Als die Sonne endlich um die Ecke in mein Zimmer blinzelt, wache ich auf und gucke aus dem Fenster. Paul ist nicht im Garten zu sehen. Ob er schon wach ist?
Unten höre ich Mama in der Küche klappern. Ich gehe runter. Sie schmiert für mich Brote mit Butter und Leberwurst.
»Komm, du musst was frühstücken, gleich geht es los«, sagt sie und lächelt mich an. »Freust du dich?«
Was für eine blöde Frage, natürlich freue ich mich! Ich stopfe mir das Leberwurstbrot hastig in den Mund. Beinahe hätte ich mich verschluckt.
In diesem Moment klingelt es an der Tür, und Paul steht da, frisch gekämmt, nicht im Blaumann, sondern mit grüner Cordhose und einer Holzfällerjacke bekleidet. Dazu trägt er eine Baskenmütze und sieht aus wie der Franzose aus der Käsewerbung, die immer im Fernsehen kommt.
Er kaut auf irgendwas rum und nuschelt mir leise zu: »Auf, Nick, jetzt wird’s ernst und die Aktion Oma startet.«
»Aktion Oma«, ja, ja. Ich kapier zwar nichts, aber egal.
Mama verabschiedet sich von uns, als würden wir fünf Monate in die Wüste Gobi fahren.
»Ich wünsch euch ganz viel Spaß, und pass gut auf meinen Jungen auf!«, sagt sie und guckt Paul tief in die Augen. »Ruf mich gleich an, wenn ihr angekommen seid. Habt ihr auch alles?« Dann drückt Mama mich fest an sich und gibt mir einen Kuss auf die Backe. Mann, das ist jetzt allerdings wirklich oberpeinlich! Aber ich freu mich auch ein bisschen.
Und dann kommt auch noch Joschi, grinst von einem Ohr zum anderen und sagt: »Hey Nick, ich hab noch Proviant für dich!«, und drückt mir zwei Tütchen mit Ketchup von der Pommesbude in die Hand.
»Sehr witzig!«, sage ich und stopfe mir die Ketchuptütchen in die Jackentasche. Typisch Joschi!
Aber dann geht es endlich los.
Paul hat einen Käfer, von 1974. Nur zur Info für die, die es nicht wissen – ein Käfer ist ein Auto. Pauls Käfer ist orange und hat einen echt coolen Sound.
Ich sehe Mama am Fenster stehen. Sie winkt mit einem Tempotaschentuch in der Hand, und es sieht ein bisschen so aus, als würde sie sich gleich den Arm ausrenken. Ich glaube, sie freut sich für mich, dass ich etwas Ablenkung habe. Denn die Sache mit Oma hat sie auch sehr mitgenommen. Sie sieht müde aus und ihre Augenringe sind noch dunkler als sonst. Joschi wird sich auch freuen, dass ich weg bin, aber nur, weil er dann die Ketchupflasche ganz für sich alleine hat.
Im Käfer ist es stickig und der Motor macht ziemlichen Lärm. Klimaanlage ist Fehlanzeige.
Ich sitze auf der Rückbank. Paul hat einen Rucksack und jede Menge blaue Seesäcke dabei. Ich finde, das ist ziemlich viel Gepäck für drei Tage …
»Wir holen uns jetzt erst mal Proviant«, sagt er, »und Ausrüstung für unsere Aktion.«
Was für eine »Aktion« soll das bloß sein? Paul rückt noch immer nicht mit der Sprache raus.
Wir halten bei Aldi. Na, hier kenne ich mich ja aus. Paul hat einen Zettel dabei, auf dem in seiner krakeligen Schrift lauter Sachen stehen.
»Ja, ja, im Alter muss man sich halt manches aufschreiben, sonst fehlt die Hälfte«, seufzt er und lacht. Er drückt mir den Zettel in die Hand und ich lese laut vor:
Brötchen
Raviolidosen
Salz
Öl
Zwiebeln
Nudeln
Batterien
Haferflocken
Kekse
Kaffee
Limo
»Du hast Milch für die Haferflocken vergessen!«, sage ich, nachdem ich die Einkaufsliste studiert habe.
