Kapitel 18

Raumflottenstützpunkt, High Tortuga

W iderstrebend schlenderte Tabitha zu Michaels Büro hinüber und runzelte dabei zweifelnd ihre Stirn. Sie hatte schon genügend Sorgen, auch ohne dass sie in Gegenwart von Alexis und Gabriel ihre Zunge hüten musste.

Das war nicht fair. Jetzt war bei ihr auch noch ein Baby unterwegs, über das sie nachdenken musste. Je mehr Zeit sie mit dem frühreifen Paar verbrachte, desto mehr jagte ihr die Aussicht, Mutter zu werden, höllische Angst ein.

Außerdem hatte sie nicht gerade viel Erfahrung im Umgang mit Kindern. Nun, da war natürlich Nickie. Der Schmerz über ihr Versagen bei ihr saß noch immer tief. Bedrückt überlegte sie, ob sie Bethany Annes und Michaels Kindern bisher wirklich ein viel besseres Vorbild gewesen war.

Als sie den Gang erreichte, der zu den Räumlichkeiten mit den Vid-Docs führte, wurde ihr siedend heiß bewusst, dass sie sich wegen ihrer Schuldgefühle über die Person, zu der sich Nickie entwickelt hatte, von den Zwillingen eher ferngehalten hatte.

Tabitha verdrehte entnervt ihre Augen, als sie nach der Türklinke griff. In letzter Zeit war ihr allerlei hilfreicher Scheiß wie dieser passiert.

Normalerweise um vier Uhr morgens, gleich nachdem ihr verräterisches Gehirn ihr in kristallklaren Einzelheiten sämtliche Möglichkeiten vorgespielt hatte, die ihm eingefallen waren, wie Pete an diesem Tag sterben konnte.

Das Kotzen setzte gewöhnlich genau dann ein, wenn die Tränen aufhörten.

Wer auch immer behauptet hatte, eine Schwangerschaft sei einfach, hatte verdammt noch mal gelogen , auch wenn Bethany Anne es scheinbar mit links geschafft hatte sie zu überstehen.

Denn sie hatte Tabitha ganz bestimmt nicht erzählt, dass das sogenannte innere Glühen von dem ganzen Blut kam, das einem während der endlosen Zeit zu Kopf stieg, während der man zu den Göttern der Abfallbeseitigung betete.

Aber ihre Nanos hatten das normalerweise bis zum Mittag beseitigt … zugegeben einer der Vorteile, wenn man zu den am meisten weiterentwickelten Menschen gehörte, die jemals den Pfad zwischen den Sternen entlang gewandelt waren. Tabitha rümpfte die Nase. So ein poetischer Scheiß kam ihr jetzt andauernd in den Sinn. Es war alles einfach zu niedlich. Die Schwangerschaft verwandelte ihr Gehirn ganz offensichtlich in verdammt rührseligen Brei.

Sie hoffte inständig, dass es sich dabei nur um den Einfluss des Babys handelte. Denn wenn sie in einem Kampf so einen blumigen Scheiß von sich geben würde, müsste sie sich nicht mehr weiter anstrengen. Ihre Gegner würden sich alle totlachen.

Addix riss den Kopf erschreckt hoch, als die Ex-Rangerin den Vid-Doc Raum ohne Anzuklopfen betrat. Ihre anfängliche Wachsamkeit ließ gleich wieder nach, als sie sah, dass es nur Tabitha war und ihre Mandibeln zuckten zur Begrüßung.

Tabitha hob eine Hand. »Melde mich zu den Lehrpflichten, Addix.«

Diese entspannte sich sichtlich. »Gesegnet seien alle, die den Ermatteten den Schlaf bringen.« Auf dem Weg zur Tür schlug sie in Nachahmung der menschlichen High-five-Geste gegen Tabithas noch immer ausgestreckter Hand. »Die Kinder haben mir erzählt, dass man das ›Erwischt, du bist dran‹ nennt.«

Tabitha kicherte. »Aber klar doch. Acht volle Stunden, und dann löst du mich ab, sobald du gegessen hast. Ich habe einen … Termin.«

Addix’ Mandibeln bewegten sich irgendwie in Wellen.

