Kapitel sechzehn

Fahr mir nicht in die Parade

Julius und Cornelius hasteten aus dem pechschwarzen Grab hinaus ins gleißende Tageslicht.

»Diese idiotische Antilope!«, knurrte Cornelius und beschirmte seine Augen. »Felix wird uns noch alle ins Grab bringen!«

Julius tätschelte ihm den Rücken. »Sei nicht so streng mit ihm. Er ist eben verrückt nach seinen Steinen!«

»Wenn mir der Kopf abfällt, weil dieser Narr einen Fluch über uns gebracht hat, werde ich wirklich WÜTEND!«, tobte Cornelius.

Bald waren sie zurück beim großen Zelt, wo die Party in vollem Gang war. Heimlich schlichen sie sich durch den Eingang wieder hinein.

»Weit kann er nicht gekommen sein!«, überlegte Julius.

»Felix!«, antwortete Julius und wedelte den scharfen Seetanggeruch weg. »Er ist mit diesem verdammten Edelstein abgehauen.«

»Das ist völlig egal!«, erklärte Brutus und legte den Arm um seinen Bruder. »Wir beide müssen uns mal UNTERHALTEN

Brutus zauste Julius die Mähne. »Wann wirst du mich auch zum Gott machen? Hm?«

Julius schüttelte Brutus Umarmung ab. »Wie meinst du das?«

»Ach, komm schon, Julius!«, quengelte Brutus und riss die Arme in die Höhe. »WIR SIND DOCH BRÜDER

Julius hielt Brutus den Huf vors Maul. »Still«, zischte er. »Die Gotteswürde wird nicht einfach so verteilt. Die muss man sich VERDIENEN

»VERDIENEN?!«, höhnte Brutus und stieß Julius von sich. »Wie hast DU sie dir denn VERDIENT

Julius versuchte verzweifelt, seinen Bruder zum Schweigen zu bringen. »Brutus, bitte!«

Aber Brutus lief rot an vor Wut, stampfte herum und ruderte mit den Armen. »Das Ganze ist doch LÄCHERLICH!«, schimpfte er laut.

Einige Würdenträger wurden auf den Lärm aufmerksam und reckten die Köpfe.

»Die halten dich doch alle für einen PFERDEGOTT!«, schrie er.

Julius presste Brutus einen Huf aufs Maul und flehte: »Sei doch endlich STILL! Wahrscheinlich ist dir der viele Hummer zu Kopf gestiegen!«

Julius bemerkte, dass jemand direkt hinter ihm stand. Er fuhr herum und blickte in Askepsis’ ärgerliches Gesicht.

»Gibt es ein Problem?«, fauchte der Priester bedrohlich.

Julius ließ Brutus abrupt los, der zu Boden ging, und verschränkte unschuldig die Arme hinter dem Rücken.

»Gut«, sagte Askepsis. »Wir haben nach Euch gesucht. Eure Anwesenheit ist wieder erforderlich.

Einen Augenblick lang blickte er Brutus an, der am Boden saß und sich den Kopf rieb. Dann betrachtete er Julius argwöhnisch, schnaubte laut, machte kehrt und stürmte mit seinen Sandalen davon. »Folgt mir, Pferd

Julius herrschte Brutus wütend an: »Jetzt hast du’s geschafft!«, blaffte er. »Askepsis hat dich bestimmt gehört!«

»Na wenn schon …«, meinte Brutus beleidigt.

Bevor Julius antworten konnte, führte man ihn auch schon aus dem Zelt und wieder zum großen Podium, wo seine Krönung stattgefunden hatte. Askepsis winkte ihn eilig zu den hinteren Stufen.

Als Askepsis ihn die Stufen hinaufführte, überkam Julius Panik. »Aber ich bin nicht vorbereitet!«, protestierte er. »Ich brauche meinen besonderen Berater Cornelius!«

Der Priester funkelte das wimmernde Zebra an. »Diesmal ist Euer Freund nicht dabei, Pferd«, zischte er. »Und außerdem seid Ihr als Gott ja gar nicht auf den Rat einfacher Sterblicher angewiesen!«

Julius reckte den Kopf über die Balustrade. In der Menge brauste großer Jubel auf, als sie seine Krone und das vertraute Gesicht entdeckte. Julius schluckte, betrat das Podium und winkte seinen Bewunderern zu.

Julius wollte zu den jubelnden Menschen sprechen, konnte bei dem Getöse aber kaum seine eigene Stimme hören!

Während er noch winkte, bemerkte er plötzlich, dass seine Fans aufgehört hatten, »Heter« zu skandieren. Was in aller Welt rufen sie jetzt?, fragte er sich.

Er beugte sich vor und legte den Huf ans Ohr. »WAS WOLLT IHR?!!«, rief er.

Entsetzt begriff er, was sie wollten, und streckte die Hufe in die Höhe. Die Menge verstummte.

»LEIDER KANN ICH ES HEUTE NICHT REGNEN LASSEN

Die Menge wurde unruhig und fing an zu buhen. Julius bekam es mit der Angst zu tun. Askepsis blickte mit verschränkten Armen von unten herauf und wippte ungeduldig mit dem Fuß.

»Na gut! Na gut!«, sagte Julius und wandte sich wieder an die Menge.

Es hat ja schon einmal geklappt, redete er sich ein. Warum sollte es nicht noch mal hinhauen? Er hob die Arme und schloss die Augen.

Es war mucksmäuschenstill. Alle blickten zum Himmel hinauf und warteten auf ein Anzeichen für Regen.

Nichts geschah.

Julius öffnete langsam die Augen. Der Himmel war noch immer strahlend blau – vielleicht war es inzwischen sogar noch etwas sonniger geworden.

Wieder begannen die Sprechchöre:

Julius hielt beschwichtigend die Hufe in die Höhe. »TUT MIR LEID!«, rief er. »ABER HEUTE WIRD DAS WOHL NICHTS WERDEN

Das war NICHT, was die Leute hören wollten! Wieder war lautes Buhen zu hören und es flog faules Obst in Julius’ Richtung.

Mit Schrecken sah Julius, wie sich seine begeisterten Fans in einen wütenden Mob verwandelten, und er wich langsam zurück.

Dann löste sich eine Gestalt aus der Menge und machte sich auch schon daran, die Stufen heraufzusteigen.

»ER IST GAR KEIN PFERD!«, rief die Gestalt.

Julius reckte sich, um besser sehen zu können. Sieht mir nach einem Gnu aus, dachte er.

»Du bist es!«, rief das Gnu Julius hinzu. »JULIUS ZEBRA

Julius warf sich auf den Boden. Schon wieder dieses Gnu! Was soll ich bloß tun?, dachte er. Ich muss von hier verschwinden!

Da bemerkte er in Sandalen steckende Füße direkt vor seiner Nase.

»HAB ICH’S MIR DOCH GEDACHT

Julius spähte ängstlich in das wütende Gesicht von Askepsis, dem Priester, hinauf.

Julius rappelte sich auf und flehte: »Hör zu, es ist nicht so, wie du denkst!«

»DIR höre ich bestimmt nicht mehr zu!«, schnauzte der Priester. Er winkte Wächter heran, die das Zebra ergreifen sollten. »Du bist ein SCHARLATAN!« Er beugte sich dicht zu Julius, als die Wachen ihn wegschaffen wollten, und zischte: »Und SCHARLATANE mögen wir hier in Ägypten KEIN BISSCHEN

Als Askepsis den Wachen das Zeichen gab, Julius abzuführen, sprang ihnen ein wohlbekanntes Krokodil in den Weg.

»LUCIA!«, rief Julius.