Jan Rohls

„Carolus Stuardus“ – Religion und Politik in Gryphius‘ Trauerspiel

Abstract The trial of the Stuart Charles Ist was not only a political drama but had also an immense religious significance. It was the first time that a king was not just murdered but sentenced by a court of justice despite the fact of his being a king by divine right. Very soon after the death of Charles, Gryphius wrote his tragedy “Carolus Stuardus” in which he takes the side of the king against Cromwell and his supporters.

Ein Jahr nach der Hinrichtung Karls I. schloss Andreas Gryphius sein Trauerspiel „Ermordete Majestät oder Carolus Stuardus, König von Groß Britanien“1 im März 1650 ab. Dem Trauerspiel vorangestellt ist ein lateinisches „Epitaph für Cromwell“, auf dem der Lord Protector als Tyrann bezeichnet wird. Auf seinen Befehl hin sei Großbritannien gesunken, und Zepter und Krone habe er, der durch Verbrechen geadelte Engländer und Schlechteste der Verdorbenen, dem Schwert unterworfen.2 Gryphius spielt auf die verschiedenen Gruppen der politischen und religiösen Opposition an, wenn er sagt: Als „von überall unter den Inselbewohnern Scharen hervorbrachen,/ Schloß er sich den Gruppen Übelwollender an/ Und wagte es, den Purpur zu bekämpfen,/ Den zu verteidigen rechtens gewesen wäre“3. Wegen seiner militärischen Erfolge habe Cromwell bei seinen Anhängern als vom Schicksal begünstigt gegolten, während er doch in Wirklichkeit die Grundfesten Englands erschüttert habe. Weil er als Führer der Independenten nicht gleichzeitig gegen alle anderen Häupter vorgehen konnte, habe er den König angegriffen, von dem alle abhingen. Er, der Schuldige und deshalb der eigentliche Angeklagte, habe den Unschuldigen, den Monarchen, angeklagt und verurteilt, der Sklave seinen Herrn dem Schwert unterworfen, um sich dann selbst die Maske des Protektors des Staates aufzusetzen. Cromwell ist für Gryphius der Inbegriff des tyran←67 | 68→nischen Usurpators, der die göttlich sanktionierte Ordnung umkehrt. Er habe die Frömmigkeit mit Frevel, den Ölzweig des Friedens mit dem Schwert und die Gerechtigkeit mit Gewaltherrschaft verwoben. Er trat „die Königswürde/ Und was auch immer zum Purpur gehörte/ In unerhörter Raserei auf dem Thron der Stuarts in den Staub,/ Während die rechtmäßigen Erben unwürdig im Exil waren.“4 Gemeint sind mit den legitimen Erben die im Exil auf dem Kontinent lebenden Kinder Karls, die nach der Restauration der Monarchie als Karl II. und Jakob II. den englischen Thron bestiegen. Statt ihrer umgebe sich der Usurpator Cromwell mit den angemaßten Reichsinsignien und maskierten Reichsschauspielern, darunter auch Repräsentanten christlicher Fürsten, während die Rächer des ermordeten Königs sich verflüchtigten. Am Schluss des Epitaphs fordert Gryphius den Leser dazu auf, mit ihm in stummem Schrecken zu seufzen: „Der König starb durch Meuchelmord, aber durch einen schlichten Tod der Tyrann.“5

In der zweiten Fassung beginnt das Trauerspiel mit einem neu hinzugedichteten Akt, der aufgrund von jüngeren Quellen, die Gryphius inzwischen zu Rate gezogen hatte, die Rolle von Thomas Fairfax in einem neuen Licht erscheinen lässt. Er ist jetzt nicht mehr der bedingungslose Anhänger Cromwells, sondern derjenige, der sich dem Wunsch seiner Gemahlin nach einer Rettung des verurteilten Königs nicht verschließt. Fairfax war der kommandierende General des 1645 neu geschaffenen Parlamentsheeres, der New Model Army, zu deren Erfolg im englischen Bürgerkrieg nicht zuletzt Cromwell mit seinen Ironsides beitrug. Zwar unterstützte er die Politik Cromwells, trat aber vom Vorsitz des Gerichts, das den König wegen Hochverrats verurteilen sollte, zurück, als er erkannte, dass das gegen ihn eingeleitete Verfahren auf seine Hinrichtung hinauslief. Nachdem er 1650 sein Amt als Befehlshaber der Truppen in England und Irland niedergelegt hatte, zog er sich für einige Jahre aus der Politik zurück, um dann aber 1660 als Parlamentsabgeordneter maßgeblich an der Restauration der Monarchie beteiligt zu sein. Er gehörte zu jenen Delegierten, die Karl II. aus seinem holländischen Exil nach England heimgeleiteten. Im ersten Akt des Trauerspiels, das Gryphius mit eigenen Anmerkungen versehen hat, versucht die ehrgeizige Gemahlin des Fairfax, die Enthauptung des Monarchen vor seinem Palast in Whitehall zu verhindern, indem sie an die Großmut ihres Gatten appelliert. Er möge doch Gnade walten lassen und den Kerker öffnen. Doch Fairfax lehnt den Vorschlag, auch wenn er zugesteht, dass er aus „hochgesinnten Sitten“ seiner Frau kommt, mit der Begründung ab, dass andernfalls er selbst auf jenem Gerüst enthauptet←68 | 69→ würde, das für den König aufgebaut werde. „Wird Cromwel Stadt und Land und Reich nicht auff mich hetzen?/ Wird nicht das Vnterhauß sich grimmigst widersetzen?“6 Zwar räumt die Gattin ein, dass Karl die Krone mit Recht verloren habe, aber sie möchte ihm das Exil in einem Nachbarstaat gönnen und erinnert Fairfax an die Bitte des Vaterunser, Gott möge uns so vergeben, wie wir unsern Schuldigern vergeben. Wenn er, Fairfax, nämlich jetzt nicht vergebe, könne er selbst schwerlich auf die Gnade Gottes hoffen. Der dahinter stehende Ehrgeiz der Gattin wird allerdings offenkundig, wenn sie ihrem Gemahl erklärt: „Doch ist des Königs Heil hir nicht mein höchstes Zil;/ Sein eigen Ruhm und Ehr ists was von ihm ich wil“7. Die Befreiung des Königs verbindet sich für sie mit der politischen Karriere ihres Gatten, und sie gibt ihren Plan trotz seiner abweisenden Haltung nicht auf.