Leicht verärgert runzelte Tabitha wieder die Stirn. »Wem versuche ich eigentlich hier etwas vorzumachen? Weiß es schon jeder?«

Die Ixtali zuckte nachlässig mit den Schultern. »Wie du weißt, bleiben Geheimnisse hier nie lange geheim.«

Tabitha grunzte und ging hinüber, um in ihren Vid-Doc zu steigen. »Ja, schön. Ich bin jedenfalls mit dem blöden Getratsche fertig.« Sie lehnte sich zurück und wartete darauf, dass sich das Gerät mit ihrer internen Technik verband. »Acht Stunden und keine Minute länger.«

* * *

Als sie wieder die Augen öffnete, befand sie sich zu ihrer Verwunderung immer noch im Raum mit den Vid-Docs. »Was ist los? Hat es nicht geklappt?«

Sie stieß den Deckel ihres Vid-Docs auf und sah sich nach Addix um. Die Abwesenheit der Ixtali reichte aus, um ganze Reihen rote Warnlichter auf Tabithas Misstrauensbarometer aufleuchten zu lassen. »Ooh, ich bin im Spiel. Echt gute Arbeit!« Sie hüpfte von dem Gerät zu Boden und bemerkte, dass die Übelkeit, die sie an diesem Tag bisher bei jeder Bewegung begleitet hatte, ebenfalls ausblieb. »Addix, geht es meinem Baby gut?«

Die ruhige Stimme der Ixtali drang aus den Lautsprechern, die normalerweise für CEREBRO reserviert waren. »Du kannst sicher sein, dass sich gut um das Kind gekümmert wird. CEREBRO hat den Fötus isoliert und versorgt ihn mit einer Mischung aus Nährstoffen sowie dem neurochemischen Cocktail, den du produzierst, wenn du zufrieden bist. Das ist eine von Eves Verbesserungen. Hast du noch weitere Fragen, bevor ich dich an Phyrro übergebe?«

Tabitha fielen aus dem Stegreif ungefähr hundert ein. »Wenn Eve in dieser Weise verhindern kann, dass mein Baby durch meinen Stress geplagt wird, bedeutet das dann auch, dass die Kinder in der Lage sind, Fähigkeiten aus dem Spiel in die reale Welt zu übertragen?«

Die Antwort fiel gut durchdacht aus. »Vielleicht. Du solltest auf jeden Fall nach neuen Fähigkeiten Ausschau halten, die eines der Kinder zeigt. Alexis und Gabriel befinden sich im Verjüngungszyklus des Spielkonstrukts. Sie warten auf ihren Tutor und das Szenario.«

Die Ex-Rangerin wedelte mit einer Hand im Kreis. »Das ist also der Grund für die Imitation der Basis. Du hast es bereits in Betracht gezogen.«

Addix antwortete diesmal ein wenig schneller. »Wenn ich nur so klug wäre. Dies stellte von Anfang an Michaels Ziel dar. In seiner Weisheit hat er Eve und mich beauftragt, während ihrer Abwesenheit sozusagen seine und Bethany Annes Hände zu sein, um die Zwillinge zu leiten.«

Tabitha ließ sich schwer auf den nächstgelegenen Stuhl fallen. »Scheiße. Was zum Teufel treibe ich hier eigentlich? So kann ich nicht denken. Wie soll ich für eine Zukunft planen, wenn ich nicht einmal die geringste Ahnung habe, was mit Peter im Moment gerade alles passiert?«

»Warum solltest du versuchen, so schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, bevor Bethany Anne dir deinen Gefährten zurückbringt? Hab ein wenig Vertrauen in unsere Queen«, riet Addix mitfühlend. »Konzentriere dich lieber auf dein unmittelbares Ziel.«

