Schon bald, nachdem Lenin zum Berufsrevolutionär geworden war, begann sich ein Schicksal abzuzeichnen, das vielen Dissidenten in Russland zuteilwurde: Gefängnis, Verbannung, Exil. Während Alexander Uljanow am Galgen endete, begnügte sich das Regime im Falle seines Bruders Wladimir mit Wegsperren und anschließender Verschickung nach Sibirien. Die Verfolgung des späteren Revolutionsführers durch die Behörden des Zarenreichs wurde retrospektiv zum Teil als düstere Zeit der Drangsalierung und Entbehrung dargestellt und dann wieder als eine Phase konzentrierten Arbeitens unter durchaus erträglichen Bedingungen. Sogar von einem Aufenthalt Lenins an der »sibirischen Riviera« ist die Rede, weil an seinem Verbannungsort – zumindest für sibirische Verhältnisse – ein mehr oder weniger gemäßigtes Klima herrschte. Angesichts des Umstands, dass der strafweise in den berüchtigten Osten des Reichs Verschickte dort ein im Großen und Ganzen »normales« Privatleben führte und während seiner Verbannung sogar in den Stand der Ehe treten konnte, wurde sogar ein sibirischer »Honeymoon« herbeigeschrieben.1
Tatsächlich bekam Lenin die geradezu sprichwörtliche Willkür des zarischen Regimes nicht nur in Form unnachgiebiger Repression zu spüren. Das gilt etwa für die Jahre, die seinem Aufenthalt in Sibirien vorausgingen. So erhielt er 1890 nach vielen Rückschlägen wider Erwarten die Erlaubnis, an der Universität in St. Petersburg als Externist zu studieren. Nun eröffneten sich ihm zuvor fast schon abgeschriebene Perspektiven. Lenin stellte sich schnell auf die neue Situation ein. Praktische Unterstützung, etwa beim Besorgen der Lehrbücher, kam von der weit verzweigten Verwandtschaft der Uljanows. In der Stadt an der Newa lebten Cousins und Cousinen, die zur Anlaufstelle für den Neuankömmling wurden. In vielerlei Hinsicht behilflich war dem eifrigen Studenten nicht zuletzt die Schwester Olga, die in der Hauptstadt die »Höheren Frauenkurse« besuchte, um Lehrerin zu werden.2 1891 starb sie, keine 20 Jahre alt, an Typhus – ein weiterer Schicksalsschlag für die Familie und insbesondere für Wladimir, den mit Olga eine innige Beziehung verbunden hatte. Einmal mehr übte dieser sich in Selbstdisziplin. Noch im Sterbejahr der Schwester gelang es ihm, sein Jura-Studium erfolgreich abzuschließen. Kurze Zeit später begann er als Rechtsanwaltsgehilfe zu arbeiten. Zuerst in Samara und ab 1893 in St. Petersburg.
Lenins Tätigkeit als Jurist blieb überschaubar. Ambitionen, eine herkömmliche berufliche Karriere zu verfolgen, fehlten ihm vollends. Da sein Lebensunterhalt in Anbetracht des familiären Vermögens gesichert war, ergab sich auch kein ökonomischer Druck. Der Umzug nach St. Petersburg, wo sich die größten Bibliotheken des Landes befanden und etliche gut sortierte Buchläden zu finden waren, schuf indessen ideale Voraussetzungen für eine andere Betätigung: Nichts interessierte Lenin mehr als die Lektüre marxistischer Schriften. Herangezogen wurden aber auch andere Publikationen, die seine Auffassungen über die Entwicklung des Kapitalismus in Russland stützten oder seinen Widerspruch herausforderten. Urteile über einen immer noch für kümmerlich und wenig aussichtsreich gehaltenen Kapitalismus im Zarenreich wies er entschieden zurück. Noch empörter wandte er sich gegen jene, die selbst für die fernere Zukunft nur wenige Anhaltspunkte für Russlands Aufschließen zu den Ökonomien des Westens ausmachten. Tatsächlich erlebte das Romanowimperium ab Ende der 1880er Jahre ein rasantes Wirtschaftswachstum, das sich auch in einer stetig zunehmenden Anzahl von Arbeitskräften niederschlug. In nur zehn Jahren vergrößerte sich das Heer der Industriearbeiterschaft von 1,3 auf über zwei 2 Millionen.3 Im Vergleich zur Anzahl der Bauern war das Proletariat aber immer noch eine verschwindend kleine Gruppe. Umso wichtiger erschien es Lenin daher, sich der kapitalistischen Entwicklung auf dem Land zuzuwenden. Nach seiner Ankunft in Russlands Hauptstadt verwendete er einen Großteil seiner Energie auf Polemiken gegen das Narodnitschestwo, das sich in seinen Augen spätestens mit den Erfahrungen aus der Hungerkatastrophe 1891/92 überlebt hatte. Die idealisierte Dorfgemeinde war ganz offensichtlich nicht imstande gewesen, die Not und das Massensterben unter der ländlichen Bevölkerung zu verhindern oder wenigstens abzuschwächen. Sie präsentierte sich vielmehr als Relikt der Vergangenheit, das die Bauern an ein »mittelalterliches System primitiver Bodennutzung« fesselte.4
Die Hungersnot im Zarenreich galt im Westen als Beginn womöglich großer Umwälzungen oder zumindest als Fingerzeig. Viele Sozialdemokraten sahen nach wie vor die Bauern als Ausgangspunkt revolutionärer Entwicklungen.5 Dafür sorgten abseits demografischer Fakten nicht zuletzt die Veröffentlichungen von Sergej Krawtschinskij alias »Stepniak«, der 1878 den Petersburger Polizeichef auf offener Straße mit einem Dolch ermordet hatte. Die Schrift des Revolutionärs und Terroristen mit dem Titel Der russische Bauer erschien 1893 in deutscher Übersetzung – besorgt im Übrigen vom österreichischen Parteiführer Victor Adler – im Stuttgarter Dietz-Verlag. Darin gab sich der Autor optimistisch über die Auswirkungen des Hungers, der die Bauernschaft »als Klasse« aufrütteln würde.6 An Karl Marx´ Sympathien für die Narodowolzen konnte indessen nicht gezweifelt werden. Für eine vorbehaltlose Unterstützung reichten sie aber nicht aus.7 Jenen Narodowolzen, die sich der russischen Sozialdemokratie anschlossen, lieferte er jedenfalls keine klaren Antworten auf die Frage über den richtigen Umgang mit den »Besonderheiten« des Zarenreichs.8
Im Zarenreich wiederum richteten die Anhänger des Marxismus den Blick nicht ohne Grund auf Deutschland. Die Stärke und Bedeutung der dortigen Arbeiterbewegung spiegelten sich in den Wahlerfolgen der Sozialdemokratischen Partei wider. Sie konnte sich nach Aufhebung des sogenannten Sozialistengesetzes ab der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts ohne die vormals geltenden Beschränkungen in der Ära unter dem Kanzler Otto von Bismarck zu einer Massenpartei entfalten. Gleichzeitig beeinflussten die auch dort leidenschaftlich geführten Diskussionen über den »richtigen Weg« die russischen Dissidenten-Zirkel und ihre Exegesen des Marxismus nachhaltig. Während aber die deutsche Sozialdemokratie darum rang, Theorie und Praxis vor dem Hintergrund bereits verbuchter Errungenschaften oder zu erreichender Ziele in Einklang zu bringen, präsentierten sich die russischen Kollegen als ein zusammenhangloses Kunterbunt kleiner und oft rivalisierender Gruppen. Über Rückhalt aus dem Proletariat, das währenddessen führungslos geblieben war, und die Erfahrungen der Parteiarbeit, wie sie die deutschen Genossen praktiziert hatten, verfügten sie nicht. Die »Zirkelmentalität und Sektengesinnung isolierter Kleinkreise« legte sich auf die Entwicklung der russischen Sozialdemokratie mit »bleierner Schwere« und gab ihr darüber hinaus ein verhängnisvolles Erbe mit auf den Weg.9
Wie schwer es sein konnte, Grabenkämpfe einzuhegen, bewiesen aber gerade auch die deutschen Grundsatzdebatten um die Jahrhundertwende. Als die Auseinandersetzungen über Reformismus und Revisionismus die SPD einer Zerreißprobe aussetzten und auf lange Sicht ein eher notdürftiger Ausgleich gefunden wurde, begannen sich die Richtungsstreitigkeiten auch unter den immer noch kleinen Marxisten-Gruppen im Zarenreich bzw. im Exil zuzuspitzen. Nach einer Phase des offenen Diskutierens entstanden unversöhnliche Feindschaften, die einen dauerhaften Keil in die russische Sozialdemokratie trieben. Empörung über die vermeintliche Verirrung Andersdenkender und schließlich ein zumindest publizistisch artikulierter Vernichtungswille triumphierten über die Bereitschaft, sich konstruktiv mit konträren Ansichten auseinanderzusetzen. Auch und gerade Lenin, der sich als orthodoxer, strikt gegen den Revisionismus gerichteter Marxist verstand, ließ seiner Ablehnung abweichender Meinungen freien Lauf. Die deftige, ja unflätige Sprache, der er sich dabei bediente, brachte das Ausmaß seiner Abscheu gegenüber Abtrünnigen ebenso zum Ausdruck wie die unerschütterliche Gewissheit, im Recht zu sein. Dabei verkehrte er in St. Petersburg mit etlichen Personen, die sich dem Marxismus jeweils vollkommen anders annäherten als der junge Revolutionär aus Simbirsk. Darunter u. a. Pjotr Struwe, dessen Theorie eines »legalen Marxismus« diesen schließlich sogar völlig von der Sozialdemokratie entfremdete. Noch aber war Lenin bereit, sich vom Eifer des Wissbegierigen leiten zu lassen und sich mit »devianten« Strömungen zumindest auseinanderzusetzen. Weniger intellektuelle Gesprächspartner bzw. Kontrahenten als den erwähnten Struwe brüskierte Lenin aber von Anfang an ziemlich gnadenlos. Seine Ablehnung einer in Summe unbefriedigenden, weil anscheinend kaum effektiven Politik der kleinen Schritte verbarg er nicht. Das machte er auch im Rahmen von im Untergrund stattfindenden Diskussionsabenden deutlich, an denen er bereits kurz nach seiner Ankunft in St. Petersburg teilzunehmen begann. Als dort vorgeschlagen wurde, die Industriearbeiter an eine elementare Bildung durch Gründung von Vereinen heranzuführen, reagierte Lenin mit boshaftem Lachen. Seine spätere Ehefrau Nadeschda bzw. Nadja Krupskaja erinnerte sich später an die unverhohlene Geringschätzung, die unter den Anwesenden für Irritation sorgte. Doch für Lenin stand fest: Mit solchen Methoden, dem Klein-Klein eines rudimentären Aufklärungsunterrichts, ließ sich keine Revolution machen.10
Der Ton, der angeschlagen wurde, um die Frage künftiger Strategien zu klären, war überall ein rauer. Nicht nur in Deutschland, wo den Revisionisten schließlich sogar mit Parteiausschluss gedroht wurde. Alles andere als zurückhaltend, wenn es darum ging, gegnerische Meinungen zu kritisieren, gerierte sich etwa der im Schweizer Exil lebende Georgij Plechanow, dessen cholerisches Wesen auch enge Weggefährten verstörte. Seinen Rang als »Nestor« der russischen Sozialdemokratie verteidigte er erbittert. Plechanows »Übersetzung« des Marxismus für Russland war elementar. Das Werk mit dem sperrigen Titel Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung begeisterte Novizen ebenso wie erfahrene Sozialdemokraten. Sein »Horoskop« von der Zukunft des Zarenreichs attestierte der Entfaltung des Kapitalismus eine »historische Notwendigkeit« und das Signum der Fortschrittlichkeit, welche eine unzeitgemäße Autokratie hinwegfegen würde: »Das sozialistische Endziel lag weit voraus; es zu erreichen aber durfte man gewiß sein.«11
Die Frage, mit der sich die Marxisten in Russland unterdessen abmühten, kreiste allerdings um das Wie. In diesem Zusammenhang wurde überdies klar, dass der Fabriksarbeiter ein gleichsam unbekanntes Wesen geblieben war. Zwischen Theorie und Praxis klaffte eine riesige Lücke. In kleinen Intellektuellen-Zirkeln wurden akademische Debatten geführt, während der Kontakt mit dem vielbeschworenen Proletariat meist fehlte. Der publizistische Schlagabtausch einer Handvoll »Literaten«, der sich bereits weniger versierten Sozialdemokraten als unverständlicher Federkrieg darstellte, erreichte die einfachen Arbeiter nicht – weder auf der inhaltlichen Ebene noch in ganz praktischer Hinsicht. Schließlich sorgte bereits die Zensur im Zarenreich dafür, dass dem Proletariat Lesestoff vorenthalten blieb, der für gefährlich gehalten wurde. Ganze Auflagen revolutionärer Schriften wurden beschlagnahmt oder vernichtet. Auch einer von Lenins ersten Texten, die in St. Peterburg entstanden, war davon betroffen.
