11. KAPITEL
Hinter Gittern
1.
W
er von euch vertraut hier eigentlich wem nicht?«, wollte Yrrein wissen, als sie unterwegs zurück zum Blütenpalast waren. Zwar hatte Dekan Toss de’Meeren sie freundlich entlassen, aber im Stockwerk drunter waren sie trotzdem über ein Nebenzimmer der Bibliothek zu einem toten Winkel zwischen zwei Erkern geschlüpft. Dort hatten sie sich abgeseilt und waren durch eine Hecke zurück auf einen schlecht einzusehenden Teil des Campus geschlichen.
»De’Meeren ist entweder erfrischend naiv – oder verdammt gerissen«, meinte Glin.
»Ich glaube, dass es das Erste ist. Der ist Dekan geworden, weil er ein brillanter Wissenschaftler ist, nicht weil er so große Menschenkenntnis hat. Er hat keinen Grund, irgendwelche von langer Hand geplanten Spielchen mit uns zu spielen. Wir haben ihn überrascht und er hat das Beste daraus gemacht.«
»Wir haben ihm einen Köder hingeworfen in der Hoffnung, dass er mit großen dummen Fischaugen danach schnappt.«
»Und das hat er auch getan«, sagte Yrrein. »Oder etwa nicht? Wir haben jetzt zumindest eine grobe Idee, wie Magie funktioniert, wir wissen von der begabten jungen Magierin und außerdem haben wir den Wisch für die Bibliothek. Was eigentlich willst du dort?«
»Ich will mir Bücher ansehen. Über die Geschichte der Stadt und des herzoglichen Palastes, über Schatzkammern, über die Mechaniken des Linhard von Birkenau … ich will Pläne einsehen.«
»Du willst wissen, wie man Borgessas Tresor knackt.«
»Nein. Ich weiß, wie Linhard von Birkenau seine mechanischen Werke konstruiert hat. Diesen Tresor zu knacken, dürfte nahezu unmöglich sein.«
»Dann verstehe ich das mit der Bibliothek nicht.«
»Es soll dort dokumentiert werden, was ich gelesen habe, wonach ich gefragt habe und was ich mir aus dem Archiv habe herausgeben lassen. Aurinius soll mitbekommen, dass ich mich für Dinge interessiere, die mit dem Tresor zu tun haben. Deshalb muss ich in der Hinsicht etwas auffällig sein. Hier an der Fakultät und unter meinem richtigen Namen geht das gut.«
Yrrein nickte. »Du willst ihm weismachen, dass wir uns tatsächlich darauf vorbeireiten, den Herzstein zu stehlen.«
»Wir bereiten uns ja tatsächlich darauf vor. Nur eben nicht so, wie Aurinius möchte. Aber er darf nicht misstrauisch werden.«
»Und du bist sicher, dass de’Meeren nicht in direktem Kontakt zu Aurinius steht? Es kann doch sein, dass beide sich kennen und der Dekan uns von vorn bis hinten belogen hat.«
»Ja, verdammt!«, schrie er sie plötzlich an. Tauben flatterten wild auf. Tränen der Wut traten ihm in die Augen. »Ja, bei allen sieben verdammten Göttern. Natürlich kann es sein, dass auch de’Meeren nur ein Spiel mit uns spielt. Aber was soll ich tun, Yrrein? Was soll ich tun
? Sira ist allein dort – bei wem auch immer. Sie ist ganz allein. Ich kann sie dort nicht lassen. Wir … ich muss
irgendetwas tun. Irgendetwas!«
Yrrein war stumm vor ihm zurückgewichen und erwiderte nichts.
Sie waren stehen geblieben, mitten auf einer winzigen Piazza, beinahe bloß ein größerer Hinterhof. Rings um sie herum hatten die Häuserfassaden Risse und alte Wäscheleinen spannten sich von Balkon zu Balkon. Außer den aufgescheuchten Tauben, die sich vorsichtig zurück zu einigen vergessenen Brotkrumen wagten, waren sie allein. Zwischen zwei Häusern konnte man auf den Kanal und auf die Ertrunkene Stadt dahinter blicken, jene einzige Insel Mosmeranos, die damals während der Belagerung durch die umnachtete Kaiserin zerstört worden war – und die zur Mahnung nie wieder aufgebaut worden war.
