Die Goldenen Zwanziger
1920 stieg Berlin durch die Eingemeindung der umliegenden Städte wie Charlottenburg, Wilmersdorf oder Neukölln mit 3,8 Mio. Einwohnern zur drittgrößten Stadt der Welt auf. Berlin war nun der „place to be“, eine ewige Party - aber nur für jene, die es sich leisten konnten. Für die Masse folgte ein Jahrzehnt des Elends und der Verzweiflung. Der Ausweg daraus war, wenn auch nur für ein paar Stunden, die Pinte: „Sauf, sauf, Brüderlein, sauf! Lasse die Sorgen zu Haus. Sauf, sauf, Brüderlein, sauf. Meide den Kummer und meide den Schmerz. Dann ist das Leben ein Scherz.“ Für das Gros der Berliner Bevölkerung waren die 20er-Jahre weit weniger golden als der Mythos glauben machen will. Als die Demokratie verspielt war, lebte jeder vierte männliche Bewohner von Sozialhilfe.
Die 20er-Jahre stehen u. a. für Autorennen auf der AVUS (1921 eröffnet), für Sechstagerennen und Boxkämpfe im Sportpalast (1910 an der Pallasstraße in Schöneberg eröffnet, heute nicht mehr existent), für die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks (1923) und für die Hyperinflation im selben Jahr: Noch im Januar hatte ein Brot 4300 Papiermark gekostet, im Oktober 480 Millionen. Die Entwertung des Geldes kurbelte den Sextourismus an, ohnehin entwickelte sich Berlin zur freizügigsten Stadt des Kontinents. Die teuersten Mädels warteten am Ku’damm auf Kundschaft, Kokain gab es an jeder Straßenecke. Auch war Berlin bekannt für seine Homosexuellenlokale - oft getarnt als Lotterie- oder Sparvereine, denn die Razzien des Polizeidezernats für sexuelle Verwirrungen waren gefürchtet. Mit dem Celly de Rheydt Ballet trat in Berlin Deutschlands erste Nackttanztruppe auf. „Was interessiert das Publikum? Hunger, Elend, Not von Millionen? Dass Tausende im Zuchthaus verrecken - interessiert das das Publikum? I wo, der nackte Hintern der Anita Berber, der interessiert das Publikum“ (Maurus Pacher in Sehn Sie, das war Berlin). Anita Berber war das Sexsymbol der 20er-Jahre, auf der Bühne wie im Kino.
Fritz Lang, Ernst Lubitsch und Friedrich Wilhelm Murnau machten Berlin zu einer führenden Filmstadt. Bereits 1917 war die Universum Film AG (UFA) gegründet worden. Zehn Jahre später kam mit Walter Ruttmanns Film Berlin - die Sinfonie der Großstadt ein nie wieder erreichter Metropolenklassiker heraus. Und mit Der blaue Engel (1930) hatte Marlene Dietrich ihren Durchbruch.
Berlin war in den 20er-Jahren aber nicht nur Filmmetropole und Spielwiese funktionalistischer Architekten wie Walter Gropius, Mies van der Rohe oder Erich Mendelsohn, sondern auch das Zentrum für Kunst und Literatur. Verbunden mit dem Berlin dieser Zeit sind Namen wie Gottfried Benn, George Grosz, Billy Wilder, Otto Dix, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, Joseph Roth, Gustaf Gründgens u. v. m.