17. KAPITEL
Zwei Fehler
1.
A
tteo Enzo war fortan gestattet, sich mit genau einer einzigen Dame zu unterhalten: mit Fenja Vannagren. So konnten sie ihn im Auge behalten.
»Keine Panik«, hatte Fenja Glin versichert. »Wenn er versucht, den Gürtel aufzumachen, halte ich ihn magisch zusammen. Genug Steine habe ich.«
Glin verließ sich nun darauf, während er zum riskantesten Teil des Abends schritt. Mit dem Gemälde unter dem Arm, bahnte er sich einen Weg zu Aurinius.
»Und, amüsieren Sie sich gut?«, begrüßte ihn der Magier mit den goldenen Augen. »Immerhin bekommt man nicht alle Tage ein derartiges Menü, dazu in solcher Gesellschaft.«
»Halten Sie die Backen, Aurinius. Ich bezahle das hier mit meinen Nerven. Auf, stellen Sie mich dem Erzherzog vor!«
»Sie glauben, ich kann den Herzog einfach so –«
Glin ließ ihn den Einwand nicht vollständig vorbringen. »Wollen Sie Ihren verdammten Herzstein? Dann haben Sie genau diese eine verdammte Möglichkeit dazu.«
Aurinius verzog das spitze Gesicht, sagte aber nur: »Warten Sie hier!«
Glin schaute dem Rotschopf nach und übte sich in Geduld.
»Sind Sie etwa auch neu hier? Sie hätten das Geschenk am Eingang abgeben sollen«, wurde er von der Seite angesprochen. Eine junge Dame in seinem Alter mit einem mausartigen Gesicht versuchte offenbar, Konversation zu machen, und deutete auf das verpackte Gemälde in seiner Hand. Glin hatte Mühe, seine Nervosität zu verbergen.
»Ja, ich bin neu und mir ist genauso langweilig wie Ihnen«, erwiderte er, ohne ihr in die Augen zu sehen. »Es ist aber auch nervig, wenn man dauernd versucht, durch belangloses Palavern gesellschaftlich aufzusteigen, oder? Was halten Sie davon, wenn wir uns irgendwo in diesem Palast eine stille Ecke suchen und uns so lange um den Verstand vögeln, bis Ihnen nicht mehr langweilig ist?«
Seine Gesprächspartnerin musste kurz die Luft anhalten, um sich nicht zu verschlucken. Dann stieß sie einen Laut der Geringschätzung aus, zog pikiert von dannen und versuchte sich erst wieder in Eloquenz, als sie den halben Saal zwischen sich und Glin gebracht hatte. Der überlegte noch kurz, ob er vielleicht etwas hart mit ihr umgesprungen war, entschied aber für sich: Nein.
Er sah, wie Aurinius ihm zuwinkte. Mit einem tiefen Atemholen straffte er die Schultern und ging zu dem Grüppchen hinüber, von dem der Erzherzog und Aurinius umringt waren. Im Gehen entfernte Glin mit wenigen Handgriffen die papierne Hülle des Gemäldes, hielt es aber weiter mit der bemalten Seite am Körper.
»Herzogliche Hoheit, es ist mir eine enorme Ehre«, deutete er eine Verbeugung vor Erzherzog Borgessa an.
»Katzbuckeln Sie nicht, Signore …«
»Vastagaard«, ergänze Glin und sah Irico Borgessa zum ersten Mal aus der Nähe in die Augen.
Wie Glin vor Wochen bereits im Gottesdienst aufgefallen war, schien Borgessa älter, als es Schnurrbart und Haar vermuten ließen, das sattschwarz unter der herzoglichen Haube hervorlugte. Borgessas Gesicht war braungebrannt und wirkte mit den vielen Falten von sicherlich fünfzig Sommern sogar ein wenig ledrig, so als hätte er zeit seines Lebens viel körperlich an der frischen Luft gearbeitet. Der Blick seiner kaffeebraunen Augen wirkte so konzentriert, als könnte er durch Glins Haut, Fleisch und Knochen direkt bis in seine Seele sehen.
