Kapitel 24

Michaels Büro, Raumflottenstützpunkt, High Tortuga

V oller Nervosität schritt Bethany Anne neun Meter in eine Richtung, machte auf der Stelle kehrt und lief dann die neun Meter wieder zurück in die andere Richtung.

Dagegen stand Michael wie angewurzelt vor dem Wandbildschirm. Die Kamerabilder aus dem Inneren von Alexis’ und Gabriels Vid-Docs nahmen jeweils eine Seite des geteilten Bildschirms ein, wobei die Vitalwerte jedes Kindes am unteren Rand ihrer Hälfte angezeigt wurden.

Keiner der beiden Eltern wandte auch nur einen Augenblick den besorgten Blick von ihren Kindern ab, die beide noch immer nicht auf die Behandlung ansprachen. Das zwischen ihnen lastende Schweigen fühlte sich schwer an, wie die Luft, die sich vor einem Sturm zusammenzieht.

Bethany Anne kochte still vor sich hin und ihre Wangen waren nass, aber sie sagte nichts.

Schließlich hielt Michael das sich ewig hinziehende Schweigen nicht mehr aus. »Ich hoffe nur, dass es Tabitha wieder besser geht. Der heutige Tag war sehr schwierig für sie.«

Mit vom Weinen geröteten Augen wirbelte Bethany Anne wütend zu ihm herum. Sie hob anklagend einen Finger. »Das ist ihre Schuld! Nein, eigentlich nicht, im Gegenteil! Es ist deine Schuld, weil du die Kleinen dazu gedrängt hast, ihre Fähigkeiten zu früh zu entfalten!«

Michaels Augen blitzten rot auf, aber dann sank sein Kopf und seine Wut verflog so rasch, wie sie aufgeflammt war. »Ich weiß. Es tut mir leid.« Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu, sein Gesicht vor Schuldgefühlen verzerrt. »Ich habe die Konsequenzen nicht bedacht, aber ich werde das irgendwie in Ordnung bringen, und wenn ich die Galaxie auf den Kopf stellen muss, um die Antwort zu finden.«

»So etwas Extremes wird nicht nötig sein«, schaltete sich ADAM über den Lautsprecher ein. »Ich habe jetzt Alexis’ und Gabriels letzte Testergebnisse vorliegen.«

»Sag es uns«, forderte Bethany Anne und ihre Worte überschlugen sich fast. »Was ist mit unseren Kindern passiert?«

»Ich habe eine gründliche Untersuchung durchgeführt und das Problem liegt bei den Nanozyten der Zwillinge.« ADAM machte eine Pause, um Bethany Anne und Michael Zeit zu geben, das Gesagte zu verarbeiten. »Die Aktivitätswerte deuten darauf hin, dass ihre Nanozyten verrückt spielen, aber es gibt keine äußeren Anzeichen, die das bestätigen. Trotzdem ist diese Situation für sie grundsätzlich gefährlich.«

Michael runzelte die Stirn. »Wie das? Erkläre es bitte näher.«

ADAM nahm den größeren Monitor auf Michaels Schreibtisch in Beschlag, um ihnen seine Ergebnisse zu zeigen. »Sie besitzen natürliche Nanozyten, die sich zusammen mit dem Wirt entsprechend entwickeln. Um das, was sie gerade durchmachen, einfach zu erklären, könnte man sagen, dass die Nanozyten der Zwillinge in diesem Stadium einfach noch nicht weit genug entwickelt sind, um die übermäßige Menge an Energie zu verarbeiten, die sie für die Heilung aus dem Aetherischen ziehen.«

»Also … wenn ich dich richtig verstehe, sind ihre Nanozyten zu stark für ihre Körper?«, hakte Michael nach.

»Kurz gefasst, ja«, bestätigte ADAM. »Die Energiemenge, die zur Heilung solch massiver Verletzungen benötigt wird, überlastet ihre unreifen Nanozyten, was zu dem komatösen Zustand der Kinder geführt hat.«

Bethany Anne ging mit auf dem Rücken verschränkten Händen weiter auf und ab. »Das klingt so, als ob du sagen würdest, dass ihre Nanos nicht damit fertig werden.« Sie blieb stehen und starrte wieder auf den Monitor. »Kannst du sie nicht einfach abschalten?«

»Nicht, ohne so viele negative Nebenwirkungen zu verursachen, dass die zukünftige Lebensqualität der Zwillinge stark beeinträchtigt würde«, erwiderte ADAM bedauernd.

