Kapitel 11

Suite der Queen, Raumflottenstützpunkt, High Tortuga

M ichael kehrte in das Kinderzimmer zurück, um Alexis und Gabriel zu wecken. Natürlich hatten sie zunächst überhaupt nicht schlafen wollen, weil sie von dem Spiel mit ihrer Mutter noch voller Adrenalin waren, aber Michael war hart geblieben. Selbst außerordentlich weiterentwickelte Kinder benötigten ihren Mittagsschlaf.

Er hatte sich auf die Nachmittagslektion gefreut und sich mit Eve zusammengesetzt, sobald die Zwillinge eingeschlafen waren, um seine Pläne für ihren Unterricht anzupassen und sie davon abzulenken, dass ihre Mutter anderweitig beschäftigt war.

Doch jetzt in diesem Augenblick musste seine Pflicht gegenüber Bethany Anne und ihrem Volk Vorrang haben. Nicht nur, weil seine Ehre es verlangte, sondern auch, weil es Tabitha noch nie erfolgreich gelungen war, ein Geheimnis vor ihm zu bewahren.

Diese Angelegenheit hier ist mehr als nur eine persönliche. Niemand legt sich mit m einer Familie an und überlebt es.

Tabitha wollte Peter nicht verlieren und wenn Michael durch die Pforten der Hölle marschieren musste, um ihn zu ihr zurückzubringen, dann würde er das auch ganz gewiss tun.

Seine Kinder regten sich und erwachten bereits langsam, als er die Kinderzimmertür aufstieß.

Wie üblich half er ihnen beim Anziehen und danach suchten sie alle die Küche auf.

Michael ging zum Kühlschrank, um das Mittagessen für die Kinder zu holen. Er hatte es sich angewöhnt, den Zwillingen während ihres Mittagsschläfchens einen Imbiss zuzubereiten, da sie immer heißhungrig aufwachten.

Für den Augenblick ließ er auch alles andere beiseite, um sich ausschließlich nur auf die kostbare Zeit zu konzentrieren, die sie gemeinsam verbrachten. Er nickte und sagte die jeweils passenden Dinge, während sie aßen und Alexis und Gabriel fröhlich über alles Mögliche plauderten.

Er genoss die Perioden, die er allein mit seinen Kindern verbringen konnte. Vater zu sein war eine seltsame Sache, die er ganz ehrlich gesagt immer noch nicht ganz verstand, selbst nachdem er die Rolle jetzt schon seit etwas über vier Jahren ausübte. Früher waren kleine Kinder für ihn völlig uninteressant gewesen, natürlich abgesehen von denen, die gerade seine Hilfe benötigten. Das blieb auch so, bis sie Alexis und Gabriel bekamen.

Jetzt konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Und ihr Leben würde ohne ihn ebenfalls völlig anders verlaufen.

Dieser Gedankengang brachte Peters missliche Lage wieder an die Oberfläche seines Bewusstseins.

Michael musste rasch zu Bethany Anne reisen, damit sie gemeinsam Peter sowie die anderen sechsunddreißig Gefangenen heil zurückbringen konnten. Tabitha würde nicht allein zurückgelassen werden, um ihr Kind ohne seinen Vater aufzuziehen.

Alexis blinzelte Michael über den Rand ihres Bechers hinweg schelmisch an. »Oh-oh. Du hast dein ernstes Gesicht aufgesetzt, Papi. Befindet sich jemand in Schwierigkeiten?«

Ihr Vater ertappte sich dabei, dass er tief in seinen Gedanken versunken, gerade finster die Stirn runzelte. Er lachte unterdrückt und tätschelte die Hand seiner Tochter. »Wir haben bloß ein paar böse Nachbarn, Schätzchen. Ich muss Mami helfen, das zurückzuholen, was sie uns gestohlen haben.«

Gabriel schnitt eine enttäuschte Grimasse. »Können wir dich nicht begleiten?«

Michaels Lachen vertiefte sich. »Leider, mein tapferer Junge, habt ihr euren Unterricht.«

Daraufhin verfinsterte sich das Gesicht seines Sohnes nur noch stärker.

