Vor ungefähr zwanzig Jahren gab es im deutschen Fernsehen eine Unterhaltungssendung mit dem Namen »Geld oder Liebe«. Die Show war ziemlich erfolgreich, der Titel eine familiengerechte Übersetzung der amerikanischen Lebensweisheit »It all comes down to money and cocksize.« Die Chance auf Liebe, na ja, Sex, hatte ich heute schon ausgeschlagen, blieb also nur noch, auch die Chance auf Geld zu vermasseln. Oder die Chance, mein letztes Geld zu verlieren.
»Das habe ich schon beim ersten Mal kapiert, Herbert. Wir machen fünfzig fünfzig bei garantierter Verfünffachung des Einsatzes. Ich frage nur: Was ist das für eine Garantie? Wer garantiert den Gewinn?«
»Na, der Pascha.«
Wir fuhren gerade über die Sonnenallee. Das machten wir fast an jedem unserer Ein-Euro-Arbeitstage, ist die Sonnenallee doch eine der drei Nord-Süd-Achsen durch Neukölln. Das Gerüst am Sanierungsobjekt der B&G Unternehmensgruppe war inzwischen fertig aufgestellt, das Bettlaken »Wir lassen uns nicht wegsanieren!« verschwunden.
»Du hast recht, Herbert. Das sind ganz normale Geschäftsleute, deine Freunde aus dem Mardin-Grill. Spätestens wenigstens, wenn es ihnen gelungen ist, ihre diversen Einnahmen in hochsolide Anlagewerte wie so ein Wohnhaus mit Eigentumswohnungen umzurubeln.«
Geldwäsche durch Immobilienkauf ist eine bewährte Praxis. Und ein wenig Druck auf Mieter auszuüben, die nicht zugunsten einer »Sanierung« weichen wollen, an deren Ende hochpreisige Eigentumswohnungen für zahlungskräftige Käufer stehen, eine schon ebenso lange währende Methode.
Ich hatte mich inzwischen ein wenig zu dieser B&G-Firma umgehört. Sie sei eine gemeinsame Unternehmung des Pascha mit diesem Rapper, hieß es, deren Geschäftsbeziehungen schon seit Jahren liefen und deutlich über das Aufhängen von dessen Konzertpostern in und hinter dem Mardin-Grill hinausgingen.
»Ich frage mich nur, wofür sie den Gangsta-Rapper mit ins Geschäft geholt haben. Soll er Seriosität signalisieren, nachdem sich selbst unser CSU-Innenminister auf ein Foto mit dem Kerl gedrängelt hat?«
Dass Herbert nicht nachfragte, wovon ich eigentlich redete, konnte ich nur als Beleg dafür deuten, dass er schon länger als ich wusste, wer hinter der B&G Unternehmensgruppe steckte. Traurig. Aber es passte zum Geschäftsmodell des Pascha: Furcht verbreiten, die menschliche Gier ausnutzen, Erpressung. Inzwischen hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung, welchen Sinn die kleine Bombe in Öztürks Büro gehabt hatte: Der Pascha mochte gern in Kauf genommen haben, dass sie den Mietvertrag vernichten und Öztürk endlich den Laden räumen würde. Aber mehr noch, dachte ich, sollte sie Öztürk die Hände abreißen. Ein toter Gemüsetürke wäre ein Aufreger, aber irgendwann vergessen in Neukölln. Aber ein Gökhan Öztürk, der die nächsten Jahre ohne Hände durch die Gegend lief, wäre eine stetige Warnung an den Kiez, Forderungen und Verpflichtungen gegenüber Paschas Familienclan ernst zu nehmen.
»Ein echter Ehrenmann garantiert also deinen Wettgewinn. Schön für dich, Herbert!«
»Aber ich sage dir doch: Dreimal habe ich bisher bei ihm auf Spiele gewettet, immer, wie er empfohlen hatte, und dreimal kräftig gewonnen.«
»Aber immer nur mit relativ kleinen Einsätzen.«
»Ja, weil ich nicht mehr hatte. Aber jetzt kann ich mehr einsetzen, weil ich nur gewonnen habe. Und mit deinem Anteil könnten wir richtig zuschlagen.«
Die Sache stank gewaltig.
»Der Pascha weiß also vorher, wie die Spiele ausgehen?«
»Bisher jedenfalls lag er immer richtig.«
»Das heißt, er manipuliert die Spiele, oder?«
Herbert war unwohl bei diesem Thema, das konnte man sehen. Er antwortete erst nach einigem Zögern.
»Nehmen wir einmal an, der Pascha manipuliert die Spiele. Umso besser – kein Risiko! Wenigstens nicht für uns.«
Es hatte keinen Sinn, weiter drum herumzureden.
»Herbert, da mache ich nicht mit.«
»Was? Nur weil ich nicht in dein Genörgel über deinen Sohn eingestimmt habe? Oder hast du moralische Bedenken?«
Ich schwieg, was Herbert zu Recht als moralische Bedenken auslegte.
