Kapitel 13

 

 

ES WAR die letzte Woche im August und die letzte Woche in der wir Gäste hatten. Gott sei Dank. Wir ertranken geradezu in Kindern. Jede Familie, die in dieser Woche bei uns Ferien machte, schien sechs davon zu haben. Ich verbrachte jeden lieben langen Tag damit, den Kindern das Reiten beizubringen.

Am Ende eines dieser Tage rauschte Sarah ohne anzuklopfen in mein Wohnzimmer. Meine Tante hatte mir schon gesagt, dass sie auf der Suche nach mir sei. Aber als ich schließlich fertig war, mit den Kindern und den Pferden und den anderen Pflichten, war ich nach Hause gegangen und mit einer Zeitschrift in einen Polstersessel geplumpst, zu müde, um zu duschen oder zu essen oder tatsächlich zu lesen.

„Was hast du dir dabei gedacht, als du Jesse zu mir geschickt hast, damit er mich fragt, ob wir beide ein Paar sind oder nicht?“

„Komm ruhig rein.“ Ich legte die Pferdezeitschrift beiseite und sie spuckte weiterhin Fragen aus und kam mir mit jeder ein Stückchen näher.

„Wieso in aller Welt solltest du so etwas tun? Was hätte ich denn sagen sollen? Verdammt, Josh. Wieso solltest du mir so etwas antun wollen?“

Ich seufzte. „Sarah, er hat mich vor ein paar Wochen danach gefragt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Und dann dachte ich, er hätte es komplett vergessen. Ehrlich.“

„Wieso hast du es mir damals nicht erzählt?“

„Was ist passiert?“

„Was glaubst du wohl, das passiert ist?“ Sie schlug meine Schulter. „Er hat mich darum gebeten, mit ihm auszugehen. Er wird nicht aufhören, mich zu fragen, bis ich ja sage.“

„Das hat er gesagt?“

„Ja. Er hat mir gesagt, dass er weiß, dass wir kein Paar sind und das er mit mir ausgehen will.“

„Du kannst nicht“, sagte ich, ohne zu überlegen.

„Möchtest du über diese Aussage vielleicht noch mal nachdenken?“

Ich konnte beinahe spüren, wie die Dolche mich durchbohrten, die sie gerne nach mir geworfen hätte, wenn sie gekonnt hätte. Ich stieß genervt den Atem aus und stand auf.

„Was glaubst du wird passieren, wenn Jesse das über mich herausfindet, Sarah?“ Ich fing an, in meinem Wohnzimmer auf und ab zu gehen.

„Wie sollte er das herausfinden?“

„Eines Tages werdet ihr beide euch unterhalten und er wird irgendetwas sagen und du wirst nicht daran denken und dich verplappern.“

„Du glaubst so etwas würde ich tun?“ Sie konnte es nicht fassen. „Josh Brooks, ich habe dein Geheimnis seit dem Kindergarten bewahrt.“

„Du wirst es nicht absichtlich tun, aber es wird passieren.“

„Du vertraust wirklich niemandem, nicht wahr? Mir nicht. Jesse nicht. Und woher willst du überhaupt wissen, wie dein Bruder reagiert?“

„Ich habe keine Ahnung, wie irgendjemand reagieren wird, Sarah. Deswegen kann ich niemandem trauen.“ Ich näherte mich ihr mit raschen Schritten, ergriff ihre Schulter und schaute ihr ins Gesicht, in der Hoffnung, sie würde verstehen.

„Ich nehme an, Jesse wird genauso reagieren, wie fast jeder andere auch. Bestenfalls wird er mich eine Schwuchtel nennen. Schlimmstenfalls wird er mich verprügeln und sich von mir distanzieren. Ich kann es mir nicht leisten, darauf zu hoffen, dass er vielleicht besser darauf reagieren wird. Sarah, bitte, versteh doch. Ich will die Familie nicht verlieren die mir noch geblieben ist.“

Sie schaute mir eine ganze Weile prüfend ins Gesicht, ehe sie antwortete und dieses Mal klang ihre Stimme weicher. „Schenk doch deinem Bruder und deiner Tante und deinem Onkel ein bisschen Vertrauen, Josh. Sie lieben dich.“

„Sie lieben mich als Hetero. Du glaubst, du kennst meinen Bruder besser als ich? Warte – du verbringst bereits Zeit mit ihm. Du wirst mit ihm ausgehen, nicht wahr?“ Ich ließ sie los und drehte mich weg. „Gott, mein Leben ist vorbei.“

Sie berührte meinen Arm. „Ich will schon“, flüsterte sie. „Dein Bruder ist ein guter Mann.“

Keiner von uns sagte etwas.