Kaum dass sich Lady Fairfax entfernt hat, betreten mit Daniel Axtel, Wilhelm Hewlet und Hugo Peter drei Obristen die Bühne. Peter wird von Gryphius zugleich als Geistlicher und Begründer der Independenten, Hewlet als der Mörder des Königs vorgestellt. Peter sei – so Gryphius in seinen Anmerkungen zum Stück – in Rotterdam und dann in Neuengland gewesen8. Tatsächlich war Hugh Peter für einige Zeit Pfarrer der englischen Gemeinde in Rotterdam und ging 1635 nach Boston, wo er eine Pfarrstelle in Salem übernahm. Sein steiler Aufstieg begann 1641, als er nach England zurückgekehrte und im Bürgerkrieg unter Fairfax und Cromwell als Armeegeistlicher die Soldaten durch seine Predigten anfeuerte und auch selbst militärische Aufgaben übernahm. Als Independentist stand er Cromwell besonders nahe und scheint auch derjenige gewesen zu sein, der ihm die Hinrichtung des Königs empfahl. Nach dem Ende des Protektorats wurde er gleich zu Anfang der Restauration 1660 hingerichtet, unter anderem weil er „mit Cromwell gerathschlaget/ wie der König vor Gericht moechte gebracht und enthauptet werden“9. Daniel Axtell, ein Baptist, der gleichfalls der New Model Army angehörte, wurde aus demselben Grund wie Peter hingerichtet, während William Hewlett, obwohl man ihn verdächtigte, „den toedlichen Mordschlag begangen“ zu haben, zwar angeklagt wurde, aber überlebte. Gryphius schließt sich jedenfalls der Auffassung an, dass Hewlett der Henker des Königs gewesen sei. Peter rühmt ihn am Vorabend der Hinrichtung als den Samuel, der „Gottes Richt-Axt“ schwingen und die Kir←69 | 70→che Christi dadurch retten werde. Axtel erwähnt die Belohnung des Staatsrats, die nicht nur in einer Geldzahlung, sondern auch in einer Beförderung bestehe. Schließlich bekennt Hewlett selbst, dass ihn ein innerer Trieb zu dem „durchlauchten Wercke“ der Hinrichtung treibe. „Ich schaetz‘ es hoch/ daß ich vor Reich/ Kirch/ und Gemein// Bey dem Schuld-Opfer sol der hohe Prister sein.“10 Die Enthauptung des Königs wird von den radikalen Puritanern nicht nur theologisch überhöht, sondern auch als Befreiung von der „eigen Herrschafft“, das heißt dem absolutistischen Regiment der Stuarts, gedeutet. Die drei an der Hinrichtung Beteiligten überlegen auch genau, wie man vermeiden kann, dass der König sich gegen seine Enthauptung sträubt. Auch wollen sie den Richtblock besonders niedrig halten, um dem königlichen Opfer zu zeigen, wie tief er gefallen sei. Der erste Akt endet mit dem Chor der ermordeten englischen Könige, der Gott mit der Frage konfrontiert, wie lange er denn zusehen wolle, dass sein heiliges Recht dadurch, dass Fürsten, die er doch als seine irdischen Stellvertreter und Gesalbten eingesetzt habe, ermordet werden, verletzt wird. Hier werde die von Gott aufgerichtete Ordnung umgekehrt: „Da über Herren spricht ein Knecht!// Da was der Vnterthan verbrochen// Wird durch des Fürsten Mord gerochen.// Des Fuersten/ dessen hoechste Schuld/ Kein ander/ als zu vil Geduld!/ Wird diß mit Wolthun noch beschoenet?/ Heist daß nicht Recht und Gott verhoenet!“11 Zwar seien früher schon zahlreiche englische Monarchen ermordet worden, aber völlig neu sei es, dass man einem König einen Gerichtsprozess mache und ihn zum Tode verurteile. Es ist der Anschein des Rechts, an dem der Chor Anstoß nimmt.

Zu Beginn des zweiten Aktes erscheinen die Geister von Strafford und Laud. Thomas Wentworth gehörte seit 1628 dem engeren Beraterkreis Karls I. an und wurde von ihm zum Lord-Statthalter von Irland und 1640 zum ersten Earl of Strafford ernannt. Er wurde ein Opfer des sich verschärfenden Konflikts zwischen Parlament und König, auf Druck des Parlaments von Karl fallengelassen und 1641 wegen Hochverrats hingerichtet. Vier Jahre später ereilte William Laud, seit 1633 Erzbischof von Canterbury, nach fünfjähriger Haft im Tower dasselbe Schicksal. Laud war aufgrund seiner katholisierenden Tendenzen im Ritus, seiner Verteidigung des Episkopalsystems der Staatskirche und seines Arminianismus ein Feind der calvinistischen Puritaner im Long Parliament. Der Geist Staffords wird bei Gryphius durch die Vorbereitungen zur Hinrichtung des Königs aufgeschreckt. Er denkt zurück an seine eigene Hinrichtung, als er auf dem „rauen Mord-Altar“←70 | 71→ für den Pöbel „geopffert“ wurde. An Gott gewandt bekennt er: „Ich sanck durch dich gestaerckt/ unzaghafft auff die Knie// Dein letztes auff der Welt/ war meines: ich verzih‘.“12 Damit spielt er auf Lk 23,34 an, wo Jesus vom Kreuz herab spricht: „Vater vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Selbst die Kanzel sieht Stafford zur antimonarchischen Propaganda und zur Ketzerei missbraucht. Der Geist des Erzbischofs pflichtet ihm bei, glaubt durch seine Verurteilung das Kirchenrecht in den Staub getreten. Sie sei nur auf den Ehrgeiz dessen zurückzuführen, der an seiner Stelle Haupt, Hirt und Bischof habe sein wollen. Gryphius erklärt in seinen Anmerkungen, dass sich dies auf Hugh Peter beziehe, der von Salmasius als Anführer der Independenten bezeichnet werde13. Für Laud stellt sich die Lage der englischen Kirche so dar, dass man zunächst die episkopale durch die presbyteriale, die Bischöfe durch die Ältesten ersetzte, die man aber schließlich mit dem Siegeszug des Independentismus auch verdrängte. „Vnd man setzt an unser Stat/ Aeltesten der Kirchen vor// Die man gehoert mit taubem Ohr.// Die man verdrang/ nun lehrt und lernt ein jder// Vnd dichtet neue Schwaerm‘ und baut und bricht es wider// Die Herde geht zustreu’t und irr’t in hoechster Noth;// Wie wenn der Wolff einreist/ und Hirt und Waechter tod.“14