Glin registrierte schnell die übrigen Umstehenden. Mandolo Borgessa sah aus wie eine Version seines Vaters in jung. Die beiden anderen Personen neben Aurinius identifizierte er als Mitglieder des Ministerrates. Signora Gia Omendo und Signore Enricomo Mavorne, wenn sein Gedächtnis ihn nicht täuschte.
»Was kann ich denn für Sie tun, Herr Vastagaard?«, fragte der Erzherzog abweisend.
»Entschuldigen Sie vielmals, Hoheit. Aber ich dachte, dies hier
erregt vielleicht Ihre Aufmerksamkeit.«
Noch bevor Borgessa oder irgendeiner der Umstehenden etwas entgegnen konnte, drehte Glin das Gemälde um.
Zufrieden beobachtete er, wie sich die Augen des Erzherzogs und auch die seines Sohnes merklich weiteten. Die beiden Borgessas versuchten gar nicht, ihre Überraschung zu verbergen.
»Wer sind
Sie?«, beherrschte sich der Erzherzog schließlich. »Und woher, bei allen sieben Göttern, haben Sie das
?«
»Meine Familie … Wir sind unbedeutende kaufmännische Emporkömmlinge aus der Nähe von Hammertoss«, erklärte Glin. »Mein Vater hat vor einigen Jahren angefangen, ein Auge auf den Handel mit Kunstwerken zu werfen – allerdings nur im unteren bis mittleren Preissegment, für alles andere fehlt es uns leider an Kapital. Manchmal jedoch treibt man sich zwischen lauter Banausen und Unwissenden herum und macht eine Entdeckung. Was ist es für ein Glücksfall, an das verschollen geglaubte Gemälde aus Vonatis Tageszeiten-Reihe gelangt zu sein? Alle Experten, die ich bislang konsultiert habe, haben mir die Echtheit des Bildes bestätigt. Sie können sich denken, dass ich immer noch weiche Knie bekomme bei dem Gedanken. Aber es scheint tatsächlich so. Und da die gesamte Welt der Kunstliebhaber weiß, wo sich der Rest der Sammlung befindet, habe ich alles daran gesetzt, bis zu Ihnen vorzudringen, Hoheit.«
»Bei den Göttern«, hauchte Borgessa erneut und streckte bereits die Finger nach dem Bild aus. »Darf ich?«
»Selbstverständlich.« Glin reichte ihm das Kunstwerk seines Begehrens.
Behutsam nahm der Erzherzog es entgegen, beinahe als würde er ein Neugeborenes in Empfang nehmen.
»Und Sie sind den weiten Weg aus den Thronländern gekommen, um dies hier zu überbringen?«, äußerte sich nun erstmals Mandolo Borgessa argwöhnisch.
»Es muss in Ihren Augen beinahe ein wenig lächerlich klingen, Signore Borgessa.« Glin erinnerte sich rechtzeitig daran, dass in einer Wahlmonarchie der Sohn des Herzogs nicht automatisch dessen Titel erbte und folglich auch kein Prinz war. »Aber in den bürgerlichen Schichten, in denen ich üblicherweise verkehre, ist der Umgang mit Kunstwerken dieses Ranges alles andere als ein alltägliches Geschäft. Ich bin darauf angewiesen, jede Chance, die sich mir bietet, zu ergreifen – und wenn einem einmal ein Mosaiksteinchen der Götter in die Finger fällt, tut man gut daran, es an der richtigen Stelle einzusetzen.«
»Sie wollen mir das Gemälde also verkaufen?«, fragte der Erzherzog über den Rahmen des Bildes hinweg. »Vorausgesetzt, es ist echt.«
»Oh nein, mitnichten.« Glin schüttelte energisch den Kopf. »Ich möchte es Ihnen gerne zum Geschenk machen, Hoheit.«
Borgessas dichte Augenbrauen zitterten.