»Nein, nein, wir brauchen keine Milch!«, sagt Paul und schiebt einen Euro in den Einkaufswagen.
»Aber Haferflocken ohne Milch sind furztrocken, die bekommt man echt nicht runter!«, sage ich.
Paul grinst und sagt: »Die Haferflocken sind ja auch nicht für uns.«
Nicht für uns? Für wen sonst? Was hat er bloß vor?
»Am besten, du überlegst jetzt mal, was du gerne alles magst, und packst es in den Einkaufswagen«, sagt er und beginnt, Sachen aus den Regalen zu angeln.
Super, kein Problem. Ich schnappe mir eine Riesentüte Marshmallows, Schokoriegel, Kaugummis mit Zimtgeschmack, Nougatschokolade, Chips mit Chili und Cola dazu und werfe alles in den Einkaufswagen. Und nachdem der vollgepackt ist, steuern wir die Kasse mit einer wasserstoffblonden Kassiererin an, die mal wieder so schnell die Sachen einscannt, dass wir kaum mit dem Einpacken nachkommen. Mama ist da geübt. Sie schaufelt die Sachen mit dem Unterarm in eine exakt ausgerichtete Ikea-Riesentüte, die sie vorher im Wagen an einer bestimmten Stelle postiert hat.
Paul und ich sind etwas ungeschickter und die Marshmallowtüte landet prompt auf dem Boden. Und damit nicht genug, ich trete drauf und sie platzt auf. Überall kullern die bunten Marshmallows rum. Ich hab gut zu tun, die alle wieder aufzusammeln.
Als wir den Käfer beladen, stupst mich Paul an und flüstert: »Guck mal da!«
Und ich sehe eine total aufgedonnerte Tussi in einem blauen Kostüm mit hochhackigen Lackschuhen, die mit einer Tüte beladen zu ihrem knallroten Sportwagen stakst. Mit einem Absatz hat sie ausgerechnet einen rosa Marshmallow aufgespießt. Wir lachen uns halb tot.
Dann fahren wir los. Ich sehe aus dem Fenster, während die Landschaft wie im Zeitraffer an mir vorüberzieht. Paul pfeift und hat offensichtlich gute Laune.
»Wie heißt denn der Campingplatz, auf den wir fahren?«, frage ich und mache die Tüte mit den Chips auf.
»Hab noch ein bisschen Geduld. Du wirst schon sehen«, murmelt Paul und gibt Gas. Mitteilsam ist er ja nicht gerade, und ich frage mich wieder, was das alles soll.
Der Motor heult auf. Aber das Unterhalten in Käfern ist eh eine schwierige Angelegenheit, denn der Motor tuckert ab einer bestimmten Geschwindigkeit wie ein Traktor. Also grüble ich weiter.
Die Wiesen und Wälder ziehen noch schneller vorüber und mir kribbelt es im Bauch vor lauter Aufregung. Am Himmel haben sich dicke Quellwolken gebildet und ich suche Wolkentiere. Ich entdecke ein Schwein und freu mich drüber, die sollen ja Glück bringen. Dann futtere ich noch die halbe Nougatschokolade auf.
Wir fahren fast zwei Stunden, bis Paul von der Hauptstraße abbiegt und wir durch kleine Dörfer mit Fachwerkhäusern kommen. Braune Kühe mit weißen Flecken stehen auf Weiden und grasen, wie auf der Milchpackung. Teilweise holpert der Käfer über Kopfsteinpflaster und versinkt fast in den Schlaglöchern. Das ist hier echt das platte Land!
Ich hopse auf der Rückbank rum wie ein Gummiball, und die Chips in meinem Magen machen sich fast schon daran, den Rückweg anzutreten.