Kapitel 9

 

 

ALS WIR wieder zu Hause waren, kehrte Dane, trotz all seiner Frotzelei auf dem Jahrmarkt, zu seinem alten Verhaltensmuster zurück und ignorierte mich für mehrere Tage.

Ich fand das war außerdem ziemlich gemein, wenn man bedachte, wie scharf er mich gemacht hatte. Trotzdem ließ ich ihn sein distanziertes Verhalten beibehalten, bis zu diesem Morgen, als ich am Abkalbestall vorbei kam und hörte, dass die Kreissäge lief. Ich entschied, dass es an der Zeit war, einen weiteren Versuch zu starten, ihm nachzulaufen oder ihm eine weitere Möglichkeit zu geben, mich erneut von sich zu stoßen.

Er machte beeindruckende Fortschritte mit der Stalltür; er reparierte sie nicht, er baute zwei neue Türflügel, schnitt frische Bretter und Stützteile zurecht. Er hatte auch ein dekoratives Muster eingefügt, das einigen der Elemente der Holzarbeiten in der Halle des großen Hauses glich. Onkel Karl würde es lieben.

Ich ging hinein und setzte mich auf einen Stapel Bretter, der ganz in der Nähe der Tischkreissäge lag, an der er gerade arbeitete, und wartete darauf, dass er mit seiner Arbeit aufhörte.

„Das wird toll aussehen, wenn du erst damit fertig bist.“

„Danke.“

Er nahm seine Schutzbrille ab und beäugte mich.

„Das ist so was von unfair“, beschwerte ich mich und legte meinen Kopf schief, sodass ich ihn unter meiner Hutkrempe hindurch ansehen konnte. Ich versuchte, sexy zu sein.

„Was?“, fragte er. Als ob er das nicht wüsste.

„Du bist mir seit Tagen nicht nahe gekommen, aber du ziehst mich auch weiterhin mit deinen Augen aus.“

„Vermisst du mich, Cowboy? Du klingst wie ein geiles Mädchen.“

Ich lehnte mich zurück und spreizte meine Knie. „Gefällt dir, was du siehst?“

Er tat, als würde er das Holz, dass er gerade geschnitten hatte, überprüfen und ignorierte mich völlig.

„Du bist nicht fair.“ Ich hatte einen Ständer.

Alles was er tat, als er es bemerkte, war leise zu lachen.

„Weißt du, alles, was du zu tun hast, ist, mich dich ficken zu lassen.“ Das sollte weltmännisch rüberkommen –als Sprachrohr für George Clooney – aber ich klang eher wie das idiotischste Kind auf der Highschool.

„Ich bin nicht passiv.“

„Du machst Witze.“

„Niemals.“

„Willst du nicht mal Erfahrungen mit der anderen Seite machen, Abwechslung haben?“

„Nö.“

„Willst du nicht fühlen, wie es ist, jemanden so tief in dir zu haben, dass du hoffst, er würde nie wieder weggehen?“

„Da spricht die Einsamkeit aus dir, Cowboy.“

„Tut sie nicht.“

„Dann ist es liebeskranker Blödsinn.“

„Du glaubst nicht an die Liebe?“ Diese Unterhaltung fing an, mir zu missfallen.

„Nö.“

„Gut zu wissen.“

Das war alles, was mir als Erwiderung einfiel. Er hatte mich nicht nur zurückgewiesen, er hatte mir praktisch das Wort Idiot auf die Stirn gestempelt. Ich musste hier raus, bevor ich etwas wirklich Idiotisches von mir gab.

Ich stand auf. „Ich denke, ich werde mich dann mal fertig machen um ein paar Reitstunden zu geben.“

„Viel Vergnügen.“ Er wandte sich wieder der Säge zu.

 

 

NACH DEN Reitstunden hatte ich noch einen Ausritt. Anschließend kümmerte ich mich um die Pferde und so war der Tag fast schon zu Ende, bevor ich wieder ernsthaft an Dane dachte.

Zu dem Zeitpunkt waren fast alle schon in der Schlafbaracke oder im großen Haus und aßen zu Abend. Ich war der Einzige, der noch in der Nähe der Ställe war, als ich Gebrüll aus dem Abkalbestall hörte. Selbst über das Kreischen der Säge hinweg wusste ich, dass es Dane war.

