Ein grauhaariger Herr im Trainingsanzug machte auf dem englischen Rasen vor ihm Gymnastikübungen. Hin und wieder setzte er zu ein paar vorsichtigen Laufschritten an, wobei er kaum die Beine hob, und dann ging er dieselbe Strecke zurück, auf einen am Boden liegenden Dobermann zu, der ihn jedesmal stürmisch begrüßte. Der Mann wirkte äußerst zufrieden, als ob er das Wichtigste auf der Welt machte.
Firmino betrachtete die Zeitung, die ordentlich aufgeschlagen auf seinen Knien lag. Es war der Acontecimento, die Sondernummer mit der Schlagzeile. Firmino faltete die Zeitung so, daß nur der Titel zu sehen war. Er nahm ein Bonbon aus der Tasche und wartete. Um diese Zeit hatte er absolut keine Lust zu rauchen, aber aus irgendeinem Grund zündete er sich eine Zigarette an. Eine alte Dame mit einer Einkaufstüte und eine Mutter mit einem Kind an der Hand gingen an ihm vorbei. Er sah in aller Ruhe dem Herrn bei seinen Gymnastikübungen zu. Und auch als sich ein junger Mann ans andere Ende der Bank setzte, versuchte er, seine Ruhe zu bewahren. Firmino warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Der junge Mann war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, trug einen blauen Arbeitsoverall und sah ebenfalls ruhig geradeaus. Der junge Mann zündete sich eine Zigarette an. Firmino drückte seine am Boden aus.
— Er wollte sie reinlegen, flüsterte der Junge, aber sie haben ihn reingelegt.
Der junge Mann schwieg, und Firmino sagte ebenfalls kein Wort. Es schien ihm, als ob das Schweigen kein Ende nähme. Der grauhaarige Herr, der Gymnastikübungen machte, lief in rasantem Laufschritt an ihnen vorbei.
— Wann ist es passiert? fragte Firmino.
— Vor sechs Tagen, sagte der junge Mann, in der Nacht.
— Kommen Sie näher, sagte Firmino, ich kann Sie nicht gut verstehen.
Der junge Mann rückte auf der Bank näher.
— Versuchen Sie die Dinge der Reihe nach zu erzählen, bat ihn Firmino, denken Sie daran, daß ich keine Ahnung habe, erklären Sie mir die Sache.
Auf dem Rasen vor ihnen hatte der grauhaarige Herr wieder mit seinen Gymnastikübungen begonnen. Der junge Mann schwieg und zündete sich noch eine Zigarette an. Firmino nahm noch ein Bonbon.
— Alles nur wegen dem Nachtportier, stieß der junge Mann zwischen den Zähnen hervor, weil er mit der Grünen Grille unter einer Decke steckte.
— Bitte, wiederholte Firmino, der Reihenfolge nach, erzählen Sie der Reihenfolge nach.
Der junge Mann begann zu erzählen, den Blick auf den Rasen geheftet.
— Bei Stones of Portugal, wo Damasceno als Laufbursche arbeitete, gab es einen Nachtwächter, der ist ganz plötzlich an einem Gehirnschlag gestorben. Er nahm die Container mit den Drogen in Empfang und gab das Zeug an die Grüne Grille weiter, und die Grüne Grille verkaufte es im Butterfly beziehungsweise der Borboleta Nocturna, so wurde es in Umlauf gebracht.
— Wer ist die Grüne Grille? fragte Firmino.
— Ein Sergeant der Guarda Nacional Republicana, antwortete der junge Mann.
— Und die Borboleta Nocturna?
— Puccini’s Butterfly, eine Diskothek an der Küste, das Lokal gehört ihm, aber er hat es unter dem Namen seiner Schwägerin eintragen lassen, die Grüne Grille ist nicht dumm, von dort aus gelangt das Rauschgift an alle Strände von Porto.
— Erzähl weiter, sagte Firmino.