Das Defizit der mangelnden Verbindung mit der Arbeiterschaft auszugleichen, machte sich 1894 die Gruppe der sogenannten »Stariki«, der »Alten«, mit Lenin an der Spitze zur Aufgabe. Sie erstellte Fragebögen für Fabriksarbeiter, aus denen man sich Rückschlüsse auf deren Arbeits- und Lebensbedingungen erhoffte.12 Lenin las Arbeitern aus Marx’ Kapital vor, um ihnen anschließend zu erklären, worum es darin ging.13 Er tat also genau das, was er gleichzeitig geringachtete: Nachhilfeunterricht für das Proletariat, von dem er fürchtete, dass es den Weg zur Revolution nur ein kleines Stück weit gehen würde. Allen Zweifeln zum Trotz wurde Basisarbeit geleistet. Ende 1894 nützten die »Stariki« das Aufbegehren von Fabriksarbeitern dazu, Flugblätter zu verteilen. Hergestellt wurden allerdings nur vier handgeschriebene Versionen und zwei davon landeten umgehend in den Händen eines Gendarmen.14 Die ohnehin äußerst bescheidenen Aktivitäten der Gruppe, deren Mitglieder trotz ihrer Bezeichnung »Stariki« – sie bezog sich auf die orthodoxe Auslegung des Marxismus im Gegensatz zu den davon abrückenden »Jungen« – alle kaum älter als Anfang oder Mitte 20 waren, drohten außerdem durch fortwährende Bespitzelung vereitelt zu werden. Doch Lenin verstand sich, wie seine Frau Nadeschda später schilderte, »am besten« von allen auf die »konspirative Arbeit«. »Man merkte ihm«, meinte sie, »die gute Schule der Narodowolzy an« – jener radikalen Bauernsozialisten also, deren Ansichten er so eifrig bekämpfte und die das verhängnisvolle Interesse des Bruders hervorgerufen hatten.15
Neue Ansätze in der Frage der Agitation unter den Arbeitern hatte indessen der relegierte Student Julij Martow nach Petersburg mitgebracht. Realiter ging es überhaupt erst jetzt darum, sich nicht nur der Propaganda, sondern auch der Agitation zuzuwenden. In einer Broschüre wurde nun eine Art Stufenplan entworfen, um die Arbeiterklasse über den Weg des ökonomischen Kampfes für eine Verbesserung von Arbeitsbedingungen und angemessenen Lohn an den politischen Kampf heranzuführen. Dazu aber war es notwendig, die »abstrakte Theorie« aus den »Wolkenhöhen wissenschaftlicher Verallgemeinerung« zu holen.16 Was heute selbstverständlich erscheint, war es damals keineswegs. Selbst im Westen überließen bereits bestehende Parteien oder aber Sozialistenzirkel das »Alltagsgeschäft« eher den Gewerkschaften und Vereinen, während es an der Spitze tendenziell um das »große Ganze« ging.17 Das schwierige Verhältnis zwischen »oben« und »der Basis« war andererseits aber kaum ein exklusives Problem der Sozialdemokratie.
Nicht alle mochten sich mit jenen Perspektiven anfreunden, die Martow jetzt auf den Tisch legte. »Die Vorstellung, sich im Dienste eines langfristigen Agitationsprogramms auf die Organisation von Hilfskassen, Beratungsstellen und Elementarbildungsvereinen zurückzuziehen, war ungewohnt und unbehaglich für eine Generation junger Intellektueller, die seit ihrer Schulzeit von Umsturz und Massenaufläufen geträumt hatten.«18 Gleichzeitig dachten die meist eher lose verbundenen, verschiedenen sozialdemokratischen Zirkel darüber nach, die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit den Emigrantengruppen im Ausland auszuloten. Für die Petersburger Sozialdemokraten sollte Wladimir Uljanow die Reise in die Schweiz zu Georgij Plechanow und seiner Gruppe »Befreiung der Arbeit« antreten. Die Chancen für die Verwirklichung dieses Plans standen zunächst schlecht. Doch dann erhielt Lenin im März 1895 tatsächlich die Erlaubnis der Behörden, Russland zu verlassen. Endlich eröffnete sich ihm eine andere Wirklichkeit als die heimatliche – sowohl, was das Kennenlernen anderer Länder anbelangte, als auch in Hinblick auf sein ureigenstes Anliegen: die Weiterentwicklung der russischen Sozialdemokratie. Die Begegnung mit Georgij Plechanow wie auch mit Pawel Axelrod verlief aus Sicht des jungen Marxisten nach Wunsch. Nun sollte die Herausgabe einer Zeitschrift in Angriff genommen werden.
Über den Inhalt der Gespräche zwischen Lenin und Plechanow und über die Rahmenbedingungen ihres Aufeinandertreffens – die beiden berieten sich zweimal – ist relativ wenig bekannt. Angesichts des späteren Zerwürfnisses fehlte offenbar das Bedürfnis, diese Episode wenigstens im Nachhinein genauer zu beleuchten. Damals aber verließ der junge Marxist sein Idol in durchaus guter Stimmung. Die Heimreise aus der Schweiz trat Lenin mit einem Koffer an, der über einen doppelten Boden verfügte und voll von verbotenen Schriften war. Was sich darüber hinaus tatsächlich alles in seinem Gepäck befand und ob sich neben den Gesprächen mit Plechanow im Rahmen seiner Reise noch andere Zusammenkünfte von ähnlicher Tragweite ergeben hatten, bleibt ebenso im Dunkeln wie der genaue Ablauf von Lenins »Kavalierstour«. Diese hatte ihn auch ins Habsburgerreich und nach Deutschland geführt, wo sich – spekulativen Darstellungen zufolge – die dortigen Geheimdienste für Lenin interessierten bzw. wenigstens interessiert haben könnten oder umgekehrt er für sie.19 Nichtssagende Briefe an die Familie, die er aus dem Ausland abschickte und in denen er Schwierigkeiten beim aktiven Einsatz seiner Deutschkenntnisse zugab, dienen Biografen üblicherweise zur Illustration seiner immerhin einige Monate währenden Reise. Darüber hinaus geben sie tatsächlich wenig Auskunft über Lenins Tun.
Keine Bestätigung für behauptete frühe Kontakte zu deutschen und österreichisch-ungarischen Stellen liefern vorhandene Archivquellen. Viele geheimdienstliche Dokumente gingen freilich verloren oder wurden zum Teil schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg bewusst vernichtet.20 Zu weitreichenden Vermutungen Anlass gaben allerdings Äußerungen des späteren Chefs des deutschen militärischen Geheimdiensts, Walter Nicolai, der zwar nach eigenen Angaben noch während des Ersten Weltkriegs den Namen Lenin nicht kannte, aber wusste, dass bereits zuvor ein »politischer Flüchtling« namens Uljanow »wertvolle Angaben über die Lage im zaristischen Russland« gemacht hatte.21 Wann Lenin allerdings damit begonnen hat, sich als Zuträger, Spitzel oder gar Spion im Dienste Deutschlands oder womöglich auch der Donaumonarchie zu verdingen, ist unklar. Dass er wahrscheinlich keine Hemmungen verspürte, gegen sein »Vaterland« zu arbeiten, dessen Regime er so allumfassend und heftig ablehnte, erscheint in Anbetracht seiner vielen diesbezüglichen Aussagen sowie späterer Arrangements mit Berlin wohl kaum vollkommen abwegig. Trotzdem bleibt nochmals festzuhalten, dass es abseits der vagen Aussagen Nicolais für eine womöglich bereits frühe Zusammenarbeit Lenins mit den späteren Feindstaaten Russlands im Ersten Weltkrieg keinerlei stichhaltige Belege gibt – und schon gar keine, die wirklich so weit zurückreichen würden.