Als ich näher kam, wurden die Worte verständlicher. „Runter! Runter! Marshall, bleib unten … Er ist getroffen, er ist getroffen. Wo sind diese verfluchten Helis?“

Ich fing an zu rennen.

Als ich die Tür aufriss, roch ich, vor allem anderen, das Blut. Dane brüllte immer noch, aber jetzt war es ein langgezogenes, ersticktes „Neiiiin“.

Er saß im Schneidersitz auf dem Boden, wiegte sich vor und zurück und umklammerte mit seiner rechten Hand seine Linke. Blut sprudelte zwischen seinen Fingern hervor. Es sammelte sich in seinem Schoß und war über die Wand hinter der surrenden Säge gespritzt.

Ich schrie ihn an, während ich mich auf das elektrische Kabel stürzte, um den Stecker zu ziehen. Ich fürchtete schon, Finger um die Säge verteilt vorzufinden. Ich wollte nicht hinsehen, aber ich tat es doch, und Gott sei Dank waren keine da. Ich hätte mich wahrscheinlich übergeben.

Ich riss den Stecker heraus und die Säge kam wimmernd zum Stehen. Als ich Danes Schulter packte, blickte er auf, aber er sah mich nicht.

„Hilf Marshall, du dämlicher Wichser.“

„Dane! Hier ist Josh. Dane, was ist passiert?“

„Was glaubst du denn, das passiert ist?“, schrie er. „Wir wurden getroffen. Hilf Marshall.“

Er schubste mich mit seinen blutigen Händen weg und ich fiel hin. Ich schüttelte den Kopf und versuchte zu entscheiden, was ich tun sollte. Ich hatte Panik, dass er verbluten würde.

„Dane, du bist hier auf der Ranch, erinnerst du dich?“ Ich stand auf und näherte mich ihm vorsichtiger. „Komm schon, Dane, lass mich dir helfen. Du machst mir Angst.“

„Hilf Marshall!“ Er schubste mich erneut.

„Okay. Okay.“

Ich entschied mich, bei seiner Halluzination mitzuspielen. „Es sind Leute unterwegs, um Marshall zu helfen. Ich bin hier, um dir zu helfen. Lass mich jetzt deine Hände ansehen.“

Das schien zu funktionieren. Er hielt mir beide hin. Beide zitterten. Meine taten es auch, als ich sie ausstreckte, um seine Linke zu berühren. Er hatte sich geschnitten und zwar schlimm, wenn man nach dem ganzen Blut ging. Ich löste meinen Gürtel und griff nach seinem Arm, aber er schlug mich weg.

„Hilf Marshall oder ich erschieße dich“, fauchte er. „Wo ist meine gottverfluchte Pistole.“

„Ganz ruhig, Hilfe für ihn ist unterwegs“, wiederholte ich und kämpfte mit seinen herumfuchtelnden Armen in dem Versuch, seinen linken zu packen.

Als ich ihn erwischt hatte, legte ich meinen Gürtel um seinen Arm, oberhalb des Ellbogens, und zog fest zu. Dann wedelte ich mit dem Schnallenende vor seinem Gesicht herum.

„Du hältst das hier fest. Hörst du mich? Du hältst das hier fest, während ich nachschaue ...“ Ich drückte ihm die Gürtelschnalle in seine heile Hand. „Du bleibst einfach hier sitzen und hältst das.“

Mir war klar, dass ich Hilfe brauchte und ich wusste, dass ich nicht wollte, dass ein Haufen Leute ihn so sahen.

Ich ging tiefer in den Stall hinein. Er beherbergte das Äquivalent eines OPs für das Vieh. Onkel Karl konnte die meisten routinemäßigen Eingriffe selber vornehmen. Da musste es etwas geben, was man als Bandage benutzen konnte, zusammen mit einem Funkgerät. Wir hatten sie über die ganze Ranch verteilt deponiert und Onkel Karl, Jesse und Tante Kate hatten immer Eins bei sich. Ich fand es genau dort, wo es sein sollte und schaltete es ein. Ich atmete langsam aus und wieder ein, damit ich mich beim Sprechen nicht genauso panisch anhörte wie ich mich fühlte.

„Jesse, hier ist Josh. Wo bist du?“

Alles, was ich hörte, war statisches Rauschen.

