Profis unter Palmen

In den Dschungel bin ich damals gegangen,
weil ich das Geld brauchte.
Wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst,
nimmst du halt, was du bekommst.

Jimmy Hartwig

Der Dschungel war das Härteste,
was ich je erlebt habe.

Thorsten Legat

Das ist keine Prüfung. Das ist Scheiße, Mann!

Aílton

Er war ja der Erste, im Herbst 2004.

Der Erste im Dschungel, der mal höher gespielt hatte. Bundesliga, Nationalmannschaft. Europapokal unter Happel, Halbfinale mit Magath, Hrubesch und Kaltz. Ein Gesicht, das man in Hefte kleben, ein Name, den man auf dem Rücken tragen konnte.

Einer mit Klang.

Jimmy Hartwig, der erste Fußballer im Dschungelcamp.

Vor ihm hatten es zunächst ganz andere versucht.

Schlagersänger und Kabarettisten, ein Hochspringer auch.

Carlo Thränhardt und Costa Cordalis.

Daniel Küblböck dazu, von Dieter Bohlen erfunden.

Jetzt, 25 Jahre nach seinem Abschied als Profi, stand Hartwig dort in der Wildnis, zwischen Dolly Buster und Willi Herren, Carsten Spengemann und Harry Wijnvoord. Naddel und Désirée Nick. Ein Gruppenbild mit Tropenhelm und Tropenhemd, in schwarzen Stiefeln und roter Hose. Doch Hartwig lächelte nicht, vielmehr blickte er in die Kamera wie ein Reh in den Lichtkegel eines heranrasenden Sattelschleppers. Erschrocken fast, als wollte er noch eben aus der Aufnahme springen.

Den Aufprall aber konnte Hartwig nicht mehr verhindern.

Er war gerade fünfzig geworden, hatte zwei Krebserkrankungen überstanden, Hoden und Prostata, als Vertreter für Kondome gearbeitet und im deutschen Sportfernsehen ein paar flüchtige Formate wegmoderiert. Sein letzter Trainerjob, der Versuch eines Comebacks, lag bereits zwei Jahre zurück. Phönix Durmersheim, Kreisliga in Baden.

Der große Sport war lange her, der Fußball im Grunde vorbei.

Ich habe den Weltpokal geholt und in der Weltauswahl gespielt, hatte Hartwig der WELT noch erzählt, aber von alldem sind außer ein paar Wimpeln und Bildern nur Erinnerungen geblieben.

Weshalb er sich in jenen Monaten noch einmal völlig neu aufstellen musste. Er wollte jetzt Schauspieler werden, unbedingt ans Theater. In Weimar, unter der Regie des großen Thomas Thieme, hatte er Brecht aufgeführt.

Baal, eine Premiere für ihn. Plötzlich Darsteller.

Noch aber war Jimmy Hartwig vor allem Jimmy Hartwig.

Der Junge aus der Kirschenallee, Sohn einer Deutschen und eines schwarzen G. I., der zweite dunkelhäutige Nationalspieler. Vom Großvater geprügelt, von den Kurven gefeiert.

Ein deutsches Leben, so stand es in der Thüringer Allgemeinen, in dem sich unsere Geschichte ebenso spiegelt wie unsere Vorurteile und Abneigungen.

Eine Paraderolle auch.

So wollte er, und gab das gern zu, den Dschungel als Bühne nutzen. Wieder Gesprächsthema werden. Der Urwald als Werbeblock in eigener Sache. Hartwig war bereit.

In Weimar, nicht die schlechteste Generalprobe, hatte er neben Ben Becker bestanden, sich dort im Grunde schon mal abgehärtet. Und, wichtiger noch, er konnte sich auf seine Physis verlassen.

Er hat die Kraft eines Stieres, hatte Thomas Thieme über Hartwig gesagt, und die Seele eines kleinen Jungen.

So trat er ins Lager. Ein Körpertier, spürbar anwesend.

So suchte er sein Heil in der Flucht nach vorne.

Nachdem sich Willi Herren, der Tarzan aus Köln, zu Anfang gleich freudestrahlend als Entertainer vorgestellt hatte, grätschte ihm Hartwig ohne Zögern in die gute Laune.

Willi Herren, erklärt er den Kameras, ist ein absolutes Arschloch. Mag ich nicht!

Ein Zeichen setzen, so nannte man das früher auf dem Fußballplatz. Das beherrschte er noch.

Am fünften Tag allerdings, während einer Schatzsuche im Dickicht der Demütigung, zog es dann plötzlich im Rücken, Diagnose Hexenschuss. Und Hartwig, bemitleidenswert, musste auf einer Trage zurück ins Lager gebracht werden. Dort litt und wimmerte er, lag durchaus eindrucksvoll am Rand, während Naddel und Désirée Nick erst Käsefrucht und dann, natürlich, Känguru-Hoden fressen mussten.

Hartwig stöhnte, Naddel würgte.

Geräuschkulisse, die Kakophonie des Ekels.

Und kurzzeitig sah es tatsächlich so aus, als müsste er den Dschungel verlassen, viel früher als gedacht. Ein erstes Drama. Doch Hartwig raffte sich auf, biss noch einmal die Zähne zusammen.

Am elften Tag aber versagten ihm schließlich die Nerven. Da stand er mit vor Angst geweiteten Augen am Rand eines mit Aalen, Egeln und Schlangen gefüllten Wasserbeckens. Hartwig, so die Aufgabe, sollte nun sieben Bojen vom Boden des Bassins lösen. Nur: Er konnte nicht. Ihn hatte die Abscheu übermannt.

Ich bin kein Hasenfuß, sagte er, aber Schlangen sind nicht meine Welt.

Untiefenpsychologie, er sprang dann trotzdem hinein. Gab sein Bestes, tauchte unter, immer wieder zum Grund, vergeblich jedoch. Nach ein paar Minuten musste er aufgeben, atemlos, am Ende. So stand er mit leeren Händen an der Kante, rang nach Luft und bat, ja flehte fast, um Verständnis.

Ich habe die Hosen voll, erklärte er den Moderatoren, ich packe das nicht.

Dann brach er die Prüfung ab.

Am Ende wurde Jimmy Hartwig trotzdem Vierter.

Halbfinale mit Herren, Nick und Varell.

Hinterher allerdings meldete er sich noch einmal zu Wort. Mit etwas Abstand, aber ohne Distanz.

Als wäre er dem Busch nie entkommen.

Ich muss mir einen Psychologen suchen, erklärte Hartwig der BILD, in Seelenfragen ja immer gern der erste Ansprechpartner. Und erzählte dann von Angstzuständen und Albträumen, die ihn nachts im Camp befallen hatten.

Vom Horror, der in seinen Schlaf gekrochen war.

Durch die Dschungel-Prüfung im Schlangenteich, sagte er schließlich, ist mir klar geworden, dass ich ein Trauma aus meiner Vergangenheit mit mir herumschleppe.

