Epilog

 

Zwei Stunden später

 

Er wachte auf und hob die nun leere Hand. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war die Pistole, die er auf Jack gerichtet hatte.

Nein, dachte er, und riss sich die Kevlarweste vom Kopf, das kann nicht sein.

Günther erinnerte sich langsam an das, was zwischen jetzt und vorhin geschehen war, und es machte ihn wütend. Der Amerikaner hatte sich als würdiger Gegner erwiesen, was ihn nicht hätte überraschen sollen. Seiner Schwester zufolge hatte er schließlich in einer Antiterroreinheit gekämpft. Soldaten aus Spezialeinheiten waren nicht nur in sämtlichen Kampfszenarien erprobt, sondern außerdem extrem gerissen. Das hatte Jack mehr als einmal bewiesen.

»Emma!«, krächzte er laut. Sein Hals war trocken.

Keine Antwort.

Langsam stand er auf und fühlte sich dabei wie in einem Flugzeug mit Turbulenzen. Der Druck auf seinem Gehirn war unerträglich und seine Ohren schienen verstopft.

Eine Gehirnerschütterung.

Jeder Schritt glich einem Hammerschlag gegen seine Schläfen. Vergeblich versuchte er, den Schmerz wegzublinzeln. Er brauchte dringend Ruhe und einen anständigen Wodka.

»Emma?«

Er und seine Schwester mussten abhauen und den Plan überdenken. Die Mission war desaströs gescheitert. Die einzig kluge Entscheidung war, sich zurückzuziehen und es später noch einmal zu versuchen. Immerhin hatten sie nun die Existenz des Schatzes bestätigt. Das nächste Mal würden sie von der anderen Seite anfangen und Auschwitz außen vor lassen.

»Und nächstes Mal werde ich Jack Reilly persönlich umlegen.«

Von dem fehlte jedoch jede Spur.

Was würde ein einfacher Mann in so einem Fall tun?

»Nach Hause gehen«, beantwortete Günther seine eigene Frage und trat vorsichtig auf.

Vielleicht finde ich raus, wo er wohnt.

Bei jedem Schritt klärte sich der Schwindel etwas, wenn auch nicht der Schmerz. Aber damit käme er schon klar.

So wie Jack.

Bis heute war Günther nicht bewusst gewesen, dass ein Mensch so viel Schmerz aushalten konnte. Er stolperte dem unerkundeten Tunnelausgang entgegen und folgte der Spur aus Knicklichtern, bis er irgendetwas neben den Gleisen liegen sah. Das war nicht Jack, und irgendwie hatte er das schon im Gespür gehabt.

»Nein, nein, nein …«, murmelte er und rannte zur Leiche. Sobald er den blonden Schopf sah, wusste er, dass es seine Schwester war. »Emma, nein!«

Der Anblick brach ihm das Herz. Emma war sein Ein und Alles, sein Grund zu leben. Nur dank der Zielstrebigkeit und Leidenschaft seiner kleinen Schwester hatte er sein Wutproblem und den Alkoholismus in den Griff bekommen. Nachdem sie ihn vor drei Jahren aus dem Knast geholt hatte, hatte er die Entscheidung getroffen, sich neu auszurichten und sich ihren Zielen anzuschließen. Emma wollte die ganze Welt.

Tränen liefen ihm übers Gesicht. Ohne irgendjemanden in der Nähe beweinte er den Tod seiner Schwester laut und ungeniert. Dann blickte sich Günther um und realisierte, dass der Schatz nun ihm allein gehörte, wenn er Anspruch darauf erhob.

»Nein«, sagte er und konzentrierte sich wieder auf seine tote Schwester.

Unendlicher Reichtum war nicht seine oberste Priorität – nicht mehr. Jetzt wollte er nur noch Rache. Er wollte Jack Reillys Kopf. Die Vorstellung, ihn zu töten, entlockte Günther ein Lächeln. Plötzlich fiel ihm etwas ein. Er hob den Kopf und sah den Schatz an, dann blickte er wieder zu Emma.

Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen.

Günther würde ein wenig Gold, zumindest soviel er tragen konnte, dazu verwenden, um sicherzustellen, dass der amerikanische Hund auf die grausamste Art starb, die man sich vorstellen konnte.

Schwer atmend erhob er sich und knurrte.

»Ich komm dich holen, Jack. Ich komm dich holen …«