»Kannst du ihre Nanozyten dann vielleicht durch meine ersetzen?«, hakte sie nach. »Wie eine Transfusion?«

ADAMs Stimme klang äußerst entschuldigend. »Leider nicht ohne erhebliche Veränderungen in ihrer Entwicklung zu verursachen. Sie würden nicht mehr in ihrem normalen Tempo altern und die psychologischen Auswirkungen davon wären zu schädlich.«

Michael rieb sich tief in Gedanken versunken das Kinn. »Aber sie sind an Wachstumsschübe gewöhnt. Wie wäre es dann, wenn wir sie stattdessen nur ein wenig altern ließen? Würde das dieses Problem lösen?«

»Nein«, wandte Bethany Anne mit Nachdruck ein. »Einfach kategorisch nein. Das kommt nicht infrage. Wir haben schon genügend ihres Lebens verpasst, weil sie so schnell gewachsen sind.«

»Es wäre eine Lösung, Bethany Anne. Und wenn sie im Vid-Doc bleiben, könnten sie während der gesamten Zeit, in der wir sie körperlich reifen lassen, auch bei Bewusstsein bleiben.«, warf ADAM ein.

Nickend hielt Michael einen Finger hoch. »Wir haben die Zeitverzögerung mittlerweile perfekt eingestellt. Daher ist es kein Problem, sie trotzdem noch die entsprechenden Entwicklungsjahre durchleben zu lassen, während sie den Alterungsprozess durchlaufen.« Er hob einen weiteren Finger zum ersten. »Und sie können ihre Kontrolle über das Aetherische in Sicherheit entwickeln. Das heißt, sie können so oft wie nötig sterben, um zu lernen, wie man nicht getötet wird. Wir können wiederum so viel Zeit mit ihnen verbringen, wie wir nur erübrigen können. Dank der Zeitdilatation können unsere Besuche wochenlang dauern, und wir haben fünf Jahre ihres Lebens, in denen wir wissen, dass sie diese nicht überspringen werden. Und schließlich …« Ganz zuletzt zog er sein Ass aus dem Ärmel. »… kann sie niemand entführen, solange sie in diesem Spiel sind.«

Bei dem Argument verwarf Bethany Anne den riesigen Widerstand, den sie gerade zu leisten gedachte und blickte, zum ersten Mal wirklich an dem Thema interessiert, Michael an. Ihr Gesicht erstarrte, als sie ihre eigenen Gedanken beschleunigte, bevor sie sich wieder dem Monitor zuwandte. »Wie lange würde es dauern?«

ADAM hatte die Antwort bereits kalkuliert. »Ich kann es zwar nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, aber ich schätze, dass es etwa drei Monate dauern wird.«

»Das würde den Verlust ihrer Kindheit nicht wettmachen …« Sie grübelte fieberhaft darüber nach, als plötzlich die Tür krachend aufflog.

Offenkundig voller Panik stolperte Peter herein. Er hielt Tabitha mit einem Arm an seine Brust gepresst und seine aufgerissenen Augen zeigten Schmerz, Verwirrung und Angst. »Sie ist einfach zusammengebrochen! Helft ihr!«

Sofort eilten ihm Bethany Anne und Michael zu Hilfe. Michael nahm Peter den schlaffen Körper ab und stürmte in den Raum nebenan, der die Vid-Docs enthielt. Es dauerte nur eine Minute, um Tabitha in die Maschine zu legen.

Michael hielt beim Einstellen des Vid-Docs einen Augenblick inne und sah Peter kurz an. »Was ist passiert?«

Der Werwolf warf seine Hände hoch. »Ich weiß es doch nicht. Sie hat in der letzten Zeit viel gekotzt.«

Bevor er weiterreden konnte, meldete sich ADAM schon aus dem Lautsprecher. »Tabitha leidet an einer allergischen Reaktion. Ihr Körper hat sich weitgehend abgeschaltet, um die benötigte Energie auf ihre Nanozyten umzuleiten.«

Bethany Anne legte eine Hand auf Tabithas Vid-Doc. »Wogegen ist sie denn allergisch?«

Seine Antwort verblüffte sie alle. »Bedauerlicherweise ist es das Baby. Während der Fötus vollkommen gesund ist, reagieren Tabithas Nanozyten auf die einzigartigen Nanozyten des Babys, die sie als invasive Fremdkörper registrieren. Für ihren Körper ist es so, als ob sie eine massive Infektion hätte.«

»Ich wusste, dass sie unter starker morgendlicher Übelkeit litt«, begann Bethany Anne, »aber so etwas?« Ihre Stimme verklang, als sie Tabithas gespenstisch blasses Gesicht durch das Fenster im Deckel des Vid-Docs betrachtete.

