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Zwei Wochen später …
T agein, tagaus verbringen wir so unsere Zeit. Ich zeige dir all den Schrecken auf dieser Welt, mit dem du nicht allein bist. Viele Menschen ertragen böse Dinge.
Ich zeige dir das Frauenhaus und die zwei Kinderheime, an die ich regelmäßig Geld spende, zeige dir anschließend die kostbaren Schätze unserer Erde, die unbezahlbar sind und die uns keiner nehmen kann. All die schönen Dinge, wofür es sich wirklich lohnt, zu leben. Ich zeige dir Orte, an denen man die Natur sieht. Ich zeige dir die wunderschönen Plätze in der Stadt, wo man im Dunkeln das Leuchten der Straßenlaternen und Leuchtreklamen sieht, und ich zeige dir die schönen Stellen, die von Menschen erbaut worden sind, von denen wir nicht wissen, ob sie gut oder schlecht sind. Ich zeige dir, wie viel es zu sehen gibt, dass es viel Leid und Schmerz gibt, aber auch viel Schönes.
Aber jetzt ist der Tag gekommen, an dem du eine Entscheidung treffen musst. Denn wir können nicht ewig so weitermachen. Ich würde es tun, für dich, Baby. Es ist auch das, was ich will. Nur eben nicht die Ungewissheit. Ich bin ausgebrannt, Baby. Ich schlafe nicht mehr durch, weil ich immer mit einem Auge über dich wache und aufpasse, dass du mich nicht allein lässt. Ich fürchte mich davor, dass du deine Entscheidung ohne mich fällst. Diese Hängepartie bringt mich an meine Grenzen.
Deswegen sitzen wir hier morgens am Frühstückstisch und ich schiebe dir deine Liste neben dein aufgeschnittenes Brötchen. Ohne aufzuschauen, kräuseln sich deine Brauen fragend, während dein Blick über deine eigenen Worte fliegt. Schließlich nimmst du den Block in die Hand und lehnst dich zurück. In deinen Augen erkenne ich deine Erinnerung, als du jedes geschriebene Wort liest. Vor zwei Wochen hast du diese Liste verfasst, während meine in Gedanken wuchs. Seither überzeuge ich dich jeden Tag davon, dass die Liste nur eine Erinnerung ist, die ich versuche, mit Schönem zu verbannen.
Meine Finger werden ganz feucht und mein Mund trocken, als ich meine Furcht zurückdränge und frage:
»Wozu entschließt du dich, Baby?«
»Was meinst du?«
Du weißt es genau. Ich erkenne es in deinem Blick, als du den Block weglegst und mich ansiehst. Dennoch antworte ich dir.
»Leben oder Tod? Du musst eine Entscheidung treffen.«
Es trifft mich, dass du zögerst. Zugleich war ich noch nie so nervös wie jetzt.
»Du musst dir sicher sein.«
Dein Mund bleibt verschlossen und deine Gedanken fliegen. Ich möchte dir helfen, dir zeigen, dass ich bei dir bin und dass ich dir nah sein möchte. Deine Ängste sind wahrhaftig, meine Liebe zu dir jedoch auch. Also bedränge ich dich sanft, stehe auf und hole aus der Schublade die zwei vorbereiteten Schachteln hervor. Damit komme ich zu dir zurück, stelle sie mittig auf den Tisch und nehme wieder Platz. Die schwere Stille zwischen uns erdrückt mich, während dein Blick immer fragender wird, der auf den zwei schwarzen Kästchen haftet.
Ungeöffnet warten sie auf deine Reaktion.
»Was ist das, Vicco?«, fragst du schließlich und hast viel zu lange gebraucht, wodurch mir leicht schwindelig wird. Ich fürchte mich vor deiner Entscheidung und deiner Reaktion. Das hier tue ich nur für dich. Wenn es nach mir ginge, würde ich dich zu meinem Willen zwingen. Nur wollte ich das noch nie.
»Mach sie auf und finde es heraus.«
Deine Hand zittert, als du nach der ersten greifst, und augenblicklich schlägst du die Hand auf den Mund, als du sie geöffnet hast. Mein Herz pocht wild, während deine Augen aufgerissen den Diamantring betrachten, der für das Leben steht. Das gemeinsame Leben mit mir.
»Was soll das bedeuten?«
Was wohl, Baby?
»Das ist das Leben. Mach die andere Schachtel auf.«
Ich sehe dich schlucken, als du das Kästchen weglegst und nach dem anderen greifst. Du runzelst die Stirn, als du es öffnest und die beiden Kapseln entdeckst.
»Was ist das?«
Auch hier kennst du die Antwort eigentlich. Dennoch erkläre ich dir:
»Das sind Zyankalikapseln. Sie stehen für den Tod.«
»Wo hast du die her?«
»Das ist unwichtig, Baby. Wichtig ist nur, dass ich meine Geschäfte aufgegeben habe und bereit bin, mit dir einen Neuanfang zu starten. Ich will dich heiraten, weil ich ohne dich nicht leben kann. Deswegen musst du dich entscheiden. Wenn du jedoch nicht mehr weiterleben kannst, weil du die Vergangenheit nicht loslassen kannst und der Schmerz dir das Leben nimmt, gehen wir gemeinsam.«
»Also Leben oder Tod?«
»Nur gemeinsam. Aber du entschiedest.«
Du nickst und stellst auch diese Dose hin. Dein Blick wandert hin und her, zum Ring und den Kapseln. Ich werde immer nervöser. Die Zeit bleibt stehen, während ich nicht fassen kann, dass du so lange für eine Entscheidung brauchst.
Sie ist wichtig und bedeutsam. So oder so. Ich weiß es, Baby. Aber verdammt, ich liebe dich so sehr.
Plötzlich springst du auf, und ehe ich begreife, sitzt du auf meinem Schoß.
»Leben!«
Du küsst mich. Und erst jetzt, wo ich dich schmecke, deine Wärme spüre und deinen Duft einatme, beginne ich zu leben.
»Heirate mich, Baby.«
»Ja! Natürlich!«