Glin merkte, wie ihm die Augen brannten und seine Sicht verschwamm.
Durchatmen!
, befahl er sich selbst. Es hilft niemandem, die Beherrschung zu verlieren. Und Sira schon gar nicht.
Er sammelte sich kurz, richtete sich auf.
»Nein«, sagte er mit beruhigter Stimme. »Ich kann nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnen, Yrrein. Und ich halte Dekan de’Meeren für einen gutgläubigen Idioten. Er hat keine direkte Verbindung zu Aurinius – sonst wären wir nicht heil wieder aus seinem Studierzimmer herausgekommen. Aber sie kennen beide den Erzherzog – haben sogar mehr oder weniger direkten Kontakt zu ihm. Sie werden sich also früher oder später über den Weg laufen. Ich vermute, spätestens beim Eröffnungsball des Unabhängigkeitsfestes. Das wäre das nächste hohe gesellschaftliche Ereignis, bei dem alle großen Persönlichkeiten der Stadt zugegen sind. Und dann wird de’Meeren Aurinius anquatschen und sich wahrscheinlich etwas tölpelhaft nach den Magietechnikern erkundigen.«
Yrrein zögerte mit ihrer Antwort. »Ist … alles in Ordnung mit dir?«
»Nein, aber es hilft ja nichts.«
Sie nickte stumm und wartete noch einige Atemzüge lang, bevor sie weitersprach. »Wenn sich de’Meeren und Aurinius während des Balls begegnen und der Dekan sich ungeschickt verplappert … dann wird Aurinius wissen, was wir hier hinter seinem Rücken tun.«
»Nicht zwangsläufig. Aber er könnte in jedem Fall misstrauisch werden. Und das ist gefährlich für Sira.«
»Du hast ohnehin die ganze Zeit gesagt, dass wir schnell sein müssen bei dem, was wir tun«, sagte Yrrein. »Wir könnten dem Dekan zuvorkommen, ihn nochmals warnen. Aurinius eine Lüge über ihn erzählen … Glin, hörst du mir zu?«
Doch Glin reagierte träge. Während sie geredet hatten, war ihm eine Idee gekommen und die Mosaiksteinchen seines Plans ergaben auf einmal ein schärferes Bild.
Ja, vielleicht ist das eine Möglichkeit, hier herauszukommen
, dachte er und blinzelte eine Träne weg. Din Vestro, dein treuer Diener ruft dich an und bittet dich um ein wenig Nachsicht … nicht für mich selbst, sondern für das Leben und Wohl meiner Freunde.
»Ich fürchte, wir müssen nicht bloß schnell sein«, sagte er schließlich. »Wir müssen sogar noch schneller sein als ursprünglich gedacht.«
»Du meinst, schneller als de’Meeren Aurinius während des Balls auf die Magietechniker ansprechen kann?«
»Ja.« Und es ist mir sogar recht so – allein um Siras Leben willen.
»Wie
schnell genau?« Es klang streng.
Glin brummte. »Dass der Dekan auf dem Ball in Aurinius hineinstolpert und den großen Tölpel spielt, ist ohnehin nur auf eine
Art und Weise zu verhindern.«
Yrrein warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Du willst den Dekan der Fakultät ausschalten? Wäre das nicht ziemlich verdächtig? Und außerdem kannst du ihn doch nicht … umbringen
, nur weil er vielleicht ein Trottel ist, der aus Versehen etwas zu viel verraten könnte.«
Glin musste unwillkürlich lächeln, weil Yrrein sich plötzlich um den Dekan sorgte. »Nein, ich will de’Meeren nicht umbringen, wenn es eine andere Möglichkeit gibt, ihm zuvorzukommen«, entgegnete er. »Ich will zu diesem Ball.«
2.