»Wie kann man das Problem lösen?«, erkundigte sich Peter mit schwacher Stimme, der sich kaum traute, die Antwort zu hören.

»Die Lösung besteht darin, sie für die Dauer ihrer Schwangerschaft im Vid-Doc zu behalten«, erklärte ihm ADAM. »So kann ich sie und das Baby überwachen und beide stabil halten. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass sie darüber sehr glücklich sein wird.«

Peter verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Dann gehe ich mit ihr hinein.«

Bethany Anne wandte sich von Tabithas Vid-Doc ab. »Natürlich tust du das. Hast du ihr schon erklärt, was los ist?«

Er schüttelte den Kopf. Er hielt seine Hand das Fenster des Vid-Docs gepresst und seine Augen glänzten voller Furcht, während seine Stimme leiser wurde. »Sie antwortet nicht auf unserer geistigen Verbindung. Ich habe Angst, dass sie sterben wird, Bethany Anne.«

Tröstend drückte Bethany Anne seine Hand, während sie eine direkte Verbindung zu Tabithas Bewusstsein herstellte. Tabitha, bist du da?

Einen schrecklichen Augenblick lang war nichts zu spüren, aber dann hörte Bethany Anne, wie ihr Name geschrien wurde. Es war nur schwach zu erfassen, aber sie folgte dem Laut bis zu seiner Quelle. Tabitha .

Tabithas deutlich spürbare Erleichterung ließ die Worte nur so aus ihr herausströmen. Oh, BA, ich bin so verdammt froh, dich zu hören. Ich dachte schon, ich wäre tot! Aber ich kann nicht sterben und Peter und das Baby allein zurücklassen. Oh Gott, das Baby! Geht es ihm gut?

Bethany Anne schickte ihr eine besänftigende Welle positiver Gefühle. Keine Sorge. Das Baby ist gesund. Es wird euch beiden gut gehen. ADAM wird dir den medizinischen Kram erklären. Was war denn los?

Tabitha klang schwach und verängstigt. Was passiert ist? Ich habe nicht den blassesten Schimmer. Eben habe ich noch zugesehen, wie Pete die Möbel für das Baby im Kinderzimmer in unserer neuen Wohnung zusammenbaut, und im nächsten Moment war ich hier. Es trat eine Pause ein und Bethany Anne bekam das Gefühl, dass Tabitha versuchte, sich umzusehen. Wo bin ich hier überhaupt?

Du bist in einem Vid-Doc. Du hast eine neue Wohnung? Bethany Anne warf Peter einen anklagenden Blick zu, der allerdings im Moment zu verzweifelt war, um sich wegen angeblicher Geheimnisse aufziehen zu lassen. Du hast mir gar nicht gesagt, dass du umziehen willst. Ich hätte euch doch geholfen.

Ja, wir sind gerade in das leere Wachhaus neben dem zweiten Lebensmittelladen gezogen. Was das angeht, ich habe es nicht vor dir verborgen gehalten. Ich habe das Haus zufällig gefunden, während Pete weg war, aber um nichts zu beschreien wollte ich es niemandem sagen, ehe er nicht wirklich zurückkehrt.

Bethany Anne badete Tabithas Bewusstsein in Wärme und in einer weiteren besänftigenden Welle positiver Gefühle. Ich will nicht, dass du jetzt ausflippst, aber du musst im Vid-Doc bleiben, bis du das Baby bekommst. Peter bereitet sich gerade darauf vor, in den Vid-Doc neben deinem zu springen.

Missmutig stöhnte Tabitha auf. Ich nehme alles zurück, was ich jemals darüber gesagt habe, dass ich die Schwangerschaft mag. Wie geht es Alexis und Gabriel? Sind sie schon wieder zu sich gekommen?

Die Frage versetzte Bethany Annes einen Stich ins Herz. Nein. Ihre Nanozyten sind ziemlich im Arsch und sie müssen wohl ebenfalls eine Weile in den Vid-Docs bleiben. Es sieht so aus, als müssten wir sie altern lassen, um das Problem zu beheben .