Stafford erklärt die Hinrichtung Lauds als Belohnung der Schotten für ihre Unterstützung des Parlaments gegen den König. Zwar beruhe die Feindschaft des schottischen Adels gegen Karl auf der berechtigten Furcht, dass er die unter seinem Vater Jakob I. vollzogene Übertragung der säkularisierten Kirchengüter an ihn wieder rückgängig machen wolle. Aber um das Volk für seine Sache zu gewinnen, habe der Adel als eigentlichen Grund seines Vorgehens gegen den englischen Monarchen dessen Absicht vorgeschoben, die englische Kirchenordnung mit ihrem katholisierenden Ritus in Schottland einzuführen und die presbyteriale durch die bischöfliche Verfassung zu ersetzen. Letztlich solle Schottland zu einer bloßen Provinz Englands degradiert werden15. Bevor die beiden Geister von der Bühne verschwinden, sieht Laud bereits das gerechte Schicksal voraus, das die Königsmörder ereilen wird. Zwar übernimmt der von Cromwell als sein Nachfolger vorgesehene Sohn Richard noch nach seinem Tod 1658 das Amt des Lord-Protectors, aber da er sich weder im Volk noch in der Armee durchsetzen kann, dankt er bereits ein Jahr später wieder ab und ermöglicht so die Restauration der ursprünglichen Herrschaft von Parlament und König. Die Rache – so die Worte Lauds – zerbricht den „falschen Stul und angemasten Stab“, das heißt die←71 | 72→ Herrschaft des Lord-Protectors, und das aufgebrachte Volk verwüstet das Grab Cromwells, dessen Leichnam mit den Königsmördern aufgehängt wird. „Da henckt sein richend Aaß. Ach Koenig! Ach! Hir brennen/ Die Hertzen die dich itzt aus Rasen nicht erkennen./ Schau Wentwortt! Wie das Beil in diser Leiber wuett/ Die wider Laender Recht und wider Voelcker Sitt/ Geschlossen Carols Tod. Man schleifft zu letzten Schmertzen/ Was sich vor unterstund mit unserm Blut zu schertzen./ Vnd Stuards Nachsaß blueht.“ Mit dem letzten Satz spielt Laud auf die Restauration der Stuartmonarchie an, die mit der Heimholung Karls II. aus seinem holländischen Exil beginnt.

Nach Lauds und Staffords Geist lässt Gryphius den Geist Maria Stuarts an Karls Bett im Kerker erscheinen. Maria sieht in der Hinrichtung ihres Enkels den Gipfel der für England typischen Geschichte von Königsmorden erreicht, insofern jetzt „Knechte sich vermessen// Als Knechte wider uns den Richter-Stul besessen// Vnd die/ die keine Macht kennt ueber sich/ als Gott// Der Printzen setzt und richt/ verwisen zu dem Tod“16. Mit der Ermordung Karls sieht Maria insofern eine neue Qualität des Königsmords erreicht, weil mit der öffentlichen Hinrichtung in Whitehall vor dem Banqueting House nach einem Gerichtsprozess der Eindruck der Rechtmäßigkeit des Vorgehens erweckt werden soll. „Sie rasen mit Vernunfft/ sie setzen Richter ein// Es muß ihr Doppelmord durch Recht beschoenet seyn.“17 Karl, der König von England und Schottland – daher der Doppelmord –, dem Maria erschienen ist, hat sich allerdings schon mit seinem Schicksal abgefunden. Sein eigenes Sterben, von ihm selbst als unschuldiges Blutvergießen gedeutet, setzt er in Beziehung zum unschuldigen Kreuzestod Jesu, und vom Londoner Bischof, der ihn im Kerker aufsucht, lässt er sich den weißen Sterbekittel als letztes Ehrenkleid reichen, das er nun gegen den Purpur des Königsgewandes eintauscht. „So weiß wir angethan vom Laeger uns erheben/ So sauber wird der Geist vor Gottes Richt-Stul schweben/ Vnd zeugen wider die/ die mit geschmincktem Schein/ Auff ihres Koenigs Hals selbst Part und Richter seyn.“18 Er, der König, habe bereits allen verziehen und das vergängliche irdische Zepter mit dem unzerbrechlichen der Ewigkeit vertauscht. Als seine beiden jüngsten Kinder Henry und Elisabeth erscheinen, gibt er ihnen letzte Ratschläge mit auf ihren Lebensweg. Die Tochter ermahnt er, ihr Gewissen nicht zu beschmutzen, damit es bei der Auferweckung am Jüngsten Tag rein sei. Das Gift leichter Literatur solle sie meiden und stattdessen „des Höchsten Buch“, das heißt die Heilige Schrift, und theologische Werke←72 | 73→ von Hooker, Andrewes, White und Laud zu lesen, also von Autoren, die dem Puritanismus ablehnend gegenüberstehen. Dem Sohn rät er, die legitime Thronfolge zu beachten und nach seinem Tod den älteren Bruder Karl, den späteren Karl II., als König anzuerkennen. Vor allem aber sollen beide Kinder von ihm die Bereitschaft zur Vergebung lernen.