I
ns Gefängnis kommen, war eine erstaunlich leichte Angelegenheit. Glin hatte sich zuvor zu viele Gedanken gemacht. Er hatte Stadtpläne studiert und war Kanäle und Inseln abgeschritten, hatte sich allerlei dunkle Ecken und Winkel angesehen und sich Gedanken über Ablenkungsmanöver und mechanische Tricksereien gemacht. Aber es war ihm alles zu kompliziert, um glatt zu laufen. Mit einer zu den Göttern stinkenden Schnapsfahne einige Wachposten auf der Stählernen Bank zu verspotten und mit Taubendreck zu bewerfen, hatte ausgereicht, um zu bekommen, was er wollte: eine Nacht im Stahlpalast.
Der Stahlpalast. Das Gefängnis auf der Stählernen Bank.
Seit Jahrhunderten leistete sich Mosmerano eine starke, stehende Marine als Garantin für die eigene Unabhängigkeit. Die hervorragend ausgebildeten Seeleute genossen einen legendären Ruf in der Ruhenden Welt. Und die Stählerne Bank war so etwas wie das Brutgebiet dieser Marine. Hier befanden sich nicht nur Festungsanlagen, Speicher, Quartiere und Werften – hier wurden an einer Akademie junge aufstrebende Frauen und Männer ausgebildet, um die Freiheit der Republik Mosmerano zu verteidigen.
Und wo Soldaten waren, da gab es auch Kerker. In diesem Fall den Stahlpalast, einen bulligen Turm aus grobem Bruchstein, beinahe so breit wie hoch, der am nordöstlichen Ende der Stählernen Bank emporragte – als hätten die Götter einen zu groß geratenen grauen Würfel an dieser Stelle fallen lassen. Hier fristeten die Insassen aus unterschiedlichsten Gründen ihr Dasein und warteten entweder auf eine Verurteilung oder auf die Vollstreckung eines Urteils. Durch die Nähe zum Hafen gab es jedoch auch einen Bereich mit Ausnüchterungszellen, reserviert für Trunkenbolde und Störenfriede aller Art – zum Beispiel für solche, die es für eine gute Idee hielten, Wachleute mit Taubenkot zu bewerfen.
Zwei vormittägliche Stunden in der Bibliothek der Fakultät hatte Glin gebraucht, um die Grundrisse des Stahlpalastes zu studieren – alles Weitere ergab sich mit etwas Geduld. Als auf der Stählernen Bank die vierte Morgenstunde geschlagen wurde, hatte er nach einigem Versteckspiel gefunden, wen er suchte: Fenja Vannagren. Sie war in Glins Alter. Im flackernden Licht zweier chemistischer Lampen, die weiter unten im Gang angebracht waren, konnte Glin ihre langen zu wilden Zöpfen geflochtenen Haare erkennen, die von einem so hellen Blond schienen, dass es bereits an Weiß grenzte, und in denen allerlei Holzperlen eingeflochten waren. Man hatte sie in einer Einzelzelle einquartiert, in einem Trakt, der ansonsten recht überschaubar belegt war – ihre einzigen Mitbewohner in diesem Stockwerk waren zwei muskelbepackte und für Glins Geschmack etwas zu bunt tätowierte Seemänner, die in einer Zelle am anderen Ende eines langen Korridors friedlich vor sich hinschnarchten.
Als Glin sich auf Fenja Vannagrens Pritsche setzte, schnellte die junge Frau aus ihrem vermeintlichen Schlaf hoch.
»Verflucht«, zischte sie Glin an, »wer sind Sie
denn?«
Flink war Glin wieder auf den Beinen. »Ein Dieb, ein Lügner, ein Scharlatan mit einer Leidenschaft für Türschlösser. Unter Umständen hole ich Sie hier raus.«
Sie legte den Kopf schief. Die Farbe ihrer Augen konnte Glin in dem funzeligen Licht nicht klar erkennen, möglicherweise hatten sie gar unterschiedliche Farben. Schlank war sie, jedoch nicht so gnadenlos gestählt wie Yrrein, und zwischen ihren wilden Haaren lugte ein hübsches Gesicht mit runden Wangen hervor. Von der rechten Schläfe zog sich eine feine Narbe hinunter bis zum Kiefer.