Daraufhin runzelte Tabitha wieder die Stirn. »Es geht hier eigentlich viel eher um meine Befähigung zur Mutterschaft und nicht um mein Vertrauen in Bethany Anne.«

Die jetzt strenge Stimme der Ixtali rief sie zur Ordnung. »Du ziehst in letzter Zeit zu oft dieses Gesicht. Wenn du jemanden zum Reden brauchst, bin ich für dich da. Allerdings erst, nachdem ich mich ausgeruht habe. Phyrro wird dir bis dahin bei allem helfen, was du benötigst. Wenn du irgendwann das Spiel verlassen willst, ehe ich zurückkehre, kannst du diesen Raum als Ausgang benutzen.«

Plötzlich ungeduldig wedelte Tabitha mit einer Hand. »Ja, ja. Schick schon Alexis und Gabriel rein. Mal sehen, wozu die kleinen Engelchen wirklich fähig sind.«

QBBS Guardian, Devon

Dicht gefolgt von Rickie und Joel, lief Tim Kinley die Rampe der QBS Second Chance hinunter.

Natürlich spielte Rickie wie immer den Trottel.

Tim beendete die Blödeleien seines besten Freundes mit einem schnellen, harten Schlag in den Magen. »Hör endlich auf, herumzualbern. Wir sind hier, um einen Job zu erledigen, der hundertmal schwieriger sein wird, wenn wir uns wie Clowns aufführen.«

Dramatisch stöhnend rieb sich Rickie die wunde Stelle, an der Eric ihn vor hundert Jahren angeschossen hatte. »Warum musst du mich immer genau dorthin schlagen?«

Tim zuckte ungerührt mit den Schultern. »Um dich daran zu erinnern, was mit dummen Leuten passiert, wenn du dich gerade dumm aufführst, also liegt es irgendwie in deiner Hand, wie oft es passiert.«

Rickie zeigte Tim den Mittelfinger. »Leck mich, Commander

Joel zwinkerte ihm verschwörerisch zu und streckte dann im Gehen unauffällig einen Fuß aus.

Wie beabsichtigt stolperte Rickie und fiel direkt in einen weiteren von Tims Schlägen, der erneut in seiner Magengrube landete. »Ihr seid zwei echte Mistkerle.« Die Wucht des Faustschlags ließ ihn zusammenklappen und sich den Bauch halten. Aber das war nur eine Finte, um über sein herum geschwungenes Bein hinwegzutäuschen, mit dem er Joel zu Fall brachte. »Nur gut, dass ich auch ein Bastard bin, sonst wäre ich mit Freunden wie euch echt am Arsch.«

Tim kicherte.

Rickie neigte seinen Kopf und trat zurück, um Joel aufstehen zu lassen. Er deutete erst auf Tim und dann auf Joel. »Von dem da lass ich mir aus gutem Grund allen möglichen Scheiß gefallen und das bis ans Ende meiner Tage. Aber von dir?« Er schüttelte den Kopf. »Ganz bestimmt nicht so viel.«

Sein Freund verdrehte die Augen und drängte sich an ihm vorbei. »Jetzt erzähl mir bitte nur nicht, dass du immer noch wegen Georgia Aisha sauer bist?«

Rickie grinste breit, als er mit Tim ihrem Freund aus dem Hangar folgten. »Alter, ich bin sauer, dass wir hier sind, um auf einen Haufen Kinder auf Devon aufzupassen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass du diese tolle Frau ins Bett bekommen hast. Wer würde deine babyblauen Augen schon gegen diesen alten Kampfhund eintauschen?« Er schlug sich zur Verdeutlichung ein paar Mal auf die breite Brust. »Denn ich brauche eine Frau, die mit dem Ganzen hier umgehen kann, sonst bleibe ich lieber allein. Ich ändere mich sicherlich nicht, nur um mal vögeln zu können.«

Mitfühlend schüttelte Tim den Kopf. »Du legst die Messlatte zu … ähm … hoch an, denke ich. Wo soll man denn sonst einen vulgären Partylöwen finden, der nicht einmal seinen eigenen drohenden Tod ernst nehmen kann?«

»Vergiss nicht, dass sie ihn auch zumindest annähernd attraktiv finden muss«, warf Joel neckend ein.