„Jesse, hier ist Josh, over.“

„Was ist los?“

„Wo bist du, over.“

„Ich bin in vier Minuten am Pferdestall.“

„Mach daraus den Abkalbestall in einer. Ich … ich brauche dich.“

Ich hoffte, dass ich ruhig klang. Onkel Karl sagte uns immer, dass wir vorsichtig mit dem sein sollten, was wir über Funk sagten. Die Gäste könnten es hören.

„Verstanden“, sagte Jesse.

Ich fand ein paar saubere Lappen und eine Flasche mit Desinfektionsmittel und machte mich auf den Rückweg zu Dane.

Er wiegte sich immer noch vor und zurück und würgte Marshalls Namen hervor, während er in die Dunkelheit am anderen Ende des Stalls starrte.

„Dane“, sagte ich laut. „Jesse kommt her. Marshall wird es gut gehen.“

„Er ist tot“, stöhnte Dane.

Ich ging neben ihm in die Hocke und überprüfte den Druckverband, um sicherzugehen, dass er hielt. Es dauerte eine grauenvoll-lange Minute, bis ich Jesses Truck vorfahren und anhalten hörte. Dane wurde still und schloss die Augen. Sein Kopf sank langsam nach vorne.

„Dane. Halte durch.“ Ich nahm seinen gesunden Arm. „Halte durch, Jesse ist hier.“

„Oh Scheiße, Dane“, erklangen Jesses Worte über meinem Kopf.

Dane riss den Kopf hoch und öffnete die Augen.

„Marshall ist tot, nicht wahr?“, sagte er zu Jesse.

„Seit ich hergekommen bin, hat er `runter ‘ geschrien und irgendetwas über einen Typen namens Marshall. Es ist, als wäre er ganz woanders.“

Ich schaute voller Erleichterung zu meinem Bruder auf und wollte ihm die Lappen und das Desinfektionsmittel reichen, aber er legte stattdessen seine Hand auf Danes Schulter.

„Lass mich mal einen Blick darauf werfen Dane.“

Dane hob erneut seine blutigen Hände. Dieses Mal zitterten sie heftig.

Jesse drehte die linke um und offenbarte eine klaffende, blutige Schnittwunde unterhalb des Fingerknöchels seines kleinen Fingers.

„Ruf Onkel Karl“, sagt er zu mir.

„Ich bin hier.“ Die Stimme erscholl aus Richtung Eingangstor. Er schätzte die Situation in einem Sekundenbruchteil ein und wandte sich an mich.

„Hol Kate ans Funkgerät und sag ihr, wir sind auf dem Weg ins Livingston Memorial. Sag ihr, sie soll einen Haufen sauberer Handtücher nach draußen bringen, wenn der Truck am Haus ankommt. Und bleib ruhig. Jesse, gieß etwas von dem Antiseptikum über seine Hand und dann versuch, die Wundränder zusammenzudrücken. Pass auf, er könnte nach dir schlagen, weil es wehtun wird. Dann lass uns zusehen, dass wir ihn in deinen Truck kriegen.“

Ich rannte wieder zum Funkgerät und übermittelte die Botschaft. Als ich damit fertig war, mit Tante Kate zu sprechen, stieg Onkel Karl gerade auf der Fahrerseite in Jesses Truck. Dane saß in der Mitte, meinen Bruder neben sich, sein Kopf war weit nach hinten gegen den Sitz gelehnt und seine Augen waren geschlossen.

„Ich werde auch mitkommen.“

„Du bleibst hier“, sagte Onkel Karl. „Das hast du gut gemacht, Josh.“

Jesse lehnte sich über Dane, um mit mir zu sprechen. „Er hatte einen Flashback, Josh. Ich dachte mir schon, dass er an PTBS leidet, aber nicht so.“

Onkel Karl ließ den Truck an und sie fuhren davon. Ich stand in der Staubwolke und sah zu, wie sie langsamer wurden, um die Handtücher von Tante Kate in Empfang zu nehmen und dann wieder Gas gaben. Ich nahm an, dass Onkel Karl den ganzen Weg bis Livingston das Gaspedal bis zum Bodenbrett durchtreten würde.

Ich weiß nicht wie lange ich die Straße hinunterstarrte. Dann ging ich wieder in den Stall und machte sauber. Ein paar Mal musste ich würgen, aber ich brachte den Job zu Ende. Ich wollte, dass es so aussah, als sei nichts geschehen, wenn Dane zurückkam.