28
Riley sitzt hinter meinem Tisch und verspeist ein Chili Cheese Dog aus einer Pappschachtel. Sie hat das ganze Gesicht voller Chili und auch schon ihre Jeans bekleckert, aber ich bin trotzdem bester Laune. »Vielleicht solltest du das lieber mit Messer und Gabel essen«, sage ich.
»Oh.« Sie sieht die Sauerei. »Bäh.«
Ich krame Taschentücher hervor, da sie offensichtlich keine Serviette mitgebracht hat. »Hier.« Ich klaube die Bohnen von ihrem Schoß und wische ihr den Mund ab. Sie nimmt einen Schluck Cola aus der Flasche auf dem Tisch.
Die Dame nebenan schüttelt übertrieben den Kopf. Ich lächle.
Ich beschließe, meine Rose herauszuholen, um Byron und seine seltsamen Umgangsformen zu vergessen. Einer Rose meinen Namen zu geben, ohne mich zu fragen. Was ist, wenn ich selbst eine Rose nach mir benennen wollte? Man könnte es möglicherweise für ganz schön selbstverliebt halten. Ich beschließe, mich geschmeichelt zu fühlen. Mich zu ärgern, würde mir nicht viel nützen, oder?
Ich grinse Riley an. »Wusstest du, dass es eine Rose gibt, die meinen Namen trägt?«
»Gibt es?« Riley juhut. »Gibt’s doch gar nicht. Du bist berühmt!«
Ich zucke mit den Schultern. Was wird schon auf der Beschreibung stehen? »Benannt nach Gal Garner, einer mittelprächtigen Rosenzüchterin, die es nicht selbst hingekriegt hat«? Ich rufe mir in Erinnerung, dass ich dankbar sein wollte.
»Die Leute werden deine Rose am Valentinstag kaufen.«
»Eher nicht. Am Valentinstag sind vor allem rote Rosen gefragt, und die kommen meist aus Südamerika.«
Riley hält inne. »Du musst dir nicht solche Mühe geben, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen.«
»Ich wollte dir nicht den Wind aus den Segeln nehmen.« Ich klatsche in die Hände! »Ein dreifaches Hoch auf mich! Ich meinte doch nur, dass es keine große Sache ist. Wäre es allerdings eine Rose, die ich selbst gezüchtet hätte, würde ich hier mitten im Gang ein Rad schlagen.«
»Du könntest ein Rad schlagen?«
Wohl eher nicht. Als ich klein war, konnte ich es jedenfalls nie. Und auch keinen Aufschwung am Reck. Keine Kraft in den Armen. »Dann eben im übertragenen Sinn.«
»Okay. Was hältst du davon, wenn ich meine Haushaltspflichten auch im übertragenen Sinn erledige?« Riley wackelt mit den Augenbrauen.
»Aber das tust du doch, oder?« Ich grinse. Sie lacht.
Ich sehe Byron an seinem Tisch stehen und versuche, seinen Blick aufzufangen, aber er guckt nicht her. Stattdessen glotzt Miss Miesepeter von nebenan genervt herüber, als wären wir hier in einer Bibliothek und nicht in einem lärmenden Saal.
Ich winke ihr zu wie Miss America und schenke ihr das selbstgefälligste Lächeln, das ich je zustande gebracht habe. Sie wendet sich ab.
Die Beurteilung durch die Jury findet erst nach dem Mittagessen statt. Ich genehmige mir ein salzreiches Hotdog, was mir gelegentlich gestattet ist, gebe aber das meiste davon Riley, die sich darüber hermacht, als hätte sie nicht schon ein Chili Dog, eine weiche Käsebrezel, Pommes, drei Dosen Cola und zwei Äpfel verdrückt, auf die ich bestanden habe.
»Vielleicht machst du gerade einen Wachstumsschub durch«, sage ich. Ich sehe, dass Miss Lansing meinen Gang entlangkommt, an den anderen Tischen stehen bleibt und sich auf ihrem Klemmbrett Notizen macht.