Aber Michael zog nur einfach vielsagend eine Augenbraue hoch. »Im Vid-Doc mit eurer Tante Addix.«

Bei dieser Ankündigung leuchteten die Gesichter der Kinder auf. Michael zwinkerte ihnen verschmitzt zu, denn er wusste, dass der nächste Teil seiner Pläne die beiden hundertprozentig völlig umstimmen würde. »Es handelt sich um ein ganz neues Szenario.«

Die Zwillinge tauschten einen begeisterten Blick aus.

Aber trotzdem zog Alexis eine Schnute. »Was ist mit dir und Mami? Lasst ihr Phyrro uns wenigstens erzählen, was bei euch alles vorgeht?«

Ihr Vater nickte einmal und wusste, dass er sie mit diesem Versprechen im Sack hatte.

Addix’ Büro, Sicherheitsgrube, Raumflottenstützpunkt, High Tortuga

»Wird dir das alles ohne Probleme gelingen?« Addix beugte sich kurz vor, um die Klimaanlage etwas höher zu stellen und lehnte sich dann wieder bequem in ihren Sessel zurück, während sie undeguldig darauf wartete, dass ihr leitender Sonderermittler die Frage beantwortete.

»Den überwiegenden Teil davon bekomme ich hin«, bestätigte die männliche Stimme nach einem Moment selbstsicher, »und den Rest kann ich an vertrauenswürdige Kollegen von mir weitergeben.«

Addix’ Mandibeln zuckten nachdenklich, als sie die Risiken in Erwägung zog, die mit der Einbeziehung Außenstehender in ihre Ermittlungen verbunden waren. »Das wird genügen müssen. Ich muss wissen, was der Hintergrund für die versuchte Entführung meiner Schützlinge war. Denn ich möchte später nicht plötzlich herausfinden, dass ein größeres Problem existiert, über das du mich nicht informiert hast.« Sie legte eine kurze Pause ein, um das von ihr Gesagte nachdrücklich auf ihn wirken zu lassen. »Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Glasklar«, bestätigte der Agent, wenn auch leicht verdrießlich. »Sie haben mein Wort, Meisterspionin. Ich werde der Sache persönlich auf den Grund gehen.«

Addix unterbrach die Leitung und zuckte dann erschrocken zusammen, da sie Michaels Anwesenheit einen Moment zu spät bemerkt hatte.

Der Vampir schmunzelte wissend und betrat das Büro. »Guten Tag, Addix.«

Die Ixtali winkte ihn herein und deutete einladend auf den Besucherstuhl. »Bist du hergekommen, um meinen Bericht zu hören?«

Michael ließ sich auf den Stuhl gegenüber ihrem Schreibtisch gleiten. »Zum einen das und zum anderen, um dich zu fragen, ob du vielleicht bereit wärst, die Zwillinge heute Nachmittag während ihres Unterrichts zu betreuen. Denn Bethany Anne benötigt meine Hilfe.«

Addix neigte zustimmend den Kopf. »Aber natürlich. Sehr gerne sogar.«

Dankend lächelte er sie an und lehnte sich in den bequemen Besuchersessel zurück. »Vielen Dank. Aber jetzt zu dem anderen Thema. Was ist auf Colonnara genau vorgefallen?«

Die Mandibeln der Ixtali zuckten unruhig. »Ich habe einen ausführlichen Bericht über die Ereignisse vorbereitet. Aber wenn du die Kurzversion hören willst … Eine aus einer Yollin, einem Baka und ein paar Menschen bestehende Bande hat es geschafft, mich lange genug abzulenken, um sich die Kinder zu greifen.«

Michael hob einen Finger, um sie zu unterbrechen. »Wie ist ihnen das gelungen?«

Addix fauchte zornig. »Indem sie meine Sinne angegriffen haben«, antwortete sie säuerlich. »Sie hatten irgendeine Art giftiges Gewürz in einem Glas bei sich, das einer von ihnen direkt vor meinen Füßen zerschmettert hat. Bis ich mich wieder erholt hatte und den Baka tötete, der das Glas fallen gelassen hatte, waren die Yollin und die Menschen bereits mit Alexis und Gabriel verschwunden.«

Nachdenklich runzelte Michael die Stirn. »Aber du hast die Kinder doch mit der Hilfe deines Implantats mühelos wieder aufgespürt, oder?«

