Kapitel 19

ArchAngel II, am Rand der Bauzone, QT2-System

A nnäherungsalarm.«

Bethany Anne schaute entnervt von ihrer Arbeit auf, als sie ArchAngels Warnung hörte. »Was ist jetzt schon wieder los?«

ArchAngels Avatar blickte Bethany Anne an und ihr Gesichtsausdruck spiegelte Bethany Annes Verwirrung wider. »Ich weiß es nicht genau. Die Signatur, oder besser gesagt, das Fehlen einer solchen, ist die von Shinigami , aber die Shinigami befindet sich bei Barnabas.«

Bethany Anne zog eine Augenbraue hoch. »Mitteilung an das Schiff.« Sie wartete einen Augenblick, bis ArchAngel die Verbindung hergestellt hatte. »Eve, wenn du das bist, schlage ich vor, dass du dich meldest, ehe ich anfange zu schießen.«

Eves Gesicht erschien auf Bethany Annes Tablet. »Du kannst ruhig schießen, wenn du unbedingt willst, aber dann wird dein neues Schiff völlig zerkratzt.«

Die Neckerei ließ Bethany Anne breit grinsen. Sie ließ das Tablet fallen und sprang auf. »Lass sie in Hangar eins landen, ArchAngel

Sie öffnete ihre ständige geistige Verbindung zu ihrem Mann, während sie sich auf den Weg zum Hangar machte. Michael, unser Schiff ist angekommen.

Das wurde ja auch langsam Zeit , erwiderte er trocken.

Wir treffen uns in meinem Hangar, Eve und Akio bringen in diesem Augenblick mein neues Schiff herein.

Als sie dort ankam, wartete Michael schon auf sie.

Hand in Hand schlenderten sie in den Hangar, als sich die Tore wieder schlossen und man sah …

Nichts.

»Was für ein tolles Schiff«, bemerkte Michael süffisant.

Aber Bethany Anne sagte nichts. Sie wartete nur geduldig einen Moment ab, bis der leer erscheinende Raum plötzlich schimmerte und sich das Funkeln in ein Shinigami-Schiff der Klasse II verwandelte.

Sie wandte sich mit einem überlegenen Lächeln an ihren Mann. »Das ist sie wirklich, nicht wahr?«

Er näherte sich dem Schiff und las den Namen laut vor. »Izanami . Wer hat diesen Namen ausgesucht?«

»Das war wohl ich«, verkündete Akio aus dem Außenlautsprecher des Schiffes, während sich die Rampe langsam senkte. Einen Moment später erschien er am oberen Ende der Rampe. »Wir können das jedoch gerne später diskutieren. Denn wir haben Leute, die wir retten müssen.«

Bethany Anne ging an ihm vorbei ins Schiff, um Eve zu suchen.

»Nur Michael und du?«, fragte Eve leicht erstaunt, als sie kurze Zeit später auf der Brücke eintrafen.

Ungerührt zuckte Bethany Anne mit den Schultern. »Wir vier sind genug. Na ja, eigentlich sind wir ja sogar sechs, wenn man ADAM und TOM berücksichtigt.«

»Sieben«, warf die raue Stimme von Izanami ein. Ein Avatar, der wie eine Mischung aus Baba Yaga und Eve aussah, erschien auf dem Bildschirm. Das lange, weiße Haar wehte in einer imaginären Brise und ihr glattes, leidenschaftsloses Gesicht war vollkommen makellos. Sie verbeugte sich tief vor Bethany Anne. »Willkommen an Bord, meine Königin.« Dann wandte sie sich Michael zu und neigte erneut den Kopf. »Ich heiße auch dich willkommen, mein Lehnsherr.«

Bethany Anne nahm auf einer der sechs Liegesitze Platz und erwiderte den Gruß der KI. »Schön, dich an Bord zu haben, Izanami . Wie wäre es, wenn wir jetzt unsere Leute zurückholen?«

»Bist du sicher, dass du das wirklich allein durchziehen willst?«, hakte Michael nach, als Izanami sie in den Weltraum hinaus steuerte.