»Meine Mutter sagt, ich werde es noch bereuen. Sie geht dauernd ins Fitnessstudio.« Reumütig betrachtet Riley die halb volle Dose in ihrer Hand. »Sie meint, an meinem sechzehnten Geburtstag wird man es meinen Hüften ansehen.«
Ich suche nach etwas ansatzweise Freundlichem, was ich über Becky sagen könnte. »Deine Mutter weiß auch nicht alles, Riley.«
Sie wirkt überrascht. »Weiß ich doch.« Sie dreht die Dose in ihrer Hand. »Ich hatte zu Hause viel Bewegung. Da, wo wir gewohnt haben. Überall bin ich zu Fuß hingelaufen.«
Ich versuche, mir vorzustellen, wie sie gewohnt haben. Ich kann es nicht, weil ich nie da war. Meine Schwester ist mir im Grunde fremd. So sollte es nicht sein.
»Ich bin gespannt, wo wir wohnen, wenn sie wieder da ist.« Riley trinkt ihre Dose aus.
Da bin ich auch gespannt. Ich reibe mein Nasenbein unter der Brille, weil sie mich plötzlich kneift. »Wirf das bitte in den Recyclingmüll.«
Schon wieder ist Riley bedrückt. Ich lege ihr einen Arm um die Schulter. »Hey. Deine Mutter tut, was sie kann. Da bin ich mir ganz sicher. Und das alles macht deine College-bewerbung um einiges interessanter als bei den Kindern, die ihr ganzes Leben im selben Haus verbracht haben und nie irgendwas tun mussten.«
»Kann sein.« Sie steht auf, nimmt ihre Getränkedose und macht sich auf die Suche nach einer Recyclingtonne.
Drei weitere Juroren folgen Miss Lansing, zwei Männer und eine Frau, die alle schon im Rentenalter zu sein scheinen. Das sind – demografisch gesehen – die meisten, weil sie die Zeit, die Bereitschaft und die finanziellen Möglichkeiten haben, sich der Rosenzucht zu widmen.
Miss Lansing bleibt an Byrons Tisch stehen. Ihr schallendes Gelächter dringt durch das Stimmengewirr. Ich verziehe das Gesicht.
Riley setzt sich hin. »Diese Frau ist laut«, bemerkt sie, als sie meinem Blick folgt.
»Sie ist eine der Jurorinnen. Sei nett.«
»Ich bin immer nett.« Grinsend schlägt Riley die Beine übereinander.
»Dann eben besonders nett. So nett, als stündest du vor der Queen.« Ich bin total gespannt, strotze vor Energie.
»Oha. Sollte ich einen Hofknicks machen?«
Ich nehme an, sie scherzt, bin mir aber nicht ganz sicher. Ich lasse es darauf ankommen. »Wenn es sein muss.«
Miss Lansing nähert sich uns. Riley entscheidet sich für eine leichte Verbeugung, bei der sie die Handflächen aneinanderlegt, wie eine Japanerin. Miss Lansing mustert sie argwöhnisch.
»Meine Liebe! Wie geht es Ihnen?« Sie presst ihre kalte Wange an meine. Sie fühlt sich an wie meine alten Lederstiefel. Bestimmt habe ich jetzt Reste von Puder und Rouge im Gesicht.
»Sehr gut, Miss Lansing.«
Mitfühlend seufzt sie: »Den Umständen entsprechend, vermutlich. Was sind Sie doch für eine tapfere, kleine Frau!« Sie wendet sich den anderen Juroren zu. »Die Ärmste braucht eine neue Niere.«
Ich werde rot.
»Ich würde Ihnen eine abgeben, aber ich habe selbst nur eine«, flötet der flotte Herr im grauen Sakko.
»Wir anderen sind zu alt«, meint Miss Lansing.