Beschämt ließ Addix ihren Kopf hängen. »Zu meiner Schande muss ich das verneinen. Ich muss zugeben, dass ich mich in der Hitze des Gefechts von meiner Panik überwältigen ließ. Es war Alexis, die schnell genug mitgedacht hat, um mir einen Hinweis zu hinterlassen, wie ich sie finden kann.«

Entgegen ihrer Erwartung blieb Michael gelassen. »Du konntest nicht vorhersehen, dass du auf diese Weise angegriffen werden würdest. Damit sich eine solche Situation nicht wiederholt, solltest du allerdings das nächste Mal nicht vergessen, dass wir unsere Kinder gerade deswegen mit den entsprechenden Weiterentwicklungen ausgerüstet haben.«

Addix nickte ernst. »Daran werde ich sicherlich denken. Auf jeden Fall habe ich die vier Verantwortlichen mit eigener Hand getötet und außerdem lasse ich gerade jetzt auf Colonnara gründliche Nachforschungen durchführen, um sicherzustellen, dass wir nicht mit Absicht die Opfer eines Rings professioneller Lösegelderpresser oder sogar Schlimmerem geworden sind.«

»Das war eine angemessene Reaktion«, erwiderte Michael lobend.

Die Mandibeln der Außerirdischen klickten mehrfach. »Ja, nun. Mich hat meine erste Reaktion zugegebenermaßen recht verärgert. Es wäre wesentlich besser gewesen, die Yollin am Leben zu lassen … zumindest bis ich herausgefunden hätte, was sie wusste. Aber mein Hauptaugenmerk richtete sich in diesem Augenblick eben darauf, so schnell wie möglich zu Alexis und Gabriel zu gelangen.«

»Das lag daran, dass deine Gefühle die Überhand gewonnen haben«, stellte Michael überraschenderweise durchaus verständnisvoll fest. »Es ist nur natürlich, da sie dir sehr am Herzen liegen. Und es hat ja auch nur einen kleinen Teil des Ausflugs betroffen. Nach allem, was mir zu Ohren gekommen ist, haben die Kinder eine fantastische Zeit erlebt … das Kidnapping inbegriffen, wenn man so zuhört, wie sie darüber reden. Und Bethany Anne war von dem Film wirklich mehr als gerührt.«

Sein Lob munterte Addix auf. »Das freut mich aber! Die Zwillinge und ich haben eine sehr interessante Zeit verbracht, als wir ihn gemacht haben.«

Michael schmunzelte. »Das kann ich mir gut vorstellen. Ich fand übrigens, dass du einen beeindruckenden Kael-ven abgegeben hast.«

Die Ixtali lachte unterdrückt. »Wie ich schon sagte, wir hatten eine sehr interessante Zeit. Alexis und Gabriel wollten den Film selbst noch nach dem Entführungsversuch unbedingt drehen, daher war es kein Problem, einen anderen Spezialisten für Reinszenierungen ausfindig zu machen.« Ernster werdend, verlagerte sie ihr Gewicht in ihrem Sessel und nahm einen Block und einen Stift aus der obersten Schublade ihres Schreibtischs. »Was steht für heute auf dem Unterrichtsplan der Kinder?«

Michael verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Sitz weit zurück. »Ich habe einige Zeit über die Möglichkeiten nachgedacht, wie ich Gabriel Mathematik schmackhaft machen kann. Alexis geht Technik leicht von der Hand, aber mein Sohn zeigt sich wesentlich weniger enthusiastisch, wenn es darum geht, sein Wissen über Technik über die Kenntnis hinaus zu erweitern, wie man sie benutzt.«

Neugierig neigte Addix ihren Kopf zur Seite. »Wie beabsichtigst du denn, ihm das beizubringen?«

Über Michaels Gesicht breitete sich ein hinterhältiges Grinsen aus, als er aufstand, um zu gehen. »Indem ich die beiden – und natürlich auch dich – schlichtweg ins kalte Wasser werfe. Natürlich nur metaphorisch ausgedrückt!«