Das Gesicht seiner Frau war von harten Linien gezeichnet. »Die Flotte ist in Bereitschaft versetzt und wartet nur auf meinen Befehl, falls wir nach Abschluss der Befreiungsaktion Unterstützung benötigen sollten. Wir sind nicht allein, Michael. Und dank ADAMs kleinem Freund kennen wir die genaue Position der Ooken-Splitterwelt.«

Akio schaute verwirrt zu ihnen hinüber. »ADAM hat sich ausgerechnet mit einem Ooken angefreundet?«

»Das könnte man so ausdrücken«, erwiderte ADAM über den Lautsprecher. »Ich habe eine der EIs, die ihre Drohnen steuert, in meine Gewalt gebracht und aus ihr alles herausgeholt, was wir benötigen.«

»Auch die Zugangscodes?«, fragte Eve eifrig.

»Aber natürlich«, versicherte ADAM. »Nicht, dass wir sie tatsächlich benötigen würden. Wenn wir wollten, dann könnten wir da einfach hineinspazieren und alles übernehmen. Ihre Systeme sind nicht halb so fortschrittlich wie unsere.«

Bethany Anne hob einen Finger. »Und auf diese Weise behalten wir bei dieser Rettungsaktion die Oberhand. Der Trick wird sein, bei ihnen rein zu kommen und mit unseren Leuten wieder von dort zu verschwinden, ohne den Rest der Kolonie zu alarmieren. Sobald wir den Planeten erreichen, befinden wir uns sofort im Nachteil, denn wir wissen, dass die Ooken über ein gewisses Kollektivbewusstsein verfügen.«

»Und woher wissen wir das?« erkundigte sich Akio neugierig.

»Wenn wir einem Individuum Schmerz zugefügt haben, reagierten auch die anderen, die wir gefangen hielten«, erklärte Michael trocken. Er zog ein anerkennendes Gesicht, als keiner der Versammelten etwas dagegen vorbrachte.

Der japanische Vampir nickte nur verständnisvoll.

»Wie dem auch sei«, fuhr Michael fort, »ich mache mir Sorgen, was mit uns passiert, wenn das Schiff beschädigt wird, während wir getarnt sind. Die einzige Möglichkeit, uns zu finden besteht dann praktisch nur darin uns versehentlich anzurempeln.«

Bethany Anne verdrehte ihre Augen. »Niemand wird das Schiff orten können, um auch nur einen einzigen Schuss auf uns abzugeben. Also mach dir darüber keine Sorgen.« Auffordernd schwenkte sie mit ihrem Finger im Kreis. »Izanami

»Ja, meine Königin?«, meldete sich die KI sofort.

»Öffne das Sprungtor und bringe uns zu der Splitterwelt.«

* * *

Admiral Thomas sah ihrer Abreise von der ArchAngel II aus zu. Er runzelte die Stirn noch stärker, als die Izanami sowohl aus seinem visuellen Blickfeld, als auch aus der Ortung selbst der empfindlichsten Scanner verschwand.

»Was ist denn los, Liebes?«, fragte Giselle. »Gefällt dir das Schiff mit dem Verschwinde-Zaubertrick denn nicht?«

Ihr Mann seufzte tief auf. »Als ob Shinigami nicht schon allein ein genügend großer Plagegeist wäre«, beschwerte er sich.

»Jetzt verfügt Bethany Anne über noch ein Schiff, das ich nicht aufspüren kann.«

Ooken-Splitterwelt

Das Tor brachte sie an den Rand des Systems, in das sie anschließend unbemerkt eindrangen. »Wie zum Teufel hast du es bloß geschafft, ein Sprungtor zu schaffen, das nicht geortet werden kann, Eve?«, fragte Bethany Anne, die ihren bewundernden Blick auf die kleinere KI richtete. »Es gibt keine Spur davon.«

Eve lächelte geheimnisvoll. »Meine Königin bat darum, unter allen Umständen unauffindbar zu bleiben. Ich habe lediglich dafür gesorgt, dass ihr Wunsch erfüllt wurde.« Während sie sprach, bewegte sich ihr Androiden-Körper auf der Brücke, überprüfte die eine oder andere Konsole und nahm Justierungen vor. »Du brauchst aber nichts weiter zu wissen, als dass es funktioniert hat.«

Auf diese Aussage hin zog Bethany Anne mit einem sarkastischen Gesichtsausdruck ihre Augenbrauen hoch. »Das gilt vielleicht für den Moment, aber du wirst es mir – und natürlich auch William – in aller Ausführlichkeit erklären, wenn wir wieder zu Hause sind.«

Eve nickte bloß, denn ihre Aufmerksamkeit wurde gerade von etwas anderem gefangen genommen. »Wie interessant. Das ist kein echtes Sternensystem.«

Auf dem Bildschirm erschien das System. Es enthielt einen durchaus anständig großen Planeten, der etwas umkreiste, das eindeutig wie eine Sonne aussah .