Was für eine Scheiße , bedauerte Tabitha. Ich weiß, wie sehr du es gehasst hast, dass sie während deiner Abwesenheit so verdammt schnell gewachsen sind. Wie lange wird es dieses Mal dauern?

Etwa zwölf Wochen, wenn wir es tatsächlich durchziehen. Bethany Anne schluckte einen dicken Kloß in ihrer Kehle hinunter, als sie Tabitha kurz die Situation erklärte.

Tabitha gab ein mitleidiges Geräusch von sich. Ich komme hier nicht so schnell wieder raus. Aber zwölf Wochen sind nicht so lang. Solange sie hier drin sind, kann ich mit ihnen abhängen.

Bethany Anne erzählte ihr von der eingerichteten Zeitverzögerung. Ihr werdet eine viel längere Zeitspanne erleben, als hier draußen vergeht.

Das ist kein Problem. Tabitha klang fast dankbar für die Unannehmlichkeiten. Dadurch wird mir viel Zeit zu Verfügung stehen, darüber nachzudenken, was für eine Mutter ich sein will.

Betroffen schwieg Bethany Anne einen Moment lang.

Was ist denn los? , fragte Tabitha. Habe ich etwas Falsches gesagt?

Ich habe das Gefühl, dass ich mich zu sehr auf alle anderen verlasse , gab Bethany Anne zu und ihre mentale Stimme klang bedrückt. Eigentlich sollte ich diejenige sein, die mit ihnen hier drinnen bleibt. Es hat nicht lange gedauert, bis der Kampf um ihre Sicherheit dazu geführt hat, dass ich so viel Zeit mit ihnen verpasst habe.

Ihr werdet nicht ewig im Krieg sein , versicherte Tabitha ihr tröstend. Aber in der Zwischenzeit muss irgendjemand dafür sorgen, dass wir alle sicher sind. Außerdem rechne ich fest damit, dass du dich revanchierst und einspringst, sobald ich als Mutter anfange, Scheiße zu bauen.

Das brachte Bethany Anne zum Lachen. Du solltest aufhören, so streng mit dir zu sein. Du wirst eine tolle Mutter abgeben .

Ein schlurfendes Geräusch hinter Bethany Anne erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie drehte sich halb um und sah den zappelnden Peter, der vor Sorge praktisch auf der Stelle tanzte. Funktioniert deine Verbindung zu Peter immer noch nicht?

Nein , schmollte Tabitha. Du bist die Einzige, zu der ich bisher durchkommen konnte. Ich kann zwar alle hören, aber sie können mich nicht hören.

Daraufhin wandte sich Bethany Anne von dem Vid-Doc ab und begegnete Peters forschendem Blick. »Sie ist noch da drin. Und sie sagt, dass sie dich zwar hören kann, aber keiner hört sie.«

»Das klingt nach einem weiteren Nanozytenproblem«, stellte ADAM fest. »Die vollständigen Testergebnisse von Tabitha und dem Baby werden bald vorliegen, dann wissen wir es mit Sicherheit. Aber ich brauche jetzt eine Entscheidung von euch beiden bezüglich der Zwillinge. Auf welche Vorgehensweise einigt ihr euch?«

Michael setzte sich und stützte den Kopf in seine Hände. »Ich glaube, dass es die beste Lösung ist, sie altern zu lassen, wenn wir uns darauf einigen können, wie es genau gemacht werden soll.«

Jedoch war Bethany Anne immer noch nicht überzeugt. »Welche anderen Möglichkeiten stehen uns davon abgesehen denn noch offen?«

»Die haben wir leider bereits abgedeckt«, erklärte ADAM ihr. »Wenn man ihnen die Nanozyten entzieht, ist praktisch garantiert, dass sie sterben … entweder jetzt sofort aufgrund dieser Fehlfunktion oder in der Zukunft an Altersschwäche oder etwas anderem. Ihre Nanozyten durch deine zu ersetzen, ist genauso riskant, auch deswegen, weil wir nicht sicher sein können, dass wir nicht wieder in dieser oder einer ähnlichen Situation landen. Beides wäre für Alexis und Gabriel nicht sonderlich angenehm.«

Resigniert schloss Bethany Anne für einen langen Augenblick die Augen. Michael erschien neben ihr.