Das RTL-Dschungelcamp, schrieb die Rheinische Post daraufhin, hat bei Jimmy Hartwig offenbar seine Spuren hinterlassen.

Der Urwald, er hatte ihn ganz offensichtlich schwer beschädigt. Ganz so, als wäre er dort nicht nur Dirk Bach und Sonja Zietlow, sondern auch den eigenen Dämonen begegnet. Böse Zungen und böse Geister.

Jimmy Hartwig, alles aufs Spiel gesetzt.

Kurz vor seinem Auszug allerdings hatte er dort im Camp, zusammen mit den anderen Kandidaten, noch Halloween feiern dürfen, ein Gruselfest bei 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. Harry Wijnvoord, lustig, war als Nonne gekommen. Désirée Nick, die spätere Königin, als Hexe.

Und Jimmy Hartwig als Jimmy Hartwig.

Ein Auftritt, vor acht Millionen Zuschauern.

Die erhoffte große Bühne.

Hartwig hatte eine Menge gewonnen.

Und schien dennoch seltsam verloren.

Das ist ja die Rechnung des Dschungels. Kosten und Nutzen. Aufwand gegen Ertrag, Würde gegen Wirkung. Das alte TV-Tauschgeschäft, das nur jene verstehen, die diesen Handel schon einmal eingegangen sind. Sie allein wissen, was vom Dschungel übrig bleibt.Was da noch ist, nach zwei Wochen Isolation, Mangelernährung und Überwachung.

Im Grunde, erklärte mir der Moderator Peer Kusmagk zehn Jahre später am Tresen einer Bar in Ost-Berlin, sind das ja Foltermethoden.

Wir hatten uns dort getroffen, um über seine Zeit als König zu sprechen. Kusmagk, 35 Jahre alt damals, war 2011 als Sieger aus dem Dschungel gekommen, mit einer Krone aus Blumen und einem Zepter aus Holz, und hatte hinterher ein paar durchaus brauchbare Sätze in die Mikrofone gesprochen.

Bedienungsanleitungen für die Tage in den Tropen.

Das gefährlichste Tier im Dschungel ist der Mensch, war so ein Satz. Gerne zitiert.

Denn Kusmagk, Regent aus dem Regenwald, war Kronzeuge auch. Er wusste, wie es sich anfühlt. Das Dabei.

Aber vor allem das Danach. Das Leben als Holzthronfolger.

Wenn man da rauskommt, erklärte er mir also, dort am Tresen, ist man ein halbes Jahr lang eine Mischung aus Bundespräsident und Karnevalsprinz. Du wirst zu jeglichem Kram gefragt, weil du zweieinhalb Wochen bei zehn Millionen Menschen im Wohnzimmer warst. Aber genauso schnell vergeht das auch wieder.

Lauf der Dinge. Das bisschen Ruhm, es hatte nun mal kaum länger als die Krone gehalten.

Der König als Prinz allerdings, der Volksnarr im Blumenornat, das war natürlich ein herrliches Bild.

Der Dschungel als Karneval, das rückte die Dinge zurecht.

Dieser Vergleich, er saß sofort gut.

Der Karneval, so hat es Nele Pollatschek in der SZ geschrieben, feiert das Exzentrische, ermöglicht Verhaltensweisen, die sonst inakzeptabel wären, und befreit so jene Aspekte der menschlichen Natur, die im normalen Zusammenleben unterdrückt werden müssen. Im Dschungel kann gesagt werden, was man sonst verschweigt, muss gegessen werden, was keiner isst.

Und auch Peer Kusmagk, Hoheitswissen, hatte längst verstanden, dass der Dschungel vor allem Aufführung ist, ein schweißnasses Kostümfest, bei dem sich die Kandidaten als Kandidaten verkleiden und zwei Wochen lang mehr oder weniger sich selbst spielen dürfen. Richtige Rollen, mitunter auf den Leib geschneidert. Theater, meist aus freien Stücken. Dann tragen sie Tropenhelm und Cargo-Shorts, dann tragen sie ihr Innerstes nach außen. Sitzen dort und erzählen von sich. Vorabendmonologe. Fangen bald Streit an und üben Gesichtsausdrücke, das Schmollen und die Schnuten, die ersten Tränen womöglich. Stellen sich hin. Und stellen sich dar. Ungeschminkt im Unterholz, ungeniert im Umgangston, unerträglich ehrlich und dabei echt bis zur Unkenntlichkeit. Dann fällt die Maske.

Und der Maskenball beginnt.

Ich bin. Ein Star. Die ganz große Ego-Show. Denn der Dschungel, wie der Karneval auch, belohnt den Selbstdarsteller. Er setzt auf Ellenbogen. Er kennt nur einen Sieger.

Weshalb sich dort, in der Enge des Camps und der Inszenierung, im Verzicht und in der Hitze, bald jeder selbst der Nächste ist.

Der Dschungel hat seine eigenen Gesetze. Und deshalb, in den zurückliegenden zwanzig Jahren, immer wieder genau jene Spieler angelockt, die schon auf dem Feld, inmitten der Kameraden, vor allem Einzelsportler waren. Die Bekloppten, von der Kurve gerne als Typen verklärt. Fußballer, für die der Dienst an der Mannschaft eher Dienst nach Vorschrift war, und die nicht immer für den Trainer, dafür aber gerne auch mal für die Galerie gespielt haben.

Die Künstler eben, geborene Entertainer, sie machten gerne mit. Die einen aus Geldnot, die anderen aus Geltungsdrang. Der Dschungel, meist der letzte große Vertrag.

2008 dann, drei Jahre nach Jimmy Hartwig, kam Eike Immel. Und damit einer, der schon aufgrund seiner einstigen Rolle auf dem Feld, also von Haus aus, eine gewisse Disposition für den Dschungel besaß.

Linksaußen und Torhüter, hatte der große Max Merkel einst gesagt, haben eine Macke.

Immel war das Erste wahrscheinlich nie, das Zweite aber umso häufiger und galt Ende der Achtzigerjahre als einer der besten Keeper des Landes. Er hatte, wenn auch ohne Einsatz, an zwei Weltmeisterschaften teilgenommen, 534 Bundesligaspiele absolviert und später noch, als einer der ersten Ausländer der Premier League, in Manchester gespielt. Er war mit Stuttgart Meister und mit dem Fußball Millionär geworden. Zehn Jahre nach dem Karriereende allerdings hart auf den Boden geschlagen. Immel hatte sich tatsächlich verzockt. Beim Poker, mit Immobilien.

Bluffs und Bauherrenmodelle.

Schlechte und falsche Hände.