»In Wirklichkeit ist das kein Stern«, versicherte Eve ihnen. »Es ähnelt eher einer Arti-Sonne, obwohl sie mit Deuterium betrieben wird. Wie barbarisch.«

»Ja, nicht wahr?«, mischte sich ADAM kritisch ein. »Wer benutzt heutzutage denn noch Kernenergie?«

»Leute, denen der Zugang zum Aetherischen fehlt«, antwortete Bethany Anne trocken. »Ein weiteres Häkchen zu unseren Gunsten in der Spalte: ›Wir Sind Viel Großartiger, Weil ‹.« Sie widerstand dem Drang, direkt in den künstlichen Stern zu starren. Auf die Heilung ihrer Netzhaut warten zu müssen, war wirklich das Letzte, was sie jetzt brauchte. »Ist die Kunstsonne stabil?«

Eve vollführte eine wiegende Bewegung mit ihren Händen. »Ja. Zumindest solange nichts passiert, was das Ding aus dem Gleichgewicht bringt.«

Bethany Annes Mundwinkel zuckten belustigt. »Gut zu wissen. Was haben wir sonst noch?«

Izanami meldete sich zu Wort. »Im System befinden sich eine ganze Reihe von Schiffen. Nach meiner Zählung sind es dreiundsiebzig. Sie gehören unterschiedlichen Klassen an und darunter gibt es einige Gruppen, die sich anscheinend gerade auf die Abreise vorbereiten.«

Nachdenklich trommelte Bethany Anne mit ihren Fingern auf die Armlehne ihrer Couch. »TOM, ADAM, wir brauchen da drüben eine Ablenkung. Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass diese Schiffe abfliegen, egal was passiert. Und wir müssen eine Nachricht an unseren Stützpunkt schicken, dass sie sich vorsichtshalber auf Angriffe vorbereiten sollen.«

»Bin schon dabei, Bethany Anne.«

Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir dort drüben für einigen Ärger sorgen können , fügte TOM hinzu.

Bethany Anne nickte. »Ich habe eine Idee. Bring uns hinein, Izanami

»Wie meine Königin befiehlt«, erwiderte Izanami .

Leicht belustigt lächelte Bethany Anne schief. »Ich mag dich. Du bist viel respektvoller als Shinigami

»Ich wurde von zwei Müttern erschaffen«, stellte Izanami nüchtern fest, wobei ihre Brise ihr Haar auf dem Bildschirm durch eine imaginäre Brise gekräuselt wurde, die anscheinend zu ihren Markenzeichen gehörte. »Wenn du mich aufforderst, in den Krieg zu ziehen, wirst du meine härtere Seite kennenlernen.«

»Izanami «, erklärte Bethany Anne traurig. »Du wurdest in den Krieg hineingeboren

Lagerhaus, Erste Stadt, Devon

Zufrieden betrachtete Sabine die Zerstörung, die sie an allen Seiten umgab, als sie und Jacqueline in zügigem Tempo zurück zum Hauptlagerhaus trabten.

Inzwischen wiesen die Wände mehr Löcher auf als ein Schweizer Käse. An vielen Stellen war das Stahlskelett des Gebäudes sichtbar und überall, wo man hinschaute, flackerten kleine Brände.

Mit Ausnahme der überall verstreuten toten Eindringlinge konnten die beiden Frauen allerdings niemanden entdecken.

»Sieht aus, als hätte der Trichter funktioniert und alle in die gewünschte Richtung geleitet«, bemerkte Jacqueline glücklich. »Du weißt doch, was das bedeutet, oder?«

Die babyblauen Augen ihrer Freundin blitzten auf und sie grinste breit. »Der Kampf hat begonnen, Baby.«

Sie rannten mit voller Geschwindigkeit los und versuchten, einander zu überholen, während sie auf den behelfsmäßigen Kampfring zustürmten.

Als sie sich dem Hauptlager näherten, hörten sie über den Schreien und dem Grunzen des harten Kampfes hinweg das wilde Feuer von Blastern sowie von mehr traditionelleren ballistischen Waffen.

»Sieht ganz danach aus, als hätte Mark Spaß ohne Ende!«, schrie Sabine laut, um über den Lärm hinweg gehört zu werden. Und das traf auch eindeutig zu. Jacqueline eilte los, um ihn zu unterstützen, während Sabine die Treppe zum Laufsteg hochrannte, um Ricole abzulösen.