Aus dem Gespräch zwischen dem radikalen Independenten Peter, dem Obristen Franz Hacker und Hewlett im dritten Akt geht hervor, dass der Scharfrichter sich geweigert habe, die Enthauptung des Königs vorzunehmen. Stattdessen überreicht Hacker Hewlett ein Schreiben des Parlaments, in dem diese Aufgabe ihm übertragen wird. Peter, der die Priester, die vor der Hinrichtung Karls warnen, mit den Juden vergleicht, die die Freilassung des Mörders Barrabas verlangten, sieht in Hewlett den neuen Gideon, der laut Ri 6,32 „Jeru-baal“ genannt wird, weil er den Baalsaltar zerstörte. „Du bists den Gott uns schickt/ Durch dessen Faust er Kirche und weites Land erquickt.“19 Er ist für ihn der neue Jehu, der nach 2Kön 9,24 auf Gottes Befehl hin Joram, den götzendienerischen König von Israel, tötet. Hewlett zeigt sich geradezu entzückt, als Peter ihm das zur Enthauptung vorgesehene Beil überreicht. Der Auftritt von Fairfax macht den zwei Obristen, die noch über eine Rettung des Königs spekulieren, schnell klar, dass der General den Wunsch seiner Gemahlin nicht erfüllen wird, trotz aller Bedenken, die er im langen Gespräch mit Cromwell gegen die Hinrichtung Karls vorträgt. Die Rolle von Lady Fairfax gleicht derjenigen der Frau des Pilatus in der Passionsgeschichte, die Mt 17,19 aufgrund eines nächtlichen Traums ihren Mann bittet, Jesus nicht zu verurteilen, aber mit ihrer Bitte bei Pilatus keinen Erfolg hat. Für Cromwell bedeutet die Hinrichtung Karls den Anbruch der Freiheit, während für Fairfax die Einschätzung des Ereignisses immer ambivalent bleiben wird. Auf Cromwells Satz „Der grosse Tag bricht an der uns wird freye sehen“, antwortet der General skeptisch: „Den aller zeiten Zeit wird loben oder schmehen.“20 Während Cromwell „Kirche und Huetten“, das heißt die Independenten und das Volk, hinter sich glaubt und die Hinrichtung als Tyrannenmord rechtfertigt, wendet Fairfax ein, dass die Priester der Staatskirche sie von den Kanzeln herab verurteilen. Cromwell kontert als gewaltbereiter Politiker und Militär, dass Stahl und Degen dem Wort der Pfaffen überlegen seien und man doch auch schon Bischof Laud habe hinrichten lassen. Zwar seien die Presbyterianer, die „die Kirchenmacht der Eltesten erkennen“, stets die Feinde der bischöflichen Verfassung gewesen, und indem sie sich jetzt von der Hinrichtung des Königs distanzierten, versuchten←73 | 74→ sie nur, sich weiß zu waschen. Das geschehe bloß aus gekränkter Eitelkeit, weil sie inzwischen an Einfluss von den Independenten überholt würden. „Es kraenckt sie daß die Schar der Vngebundnen blueht.“21 Fairfax verweist nicht nur auf das britische Recht, sondern auch auf das Völkerrecht, das es verbiete, Erbkönige zu töten, wogegen Cromwell auf die militärische Macht pocht und sich mit der Verurteilung Karls von seinem Eid auf den König entbunden glaubt. Der Hinweis des Generals auf die Rache der Schotten, denen man das Leben Karls zugesichert habe, fruchtet ebenso wenig wie der auf die „Catten“, das heißt die Holländer, deren Statthalter durch Heirat mit den Stuarts verwandt sind. Wie Cromwell bemerkt, dass auch die Enthauptung der Maria Stuart die ausländischen Fürsten nicht zu einer Racheaktion motiviert habe, entgegnet Fairfax, dass die spanische Armada, die Philipp II. geschickt habe, doch nur dank der ungünstigen Witterungsverhältnisse von den Engländern vernichtet worden sei. Als Peter mit einem Schreiben des Kronprinzen Karl aus dessen holländischem Exil erscheint, in dem er vor der Hinrichtung seines Vaters warnt, hat Cromwell nur Spott für ihn übrig. Allerdings warnt Peter Cromwell vor der Stimmung im Volk, das nach dem Tode Karls sich nach einem neuen Monarchen sehnen werde. Ihr könne man nur dadurch begegnen, dass man gegen alle Anhänger der Monarchie mit Gewalt vorgehe und die Erbmonarchie grundsätzlich in Frage stelle. Als Fairfax den Independenten auf mögliche rechtliche und kirchliche Einwände hinweist, wünscht Peter den Untergang des Juristenstandes mit seinem Pochen auf das Gewohnheitsrecht herbei. „Wir haben Krafft des Sigs/ Macht Satzungen zu stifften;// Drumb weg mit dem was stets fußt auff verfaulte Schrifften!// Der Kirchen-macht ist todt/ wer auff die Inful haelt;// Muckt/ fleucht/ und ist vorlaengst auff Laudts sein Grab gefaellt.“22 Mit der Macht der Kirche ist die Macht der englischen Staatskirche gemeint, und mit der Inful, bei der es sich ursprünglich um die weiße Stirnbinde des römischen Priesters handelt, die Herrschaft des Klerus. Was nach der Hinrichtung Lauds und der Niederlage der Bischöfe noch von der Kirche übrig geblieben sei, habe sich durch Spaltungen selbst zersetzt. Zunächst hätten die „Eltesten“, das heißt die puritanischen Anhänger der Presbyterialverfassung, die „Heer und Volck aus Calidon“, aus Schottland ins Land geholt und den König entmachtet. Doch jetzt schmerze es die Presbyterianer, dass „die Schar die nicht auff Haeubter sihet/ Vnd sich nur selber führt“ – gemeint sind die Independenten – das Ruder an sich gerissen hat und mit der Hinrichtung Karls zum letzten←74 | 75→ Schlag gegen die Monarchie ausholt23. Cromwell plädiert schließlich im Interesse der eigenen Machtsicherung dafür, dass man die „Schrifftling‘ “, also die bibelgläubigen Protestanten, sich untereinander bekriegen lässt, und kündigt an, Karls Sohn den Anspruch auf den Thron zu annullieren.