Irgendwann standen die Gläubiger vor der Tür, dann klingelte der Gerichtsvollzieher. Eike Immel, immer Lebemann, musste einen Offenbarungseid leisten. Er hatte nichts mehr. Das Geld war weg. Und der einstige Nationalspieler obendrein arbeitslos. Was auch deshalb ein Problem war, weil Immel seine Karriere, den langen Abnutzungskampf Profifußball, wie viele andere auch, als Versehrter verlassen hatte.

Jetzt war die linke Hüfte kaputt. Und Immel musste dringend operiert werden. Nur konnte er sich den unbedingt notwendigen Eingriff nicht leisten.

Hilfe kam, wie so oft bei Schmerzpatienten, aus Leverkusen. Denn Reiner Calmund, als Bayer-Manager und Fernseh-Frohnatur seit jeher mit besten Kontakten ausgestattet, hatte Immel schließlich den rettenden Platz im RTL-Camp vermittelt. Ein natürlich faustischer Freundschaftsdienst, aber Immel zögerte kaum. Der Dschungel, das wusste er, war seine letzte Chance. Er brauchte die Gage.

Das, gab er kurz vor seiner Abreise noch freimütig zu, ist meine Motivation. Da braucht man keine anderen Gründe dazu zu erfinden. Seit zwei Jahren hänge ich zu Hause rum, da ergreift man jede Gelegenheit.

So flog auch Immel nach Australien.

Für gute Kohle, wie er sagte.

Dort angekommen, traf er gleich auf Bata Illic, mit dem er hinterher noch einen echten Hit aufnehmen sollte, und auf Michaela Schaffrath, die man zu jener Zeit vor allem unter ihrem Künstlernamen und eher aus Filmen als aus dem Fernsehen kannte.

Schlagerikonen, Pornosternchen, Ex-Profis. Es war mal wieder eine wilde Mischung.

Aber Immel, der unter Christoph Daum und neben Uli Stein trainiert, und gewiss schon ganz andere Strafräume verteidigt hatte, schien der Dschungel, in dem ja neben allerhand Getier auch Ross Antony lauerte, nicht sonderlich zu ängstigen.

Solange ich keinen Spagat machen muss, sagte er, geht das schon. Und die Wärme im Busch tut meiner Hüfte sogar gut.

Eike Immel, doch bestens gelaunt.

Dann fing er zehn Sterne, wurde am Ende immerhin Fünfter und flog, so schnell es eben ging, nach Deutschland zurück, um sich endlich operieren zu lassen.

Der Termin für die Hüft-OP stand da schon fest.

6. Februar, Aschermittwoch.

Eike Immel musste halt erst mal den Karneval überstehen.

Der Dschungel, er kann also Linderung verschaffen. Und Löcher stopfen, die irgendwann entstanden sind, weil das Geld fehlt. Oder die Aufmerksamkeit. Wenn niemand mehr hinschaut, der nächste Schritt egal geworden ist und der eigene Name noch bestenfalls in die Klatschspalten passt, mal Gewinner, mal Verlierer des Tages, das Vergessen als Abseitsfalle, dann ist er das Rampenlicht am Ende des Tunnels, ein Strohhalm, ein Pfui-Cup, über den man sich, so die Hoffnung, noch einmal für etwas ganz anderes qualifizieren könnte.

Weshalb sich vier Jahre nach Eike Immel, dem ehemaligen Torwart, erstmals auch ein ehemaliger Torschützenkönig um den Urwald-Thron bewarb. Aílton, 2004 noch Meister mit Werder Bremen, musste dringend mal wieder einen Titel holen. Der Brasilianer, schon immer Legionär, hatte seinen Marktwert im Blick.

Nicht jedem gefiel das sofort, andere hatten Mitleid dabei.

Ein Absturz auf Raten, schrieb die WAZ.

Doch Aílton passte durchaus hinein, in den Dschungel. Denn auch er brachte weit mehr mit als bloße Statistik. Schließlich hatte er die Bundesliga nicht nur in Windeseile verzaubert, sondern im Laufe seiner Karriere auch um eine Handvoll waghalsiger Wortgebilde bereichert, die im Aphorismen-Kalender des deutschen Fußballs schon jetzt irgendwo zwischen Andy Möllers Mailand oder Madrid und Erik Meijers Nichts ist scheißer als Platz zwei zu finden sein dürften. Dabei jede Silbe unverkennbar.

Sprachsamba, handgemacht am Zuckerhut, selbst die Shortlist schon Slapstick genug.

Orgasmus gibt es nur, wenn ich ein Tor schieße.

Aílton auswechseln, immer Fehler!

Aílton kommt, und ganz Deutschland lacht.

Und natürlich der Klassiker:

Aílton nix verliert, immer gewinnt!

Der Brasilianer, da muss man nur Felix Magath oder Willi Lemke, Klaus Allofs oder Schalkes Erwin fragen, war seit jeher Attraktion. Eine pausbäckig radebrechende, spitzbübisch lächelnde Zirkusnummer, die wunderbar volksnahe Mischung aus Seiltänzer und Gewichtheber. Einer für die Popcorn-Momente, für die Leute und die Lacher.

Die Steher und das Staunen.

So hatte er sich in die Erinnerungen und die Rückblicke geschossen, als Spitzenreiter, der während seiner Zeit beim FC Schalke auf dem Rücken eines ausgewachsenen Rappens zum Training kam und später dann, bei seiner Vorstellung in Duisburg, als er längst aufs falsche Pferd gesetzt hatte, ohne Widerworte auf ein Zebra aus Holz klettern musste.

Ein Rodeo-Clown mitunter, der in seiner Heimat eine eigene Ranch und in Deutschland ganze Stadien unterhielt. Und dem als Brasilianer natürlich auch die Abgründe und Anforderungen des Karnevals nicht fremd waren. Aílton hatte die Sause im Blut. Und wenn irgendwo Musik gespielt wurde, dann musste er tanzen. Und wenn die Leute irgendwo klatschten, dann musste er winken.

Kugelblitzlichter, jede Geste schon Kamelle genug.

So hatte er sich, zwei Jahre vorher, selbst in Krefeld in den Rosenmontag gestürzt. Bei Minusgraden, in Daunenjacke. Ein Luftschlangenbeschwörer, dem irgendwann das Lächeln einfror. So wirkte er fremd, inmitten des Frohsinns.

Als hätte er etwas ganz anderes erwartet.

Krefeld oder Rio de Janeiro, sprach er da in ein Mikrofon des DSF, ist klar, ist besser Rio. Hier ziehen sich alle komisch an. In Brasilien immer alle aus.

Ein großes Missverständnis.

Erst im Konfettiregen, und bald auch auf dem Platz.

Denn in Krefeld, fünfte Jahreszeit in der sechsten Liga, hatte er sich gleich als letzte Hoffnung verkleidet. Dort wollte er, grelle Begrüßung, den einst stolzen KFC Uerdingen zurück in die Bundesliga schießen, dreizehn Einsätze und vier Tore später allerdings spielte er schon wieder in Oberneuland, die nächste Station.

