Asta Paulsen steigt vom Fahrrad und blickt sich suchend um. Es ist längst dunkel, und der Parkplatz ist fast leer, nur wenige Autos stehen nahe am Eingang zu der großen gläsernen Gosch-Halle mit dem Grasdach, die direkt an die Strandpromenade grenzt. Innen ist alles hell erleuchtet, und Asta merkt plötzlich, wie hungrig sie ist. Neidisch blickt sie auf die Schemen der Gäste, die sich hinter den Glasscheiben bewegen. Vor lauter Aufregung hat Asta ihren Nachmittagsimbiss ausgelassen und noch nicht einmal eine Tasse Kaffee getrunken, schließlich musste sie nach Feierabend ja noch bei ihrer Oma in Westerland vorbeifahren, um sich die zweihundert Euro zu leihen. Klar wäre es einfacher gewesen, sich direkt an den Chef zu wenden, aber wer weiß, ob er dann sie mit dieser heiklen Mission betraut hätte. Entweder der Chef hätte gleich abgewinkt, oder er hätte einen Kollegen geschickt. Und im Erfolgsfall hätte der dann die Lorbeeren geerntet. Nein, da arbeitet Asta schon lieber auf eigene Rechnung beziehungsweise auf die ihrer Großmutter.

»Kind, was hast du denn jetzt wieder angestellt?«, war die erste erschrockene Reaktion ihrer Omi.

Doch dann hat ihr Asta – natürlich unter dem Siegel strengster Geheimhaltung – von dem mysteriösen Anrufer in der Redaktion erzählt, und die Oma hat kopfschüttelnd ihre Geheimschublade geöffnet.

»Du bekommst das Geld ganz bestimmt wieder. Wahrscheinlich sogar morgen schon«, hat Asta versprochen. »Wenn unser Chefredakteur erst mal sieht, was ich da an Land

»Hoffentlich war es dem Mann am Telefon auch wirklich ernst. Sonst sind die zweihundert Euro schneller weg, als wir beide Sturmflut sagen können.«

Für wenige Sekunden war auch Asta ins Zweifeln geraten, doch dann hat sie sich wieder an den drängenden Tonfall des Anrufers erinnert.

»Weißt du, Omi, manchmal muss man einfach auf seine innere Stimme hören, das sagst du doch auch immer.«

»Ja schon. Aber ob das auch noch gilt, wenn ein Wildfremder Geld von einem will, weiß ich ehrlich gesagt nicht.«

Asta hatte sich noch ein paar Minuten Zeit genommen, um ihre Omi zu beruhigen, dann war sie wieder auf ihr Fahrrad gestiegen.

»Ich muss los, sonst komme ich noch zu spät. Ich melde mich heute Abend bei dir, okay?«

»Natürlich. Viel Glück – und pass auf dich auf.«

Anschließend ist Asta so schnell nach Wenningstedt geradelt, dass sie den Nieselregen kaum gespürt hat. Jetzt lehnt sie ihr Fahrrad an eine niedrige Mauer und blickt auf die Uhr. Zwei nach sechs. Aber wo ist der Papierkorb? Suchend schaut sie sich um und bemüht sich gleichzeitig, sich die Anweisungen des Anrufers ins Gedächtnis zu rufen.

Sie kommen, deponieren das Geld, dann gehen Sie wieder. An diese Worte kann sie sich genau erinnern. Und danach? Sollte sie eine Stunde warten und erst dann nach einer Alditüte suchen. Im gleichen Papierkorb, oder täuscht sie sich? Nein, alles andere wäre ja unlogisch.

Aber wohin jetzt? Sie muss genau eine Stunde totschlagen, bevor sie wieder herkommen darf. Zurück zur Oma? Hier draußen in der Kälte warten?

Asta überlegt kurz, dann hat sie eine viel bessere Idee. Sie tritt ordentlich in die Pedale und radelt in eine der Querstraßen, die vom Meer wegführen. Der Anrufer hat gesagt, er würde sie beobachten. Dann soll er auch sehen, wie sie wegfährt. Nach kurzer Zeit nimmt Asta allerdings die nächste Abzweigung links und danach wieder die nächste links, so dass sie etwas oberhalb vom Gosch an der Strandpromenade herauskommt. Hier schließt sie ihr Rad an, geht ein Stück auf der Promenade zurück nach Süden und betritt den Gosch durch den anderen Eingang. Wenn der Anrufer tatsächlich den Papierkorb auf dem Parkplatz im Auge behalten hat, dann kann er sie hier unmöglich sehen.