»Ist wohl mein Glückstag«, seufzte sie. Überzeugt klang es nicht.
»Sieht so aus.«
»Nicht wahr? Vier Tage lang war das Essen mies und die Gesellschaft ziemlich langweilig.«
»Die Gesellschaft wird mit mir vermutlich deutlich besser.«
»Zumindest dürrer«, meinte Fenja Vannagren, während sie ihn musterte. »Also, was wollen Sie hier?«
»Wie gesagt, unter Umständen hole ich Sie hier heraus«, sagte Glin.
»Guter Plan, ich bin dabei.« Sie schlug die speckige Wolldecke über ihrer Pritsche zurück, stand auf und ging zur Gittertür der Zelle. Doch obwohl sie dagegendrückte, blieb sie zu.
Die Magierin wandte sich um. »Sie wollen mich hier herausholen und schließen die Tür wieder ab? Möglicherweise haben Sie was am Prinzip des Herausholens nicht verstanden.«
»Ich habe gesagt unter Umständen
.«
Sie verdrehte die Augen. »Und diese Umstände können wir nicht draußen klären?«
»Nein«, entgegnete Glin. »Denn dann sind Sie ja draußen und haben keinen Grund mehr, mir zuzuhören.«
Die junge Magierin schnaubte. »Gut, was wollen Sie von mir?«
»Ein Gespräch.«
»Ein Gespräch?«, fragte sie ungläubig. »Hier? Natürlich, warum nicht? Wollen wir vielleicht eine der Wachen fragen, ob wir noch ein wenig Tee und Gebäck haben könnten? Und wie wäre es mit einem kleinen Kammerorchester – ich liebe Musik.«
»Verschaukeln Sie mich?«
»Müsste ich das nicht eigentlich Sie fragen? Sie sitzen plötzlich auf meiner Pritsche. Im Gefängnis. Dann wollen Sie mich rausholen, haben aber die Tür abgeschlossen. Stattdessen wollen Sie reden. Immer noch im Gefängnis. Ich bin mir also gerade nicht ganz sicher, wer hier wen verschaukelt.«
Glin schloss für einen Atemzug die Augen.
Schön
, dachte er. Immerhin ist sie nicht auf den Mund gefallen. Mein Schicksal hat offenbar eine unerklärliche Vorliebe für die Begegnung mit Frauen, die mich auflaufen lassen.
»Setzen Sie sich!« Er wies mit der Hand auf die Pritsche. »Bitte.«
»Damit wir reden können?«
»Bitte«, insistierte Glin.
Artig setzte sich Fenja Vannagren auf die Kante ihrer Pritsche und schlug die Beine übereinander. »Wer sind Sie überhaupt?«
»Mein Name ist Glin Melisma. Und Sie sind Fenja Vannagren, korrekt?«
»Eure Hoheit
für Sie.«
»Neuer Versuch: Ich bin Glin.« Er streckte ihr die Hand hin, die sie jedoch nicht schüttelte.