Dass er bei seinem Eintreffen auf heimatlichem Boden unbehelligt blieb, überraschte vermutlich sogar Lenin selbst. Freilich hatte die Ochrana nicht nur Lenin, sondern auch alle übrigen Mitglieder regimegegnerischer Kreise stets im Auge behalten. Als der Heimkehrer wieder Aufenthalt in der Stadt an der Newa nahm, überwogen aber bei aller Sorge vor einem Zugriff der Geheimpolizei Tatkraft und Optimismus. Unter den Petersburger Sozialdemokraten vollzog sich nun – zumindest galt dies für bestimmte Gruppen – eine Art Einigungsprozess. Dem Agitationsprogramm Martows konzedierte nun auch Lenin Hand und Fuß, wobei er die Zielgerichtetheit des zu führenden »ökonomischen Kampfes« in Richtung politischer Bestrebungen stets betonte. Nichts fürchtete er mehr als die Neutralisierung revolutionären Elans. Die kleine Keimzelle einer sozialdemokratischen Partei, die nun durch die Fusion von Martows Anhängern und den »Stariki« ins Leben gerufen wurde, bestand aus nicht einmal 20 Personen – darunter kein einziger Vertreter des Proletariats.22 Dass er allerdings dessen Anliegen nachvollziehen konnte, bewies Lenin, als er angesichts eines Streiks von Fabriksarbeitern den Text eines Flugblattes formulierte. Darin reflektierte er die Forderungen der Belegschaft, verzichtete auf umstürzlerische Losungen und pochte auf die Einhaltung den »Werktätigen« zugesicherter Rechte. So vollzog sich der Übergang vom isolierten Debattierclub, der sich aus Studierenden, einer Lehrerin, Ärzten, Technikern und einem Rechtsanwaltsgehilfen zusammensetze, zu einer Organisation, die sich eine systematische Agitation in den Fabriken zur Aufgabe machte.23 Gestalt anzunehmen begann außerdem die erste Nummer der Zeitung Rabotscheje Delo (»Arbeitersache«).24 Dem Auftrieb, den Lenin und seine Mitstreiter in dieser Phase empfunden haben dürften, setzte aber schließlich die Ochrana ein Ende. Was die meisten der jungen Revolutionäre insgeheim bereits befürchtet hatten, traf ein: Im Dezember 1895 wurden Lenin und ein Großteil der Mitglieder des »St. Petersburger Kampfbundes zur Befreiung der Arbeiterklasse« verhaftet. Unter diesem Namen traten wenige Tage später die noch in Freiheit verbliebenen sozialdemokratischen Aktivisten in Erscheinung, als es erneut darum ging, Arbeiterstreiks zu unterstützen.25 Angesichts der Verfolgung durch die Behörden verschärfte sich nun auch der Ton, in dem die Aufrufe verfasst wurden. Über die Regierung hieß es jetzt, dass sie sich »barbarisch« verhielt und über die »Sozialisten«, dass sie nicht, wie das Regime behauptete, »Staatsverbrecher« seien, sondern vielmehr für die »Befreiung des geknechteten Arbeitervolks aus den Fesseln der Kapitalisten und Fabriksherren« kämpften.26
Auch 1896 erschütterten große Streiks die Hauptstadt Russlands. Obwohl sich nun fast alle Mitglieder des »Kampfbundes« in Haft befanden, war dieser handlungsfähig geblieben. Vor allem deshalb, weil sich neue Akteure fanden, die sich allerdings mehr und mehr auf den ökonomischen Kampf konzentrierten und so vor allem eine Verbesserung der Lage des Fabrikproletariats anstrebten, ohne gleich an einen Umsturz zu denken. All das mündete in eine Bewegung, die sich von einer Gewerkschaftsidee leiten ließ und einen längeren »Umweg« hin zur Entwicklung eines proletarischen Klassenbewusstseins einplante, als ihn Lenin, aber auch Martow berücksichtigt hatten. Ersterer entwickelte eine besondere Feindschaft gegenüber den sogenannten Ökonomisten. Das evidente Lebenszeichen, das die aufbegehrende Arbeiterschaft von sich gab, bewirkte überdies Begehrlichkeiten von deren Seite. Vertreter des Proletariats verlangten nun eine Verankerung in jenen Zirkeln, in denen sich die Intellektuellen die exklusive Rolle der Anführer und Lehrmeister zurechtgelegt hatten. Aus diesem Anspruch ergab sich allerdings die Frage nach den gemeinsamen Zielen und der Überführung des Protests in einen Kampf gegen die Autokratie.
Darüber hinaus erschienen nun auch im Ausland die »Massenstreiks« in St. Petersburg als Indiz für ein erwachtes russisches Industrieproletariat und eine Sozialdemokratie, die von der Theorie in die Praxis gewechselt hatte.27 Wie verheißungsvoll sich nun die Lage zu entwickeln schien, konnte Lenin indessen nur vom Gefängnis aus verfolgen. Der Kontakt zur Außenwelt hielt sich allerdings erstaunlich gut. Regelmäßige Besuche seiner Familie sorgten für Abwechslung und für eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln genauso wie mit Lesestoff. Außerdem nutzte Lenin die Möglichkeit, beispielsweise mit Nadeschda Krupskaja, die erst im Sommer 1896 verhaftet wurde, durch mit Geheimtinte verfasste Briefe in Verbindung zu bleiben und so Details über die Geschehnisse in Zusammenhang mit den Arbeiterstreiks zu erfahren. Gleichzeitig arbeitete er an einem Buch über Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, das später zu seinen Hauptwerken zählen sollte. Sogar »illegale Broschüren« konnte er in seiner Zelle verfassen. Trotzdem litt er unter der »Trübsal des Gefängnisses«.28 Selbstdisziplin und einmal mehr die Fürsorge der Familie erleichterten ihm aber seinen Zwangsaufenthalt. Es erscheint wichtig festzuhalten, dass Lenins kompromissloser Weg eines erklärten Regimegegners offenbar sowohl seitens der Mutter als auch der Geschwister keineswegs als Verirrung empfunden wurde. Keiner von ihnen sah nach Sascha nun in Wladimir das womöglich zweite »schwarze Schaf« der Familie, wandte sich von ihm ab oder suchte gar den Konflikt mit dem ungestümen jungen Mann. Vielmehr verschrieben sich alle Uljanow-Geschwister der revolutionären Sache. Anna, Maria und Dimitrij kamen ebenso wie die beiden Brüder mit den Behörden in Konflikt, ertrugen Relegation, Ausgrenzung, Verbannung und Freiheitsstrafen. Sogar der Schwager Lenins, Mark Jelisarow, der 1889 die Schwester Anna geheiratet hatte, war als Gegner des zarischen Regimes bereits amtsbekannt. Er wurde nach dem Oktoberumsturz für kurze Zeit Volkskommissar für Eisenbahnangelegenheiten.
Der Dissident Lenin lebte bis zu Beginn seines Exils in Westeuropa, das ihn von vielen früheren Bindungen abschnitt, als umsorgtes Mitglied einer Art revolutionären Familienunternehmens. Dass er darin die führende Rolle einnahm und vor allem die Mutter und die Schwestern die Bedürfnisse des Sohnes und Bruders mehr im Auge hatten als ihre eigenen, entspricht gängigen Darstellungen über das »Innenleben« der Uljanows.29 Abgesehen davon gibt es aber auch Hinweise darauf, dass Lenins Geschwister durchaus eigenständige »revolutionäre Karrieren« verfolgten und der Bruder trotz seiner Sonderstellung nicht immer die »Sonne« war, um die sie selbstverleugnend kreisten.30
Anfang 1897, nach über einem Jahr in Untersuchungshaft, wurde Lenin zu drei Jahren Verbannung in Sibirien verurteilt. Es handelte sich um eine sogenannte administrative Verbannung, die seine Bewegungsfreiheit einschränkte und die Einhaltung gewisser Verhaltensregeln erforderte. Sie bedeutete jedoch keine Haft und ähnelte jenen Schrecknissen, wie sie etwa Fjodor Dostojewskij im Laufe seiner strafweisen Verschickung gen Osten widerfahren waren, nicht im Entferntesten.31 Die Schilderungen des Schriftstellers über menschenunwürdige Lebensbedingungen und zahlreiche Mithäftlinge, die in verschmutzten und eiskalten Unterkünften zusammengepfercht wurden, verweisen allerdings auf ein weit verzweigtes und vielgliedriges russisches Verbannungssystem: Zwischen dem Beginn des 19. Jahrhunderts und dem Revolutionsjahr 1917 wurde über eine Million Untertanen der Romanows nach Sibirien verbracht.32 Die Zahl jener, die aufgrund »politischer Unzuverlässigkeit« geächtet wurden, nimmt sich allerdings relativ gering aus. Zwischen 1881 und 1904 waren es etwa 6000 Personen, die infolge unliebsamer politischer Betätigung bzw. wegen »Störungen in Fabriken« den Weg nach Sibirien hatten antreten müssen.33
Lenins Familie war über die Zwangsverschickung Wladimirs nach Sibirien geradezu erleichtert. Sie hatte mitansehen müssen, wie die langen Monate im Gefängnis andere Häftlinge zermürbt, ihre physische und psychische Verfassung irreparabel beschädigt hatten. Nicht alle überlebten den Gewahrsam in der Peter-Paul-Festung.34 So wurde hingenommen, dass der geliebte Sohn und Bruder die nächsten Jahre dort verbringen musste, wo er nach Meinung der Obrigkeit weit genug weg war, um keinen unerwünschten Einfluss auf die Arbeiter im Reich auszuüben. Fast 5000 Kilometer von der Hauptstadt entfernt lag Lenins Bestimmungsort, eine kleine Siedlung mit dem Namen Schuschenskoje. Um ihm die Strapazen einer herkömmlichen Zwangsexilierung zu ersparen, erwirkte Lenins Mutter, dass der verurteilte Sohn, dessen Konstitution immer schon als eher schwach und angegriffen gegolten hatte, die lange Reise auf eigene Kosten antreten durfte. Die meisten seiner ebenfalls verbannten Genossen verfügten nicht über die dafür erforderlichen Mittel und trafen es überdies viel schlechter mit ihren Aufenthaltsorten, da die klimatischen Bedingungen dort im Regelfall rauer waren als in Schuschenskoje oder weil seelische Probleme in der Abgeschiedenheit überhandnahmen. Nicht alle konnten sich mental auf die schwierigen Bedingungen einer weitgehenden Isolation einstellen oder verfügten über einen so hilfreichen Rückhalt, wie Lenin ihn genoss. Die Familie begünstigte ihn materiell und stützte ihn psychisch. Dennoch fiel die erzwungene Distanz zu vormals engen Weggefährten schwer. Lenin vermisste nicht zuletzt Julij Martow, mit dem ihn damals eine herzliche Freundschaft verband. Wie schon vom Gefängnis aus blieb er mit ihm ebenso wie mit etlichen anderen Mitstreitern und vor allem mit der Familie auch jetzt zumindest in Briefkontakt. Freilich war die Postverbindung nach Sibirien mangelhaft. Regelmäßig kamen Briefe lediglich von jenen Genossen an, die sich in der Umgebung von Schuschenskoje befanden, um dort ebenfalls ihre Strafen abzubüßen.