Ich hasse dieses gönnerhafte Mitleid. Damit fühle ich mich tausendmal schlechter als an meinem allerschlechtesten Tag. Wenn ich sage, dass es mir gut geht, wünschte ich, die Leute würden antworten: »Mir auch. Das Leben geht weiter«, denn das ist genau das, was ich will. Einfach weiterleben.
Inzwischen sieht Miss Miesepeter gar nicht mehr so miesepetrig aus, eher als wollte sie mich in die Arme schließen. Ich könnte ihr eine reinhauen.
Miss Lansing dreht die G42 hin und her. »Dieselbe Rose wie in San Luis Obispo, wie ich sehe.« Majestätisch schweift ihr Blick über den Tisch. »Haben Sie denn zufällig noch eine andere Rose dabei, Gal?«
»Nein.« Das sieht sie doch. Riley richtet sich auf.
Miss Lansing klimpert mit ihren falschen Wimpern. »Leider fällt diese Rose nicht in die Kategorie der Neuen Sorten, Gal.«
In meinem Kopf, in dem sich ohnehin alles dreht, kreisen die Gedanken immer schneller, bis es sich anfühlt, als wäre ich gerade von einem Jahrmarktskarussell gestiegen. »Ich verstehe nicht.«
Miss Lansing beugt sich vor. Die anderen Juroren, die offenbar alle Bescheid wissen, schlurfen zum nächsten Tisch. Miss Lansings Augen sind direkt vor meinen, so nah, dass ich jedes rote Äderchen und die blaugrüne Iris sehen kann. »Gal, Byron hat diese Rose letzten Monat registrieren lassen. Wussten Sie das nicht?«
»Was?« Meine Stimme ist so leise, dass ich sie selbst kaum hören kann.
Sie richtet sich auf. »Er hat sie bei der American Rose Society angemeldet. Sie heißt Gigi.«
»Gigi?« Ich wiederhole es, als wäre ich schwer von Begriff.
Miss Lansing dreht die G42 um. »Ich dachte, Sie wären befreundet. Da sage ich es Ihnen lieber.« Sie lächelt bedauernd. »Es tut mir leid, dass Sie hier Ihre Zeit verschwenden, Gal.«
Sie geht weiter, verschwindet in einer Wolke von Lavendelduft.
»Tante Gal? Wovon hat sie geredet?« Riley steht neben mir.
Ich sehe zu Byron hinüber.
Er starrt mich an. Ich spüre, dass das Blau seiner Augen wie ein Blitz durch meinen Körper fährt. Wären wir in einem Film mit Spezialeffekten, würden jetzt blaue Funken zwischen uns sprühen, als wollten sich erbitterte Feinde gegenseitig verhexen.
Er wendet sich ab. Tritt hinter seinem Tisch hervor und entfernt sich.
Feigling.
Ich laufe ihm hinterher, folge seinem blonden Schopf eine Weile, bis er in der Menge verschwindet.
Keuchend stehe ich da. Ich streiche meine Haare zurück.
Diese Show hätte ich mir schenken können. Das ganze Wochenende hätte ich mir schenken können.
Auf dem College sprach einer der Professoren – ich weiß nicht mehr, welcher, aber er war kein Naturwissenschaftler – von der Gabe des Vergessens. Wie man vergessen kann, dass man ein Referat abgeben muss, um kein schlechtes Gewissen zu bekommen, weil man lieber feiern möchte. Oder – wie in meinem Fall – wie ich vergessen kann, dass meine Nieren kaputt sind, um tun zu können, was ich will, zumindest für eine Weile.
Daran denke ich, als mich ein älteres Pärchen anrempelt und ich einen Ellbogen in die Rippen bekomme. Schönen Dank auch. Momentan will ich von Rosen nichts mehr wissen. Bis auf Weiteres jedenfalls.