Immersives Erholungs- und Trainingsszenario:
Schiffbruch im Weltraum

Das neue Szenario begann in einer großen Luftschleuse. Addix fand sich in einem ihr vage bekannten Exoanzug wieder. Nach dem Aussehen geschätzt, handelte es sich dabei um eines der neueren Modelle. Sie beugte sich vor, um auf die Konsole zu schauen und sah die Zwillinge, die per Videoverbindung auf dem Monitor angezeigt wurden. »Wie geht es euch, Kinder?«

»Großartig«, Gabriel hüpfte in seinem Geschirr aufgeregt auf und ab, sodass sein Exoanzug die Bewegung nachahmte. »Wir sind in einem Weltraumabenteuer!«

Alexis war ähnlich aufgedreht. »Habt ihr euch die Ziele des Szenarios angesehen? Dies ist ein Kolonieschiff, und wir müssen die Kolonisten in ihren Stasiskapseln zu ihrem neuen Zuhause bringen.«

Michael hatte Addix eine eigene, umfangreichere Version der Szenarioziele zur Verfügung gestellt. Sie hatte sie auf dem Weg zum Vid-Doc-Raum gelesen und wusste daher, dass sie es erst gar nicht bis zur Kolonie schaffen würden. Es hatte sie ferner überrascht, dass der Zeitrahmen für dieses Szenario gestreckt worden war, sodass sie und die Kinder die Zeit leicht verlangsamt erleben würden.

»Das geht ein klein wenig tiefer, als ich erwartet habe, Michael«, murmelte sie vor sich hin. Aber eigentlich war sie nicht allzu überrascht. Schließlich kannte sie Eve gut genug, auch wenn Michael für sie immer noch ein Rätsel blieb. Sie konnte nur vermuten, dass die lockere, teils sehr neckische Art des Vampirs bloß eine dünne Schicht bildete, die seine starre und unnachgiebige Natur verbarg. Dagegen wusste sie verdammt gut, dass Eves Sinn für Humor eine dunkle Ader innewohnte, die etliche Kilometer breit war.

Der Öffnungszyklus der Luftschleuse begann und das über der Außentür angezeigte Licht wechselte flackernd von Rot auf Gelb und dann auf Grün, bevor sich die Luke öffnete. Die Zwillinge machten sich sofort gleichzeitig auf den Weg zum Ausgang, aber Addix hielt sie auf.

»Ich werde zuerst hinausgehen, um mich zu vergewissern, dass es sicher ist. Wartet bitte einen Augenblick hier.« Addix steuerte ihren Exoanzug geschickt aus der Luke und in den offenen Bereich vor der Luftschleuse. Sie beugte sich in ihrem Geschirr vor und tippte auf die Taste an der Konsole, welche die Magneten in den Füßen ihres Exoanzugs aktivierte. Sobald sie sicher an der Schiffshülle verankert war, befestigte sie ihre Sicherheitsleine an der Führungsschiene. Erst danach erlaubte sie den Kindern, das Schiff zu verlassen.

Simulation hin oder her, sie wollte es nicht riskieren, dass einer von ihnen als gefrorener Eiszapfen im Weltraum verloren ging.

Die Ixtali schwenkte den Oberkörper ihres viereinhalb Meter großen Exoanzugs und manövrierte vorsichtig mit den Roboterarmen, um Alexis und Gabriel nacheinander aus der Luftschleuse zu helfen, wobei sie die kleineren und natürlich zweibeinigen Anzüge der Zwillinge jeweils mit zwei Sicherheitsleinen sowohl an ihrer Leine als auch an der Führungsschiene sicherte.

Der Exoanzug fühlte sich für Addix seltsam an. Er war zwar für ihre vier Beine ausgelegt, aber alle vier Extremitäten waren so eingestellt, dass der Hauptteil des Körpers in einer niedrigen Hocke an dem Rumpf des Schiffes gehalten wurde. Das bedeutete natürlich, dass sich ihr Körper innerhalb des Exoanzugs in einer ähnlichen Position befand.

Addix nickte zufrieden, als sie sich vergewissert hatte, dass die Videoverbindung zwischen ihren Anzügen auch außerhalb des Schiffes einwandfrei funktionierte. »Fühlt ihr euch in euren Exoanzügen wohl?

»Ja, Tante Addix«, erwiderten sie im Chor. Auf ihrem Monitor leuchteten die Gesichter der Kinder voller Aufregung, aber man erkannte auch eine leichte Nervosität angesichts des völlig neuen Szenarios.