Bevor Lenin nach Sibirien aufbrach, wurde ihm die Gelegenheit gegeben, sich auf die bevorstehende dreijährige Verbannung vorzubereiten. Vier Tage mussten reichen, um dringende Besorgungen zu machen und alle nötigen Vorkehrungen für die Reise zu treffen. Die Hingabe, ja der Fanatismus, der die Mitglieder des »Kampfbundes« antrieb, lässt sich daran ablesen, dass diese sich ungeachtet der Gefahr, in die sie sich damit begaben, nun eine Zusammenkunft in der Wohnung von Martows Familie ansetzten. Auch die noch in Freiheit befindlichen Aktivisten des »Kampfbundes« erschienen. Zu bereden gab es vieles: nicht zuletzt die Frage des Verhältnisses zu den autochthonen Arbeiterkomitees, d. h. vor allem vorhandene Pläne, diese eventuell stärker in die »Geheimzirkel der Intellektuellen« einzubinden.35 Von Belang war wohl auch die Verfügungsgewalt über die Streikkassen. Lenin vertrat in dieser Angelegenheit keine explizite Meinung, obwohl er sich anscheinend eher dafür aussprach, die Führungsrolle der bisherigen Zirkel nicht ohne Weiteres mit anderen zu teilen oder gar abzugeben.36 Weitere Entscheidungen konnte er nicht mehr beeinflussen. Für ihn persönlich galt es jetzt, sich Ziele zu stecken, die mit dem bevorstehenden sibirischen Exil in Einklang zu bringen waren.
Dass Verurteilte ihre Familien mit nach Sibirien nahmen, war im Grunde nichts Ungewöhnliches. Auch Lenin verbrachte den Großteil seiner Zeit dort nicht allein. Schon wenige Monate nach seiner Ankunft bemühte er sich darum, Nadeschda Krupskaja nach Schuschenskoje kommen zu lassen. Diese war ebenfalls verbannt worden, nur eben an einen anderen Ort. Um bei Lenin sein zu können, hatte sie sich gegenüber den Behörden als seine Verlobte ausgegeben. Aus diesem Grund erhielt sie schließlich die Erlaubnis, dem Bräutigam nachzufolgen. Lenins Schwiegermutter in spe reiste ebenfalls an. Im Juli 1898 fand die Vermählung statt – kirchlich, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Lenin kündigte sein bisheriges Zimmer und die jungen Eheleute mieteten »ein halbes Haus mit Gemüsegarten«, wo sie einen »regelrechten Familienhaushalt« führten.37 Um der mit Hausarbeit wenig vertrauten Nadeschda unter die Arme zu greifen, wurde ein dreizehnjähriges Mädchen als »Aushilfe« engagiert, dem »Frau Uljanowa« Lesen und Schreiben beizubringen begann.38
Kontakte mit den Einheimischen von Schuschenskoje gab es, obwohl Nadeschda in ihren Erinnerungen an Lenin nicht umhinkam, die notorische Trunkenheit unter den Bauern kritisch anzumerken. Immer wieder dachte das junge Paar daran, was wohl gerade in St. Petersburg passierte. »Wir träumten«, berichtete Nadeschda später, »von mächtigen Arbeiterdemonstrationen, an denen wir einmal teilnehmen würden«.39 Gemeinsam mit Lenin übersetzte sie außerdem aktuelle politische Texte aus dem Englischen, aber auch Schriften über den deutschen Revisionismusstreit ins Russische. Bei aller Empörung über die Ansichten Eduard Bernsteins – Auslöser der Debatte und nach Meinung Lenins ein »Held des Opportunismus«40 –, erfüllte ihn immerhin Karl Kautskys Haltung mit Genugtuung, ja sie wurde regelrecht zum Anker. Die Schriften des SPD-Mannes, den eine enge Zusammenarbeit mit Friedrich Engels auf seine Rolle als Chefideologe der deutschen Partei vorbereitet hatte, waren Pflichtlektüre unter den jungen Sozialdemokraten des Petersburger »Kampfbunds« gewesen. Kautskys Kritik an Bernstein maß Lenin folgerichtig die allergrößte Bedeutung bei und er sah sich nicht zuletzt bestätigt in seiner eigenen Ablehnung des Ökonomismus, den er auch als »Streikismus« bezeichnete.41 Nicht anders als der prominente, in Deutschland wirkende Sozialdemokrat aus Prag pochte auch der russische Genosse in Sibirien auf die wissenschaftliche Basis des Sozialismus. Genau auf diese aber hatte es Bernstein abgesehen. Wenig hielt dieser dementsprechend von Weissagungen eines unmittelbar bevorstehenden »Zusammenbruchs der politischen Ordnung in Folge einer großen, allumfassenden Krisis des kapitalistischen Wirtschaftssystems«.42 Selbiges galt für den Übergang zur sozialistischen Gesellschaft, den er sich als einigermaßen problematisch vorstellte. Was immer man unter der »Errichtung einer in allen Punkten streng kommunistisch geregelten Gesellschaft« verstehe, liege noch »in ziemlich weiter Ferne«. Ein »großer Krach, der womöglich mit einem großen Schwunge ins gelobte Land hinüberführt« war seines Erachtens völlig unrealistisch. Die Sozialdemokratie, meinte er, unterstelle Wunder, »ohne an Wunder zu glauben«.43
Dem Ärger über den »Verrat« am Marxismus standen allerdings auch weniger angespannte Phasen gegenüber. Soweit es die Arbeit an seinem Buch Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland zuließ, frönte Lenin der Jagd, erlegte Hasen, ging fischen und durchstreifte mit seinem Hund die Umgebung oder fuhr Schlittschuh. Schuschenskoje oder »Schu-schu«, wie er es nannte, hielt er in Summe für ein gar nicht so übles Dorf. Ganz offenkundig war er sich darüber im Klaren, dass er es im Vergleich zu etlichen seiner Genossen nicht so schlecht getroffen hatte und »Schu-schu« ein ganz akzeptabler Platz war, um die Verbannung »abzusitzen«. Die Schneeschmelze zog sich freilich auch hier bis in den Sommer hinein und die Winterabende konnten sehr lange sein. Zuweilen widmete er sich dann auch der Lektüre von Romanen. Wie schon in seiner Jugend bevorzugte er Bücher von Turgenjew oder Tolstoj.44 Von Dostojewskij mit seinen slawophilen Überzeugungen und einer mystisch-religiösen Weltanschauung hingegen hielt er gar nichts. Diesen »Mist«, so sein vernichtendes Urteil, ignorierte er.45
Die Beziehung zwischen Lenin und Nadeschda Krupskaja wurde später vor allem als Verbindung zweier Gleichgesinnter dargestellt, in der es, wenn überhaupt, nur ein Minimum an romantischen Gefühlen gab. Da Nadeschda das Verlöbnis womöglich erfunden oder zumindest vorweggenommen hatte, wirkte es außerdem so, als sei die Ehe aus Lenins Perspektive eher passiert, als dass sie dringend gewollt oder gar ersehnt worden war. Auch weil das Paar kinderlos blieb, mutmaßte eine an traditionellen Rollenbildern orientierte Nachwelt über die Dominanz geistiger Übereinstimmung der Eheleute und eine weitgehende Absenz anderweitiger Gefühle. Nadeschdas Andeutungen gegenüber der Schwiegermutter, die offenbar in ihren Briefen den Wunsch nach Enkelkindern zum Ausdruck gebracht hatte, ist allerdings zu entnehmen, dass das Ausbleiben von Nachwuchs nicht an der Enthaltsamkeit des jungen Paares lag. Trotzdem wurde – wenig schmeichelhaft – in diesem Kontext Nadeschdas äußere Erscheinung in vielen Darstellungen als eher unattraktiv beurteilt. Tatsächlich begannen aufgrund einer Basedow-Erkrankung ihre Augen im Laufe der Zeit immer deutlicher hervorzutreten. Lenins Schwester, die ihrerseits dem Familienneuzugang mit einer unverkennbaren Geringschätzung begegnete, verglich das Aussehen der Schwägerin deswegen gar mit dem eines Herings. Vorhandene Jugendfotos zeigen allerdings keineswegs eine Frau mit irgendeinem erwähnenswerten äußeren Makel. Lenin indessen, mit seinem schütteren Haar, der hohen Stirn und einer eher gedrungenen Gestalt, gab womöglich seinerseits nur bedingt das Bild eines begehrenswerten Bräutigams ab, während Nadeschda der Vorstellung von einer aparten jungen Frau vielleicht sogar eher entsprach. Obgleich für ihn die Revolution immer an erster Stelle stand und auch seine Partnerin leidenschaftlich für dieses Ziel kämpfte, mangelte es den beiden Eheleuten allem Anschein nach nicht an gegenseitiger Zuneigung.46 In den nachfolgenden Jahrzehnten gestaltete sich das Verhältnis allerdings immer wieder kompliziert und reduzierte Nadeschda oft auf die Rolle einer loyalen Gefährtin und einer »treuen Seele« in einem unsteten »revolutionären Leben«.