»Das wurde aber auch Zeit!«, knurrte die Noel-ni ärgerlich. »Bis jetzt habt ihr den ganzen Spaß gehabt.«

Sabine warf ihr einen wissenden Blick zu. »Ach ja? Und dir hat es überhaupt keinen Spaß gemacht, die Fallen auszulösen?«

Ricoles Stirn runzelte sich leicht. »Na schön, vielleicht ein bisschen. Aber ich will jetzt kämpfen.«

Ihre Kollegin vollführte eine einladende Handbewegung in Richtung Tür. »Geh nur. Aber halte auch ein wenig Ausschau nach Demon. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit es angefangen hat.«

* * *

Demon schlich geräuschlos an den Kisten entlang und pirschte sich langsam immer näher an den Skaine heran, der zu wissen schien, dass er von irgendetwas verfolgt wurde, aber nicht von wem oder was. Er eilte hektisch durch das Labyrinth, nachdem er durch Demons sorgsames Treiben von seinen übrigen Gefährten abgeschnitten worden war.

Diese Nacht hatte ihr bisher viel Spaß gemacht. Sie hatte viele getötet, und es gab noch viele mehr, die mit der Absicht in ihr Zuhause gekommen waren, ihrer Familie zu schaden.

Sie würden alle durch ihre Zähne und Klauen sterben.

Der Skaine blickte erneut nervös über seine Schulter und die Hand, die seine Waffe hielt, zitterte bei jedem Schritt immer stärker.

So ein törichter Feigling. Die Skaine traten gerne mutig auf, solange sie in einer Gruppe waren, aber wenn man sie von ihrem Rudel trennte, waren sie genauso verwundbar wie jedes andere von Demons üblichen Beutetieren.

Wenn sie nur auch so gut schmecken würden!

Trotzdem schnurrte die Berglöwin zufrieden und der Skaine sprang fast aus seiner gummiartigen blauen Haut.

* * *

Ricole war zu ungeduldig, um sich die Zeit zu nehmen und die Treppe hinunterzulaufen.

Sie sprang mit einem Satz über das Geländer und nutzte einen günstig platzierten Estarianer als Landeplatz. Bei der Landung rammte sie ihm ihre Krallen in den Kopf und ließ ihn dann heftig blutend hinter sich, während sie sich ihrem nächsten Ziel zuwandte.

Jacqueline und Mark standen Rücken an Rücken auf der Ostseite des Rings, und die Guardians um sie herum kämpften hart gegen die Schläger und Ganoven. Es war amüsant zu sehen, wie die zusammengewürfelten Söldnerbanden nicht nur aufgelöst, sondern auch gleich zerstückelt wurden.

Die Teams zogen ihren Kreis immer weiter zusammen und trieben die Kämpfenden in die Mitte des Rings. Der Gang vor dem Büro blieb unangetastet.

Bis jetzt jedenfalls.

Zu diesem Zeitpunkt waren nur noch die wirklich Hartgesottenen übriggeblieben. Zu denen gehörten die Kriminellen und eine heruntergekommene Gruppe von Skaine, die in enger Formation kämpften, obwohl sie sich offensichtlich in die Hosen gemacht hatten. Oder vielleicht rochen die Skaine ja auch grundsätzlich kollektiv so. Ricole war bis jetzt noch nie nahe genug an eine Gruppe dieser Spezies in so einer Situation herangekommen, um einen Hauch davon mitzubekommen.

Wie auch immer, der Geruch war einfach widerlich .

Die Noel-ni beschloss den grässlichen Gestank unter einer großen Lampeninstallation und einem ordentlichen Stück der Decke, an der sie befestigt war, zu begraben. Beides krachte auf die Skaine, als sie dem bereits zusammenbrechenden Leuchtkörper auf die Sprünge half, indem sie ihn an der schwächsten Stelle durchschoss.

Als kurz darauf der Boden erneut erzitterte, weil eine weitere Reihe ihrer Fallen irgendwo im Lagerhaus ausgelöst wurde, grinste sie breit.

Auch Mark blickte in Richtung des Labyrinths … und bekam als Folge seiner Ablenkung ein Messer in den Rücken. Selbst schuld.

Im Augenblick war Demon war zwar nirgends zu sehen, aber Ricole war sich ziemlich sicher, dass die Berglöwin die Ursache für die sporadischen Schreie war, die sie die ganze Nacht über aus dem Labyrinth gehört hatte.