Kapitel 18

 

 

ICH WAR so gegen halb sechs im Cunninghams. Die Bar war bereits zur Hälfte gefüllt. Es sah aus, als würde es ein guter Abend für Billy werden.

Ich glitt auf einen Barhocker, bestellte ein Bier und holte mein Handy hervor, um Jesse anzurufen. Das Telefon hatte noch nicht einmal geläutet, als Hansons Stimme hinter mir ertönte.

„Ich habe gar nicht mitbekommen, dass du auch Schwuchteln bedienst, Cunningham“, sagte er laut genug, um bei dem Krach in der Bar gehört zu werden. Alles, was ich registrierte, war das Wort „Schwuchtel“ und dann das plötzliche Ausbleiben irgendeiner Stimme in der Bar, abgesehen von Hansons und der von Trace Adkins, die aus der Musikbox tönte.

„Weißt du“, fuhr Hanson fort, „ich denke wirklich nicht, dass du hier drinnen bei den anständigen Leuten sein solltest, Schwuchtel.“

Ich drehte den Stuhl herum und rutschte vom Sitz auf meine Füße. Das brachte Hansons Stirn ungefähr sieben Zentimeter vor mein Kinn, aber er würde nicht zurückstecken oder klein beigeben. Natürlich nicht. Er hatte Mel Evans und zwei andere Männer hinter sich.

„Ja, ich weiß es, Brooks. Denkst du, du hättest das für immer geheim halten können?“ Seine Spucke traf meinen Kiefer, als er sein Kinn näher an mein Gesicht schob. „Schon sehr bald wird jeder alles darüber wissen, dass du es dir in den Arsch besorgen lässt und dir das gefällt.“

Furcht ließ meinen Nacken erschaudern, ließ mir die Haare zu Berge stehen, als ich Hansons Mund gegenüberstand. Plötzlich schiener nur aus Mund zu bestehen, von der Größe eines gähnenden schwarzen Lochs, das drohte, mich gewaltsam in seine Abscheulichkeit hineinzusaugen, während überall in der Bar hinter ihm fassungslose Gesichter auf uns gerichtet waren. Leute, die ich kannte und Leute, die ich nicht kannte. Manche ungläubig, manche bereits angeekelt. Alle beobachteten uns. Mich sahen sie alle klar und deutlich, aber keiner sah einen Schimmer von diesem hässlichen, bedrohlichen Mund. Alle warteten erstarrt, aber Hanson würde jede Sekunde in Aktion treten. Ich wusste, dass ich etwas tun sollte. Mir wollte bloß nicht einfallen, was ich tun oder zu sagen sollte.

Dafür fing Bill Cunningham an zu reden: „Hör mit diesem Schwachsinn auf, Hanson sonst rufe ich den Sheriff. Hast du mich verstanden?“

„Das ist kein Schwachsinn, Cunningham“, erwiderte Hanson. „Fragt sich nur, ob Brooks es zugeben wird? Wird er all diesen Leuten, die ihm ihre Pferde zum Zureiten geschickt haben und ihre Kinder, um Reitstunden zu nehmen, sagen, dass man ihm weder Tiere noch Kinder anvertrauen kann, weil er so schwul ist, wie man nur sein kann? Ganz recht.“ Hanson drehte sich jetzt um, um zu der Bar im Allgemeinen zu sprechen. „Ihr habt alle geglaubt, das er ein spezielles Händchen hätte, im Vergleich zu mir. Tja, betatscht wurde er jedenfalls gründlich.“

Sein Tonfall erweckte in mir den Wunsch, im Erdboden zu versinken. Aber er war noch nicht fertig.

„Wollt ihr Schwuchteln in der Nähe eurer Kinder? Oder eurer Tiere?“

Er drehte sich wieder zu mir um. „Was ist los Brooks? Bist du auch noch ein Schisser oder sagst du nur nichts, weil es wahr ist?“

Mir fiel keine Erwiderung ein. Alles, woran ich denken konnte, war, dass von allen Menschen ausgerechnet Ray Hanson mich geoutet hatte und was meine Familie dazu sagen würde und wohin ich würde umziehen müssen.