Als Cromwell und Peter die Szene verlassen haben, Peter, um sich zur Hinrichtungsstätte zu begeben, bekennt Fairfax: „ich schau mit schrecken:/ Wie sich die Boßheit koenn‘ ins Kirchenkleid verstecken“24. Er bezichtigt Peter, das geistliche Amt geschändet zu haben, indem er seine Salemer Gemeinde in Neuengland verließ und sich den königsfeindlichen Kräften in England anschloss. Statt Gottes Wort und seine Friedensbotschaft zu verkünden habe er unter Berufung auf die geistliche Freiheit das Volk von der Kanzel zum Blutbad angestachelt, in Cromwells Heer selbst zur Waffe gegriffen und den König vor das Blutgericht gebracht. Zwar habe er, Fairfax, sich gegen das Todesurteil gegen Karl ausgesprochen, aber die meisten brächten ihn mit dessen Tod in Verbindung. Daher gelangt er zu dem Schluss: „Nein warlich! Bricht man heut des Koenigs Thron und Stab;/ So schmeiß‘ ich aus der Faust den Krigs-Stock bey sein Grab.“25 Tatsächlich legte der historische Fairfax ja bald nach der Hinrichtung Karls sein ihm von Cromwell übertragenes Amt als Befehlshaber der Truppen in England und Irland nieder. Nach dem Monolog des Fairfax lässt Gryphius den Hofmarschall des pfälzischen Kurfürsten Karl Ludwig im Gespräch mit dem holländischen Gesandten auftreten. Karl Ludwig, der Sohn des Winterkönigs und der Schwester Karls I., hielt sich in den dreißiger Jahren am Hofe seines Onkels auf, bevor er nach dem Dreißigjährigen Krieg in die Kurpfalz zurückkehrte, die ihm im Westfälischen Frieden ohne die an Bayern gefallene Oberpfalz zurückerstattet worden war. Seine positive Haltung zum Parlament führte zu einer Entfremdung zwischen ihm und dem König, die bis zum Schluss nicht behoben wurde. Die Hinrichtung Karls, die ihn entsetzte, erlebte er noch kurz vor seiner Abreise nach Deutschland mit. Der kurfürstliche Hofmarschall betont gegenüber dem holländischen Gesandten, dass Karl Ludwig zum Schluss alles ihm Mögliche versucht habe, um den König zu retten, allerdings ohne Erfolg. Er beschwört den Geist Jakobs I., der den gekrönten Häuptern Europas zurufen soll: „Europens Goetter hoeret/ Printz Stuards Seufftzer an! lernt Goetter! Lernt und lehret/ Wie leicht der Thron versinck: Europens Goetter kennt/ Kennt euch und eure Pflicht. Der grosse Nachbar brennt!“26 Doch selbst der schottische Gesandte, der Cromwell vorhält, seinen Eid, den König←75 | 76→ zu schonen, gebrochen zu haben, vermag den Machthaber nicht zur Änderung des Todesurteils zu bewegen. Als der Gesandte ihm erklärt, dass nur Gott das Recht zu strafen habe, wenn ein Monarch ihn beleidige, erklärt Cromwell sich zum Werkzeug Gottes. „Ein Erb-Fürst frevelt Gott/ Gott hat nur Macht zu straffen!“, sagt der Schotte, während ihm Cromwell entgegnet: „Gott führt sein Recht jtzt aus durch unterdrueckter Waffen.“27

Der vierte Akt beginnt mit einem großen Monolog des Königs, der sich an Gott wendet, um ihm seine Todesbereitschaft zu bekunden. Karl hat mit dem Leben abgeschlossen in der Gewissheit, dass seine unsterbliche Seele seine Hinrichtung überleben wird. Glanz und Eitelkeit der Welt werden zwar schwinden, aber „diß was sterblich heist/ wird auff den Schauplatz gehen// Was unser eigen ist wird ewig mit uns stehn“28. Selbst den Brief seines Sohnes Karl, der ihm aus holländischem Exil schreibt, lässt er ungeöffnet, damit er die vor seinem Tod gewonnene innere Ruhe nicht störe. Als man ihn zur Hinrichtung abholt, erklärt er sich zum Leiden bereit. Den Vorwurf der Tyrannei weist er von sich, und seine Mörder bezeichnet er als Wölfe im Schafspelz, als Menschen, die ihren Machthunger hinter der Maske der Heiligkeit verstecken und dem Pöbel auf den Königsthron helfen. Auf Gott als seinen Fels und Schild vertrauend, ruft Karl den Erlöser an und bittet ihn um Vergebung und Beistand. Währenddessen erwartet Peter an der Hinrichtungsstätte den als Wüterich und Barrabas titulierten König. Wie dieser weiß auch er sich in der Hand Gottes. „Dein Allmacht spuer ich/ Herr! Wuerkt itzt zu unserm Heil// Vnd waffnet Straff und Rach mit dem gerechten Beil.// Du gibst der Heilgen Schar Macht Koenige zu binden;/ Vnd Ed’len in die Kett‘ und Fessel einzuwinden.“29 Der radikale Independentist sieht in der Enthauptung des Königs das Vorspiel zum Jüngsten Tags. Der vierte Akt endet mit dem Chor der Religion und Ketzer. Die Religion wendet sich mit der Frage an Gott, warum sie unter grimmigen Drachen wohnen müsse, die sich hinter ihrem Namen verstecken. „Wie lange laest durch mich der Poevel sich verfuehren?// Vnd geht was Boßheit schleust in meinem Namen ein?// Wer itzt die Wehr ergreifft: ergreifft sie mich zu schützen:// So spricht er/ uns steckt Land und Kirchen selber an:// Wenn Zwang/ wenn eigen Sinn/ wenn Auffruhr nicht will nuetzen;// Deckt sie mein Nam/ und Kleid auff den man pochen kann.“30