Addix brummte zufrieden und ihre Mandibeln zuckten fröhlich. »Bevor wir beginnen, möchte ich euch nachdrücklich daran erinnern, dass es sehr wichtig ist, euch ständig eurer Sicherheitsleinen bewusst zu sein. Überprüft sie also regelmäßig, denn sie dienen einzig und allein dazu, euch vor dem Tod zu bewahren, falls sich eure Exoanzüge aus irgendeinem Grund vom Schiff lösen sollten.«

Gabriel verdrehte genervt seine Augen. »Wir werden nicht gleich in den Weltraum geschossen, Tante Addix. Das ist einfach lächerlich.«

Die Ixtali zuckte ungerührt mit den Schultern. »Vielleicht klingt es lächerlich, aber es wäre wirklich dumm, das Risiko einzugehen. Wir sind nicht dafür gemacht, in einem Vakuum herumzuschweben, Gabriel. Deshalb müssen wir die Systeme respektieren, die es uns ermöglichen, in unseren kleinen Blechdosen das nächste Abenteuer zu suchen.« Sie schwenkte einen Roboterarm, um auf das Schiff um sie herum zu weisen. »Ohne unsere Schiffe sind wir an Planeten gebunden.«

Gabriel schürzte überrascht die Lippen. »So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Ich dachte nur, dass die Wartungsarbeiten langweilig sind.«

»In Wirklichkeit sind sie das nicht«, erklärte Alexis ihm eifrig. »Nimm nur dieses Relais als Beispiel, das wir reparieren sollen. Im Augenblick verursacht sein Ausfall keine Probleme, aber wenn wir es nicht reparieren, müssen die Relais in seiner Nähe weiterhin sein Fehlen ständig kompensieren, was wiederum letztendlich das gesamte System belastet.«

»Sehr gut, Alexis.« Addix hob die Kiste mit den Ersatzteilen für ihre Reparatur auf. »Wir werden uns gleich in Bewegung setzen, also überprüft eure Sicherheitsleinen.«

Pflichtbewusst befolgten die Zwillinge ihre Anordnung.

Addix lächelte zufrieden, obwohl sie es nicht sehen konnten. Dann rief sie den Reparaturauftrag auf ihrem Bildschirm auf und schickte ihn zu den Monitoren ihrer Schützlinge hinüber. »Wie ihr sehen könnt, muss dieses Kupplungsrelais ausgetauscht werden..«

Die Kinder lasen sich die Informationen aufmerksam durch.

»Das ist eine schöne Herausforderung«, schwärmte Alexis sofort. »Dieses Szenario gefällt mir, Tante Addix. Ich hoffe, es gibt noch mehr Aufgaben wie diese hier, ehe wir die Kolonie erreichen.«

Gabriel schnaubte abfällig und daran uninteressiert versuchte er in seinem Exoanzug gegen seinen eigenen Schatten zu boxen. »Ich hoffe das jedenfalls nicht. Mir ist jetzt schon langweilig. Tante Addix, können wir in dem Exoanzug trainieren, wenn wir mit der Reparatur fertig sind? Ich wette, mit ihm kann ich so richtig hart zuschlagen.« Er versuchte die Stellung zu wechseln und wäre fast umgefallen, weil er vergessen hatte, dass seine Füße magnetisch am Rumpf verankert waren. »Ups.«

Addix lachte leise. »Wenn wir das Szenario schnell und gut abschließen, dann bleibt uns danach sicherlich noch etwas Zeit zum Spielen.« Sie überprüfte die Balance der Kiste und lief vor Alexis und Gabriel auf dem Laufsteg los.

Der Junge stieß triumphierend die Faust in die Luft. Er hatte sich von seiner kurzzeitigen Verlegenheit bereits erholt. »Ja!«

Alexis schnaubte verächtlich. »Und schon sind wir wieder einmal bei der Subtilität angelangt. Du willst nie etwas anderes, als auf irgendwelchen Kram einschlagen.«

Gabriel drehte sich zu seiner Schwester um, ehe sie mit langsamen und bedächtigen Schritten hinter Addix hergingen. »Willst du etwa behaupten, das würde keinen Spaß machen?«

Das Mädchen zuckte mit den Schultern, was seltsam aussah, weil ihr Exoanzug die Bewegung mitmachte. »Na, ja. Also, eigentlich nein …«

Ihr Bruder wies mit einem Arm auf sie, um seinen Standpunkt zu beweisen. »Siehst du? Da hast du es. Sieht so aus, als ob sogar subtile Menschen gerne auf Dinge einschlagen.« Er lachte vergnügt und ging schneller voran, um mit Addix Schritt zu halten.