Reflexionen dieser Art hätte sich der spätere Revolutionsführer in einer Autobiografie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit erspart. Wichtig waren andere Dinge. Zum Beispiel die Frage der Aufgaben der russischen Sozialdemokratie. Und er war nicht der Einzige, der sich über dieses Thema Gedanken machte. Auch Pawel Axelrod, der deutsche Diskussionen über die Frage der Zukunft der SPD als einer »Volkspartei« reflektierte, setzte sich mit dem Problem eines womöglich drohenden Verharrens der Arbeiterbewegung im Alltag des Arbeitskampfes auseinander, mit dem fehlenden politischen Bewusstsein des Proletariats und mit der Notwendigkeit von Bündnissen. Die zersplitterten Feinde der absolutistischen Ordnung sollten für einen gemeinsamen Ansturm gewonnen werden, die sozialdemokratische »Avantgarde« des Proletariats müsse allerdings als Vorkämpferin der Demokratie auftreten.47 Axelrod skizzierte im Zusammenwirken mit einem immer noch schwachen, aber, wie er meinte, an Einfluss zunehmenden Liberalismus ein erfolgversprechenderes Modell für die Weiterentwicklung der russischen Sozialdemokratie. Das übergeordnete Ziel von der Überwindung der Autokratie sollte der Fixiertheit auf Streikbewegungen und dem Verzicht auf Kooperation entgegenwirken. Das Potenzial des Widerstands, wie es Axelrod beschwor, konnte Lenin nicht ausmachen. Eine tiefgehende Ablehnung der Autokratie legte nach seinem Ermessen lediglich das Proletariat an den Tag. Alle anderen Teile der russischen Gesellschaft blieben, war er überzeugt, verführbar gegenüber etwaigen Zugeständnissen des Regimes. Und das galt vor allem für die Liberalen. Er sträubte sich aber nicht gegen Bündnisse im Sinne von Zweckgemeinschaften und hielt in der in Sibirien verfassten Schrift Die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten explizit fest: »Die Sozialdemokraten unterstützen jede revolutionäre Bewegung gegen die jetzige Gesellschaftsordnung, jede unterdrückte Völkerschaft, jede verfolgte Konfession, jeden erniedrigten Stand usw. in ihrem Kampf um Gleichberechtigung.«48 Vorkämpfer »für politische Freiheit und demokratische Einrichtungen« könne aber – hier war er mit Axelrod d’accord – nur das Proletariat sein. Eine »Verschmelzung der demokratischen Tätigkeit der Arbeiterklasse mit dem Demokratismus der übrigen Klassen und Gruppen« würde hingegen die »Kraft der demokratischen Bewegung« und »den politischen Kampf schwächen«, ihn »weniger entschlossen, weniger konsequent gestalten und mehr Raum für Kompromisse geben«.49 Lenins Vorstellungen von den bevorstehenden Aufgaben strebten demgegenüber einer Homogenität der »Bewegung« zu, die in die Forderung mündete: »Alle wahren und konsequenten Demokraten in Rußland müssen Sozialdemokraten werden.«50 Später, in einem Brief an seinen Kameraden Alexander Potresow, der sich ebenfalls in sibirischer Verbannung befand, machte er überdies klar, dass bloßen »Bundesgenossen« keine »Gleichberechtigung« zugestanden werden könne. Sie müssten hintendrein nachfolgen oder – mit Lenins Worten – »im Nachtrab einherziehen«, und das »manchmal sogar ›zähneknirschend‹«.51 Lenin wollte andere politische Gruppierungen lediglich »utilisieren«, wie er wortwörtlich vermerkte.52
Im Text über die Aufgaben der russischen Sozialdemokraten rief er die »Petersburger Arbeiter und Sozialisten« außerdem dazu auf, sich mit revolutionärer Disziplin und der Perfektionierung konspirativer Arbeit gegen die Macht der Ochrana zu stemmen. Er, der selbst zum Opfer behördlicher Verfolgung geworden war, erteilte nun von Sibirien aus Ratschläge, um weitere Massenverhaftungen zu vermeiden. Er hob die Bedeutung lediglich kleiner Führungsgruppen hervor, die einer Vielzahl von Mitstreitern spezialisierte Aufgaben zuteilen sollten. Die Größe und die Ausstrahlung der solcherart verfügbaren Netzwerke sowie die Konzentration auf einen stark reduzierten Kern von Strategen sollte demnach die Methoden der Geheimpolizei unterlaufen, die überall Spitzel einschleuste und durch Einschüchterung die Zahl von Verrätern, die dann gemeinsame Sache mit der Geheimpolizei machten, zu mehren trachtete.53
Ohne Zweifel beeinflusste die eigene Erfahrung von Haft und Verbannung Lenins Ansichten über den einzuschlagenden Weg der russischen Sozialdemokratie nachhaltig. Trotzdem brach er die Brücken zu jenen, die anderen Konzepten nachhingen, nicht ab. Immer noch ging es vorrangig um die Sammlung von Kräften für den Kampf gegen die Zarenherrschaft.
Dem frühen Pochen Lenins auf ein Spezialistentum trainierter Berufsrevolutionäre schien überdies nicht nur das eigene, sondern auch das Schicksal jener Genossen Recht zu geben, die im März 1898 in Minsk die Sozialdemokratische Partei gründeten. Kurz nach dem denkwürdigen Ereignis, mit dem Lenin entgegen einem sich hartnäckig haltenden Irrtum nichts zu tun hatte, wurden sie verhaftet.54 Ungeachtet dessen war die Geburt der Partei ein wirkmächtiges Symbol. Sie markierte einen Anfang, der Kontinuität verhieß und zum Bezugspunkt nachfolgender Bemühungen um ein organisatorisches Fundament wurde. Pjotr Struwe »adelte« die Tat der neun Delegierten, die sich in Minsk zusammengefunden hatten, mit einem nachträglich verfassten Manifest. In ihm beschwor er die »Traditionen der gesamten vorangegangenen revolutionären Bewegung in Rußland«.55 Und er versah die Neugründung mit einem Namen, den sie sich selbst so gar nicht gegeben hatte.
Die nunmehrige Sozialdemokratische Arbeiter-Partei Rußlands (SDAPR) spiegelte in vielerlei Hinsicht die Dilemmata der russischen Sozialdemokratie wider: Kaum ins Leben gerufen, landeten die Repräsentanten der verschiedenen Gruppen, die zumindest am Papier eine gemeinsame Partei geschaffen hatten, im Gefängnis. Die Gefahr, am Überwachungssystem des Zarenreichs zu scheitern, bevor konkrete Schritte gesetzt werden konnten, war damit ein weiteres Mal belegt. Die in Minsk erfolgte Einigung vermochte zudem kaum zu verwischen, wie wenig es gelungen war, grundsätzliche Hindernisse auf dem Weg zu einer tatsächlich geschlossenen Partei zu überwinden. Nicht zuletzt die spezifischen Probleme des zarischen Vielvölkerreichs kamen in diesem Zusammenhang zum Vorschein. Vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen der Polnischen Sozialistischen Partei (Polska Partia Socjalistyczna, PPS) und dem »Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbund« vollzog sich ein vager Zusammenschluss, der viele grundsätzliche Fragen betreffend die Organisation einer Partei in einem multinationalen Staat offenließ. Das Recht auf Selbstbestimmung hatten russische Sozialdemokraten jedenfalls bereits im Rahmen des Internationalen Sozialistischen Arbeiter- und Gewerkschaftskongresses in London anerkannt. Trotzdem ergab sich nun ein schiefes Bild gegenüber den Polen, die jetzt abseits geblieben waren. Die Konflikte zwischen PPS und der »Sozialdemokratie Russisch-Polens« mit Rosa Luxemburg als Galionsfigur ließen zusätzliche Probleme erwarten.56 Darüber hinaus fehlte ungeachtet des erwähnten Manifests ein Programm. Für dessen Ausarbeitung hatten »Kraft und Zeit nicht ausgereicht«.57
Die russischen Sozialdemokraten im Exil nahmen zunächst kaum Notiz von den Vorgängen in Minsk, sondern widmeten sich der Frage nach der weiteren Entwicklung der Arbeiterbewegung im Zarenreich vielfach nach altem Muster. Sozialismus und politischer Kampf firmierten als untrennbare Leitlinie. Doch die Differenzen zwischen der Gruppe »Befreiung der Arbeit« mit Plechanow, Axelrod sowie Vera Sassulitsch an der Spitze und einer jüngeren Generation von Emigranten begann sich mehr und mehr zuzuspitzen. Allen voran rebellierte Sergej Prokopowitsch gegen die »Alten« und hielt ihnen mangelnden Realitätssinn vor. Er sah »Feldherren« ohne Armee und »Fernfuchtelei« mit dem »Pappschwert«58, zudem Ziele, die sich an Intellektuelle richteten, nicht aber an das Proletariat. Dieses habe sich »nicht den Sturz des Absolutismus« zur Aufgabe gemacht, sondern den »›ökonomischen Kampf‹ um die eigenen Nöte und Interessen«. Wer ihm »eine politische Zielsetzung auferlegen wolle«, werde die Arbeiter lediglich »gegen das Joch der Intelligenz« aufbringen.59 Das waren deutliche Worte. Lenin, der im Gegensatz zum »Auslandsbund russischer Sozialdemokraten« die Gründung der Partei in Minsk sehr wohl als bedeutsamen Schritt zur »Verschmelzung« von Sozialdemokratie und Arbeiterschaft wahrnahm, stellte sich auf die Seite der Veteranen und damit gegen die »Jungen«, wetterte gegen die Ökonomisten und erklärte den Sturz der Selbstherrschaft in Russland zu einem genuinen Ziel der Arbeiterschaft, ja zu ihrer ersten Aufgabe.60 Schon damals, meinte Lenin später, hatten die »Alten« eine »Organisation der Revolutionäre« vertreten, »der die verschiedenen Arbeiterklassen, die Propagandazirkel der studierenden Jugend u. dgl. untergeordnet sein müßten«.61
Die aufgezeigten Gräben wurden nur notdürftig zugeschüttet, bis es im Frühjahr 1900 zum Bruch kam, begleitet von »hysterischen Anfällen« und Handgreiflichkeiten.62 Die Mitglieder des »Auslandsbundes« und Plechanows Gruppe »Befreiung der Arbeit« wollten von nun an getrennte Wege gehen.63 Die Position eines Führers der russischen Sozialdemokratie war ganz offensichtlich angreifbar geworden. Ins Abseits manövrierte er sich allerdings selbst. Seine übertriebenen Angriffe gegen den »Auslandsbund« bzw. die Redaktion der Zeitung Rabotscheje Delo unterstellten eine fortgesetzte Propagierung des Ökonomismus, obwohl sich dort anscheinend jene durchgesetzt hatten, die um Sachlichkeit und Ausgleich bemüht waren.64 Die Empörung Plechanows schoss weit übers Ziel und leitete eine Isolierung ein, die langfristig seinen früheren Sonderstatus untergrub.