Die Religion beklagt sich über ihre Instrumentalisierung durch die Aggression, die sich sowohl gegen die etablierte Kirche wie auch gegen die Monarchie richtet,←76 | 77→ und sie bittet Christus, ihren himmlischen Bräutigam, dass sie nicht zur Verklärung des Königsmord gebraucht werde. Doch da erscheinen bereits die Ketzer, die allerdings nicht die Religion selbst, sondern nur ihren Mantel zu fassen bekommen, um den sie sich dann streiten, was zur Folge hat, dass jeder nur einen Fetzen des Mantels bekommt. Die entschwundene Religion aber ruft den Ketzern aus den Wolken zu: „Geht! Geht! Und schmueckt euch aus mit meines Mantel stuecken!/ Ein reines Hertz laest sich durch diese nicht erquicken!/ Es sucht und findet mich in Gott der Warheit ist./ Vnd der ein reines Hertz zum Wohnhauß ihm erkist.“31

Im letzten Akt gleicht Gryphius die Szenen, die den König vor der Hinrichtung zeigen, den Stationen der Passionsgeschichte Christi an. Der gefangene König wird von seinen Bewachern verhöhnt und verspottet, lässt sich aber in keiner Weise provozieren. Ein englischer Graf, selbst Augenzeuge des Geschehens, berichtet dem Hofmeister des pfälzischen Kurfürsten: „Ich schreck‘/ ein toller Bub spie in sein Angesicht.// Vnd blaerrt ihn grimmig an. Er schweigt und acht es nicht.// Ja schaetzt es ihm vor Ruhm dem Fuersten gleich zu werden;// Der nichts denn Spott und Creutz und Speichel fand auf Erden“32. Gryphius bezieht sich damit offenbar auf eine historische Begebenheit und vergisst in seinen Anmerkungen nicht zu erwähnen, dass der Täter der göttlichen Rache nicht entging, sondern kurze Zeit später, als er in der Armee eine Meuterei entfachen wollte, vom Kriegsgericht zu Tode verurteilt und auf dem Kirchhof von St. Paul hingerichtet wurde33. Ansonsten verbringe der gefangene König die Zeit mit inniger Andacht und freue sich mit Juxton, dem Bischof von London, den man ihm zur geistlichen Betreuung beigesellt habe, darüber, „daß sein Erretter lebe/ Der auch was unterdruckt aus Asch und Staub erhebe“34. Gryphius zufolge hat Juxton dem König aus Hiob 19 vorgelesen, Hiobs zweiter Rede an Bildad, die mit den Worten beginnt: „Ihr habt mich nun zehnmal verhöhnt und schämt euch nicht, mir so zuzusetzen“ (Hiob 19,3). Sie gipfelt in dem Bekenntnis: „Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen“ (Hiob 19,25 f.). Mit diesem Bekenntnis verbindet sich bei Hiob die Gewissheit, dass Gott seine Verfolger im Gericht strafen wird. Bei Gryphius wird das Bekenntnis in verkürzter Fassung zitiert, und jene Gewissheit mit der Predigt Juxtons über Röm 2,16 verbunden, wo von dem Tag des Jüngsten Gerichts die←77 | 78→ Rede ist, an dem Gott das Verborgene der Menschen durch Christus richten wird. „Der Bischoff stellt ihm vor den uebergrossen Tag/ An welchem Gott was hier so tiff verborgen lag/ Durch Jesum richten wird.“35 Der König lässt sich auch nicht auf Zugeständnisse gegenüber seinen Richtern ein, um sein Leben noch im letzten Augenblick zu retten, weil sie „wider Statt/ und Gottsdinst und Gesetze// Vnd Freyheit meines Volcks“ seien36. Stattdessen – so berichtet der Graf weiter – verlangte der König nach dem Evangelium Christi, das hier umschrieben wird als „das Pfand/ das der/ der durch sein Blutt// Der Menschen Schuld abwusch zum Denckmal seiner Schmertzen// Vnd Zeichen theurer Huld liß den gekraenkten Hertzen“37. Juxton kommt dem Wunsch des Königs nach und schlägt zu diesem Zweck das „Kirchenbuch“ auf. Mit dem Kirchenbuch meint Gryphius das „Book of Common Prayer“, dessen Einführung unter Elisabeth I. sich Presbyterianer in England und Schottland widersetzten, während Karl I. entschieden an ihm festhielt38. Die für den Tag vorgesehene Evangeliumslesung war nun ausgerechnet Mt 27, das Ende der Passionsgeschichte von der Befragung und Verurteilung durch Pilatus bis zur Verspottung, Kreuzigung und Grablegung. Juxton klärt den König, der glaubt, dass der Bischof das Kapitel ausgewählt habe, um ihn zu trösten, darüber auf, dass es sich um die ordentliche Tageslesung handle. Der König „schoepffte wahre Lust/ daß Jesus durch sein Leiden// Sich fast den Tag mit ihm gewuerdigt abzuscheiden“39. Nachdem er noch für seine Verfolger und Henker gebetet hatte, führte die „Mord-Schar“ den König vom St. James Palast zum „Schlacht-Altar“ in Whitehall. Der Bericht des Grafen führt den kurpfälzischen Hofmeister zu dem Entschluss, die Deutschen zur sofortigen Abreise aus England aufzufordern, um nicht selbst dem Fluch des Königsmordes ausgesetzt zu sein.