Tim sah Rickie von oben bis unten an und deutete mit dem Finger auf Joel. »Da hat er recht.«

Von den Frotzeleien völlig ungerührt zuckte Rickie mit den Schultern. »Wenn sie irgendwo da draußen ist, dann werde ich sie auch finden. Bis dahin führe ich eben ein Sololeben.«

Sie folgten den Wegbeschreibungen der Stations-EI bis zu dem Aufzug, der sie in die Kommandozentrale bringen würde.

Tim blendete das Gespräch zwischen Rickie und Joel vorübergehend aus und konzentrierte sich darauf, sich jeden Ort und jede Person, an der sie vorbeikamen, zu merken. Er war genetisch weiterentwickelt worden, ehe er High Tortuga verlassen hatte, und seine interne Technologie konnte man gelinde gesagt als beeindruckend bezeichnen. Jetzt lag es nur an ihm, sie angemessen zu nutzen, um die Sperrzone so sicher zu halten, wie seine Königin es befohlen hatte.

Er verfügte über ein Talent fürs Management. Im Grunde genommen hatte er das BMW zu verdanken oder genauer gesagt ihrem schockierenden Fehlen der nötigen Fähigkeiten, um eine Bar zu führen. Rickie hatte Tim oft geschrieben, dass er den heiligen Schöpfern auch das Management ihrer Leben in Rechnung stellen sollte. Tim hatte den Witz mit einem Achselzucken abgetan. Er wusste auch das Glück zu schätzen, dass Bethany Anne im Grunde genommen wesentlich geduldiger war, als die meisten Leute annahmen.

Sie hatte ihn nicht dazu gedrängt, das in ihm steckende Potenzial voll auszuschöpfen. Man hatte es ihm überlassen, es in seiner eigenen Zeit zu entwickeln, und jetzt war er bereit zu leben.

Die Türen öffneten sich und das Licht ging automatisch an, als die drei Männer den Aufzug verließen und in das noch ruhende Gehirn der Station traten.

Bewundernd stieß Joel einen leisen Pfiff aus. »Könnt ihr das glauben, dass wir es bis zu dem hier geschafft haben?« Mit einer Handbewegung deutete er auf die vielen Bildschirme, die im Raum zum Leben erwachten, während die Systeme der Station nacheinander in die Kommandozentrale geleitet wurden.

Tim schniefte überheblich und ging zur Hauptkonsole hinüber. »Ja, das kann ich. Ich kann es glauben, weil wir endlich den Beschluss gefasst haben, nicht mehr wie die Penner zu leben und uns zu bemühen, einmal in unserem verdammten Leben etwas zu erreichen.«

Geradezu andächtig strich Rickie mit der Hand über den plüschigen Stoff seines Stuhls, bevor er sich hinsetzte. »Und jetzt haben wir eine ganze Raumstation zu betreiben.«

Unter Verwendung der in der Armlehne seines Sessels integrierten Einhandtastatur begann Tim sich mit den verfügbaren Systemen vertraut zu machen. »Nicht nur die Station. Wir sind für die gesamte Verteidigung von Devon und High Tortuga auf dieser Seite des Sperrgebietes verantwortlich.«

Rickies leichtes Grinsen verblasste und er riss verblüfft die Augen auf. »Ach du große Scheeeiiiiße . Ganz allein?«

Dieser Spruch brachte Joel dazu laut aufzustöhnen.

Tim sah ungläubig von seiner Inspektion des Satellitennetzes auf. »Hast du die Erläuterungen zu unserer Mission überhaupt gelesen?« Er seufzte tief und strich sich resigniert über den Kopf, als Rickie nur unschuldig mit den Schultern zuckte.

