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eine weichen Lippen an meinen, deine Hände, die über meinen nackten Oberkörper streicheln und dein stetig näherkommender Körper geben mir den Rest.
Oh, Baby, ich wollte dir sicher nicht all das sagen, was ich getan habe. Wollte dir nicht diese Halbwahrheiten erzählen. Zugleich bin ich mir jedoch sicher, dass es uns ähnlich ergeht. Damit wollte ich dir helfen und dir zeigen, dass du mit deinen Fehlinterpretationen und den komischen Gefühlen nicht allein bist.
Jetzt verschwindet diese merkwürdige Situation, in der wir uns noch nie zuvor befunden haben, allerdings in deiner Lust.
Mit jeder weiteren Sekunde spüre ich zunehmend deine Hitze, deinen Willen, und bekomme es mit der Angst zu tun. Denn jeden Moment könntest du dich mir wieder verschließen,
dich versteifen und zurück an einen tiefen, dunklen Ort in deinem Innersten kehren, der mich ausschließt und dich aus der Gegenwart reißt. Das kann ich nicht zulassen, obwohl deine Küsse leidenschaftlicher werden. Deswegen rücke ich von dir ab, ohne mich von deinen Lippen abzuwenden. Küsse dich weiter, gleichwohl du diesen Kuss schon längst intensiviert hast.
Es gibt nichts Schöneres, als dich so zu spüren, deine Finger so auf meiner Haut wahrzunehmen und deine Zuneigung in mich aufzunehmen. Dennoch ist es jetzt falsch. Meine Ängste sind geschürt und ich will nicht, dass du mich hier allein lässt. Leider spürst du nicht meine Verunsicherung, bist längst in der Begierde gefangen und rückst näher, anstatt das zu beenden. Ich liebe dich, Baby, und das ist selbst für mich nicht so leicht. Ich kann mich kaum von dir lösen und sicherlich spürst du längst meine harte Erektion, die dich weiter ermutigt. Dabei rechne ich schon damit, dass du erstarrst, aus dem Hier und Jetzt verschwindest. Stattdessen legst du ein Bein auf meine Hüfte und gibst mir Zugang zu deiner Mitte.
Viele unterschiedliche Gefühle und Gedanken vermischen sich. Auf der einen Seite will ich dich. Ich will dich auf den Rücken drehen und mir alles von dir nehmen, was mir gehört. So, wie du es von mir kennst. So, wie du es magst und schon immer wolltest. Auf unsere eigene, ganz besondere Art will ich dich nehmen, mich in dich hineinpressen und dir alles abverlangen. Auf der anderen Seite ist mit klar, dass es der größte Fehler ist, den ich begehen könnte. Denn ich muss behutsam mit dir umgehen, dich schützen, selbst vor meiner Lust. Umso schwerer fällt es mir, dich nicht ruckartig umzudrehen und dich mit Gewalt mir zu eigen zu machen. Zudem schreit alles in mir, komplett von dir abzulassen, dir Zeit zu geben, wenn du es schon nicht selbst tust. Allerdings glaube ich nicht, dass du das so zulassen würdest, da du jetzt beginnst, deine Hüften an mir zu reiben.
Dass ich überhaupt noch klar denken kann, ist ein Wunder. Du machst mich fertig.
Ich will nur das Beste für dich. Also drehe ich mich auf den Rücken, breche den Kuss ab und versuche, noch mehr Abstand von dir zu bekommen. Du hingegen lässt das nicht zu. Bevor ich irgendetwas sagen kann, legst du deine Hand auf meine Erektion und ich spüre deine Hitze selbst durch die Shorts.
»Nimm mich«, hauchst du mir verführerisch ins Ohr.
Doch im nächsten Moment habe ich Bilder vor Augen. Bilder, die nicht hierhergehören. Meine Vorstellungskraft geht mit mir durch, lässt mich Dinge sehen, die ich nie miterlebt habe und die dennoch so gegenwärtig sind, dass es mir die Luft nimmt und meine Magensäure aufkommen lässt. Mit aller Kraft will ich es verdrängen und kann es nicht. Du, Baby. Du und mein Vater.