Gryphius gleicht das Ende des Monarchen auch insofern an die biblische Passionsgeschichte an, als er mit dem rasenden Poleh, den er dann mit halbzerrissenen Kleidern auftreten lässt, eine fiktive Entsprechung schafft zu Judas, der sich laut Mt 27,3–5 aus Reue über den bezahlten Verrat selbst erhängt. Poleh ruft dem König zu: „Du stirbst ohn Schuld; und ich leb‘ allem Recht zu wider!// Brecht Felsen! Himmel blitz‘ auff die verfluchten Glider!“40. Er glaubt im Wahn schon den König nahen zu sehen, und wünscht sich, weil er sich zu dem Verrat an ihm verführen ließ, lebendig ins Grab. Die Angst lässt die Geister der Toten vor ihm er←78 | 79→scheinen. Zunächst taucht der hingerichtete Sir Alexander Carew vor ihm auf, ein Parlamentsmitglied, das die im zum Schutz anvertraute wichtige Hafenstadt Plymouth aus Opportunismus an die Royalisten zu verraten versuchte. Es folgt außer Peter und Hewlet auch Horrison. Gemeint ist General Thomas Harrison, gleichfalls ein Mitglied des Langen Parlaments und einer der Richter des Königs, der auch das Todesurteil unterschrieb. Harrison war ein glühender Republikaner, dessen Ablehnung der Monarchie in seinen geschichtstheologischen Vorstellungen begründet lag. Er gehörte den Fifth Monarchist Men an, die ausgingen von Dan 2, Nebukadnezars Traum von den vier Königreichen, die mit dem babylonischen, persischen, makedonischen und römischen Reich identifiziert wurden und nach deren Zerstörung das unzerstörbare Reich Gottes beginnt. „Es wird alle diese Königreiche zermalmen und zerstören; aber es selbst wird ewig bleiben“ (Dan 2,44). Vor dessen Eintritt erwarteten die Fifth Monarchy Men allerdings gemäß Off 20,1–6 die Wiederkunft Christi, der dann mit seinen wahren Anhängern tausend Jahre regieren wird. Als wahre Anhänger Christi aber gelten diejenigen, die das Tier aus dem Abgrund und dessen Bild nicht angebetet haben. Die Zahl dieses Tieres ist laut Off 13,18 die Zahl 666. Daher erwarteten die Fifth Monarchy Men das Ende der Herrschaft der vierten Monarchie und den Anbruch der tausendjährigen Herrschaft der Heiligen für 1666. Diese chiliastischen Vorstellungen blieben nicht ohne Einfluss auf Cromwell, der das Rumpfparlament am 20. April 1653 für unfähig erklärte und auflöste. Stimmte er doch Harrisons Vorschlag zu, die parlamentarische Macht frommen Männern zu übertragen, um so die Wiederkunft Christi wirkungsvoll vorzubereiten. Die Mitglieder dieses Parlaments des Commonwealth of England, dem auch Cromwell und Harrison angehörten, sollten von den kongregationalistischen Gemeinden entsandt werden. Daher wurde es auch als Parlament der Heiligen – Parliament of Saints – bezeichnet oder nach seinem Vorsitzenden, dem Laienprediger und Fifth Monarchist Man Praise-God Barebone, als Barebone’s Parliament. Mit seinem Scheitern bereits im Dezember 1653 begann zum Entsetzen von Harrison und den Fifth Monarchy Men die Alleinherrschaft Cromwells als Lord Protector.

Poleh erwähnt als weiteren Beteiligten an der Ermordung des Königs einen gewissen Dorislaer, der vermummt das Richtgerüst bestiegen habe. Gemeint ist Isaak Dosrislaus, ein holländischer Jurist, der in Cambridge Geschichte lehrte, die Anklage des Königs mit vorbereitete und kurz nach dessen Hinrichtung von Royalisten während einer diplomatischen Aktion in Den Haag ermordet wurde. Dorislaus stand in der Tradition der calvinistischen Monarchomachen und deutete die normannische Eroberung der britischen Inseln als das Ende der ursprünglichen Freiheit der Engländer und den Beginn jener monarchischen Tyrannei, die in der Herrschaft des katholisierenden Karl gipfelte. Kaum dass Poleh die Ermordung von Dorislaus durch vermummte Monarchisten erwähnt hat,←79 | 80→ steigt ein neues Bild vor ihm auf, das Cromwells Leiche neben derjenigen von Ireton und Bradshaw aufgehängt an einem Galgen zeigt. Henry Ireton war der Schwiegersohn Cromwells, der in dessen New Model Army eine führende Rolle als General innehatte und 1647 im Gegensatz zu den radikalen Levellers in seinem Manifest „The Heads of the Proposals“ im Namen von Fairfax und der Armee für eine konstitutionelle Monarchie eintrat. Doch die unnachgiebige Haltung des Königs verwandelte ihn schließlich in einen unerbittlichen Gegner des Monarchen. Die Verhandlungen des kompromissbereiten Langen Parlaments mit Karl beendete er dadurch, dass er am 6. Dezember 1648 durch Thomas Pride alle verhandlungsbereiten Parlamentarier – mehrheitlich handelte es sich um Presbyterianer – aus dem House of Commons entfernen ließ. Das Rumpfparlament beschloss dann nicht nur den Abbruch der Verhandlungen, sondern am 4. Januar 1649 auch die im Namen des englischen Volkes vorgetragene Anklage des Königs wegen Hochverrats. Am 27. Januar erfolgte das Urteil und zwei Tage später findet sich die Unterschrift von Ireton neben derjenigen von Cromwell und anderen unter dem Schreiben, mit dem unter anderen Hacker und Huncks der Auftrag erteilt wurde, Karl auf der Straße vor Whitehall zu enthaupten. Zu denen, die das Dokument unterschrieben, gehörte auch John Bradshaw, der vom Parlament eingesetzte Präsident des High Courts of Justice während des Verfahrens gegen den König. Ireton starb 1651 während des Feldzugs zur Unterwerfung Irlands, Bradshaw 1659 unter dem Protektorat von Cromwells Sohn Richard. Wie Cromwell selbst erhielten Ireton und Bradshaw ein offizielles Begräbnis in der Westminster Abbey. Aber nach der Restauration der Stuartmonarchie ließ Karl II. die Leichen der drei für die Enthauptung seines Vaters Verantwortlichen exhumieren, postum köpfen und ihre aufgespießten Köpfe öffentlich zur Schau stellen. Diese Szene sieht bei Gryphius Poleh in leicht abgewandelter Form ebenso voraus wie die Restauration selbst. Denn es erscheint ihm zu seinem eigenen Erstaunen Karl II., wie er vom Bischof gekrönt wird. „Wo? wie? was schau ich dort? setzt der gerechte Gott// Den Fuersten wider ein/ nach so vil herben Stuermen?// Ach freylich! Gottes Hand pflegt Goetter zu beschirmen!“41 Die göttliche Gerechtigkeit hat die Königsherrschaft von Gottes Gnaden wiederhergestellt, den König als irdischen Gott wieder eingesetzt. Da verwandelt sich für Poleh das Bild, und statt der Krönung sieht er entsetzt eine apokalyptische Szenerie. Blutstropfen spritzen ihm ins Gesicht, der Kerker der Unterwelt bricht auf, die Themse brennt schwefelblau, die Sonne zittert, der Tag wird schwarz, London bebt, und vor Poleh tauchen die Geister Lauds und Wentworts auf, die ihn bis zur Verzweiflung quälen.←80 | 81→