»Tante Gal?« Riley rüttelt mich an der Schulter. »Erde an Tante Gal. Was ist passiert?«
Ich sammle mich, mische meine Gedanken neu, bis wieder mehr oder weniger so etwas wie eine Ordnung zu erkennen ist. »Nimm deine Sachen. Ich hab genug von diesem Zirkus.«
Ich war nicht mehr in Disneyland, seit meine Eltern mit Becky und mir hingefahren sind. Sie ging damals in die achte Klasse und ich in die sechste. Becky hatte eine Freundin dabei, so einen frechen Wildfang, und die beiden verbrachten den ganzen Tag auf eigene Faust. Das war mir nur recht, denn so hatte ich meine Eltern für mich. Es war ein paar Monate vor meiner Transplantation, und meine Eltern hatten mir einen Rollstuhl gemietet, damit ich nicht laufen musste. Alles in allem war es ein schöner Ausflug. Bis Becky und ihre Freundin im Disney-Gefängnis landeten, weil sie sich einmal zu oft vorgedrängelt hatten. Die Heimfahrt war nicht so angenehm.
Diese Geschichte habe ich Riley erzählt, als wir uns einen Weg durch das riesige Los Angeles mit seinen Vororten bahnten. Man braucht ungefähr eine Stunde, je nach Verkehrslage. Ich hatte die Hotelkosten erstattet bekommen und plante nun, das Geld für eines der Disneyland-Hotels auszugeben, nachdem ich mich kurz versichert hatte, dass ich mir den Ausflug auch leisten konnte.
Riley wirkt beschämt. Beschämter, als es meine Absicht war. »Ich wusste nicht, dass meine Mom so was macht.«
Ich hatte es lustig gemeint. »Damals war es ziemlich schockierend. Aber jetzt ist es eher komisch, findest du nicht? Deine Mutter war eben ein typischer Teenager.« Mehr oder weniger.
»Das ist typisch?« Riley legt die Stirn in Falten. »Das findest du typisch? Du unterrichtest an einer katholischen Schule. Solltest du mir nicht sagen, dass man so was nicht tut?«
»Ich sage ja nicht, dass du es tun sollst. Ich habe dir nur was von deiner Mom erzählt.« Wir nehmen die Ausfahrt am Disney Drive. Hier hat sich einiges verändert, seit ich zuletzt da war. Man lenkt uns ein Stück durch Seitenstraßen, an Hotels vorbei, bis wir vor einem gigantischen Parkhaus stehen. »Du meine Güte. Früher konnte man einfach reinspazieren. Heute muss man diese Bahn nehmen.«
»Also, ich würde das nicht tun.« Riley verschränkt die Arme. »So was würde ich nie tun.«
»Ist doch egal. Es ist über zwanzig Jahre her.« Ich wünschte, ich hätte mit dem Thema gar nicht erst angefangen. »Amüsieren wir uns. Die haben bis Mitternacht geöffnet.«
Disneyland ist voll verliebter Pärchen. Natürlich. Es ist Samstagabend. Was könnte man Besseres unternehmen, wenn man in Anaheim wohnt? Wir stellen uns beim »Matterhorn« an, einer Schlittenachterbahn, die einen riesigen Schneeberg aus Pappmaché hinaufklettert, vorbei an einem Yetiroboter. Ich frage mich, wie viele sich gerade erst kennengelernt haben und schon ihre Hände gegenseitig in die Hosentaschen schieben, wie das Teeniepärchen vor uns. Ich merke, dass Riley dasselbe denkt. »Du hast recht. Becky war kein typischer Teenager.« Wir rücken vor. »Sie hatte viele Probleme.«
»Ich weiß. Du musst nicht so tun, als wäre es anders gewesen.« Riley schlingt die Arme um sich. »Oder als wäre es nicht heute noch genauso. Ich bin kein Baby mehr.«
Sie verteidigt ihre Mutter vor anderen, streicht Beckys Schwächen selbst heraus. Man selbst darf auf seinen nächsten Verwandten herumhacken, aber wehe, ein anderer tut es. Ich persönlich hatte nie was dagegen, wenn jemand Beckys Probleme laut aussprach, wenn unsere Highschool-Lehrer mich hinter vorgehaltener Hand fragten, was eigentlich mit Becky los sei, weil sie mal wieder regelmäßig nicht zum Unterricht erschien. Es war alles wahr. An der Wahrheit kann ich nichts ändern.