Aílton, einst Bayernschreck und Kahnbezwinger, torkelte jetzt weidwund durch die Niederungen des Fußballs, trat in Provinzstadien auf, ein Kleinkünstler plötzlich. Eine Rampensau, die sich selbst über die Dörfer trieb. Ein Trüffelschwein, dem irgendwann der Torriecher abhandengekommen war. Aílton, gerade mal 38 Jahre alt, suchte noch immer nach Bedeutung, aber er fand kaum noch statt.

Er war in Donezk gewesen und in Altach, in China und noch einmal daheim in Brasilien.

Am Stadtrand von Bremen und am Niederrhein.

Der große Tingeltangel.

Ein Weltenbummel, der ihn am Ende, zwangsläufig fast, auch nach Australien brachte. Der Dschungel, er war ja nur die letzte, die im Grunde logische Konsequenz. Aílton war kein Star mehr, aber gerade noch Star genug.

Und er hatte vor allem richtig Bock auf die Show.

Es geht mir um den Spaß, erklärte er dem Berliner Kurier, das wird eine Riesen-Gaudi. Toni liebt die Show. Und in Australien ist Showtime!

Aber natürlich blieben die Zweifel, gärten die Gerüchte, dass der Toni eben nicht nur wegen der Show und der Aufmerksamkeit, sondern durchaus auch wegen der Scheine, der sehr guten Gage, in den Busch klettern wollte. Immerhin hatte sein ehemaliger Berater schon im März 2007 versucht, die Torjägerkanone des Brasilianers ohne dessen Wissen bei ebay zu versteigern, ehe es Aílton noch eben gelungen war, die Auktion durch eine einstweilige Verfügung zu stoppen. Höchstgebot damals: 600 000 Euro. Aílton, erklärte der Berater hinterher, habe noch Schulden bei ihm.

Aílton, so klang es, mit dem Rücken zur Wand.

Das Raunen der Reporter allerdings konterte er dann wie früher, auf seine ganz eigene, unnachahmliche Weise.

Was die Leute reden, sagte er also, ist mir scheißegal. Natürlich möchte ich auch dort Geld verdienen. Ich habe den Fußball schließlich nicht mehr. Aber das heißt doch nicht im Umkehrschluss, dass ich pleite oder Ähnliches bin.

Was selbstredend eine ganz herrliche Finte war, ein Übersteiger. Aílton, so ließ er sie stehen, Fragezeichen wie Fahnenstangen, so zog er noch einmal lächelnd vorbei.

Der Dschungel, er sollte dann tatsächlich ein warmer Regen werden. Nur ganz anders als gedacht. Denn schon nach wenigen Tagen versank die Show in Wassermassen, wurde der Busch überschwemmt, von Niederschlägen getroffen.

Es war, schrieb die BILD, das regenreichste Dschungelcamp aller Zeiten.

So nass, dass es bald schon in die Seelen tropfte und RTL zwischendurch tatsächlich überlegte, das ganze Ding abzubrechen und die Kandidaten zu evakuieren. Als Erstes, so ist das ja meist, ging dann die Stimmung baden. Da stand die Zumutung, das Wasser bis zum Schmollmund, in den Gesichtern der Kandidaten. Sieben Tage Regenwetter.

Und selbst Aílton, von den Moderatoren aufgrund seines Kugelkörpers gemeinhin als Kopffüßer verspottet, hatte bald einen richtigen Hals, so verging ihm erst die Lust und dann der Appetit. Er giftete, er aß nicht mehr. Und schließlich, nachdem er erfahren hatte, dass er eine ganze Nacht in einer Höhle verbringen sollte, dort nur die Dunkelheit und Micaela Schäfer, verlor er auch noch die Beherrschung.

Das, rief er in den Urwald, ist keine Prüfung. Das ist Scheiße, Mann!

Aílton, für alle gut sichtbar, wollte nach Hause.

Das isse kein Spiel, sagte er noch, isse ein Mensch. Und keine Robbo.

Aílton, doch keine Maschine. Damit hatte sich die Sache erledigt. Denn kurze Zeit später trat er sichtlich echauffiert vor die Kameras, um sich mit Nachdruck an die Zuschauer zu wenden. In seinen wirklich eigenen Worten.

Aílton, erklärte er da, will nix bleiben in Camp. Bitte! Keine rufe an. Bitte, nixe rufe an!

Er wurde erhört. Am 13. Tag durfte Aílton den Dschungel verlassen. Und ging dann nach Bingen, Verbandsliga am Rhein. Dort schaffte er noch einmal 19 Tore in 21 Spielen. Am Ende jedoch stand, trotz allem, wieder der Abstieg.

Wer nun aber dachte, mit Aílton wäre in Sachen Wortwucher bereits der Höhepunkt erreicht gewesen, der irrte selbstredend. Denn der Dschungel, das war spätestens nach drei Staffeln klar, konnte immer noch rauflustiger, großbusiger und vor allem breitbeiniger.

Er musste, Gesetz der Serie, in jedem Winter wieder einen draufsetzen.

So folgten Walter Freiwald auf Harry Wijnvoort, Marc Terenzi auf Jay Khan, Micaela Schäfer und Georgina Fleur auf Gina Wild. Und so durfte irgendwann auch Thorsten Legat mit ins Camp. Ein Abwehrspieler, der den Angriff liebte. Ein Manndecker, der sich selbst nie von der Seite wich. Und der einst auf die sehr einfache Frage, wie er eigentlich zum Bodybuilding gekommen sei, sehr simpel, aber durchaus wahrheitsgemäß, geantwortet hatte.

Immer die Castroper Straße rauf.

Legat war ein Krawallkicker, mehr Ecken als Elfer, den sich RTL gar nicht besser hätte ausdenken können. Ein Jackson-Pollock-Gemälde aus Gewalt, Skandal und Irrsinn. Ein Schmerzensmann ehedem, der sich, sollte am Lagerfeuer doch mal Langeweile aufkommen, auch einfach eine Taschenlampe unter das sehr markante Kinn halten und ein bisschen von früher erzählen könnte.

Ein gern gesehener Gruselgarant, der wahrscheinlich bestmögliche Buhmann.

Denn Legats Lebenslauf allein war schon Bewerbungsschreiben genug. Die zuständigen Redakteure mussten im Grunde nur durch ein paar alte kicker-Sonderhefte blättern oder einen flüchtigen Blick ins Archiv der BILD-Zeitung werfen, um einen wirklich schlechten und damit natürlich sehr guten Eindruck zu bekommen. Keine Zweifel, Thorsten Legat war das Komplettpaket. Er konnte Spuren hinterlassen.

Beim VfB Stuttgart etwa hatte er 1997 auf ein Poster, das seinen Mitspieler Pablo Thiam, Sohn eines guineischen Diplomaten, mit Trinkflasche zeigte, kurz entschlossen das widerliche Wort Negersaft geschmiert. Ein Eklat, der ihm die unmittelbare Kündigung einbrachte.