Doch die alten Autoritäten wankten auch anderswo. Nach dem Tod von Friedrich Engels im Sommer 1895 musste die deutsche Sozialdemokratie ohne den »Urquell der Wahrheit« auskommen.65 Umso schwerer fiel es, im Revisionismusstreit den Kurs zu halten. Mit Eduard Bernstein hatte sich ein Fürsprecher pragmatischer Politik zu Wort gemeldet, der – ganz anders als Lenin – keine Zertrümmerung bestehender Verhältnisse propagierte. Er sah vielmehr erstrebenswerte Etappenziele, die nach seinem Dafürhalten den Verzicht auf eine »utopistische Eschatologie« aufwogen.66 Der Sozialismus erschien nicht als »fest umrissener Endzustand«, sondern äußerte sich demzufolge nur als »eine allgemeine Tendenz oder Richtung der gesellschaftlichen Höherentwicklung« und auf diese Weise war, so Bernstein, »das Endziel, was immer es sein mag, nichts, die Bewegung alles«.67 Während sich Karl Kautsky als Reaktion darauf darum bemühte, Weg und Ziel nicht als sich ausschließende, sondern einander ergänzende Kategorien zu präsentierten, riefen Bernsteins Auffassungen einen erzürnten Georgij Plechanow auf den Plan. Dessen wutschnaubende Angriffe gegen Bernstein brachten selbst jene auf Distanz, die gewillt waren, seinen Entgegnungen auf inhaltlicher Ebene zu folgen. Da Plechanow sich noch dazu einer Argumentationsweise befleißigte, die nach Karl Kautskys Worten den Massen »schnuppe« und obendrein unverständlich war, schien sich das Bild vom abgehobenen Intellektuellen, dem es an Verständnis für die realen Anliegen der Arbeiterschaft fehlte, zu bestätigen.68
Die russische Marxismus-Kritik reflektierte den deutschen Revisionismusstreit auf ihre Art, und zwar schon deshalb, weil sich dahinter nicht zuletzt die Herausbildung der Liberalen vollzog. Sie kreiste nicht nur um die konkreten Aufgaben der Sozialdemokratie, wie sie der erwähnte Prokopowitsch angesprochen hatte, sondern – hier wiederum wie in Deutschland – auch um Kernpunkte der marxistischen Lehre und damit um die grundlegenden Voraussetzungen sozialdemokratischer Politik. Vor diesem Hintergrund erschien etwa Pjotr Struwe die Haltung Plechanows als die eines Gestrigen, der »auf völlig hoffnungslose Positionen besteht«. »Die Wirklichkeit« habe die »Orthodoxie längst zum Teufel gejagt«.69 Trotz aller Verwerfungen ging es aber nicht um eine komplette Demontage des Marx’schen Lehrgebäudes. Die Absage an den theoretischen »marxistischen Revolutionsbegriff« ging vielmehr mit der »persönlichen Bereitschaft zu revolutionärem Einsatz« einher. Das war es auch, was den »russischen Revisionismus« so besonders machte.70 Für Lenin war das keine akzeptable Verbindung, eher ein fauler Kompromiss. Die Marxismus-Kritik Struwes, mit dem er auf vielfältige Art und Weise auch in Sibirien in Verbindung geblieben war, stieß ihn ab. Für einen Bruch reichte das aber noch nicht, eine Gesprächsbasis blieb bestehen. Struwes Hoffnungen, Lenin würde einem gläubigen Dogmatismus entsagen, erfüllten sich jedoch nicht – im Gegenteil.
Mehr noch aber als die Standpunkte Struwes brachten Lenin die Überlegungen Jekaterina Kuskowas, der Ehefrau Sergej Prokopowitschs, in Rage. Das Credo einiger Petersburger Sozialdemokraten, das Kuskowa zu Papier gebracht hatte, wollte Lenin nicht unwidersprochen lassen. Das »erbärmliche Wortgeklingel«,71 so Lenin, sollte als Anhäufung inhaltsloser Phrasen entlarvt werden. Der Text, den er daraufhin verfasste, gelangte von Sibirien in die Schweiz, um dort unter dem Titel »Protest russischer Sozialdemokraten« veröffentlicht zu werden. In Kuskowas Schrift wiederum, die Lenin seinen eigenen Kommentaren voranstellte, wurde den russischen Marxisten der Rat erteilt, sich am »wirtschaftlichen Kampf des Proletariats« zu beteiligen, den Plan einer eigenen Partei aufzugeben und sich nicht über die von der russischen Wirklichkeit abweichenden Entwicklung des Proletariats im Westen hinwegzutäuschen. Fast überall habe dort »die Arbeiterklasse als Klasse die demokratischen Einrichtungen nicht« selbst »erkämpft«, sondern »sie benutzt«.72 Im Zarenreich gingen die Uhren in jeder Hinsicht anders. Trotzdem sei so etwas wie Optimismus angebracht. Die russische Regierung hatte angesichts des Ausmaßes der vergangenen großen Streiks im Land immerhin mit einem Fabriksgesetz reagiert, das die tägliche Arbeitszeit einheitlich auf elfeinhalb Stunden festlegte, Nacht- sowie Frauen- und Kinderarbeit neu regelte und verbindliche Feiertage anordnete.73 Solche Konzessionen wurden als Erfolg der vergangenen Kämpfe gewertet. Müsse man sich nicht jetzt, so fragte Kuskowa schließlich, auf die Fortsetzung der bisherigen, offenbar vielversprechenden Anstrengungen konzentrieren?
Lenin aber dachte völlig anders. Über die Unzulänglichkeiten der staatlichen Arbeitsschutzpolitik hatte er sich bereits bei früherer Gelegenheit ausgelassen.74 Gemessen an den Forderungen des SPD-Programms mit dem dort verankerten Kampf für einen Achtstundentag, nahmen sich die russischen Errungenschaften tatsächlich einigermaßen dürftig aus. Nun ging es jedoch ohnehin um viel mehr, um Prinzipielles, um Weichenstellungen. Lenin echauffierte sich über den im Credo ausgebreiteten »Vulgärsozialismus«, bezeichnete den angeratenen Verzicht auf eine selbstständige Arbeiterpartei als Unding und hob die augenscheinliche Notwendigkeit hervor, die »Theorie des revolutionären Marxismus« vor »Entstellungen und Verflachungen« zu bewahren. Die »Eroberung politischer Freiheit« müsse Sache der russischen Arbeiter sein, wobei die Sozialdemokratie nicht vergessen dürfe, »mit der Ausdehnung der Bewegung« auch andere Teile der Bevölkerung, wie etwa »die Landarbeiter« oder die »Millionen der ruinierten und Hungers sterbenden« Bauern, »in die Reihen der von ihr organisierten Arbeitermassen« miteinzubeziehen.75 Auch er reflektierte damit Diskussionen über eine »Volkspartei« bzw. über die Agrarfrage, die am Anfang des deutschen Revisionismusstreits gestanden war.76 Mit seiner Warnung vor naiv anmutenden Hoffnungen auf eine schrittweise Annäherung zwischen Forderungen der Arbeiterschaft und Reformangeboten der Regierung nahm Lenin außerdem die Schaffung polizeilich kontrollierter Gewerkschaften vorweg. Sie entstanden auf Betreiben der Ochrana und erhielten durchaus Zulauf. Tatsächlich versetzten diese – allerdings kurzlebigen – Organisationen die russische Sozialdemokratie in Angst und Schrecken. Eine Streikwelle beendete ihre ungewöhnliche Existenz, die von Vorstellungen einer uneingeschränkten Kontrolle und der Verhinderung größerer Arbeiterproteste ausgegangen war.77
Lenin verfasste seine Entgegnung nicht zuletzt als Appell an alle sozialdemokratischen Gruppen und Arbeiterzirkel in Russland, sich zu den strittigen Positionen zu äußern und Stellung zu beziehen. Alle »Meinungsverschiedenheiten« sollten bereinigt und die »Organisierung und Festigung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands« beschleunigt werden.78 Lenins Aufruf verdeutlichte die Sorge um die Zukunft der Sozialdemokratie im Zarenreich. Gleichzeitig formulierte er bereits deren Führungsanspruch. Gegenüber seiner Schwester Anna hatte er offenbart, dass ihm die »Polemik mit den eigenen Leuten unangenehm« sei. Differenzen aber, setzte er hinzu, dürften nicht ignoriert werden, das sei »geradezu schädlich«.79 Es dauerte freilich nicht lange und er schimpfte über eine lautstark eingeforderte »Freiheit der Kritik«, die nichts anderes als »Eklektizismus und Prinzipienlosigkeit« anzubieten habe.80
Klar hervorgehoben hatte Lenin mit seinen Ausführungen wider das Credo der Ökonomisten das Festhalten an einem Marxismus ohne Verfälschungen. Diese, meinte er, würden »zur Mode gewordenen Theorien« immer wieder zusetzen.81 Der Text verwies zudem auf die eigenen Anstrengungen, in mühevoller Arbeit zu beweisen, dass die kapitalistische Entwicklung in Russland sich für die Marx’schen Theorien qualifiziert hatte. In der Verbannung widmete sich Lenin mit großer Energie seinem Opus magnum. Für das Monumentalwerk Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland, das alle Facetten der Herausbildung kapitalistischer Wirtschaft im Romanowimperium beleuchten wollte, trug er akribisch eine Unmenge von Materialien zusammen. Seine Mutter und die Schwestern bat er unentwegt, ihm bestimmte Zeitschriften und Bücher, aber auch greifbare Zusammenstellungen behördlicher Daten zu besorgen und nach Schuschenskoje zu senden. Seine Gedanken kreisten ständig um bestellte Bücher und Zeitschriften, die aus irgendeinem Grund auf sich warten ließen oder verspätet eintrafen.82
Doch augenscheinlich fanden immer noch genügend Druckwerke den Weg nach Schuschenskoje. Nicht umsonst mussten am Ende von Lenins Aufenthalt in Sibirien fast 250 Kilogramm Bücher eingepackt werden. Nichts, was an aktueller Literatur vorhanden war, sollte ihm entgehen. Vor allem galt dies in Hinblick auf die Arbeit an seiner Studie. In ihr trat er mit einer Vielzahl von Tabellen und Belegen den – aus seiner Sicht – unverrückbaren Beweis an, dass auch die russische Agrarwirtschaft bereits »unter den Bedingungen der Warenproduktion« existierte und »alle Merkmale kapitalistischer Veränderungen« aufwies.83