— Der Nachtwächter machte gemeinsame Sache mit ein paar Chinesen aus Hongkong, die das Zeug in die Container mit den High-Tech-Instrumenten schmuggelten. Die Firma wußte nichts davon, nur der Nachtwächter war informiert und natürlich die Grüne Grille, die einmal im Monat nachts mit dem Streifenwagen vorbeikam und die Päckchen abholte. Aber auch Damasceno hat von dem Handel Wind bekommen, ich weiß nicht, wie. Und so ist er an dem Tag, als den Nachtwächter der Schlag getroffen hat, zu mir in die Werkstatt gekommen und hat gesagt: Es ist nicht gerecht, daß sich die Guarda Nacional Republicana das ganze wertvolle Zeug unter den Nagel reißt, heute nacht sind wir früher dran, die Grüne Grille kommt sowieso erst morgen vorbei, morgen ist ihr Tag. Ich habe zu ihm gesagt: Damasceno, du spinnst, die lassen sich nicht übers Ohr hauen, die rächen sich, ich mache da nicht mit, vergiß es. Am Abend um elf ist er zu mir nach Hause gekommen. Er hatte kein Auto und hat mich gebeten, ihn hinzufahren, er war schon zufrieden, wenn ich ihn nur hinfuhr, und wenn ich nicht ins Haus wollte, na gut, dann würde er eben alles allein machen. Und er hat sich auf unsere Freundschaft berufen. Also habe ich ihn hingebracht. Als wir angekommen sind, hat er mich gefragt, ob ich ihn wirklich allein hineingehen lassen wollte. Also bin ich ihm gefolgt. Er ist hineingegangen, als ob er der Hausherr wäre, ganz selbstverständlich. Er hatte die Büroschlüssel, er hat sogar das Licht angemacht und alles. Er hat in die Schubladen geschaut, um die Codenummer der Container zu finden. Jeder Container läßt sich mit einer bestimmten Codenummer öffnen. Es war ganz einfach, Damasceno hat den Deckel des Containers geöffnet, offenbar wußte er ganz genau, wo sich der Stoff befand, denn nach fünf Minuten war er wieder da. Er hatte drei große Plastiktüten voller Pulver bei sich, ich glaube, es war reines Heroin. Und noch zwei elektronische Instrumente. Wenn wir schon einmal dabei sind, nehmen wir die auch mit, hat er gesagt, wir verkaufen sie an eine Privatklinik in Estoril, die kann sie brauchen. In diesem Augenblick hörten wir ein Auto vorfahren.
Der grauhaarige Herr, der Gymnastikübungen machte, hatte jemanden getroffen, eine Dame mit Pagenschnitt, die ihn wie einen guten Bekannten begrüßt hatte. Die beiden hatten gemeinsam den Rasen überquert und standen nun am Rande des Parkwegs, direkt vor der Bank. Die ältere Dame mit Pagenschnitt sagte, damit habe sie wirklich nicht gerechnet, daß er im Park Gymnastik mache, und der Herr mit den grauen Haaren antwortete, seine Arbeit als Bankdirektor tue seiner Arthrose im Nacken gar nicht gut. Der junge Mann hatte zu sprechen aufgehört und blickte zu Boden.
— Erzähl weiter, sagte Firmino.
— Hier sind zu viele Leute, antwortete der junge Mann.
— Setzen wir uns auf eine andere Bank, schlug Firmino vor.
— Ich muß gehen, beharrte der junge Mann.
— Versuch wenigstens, schnell zu Ende zu erzählen, forderte ihn Firmino auf.
Der junge Mann begann leise zu sprechen, und Firmino verstand ihn nur zum Teil. Er bekam mit, daß er in eine kleine Kammer geschlüpft war, als er das Auto gehört hatte. Daß es eine Streife der Guarda Nacional Republicana war, deren Anführer die sogenannte Grüne Grille war. Und die Grüne Grille hatte Damasceno am Hals gepackt, ihm vier oder fünf Ohrfeigen gegeben und ihn genötigt, mit ihnen zu gehen, und Damasceno hatte sich geweigert und ihm geantwortet, daß er sie verpfeifen würde, er würde aussagen, daß er ein Dealer war, und da hatten ihn die beiden Streifenpolizisten verprügelt, ihn ins Auto gezerrt und waren davongefahren.
— Ich gehe, sagte der junge Mann nervös, ich muß jetzt gehen.
— Warte einen Augenblick, bitte, sagte Firmino.
Der junge Mann wartete.
— Bist du bereit auszusagen? fragte Firmino vorsichtig.
Der junge Mann dachte nach.
— Schon, antwortete er, aber wer verteidigt mich?
— Ein Anwalt, antwortete Firmino, wir haben einen guten Anwalt. Und um überzeugender zu wirken, fuhr er fort:
— Und die ganze portugiesische Presse, verlaß dich auf die Presse.
Der junge Mann sah ihn zum erstenmal an. Er hatte tiefliegende dunkle Augen und einen unterwürfigen Ausdruck.
— Sag mir, wo ich dich erreichen kann, bat Firmino.
— Rufen Sie in der Kfz-Elektrowerkstätte Faísca an, sagte der Junge, und verlangen Sie Leonel.
— Leonel wie? fragte Firmino.
— Leonel Torres, antwortete der junge Mann, aber diese Dinge habe ich Ihnen nur erzählt, weil ich mein Gewissen erleichtern wollte, weil ich weiß, daß sie es waren, die ihn umgebracht haben, aber im Augenblick dürfen Sie das nicht schreiben, vielleicht einigen wir uns später über den richtigen Augenblick.
Er verabschiedete sich und ging. Firmino sah ihm nach. Er war sehr klein, mit einem zu langen Rumpf auf zu kurzen Beinen. Wer weiß, warum ihm ein anderer Torres einfiel. Aber den hatte er nicht gekannt, er hatte ihn seinerzeit nur immer wieder kurz im Fernsehen gesehen. Dieser Torres, eine Bohnenstange, war das Idol seines Vaters gewesen, er hatte in den sechziger Jahren als Mittelstürmer bei Benfica gespielt. Er konnte nicht spielen, sagte sein Vater, aber er brauchte nur den Kopf zu heben, und wums, der Ball flog wie durch ein Wunder ins Tor.