Die Vereinnahmung der Zukunft

Kombination, Übernahme und Zweckentfremdung der technischen Möglichkeiten und Erfindungen anderer Arten – das war Milliarden Jahre unsere Vergangenheit. Und es ist auch ein Teil unserer Zukunft.

Im Jahr 1993 erforschte der spanische Mikrobiologe Francisco Mojica (geb. 1963) die Salzmarschen an der Costa Blanca

Das, davon war Mojica überzeugt, war kein Zufall. Also suchte er auch bei anderen Bakterien nach der seltsamen Anordnung. Und siehe da: Wie sich herausstellte, kommt sie sehr häufig vor – man findet sie bei mehr als 20 Arten. Ein solches gut definiertes, weitverbreitetes Muster im Genom musste eine Funktion haben, aber worin konnte die bestehen?

In dieser Phase baute Mojica in Spanien sein eigenes Labor auf, aber die Finanzmittel reichten nicht für Sequenzierung oder Hightech-Laborarbeit. Davon ließ er sich aber nicht abschrecken: Ihm reichten der PC auf seinem Schreibtisch, ein Textverarbeitungsprogramm und die Internetverbindung zu

Nun formulierte Mojica eine kühne, nicht überprüfte Hypothese: Danach ist das System aus Palindromen und Zwischensequenzen eine Waffe der Bakterien gegen Viren. Er brachte seine Gedanken zu Papier und reichte sie bei einigen führenden Fachzeitschriften ein. Eine lehnte den Artikel ab, ohne ihn auch nur an Gutachter zu schicken. Eine andere Ablehnung wurde mit einem Mangel an »Neuerungen oder Bedeutung« begründet. Das Ganze wiederholte sich fünfmal, bevor die Arbeit schließlich in einer Fachzeitschrift für molekulare Evolution erschienen. Im gleichen Jahr veröffentlichte unabhängig davon auch ein französisches Labor, das sich geringfügig anderer Methoden bedient hatte, die gleichen Überlegungen.

Nun machte sich ein Netzwerk von Instituten an die Arbeit. Ein potenzielles bakterielles Abwehrsystem wäre ein Segen für die Joghurtindustrie, deren Kulturen regelmäßig unter eindringenden Viren leiden. Angesichts eines solchen Anreizes wurde schon bald überzeugend nachgewiesen, dass es sich bei dem genetischen System tatsächlich um einen

Im Gefolge solcher Entdeckungen konnte eine ganze Reihe von Instituten rund um die Welt mit kreativer, bahnbrechender Forschung neue Erkenntnisse über das molekulare Skalpell (das den Namen Cas9 trägt) gewinnen und zeigen, wie man das System zweckentfremden kann, um damit nicht nur Virus-DNA zu verändern, sondern die DNA aller Lebewesen. In Artikeln, die innerhalb weniger Monate bei den Fachzeitschriften eingereicht wurden, zeigten die Autoren, wie man das bakterielle System abwandeln und bei anderen biologischen Arten einsetzen kann. Die Methode, CRISPR-Cas genannt, ist uns bereits im Zusammenhang mit Nipam Patel begegnet, der mit ihrer Hilfe die Extremitäten von Parhyale hin und her bewegte. Sie bildet die Basis für das genome editing oder Redigieren von Genomen, ein heute weitverbreitetes Verfahren, mit dem man die Genome von Pflanzen, Tieren und Menschen verändern und damit in vielen Bereichen von der Landwirtschaft bis hin zum Gesundheitswesen nützliche Wirkungen erzielen kann. Und das ist nur der Anfang: Mittlerweile werden fast im Monatsrhythmus weiter verfeinerte

Mit dem Verfahren kann man Teile des Genoms praktisch über Nacht neu schreiben. In der Evolution haben solche Veränderungen Dutzende von Jahrmillionen in Anspruch genommen. Die Methode steckt zwar noch in den Kinderschuhen, und häufig hört man übertriebene neue Nachrichten, aber eines ist klar: Wir können heute Teile des Genoms von Pflanzen und Tieren schnell und mit geringem Aufwand gezielt verändern. In meinem Institut haben wir die Methode in ihrer gröbsten Form auf Fische angewandt und einzelne Gene beseitigt. Andere Institute können ganze Genomabschnitte ausschneiden und woanders wieder einbauen; sie bewegen Gene und ihre Schalter von einer Spezies zur anderen oder von Individuum zu Individuum.

Die Entdeckung des Redigierens von Genomen mit CRISPR-Cas folgt einem ausgetretenen, vier Milliarden Jahre alten Pfad der evolutionären Erfindungen. Der Durchbruch, der zu der technologischen Umwälzung führte, fand nicht an dem Ort statt, den wir damit in Verbindung bringen – redigiert wurden zunächst nicht die Genome von Tieren und Pflanzen –, sondern ganz woanders: bei der Erforschung von Salzwasser-Ökosystemen. Dann folgte ein verworrener Weg der Entdeckungen: Zahlreiche Erfinder entwickelten zur gleichen Zeit ähnliche Ideen, technische Mittel wurden kombiniert, und alle erlebten das gleiche Flair des Neuen. Und wie bei biologischen Innovationen, so stellte sich der Schlüsselmoment auch hier ein, als eine Erfindung, die eine Spezies – Bakterien – gemacht hatte, von einer anderen – nämlich uns – zu einem neuen Zweck verwendet wurde. An der Entwicklung

Der Gedanke, dass unser bewusstes Gehirn etwas erreicht hat, was Zellen und ihre Genome bereits seit Jahrmilliarden bewerkstelligen, hat etwas Erhabenes. Eine Lebensform, nämlich Bakterien, hatte eine Methode erfunden, und diese wurde von anderen übernommen, abgewandelt und zweckentfremdet. Das Gehirn, das die biologischen Erfindungen vereinnahmt und verändert hat, besteht seinerseits zum Teil aus zweckentfremdeten Virusproteinen und bezieht seine Energie von einstmals freilebenden Bakterien. Neue Kombinationen können die Welt verändern.