„Ich denke, er hat Angst, Boss“, spottete Mel Evans. „Er hat Angst, weil er weiß, dass die richtigen Männer hier in der Gegend ihm zeigen werden, was wir mit Schwuchteln machen, die sich für was Besseres halten.“

„In meiner Bar wird nicht gekämpft“, rief Bill. „Hanson, du und deine Männer verschwinden von hier.“

Sofort ging Hanson auf Billy los. „Du willst mich rausschmeißen, Cunningham? Wie gut denkst du wird dein Geschäft wohl laufen, wenn die Leute erfahren, dass du richtige Männer rauswirfst, während schwanzlutschende Schwule an deiner Theke trinken dürfen?“

Billy begutachtete die Menge und sah dann mich voller Wut und Verachtung an.

„Das reicht“, schrie er. „Ich werde solchen Unsinn in meiner Bar nicht dulden. Raus hier, alle beide und du Hanson nimmst deine Männer mit.“

Billy holte den Baseballschläger unter der Theke hervor, von dem jeder wusste,dass er dort lag, und wedelte damit vor uns herum. „Und keiner von euch kommt wieder her, habt ihr mich verstanden?“

Ich starrte ihn an, unfähig zu glauben, dass er mich ebenfalls hinauswarf. Ja, ich hatte mir immer das Schlimmste vorgestellt, falls die Leute je die Wahrheit über mich erfuhren, aber ich hatte niemals damit gerechnet, dass sie von Angesicht zu Angesicht auf mich losgehen würden. Ich war mit Billy zur Schule gegangen. Er hatte mir mehr als nur einmal einen Job angeboten. Ich hatte ihn auf den Beerdigungen seiner Mutter und seines Vaters beide Male umarmt.

„Ich sagte raus hier, Brooks“, zischte er. „Ich werde nicht zögern auch deinetwegen den Sheriff zu rufen, das werde ich nicht.“

Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als von hier zu verschwinden. Wenn ich doch nur meine Füße dazu bringen könnte, sich zu bewegen.

„Du zuerst, Schwuchtel“, höhnte Hanson. „Ich will nicht, dass du meinem Arsch zu nahe kommst.“

Er schubste meinen Arm und ich musste mich rasch wieder aufrichten. Das reichte aus, um meinen benebelten Verstand zu klären und ich setzte mich in Bewegung, mit nichts anderem im Blick als der Tür. Hansons Männer machten Platz und ließen mich durch, aber nicht, ohne den einen oder anderen Schubser ihrerseits. Ich spürte sie kaum.

Ich schaffte es durch die Tür und war mir vage bewusst, dass sie nicht hinter mir zufiel. Das hätte mir etwas sagen müssen, aber ich war viel zu sehr darauf konzentriert, zu meinem Truck zu gelangen.

Der erste Hieb traf von hinten meine Schultern. Die Tür zur Bar fiel direkt danach zu. Ich hielt mich auf den Füßen, aber mein Körper knickte in der Mitte ab und nach vorne. Ein Schlag gegen meine Seite ließ mich herumwirbeln. Ich richtete mich auf und schlug nach dem ersten Kerl, der sich vor mich stellte, einem von Hansons Männern. Er fiel mir vor die Füße.

Ein Schlag von hinten schickte mich ausgestreckt zu Boden über ihn. Ich landete auf den Knien und das warʼs dann für mich. Ich wurde zu einer dieser Punching-Puppen, die immer wieder hochschnellten, nur um gleich wieder zu Boden geschlagen zu werden.

Evans teilte die meisten Schläge aus. Es waren harte Schläge in meinen Bauch und meine Rippen. Hanson ging auf mein Gesicht los. Er war verantwortlich für den Riss über meinem Auge und den Schlag, der mich bitter schmeckendes Blut ausspucken ließ.

Irgendjemand nannte mich auch weiterhin eine Schwuchtel. Und ich glaubte, meinen Bruder von weitem meinen Namen rufen zu hören. Aber das war unmöglich.

Dann rief – Gott sei Dank – jemand: „Ich rufe jetzt den Sheriff.“ Hanson und seine Truppe verschwanden in einem Wirbel von zuschlagenden Lastertüren und durchdrehenden Reifen.