Und auf Schalke danach, mal wieder für gar nichts zu schade, hatte er sich während der Aufnahmen für das offizielle Mannschaftsfoto der Saison 2000/2001, seine weißen Shorts bis knapp unter die Achseln gezogen. Eine Mutprobe. Denn Olaf Thon und Andy Möller, im Bild neben und hinter Legat, hatten ihrem Mitspieler kurz zuvor und aus einer Laune heraus 1000 Mark versprochen, sollte er sich trauen. Leicht verdientes Geld, dachte Legat. Und ein herrlicher Streich sowieso. Klar traute er sich, stand also dort in der Mitte und grinste.

Als das Foto schließlich gedruckt wurde, lachte ganz Deutschland. Nur Legat lachte nicht mit. Rudi Assauer, Schalkes mächtiger Manager, hatte ihn mit einer saftigen Geldstrafe belegt.

20 000 Mark. Seine Rechnung, sie war mal wieder nicht aufgegangen.

2007 dann, nachts auf einem McDonald’s-Parkplatz bei Remscheid, hatte Legat ein Samurai-Schwert aus dem Kofferraum seines Audi geholt und war damit auf einen Haufen Halbstarker losgegangen. Angebliche Notwehr. Die Jugendlichen, erklärte Legat hinterher vor Gericht, hätten ihn und seine Frau bedroht. Ein Gnadengesuch. Vergeblich jedoch. Denn auch hier musste er zahlen. 1000 Euro, an einen Verein für Bewährungsauflagen in Solingen. Und am Ende sogar das Schwert abgeben, ein Erbstück immerhin.

Legat, immer entwaffnend ehrlich.

Es ging ihm damals, so erzählte er mir Jahre später in einem Interview für den Tagesspiegel, um Authentischkeit.

Und er meinte das auch so.

Thorsten Legat war ein No-Brainer.

Wie gemacht für den Dschungel. Dann zog er ein.

Und begrüßte die anderen Kandidaten erst mal mit einer ordentlichen Kampfansage.

Ich guck mir das jetzt noch ein oder zwei Tage an, erklärte er dem sichtlich verdutzten Volksschauspieler Rolf Zacher, und dann gibt es Kasalla von mir.

Eine Drohung natürlich, drei Silben für ein Halleluja!

Und als er kurz darauf herausgefunden hatte, dass Mitbewohner Menderes, mit 31 Jahren immerhin schon Castingshow-Veteran, noch immer Jungfrau war, hatte er einen ähnlich gelagerten Rat.

Du bist ein Junge, mach mal Kasalla!

Was ein bisschen so klang, als hätte Kollegah die Dr. Sommer-Seiten der BRAVO übernommen. Petting mit Punchline, die große Fotolovestory.

Und Legat füllte die Sprechblasen.

So stand das Wort grell auf der Lichtung. Und war schon bald darauf in aller Munde, auch wenn weder Zacher noch Menderes wirklich wussten, was Legat ihnen damit eigentlich sagen wollte.

Kasalla, das klang ja nach Fremdwort.

Kasalla, das hatte er wirklich von zu Hause mitgebracht.

Das war, erzählte er später in einem Interview mit der WELT, ein Motivationsspruch aus meiner Kindheit.

Ein Rudiment aus dem Ruhrgebiet, ein Ausdruck aus dem Affenkäfig, dem sogenannten Bolzplatz in der Nachbarschaft. Thorsten Legat, und hinter Stäben keine Welt.

Kasalla, ein Selbstläufer auch. Es bedeutete Ärger, Prügel, eine Abreibung. Und wurde dann natürlich schnell Kult. Das Urwort des Jahres, von RTL irgendwann totgeritten, es ist bei ihm geblieben seither.

Ein Catchphrase für den Phrasencatcher.

Allerdings konnte Legat das Level der ersten Tage, diese Aggressivität des Anfangs, nicht lange halten. Der Dschungel setzte ihm zu, vor allem mental. Er war ja körperlich fit, holte fast jede Prüfung nach Hause. Doch die Hitze, nach und nach, kochte ihn weich.

So kam es erst mal zur Aussprache mit Zacher, dem alten Mann aus Berlin.

Ich lache mich immer nur kaputt über dich, erklärte Legat dem Mimen, aber ich lache dich nicht aus.

Ich lache dich aus, sagte Zacher.

Lachte aber nicht.

Womit auch das geklärt war.

Später dann saßen die beiden am Lagerfeuer, mit Menderes und Jürgen Milski, der für die einen großer Bruder war und für die anderen letzte Instanz, und es ging urplötzlich auch um die Seele und um den Preis, den man zahlt, wenn man die Öffentlichkeit sucht, bei Bohlen singt, und irgendwann im Festzelt mit Gläsern beworfen wird.

Dann erinnerte sich Menderes an den Vater, 2008 verstorben bereits. Und Legat wollte gleich wissen, ob das Verhältnis ein gutes war. Womit sich, wie aus dem Nichts, eine Szene entwickelte, die in dieser Konstellation, vor allem aber in ihrer Offenheit, so vielleicht doch nur im Dschungel möglich ist. Das Camp, plötzlich Männerpension.

Da erzählte Menderes von der Beerdigung, von der Trauer, aber auch von der Wut, die er am Sarg des Vaters gespürt hatte, weil ihm Geborgenheit immer fremd, jede Wärme auf der Strecke geblieben war. Und dann, als hätte sich ein Knoten gelöst, brach es auch aus Legat heraus, der ganze Schmerz der Kindheit, die lange zurückgehaltenen Erinnerungen an den eigenen Vater und dessen Regime, die Gewalt zu Hause.

Mein Vater, erzählte er also, hat meine Familie tyrannisiert. Er hat geschlagen. Und das Schlimmste für mich war, er hat sich missbraucht, an mir.

Kurze Stille.

Schrecken im Feuerschein.

Der Vater, fragte Menderes schließlich, dein leiblicher Vater?

Ja, sagte Legat und erinnerte sich dann an den Vater, gehasst wie die Pest. Und an jenen Tag auch, die Mutter hilflos, weinend in der Ecke, als ihn etwas gepackt und er diesen Vater einfach niedergeschlagen hatte. Thorsten Legat, er war gerade 15 Jahre alt damals, ein halbes Kind noch. Der Vater ein Trinker jedoch, ein Teufel im Vollsuff, der das bisschen Ersparte durchbrachte.

Alles versoffen, sagte er schließlich.

Und man sah ihm an, wie sehr er kämpfte. Mit dem Hass und mit den Tränen. Und Menderes weinte ebenfalls, und Rolf Zacher, plötzlich ganz nah, berührte Legat am Arm, eine kaum merkliche Geste, ein ganzes Leben darin.