Dies würde ein verdammter Albtraum werden.

Immersives Freizeit- und Trainingsscenario: Raumflottenstützpunkt, High Tortuga

»Tante Tabbie?« Alexis war sichtlich erstaunt, als Tabitha vor dem Vid-Doc erschien.

Tabitha grinste und zwinkerte dem Mädchen verschwörerisch zu. »Die Einzigartige. Laut Addix schlaft ihr zwei nie.«

Dies tat Alexis mit zusammengezogenen Augenbrauen und einem Schulterzucken ab. »Wir schlafen wohl.«

Gabriel sah sich mit einem ähnlichen Stirnrunzeln um. »Das Szenario besteht nur aus dem Stützpunkt?«

Aber da huschte seiner Schwester plötzlich ein verschmitztes Lächeln über die Lippen. »Tante Addix hat uns etwas Spaß versprochen und das Versprechen hat sie gehalten.« Sie hielt ihre Handfläche nach oben und rümpfte vor lauter Konzentration ihre kleine Nase. Allerdings verwandelte sich ihre Konzentration schon bald in Frustration. Sie funkelte Tabitha finster an. »Warum kann ich keine Energiebälle erschaffen? In anderen Szenarios kann ich Magie machen, was natürlich nicht real ist. Aber dies ist ein Szenario, das der realen Welt entspricht und ich habe Nanozyten, also wo ist meine Energiekugel?«

Sie winkte herrisch mit der Hand, und für den Bruchteil einer Sekunde war Tabitha froh, dass Alexis die Kontrolle über das Aetherische nicht entwickelt hatte, bevor sie gelernt hatte, das aufbrausende Temperament zu beherrschen, das sie offenkundig von Bethany Anne geerbt hatte.

Tabitha legte den Kopf zur Seite. »Aber du hast die Fähigkeit nicht … noch nicht

Erbost stampfte Alexis mit dem Fuß auf. »Das ist nicht fair!«

Die Ex-Rangerin hob tadelnd eine Augenbraue, konnte ihr Gesicht aber nicht lange ernst halten. Sie brach in hilfloses Gelächter aus und umklammerte mit beiden Armen ihren Bauch. »Du ähnelst deiner Mutter wirklich viel zu sehr.«

Alexis verdrehte die Augen und schniefte abfällig. »Wenn ich tatsächlich wie meine Mutter wäre, dann hätte ich jetzt einen Energieball in der Hand.«

Tabitha betrachtete die Kleine genau, während ihr Gelächter langsam erstarb. Mit der scharfen Intelligenz, die hinter den Augen ihrer jungen Nichte leuchtete, war nicht leicht umzugehen. »Warum ist es dir überhaupt so wichtig, Energiekugeln formen zu können?«

Das Kind kniff die Augen zusammen und deutete Tabitha damit eine winzige Andeutung dessen an, was danach kommen würde. »Darum eben. Mama und Papa sind immer unterwegs, um alle vor den vielen Bösewichten zu beschützen. Aber wenn wir kämpfen könnten, dann müssen sie uns mitnehmen, weil Mami dann kein Bein mehr auf den Boden bekommt und sich nicht mehr herausreden kann. Das sagt jedenfalls Papa immer … nur nicht, solange Mama in der Nähe ist.«

Ihr Bruder nickte zustimmend. »Ja, Tante Addix sollte uns eigentlich etwas über Energie beibringen. Ich hielt das für eine blöde Idee, bis Alexis mir sagte, dass wir dann genauso Sachen in die Luft jagen können wie die Erwachsenen.«

Tabitha hätte den ganzen Austausch amüsant gefunden, wenn er nicht so leidenschaftlich ausgefallen wäre. Sie presste die Lippen zusammen, als sie sich hinkniete, um einen Arm um jeden der Zwillinge zu schließen.