»Ich betrachte solch ein Gemälde als Kapital«, führte Glin weiter aus. »Und ich hoffe, dass ich sozusagen eine sinnvolle Investition tätige, indem ich es Ihnen überlasse.«
»Und was versprechen Sie sich davon, Herr Vastagaard?«
»Ich hoffe darauf, dass Sie mich empfehlen, Hoheit. Würde bekannt, dass ich den Erzherzog von Mosmerano mit Kunst beliefert habe, würde das meinen anderen Geschäften sehr zugute kommen.«
»Ah.« Borgessas Gesicht hellte sich auf. »Ich sehe, Sie setzen darauf, sich einen guten Namen zu machen.«
»Das dürfte auf lange Sicht den Verkaufserlös mehr als ersetzen, den ich bei einer Auktion für ein echtes Vonati-Gemälde erhalten hätte.«
Ein zufriedenes Lächeln stahl sich auf die Züge des Erzherzogs. »Ich habe großen Respekt vor Frauen und Männern, die sich durch geschicktes Wirtschaften, harte Arbeit und gekonntes Taktieren nach oben arbeiten. Sogar sehr viel mehr Respekt als vor jenen, die von Geburt an privilegiert sind. Wenn es nach mir geht, so lasse ich mich auf einen derartigen Handel gerne ein. Ich lasse noch im Laufe der Woche verkünden, welchen Dienst Sie mir erwiesen haben. Ich bin sicher, Sie werden nach den Feierlichkeiten mit einer ganzen Liste neuer Klienten aus unserem großartigen Mosmerano abreisen.«
Glin senkte gleichsam verlegen den Kopf.
»Allerdings«, wandte Borgessa ein. »Möchte ich mich erst von der Echtheit des Vonati überzeugen. Denn ich bin ehrlich – es scheint beinahe zu schön, um wahr zu sein, dass ich endlich in Besitz der gesamten Gemäldereihe wäre. Schon lange hoffe ich, dass Nacht vor Tarsica
sich eines Tages in einem Nachlass oder ähnlichem finden würde. Sie verstehen das, Herr Vastagaard, oder?« Er wandte sich an seinen Sohn. »Siehst du Evenito Cossa irgendwo, Mandolo? Ist er eventuell gerade beim Tanz?«
Der Sohn des Herzogs verschwand augenblicklich. Aurinius hatte sich noch nicht eingemischt und hielt auch jetzt den Mund. Aber er bedachte Glin mit einem Blick aus seinen Goldaugen, in dem Respekt mitschwang. Den Göttern zum Dank kehrte Mandolo Borgessa nur Augenblicke später mit dem Kurator des Museums im Schlepptau zurück.
»Das ist nicht möglich«, platzte Cossa voller Begeisterung heraus, noch bevor er den Erzherzog oder irgendeinen Anwesenden in ihrer Runde überhaupt wahrgenommen hatte. Der erste Blick auf das Gemälde schlug ihn schon vollkommen in seinen Bann.
»Es sieht verdächtig danach aus, Evenito, findest du nicht auch?«, fragte Borgessa.
»Entschuldige«, fuhr der Kurator zurück. »Ich wollte nicht unhöflich erscheinen, es ist nur –«
»Es ist gut«, beruhigte ihn der Erzherzog. »Deshalb habe ich ja überhaupt nach dir suchen lassen. Ich will wissen, ob das Gemälde, das dieser junge Kunsthändler hier aufgetrieben hat, tatsächlich die Nacht vor Tarsica
ist.«
Cossa schüttelte Glins Hand und der Dieb stellte mit großer innerlicher Genugtuung fest, dass der Kurator ihn nicht einmal der Spur nach wiedererkannte. Glins Verkleidung wirkte.
Als sich der Kurator in seiner Erregung wieder dem Bild zuwenden konnte, trat Fenja neben den überraschten Glin und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Du bist also tatsächlich hier«, flötete sie. Dann erst wandte sie sich dem Herzog zu und machte einen Knicks. »Herzogliche Hoheit Borgessa, es ist mir eine große Ehre.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie in Begleitung einer hübschen Dame reisen«, wandte sich der Erzherzog an Glin.
»Es … ist kompliziert«, entgegnete der.
»Mella Lundberg«, stellte Fenja sich umgehend unter falschem Namen vor.
»Sie sind nicht verheiratet?«
»Sie ziert sich seit Jahren«, seufzte Glin.
»Das Herz einer stolzen Frau zu erobern, ist ein Abenteuer, das zu bestreiten sich lohnt, Herr Vastagaard«, lächelte Borgessa.