Alexis rümpfte die Nase und schniefte abweisend, als ihr Bruder immer noch leise lachend losstampfte.

Sie folgte ihnen langsamer, weil ihr Interesse von der Funktionsweise ihres Exoanzuges gefangen war. Sie wollte herausfinden, wie ihr Exoanzug genau funktionierte. Daher hob sie jeden Fuß ein paar Mal und nach einigem Zögern versuchte sie dann auch vorwärtszuspringen … aber ohne Erfolg.

»Wir können nicht zulassen, dass du in den Weltraum wegschwebst«, mahnte Phyrro sie sofort. »Ein Fuß muss immer auf dem Schiffsrumpf bleiben.«

Alexis war erfreut, die Stimme ihrer EI zu hören. »Phyrro! Bist du derjenige, der die Magnete zur Verankerung in unseren Stiefeln kontrolliert?«

Der Avatar der EI tauchte auf ihrem Bildschirm auf. »Ich bin grundsätzlich in all euren Geräten integriert«, informierte er sie.

»Da wir uns in einem Szenario befinden, das den Einsatz von Technologie erfordert, wird euch der Zugriff auf Phyrro gestattet. Er wird für die Dauer der Aufgabe als EI des Schiffes fungieren«, warf Addix zur näheren Erklärung ein.

Das Mädchen schürzte nachdenklich die Lippen. »Das erklärt natürlich die geradezu intuitiven Reaktionen des Exoanzugs.« Sie betrachtete die doppelte Leine, die von dem Rücken von Gabriels Exoanzug herausführte. Dabei führte eine zu dem Anzug ihrer Tante Addix und die andere zu der Führungsschiene, die neben dem Laufsteg verlief. »Allerdings bin ich der Meinung, dass uns eigentlich erlaubt sein sollte, zu springen, da wir schließlich doppelt gesichert sind.«

»Ja, ganz genau«, stimmte Gabriel sofort zu. »Wir könnten sogar einfach wie Luftballons parallel zum Rumpf schweben, anstatt diesen ganzen Weg zu laufen.«

Bei der Vorstellung prustete Addix. »Das könnten wir natürlich, aber wenn du dabei von einem Felsbrocken getroffen wirst, der sich mit Schallgeschwindigkeit fortbewegt, müssen wir das Szenario leider noch einmal von vorne beginnen.«

Der Junge seufzte auf. »Ich nehme an, zu Fuß gehen reicht aus«, räumte er widerwillig ein.

Während Addix die Zwillinge den Laufsteg entlangführte, musterte sie die sich gegen den dunklen Hintergrund abzeichnende Silhouette, die von den verschieden großen Gehäusen gebildet wurde. Während sie langsam an ihnen vorbeigingen, verglich sie die riesigen, mit Schablonen aufgetragenen Bezeichnungen an der Seite der Einheiten sorgfältig mit derjenigen, die in ihrem Reparaturauftrag genannt wurde.

Schließlich entdeckte sie das von ihr gesuchte Ziel. »Hier, das ist das Relaisgehäuse, Kinder.« Sie blieb am Sockel des gute sechs Meter hohen Gehäuses stehen und stellte die Kiste daneben auf dem Laufsteg ab.

Sie befestigte ihrer aller Sicherheitsleinen an der Stange neben dem Zugangspaneel und deutete dann auf die darüber eingelassene Nische. »Wer von euch möchte sich die Ehre geben?«

Alexis winkte aufgeregt mit dem Arm ihres Exoanzugs. »Oh, ich, ich!«

Ihr Bruder achtete dagegen mehr auf einen Meteoritenschauer, der in der Ferne zu sehen war.