Über uns fliegt eine Peter-Pan-Figur, als wir die schier endlose Reise durch »It’s a Small World« antreten. Angesichts der unterirdischen Umgebung fühle ich mich eher wie auf einer Reise zum Mittelpunkt der Erde. Die tanzenden Marionetten singen in Stereo. »Gruselig!«
»Süß!«, sagt Riley.
»Jetzt habe ich bestimmt ein Jahr lang Albträume. Die sind genauso schlimm wie Clowns.« Ich lehne mich zurück und schließe die Augen. Es war ein langer Tag. Morgen schlafen wir aus, spazieren ein Stück durch die Parks, dann fahren wir so los, dass ich pünktlich zur Dialyse wieder zu Hause bin. »Kannst du dir vorstellen, hier die Putzfrau zu sein, ganz allein? Was ist, wenn die alle zum Leben erwachen?«
»Tante Gal. Ich dachte, ich hab hier die blühende Fantasie.« Riley kichert.
Mein Handy summt. Ich bin mir einigermaßen sicher, dass wir nicht ins Wasser kippen, und nehme den Anruf an, ohne einen Blick auf die Nummer zu werfen.
»Gal.«
Diese Stimme würde ich immer erkennen, vor allem am Tonfall. »Was willst du, Byron?«
»Du warst plötzlich weg.«
»Allerdings. Ich hatte keinen Grund mehr zu bleiben.« Meine Stimme wird immer lauter, und ich danke den Göttern des Jahrmarkts, dass wir allein in diesem Boot sitzen. »Du bist vor mir weggelaufen.«
Darauf reagiert er nicht. »Du warst weg, bevor die Ergebnisse verkündet wurden.«
Darauf reagiere ich nicht. Es ist mir egal, wer was gewonnen hat. »Hast du mich gehört? Du bist vor mir weggelaufen.«
»Ich bin nicht weggelaufen.« Er räuspert sich. »Ich hatte was zu erledigen. Danach habe ich dich gesucht.«
Ich schnaube verächtlich. »Wenn ich dich über den Tisch ziehen wollte, würde ich dir dabei ins Gesicht sehen.«
Endlich wird er kleinlaut. »Es tut mir leid, Gal. Du hast recht. Ich wollte nicht, dass du mir eine Szene machst.«
Ich wünschte, er wäre hier, damit ich ihn aus dem Boot ins Wasser werfen könnte. Manchmal hasse ich dieses moderne Leben. »Hat sie denn wenigstens einen Duft? Hast du es hinbekommen?«
Er spricht lauter. »Bist du in Disneyland?«
»Ich staune, dass du den Song erkennst. Du, der du keine Seele hast.«
Er seufzt. »Du weißt, dass wir vor zwei Jahren darüber gesprochen haben, die Elternpflanzen zu kreuzen. Ich hatte das Endprodukt einfach zuerst.«
»Du hättest mich warnen können.« Ich schließe die Augen, denke an G42. Es war wohl zu erwarten, dass Byron mir zuvorkommen würde. Mit seinen endlosen Mitteln.
»Ich erzähle nie vorher, welche Rosen ich registrieren lasse. Das würdest du auch nicht tun. Wir sind keine Partner.«
Ich spüre, wie meine Haut ganz heiß wird. »Ich würde es dir sagen, wenn ich wüsste, dass du fast genau dieselbe Rose hättest.« Würde ich. Oder nicht?
Ich denke an all das, was ich absichtlich für mich behalten habe. Die Samen und Ableger, die ich ihm nicht geschickt habe.