Hinter ihnen hüstelte Atteo Enzo, den Fenja im Schlepptau mitgebracht hatte.
»Signore Enzo«, rief der Herzog. »Sie haben das mit dem Gemälde bereits mitbekommen.«
»Um … ja … äh … genau deswegen bin ich hier.« Enzo klang heiser und nervös.
Zusammen mit Cossa beugte er sich eine Weile über das Gemälde. Sie diskutierten über Striche und Pinselführung, über Komposition, verwendete Pigmente und die strukturelle Beschaffenheit des Werkes.
Schließlich sah Cossa zum Erzherzog auf.
»Wir sind uns einig, dass es sich tatsächlich um einen echten Vonati zu handeln scheint«, erklärte er. »Wenn auch mit einer kleinen Unsicherheit.«
Das Gesicht des Erzherzogs hatte sich während der ersten Worte von Cossas Erklärung sichtlich aufgehellt. Nun legte er seine Stirn aber in Falten. »Welche Unsicherheit
?«
Ein kalter Schrecken fuhr Glin durch die Glieder. Nein, verdammt, ausgerechnet jetzt darf es doch keine Zweifel geben. Ich habe keinen Fluchtplan.
»Wir können nicht mit Gewissheit sagen, ob es tatsächlich die Nacht vor Tarsica
ist«, meinte Cossa.
Borgessa stutzte. »Was soll es denn sonst sein?«
»Nun, es ist zweifellos mit dem Bild verwandt. Und alles, was Signore Enzo und ich aus dem Gedächtnis heraus sagen können, ist eine Übereinstimmung mit wesentlichen Beschreibungen des Werkes. Vielleicht handelt es sich auch wirklich um das berühmte verschollene Gemälde aus der Reihe der Tageszeiten. Aber einen letzten Vorbehalt müssen wir aus professioneller Sicht vorbringen: Vielleicht ist es aber auch eine Studie – oder eine Kopie in einer anderen Lichtstimmung, wie Künstler sie manchmal im Verborgenen anfertigten, um sich selbst zu überprüfen.«
»Also kann es sein, dass es lediglich eine Variante
der Nacht
ist?«, fragte Borgessa.
»Das liegt zumindest im Bereich des Möglichen. Wir müssten in den kommenden Tagen Berge an Monographien studieren, um es mit Gewissheit ausschließen zu können.«
»Aber ein echter Vonati ist es auf jeden Fall?«
»Das schon, ja!«
Glin fiel ein Stein vom Herzen.
Der Erzherzog klatschte begeistert in die Hände. »Das ist zumindest mehr als ich mir für den heutigen Tag überhaupt hätte ausmalen können. Und selbst wenn es nur eine Variante der Nacht ist – so ist es doch auch dann Nacht vor Tarsica
von Ornardo Vonati, oder nicht?«
Cossa und Enzo wechselten einen Blick. Dann nickten beide.
»Ausgezeichnet.« Der Erzherzog sah wieder zu Glin. »Das ist eine wirklich schöne Überraschung. Herr Vastagaard, ich weiß gar nicht, wie sehr ich Ihnen danken kann.«
Glin trat von einem Fuß auf den anderen, als würde er sich nicht richtig trauen, seine Bitte vorzubringen. Dann tat er es selbstverständlich doch. »Es gäbe da vielleicht schon noch etwas, Hoheit.«
»Lassen Sie hören, Vastagaard. Lassen Sie hören!«
»Ich bin ja selbst ein Bewunderer der alten Künstler. Und ich weiß, dass im Museum nur Kopien ausgestellt sind. Diese kopierten Werke sind zwar fantastische Kunstwerke. Aber … ach, der Kenner in mir wünscht sich nichts weiter als einmal einen Blick auf die Originale werfen zu dürfen.«
Borgessa lächelte erneut. »Wissen Sie, Herr Vastagaard, Sie haben mir eine große Freude bereitet – nichts fällt mir leichter, als wenigstens dieser kleinen Bitte nachzukommen.«
2.