Er legte seinen Arm um sie und hob ihr Kinn an, um ihre Augenlider nacheinander zu küssen. »Dieser Weg wird funktionieren. Es wird für keinen von uns leicht sein, aber Alexis und Gabriel werden durch diese Erfahrung stärker sein.«

Sie öffnete ihre Augen. »Du meinst das Trauma, das sie durchmachen?«

Michael legte den Kopf schief. »Manche nennen es Trauma und das ist in Ordnung. Andere aber nennen es Widrigkeiten. Sie bemühen sich, diese zu überwinden und nutzen sie, um sich zu höheren Zielen zu motivieren. Unsere beiden Kinder sind aus genau diesem Holz geschnitzt.«

Bethany Anne verzog das Gesicht und stampfte frustriert auf seinen großen Zeh. »Verdammt noch mal. Warum hast du bei diesem Zeug immer recht?«

Er zog sie näher und stützte seinen Kopf auf ihren. »Wenn du einmal so lange gelebt hast wie ich …« Amüsiert hielt er inne, als ihm ein Gedanke in den Sinn kam. »Oder wahrscheinlich schon früher, da wir ja von dir sprechen. Du wirst das Eintreten der immer gleichen Dinge so oft beobachten, dass es dir zur zweiten Natur wird, direkt den Kern der Sache zu erkennen.«

Seine Frau dachte einen Moment lang darüber nach. »Du willst damit ausdrücken, ich soll akzeptieren, dass dies die beste Lösung für Alexis und Gabriel ist?«

Michaels Finger streichelten ihre Schulter. »Ja, meine Liebe. Bevor es zu spät ist.«

Entschlossen stieß Bethany Anne sich von ihm ab, um sich aus der Umarmung zu lösen und näher an den Bildschirm heranzurücken. »ADAM, was sind die Risiken bei dieser Option?«

»Minimal«, bestätigte ADAM sofort. »Außerdem, selbst wenn uns gelingen sollte ihre Nanozyten zu stabilisieren, werden die Zwillinge durch die Überlastung wahrscheinlich eine Phase unkontrollierten Wachstums erleben. Das ist einer der Gründe, warum ich diesen Weg zur Lösung des Problems vorgeschlagen habe.«

»So vorzugehen ist also die logische Wahl. In Ordnung, ich stimme ebenfalls zu. Aber nimm ihnen nicht die ganze Kindheit weg. Sie müssen diese Erfahrungen trotz alledem machen.«

»Ich verstehe«, versicherte ADAM. »Wenn wir ihr Wachstum so einstellen, dass es sich bei … sagen wir mal, neunzehn Jahren wieder einpendelt …«

»Nein«, widersprach Bethany Anne entsetzt. »Das ist viel zu lang. Fünf Jahre klangen nach mehr als genug Zeit. Du kannst die Einstellung auf maximal vierzehn Jahre setzen. Ich möchte das beschleunigte Wachstum der Zwillinge auf ein Minimum beschränken.« Sie warf ihrem Mann einen fragenden Blick zu.

Michael pflichtete ihr bei. »Das entspricht auch in etwa dem geistigen Stand der beiden. Wir können diese Zeit nutzen, um ihnen die Lebenserfahrungen zu vermitteln, die Kinder in diesem Alter gesammelt haben.«

»Kein Problem«, stimmte ADAM leichthin zu. »Wir können sie jederzeit wieder in den Vid-Doc bringen, wenn das nicht ausreichen sollte.« Er veranlasste etwas, das die Vid-Docs von Alexis und Gabriel aufleuchten ließ. »Okay, sie befinden sich im Verjüngungszyklus. Tabitha wird auf sie warten, damit sie nicht allein sind, wenn das Spiel beginnt.«

Bei diesen Worten sanken Bethany Annes Schultern leicht herab.

Dies entging Michael natürlich nicht. »Beunruhigt dich etwas?«

Sie seufzte tief. »Ich wäre lieber da drinnen bei Alexis und Gabriel, aber ich muss nach der QT2-Raumstation sehen. Ich wusste, dass Elternschaft kein Kinderspiel ist, aber ich hätte nicht gedacht, dass eine der größten Herausforderungen darin bestehen würde, für sie genügend Zeit zu finden, um einfach für sie da zu sein.«

Mühsam riss Michael sich schließlich von dem Bildschirm los. »Wenn du möchtest, dass ich dir etwas Zeit verschaffe, um mit den Kindern zusammen zu sein, dann sag es einfach. Ich kann den Stützpunkt besuchen und mir Barts Bericht persönlich anhören. Dann kannst du direkt in den Vid-Doc springen und ihnen dabei helfen sich einzurichten.«

Bethany Anne zog sein Angebot in Erwägung, ehe sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste. »Danke, mein Schatz. Und überprüfe für mich auch, wie Giselle mit dem Management der Raumstation zurechtkommt, wenn du und der Admiral mit dem Spielen in der Werft fertig seid.«

»Aber natürlich.« Er küsste sie ebenfalls und verließ den Raum, um den Transport nach QT2 zu organisieren.