„Willst du, dass dein Geheimnis jetzt mein Leben bestimmt, Josh? Ist es nicht genug, dass ich es all die Jahre über bewahrt habe?“

Sie hätte mir einfach ein Messer in den Bauch rammen sollen.

Sie fing an zu weinen und ich nahm sie in den Arm.

„Sarah, es tut mir leid. Ich habe nur solche Angst. Du verstehst das nicht.“

„Ich würde dir niemals wehtun, Josh. Ich verspreche es.“

„Shhh.“ Ich rieb ihr den Rücken. „Ich weiß.“

Ich schluckte hart, küsste ihre Stirn und sagte ihr, was sie hören wollte. Ich wollte es nicht sagen, aber ich musste es. „Na los. Geh mit ihm aus.“

Danach saßen wir zusammen auf der Couch, bis sie sich wieder gesammelt hatte. Dann brachte ich sie hinaus auf die Veranda. Ich schaute auf und sah Jesse, der uns von seiner aus beobachtete. Er starrte mich zornig an, drehte sich dann um und ging nach drinnen. Eines Tages, das wusste ich, würde er das aus einem anderen Grund tun.

Sarah machte sich auf den Weg zu ihrem Auto, das vor seinem Haus geparkt war und sie lächelte und winkte mir, ehe sie einstieg. Ich winkte zurück, in der Hoffnung, dass sich nichts ändern würde, wenn ich nur lange genug so tun würde, als würde es das nicht. Aber ich war voller Angst.

 

 

WÄHREND DER nächsten paar Tage sah ich nicht viel von Dane, Jesse oder Sarah. Dane hatte Tante Kates Wäschezimmer fertiggestellt und sie liebte ihn dafür. Im Moment ließ sie ihn an irgendeinem Möbelprojekt arbeiten. Jesse und die Rancharbeiter brachten die letzte Heuernte ein.

Sarah hatte alle Hände voll zu tun mit den Kindern und ich war,von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang mit Kindern und Pferden beschäftigt. Oder ich versuchte, etwas Schlaf zu finden. Es funktionierte nicht. Das Gespräch mit Sarah spukte mir ständig im Kopf herum, zusammen mit dem furchtbaren Gefühl,dass irgendetwas kurz vor der Explosion stand.

Tante Kate bekam das schließlich mit.

„Josh, du siehst aus, als hättest du die ganze Woche nicht geschlafen“, sagte sie eines Abends, als ich ihr dabei half, nach dem Abendessen sauberzumachen. „Was ist los?“

„Zu viele Kinder?“ Ich lächelte lahm. „Ich habe diese Woche aus irgendeinem Grund nicht besonders viel geschlafen.“

„Welcher Grund?“

Ich setzte ein fröhliches Gesicht auf. Es war ja nicht so, als hätte ich das nicht schon früher getan, um Dinge zu verheimlichen. „Garnichts, wirklich, Tante Kate. Wenn es erst mal Samstag ist, wird es mir besser gehen, da bin ich sicher.“

Aber sie sah mich auch weiterhin an, als sei sie sich nicht ganz sicher. „Ich mach das hier schon. Du gehst in deine Hütte und genießt die Ruhe. Vielleicht hilft dir das beim Schlafen.“

„Ich kann dich nicht mit all dem hier allein lassen.“

„Dein Onkel kann mir helfen. Und nun husch.“ Sie versuchte, streng auszusehen und scheuchte mich mit beiden Händen fort.

„Bist du sicher?“

„Geh.“

Und das tat ich. Ich ging zu mir nach Hause und dabei ging ich jedem aus dem Weg, der aussah, als könnte er sich mir nähern. Ich schnappte mir ein paar Flaschen Bier und ließ mich auf der hinteren Veranda nieder, um mir den Sonnenuntergang anzusehen. Der Wind, der den ganzen Tag über stetig geweht hatte, war endlich zur Ruhe gekommen, sodass ich die Pferde in der Nähe des Stalls hören konnte, und sogar ein paar Raben, die sich über die Weide hinwegzukrächzten.

Nach ein paar Minuten verebbten die Geräusche, wurden ersetzt von Stimmen und Bildern aus der Vergangenheit. Ich stellte mir die Gesichter von Freunden aus dem College vor, die sich ihren Familien gegenüber geoutet hatten. Da war Andy. Seine Eltern schickten ihn zu einem Psychiater als er es ihnen erzählte. Der Doktor wollte ihn wieder in Ordnung bringen und als Andy aufhörte, mit ihm zu reden, hörten Andys Eltern auf, mit Andy zu reden. Er war jahrelang nicht mehr nach Hause eingeladen worden. Evans Familie setzte ihn auf die Straße. Er lebte für eine Weile mit einer Gruppe von uns in Bozeman. Wir sagten ihm, dass es uns nichts ausmachte, dass er sich nicht an den Rechnungen beteiligen konnte, aber ihm machte es etwas aus. Er musste die Schule verlassen und verschwand schließlich einfach. Niemand wusste, wo er jetzt war. Todds Mom sagte zu ihm, dass er in der Hölle schmoren würde, wenn er nicht aufhören würde, mit seinen „bösen Gelüsten“. Es gab nur sie beide und er hörte auf, sich mit irgendeinem von uns zu treffen. Als ich ihm das letzte Mal über den Weg lief, war er auf dem Weg in die Kirche. Seine Mutter war glücklich und er machte sich immer noch Sorgen wegen der Hölle. Er sah aus wie ein Skelett.