Ach, Mensch, sagte Zacher und legte noch ein zärtliches Kleener dazu, Kosewort aus Berlin.

Ach Mensch, Kleneer.

Komm mal her, Kleener!

Das ganze Gegenteil von Kasalla.

Dann gaben sich die Männer die Faust. Und Zacher bot Legat noch an, es mal mit Meditation zu versuchen, er könne ihm das gerne mal zeigen.

Und ich, fragte Menderes, ich bin doch auch dabei, oder?

Natürlich, mein Kleener.

Worte, zartbitter im Abgang. Dann fiel die Nacht wie ein Vorhang.

Der nächste Tag allerdings, naturgemäß, brachte die Schlagzeilen.

Schockbeichte, stand in der Abendzeitung.

Legats Seelen-Strip beendet Lagerfeuer-Romantik, in den Stuttgarter Nachrichten.

Und im Focus sprach Legats Frau.

Was allerdings blieb, war ein neues, ein weicheres Bild. Thorsten Legat hatte dort am Feuer ganz kurz die Rüstung abgelegt, er war verwundbar geworden.

Die Zuschauer jedenfalls mochten die Mischung. Die Kraft des Stieres, die Seele des kleinen Jungen, wie bei Hartwig zuvor. Seine Widersprüche, sie brachten Legat bis ins Finale. So wurde er Dritter am Ende. Und es wirkte tatsächlich, als hätte er sich ausgerechnet hier, an einem Ort, an dem er mit Schlammwasser duschen musste, reinwaschen können, weil ihm der Dschungel die Möglichkeit gegeben hatte, die Schatten der Vergangenheit ein für alle Mal ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren.

So ging er leichter, als er gekommen war.

Der Dschungel, erklärte er später in der WELT, war das Härteste, was ich je erlebt habe.

Aber Legat, ganz sicher, hatte den Dschungel verstanden, ihn wirklich angenommen, trotz allem Gefallen gefunden. Eine offensive Begegnung.

Ein Jahr später allerdings, Kontrastprogramm, bewies Thomas Häßler dann, dass man den Dschungel auch einfach ertragen, über sich ergehen lassen kann, ohne Anstalten oder Ambitionen. Dort ausharren, als wäre es doch nur Pfahlsitzen in einem Shoppingcenter.

Dabei war Häßler von großen Erwartungen begleitet ins Camp eingezogen, der erste Weltmeister in Australien, der bisher größte Name. Von allen immer noch Icke genannt.

Einer, bei dem die Leute hellhörig wurden und unmittelbar die alten Fragen stellten, darin zu gleichen Teilen Sorge und Schaulust, Neugier und Nostalgie.

Hat er das nötig, braucht er das Geld? Warum, zur Hölle, macht er das sonst? Tragisch, oder? Ausgerechnet er.

Uns Icke, der deutsche Dribbler. Das seit jeher öffentliche Nachbarskind.

Ich bin jetzt fünfzig, entgegnete Häßler diesen Leuten schon bald, wenn ich morgen überfahren werde, habe ich mein ganzes Leben nur Fußball gemacht. Und dann?

Icke, so schien es, suchte plötzlich nach Sinn. Und deshalb auch eine noch mal ganz neue Herausforderung. Er wollte ins Fernsehen. Und hatte dafür auch schon geübt, bereits erste Schritte gewagt. Erst bei Let’s dance, gute Noten und reichlich Applaus. Icke, Parkettprofi. Noch mal kesse Sohlen. Und später bei Vox, in einer Spielshow, die Ewige Helden hieß und den tränenreichen Rückblick mit schweißnassem Wettkampf verband.

Dort war er, so erzählte Häßler der BILD, auf einen anderen Geschmack gekommen und wollte das Abenteuer Australien jetzt unbedingt mitnehmen. Der Dschungel als tropischer Tapetenwechsel, als Möglichkeit eines Comebacks. Denn Weltmeister, klar, ist man für immer. Aber Häßler hatte nach der Karriere im Fußball nie wirklich Fuß gefasst, dieses Kind der Bundesliga, es war der Bundesliga irgendwann abhandengekommen, klassisch ins Abseits geraten.

In seiner Heimat Berlin verdingte er sich seit einigen Monaten als Cheftrainer eines Bezirksligisten. Club Italia, da immerhin schwang die Vergangenheit noch mit, das klang nach römischen Sommern. Aber sonst war nicht viel übrig.

Häßler war vor allem Erinnerung. Und kam auch deshalb mit sehr viel Anlauf in den Dschungel. Von Beginn an Liebling der Fans, schoss er mit 28 Prozent Zustimmung gleich auf Platz eins, Topfavorit.

Bald jedoch tauchte er ab, hing meist wie ausgestopft in seiner Hängematte, sprach dabei wenig und rauchte sehr viel. Ein Phantom.

Der größte Langweiler am Lagerfeuer, schrieb die BILD.

Und die Zuschauer wunderten sich.

Was ist eigentlich mit Icke los? Ist ihm das alles zu viel, oder ist es ihm schlichtweg egal? Ist er womöglich zu groß oder doch eher zu klein für die Show?

Dann aber gab Anke Häßler der BUNTE ein Interview, in dem sie freimütig einräumte, dass sie es war, die ihren Mann zum Dschungel überredet hatte.

Thomas wollte eigentlich nicht, sagte sie, aber ich fand das eine gute Idee.

Anke Häßler, sie hatte ihren Mann bereits aufs Parkett gestoßen, sie war die Frau hinter der Fernsehkarriere, sie ließ Icke tanzen. Und benutzte jetzt all jene Signalwörter, die Häßler nur wenige Tage zuvor in die Blöcke der Reporter gedrückt hatte, die schönen Survival-Sätze, dieses ganze Jack-Wolfskin-Vokabular der vermeintlichen Vorfreude.

Der Dschungel als Herausforderung, als Aufgabe, an der man wächst.

Der Dschungel als Abenteuer.

Nach Australien kommt man ja auch nicht alle Tage.

Anke Häßler, Souffleuse. Ganz offensichtlich treibende Kraft.

Und trotzdem, auch das lernte der Leser in diesem Gespräch, hatte ihr Mann damals drei Wochen gebraucht, bis er sich eine Zusage abringen konnte. Wobei sicher auch das Honorar geholfen haben dürfte, angeblich ließ sich RTL die Anwesenheit des Weltmeisters 100 000 Euro kosten.

Der Dschungel, eine wirklich gute Idee.

Für Anke Häßler, für die Haushaltskasse vor allem.

Am Ende allerdings verriet sie der Illustrierten dann noch den vermeintlich echten Grund für die Antriebslosigkeit ihres Mannes.

Er will gar nicht Dschungelkönig werden, sagte sie da, das wäre das Schlimmste für ihn, immer so genannt zu werden.

Der Weltmeister, er war also gar nicht gekommen, um den Titel zu holen.