SSE-Flotte der Scoutaufklärer, offener Weltraum

Loreley war sich ganz sicher, dass die Situation für sie beschissen enden würde, was nach ihren bisherigen Erfahrungen ja auch ziemlich normal war.

Sie dachte daran, dass sie ein Leben führte, das man nur als interessant bezeichnen konnte. Jedes Mal, wenn sie sich opferte, starb sie in dem Wissen, dass durchaus die Möglichkeit bestand, dass ihre Sicherungskopie verloren ging oder zu stark beschädigt wurde, um sie wieder ins Leben zurückzuholen.

Wenn sie bis zum Ende des Krieges überlebte, hatte sie vor, einen Roman über ihre Rolle bei den wichtigsten Spielzügen zu verfassen. Ein Titel war ihr schon eingefallen.

›Wie man eine knallharte EI wird .‹

Allerdings nur, falls sie es tatsächlich bis zum Ende schaffte, denn das Sterben schien für sie langsam zur Gewohnheit zu werden. Das Beschissenste an ihrer derzeitigen Situation war, dass sie gerade erst einen Ersatz für den Körper bekommen hatte, den Bethany Anne für ADAM beschlagnahmt hatte.

Das Gute daran war, dass ihre Schwestern wirklich sehr eifersüchtig gewesen waren, als sie ihnen erzählte, dass ADAM sich ihren Körper geschnappt hatte.

Aber ihre Gedanken schweiften ab und das würde die Informationen, die sie aus dem Bewusstsein der feindlichen EI gerissen hatte, nicht zu ihrer Königin zurückbringen. Ihr blieben schließlich nur noch eins Komma null achtundfünfzig Sekunden Zeit, um zu handeln, bevor sich das Zeitfenster, in dem ihre Töchter unentdeckt entkommen konnten, abgelaufen war.

Wie dem auch sei, sie hatte einen guten Plan. Sie hatte zahlreiche Kopien der Daten angefertigt, die sie nun zusammen mit ihrem eigenen Backup an ihre Töchter weitergab.

Sie sprangen fast gleichzeitig durch das Tor und Loreley entspannte sich, weil sie nun wusste, dass zumindest eine ihrer Töchter es zurück zum Übergabetreffpunkt schaffen würde, um ihre Königin über den Standort einer weiteren Splitterwelt zu informieren.

Loreleys Zeitempfinden ließ die letzten Zehntelsekunden für sie wie eine Ewigkeit erscheinen. Wie geplant lief ihre Selbstzerstörungssequenz genau dann ab, als der Drohnenschwarm von allen Seiten auf ihr Schiff zuschoss.

Halbwegs amüsiert beobachtete sie die Reaktion, welche die Sicherheitsschaltung blockierte, die verhinderte, dass ihr Kern in den Overdrive rutschte.

Bei den meisten Schiffen war das kein Problem, aber Loreley hatte sämtliche Redundanzen ausgeschaltet und die Selbstzerstörung zusätzlich noch mit ihrem Sprungtorantrieb gekoppelt, um einen größeren Knall zu erzeugen.

Die letzte Hundertstelsekunde verstrich für sie unbemerkt, als die Drohnen auf die Loreley zuflogen und ihre total überflüssigen Waffen abfeuerten.

Denn es war bereits zu spät.

Loreley erlosch lachend, während ihr Tod die Leere weiträumig erhellte.

Die Explosion breitete sich wie ein Pilz von ihrem Standort aus und verursachte konzentrische Zerstörungswellen, die sich nach außen hin ausbreiteten, während die ein paar tausend Drohnen in ihrer Nähe unfreiwillig ihrem Beispiel folgten.

In der Zwischenzeit konnten Loreleys Töchter mit ihrer kostbaren Fracht in die relative Sicherheit entkommen.

Kommandozentrale der QBBS Helena, QT2-System

Admiral Thomas war sich nicht ganz sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, die Raumstation nach seiner Schwiegermutter zu benennen.