S
ie müssen sich wegen mir wirklich keine Umstände machen, Hoheit«, sagte Glin während sie einem von chemistischen Lampen erhellten Gang folgten, der nach Glins Berechnungen unter der Südflanke des Palastes lag. Er war fest davon ausgegangen, den Stolz, den der Erzherzog auf seine Kunstsammlung empfand, so sehr zu herauszukitzeln, dass er gar nicht anders konnte, als ihm noch am selben Abend einen Blick auf die Originale zu gewähren. Allerdings war er nicht davon ausgegangen, dass Borgessa ihm seine Sammlung persönlich
zeigen wollte.
Auch Fenja hatte der Erzherzog mit eingeladen. Aurinius, Cossa und Enzo hingegen waren im Saal geblieben.
Glin, Fenja und Borgessa wurden von sechs Wachen flankiert, jeweils mit Hellebarde, Helm und Kürass, in den die weiße Krähe Mosmeranos eingeätzt war. Es war das Minimum an Begleitschutz für Borgessa und Glin hatte noch nicht exakt überlegt, wie er mit sechs Leibwächtern fertig werden sollte – er hoffte, dass Fenjas Edelsteine reichten, um ihnen einen ernsten Vorteil zu verschaffen.
»Das geht schon in Ordnung, Herr Vastagaard«, beschwichtigte ihn der Erzherzog. »Ehrlich gesagt, bieten Sie mir eine hervorragende Entschuldigung, mich mal für ein Viertelstündchen von dem Trubel dort oben zurückzuziehen. Hier sind wir.«
Die Tür des Tresors wirkte im ersten Moment unscheinbar, weil sie mit Marmor in denselben Grüntönen verkleidet war wie die umgebenden Wände.
Es war zu sehen, wo die schwere Tür endete, auch ein großer Hebel, ein Griff und fünf Räder, um per Hand eine komplizierte Folge von Schlüsselzeichen einzustellen, mittels derer man den Tresor entriegeln konnte. Nachdem er Risszeichnungen von anderen Birkenau-Tresoren gesehen hatte, war Glin nun doch überrascht, wie vergleichsweise unauffällig sich alles ineinanderfügte. Hier hatte man im Verlaufe von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten aufs Feinste nachgebessert, wo es eigentlich wenig zu verbessern gab.
Borgessa trat vor, stellte die Räder auf die richtigen Positionen ein und verschob den Hebel dreimal in verschiedene Winkel, um dann die wuchtige Tür aus Stahl und Marmor aufzuziehen. Nachdem er mit einem speziell geformten Schlüssel einen in die Wand eingelassenen Mechanismus aktiviert hatte, begann eine Reihe chemistischer Lampen zu leuchten und das Innere des Tresors mit bläulichem Licht zu erhellen.
»Bitte sehr, Herr Vastagaard, nach Ihnen. Das Licht hat bewusst die Färbung des Tageslichtes, damit die Farben beim Betrachten der Gemälde nicht verfälscht werden.«
Er wies Glin und Fenja an, den Tresor zu betreten.
Sie befanden sich nun unter der südwestlichen Ecke des Palastes und hinter einer der Außenwände lag die Lagune – von ihnen durch Stahl und Granit getrennt. Der erste Raum maß etwas mehr als zwanzig Schritt in der Breite und die Wände hingen voller Gemälde und Skulpturen. Besonders fiel Glin auf, dass all diese Kunstwerke in dicken gläsernen Rahmen steckten.
Einen der Glaskästen nahm er näher in Augenschein. »Warum steckt das alles hier in diesen eigenartigen Konstrukten?«
»Diese Schutzvorrichtungen sind exzellente Handwerksarbeiten, beinahe eigene Kunstwerke. Sie bestehen aus verstärktem Glas und sind absolut wasser- und luftdicht. So kann man die Bilder vor jeglicher Feuchtigkeit bewahren, was für ihren Erhalt notwendig ist. Und doch kann man sich auf diese Weise noch an ihnen erfreuen.«
Fenja fuhr mit den Fingern über den abgedichteten stählernen Rahmen eines der Kästen. »Faszinierend. Müssen Sie hier unten all Ihre Schätze so vor Feuchtigkeit schützen?«
»Nicht alle«, meinte Borgessa. »Geld und Schmuck rosten vielleicht ein wenig, aber das können ein paar fleißige Hände mit Polierwachs wieder entfernen. Gemalte Bilder sind viel empfindlicher.«
Unterdessen war Glins Blick auf einen kleinen Sockel gefallen, der sich in einem der gläsernen Kästen auf Brusthöhe befand. Und darauf lag, weswegen er hergekommen war: der Herzstein des Spinnturmes. Er war etwa so groß wie eine Faust und so schwarz, dass er beinahe wie ein Loch im Gefüge der Welt erschien – so wie Aurinius ihn beschrieben hatte.