Der Weltmeister, so spielte er auch. Aktionen nur im Augenwinkel, eine Heatmap der Lustlosigkeit.

Ich habe keinen Bock auf den Scheiß, ließ er seine Mitbewohner irgendwann wissen.

Ansonsten starrte er, sprach noch weniger und rauchte noch mehr.

Nur einmal, nachdem der Sender zur Strafe die Zigaretten rationiert hatte, machte er sich deutlich bemerkbar.

Wenn wir heute keine mehr kriegen, erklärte er da, dann räum ich hier auf, dann scheiß ich denen vor die Kamera.

Icke am Zug, ein Nikotin-Napoleon im selbst gewählten Exil. Es war sein einziges Highlight.

Er hatte sich als Attraktion verweigert.

So saß er dann dort. In einer knallroten, ärmellosen Fleecejacke, die er wie eine Rettungsweste am Körper trug. Thomas Häßler, als wäre er im Dschungel gestrandet, ein Schiffbrüchiger der eigenen Biografie. Einsam unter Maden und Marc Terenzi. Und man hätte ihm in diesen Stunden so gern einen Fußball in die Hängematte gelegt.

Einen Freund aus Leder, dem er ein Gesicht und einen Namen hätte geben können.

Denn am Ende des Dschungels überwog tatsächlich das Mitleid, da schafften es vor allem die schlimmen Szenen in die Schlagzeilen.

Thomas Häßler am Glas, das Gesicht gerötet. Prüfungsstress im Unterhemd. Icke, schon sichtlich gezeichnet. Ein Mann, der, leicht nach vorne gebeugt und nur mit einem Strohhalm zwischen den Lippen, verzweifelt versuchte, pürierte Fischabfälle aus einer Schüssel in einen Becher zu füllen und dabei immer wieder mit den eigenen Reflexen kämpfte, auf Biegen und Brechen, mit Hängen und Würgen, bis er kleinlaut kapitulierte.

Geht nicht mehr, sagte er da. Ich muss kotzen. Tut mir leid.

Es war ein Ringen, das schon beim Zuschauen schmerzte. Eine Demütigung auch, der für alle gut sichtbare Tiefpunkt.

Vor allem das dazugehörige Foto, schrieb die WELT tags darauf, blieb vielen im Hals stecken wie ein Kloß.

Das Ende einer Legende, titelte die BILD.

Und sprach damit aus, was viele dachten.

Die Fans von früher, die Freunde von einst.

Denn Icke und der Ekel, das fühlte sich falsch an. Der Weltmeister und der Dschungel, das passte einfach nicht zusammen.

Thomas Häßler, immer wichtig im weißen Trikot, hatte Deutschland nach Italien geschossen und dann, 8. Juli 1990, im Olympiastadion von Rom zwischen Brehme und Matthäus gestanden, Arm in Arm mit Völler und Buchwald gefeiert. Ein Held, im Glanze dieses Glückes.

Jetzt saß er neben Kader Loth. Und gehörte dort nicht hin.

Holt ihn da raus, flehten die Fans. Dann meldeten sich auch die einstigen Kameraden zu Wort.

Icke tut mir ein bisschen leid, sagte Buchwald.

Es stimmt mich ein wenig traurig, sagte Matthäus.

Aber Icke blieb drin. Und kam danach nie so richtig zurück. Später machte er noch Werbung für Wettanbieter und Haartransplantationen.

Ein Handelsreisender, in Halbzeitpausen gefangen.

Hartwig, Legat und Aílton. Immel und Icke. So waren sie hineingeraten, in diesen Fleischwolf am Ende der Verwertungskette. In die Deutungsmaschine, wie der große Roger Willemsen den Dschungel einst genannt hatte. Die Show als Fernsehfabrik, die ihre Kandidaten vorne ansaugt, ordentlich durchkaut und hinten wieder ausspuckt. Gnadenlos effizient. Sie kann Karrieren zerstören. Und zerstörte Karrieren wieder zusammenfügen.

Der Dschungel, so ist er Gnadenhof für die einen. Und Auffangstation für die anderen. Die Schwervermittelbaren dort, sie beißen und kratzen. Und hoffen doch, dass noch mal einer kommt und sie mitnimmt. Ihnen ein Zuhause gibt, auf einer Couch im Frühstücksfernsehen vielleicht oder bei Andrea Kiewel im Garten. Das gute Ende, nach schlechten Zeiten. Erst die Kotzfrucht, dann das Paradies.

Der Dschungel ist Sprungbrett oder Endstation. Rock ’n’ Roll oder Rock Bottom, Rückenwind oder Fußfessel.

Start oder Finish.

Down Under, das ist ja schon ganz unten.

Weshalb es von dort auch wieder los, mit großen Schritten bergauf gehen kann. Dann war das Camp lediglich Durchgangsstation, die nötige Delle, der vielleicht heilsame Umweg im Lebenslauf.

Es kommt halt nur drauf an, was man draus macht.

Jimmy Hartwig, zum Beispiel, hatte sich irgendwann zurückgekämpft, in ein neues Leben geackert, es tatsächlich ans Theater geschafft. In Leipzig, wieder unter Thomas Thieme, spielte er den Woyzeck. Dort probte er die Ohnmacht des Idioten, dort lernte ich ihn kennen, im Oktober 2009. Zwei Jahre zuvor war der Krebs zurückgekehrt, diesmal im Kopf, aber Hartwig hatte einfach weitergemacht.

Jetzt kam er unmittelbar von der Bühne, die schweren Stiefel noch an den Füßen, den Soldaten noch in jeder Bewegung, das weiße Hemd nass von der Anstrengung, er tropfte auf die Kacheln der Kantine. Ein Mann im Schweiß der nächsten Neuerfindung, wieder mit vollem Körpereinsatz. So begann ein Gespräch über die Angst vor dem Krebs, die Kraft des Theaters und, selbstverständlich auch das, über seine Zeit in Australien.

In den Dschungel, erzählte er mir irgendwann mittendrin, bin ich damals gegangen, weil ich das Geld brauchte. Wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst, nimmst du halt, was du bekommst. Heute ekel ich mich dafür vor mir.

Dann musste er zurück auf die Bühne.

Es sollten fünf Jahre vergehen, ehe wir uns erneut begegneten. 2014 aber, eine Woche vor Beginn der Weltmeisterschaft, reisten wir gemeinsam nach Brasilien, besuchten die Copacabana in Rio de Janeiro und Interlagos in São Paulo. Hartwig war gerade Integrationsbotschafter des Deutschen Fußballbundes geworden, Amt und Würden, und strotzte vor Kraft. Im Schatten der Christus-Statue, immer selbst gern Erlöser, stimmte er die Nationalhymne an und wurde von deutschen Touristen erkannt, zwischen den Hütten einer Favela kaufte er sich einen übergroßen, meterhohen, grün und gelb gestreiften Zylinder, wie ihn sonst nur die Katze mit Hut tragen würde, irgendwann folgte ihm ein buntes Rudel lachender Kinder.