Ich kämpfte mich vom Schotter hoch auf die Knie und wischte mir das Blut aus dem Auge. Ich konnte sehen, dass die Leute mich beobachteten, aber niemand kam, um mir zu helfen. Darüber war ich nur froh. Vielleicht war mir ja doch noch etwas Stolz geblieben, wenn ich es alleine bis zu meinem Truck schaffte.

Als ich mich vollends aufrichtete, schossen Schmerzen durch meine Rippen und meinen Unterleib, wie ich sie mir nie hätte vorstellen können. Das ließ mich tief nach Luft schnappen und, Mist, aber das machte den Schmerz überall nur schlimmer. Evans hatte seine Fäuste hauptsächlich über meinen Oberkörper tanzen lassen. Noch vor dem Morgen würde ich überall grün und blau sein.

Ich zwang mich dazu, meine Arme nicht um meinen Unterleib zu schlingen. Zwang mich, sie lose an meinen Seiten hängen zu lassen, während ich zu meinem Truck ging, so wie John Wayne und Clint Eastwood in einer Person. Es war ein langer, verschwommener, schmerzhafter Weg und es brachte mir noch mehr Schmerzen ein, die Tür zu öffnen. Zum ersten Mal in meinem Leben benutzte ich den Haltegriff an der Decke und zog mich ins Innere. Die Bewegung meiner Rippen war so schmerzhaft, dass ich dachte, ich würde sterben. Mein Hintern plumpste mit einem dumpfen Geräusch in den Sitz, was meine Rippen erneut erschütterte und ich legte meinen Kopf auf das Lenkrad und zog die Tür zu. Nach ein paar Versuchen bekam ich den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr los. Glücklicherweise führte die Strecke zur Straße einfach nur geradeaus, ohne Rückwärtsfahren. Ich hätte mich um nichts in der Welt umdrehen können, um den Weg hinter mir einzusehen. Ich musste mich stark konzentrieren, um zwischen den weißen Linien zu bleiben. Ungefähr eine Meile die Straße runter kam mir der Sheriff mit eingeschaltetem Blaulicht entgegen, auf dem Weg ins Cunninghams.

Als ich meine Hütte erreicht hatte, parkte ich direkt neben der vorderen Veranda. Ich musste meinen Kopf für eine Weile auf dem Lenkrad ausruhen, ehe ich auch nur daran denken konnte, die Tür zu öffnen. Dann fiel ich raus. Es war nicht mit Absicht, aber es schien die Dinge zu vereinfachen, zumindest zu Anfang. Ich fühlte keinen erneuten Schmerz, bis ich auf Händen und Knien im Schotter der Einfahrt landete.Dann spürte ich das Pochen wieder überall, plus der neuen Schmerzen in meinen Handflächen.

So vorsichtig ich konnte, richtete ich mich erneut auf. Ich weiß nicht, wie lange ich mich gegen den Truck lehnte, bevor ich meine Füße dazu bringen konnte, sich zu bewegen und ich zu meiner Vordertür stolperte. Gott sei Dank war niemand in der Nähe, der mich sehen konnte.

Einmal drinnen angekommen, schloss ich die Tür hinter mir ab. Und nicht nur sie. Ich machte langsam eine Runde durch die ganze Hütte, überprüfte die Fenster, verschloss sie und zog die Rollos runter. Vielleicht würde ich einfach für immer hinter ihnen verborgen bleiben.

Sehr viel später, nachdem ich entschieden hatte, dass, selbst wenn ein paar Rippen gebrochen waren, keine davon meine Lunge durchbohren würde und mein Gesicht nicht wirklich genäht werden musste, schlüpfte ich ins Bett.

Ich hatte viel zu große Schmerzen, um mir Gedanken darüber zu machen, was ich als Nächstes tun sollte, war weit jenseits davon, zu bedenken, dass es vielleicht klüger wäre, all meine Klamotten lieber anzulassen. Ich hatte dieses Gefühl, dass ich nicht von alleine aufwachen würde. Es würde mindestens bis morgen Nachmittag dauern, bis meine Tante und mein Onkel erfahren würden, was geschehen war und sie vielleicht nach mir suchen würden. Aber zwei ehemalige Armee Ranger würden vielleicht auch noch auf mich einschlagen wollen. Einer, um sein Geheimnis zu wahren, einer, um seinen Stolz zu wahren.