Gabriel krümmte sich wie ein Wurm. »Iieeeh , Tante Tabitha!«

Trotzdem drückte Tabitha den beiden einen Kuss auf die Stirn und ließ sie los. »Wir werden dennoch zuerst einmal die Energie erforschen, ehe wir anfangen, irgendwelchen Kram in die Luft zu jagen.«

Er nahm den Gesichtsausdruck eines Jungen an, dem gerade eben sein Nachtisch durch einen dampfenden Haufen Brokkoli ersetzt worden war. »Na schöööön . Aber ich werde am Ende keinen Überraschungstest absolvieren.« Dann wies er anklagend auf Alexis. »Wir könnten eine zusätzliche Mathestunde machen, wenn du nur die richtigen Antworten haben willst.«

Seine Schwester konnte sich trotz aller Bemühungen das Grinsen nicht verkneifen. Oder die Art, wie ihre Augen begeistert aufleuchteten. »Ich wusste nicht, dass das eine Option ist.«

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Ist es … aber nur während deiner eigenen Zeit. Ich muss nicht wissen, wie etwas funktioniert, um es zu benutzen.«

»Ähm, irgendwie musst du das doch wissen, wenn es darum geht, sich mit dem Aetherischen zu beschäftigen«, korrigierte Tabitha ihn sanft. »Eure Eltern lassen sich vielleicht überreden, euch mitzunehmen, wenn ihr älter seid. Aber ganz sicherlich nicht, wenn eure Kräfte außer Kontrolle geraten sind.«

Entschlossen schritt Alexis voran, als sie den Vid-Doc Raum verließen. »Das ist ja auch der Grund , warum ich es zuerst im Spiel ausprobieren will. Es besteht keine wirkliche Gefahr.«

Verschmitzt zwinkerte Tabitha ihnen zu. »Und die Wartungsmannschaften der Basis werden es sehr zu schätzen wissen, dass wir es auf diese Weise getan haben. Die ersten paar Male werden nämlich wahrscheinlich ziemlich unschön enden.«

Sie führte Alexis und Gabriel zielstrebig durch den virtuellen Stützpunkt.

Ihre raschen Schritte hallten auf dem polierten Boden wider. Alexis trat näher an Tabitha heran, die gleichzeitig bemerkte, dass Gabriel auf ihrer anderen Seite ebenso handelte. »Sagt mal, versucht ihr beiden mich etwa … zu beschützen? «

Die Zwillinge warfen ihr die gleichen verzweifelten Blicke zu.

»Du gehst nicht gerade vorsichtig vor«, stellte Alexis tadelnd fest.

»Und man weiß nie, ob Tante Eve in ihren Szenarios nicht irgendwo eine ihrer Überraschungen hinterlassen hat«, fügte ihr Bruder trocken hinzu, als sie den offenen Hof überquerten, der das Allerheiligste umgab und Bethany Annes Zuhause vom Rest des Hauptgebäudes trennte.

Tabitha bog nach rechts ab und steuerte auf den Lieferanteneingang zu. Sie konnte Alexis’ Neugierde fast körperlich spüren. »Kann mir einer von euch etwas über das Aetherische erzählen?«

Gabriel schnaubte abfällig und winkte auffordernd zu seiner Schwester hinüber.

Diese richtete sich auf und holte tief Luft. »Das Aetherische ist eine Energiequelle und gleichzeitig auch ein physisch existenter Ort, den einige von uns aufsuchen können. Gabriel und ich waren schon einmal dort.« Sie hob eine Hand, um ihre Augen vor der grellen künstlichen Beleuchtung zu schützen, die auf das falsche Ende des Spektrums eingestellt war.

»Die Stelle hier ist gut«, verkündete Tabitha ein paar lange Minuten später.

Alexis schniefte abfällig. »Wo genau ist ›hier‹?«

Gabriel kam hinter ihnen heran und stellte sich neben seine Schwester. Er schaute sich mit wachsender Verwirrung um. Dann deutete er auf eine Tür in der Wand. »Diese Tür gibt es außerhalb des Spiels aber nicht.«