Aber vielleicht kann ich ihn stattdessen beobachten, schießt es Asta durch den Kopf. Schnell geht sie auf einen unbesetzten Tisch mit Sicht auf den Parkplatz zu. Natürlich ist es nicht leicht, aus dem Hellen ins Dunkle zu schauen und trotzdem etwas zu erkennen, aber schleicht da nicht gerade eine Gestalt um den Papierkorb herum? Asta erkennt schwere Stiefel und einen dunklen Hoodie, dessen Kapuze tief über

Asta spürt, wie ihr Herz in ihrem Brustkorb hämmert. Es klappt, freut sie sich. Es klappt tatsächlich!

Am liebsten würde Asta aufspringen und sich sofort die Tüte sichern. Aber eine diffuse Angst hält sie zurück. Die Worte des Anrufers hallen in ihrem Kopf nach: Um sieben können Sie wiederkommen und sich alles holen. Aber keine Sekunde früher, ist das klar?

Ein Blick auf die Uhr sagt ihr, dass sie, sollte sie sich an die Warnung halten, noch geschlagene vierzig Minuten warten muss. Asta fragt sich ernsthaft, wie sie das aushalten soll. Natürlich könnte sie zum Tresen gehen und sich etwas zum Essen holen, Hunger genug hat sie. Aber dafür müsste sie den Papierkorb für Minuten aus den Augen lassen. Unmöglich!

Außerdem interessiert es sie brennend, was der anonyme Tippgeber jetzt wohl tun wird. Im Moment steht er noch völlig entspannt neben dem Papierkorb und zählt das Geld. Vier Fünfziger hat ihr die Omi gegeben, das geht also schnell. Und tatsächlich stopft er jetzt den Umschlag in seine hintere Hosentasche und verlässt mit hastigen Schritten den Parkplatz. Asta beugt sich vor, um den Mann nicht aus den Augen zu verlieren.

Er überquert die Straße und bleibt dann unter dem Lichtkegel einer Laterne stehen. Er blickt die Seitenstraße hinauf und wühlt anschließend in der Bauchtasche seines Hoodies. Sucht er vielleicht einen Autoschlüssel?

Doch bevor Asta mehr erkennen kann, rollt ein SUV

Wo ist er hin? In einem der Häuser auf der anderen Seite verschwunden? Hat er sich durch die Seitenstraße davongemacht? Oder ist er vielleicht sogar in den SUV eingestiegen?

Plötzlich hält es sie nicht mehr auf ihrem Beobachtungsposten. Asta schlägt alle Warnungen in den Wind, springt auf und läuft aus dem Restaurant, die Treppe hinunter und die paar Schritte dem Papierkorb entgegen. Da ist auch schon die Alditüte. Mit fliegenden Fingern tastet Asta nach dem Inhalt.

Aber da ist nichts, die Tüte ist leer!

Enttäuschung flutet ihren Körper, sie beginnt zu zittern, und zugleich setzen heftige Selbstvorwürfe ein. Wie kann man auch so dumm sein, und jedem x-beliebigen Typen am Telefon trauen, der einfach nur mal so zweihundert Euro von einem will? Omi hatte recht, natürlich, was habe ich mir bloß dabei gedacht?, schießt es Asta durch den Kopf. Was soll ich ihr jetzt sagen? Das Geld ist weg, und ich habe mich total blamiert.

Während Asta sich in Scham und Selbstvorwürfen suhlt, ist ihr gar nicht bewusst, dass ihre Hände weiterhin das Innere der Tüte abtasten. Und plötzlich ist da etwas kleines Festes, das sich kühl anfühlt. Asta braucht einen Moment, bis sie realisiert, was sie gefunden hat.

Da ist ein Datenstick in der Tüte, erkennt sie beglückt. Der Typ hat mich nicht betrogen, er hat geliefert!

Astas Herz klopft bis zum Hals, als sie endlich vor der Redaktion ankommt. Und das Herzklopfen kommt ganz sicher nicht nur vom schnellen Radfahren.