Jimmy Hartwig, Menschenfänger vor allem.

In Inning, Kleinstadt am Ammersee und seit einigen Jahren Hartwigs Heimat, kümmerte er sich später auch um eine Handvoll Jungs aus Afghanistan und Eritrea. Neuankömmlinge, die mit ihren Familien in Containern lebten.

Hartwig spielte Fußball mit ihnen.

Dort traf ich ihn auch, zum bisher letzten Mal.

Im Schatten einer Turnhalle.

Servus, sagte er da. Und aleikum salaam. Trug ein Deutschlandtrikot, sprach ansonsten mit den Händen, eine große Umarmung.

Jimmy Hartwig hat ja diese Alfred-E.-Neumann-Zahnlücke, weshalb es ihm oftmals auf verblüffende Weise gelingt, durch die Vorderzähne zu lachen, was immer gleich einen leichten Pfeifton erzeugt.

In Inning damals lachte er viel, lachte und pfiff.

Und die Jungs lachten auch, lustiger Typ, dieser Jimmy.

2019 wurde ihm die Bayerische Staatsmedaille verliehen, für seine sozialen Verdienste. Hartwig, das kann man wohl sagen, hatte seine Rolle, seine Bestimmung wohl auch, ganz woanders gefunden.

Eike Immel und Aílton hingegen kamen nicht weit. 2015 standen sie gemeinsam in Hürth-Efferen, da wollten sie noch einmal in den Urwald.

Ich bin ein Star – lasst mich wieder rein.

So hieß diese Sendung, von RTL als Großstadtdschungel beworben. Ein Hallenturnier, Aufzeichnungen aus dem Sommerloch.

Immel und Aílton, dort mussten sie dann, in sogenannten Städtemissionen, gegen die anderen Kandidaten bestehen, ebenfalls Ehemalige. Peter Bond und Melanie Müller. Kotzfruchtqualifikanten, die meisten schon wieder vergessen. Und schließlich auch Fragen zur eigenen Staffel beantworten, wobei jeder Fehler mit einer Schlammdusche bestraft wurde und der Ausgang der Spiele keinerlei Auswirkungen auf das Endergebnis hatte. Weshalb Australien, dort in den Studios, also gleichzeitig sehr nah, aber doch unerreichbar weit weg war. Irgendwann musste sich der Wendler von einem Kran abseilen. Und schlug dabei, schlecht gesichert und ungebremst, auf den Boden. Ein Sinnbild, zum Einrahmen. Denn mehr muss man über diese Show, diesen Unfall im Abendprogramm, gar nicht wissen. Eike Immel und Aílton, chancenlos vor den Toren Kölns, das war natürlich auch der finale Offenbarungseid.

Am Ende wurden sie von Brigitte Nielsen besiegt.

Am Ende blieb ihnen die Rückkehr versagt.

Thorsten Legat wiederum, der in seiner Karriere für den VfL Bochum, Werder Bremen, Eintracht Frankfurt, den VfB Stuttgart und Schalke 04 gespielt hatte, ist nach dem Dschungel einfach geblieben und direkt ins Fernsehen gewechselt. Er hat sich verpflichten lassen, ist seit 2016 im Grunde immer irgendwo dabei. Auf Sendung, wie er sagen würde. An Talkshow-Tischen, in großen Hallen, nervös am Gameshow-Buzzer.

Sommerhaus der Stars.

Die Sommerspiele.

The Wheel.

Thorsten Legat, TV-Gesicht jetzt, als hätte er vor bald acht Jahren einen Vertrag bei RTL unterschrieben, wobei ihn die Kollegen aus Köln auch immer wieder gerne an den großen Rivalen aus München verleihen, meist an Joko & Klaas, die ihn dann grinsend um die Welt schicken, damit er an entlegenen Orten enthemmte Duelle bestreitet.

Thorsten Legat, im Auftrag der Gaudi. In Gloucestershire etwa sollte er sich einen Hügel herunterstürzen, um einen etwa 4 Kilogramm schweren Käselaib zu fangen, bei 45 Grad Neigung, man konnte durchaus sterben dabei. Und in Sibirien, Backpfeifen-WM in Krasnojarsk, ordentlich Schellen kassieren, auch die andere Wange in den Wahnsinn halten.

Dazwischen stand er in den Dolomiten, 2800 Meter hoch auf einem schmalen Felsen, der Gipfel kaum breiter als ein Handtuch, und versuchte, mit den Füßen einen Ball hochzuhalten, wieder Jonglage am Abgrund.

Die Herausforderungen natürlich jedes Mal maßgeschneidert auf seinen noch immer sehnigen Körper. Auch wenn er nicht jede annehmen konnte, ihn mitunter der Mut verließ. Mal machte er die Faust und zog durch, mal zuckte er noch und verweigerte sich.

Vor allem aber lieferte Legat verlässlich den von ihm erwarteten Text. Die harten Bilder dazu. Schließlich ist er, keine Frage, der ideale Kandidat. Ein Adrenalinjäger, ein Süchtiger auch, der sich ständig messen muss, am liebsten mit der eigenen Schwäche. Und hätte man ihn in all den Jahren mit der Aufgabe, immer einen Liegestütz mehr zu machen als er selbst, in einen Raum gesperrt und in diesen Raum noch eine Kamera gestellt, Schlag den Star – die Solo-Show, es wäre ganz sicher auch ein abendfüllendes Format geworden.

Denn Legat ist Kahns Leitspruch als Mensch.

Weiter, Thorsten! Immer weiter!

Mr. Kasalla, so heißt er im Sender. Thorsten Legat, so hat er dem Fernsehen wirklich alles gegeben. Immer das volle Programm, ohne Rücksicht auf Verluste. Auch über die eigenen Grenzen hinaus.

Im Juni 2022 dann, der nächste Stunt, war er während der Proben für das große RTL-Turmspringen bei einem Sprung vom Dreimeterbrett so unglücklich auf dem Wasser gelandet, dass ihm der Aufprall den Hoden zerrissen hatte.

Das Ei wird Mitte August entnommen, erklärte Legat hinterher, hörbar erschüttert.

Auf eine Klage verzichtete er jedoch, ließ sich vom Sender stattdessen weitere Auftritte zusichern, Drehtagessätze. Thorsten Legat, auch die Rückkehr im Sack.

Die Kameras, war in den Tagen danach in den Zeitungen zu lesen, werden ihn nicht nur zur Hoden-OP begleiten, auch im Dschungelcamp will er künftig eine größere Rolle bekommen.

Eine Nachricht, die am Ende ein bisschen nach Drohung klang. Thorsten Legat, so scheint es, wird den Dschungel nicht los. Aber vielleicht ist es auch umgekehrt.