Montagabend klopfte es an die Terrassentür«, erzählte Weber, »da stand er draußen, völlig verstört, verzweifelt, ausgehungert. Ich habe ihn hereingelassen und erst mal etwas zu essen gemacht. Tukul hatte sich draußen im Gehölz versteckt, bis es dunkel wurde. Ob ich ihn über die Grenze bringen könnte, am besten nach Holland. Aber wie sollte ich?«

»Er war früher schon öfter bei Ihnen gewesen?«

»Nicht oft. Ein paarmal hat er uns besucht. Er kam wunderbar mit meiner Frau aus, brachte sie zum Lachen, er störte sich nicht daran, dass sie gleich alles wieder vergaß, alles drei-, viermal erzählte, er …«

»Was hat er Ihnen über seine letzte Begegnung mit Marion erzählt?«, unterbrach Maria ihn.

»Mohrgarten hatte ihn beauftragt, Marion in den Ahlberger Forst zu fahren. Sie sei zu einem Sicherheitsrisiko geworden, wolle die Firma erpressen und solle erst einmal nach Italien abgeschoben werden, dort würde man sie schon zur Vernunft bringen, schlimmstenfalls bis zur Abreise nach Neuseeland festhalten.«

»Und Charejew hat das geglaubt?«

»Felsenfest. In gewissem Sinn waren die beiden sich ähnlich: unbekümmert, sorglos, ja sogar arglos. Es ist ihm wohl gar nicht in den Sinn gekommen, Mohrgarten zu misstrauen.« Weber lächelte verächtlich. »Mohrgarten kann sehr überzeugend sein. Tukul sollte ohnehin den Job aufgeben, das hatte seine Familie beschlossen, nun eben eine Reise früher, das habe Mohrgarten mit seinem Vater vereinbart. Also schlug Tukul Marion vor, zum Abschied noch einmal zusammen essen zu gehen, und sie nahm seine Einladung an.«

»Hat er Ihnen gesagt, dass er an jenem Abend mit Marion geschlafen hat?«

»Er war so glücklich darüber gewesen. Und so unglücklich, dass sie sich nicht mit ihm zusammentun wollte; er hatte ihr angeboten, mit nach Paris zu kommen, ihr, was weiß ich, zum wievielten Mal, einen Heiratsantrag gemacht, doch sie hatte wieder abgelehnt. Wenn sie mit nach Paris gekommen wäre, sagte Tukul mir, wollte er mit Mohrgarten sprechen, sie zuerst einmal mit nach Georgien nehmen, aber …«

»Wie hat er sie dazu gebracht, mit ihm in den Ahlberger Wald zu kommen?«

»Mohrgarten hatte ihm irgendwelche Tropfen gegeben, falls es Probleme gäbe, die hat er Marion in den Wein geschüttet und sie dann, schon halb bewusstlos, in ihr Auto gesetzt und hinausgefahren. Im Wald hat Mohrgarten sie dann übernommen. Weiter wusste er nichts.«

»Hat er gesagt, ob er Marions VW zu dieser Disko gefahren hat?«

»Davon weiß ich nichts. Ich glaube, er ist gleich zur Grenze aufgebrochen, dort wartete ja ein Ersatzmann in seinem Lastzug, dass er abgelöst wurde.«

»Hat er gesagt, in was für einem Auto er zur Grenze gefahren ist?«

»Ja, ein alter Mercedes. Tukul hat lauthals darüber geschimpft, dass er mit solch einer Krücke fahren musste. Und darüber gejammert, dass er sich nicht mehr um Marion gekümmert hat. Er war wirklich verzweifelt, dass man sie umgebracht hat. Ich bin schuld, hat er immer wieder gesagt, ich bin schuld.«

»Wie ist er von Ihnen wieder weggekommen?«

»Auch das weiß ich nicht. Ich hatte ihm versprochen, dass er so lange wie nötig bleiben kann, er sollte sich nur nicht blicken lassen, und wenn Frau Küppers kam, sollte er sich in der Dachkammer aufhalten – dorthin geht Frau Küppers nie. Es war ja auch in meinem Interesse, dass er nicht wieder gefasst wurde, Sie können sich denken, dass ich Angst hatte, die ganze Sache würde auffliegen. Ich habe ihn gefragt, ob ich Mohrgarten informieren sollte, aber er sagte, er würde das selbst tun. Dann war er einfach verschwunden, ohne mir eine Nachricht zu hinterlassen. Und am nächsten Tag kamen Sie und sagten, dass er ermordet aufgefunden wurde.« Weber hatte sich in Rage geredet, rote Flecken überzogen sein fahles Gesicht.

»Was denken Sie, wer es getan hat?«

»Wenn es einer aus der Saale-Chemie war, dann sicher Bartolucci. Ich kann mir Mohrgarten nicht als Mörder vorstellen, obwohl …«

»Umso besser, dass sie ihm nicht mehr begegnen müssen, nicht wahr?« Maria legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Dann wollen wir uns mal an den Herzinfarkt machen.«

Weber zeigte in den Garten. »Aber verabschieden darf ich mich doch?«

Maria überlegte kurz, dann nickte sie. Seine Frau würde nichts verraten können. Als Weber in den Garten ging, blickte Hubich zur Terrasse herüber, Maria winkte ihm beruhigend zu.

»Frau Küppers wohnt hier rechts?«, fragte Maria, als Weber zurückkam. Sein Gesicht war tränenüberströmt.

»Ja, aber …«

»Ich hole sie erst, wenn der Krankenwagen eintrifft. Und da wir keine Zeugen haben, müssen Sie auch nicht Theater spielen.«

»Das könnte ich auch gar nicht«, sagte Weber.

»Aber stillliegen müssen Sie können«, sagte Maria, »ganz still, was auch kommt.«

»Mir ist so schlecht, als hätte ich tatsächlich einen Herzinfarkt.«