»Ich glaube kaum, dass du das tun würdest. Dafür willst du viel zu gern gewinnen. Genau wie ich.«
Ich würde gern glauben, dass er recht hat. Wenn ich an seiner Stelle wäre, mit seinen Fähigkeiten und seinem Geld, wäre ich da nicht großzügiger? Ich weiß es nicht. Ich bin nicht mehr so sicher, ob er nicht doch recht hat.
»Es ist nichts Persönliches, Gal.«
Das klingt nach Dr. Blankenship. »Ist es nie, oder?« Ich lege auf.
Vielleicht ist es besser, dass wir das Gespräch am Telefon geführt haben. Es war distanziert, wie alles, was wir miteinander tun. Mir wird bewusst, dass er auch distanziert ist, wenn wir uns gegenüberstehen. Byron ist nie wirklich präsent. Kein Wunder, dass er allein lebt.
Riley beugt sich vor und spricht direkt in mein Ohr. »Und duftet Byrons Rose nun?«
»Wollte er nicht sagen.« Ich sehe sie an. Ich hätte nicht gedacht, dass es sie interessieren würde. Sie bewundert die Roboterpuppen. Ihre Haut leuchtet in den kunterbunten Farben des künstlichen Karnevals, durch den wir fahren.
Sie lehnt sich aus dem Boot, um ihre Hand durchs Wasser gleiten zu lassen. »Lass die Finger im Boot!« Jaulend reißt sie die Hand wieder auf ihren Schoß.
»Nicht dass du auch noch im Disneykittchen landest.« Meine Haut kühlt ab. Ich grinse. »Ich vergesse immer, dass du zum ersten Mal hier bist. Du brauchst noch eine Mütze mit Mäuseohren.«
»Mit meinem Namen drauf?«
»Mit deinem Namen drauf.« Ich lehne mich zurück und schaue mir hawaiische Puppen an, die Hula tanzen. »Wie lange dauert die Fahrt durch diesen Höllenpfuhl eigentlich?«
»Tante Gal, du warst doch auch mal ein Kind.« Riley beugt sich über die Bank vor ihr. »Entspann dich.«
Riley schläft in der Bahn zurück zum Parkhaus ein. Ihr großer Kopf ruht schwer auf meiner Schulter, ihr Atem riecht nach Ananas vom Tiki Room. In der Bahn selbst ist alles still, abgesehen vom leisen Brummen der Maschine. Die kleinen Kinder sitzen auf dem Schoß oder auf den Schultern von Vater oder Mutter, die Kinderwagen stehen zusammengeklappt da, die Eltern haben dunkle Schatten unter den Augen.
Auf der Bank gegenüber – so nah, dass sich unsere Knie berühren – hält ein Vater seine Tochter im Arm. Sie trägt genau so eine Mausmütze wie Riley. Neben ihm sitzt ein etwa zwölfjähriger Junge, der sich seinen Kapuzenpulli mit Totenschädel und gekreuzten Knochen über den Kopf gezogen hat, die Augen fest zusammengekniffen. Der Vater fängt meinen Blick auf und lächelt. »Sie wachsen schnell, nicht?«, sagt er leise und streicht über die wilden, roten Haare seiner Tochter.
Ich blinzle. Ich kann mich noch erinnern, wie Riley ein kleines Mädchen war, so klein, dass wir sie auf den Schultern tragen konnten. Die vielen Jahre, die zwischen meinen Besuchen lagen. Wie sie heranwuchs, ohne dass ich etwas davon mitbekam. Ohne dass ich sie erlebte.
Die Bahn fährt um eine Kurve. Ich spüre, dass Riley von mir wegrutscht. Ich lege meinen Arm um sie, damit sie nicht herunterfällt, und halte sie, so fest ich kann. »Das stimmt.« Ich lächle zurück, und er schließt die Augen, als könnte er jetzt ruhig schlafen, nachdem er meiner Bestätigung sicher ist.