Das Trauerspiel schließt mit der Hinrichtung Karls im Beisein von Frauen aus dem Volk, die das Spektakel teils beifällig, teils mitleidsvoll kommentieren. Vor seiner Enthauptung hält Karl eine Verteidigungsrede, in der er sich als „ein gutter Printz/ und unverfaelschter Christ“ vorstellt, der die Macht des Parlaments nie verletzt habe. Vielmehr sei es umgekehrt das Parlament gewesen, das sich ihm widersetzt und ihm das Kriegsrecht habe rauben wollen42. Gleichwohl vergibt Karl ihnen und sieht auch noch in seiner eigenen Hinrichtung die Gerechtigkeit Gottes walten, insofern er sie als Antwort auf seine Billigung der Hinrichtung Wentworths sieht. „Doch klag ich nimand an// Weil ich ein rechter Christ/ von Christo lernen kann// Wie man verzeihen soll.“43 Mit der an Gott gerichteten Bitte, ihnen zu vergeben, verbindet der König aber eine entschiedene Kritik des von seinen Feinden eingeschlagenen Weges. Seine letzten Gedanken gelten dem Wohl seiner Untertanen und seines Reiches. In Anlehnung an das Wort Jesu Mt 21,22 – „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist“ – erklärt er: „Ihr must dem Fuersten geben// Vnd denen die nach ihm ihr Erbrecht soll erheben// Vnd denen/ ueber die der Fuerst den Zepter fuehrt// Was Printz‘ und Printzen Erb‘/ und Vnterthan gebuehrt.// Gebt Gott sein eigne Kirch‘: Ihr selbst habt sie zustreuet:// Sie wird durch Gottes Wort und Ordnung nur erfreuet.“44

Die göttlich gewollte Ordnung wird also nur dadurch wieder hergestellt, dass man auf der einen Seite die Erbmonarchie anerkennt und auf der anderen Seite die konfessionelle Zersplitterung der Kirche aufhebt durch die Wiederherstellung ihrer Einheit. Was das Volk betrifft, so tritt der Monarch im Angesicht seines Todes für dessen Freiheit ein, die Unterscheidung der Stände, von Prinz und Untertan vorausgesetzt. Nach den Trostworten Bischof Juxtons beschreitet Karl innerlich den Weg in das Reich der Gnade, sprachlich mit dem Wort „England“ spielend. „Wir gehen aus dem Engen-Lande in der Engel weites Land/ Wo kein schmertzend Weh betruebet den stets-unverrueckten Stand“45. Die zeitliche Krone samt Zepter wird eingetauscht gegen die ewige Krone. Karl legt alle Ehrenzeichen ab, wobei er den Bischof bittet, einige seinem Sohn und anderen zu übermitteln. Bereit zu sterben, legt er sein Haupt auf den niedrigen Richtblock mit den letzten Worten: „Auff in das Reich der grossen wonne:/ Erfreue mich du Lebens Sonne!/ Erhalt mich unerschoepffte Macht!/ Hir lig ich! Erden gutte Nacht!46 Was dann folgt, ist←81 | 82→ der Ruf der Geister der ermordeten Könige nach Rache, die am Schluss auch personifiziert erscheint und England Bürgerkrieg, Ketzerei, Zwietracht und Mord mit Strang und Stahl verheißt, ein Chaos, in dem das Land versinken wird. ←82 | 83→


1 Gryphius, Andreas: „Dramen“, hrsg. v. Mannack, Eberhard. Deutscher Klassiker Verlag: Frankfurt a. M. 19911, S. 1103.

2 Cf. Schöne, Albrecht: „Postfigurale Gestaltung. Andreas Gryphius“. In: Id., Säkularisation als sprachbildende Kraft. Studien zur Dichtung deutscher Pfarrersöhne. Vandenhoeck & Ruprecht: Göttingen 19682.; Berghaus, Günter: Die Quellen zu Andreas Gryphius‘ Trauerspiel ‚Carolus Stuardus‘. Studien zur Entstehung eines historisch-politischen Märtyrerdramas der Barockzeit. De Gruyter: Tübingen 1984.

3 Gryphius 19911, S. 1104.

4 Op. cit., S. 1105.

5 Ibid.

6 Gryphius, Andreas: Carolus Stuardus. Wagener, Hans (Hrsg.). Reclam: Stuttgart 1972, S. 17.

7 Op. cit., S. 20.

8 Op. cit., S. 117.

9 Ibid.

10 Op. cit. 1972, S. 23.

11 Op. cit., S. 26.

12 Op. cit., S. 28.

13 Op. cit., S. 119.

14 Op. cit., S. 31.

15 Op. cit., S. 119–124.

16 Op. cit., S. 35.

17 Ibid.

18 Op. cit., S. 37.

19 Op. cit., S. 51.

20 Op. cit., S. 55.

21 Op. cit., S. 57.

22 Op. cit., S. 63.

23 Ibid.

24 Op. cit., S. 64.

25 Op. cit., S. 66.

26 Op. cit., S. 69.

27 Op. cit., S. 79.

28 Op. cit., S. 84.

29 Op. cit., S. 90.

30 Op. cit., S. 94.

31 Op. cit., S. 95.

32 Op. cit., S. 97.

33 Op. cit., S. 137.

34 Op. cit., S. 97.

35 Op. cit., S. 98.

36 Ibid.

37 Op. cit., S. 99.

38 Op. cit., S. 138 f.

39 Op. cit., S. 99.

40 Op. cit., S. 101.

41 Op. cit., S. 104.

42 Op. cit., S. 106.

43 Op. cit., S. 107.

44 Op. cit., S. 108.

45 Op. cit., S. 111.

46 Op. cit., S. 113.