Ich konnte mich selbst als den Nächsten auf der Liste sehen, wie ich meine Familie und meine Pferde verlor, die Ranch verlassen musste und alles, was ich liebte und die einzige Sache, die ich konnte.

„Sie dürfen es niemals herausfinden“, flüsterte ich mir selbst zu. „Auf keinen Fall.“

„Auf keinen Fall was?“ Es war Jesse, der um die Ecke der Hütte bog.

„Scheiße, du hast mich zu Tode erschreckt“, rief ich. „Weißt du nicht, dass man niemanden so überraschen soll?“

Er setzte sich neben mich und bediente sich an dem anderen Bier, das ich mit rausgebracht hatte. Er lächelte, als wäre meine Reaktion witzig gewesen.

„Wovor musst du Angst haben, mal abgesehen von Ray Hanson und der Tatsache, dass ich Samstagabend mit Sarah ausgehe?“

Er grinste. Und mir war kalt bis in die Knochen.

„Du hast sie also gefragt.“ Ich versuchte, es klingen zu lassen, als sei das für mich in Ordnung, aber sein finsterer Blick sagte mir, dass ich versagt hatte.

„Heute Nachmittag.“ Er starrte mich jetzt an, wartete darauf, dass ich wagte, etwas dazu zu sagen. Als ich das nicht tat, fügte er hinzu: „Ich führe sie nach Livingston zum Essen aus.“

„Viel Spaß.“ Ich setzte meine Flasche ab und ergriff meine Knie, um meine zitternden Hände zu verbergen.

„Es wäre nett, wenn ich glauben könnte, dass du das auch so meinst. Wo liegt dein Problem damit?“

„Wie würde es dir gefallen, wenn ich mit deinem besten Freund ausgehen oder schlafen würde?“ Mist, ich griff nach jedem Strohhalm, selbst wenn es die Wahrheit war.

„Zunächst mal, mein bester Freund ist ein Kerl.“

Ich konnte Jesses Blick auf mir spüren und hielt meinen Blick krampfhaft auf die abgeschliffenen Gipfel der Gallatins gerichtet, die so verschieden waren von den scharf zerklüfteten Absarokas, wie ich es von Jesse war.

„Tja, wir waren schon immer das genaue Gegenteil voneinander, nicht wahr?“

Wenn das mal nicht den Tatsachen entsprach. Ich, Mr. `Verrats bloß niemandem` Cowboy, der kochte und ein feines Händchen für Pferde hatte und der in einen Schockzustand verfiel als unser Eltern starben. Und Jesse, Mr. `Rundum-Macho` Armee Ranger. Mist, wenn ich so darüber nachdachte, wieso wusste er es dann nicht ganz einfach?

„Wieso hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt, als ich dich gefragt habe, ob ihr zwei nur Freunde seid?“, verlangte er zu wissen. „Was für ein Spiel spielst du, kleiner Bruder?“ Er legte jede Menge Nachdruck in die letzten beiden Worte.

Mir gefiel diese Unterhaltung überhaupt nicht. Ich stand auf und machte ein paar Schritte, um von ihm wegzukommen. „Ich weiß nicht, was du meinst.“

Er kam ohne Umschweife auf den Punkt. „Was ich meine ist: Was, zum Teufel, ist los mit dir?“, schrie er. „Du verleitest mich und alle anderen jahrelang dazu, zu glauben, dass da etwas ist zwischen dir und Sarah. Aber da ist nichts und du hast genau gewusst, dass ich mit ihr ausgehen wollte. Was für ein Bruder tut so was?“

Er senkte seine Stimme. „Wieso tust du das, Josh?“

Gott, ich wollte die Wahrheit hinausschreien und sehen, was passierte. Ich wollte wegrennen. Ich schlang die Arme um meinen Bauch, um alles drinnen zu halten.

„Ich tue überhaupt nichts“, sagte ich durch meine zusammengebissenen Zähne. „Geh mit ihr aus. Es ist mir egal.“

Seine Bierflasche zerbarst an der Rückwand der Hütte und er stapfte davon.