Posthum bemängelten Kritiker an Lenins Buch die Überbetonung der klassenmäßigen Differenzierung der Bauernschaft mit fragwürdigen Definitionsrahmen für »proletarische Höfe«, Mittel- und kapitalistische Bauern. Dass er gründlich gearbeitet hatte, wurde jedoch nicht bestritten.84 Insgesamt ging das als »Meisterstück« angelegte Werk ziemlich unter. Zeitgenössische Rezensenten beachteten es kaum. Es gab in Summe nur wenige Besprechungen, von denen die meisten nicht gerade euphorisch ausfielen. Trotzdem war nicht zu leugnen, dass der Autor klare Thesen vertrat. Der Bauernfrage maß Lenin eine eminente Bedeutung bei. Und er setzte alles daran, sie in geeigneter Form auch im Rahmen eines Programms der russischen Sozialdemokratie zu berücksichtigen. So »unsinnig« es wäre, meinte er in seinem 1899 zu Papier gebrachten Programmentwurf, »die Bauernschaft zum Träger der revolutionären Bewegung zu proklamieren«, so unvernünftig erschien ihm das Ignorieren von »revolutionären Elementen« auch in ihren Reihen.85
Gerade die letzte Phase in Verbannung empfand Lenin als eine Zeit höchster Anspannung. Seine Nerven lagen blank. Tobsuchtsanfälle und Nervenzusammenbrüche prägten aber auch die kommenden Jahre, als interne Meinungsverschiedenheiten einen Bruch zwischen ehemals Verbündeten nach sich zogen. In Sibirien belastete ihn nicht zuletzt der erbitterte Kampf um Aufmerksamkeit. Trotz der erzwungenen Abgeschiedenheit wahrgenommen bzw. gehört zu werden, war schwierig und immer wieder mit Rückschlägen verbunden. Informationen über das, was sich innerhalb der russischen Sozialdemokratie im Exil sowie im Zarenreich selbst abspielte, erreichten ihn oft nur mit Verzögerung. Sich ein halbwegs authentisches Bild von den tatsächlichen Vorgängen zu machen, war alles andere als einfach. Als prägend erwies sich wohl das Gefühl des Kontrollverlusts und des Ausgeschlossen-Seins. Abweichungen von festgeschriebenen Doktrinen nahm Lenin vor diesem Hintergrund mehr und mehr als hinderlich, ja schädlich für die Zukunft der Sozialdemokratie im Zarenreich wahr. Die Vielfalt von Meinungen und Strömungen, die er, so gut es ging, vom Verbannungsort aus mitverfolgte, bedingte allem Anschein nach Chaos. Die Richtungsstreitigkeiten, die nun ausbrachen, machten seine eigenen Überlegungen regelrecht obsolet. Sie rührten an Prinzipiellem. Während Lenin in Sibirien daran arbeitete, den Marxismus immer noch in dezidierter Abgrenzung zum Narodnitschestwo sowie im Sinne einer für Russland unausweichlichen Perspektive darzulegen, nahmen die Differenzen unter den Sozialdemokraten im In- und Ausland überhand. Lenins Polemiken gegen die Volkstümler wirkten jetzt regelrecht deplatziert oder zumindest nebensächlich. Eine Zerstörung des bisher Erreichten erschien möglich, der Traum von der großen Umwälzung und dem Ende der Autokratie drohte in noch weitere Ferne als bisher zu rücken. Alles, womit er sich in den vergangenen mehr als zehn Jahren befasst hatte, wurde infrage gestellt. »Großmäulige ›Erneuerer‹«, schimpfte er, drängten sich in den Vordergrund, Unberufene reduzierten die marxistische Lehre auf einen mehr oder weniger apolitischen Lohnkampf und das Ringen um Zugeständnisse seitens der Unternehmer.86 Am Ende aller Anstrengungen sollte nun keine Revolution, d. h. eine Beseitigung der bestehenden Ordnung stehen, sondern eine Konstitution. Der Umsturz des Regimes wurde als mehr oder weniger unerreichbares, ja nicht einmal mehr anzustrebendes Ziel bezeichnet. Die Einschätzung, wonach der Kapitalismus nicht nur Ausbeutung, sondern auch Fortschritt bedeutete und insofern auch Vorteilhaftes für das Proletariat bereithielt, ließ ihn als natürlichen Verbündeten im Kampf um eine demokratische Entwicklung erscheinen. Die Schlussfolgerungen, die daraus gezogen wurden, befürworteten ein Zusammengehen mit liberalen Positionen.
Lenin quittierte solche Anschauungen mit blankem Entsetzen. Aber nicht nur er: Die allermeisten der nach Sibirien verschickten Kampfbund-Mitglieder teilten seine Abscheu. Auch Julij Martow, der sich vehement gegen die vermeintlichen Fehlentwicklungen stemmte.87 Unvermeidlich war bei alledem ein Blick zurück – nur so konnte verständlich gemacht werden, warum und wie auf die aktuellen Probleme reagiert werden musste. In seinem Entwurf eines »Programms unserer Partei« reflektierte Lenin vergangene Standpunkte und berief sich dabei auf Plechanows Gruppe »Befreiung der Arbeit« bzw. deren Grundsätze. Obwohl er diese immer noch teilte – darunter die dezidierte Forderung nach dem »Übergang aller Produktionsmittel und Produktionsgüter in gesellschaftliches Eigentum«, nach der »Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse« oder der »kommunistischen Revolution« –, plädierte er für zeitgemäße Änderungen. Und er sprach sich für eine klare Trennung von jenen Kräften aus, die bestrebt waren, die »›goldene Mitte‹ zwischen Proletariat und Bourgeoisie« einzunehmen. »Nachgeahmt« werden sollte, so Lenin, das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie, das 1891 entstanden war und eine stärkere Orientierung der Partei an der »orthodoxen« marxistischen Lehre beinhaltete. Lenin selbst verwendete diesen Ausdruck, wobei er »Nachahmen« nicht als bloßes »Abschreiben« vom deutschen Vorbild verstand. So empfahl er Adaptionen, die den spezifischen russischen Verhältnissen angepasst sein sollten und Etappenziele beinhalteten.88 Angesichts der im Zarenreich bestehenden Selbstherrschaft sei zunächst die Forderung nach einer »demokratischen Verfassung« ausreichend.89 Hier gab er sich noch bei Weitem zahmer als nach Ende seiner Verbannung. Dem Terror als Kampfmittel schwor er aber schon damals nicht grundsätzlich ab. Er hielt ihn lediglich unter den gegebenen Umständen für wenig zielführend, räumte aber etwaige Änderungen der Taktik ein.90 Für zentral erachtete er u. a. die »Darlegung des Klassenkampfes des Proletariats als Grundlage unserer Bewegung« und die Auseinandersetzung mit »der Notwendigkeit des politischen Charakters des Klassenkampfes«.91
Wer an einem neuen Parteiprogramm feilte, musste sich gezwungenermaßen auch mit Fragen der Organisation befassen. Die von Beginn an schwachen Strukturen der 1898 gegründeten Partei hatten sich binnen kürzester Zeit wieder in Luft aufgelöst. Ein Zusammenhalt zwischen den einzelnen lokalen Organisationen fehlte. Was war also naheliegender, als ein verbindendes Zentrum zu etablieren und die Herausgabe einer Zeitung voranzutreiben, die für Orientierung und eine klare Leitlinie sorgen sollte?92 »Die Gründung der Partei« bleibe bedeutungslos ohne ein entsprechendes Periodikum, mahnte Lenin.93 Als er Anfang 1900 Schuschenskoje verließ, hatte er die Pläne für ein Parteiorgan bereits im Kopf. Dieses, schrieb er später, sollte nichts weniger sein als ein »kollektiver Organisator«.94
Die Zeit, die Lenin in Sibirien verbrachte, nötigte ihn angesichts der vielfach betriebenen Neuorientierung des Marxismus bzw. des Wandels sozialdemokratischer Politik zu einer klar kommunizierten Standortbestimmung. Sein Aufenthalt in Sibirien ist – unabhängig von den Rahmenbedingungen des Zwangsaufenthaltes und dem oft herangezogenen Vergleich mit den brutalen Unterdrückungssystemen nach 1917 – in Summe als Reifungsprozess zu begreifen, in dem sich etliche der später so kompromisslos vertretenen Ansichten herauszubilden begannen. Der angehende Revolutionsführer entwickelte diese in dem Bewusstsein und mit der tiefen Überzeugung, das Erbe des Marxismus zu bewahren. Die Bedeutung des Revisionismusstreits kann in diesem Zusammenhang gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mit seinem Vorhaben, marxistische Prinzipien vor den Angriffen der »Ketzer« zu schützen, maßte sich Lenin etwas an, was die diesbezüglichen Lehren in den Augen mancher gar nicht erst hergaben. So zumindest betrachtete Friedrich Engels die geistige Verlassenschaft des Freundes, deren Auslegung freilich gerade er zu lenken versuchte, nicht als quasi-biblische Weisheiten mit unumstößlichen Vorgaben. Die Art und Weise, wie sich russische Sozialdemokraten den Schriften von Karl Marx annäherten, erinnerte ihn demgegenüber an die Exegese von »Textstellen aus den Klassikern oder aus dem Neuen Testament«.95
Schon Marx selbst, der sich bekanntlich skeptisch über die Existenz des »Marxismus« geäußert und nach Handlungsanleitungen suchenden Eiferern einen Korb gegeben hatte, spöttelte immer wieder über das »Auswendiglernen« bestimmter Texte durch seine Anhänger oder über den Glauben an irgendwelche »Heilsbotschaften«, für die er sich weder zuständig noch verantwortlich fühlte. Die Widersprüchlichkeit der Interpretationen, die marxistische Schriften nach sich zogen, und die Borniertheit insbesondere der russischen Diskutanten irritierten. Deren »Glaubensstreit« untermauerte den Eindruck von der Verschrobenheit der Kontrahenten und deutete außerdem auf das immer noch bestehende Ungleichgewicht zwischen den bestehenden sozialdemokratischen Zirkeln und der russischen Arbeiterschaft hin. Von den Querelen unter den sogenannten »Intelligenty« blieb das Proletariat freilich mehr oder weniger unberührt. Lenin selbst geißelte später die Weltfremdheit der Emigrantenkreise aus dem Zarenreich, die das oft unsichere Leben im Exil deformiert hatte. In endlosen Kaffeehausdebatten redeten sie sich in Rage und bauschten Kleinigkeiten zur Bedeutsamkeit auf. Lenin hingegen wählte nach eigener Wahrnehmung den Weg der Praxis. Und er machte klar, was er unter »Orthodoxie« bzw. unter einer »rechtmäßigen« Auslegung der Marx’schen Lehren verstand: die revolutionäre Sozialdemokratie.96