Sie könnte es als ein Zeichen auffassen, dass er sie für immer an Bord haben wollte.

Es war nicht so, dass er Helena nicht mochte . Für eine Schwiegermutter war sie sogar ziemlich anständig, aber ihre bevorstehende Anwesenheit trieb seine Frau einfach völlig in den Wahnsinn .

Giselles unbekümmerte Art hatte sich genau in dem Moment verflüchtigt, als sie erfahren hatte, dass ihre Mutter auch nur daran dachte , sie zu besuchen.

Er wollte nicht, dass seine Frau unter einen derartigen Druck geriet. Nicht, während sie sich als Leiterin der Raumstation etablierte, und schon gar nicht, während sie sich an das Leben in einer Bauzone am Arsch des Weltraums gewöhnten. Zwischenzeitlich hatte er sogar mal in Erwägung gezogen, das System in ›Am Arsch des Weltraums‹ umzubenennen, aber zum Glück hatte er rechtzeitig erkannt, dass lustig und wahr in diesem Fall keine Synonyme waren und blieb bei der ursprünglichen Bezeichnung.

CEREBRO unterbrach seinen langsam abschweifenden Gedankengang und ihre Stimmen verwoben sich zu einer angenehmen Harmonie. »Admiral, Michael sollte in Kürze eintreffen. Wir dachten, du hättest vielleicht gerne etwas Zeit, um die Werft zu überprüfen, bevor er hier eintrifft.«

Nickend stand er auf, schnappte sich seine Jacke und ging zum Aufzug. »CEREBRO, könnt ihr etwa meine Gedanken lesen? Hast du Giselle informiert?«

»Natürlich«, antwortete CEREBRO, wobei sich in die einfache Bestätigung eine Vielzahl von Emotionen mischte. »Obwohl ich mir die Mühe hätte sparen können, denn sie hatte die Raumstation schon wenige Stunden, nachdem wir die Nachricht von Michaels Besuch erhalten haben zur Inspektion vorbereitet.«

»Meine Frau hat den Vorteil, dass ihr Teil der Raumstation größtenteils fertiggestellt ist«, schränkte der Admiral das Lob der EIs ein.

Er zuckte mit den Schultern und verließ den ersten Aufzug, um zu dem Lift zu gelangen, der ihn auf die mittlere Ebene der Station bringen würde. Dort konnte er dann ein Shuttle zur Werft nehmen. »Ich bin eher praktisch veranlagt und ich kenne meine Frau: Wenn sie jemanden beeindrucken will, wird sie bei der Auswahl der Präsentation sehr wählerisch.«

Sie fuhren schweigend mit dem Aufzug nach unten. Als sich die Tür öffnete, stieg er ein wenig eiliger aus und nahm Kurs auf die einzige funktionierende Transportstation.

CEREBRO huschte von einem der Lautsprecher im Korridor zum nächsten und brachte den Admiral über das augenblickliche Geschehen auf der Raumstation auf den neuesten Stand. Im Shuttle setzten sie ihr Schweigen fort, bis sie die erst teilweise errichtete Werft erreichten.

Die Werft sah zu diesem Zeitpunkt aus wie ein im Winter umgestürzter Baum, dessen Wurzeln frei liegen. Wenn sie fertig war, würde sie wie eine Hantel aussehen, die seitlich von der Raumstation ausging.

Nichtsdestoweniger war die Werft für sofortige Funktionalität konzipiert worden und viele der glänzenden Äste trugen bereits Früchte.

Admiral Thomas überblickte zufrieden das geschäftige Treiben, als CEREBRO das Shuttle an der Landeschlange am oberen Ende der Werft vorbeischleuste.

Die Landeschlange bewegte sich relativ langsam voran, während die Schiffe an der Spitze die Ladung an Baumaterialien und die Menschen, die damit arbeiten sollten, entluden. Aber anscheinend machte es Michael nichts aus, noch eine Weile in der Schlange zu warten.

Wunderbar. Jetzt blieb ihm genügend Zeit, um ein paar andere zu schikanieren, bevor er Michael traf.

Nach der Landung bahnte sich der Admiral eilig einen Weg durch die Baustelle, um die vierbeinige Yollin Qui’nan aufzusuchen.

Wie zu erwarten, fand er die Architektin und Bauleiterin in ihrem Büro, umgeben von unzähligen Plänen und Berichten über die verschiedenen laufenden Projekte auf der Werft.