»Sie
wollten mit mir reden. Dann fangen Sie doch einfach mal an. Wer Sie sind, interessiert mich möglicherweise mehr, wenn Sie etwas Spannendes zu erzählen haben.«
»Also ich will –«
»… mich hier herausholen. Das hatten wir bereits. Springen wir doch einfach bis zum interessanten Punkt vor.«
An anderen Tagen, wenn ihm nicht dieser von allen Göttern verfluchte Aurinius im Nacken gesessen hätte und es nicht um das Leben seiner Freundin gegangen wäre, hätte Glin dieses Spielchen sogar liebend gerne mitgespielt. Jetzt zerrte es vor allem an seinen Nerven. Aber er brauchte eine Magierin – und Fenja Vannagren war ihm vom Dekan empfohlen worden. Außerdem war er dafür in ein Gefängnis eingebrochen. Glin musste nur die Fassung bewahren. Das war alles. Nur die Fassung bewahren …
»Ich will, dass Sie für mich arbeiten. Dann hole ich Sie hier raus.«
Die Magierin kratzte sich gespielt nachdenklich am Kinn. »Wenn ich recht überlege, können Sie mich nur hier herausholen. Ich könnte Ihnen versprechen, den zerbrochenen Mond wieder zusammenzusetzen oder das Meer rosa zu streichen. Wie wollen Sie denn ein Versprechen einfordern, wenn ich einmal hier raus bin? Schlechte Verhandlungsbasis, würde ich mal sagen.«
»Vielleicht habe ich ja noch etwas, das Sie wollen, wenn Sie bereits wieder draußen sind.«
»Und das wäre?«
»Ich biete Ihnen zweitausend Silbersteli.«
»Meine Dienste gehören Ihnen«, sagte sie prompt, stand wieder auf und trat erneut an die Tür. Dann zögerte sie kurz. »Außer, Sie möchten irgendwelche Schweinereien von mir.«
»Bei Din Vestros Grinsen, jetzt haben Sie doch einen Moment lang Geduld«, entfuhr es Glin, der sich ob seiner Unbeherrschtheit die Hand vor den Mund presste.
Fenja Vannagren zuckte mit den Schultern. »Die beiden Haudegen da hinten in ihrer Zelle sind so voll wie eine ganze Hochzeitsgesellschaft in Daworje, die hören Sie nicht. Aber mich wundert es, dass Sie es immer noch nicht eilig haben. Sie finden es echt gemütlich hier, oder?«
»Ich will erst wissen, wieso genau Sie hier sind.«
»Fenja.« Jetzt war sie es, die ihm die Hand entgegenstreckte.
Glin schüttelte sie, ohne zu zögern. »Glin. Warum der Sinneswandel mit dem Vornamen?«
»Zweitausend Steli?«, sagte sie, als sei er schwer von Begriff.
»Natürlich«, meinte er. »Das entbindet dich allerdings noch nicht von der Beantwortung meiner Frage: Wieso bist du hier? Der Dekan hat mir nur gesagt, dass
du hier bist – nicht warum
. Er wollte sogar einen Advokaten für deine Verteidigung bezahlen.«
»Oh, du bist ein Advokat? Die hatte ich mir irgendwie immer … schicker vorgestellt.«
Glin sah an sich herunter. Außer Hose, Stiefeln und Hemd hatte man ihm nicht viel gelassen. »Ich bin im Augenblick weniger Advokat als mehr so etwas wie ein Richter: Ich entscheide, ob du heute Nacht hier hinausspazierst oder ob du noch ein wenig länger die erlesene Gefängnisküche genießen darfst. Also: Was hast du angestellt?«
Fenja streckte voll Ekel die Zunge heraus, als er das Essen erwähnte. »Ich habe gestohlen. Und bin erwischt worden.«
»Was hast du gestohlen?«
Sie hob die Schultern. »Vieles. Immer schon. Wenn die Eltern Fischer sind, gibt es kaum eine andere Möglichkeit, um Magie zu studieren. Ist ziemlich teuer.«
»Hast du auch für den Dekan gestohlen?«
»Für de’Meeren? Nein. Ich habe für andere Studenten gestohlen. Vor allem alte Bücher. Die sind meist leichte Beute, weil sie nicht so gut bewacht werden wie Gemälde oder Schmuck.«
Eine Diebin also. Na immerhin in dieser Hinsicht passen wir zusammen
, dachte Glin.
»Wie bist du eigentlich hier hereingekommen?«, fragte sie.
»War nicht schwer. Wenn man Gefängniswachen ärgert, laden die einen schneller zu einer Besichtigung ein, als man glaubt.«
»Aber die haben dich doch nicht geräuschlos zu mir in die Zelle gesteckt. Wie kommst du hierher?«
Glin zauberte aus einer Ärmelfalte einen Satz Dietriche hervor.