Mir wird schwindelig und dieses abscheuliche Gefühl breitet sich mehr als schmerzhaft in mir aus, sodass mich der kalte Schweiß auf meiner Haut beben lässt.
»Vicco?« Deine Stimme. Deine warme, sanfte, fragende Stimme erreicht mich und fegt die Bilder fort. Mit der Hand streiche ich mir durchs Gesicht, ringe um Fassung und erst jetzt bemerke ich, dass du die Decke von mir gezogen hast.
Längst küsst du wieder meine Haut. Bahnst dir einen Weg über meine Brust zum Bauch und schaust mit großen Augen zu mir auf, ohne deine Lippen von mir zu nehmen. Baby, ich bin verwirrt und gleichzeitig vertreibst du allein mit diesem Blick all das Schlechte.
Ich streichele dir über die Wange und schüttele leicht den Kopf, als du weiter nach unten küsst und mir klar wird, was du vorhast. Obwohl du die Bilder verscheucht hast, ist dieses Gefühl noch da. Das Wissen übertrumpft das zarte Lippenspiel und ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.
Es ist keine einfache Verwirrung, vielmehr entsteht ein Chaos in meinem Kopf, was mich beunruhigt. Ich will dich,
Baby. Aus tiefstem Herzen und selbst mein Körper. Nur kann ich das alles nicht so abschütteln.
Dennoch gleiten deine Lippen weiter, hinterlassen eine heiße Kussspur, und langsam regt sich auch etwas bei mir. Für einen kurzen Moment presse ich die Lider zusammen, hole mir deinen anbetungswürdigen Körper vor Augen, obwohl du hier bist, und erinnere mich an die vielen, unvergesslichen Male, in denen ich deinen Körper besitzen durfte. Das, Baby, hilft. Es reicht aus, um alles andere in den Schatten zu verbannen. Als ich die Augen öffne, erreichst du gerade den Bund meiner Shorts und befreist mit deinen zarten Händen meinen Schwanz. Erneut schaust du zu mir auf und setzt dieses Lächeln auf. Dieses Lächeln, welches mich so schwach macht, weil du ein kleiner Engel bist. Neckend hauchst du einen einzelnen Kuss auf meine Spitze und ich sterbe. Für den Bruchteil einer Sekunde bleibt mein Herz stehen, weil du so unfassbar heiß bist.
Wie geil es aussieht, wie du meine pochende Erektion in der Hand hältst, dabei leicht zudrückst und mich so auffordernd ansiehst. Mit diesem elektrisierenden, unwirklichen Gefühl öffnest du den Mund und …
»Scheiße!« Baby, du machst mich fertig mit dem Anblick, wie mein Schwanz in deinem Mund verschwindet. Das Gefühl, welches mich stromstoßartig durchfährt, nimmt mir den Verstand. Saugend, mit der Zunge neckend löst du nur einen einzigen Wunsch in mir aus: deinen kleinen, zerbrechlichen Körper zu besitzen. Für alle Ewigkeit.
Ich lege die Hand auf deinen Hinterkopf und …
Und …
Ein Blitz schießt schmerzhaft durch mich hindurch. Als würde sich – durch die eine kleine Berührung an deinem Kopf – deine Erinnerung mit meiner verbinden, wandert sie durch meinen Arm und sticht mir mitten ins Herz.
Reflexhaft springe ich auf, schubse dich weg und verliere
mich in diesem einzigen bitteren Schmerz der Erinnerung. Baby, dieses Bild. Ich habe es erlebt. Sehe es vor mir, als wäre es gestern.
Es reißt mir den Boden unter den Füßen weg, obwohl ich mittlerweile mitten im Raum stehe. Haareraufend versuche ich, es loszuwerden, und kann es nicht. Denn jetzt wird mir einiges klar und das ändert alles!