»Wir stehlen doch kein Geld, das für einen anderen Zweck bestimmt war, für ein Waisenheim oder ein Kinderkrankenhaus. Das Geld wurde zum Wetten eingezahlt. Es liegt da, wartet auf den Gewinner. Und das sind eben endlich einmal wir.«
»Wir stehlen das Geld den Leuten, die es sonst, ohne Manipulation, gewonnen hätten.«
»Aber es sind nicht wir, die die Spiele manipulieren. Die Sache läuft sowieso, ob mit uns oder ohne uns. Findest du es nicht an der Zeit, dass auch für uns einmal ein Stück vom großen Kuchen abfällt?«
Das, versicherte ich ihm, fände ich auch. »Aber hast du dich mal gefragt, warum der Pascha dich bei der Sache mitmachen lässt? Meinst du wirklich, wegen seiner Adidas-Geschäfte hättest du ihn in der Hand?«
»Na ja, ein bisschen schon«, sagte Herbert grinsend. »Er denkt, dass ich bei der Zollfahndung bin.«
Das war nun wirklich komisch, dass Herbert beim Pascha fast auf dieselbe Tour wie ich bei Julia fuhr. Jetzt musste ich auch grinsen.
»Außerdem«, fuhr Herbert unbeirrt fort, »wichtiger ist der Pascha als Geschäftsmann. Er kassiert fünfzehn Prozent vom Gewinn.«
»Und warum soll er sich mit fünfzehn Prozent zufrieden geben, wenn er alles haben könnte? Rechne mal durch: Du willst, dass wir jetzt 2.000 Euro einsetzen. Gewinn, wie du sagst, garantiert 10.000 Euro. Macht 1.500 für den Pascha. Setzt er nur ein Drittel davon auf eigene Rechnung ein, sagen wir mal 500, bekommt er 2.500 Euro.«
Herbert hatte immerhin zugehört.»Stimmt nicht. Du musst die 500 abziehen, die er eingesetzt hat. Wenn wir wetten, setzt er selbst gar nichts ein.«
»Schön, 2.000 Euro Gewinn. Die Sache macht für mich immer noch keinen Sinn.«
Herbert klang jetzt beleidigt.
»Warum soll ich mir überhaupt Gedanken machen, warum uns der Pascha beteiligt? Fest steht, wie gesagt, ich habe mit ihm immer schöne Gewinne gemacht.«
»Ich fürchte, Herbert, es läuft wie beim Hütchenspiel. Ein paar Einführungsrunden lang lassen sie dich gewinnen. Dann, wenn du siehst, wie glatt das läuft, und deinen Einsatz kräftig erhöhst – flups, alles weg.«
»Mensch, Oskar, du hältst dich für so schlau, weil du studiert hast. Aber überlegt doch mal. Was hat der Pascha davon, wenn wir unsere 1.000 Euro verlieren? Gar nichts! Nicht einmal seine fünfzehn Prozent. Das macht keinen Sinn.«
Ich sah, dass es schwierig sein würde, Herbert zu überzeugen – und unsere Freundschaft zu retten. Wir Menschen neigen eben zur Gier, die Gier wiederum schaltet rationales Denken aus. Sonst würde es all die Anzeigen mit dem Versprechen von zwanzig Prozent Rendite und mehr nicht geben und der Begriff Schneeballsystem nur die Spielanleitung zu einer größeren Schneeballschlacht bedeuteten.
»Erst einmal hat er doch unseren Einsatz, oder? Und mehr noch dürfte es, glaube ich, um Verdünnung gehen«, sagte ich.
»Was für ’ne Verdünnung?«
»Verdünnung, Verschleierung, Ablenkung, wie auch immer du es nennen willst. Die Zeiten haben sich geändert, seit Schiedsrichter Hoyzer für ein paar kroatische Kneipiers Fußballspiele manipuliert hat. Du müsstest doch besser wissen als ich, dass inzwischen ausgefeilte Computersysteme die Wetteinsätze bei jedem Spiel überwachen. Die schlagen Alarm, wenn plötzlich hohe Summen auf den Außenseiter gesetzt werden, und erst recht, wenn der dann wirklich gewinnt. Aber wenn du genug Leute findest, die gegen deinen großen Einsatz wetten, findet das Überwachungssystem alles in Ordnung. Die Wetteinsätze sind unter dem Strich ausgeglichen – und dein Pascha macht den Reibach, weil er gegen dich gesetzt hat.«
Herbert schaute mich nachdenklich an.
»Ich verstehe dich nicht. Willst du dich auf ewig mit den paar Hartz-IV-Euros durchbeißen?«
»Nein, Herbert. Ich will einfach nicht auch noch meinen Notgroschen verlieren.«
Unser Gespräch endete wie erwartet, als Herbert sagte:
»Ich hätte nie gedacht, dass du so nachtragend bist!«