Die Wissenschaft war Teil von Roy Brittens DNA. Er wurde 1912 geboren und wuchs in einer Familie auf, in der beide Eltern in verschiedenen Forschungsdisziplinen tätig waren. Er selbst entschied sich für die Physik und erhielt letztlich während des Zweiten Weltkrieges eine Stelle beim Manhattan-Projekt zur Entwicklung der Atombombe. Mit jedem Jahr wuchs seine pazifistische Einstellung, und er sehnte sich nach einer neuen Tätigkeit. Schließlich fand er sie in einem Institut für Geophysik in Washington. Nachdem man 1953 die Struktur der DNA entdeckt hatte, belegte Britten, der ständig auf neue intellektuelle Herausforderungen aus war, Ende der 1950er Jahre am Cold Spring Harbor Laboratory in New York einen Schnellkurs über Viren. Ausgestattet mit dem dort erworbenen Wissen, erkannte er in der DNA wichtiges wissenschaftliches Neuland und machte sich daran, ihre Struktur genauer zu erforschen.
Vor allem ging Britten der Frage nach, wie viele Gene es im Genom gibt und wie sie organisiert sind. Zu jener Zeit konnte man Genome noch nicht sequenzieren, und ihr Aufbau war vollkommen rätselhaft. Da er nicht über Methoden zur Sequenzierung verfügte, musste Britten wie vor ihm schon Ohno auf einige kluge experimentelle Kunstgriffe zurückgreifen.
Vor dem Hintergrund von Ohnos Arbeiten hatte Britten die Vermutung, dass das Genom aus verdoppelten Teilen zusammengesetzt ist. Mit einem klugen Experiment wollte er ungefähr abschätzen, welcher Anteil des Genoms aus Kopien besteht. Er entnahm die DNA aus den Zellen eines Tieres, zerlegte den Doppelstrang in Tausende kleinere Stücke und erhitzte sie, so dass die beiden Stränge sich trennten. Dann veränderte er die Bedingungen so, dass die Doppelstränge wieder zusammenfinden konnten. Das Entscheidende dabei: Er konnte messen, wie schnell die verschiedenen Teile sich wieder zum Doppelstrang vereinigen. Er vermutete, dass die Geschwindigkeit, mit der die DNA sich neu aufbaute, einen Hinweis auf die Zahl der Wiederholungselemente im Genom liefern konnte. Der Grund? Wegen der chemischen Eigenschaften von DNA-Molekülen finden sich ähnliche Sequenzen nach dem Prinzip »gleich und gleich gesellt sich gern« schneller zusammen als unähnliche. Ein Genom aus vielen wiederholten Abschnitten, die sich alle ähneln, sollte deshalb schneller zusammengebaut werden als eine DNA, die nur wenige solche Wiederholungseinheiten enthält.
Seine ersten Berechnungen stellte Britten mit der DNA von Kalb und Lachs an, dann erweiterte er den Vergleich auf andere Arten. Obwohl er damit gerechnet hatte, im Genom viele Doppelungen zu finden, war er über die Ergebnisse erschrocken. Nach seinen Schätzungen bestanden rund 40 Prozent des Kälbergenoms aus Wiederholungssequenzen. Beim Lachs lag der Anteil näher bei 50 Prozent. Dabei war die schiere Zahl der Wiederholungseinheiten in den einzelnen Genomen ebenso überraschend wie ihre Häufigkeit bei verschiedenen Arten. In der DNA fast aller Tiere, die er zerlegte und wieder zusammensetzte, fand er eine gigantische Zahl wiederholter Elemente. Mit den groben Methoden jener Zeit konnte er abschätzen, dass manche Elemente im Genom mit über einer Million Kopien vertreten sind.
Später gab es die Genomprojekte, und nun konnte man feststellen, welche Einzelsequenzen im Genom verdoppelt waren; damit ließen sich die ersten Arbeiten von Bridges, Ohno und Britten mit größerem Auflösungsvermögen fortsetzen. Bei allen Primaten findet man ein rund 300 Basen langes Fragment namens ALU. Volle 13 Prozent des menschlichen Genoms bestehen aus ALU-Wiederholungseinheiten. LINE1, ein anderes kurzes Segment, kommt im Genom des Menschen mehrere hunderttausendmal vor und macht mehr als 17 Prozent desselben aus. Insgesamt bestehen mehr als zwei Drittel unseres Genoms aus Abschnitten mit hintereinanderliegenden Sequenzkopien, deren Funktion man nicht kennt. Im Genom ist die Verdoppelung außer Rand und Band geraten.
Roy Britten veröffentlichte noch mit über 90 Jahren wissenschaftliche Fachartikel; erst 2012 starb er an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Ein Jahr vor seinem Tod schrieb er über seine neuen Befunde einen Aufsatz in den Proceedings of the National Academy of Sciences. Der Titel hätte Ohno ein Lächeln entlockt: »Almost All Human Genes Arose by Duplication« (»Fast alle Gene des Menschen sind durch Verdoppelung entstanden«).