Aber Glin durfte sich nicht zu sehr davon vereinnahmen lassen. Mittlerweile war er überzeugt, dass er mit seiner Beute hier überhaupt nur wieder herauskäme, wenn er Borgessas Leben glaubhaft bedrohte – anders würden seine Leibwachen den Weg nicht freimachen.
»Faszinierend«, murmelte er.
»Dieser Tresor ist in sich selbst ein einzigartiges Kunstwerk, das ich zudem fortwährend verbessern lasse«, sagte Borgessa.
»Er ist beeindruckend.«
Der Erzherzog nickte. »Außerdem lasse ich stets die Schutzmechanismen verfeinern, mit denen man sich vor Eindringlingen schützen kann.«
»Sie leben in einem Palast, der von sehr gut ausgebildeten Frauen und Männern bewacht wird«, hielt Glin das Gespräch am Laufen. »Hier kann niemand eindringen, Hoheit.«
»Das ist wahr. Und weil bis jetzt noch niemand überhaupt so weit gekommen ist, habe ich die spannendste dieser Schutzvorkehrungen auch noch nie ausprobieren können. Ich habe mich daher spontan entschlossen, es heute Abend zu tun. Sie geben mir die beste Gelegenheit dazu, Signore Melisma.«
Glin erstarrte beim Klang seines Namens. Er spürte, wie alle Farbe aus seinem Gesicht wich, während er entgeistert Erzherzog Borgessas Blick begegnete.
»Sie waren wirklich gut«, sprach der Erzherzog ihm ein Kompliment aus. »Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass jemand so dreist sein könnte: mir ein antikes Gemälde anzudrehen, nur um im Gegenzug Zutritt zu einer ganzen Sammlung zu bekommen.«
Glin biss sich auf die Lippe. Aus dem Augenwinkel sah er die ebenfalls vor Schreck wie leblos wirkende Fenja, während sich sechs Hellebarden auf sie beide richteten. Glin betrieb reflexhaft Konversation, während seine Gedanken zu rasen begannen und nach einem Ausweg suchten. »Wo habe ich einen Fehler gemacht, Hoheit?«
»Es waren gleich zweit Fehler, Signore Melisma: Der eine war, sich als Mitglied der Squadra Ignoto auszugeben. Einer der beiden Soldaten, denen Sie vor einigen Wochen die Uniform abgenommen haben, ist eher aufgewacht, als er sollte. Er hat sich weiter bewusstlos gestellt, während Sie ihm seine Sachen wieder angezogen haben. Ein guter Mann, eine Beförderung ist ihm mehr als gewiss. Er hat Sie ein paar Dinge sagen hören, die er nicht einordnen konnte. Aber es fielen neben dem Begriff Squadra Ignoto
noch zwei Namen: Talmo und Glin.«
»Verdammt!«, murmelte Glin.
»Und außerdem können Sie sich sicher an den bestechlichen Signore Gretti erinnern, oder?«
»Den Offizier, der für die Platzvergabe auf der Piazza der würfelnden Götter zuständig ist«, erinnerte sich Glin stöhnend. »Er ist von der Squadra Ignoto?«
»Nein, wo denken Sie hin?«, wunderte Borgessa sich. »Aber nachdem ich wusste, dass Sie sich als meine Geheimpolizei ausgeben, hat Signore Gretti eine Zusatzaufgabe erhalten und die Squadra über Ihre kleine Truppe auf dem Laufenden gehalten.«
»Mist.«
»Wissen Sie, was für eine Geheimpolizei wie die Squadra Ignoto von allergrößter Bedeutung ist, Signore?«, fragte Borgessa und beantwortete sich die Frage prompt selbst. »Dass sie geheim
bleibt und niemandem davon erzählt, Sie Einfaltspinsel.«
Glin schnaubte ob der Belehrung. »Was war mein zweiter Fehler?«
»Schauen Sie sich einmal die Gemäldereihe von Vonati genau an, Melisma!« Borgessa wies mit der Hand hinter Glin.