Die Ixtali nickte. »Sehr gut.«

Alexis rief auf ihrem Monitor die Hydrauliksteuerung ihres Exoanzugs auf und wählte die richtige Einstellung, um die Beine auf ihre volle Länge auszufahren.

»Das kann ich doch für dich tun«, bot Phyrro an.

Sie kicherte, als der plötzliche Anstieg ein Kitzeln in ihrem Magen verursachte. »Ich weiß, Phyrro, aber sieh mal … ich schaffe das auch allein. Aber wenn ich nicht weiterkomme, werde ich dich um Hilfe bitten, das verspreche ich dir.«

Alexis führte ihre Roboterhand geschickt in die Aussparung des Paneels ein und betätigte den Hebel, um den Entriegelungsmechanismus der Zugangsklappe zu aktivieren. Sie steuerte ihren Exoanzug zurück, als die Vorderseite der Platte zur Seite glitt und die Halterung auf ihren Schienen nach vorne glitt, in dem das defekte Relais enthalten war.

Addix öffnete die Halterung und warf einen prüfenden Blick hinein. »Also schön, Kinder. Wie lauten unsere Anweisungen für den ersten Schritt?«

Die Reparatur verlief anfangs reibungslos. Die Zwillinge arbeiteten sich stetig durch die Instruktionen, wobei Addix und Phyrro ihnen bei jedem Schritt zur Seite standen.

Sie hatten den Einbau der Ersatzkomponenten etwa zur Hälfte abgeschlossen, als plötzlich ein Lichtblitz die Silhouette des Schiffs grell erleuchtete, die sich gegen den von Sternen durchsetzten Himmel abzeichnete. Gleich darauf erbebte das Schiff heftig unter ihren Füßen.

»Was ist los, Tante Addix?«, rief Alexis erschrocken und griff vorsichtshalber nach der Halterung, um das Gleichgewicht in ihrem Exoanzug zu wahren. »Was hat uns gerade getroffen?«

Unmittelbar nach einem weiteren Lichtblitz ging eine weitere Erschütterung durch das Schiff.

»Ich glaube, wir sollten uns besser auf den Weg machen und rasch ins Schiff zurückkehren.« Addix ging zur Stange und löste ihre Sicherheitsleine. Sie steuerte ihren Exoanzug schnell und präzise, um ihn wieder an der Führungsschiene zu befestigen, bevor sie dasselbe mit den Leinen der Kinder tat. »Beeilt euch jetzt.«

Die Ixtali trieb die Zwillinge förmlich vor sich her und ließ sie keine Sekunde aus den Augen, während sie zügig zur Luftschleuse liefen.

Auf einmal keuchte Alexis entsetzt auf. »Aber unsere Aufgabe! Was ist mit den Kolonisten?«

»Wir werden uns eine Lösung dafür einfallen lassen«, versicherte Addix ihr. »Obwohl ich glaube, dass unsere To-do-Liste gerade um einiges länger geworden ist.« Gabriels ernstes Gesicht leuchtete auf ihrem Monitor auf. »Wir sind jetzt schon fast an der Luftschleuse.«

Vor ihnen kam endlich die Luke in Sicht.

Alexis beschleunigte ihre Schritte eifrig, als sie ihr Ziel schon fast in greifbarer Nähe sah. Aber dann wurde sie ruckartig nach hinten gerissen, als sich ihr Halteseil an der Reling verfing. »Wartet auf mich! Meine Sicherheitsleine ist irgendwo hängengeblieben.«

Es blitzte erneut ein grelles Licht auf, während das Mädchen hektisch ihre Leine losmachte. Die drei blickten nervös nach oben, als sie die letzten Schritte zur Luke rannten und diesmal sahen sie den Meteor auf das Schiff zustürzen.

Das Schott der Schleuse war verschlossen und rührte sich nicht.

Alexis rief nach Phyrro, aber auch die EI gab keine Antwort. Sie sah durch das Fenster ihres Exoanzugs ängstlich zu dem herannahenden Meteor auf. »Was sollen wir jetzt machen, wenn wir Phyrro nicht haben, um die Luke zu öffnen und uns hineinzulassen?«

Gelassen streckte Gabriel einen Roboterarm aus und zerrte entschlossen an der manuellen Entriegelung. »Dann machen wir die Schleuse eben ohne Hilfe auf.«