Die Szene bildet sich vor meinen Augen zusammen.
Ich war im Pearl, Baby. Ich wollte zu dir, dich rausholen, dich mitnehmen. Gino hat mit mir diskutiert. Dann kam dieser Kerl stinkwütend die Treppen heruntergestürmt. Baby, eine Stute hat ihm in den Schwanz gebissen!
O mein Gott, Baby! Du warst das. Ich habe es geahnt und dennoch …
»Vicco, was ist los?«
Ich ignoriere deine Frage, raufe mir den Kopf und laufe auf und ab. Spüre diese unaufhaltbare schmerzhafte Energie durch meine Venen pumpen. Erkenne, wie ich all das hätte verhindern können, wenn ich nur anders gewesen wäre. Hartnäckiger, nicht so ein Arsch. Wenn ich dich erst gar nicht dorthin gebracht hätte.
Oh, Baby, was habe ich nur getan? Was habe ich nur getan?
»Vicco, sieh mich an.«
Ich kann es nicht.
Ich kann dich nicht anschauen, ohne meine Schuld in deinen Augen, auf deinem Körper und in deiner Seele zu sehen. Also verlasse ich rasant das Schlafzimmer und flüchte mit schnellen Schritten ins Bad. Baby, ich muss zur Besinnung zu kommen. Muss das alles wegstecken, bevor dir klar wird, dass alles verloren ist. Indem ich mir umgehend kaltes Wasser ins Gesicht spritze und immer wieder über die Haut rubbele, vertreibe ich das Gefühl, die Erinnerung und diese Schuld, die alles vernichten wird. Mit den Händen verjage ich aufbrausend die Bilder aus meinem Kopf, versuche, die Erinnerung
loszuwerden und schaffe es doch nicht, weil ich all dein Leid zu verantworten habe.
Plötzlich spüre ich deine Hand an meiner Schulter und du zuckst weg, als ich mich zu dir umdrehe.
»Es war nur meine Hand. Ich tue dir nicht weh!«, sagst du sogleich und ich merke, dass ich dich zornig angeschaut habe, weswegen du auch mehrere Schritte zurückgehst, bis die Türzarge deine Flucht aufhält.
»Nein, aber ich dir!«
»Das würdest du nie tun, Vicco.«
Wieder bist du so naiv. Ich habe das doch schon längst getan und du merkst es noch nicht einmal. Begreifst du nicht, welche Schuld ich überhaupt trage, für all das, was passiert ist? Das will ich dir am liebsten ins Gesicht brüllen, obgleich du weit genug entfernt stehst. Ich will es in die Welt hinausschreien, bis meine Kehle keinen Ton mehr hergibt. Stattdessen schüttele ich nur den Kopf, trockne mir die Hände und das Gesicht ab. Als ich wieder zu dir rüberschaue, hast du dich am Holz hinabgelassen und sitzend an den Türrahmen gelehnt.
»Hast du etwas gesehen, was du nicht sehen wolltest?«
Verwundert schmeiße ich das Handtuch in die Ecke und komme auf dich zu.
»Nicht wichtig.«
»Ich kenne das. Ich habe das auch oft. Ich will das nicht, aber es kommt von allein. Ich glaube manchmal, dass ich verrückt bin.«
An der anderen Seite der Zarge lehne ich mich wie du an und lasse mich dir gegenüber hinabgleiten. Meine Beine winkele ich neben deinen an und betrachte dich genauer.
»Nach allem, was passiert ist, bist du nicht verrückt. Es ist normal. Du hättest das nicht erleben dürfen. Du wurdest dem Bösen ausgesetzt und es ist selbstverständlich, wenn du dich daran zurückerinnerst. Ich bin der Verrückte hier, denn ich
sehe Dinge, die ich vorher nie gesehen habe. Szenarien, die mein Verstand sich einbildet, und nur wenig davon ist wahrhaftig passiert. Oder ich weiß es nicht. Bei dir ist es das Wissen über die Vergangenheit.«
Du kannst für deine Flashbacks nichts. Du erlebst es nur immer wieder neu, was grausam genug ist. Meine Worte hingegen sind genauso wirklich wie meine Fantasien.