Der wandte sich um und musste einen Moment lang die Sammlung der Dutzenden, wenn nicht gar Hunderten Bilder mit Blicken absuchen. Dann entdeckte er, was Borgessa meinte: Die Reihe über die Tagzeiten war hier vollständig. Dort hing das Bild Nacht vor Tarsica
.
»Sie haben das Bild bereits?«, fragte er laut.
Borgessa nickte. »Seit einigen Jahren schon. Dabei muss ich Ihnen lassen, dass Ihre Fälschung sehr gut ist.«
»Aber warum
?«
»Wie bitte?«
»Warum stellen Sie das Gemälde nicht aus, sondern lassen die gesamte Ruhende Welt glauben, es sei verschollen?«, wollte Glin wissen.
Borgesse kräuselte die Lippen. »Es gefällt mir einfach, als Einziger ein großes Geheimnis zu kennen. Nichts weiter.«
»Aber Ihre Soldaten hier«, Glin wies auf die Hellebardenträger, die ihn und Fenja bedrohten. »Und erst Cossa …«
»Cossa weiß von nichts«, entgegnete der Erzherzog. »Und meine Frauen und Männer hier im Palast kenne ich alle persönlich. Ich kenne jeden einzelnen Namen, jedes einzelne Gesicht. Ich weiß haargenau, wer außer mir von dem Bild Kenntnis hat. Zweiundzwanzig Personen genau. Nein, vierundzwanzig, wenn ich Sie beide mit einrechne. Aber in Kürze werden es wieder bloß zweiundzwanzig sein.
Und jetzt gucken Sie nicht so, Signore Melisma. Haben Sie denn wirklich gedacht, Sie wären gerissener als jede andere Person auf der ganzen Ruhenden Welt? Ich bin so frei und muss Ihnen sagen: Es gibt noch viel gewitztere Gestalten als Sie und Ihre Theaterfreunde. Manche von ihnen lenken gar Staaten und machen Gesetze, so wie ich.«
»Sie sind vor allem ein größerer Scheißkerl als Glin«, warf Fenja ein.
Doch Borgessa tat die Beleidigung ab. »Das gehört eben manchmal dazu. In diesem Sinne: Leben Sie wohl, Signore Melisma, Frau de’Feay.«
Er hält Fenja für Yrrein.
Das erleichterte Glin zumindest ein wenig. Yrrein schwebt also nicht in Gefahr, selbst wenn ich heute sterben sollte.
Borgessa drehte sich um und verließ mit seinen Leibwächtern den Tresor. Als sich die gewaltige Tür schloss, waren Fenja und Glin in der Dunkelheit allein.
Er hörte es rechts von sich klatschen.
»Bravo.« Fenja spendete ihm einen zynischen Applaus. »Dankeschön, du legendärer großer Dieb. Jetzt sitzen wir hier fest.«
Glin erwiderte nichts. Stattdessen lauschte er in die Dunkelheit.
»Los, sag schon, wie kommen wir hier wieder raus?«, wollte Fenja wissen.
»Psst!«, machte Glin. »Hörst du das?«
Es rauschte leise. Irgendwo im Hintergrund.
Dann platschte es leise. Wieder. Und wieder. Es klang wie jemand, der in eine Pfütze tritt.
»Wir stehen im Wasser«, sagte Fenja. »Verdammt, das
war die Falle, von der der Erzherzog gesprochen hat. Und deshalb ist hier auch alles wasserdicht verpackt: Er flutet diesen Raum einfach mit Wasser und ersäuft uns wie Ungeziefer.«
»Ja«, bestätigte Glin.
Und seine Gedanken rasten.