1 Vgl. Robert H. McNeal, Bride of the Revolution. Krupskaya and Lenin, Ann Arbor 1972, 67.
2 Robert Service, Lenin. Eine Biographie, München 2000, 121.
3 Stephan Rindlisbacher, Leben für die Sache. Vera Figner, Vera Zasulič und das radikale Milieu im späten Zarenreich, Wiesbaden 2014, 219.
4 Dietrich Geyer, Lenin in der russischen Sozialdemokratie. Die Arbeiterbewegung im Zarenreich als Organisationsproblem der revolutionären Intelligenz 1890–1903, Köln/Graz 1962, 4.
5 Vgl. dazu Bruno Naarden, Socialist Europe and Revolutionary Russia: Perception and Prejudice 1848–1923, Cambridge 2009, 85–156.
6 Vgl. Stepniak, Der Russische Bauer, Stuttgart 1893, XIII. Der Aliasname wurde auch »Stepnjak« geschrieben.
7 Vgl. Naarden, Socialist Europe, 74.
8 Geyer, Lenin, 8.
9 Ebd., XXII.
10 N. K. Krupskaja, Erinnerungen an Lenin, Bd. I, Moskau/Leningrad 1933, 11.
11 Geyer, Lenin, 1.
12 Ebd., 49.
13 Krupskaja, Erinnerungen, 18.
14 Geyer, Lenin, 53.
15 Krupskaja, Erinnerungen, 20.
16 Geyer, Lenin, 51.
17 Vgl. Adam B. Ulam, Die Bolschewiki. Vorgeschichte und Verlauf der kommunistischen Revolution in Rußland, Köln/Berlin 1965, 144.
18 Ebd., 53.
19 Vgl. Eva Ingeborg Fleischhauer, Die Russische Revolution. Lenin und Ludendorff (1905–1917), Borsdorf 2017, 14–25. Die Autorin geht in ihren Ausführungen zu Lenins etwaiger frühen Spionagetätigkeit so weit, hier bereits Kontakte zum späteren General Erich Ludendorff zu sehen und vermutet auch Verbindungen zum k. u. k. Geheimdienstoffizier Alfred Redl, der 1913 als Spion – zugunsten Russlands arbeitend – aufflog. Diesbezügliche Belege gründen sich aber auf eher fragwürdige Indizien.
20 Vgl. Verena Moritz/Hannes Leidinger/Gerhard Jagschitz, Im Zentrum der Macht. Die vielen Gesichter des Geheimdienstchefs Maximilian Ronge, St. Pölten/Salzburg 2007, 171f.
21 Zit. nach Michael Epkenhans/Gerhard P. Groß/Markus Pöhlmann/Christian Stachelbeck, Walter Nicolai – Annäherungen an einen Unbekannten, in: Dies. (Hg.), Geheimdienst und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Die Aufzeichnungen von Oberst Walter Nicolai 1914 bis 1918, Berlin/Boston 2018, 1–64, 43.
22 Geyer, Lenin, 63.
23 Ebd., 63.
24 Krupskaja, Erinnerungen, 21f.
25 Geyer, Lenin, 66.
26 Zit. nach ebd., 67.
27 Ebd., 75.
28 Krupskaja, Erinnerungen, 31.
29 Vgl. Service, Lenin, 163.
30 Vgl. Katy Turton, Forgotten Lives. The Role of Anna, Ol’ga and Mariia Ul’janova in the Russian Revolution 1864–1937, PhD thesis, Glasgow 2004.
31 Fjodor Michajlovič Dostojewski, Gesammelte Briefe, 1833–1881, München u.a., 93f.
32 Daniel Beer, Das Totenhaus. Sibirisches Exil unter den Zaren, Frankfurt am Main 2018, 23.
33 Ebd., 408.
34 Vospominanija rodnych o V. I. Lenine, Moskva 1955, 61.
35 Geyer, Lenin, 84.
36 Ebd.; Service, Lenin, 154.
37 Krupskaja, Erinnerungen, 41.
38 Ebd.
39 Ebd., 43.
40 Zit. nach Peter Kurth, Im Schatten Victor Adlers. Die österreichische Sozialdemokratie zwischen Wahlrechtskampf und Revisionismusstreit (1889–1907), Husum 1998, 178.
41 Vgl. LW, Bd. 4, 197f.; LW, Bd. 7, 485.
42 Kurth, Im Schatten, 180.
43 Zit. nach ebd., 181.
44 Krupskaja, Erinnerungen, 46.
45 Andreas Guski, Dostojewskij. Eine Biographie, München 2018, 13.
46 Vgl. Service, Lenin, 160f.
47 Vgl. Geyer, Lenin, 47–80.
48 LW, Bd. 2, 336.
49 Ebd., 338f.
50 Ebd., 339.
51 LW, Bd. 34, 13.
52 Ebd.
53 Ebd., 352f.
54 Vgl. Dittmar Dahlmann, Die gescheiterte Revolution – Russland 1905–1907, in: Josef Kreiner (Hg.), Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05), Göttingen 2005, 117–136, 121.
55 Zit. nach Geyer, 109.
56 Ebd., 126.
57 Zit. nach ebd., 106.
58 Zit. nach ebd., 133.
59 Zit. nach ebd., 132.
60 LW, Bd. 4, 259.
61 Wladimir Iljitsch Lenin, Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, Leipzig 1973, 45.
62 LW, Bd. 34, 32.
63 Geyer, Lenin, 203f.
64 Ebd.,192f.
65 Zit. nach ebd., 142.
66 Ebd.,144.
67 Gerd Koenen, Die Farbe Rot. Ursprünge und Geschichte des Kommunismus, München 2017, 443.
68 Zit. nach Geyer, Lenin, 151.
69 Zit. nach ebd., 164.
70 Ebd.,167.
71 Zit. nach ebd., 19.
72 LW, Bd. 4, 165.
73 Geyer, Lenin, 88.
74 Ebd., 88f.
75 LW, Bd. 4, 174.
76 Vgl. dazu u. a. Karl Kautsky, Das Werden eines Marxisten (1924). https://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1924/xx/werden.htm (27.2.2023).
77 Vgl. Adam B. Ulam, Die Bolschewiki. Vorgeschichte und Verlauf der kommunistischen Revolution in Rußland, Köln/Berlin 1965, 213f.
78 LW, Bd. 4, 175.
79 W. I. Lenin, Briefe, Bd. X: Briefe an die Angehörigen 1893–1922, Berlin 1976, 161.
80 Lenin, Was tun?, 32.
81 Lenin, Briefe, Bd. X, 174.
82 Ebd.,163.
83 Leszek Kolakowski, Die Hauptströmungen des Marxismus. Entstehung, Entwicklung, Zerfall, Bd. 2, München/Zürich 1978, 422.
84 Vgl. Heinz-Dietrich Löwe, Lenins Thesen über Kapitalismus und soziale Differenzierung in der vorrevolutionären Bauerngesellschaft. Eine Kritik, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 32 (1984), 72–113.
85 LW, Bd. 4, 238.
86 Zit. nach Geyer, Lenin, 183.
87 Israel Getzler, Martov. A Political Biography of a Russian Social Democrat, Melbourne 1967, 44.
88 LW, Bd. 4, 229.
89 Ebd., 233.
90 Ebd., 232f.
91 Ebd., 247f.
92 Vgl. ebd., 209.
93 Ebd., 213.
94 LW, Bd. 5, 518.
95 Victor Sebestyen, Lenin. Ein Leben, Berlin 2017, 180.
96 W. I. Lenin, Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück, Berlin 1951, 92.