Qui’nan tanzte geschäftig auf ihren vier Beinen um die Holoprojektionen herum und ihre Mandibeln arbeiteten ununterbrochen, während sie ihre Befehle an die Teamleiter weitergab.

Admiral Thomas klopfte leicht an die Tür, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Bethany Anne mochte vielleicht die Tatsache, dass sie ihm die Leitung dieser Werft überlassen hatte, gerne als Entschuldigung bezeichnen, weil sie die Izanami einfach aus dem Nichts gezaubert hatte, aber er sah nicht ein, wie die Verdreifachung seiner Arbeitslast eine großartige Entschuldigung abgeben sollte.

Jedenfalls dankte er den Sternen für seine Frau und für Qui’nan. Die pragmatischen Lösungen, die die Yollin-Architektin für jedes Problem vorschlug, mit dem er zu ihr kam, ließen den Admiral sich fragen, ob es eine Gottheit gab, der er ebenfalls für den Segen solch kompetenter Frauen in seinem Leben danken sollte.

Es war auch die Yollin gewesen, die kühn vorgeschlagen hatte, dass sie direkt mit der ersten Phase des Schiffbaus beginnen sollten, sobald das Skelett der Werft fertig war. Folglich konnte er nun Michael mit der Nachricht überraschen, dass sie mit der ersten Lieferung von Großkampfschiffen wesentlich früher als erwartet fertig sein würden.

Qui’nan drehte sich um, um eine Notiz in eine ihrer zahlreichen Listen hinzuzufügen und bemerkte ihn schließlich. Sie wischte die Holoprojektionen zur Seite. »Ich grüße dich, Admiral. Was kann ich für dich tun?« Wie immer kam sie direkt zur Sache. Qui’nan hegte nicht die Absicht, Zeit zu verschwenden, um sich über unwesentliche Frivolitäten zu unterhalten.

Admiral Thomas betrat das Büro. »Michael befindet sich auf dem Weg hierher.«

Qui’nan legte fragend den Kopf zur Seite. »Ja, ich weiß. Es steht auf dem Plan. Und?«

»Und daher wären deine Berichte über die Fortschritte der Flotte von großen Nutzen.«

Sie nickte erneut. »Ich werde meine Berichte am Ende des Arbeitstages vorlegen, so wie immer.«

Aber Thomas schüttelte den Kopf. »Heute nicht. Ich will über alles die neuesten Nachrichten wissen. Du musst mich über die vorrangigen Projekte ständig auf dem Laufenden halten, solange Michael sich hier aufhält.«

Die Yollin blickte von ihrem Platz auf, wo sie erneut ihre Arbeit betrachtete, die der Admiral gestört hatte. Ihre Mandibeln klickten gegeneinander. »Willst du etwa versuchen, ihn abzulenken?«

Admiral Thomas nickte nachdrücklich. »Zur Hölle, aber ja doch. Selbstverständlich will ich das. Da kannst du verdammt einen drauf lassen. Ich werde die ganze Zeit, die er hier ist, einen Stepptanz um ihn herum aufführen und hinter meinem Rücken alle Daumen drücken, dass er nicht noch anderes anordnet.« Er seufzte und wischte sich mit einer Hand über die müden Augen. »Obwohl, ich nehme an, es könnte noch schlimmer sein.«

»Ach ja? Wie denn?« Qui’nan machte sich jetzt offensichtlich über ihn lustig, aber sie wusste eben nicht, was er wusste.

»Es könnte Bethany Anne sein, die die Inspektion durchführt«, erklärte der Admiral ihr geduldig. »Dann hätten wir bei ihrer Abreise garantiert noch mehr Aufträge, mit denen wir klarkommen müssten.«

Die Architektin kicherte abschätzig. »Ein paar Schiffe mehr würden uns nicht gleich umbringen. Man muss eine Frau bewundern, die weiß, was sie will.«

Ihr Vorgesetzter schüttelte weise den Kopf. »Und was, wenn unsere Königin fordern würde, dass wir die Zahl der gebauten Schiffe verdoppeln?« Bevor sie antworten konnte, grinste er geradezu teuflisch. »Und dafür die Zeit, die dir für den Bau zur Verfügung steht, halbiert?«

Qui’nans Augen weiteten sich entsetzt. »Verdammt , nein. Ich gebe es zu, du hast recht. Ich bin auch froh, dass uns der Gefährte unserer Königin an ihrer Stelle besucht.«