Auf deinen angezogenen Beinen legst du dein Kinn ab und schaust mir schweigend tief in die Augen. Fest umklammerst du deine Beine und ich wünsche mir nur für diesen kleinen, stillen Augenblick, dir deine ganze Vergangenheit nehmen zu können. Nur werde ich nie in der Lage dazu sein. Vorsichtig streiche ich mit den Fingerspitzen über deine Arme und möchte dir damit zumindest etwas Halt geben, wobei ich mir sicher bin, dass ich das wahrscheinlich nie so könnte, wie du es brauchst.
»Vicco?«
»Mh?«
»Ich wüsste gerne, ob das alles noch einen Sinn macht. Du merkst doch selbst, wie kaputt ich bin, und ich ziehe dich auch noch mit runter.«
Was bist du nur für ein guter Mensch, dass du selbst in deinem Leid an das Monster denkst, welches dir das überhaupt angetan hat. Wie kann das sein? Wie nur? Du müsstest mich hassen und verachten und gleichzeitig bin ich froh, dass du es nicht tust und dass du mich liebst.
»Wir sind beide kaputt«, stelle ich direkt fest.
»Warum beenden wir es nicht?«
»Nur weil wir kaputt sind? Überleg dir das genau, Baby. Das soll nicht bedeuten, dass ich dich irgendwie einschränken möchte. Du musst das selbst entscheiden und nicht mir diese Frage stellen. Nur du allein kannst entscheiden, ob du leben oder lieber sterben möchtest.«
»Du willst doch, dass ich mit dir darüber spreche.«
»Natürlich. Wir machen das gemeinsam. Aber die Entscheidung triffst du. Du für dich. Unabhängig von mir. Wenn du stirbst, dann sterben wir gemeinsam. Wenn du lebst, dann auch nur gemeinsam. Leben oder Tod, was immer du möchtest.«
»Wir werden uns gegenseitig zerstören, Vicco. Ist dir das nicht klar? Die einzige Entscheidung, die uns bleibt, ist, ob wir beide gemeinsam sterben oder wir getrennte Wege gehen und leben. Und ich will, dass du lebst.«
Nein, Baby, so nicht.
»Wir sind beide kaputt. Beide von derselben Person zerstört worden. Wir ziehen das zusammen durch. Das ist meine einzige Bedingung, sonst kannst du frei wählen. Das soll nicht heißen, dass du schuld an meinem Tod wärst. Das habe ich dir gestern schon versucht, klarzumachen. Ich möchte nur, dass du mich einbeziehst und es gleichzeitig nicht von mir abhängig machst. Du entscheidest für dich selbst und ich ziehe mit. Weil ein Leben ohne dich für mich nicht lebenswert ist. Und falls der Schmerz der Vergangenheit dich so belastet, dass du nur noch Licht siehst, wenn du es beendest, dann bin ich dabei. Ich verstehe dich. Wirklich. Ich liebe dich aber zu sehr, um ohne dich weiterzumachen, und das ist mein voller Ernst. Das ist kein Spiel, Baby. Sei dir dessen bewusst.«
Du schließt die Augen und nickst. Erschöpft, müde oder vielmehr verzweifelt legst du die Stirn auf die Knie und genau in diesem Augenblick bin ich mir nicht mehr sicher, ob mein Plan dir je helfen könnte. Ob ich es je schaffe, dich davon zu überzeugen, zu leben. Zur selben Zeit huscht eine bittere Kälte durch meine Glieder und erinnert mich daran, wie fertig und ausgelaugt ich selbst bin.
Baby, du hast mich fast überzeugt, das alles hinzuschmeißen und uns beiden die Kugel zu geben. Ich bin durch. So richtig. So wie du.