Fenja nickte skeptisch. »Aber die Wachen ziehen einen doch vorher bis auf die Haut aus, bevor sie einen hier hineinwerfen.« Dann bekam sie große, belustigt dreinblickende Augen. »Oder sag mir bitte, dass du dir die in den Hintern gesteckt hast.«
Glin rümpfte die Nase und hob die Arme. »Ich bin hier, oder?«
»Ja, du hast quasi deinen Hintern für mich riskiert. Meine Hochachtung! Das hätte ich nicht für jemanden getan, den ich gar nicht kenne.«
Spott zu ertragen, war er von Yrrein gewohnt.
Also überging Glin sie. Aus seinem anderen Ärmel schüttelte er zwei makellose Smaragde in seine Hand und hielt sie der Magierin direkt vor die Nase.
Das ließ ihr Gegacker verstummen. »Hübsche Steinchen!«, meinte sie anerkennend. »Nicht versiegelt. Perfekt, um ein wenig Magie damit zu wirken.«
»Ich dachte, ein Gastgeschenk wäre nicht verkehrt. Nur für alle Fälle.«
Die beiden Edelsteine flogen von Glins Hand in Fenjas, bevor er auch nur reagieren konnte. Er hatte sie keine der typischen Luftzeichnungen mit den Fingern machen sehen, die er bei Aurinius oder dem Dekan beobachtet hatte. Auch war keiner der Steine zu Asche verbrannt.
Interessiert hielt Fenja einen der Steine gegen das Licht des zerbrochenen Mondes, das durch das vergitterte Fenster hereinfiel.
»Du weißt schon, dass ich dir damit ganz leicht in deinen Hintern treten könnte, dessen Jungfräulichkeit du so tapfer für mich geopfert hast, und dann einfach hier hinausspazieren könnte?« Der Tonfall der Magierin hatte etwas Amüsiertes an sich.
»Könntest du nicht. Wie weit willst du denn mit diesen beiden Steinchen kommen? Du würdest zu viel Lärm machen – oder kannst du eine Tür leise aufsprengen?«
Etwas blitzte auf in Fenjas Augen. »Ich könnte den Schall abdämpfen.«
»Was auch wieder Energie in Form von Edelsteinen kosten würde.«
»Aber nicht so viel, wie du vielleicht denkst.«
Glin hob die Schultern. »Deine Entscheidung. Aber wenn die Zellentür offen ist, bist du noch lange nicht aus dem Stahlpalast heraus.«
»Ich bin einfallsreich.«
»Was willst du tun? Fünf bewachte Stockwerke in die Tiefe springen? Außerdem bin ich mit einem Angebot gekommen: Du arbeitest ein paar Tage für mich und bekommst im Gegenzug zweitausend Steli.«
Fenja zögerte keinen Augenblick und schlug ein. »Abgemacht. Und jetzt sag mir bitte: Wie kommen wir an all den Wachen in den Tiefen des Stahlpalastes vorbei?«
Nun war Glin mit dem Grinsen an der Reihe. »Wir gehen einfach.«
Fenja hob eine Augenbraue.
Doch Glin war noch nicht fertig. »Was glaubst du denn, war das Erste, was ich nach der Flucht aus meiner eigenen Zelle getan habe? Dich aufzusuchen? Sicher nicht …«
Mit den Dietrichen hatte er binnen eines Atemzugs die Tür wieder geöffnet und ließ das Gitter an sich vorbei ins Innere der Zelle schwingen. Dann griff er um die gemauerte Ecke, wo er zuvor zwei zusammengerollte Uniformen abgelegt hatte.
»Das Erste, was ich getan habe«, meinte Glin, »war die Wäscherei dieses Gefängnisses aufzusuchen. Türschlösser sind eben eine Leidenschaft von mir – und nachts macht niemand hier die Wäsche. Die Edelsteine brauchen wir vermutlich gar nicht, die sollten dich vor allem beeindrucken.« Er warf Fenja eine der Uniformen zu, die sie locker mit der linken Hand auffing und ihm zunickte. Glin zwinkerte. »Ich hoffe, ich habe deine Größe halbwegs richtig eingeschätzt – das ist im Halbdunkel nicht immer ganz so einfach.«