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<title>Literarischer Stil</title>
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<p class="chapauth"><a id="page_119"></a>Susanne B&#x00FC;rkle</p>
<h2 class="chapname" id="head030"><span class="bold">Der Meister-Diskurs in der volkssprachlichen Literatur um 1200</span></h2>
<p class="abs">Handwerkliche Kompetenz und artistische Valorisierung</p>
<p class="epigraph">Swer siner kunst meister ist<br/>der hat gewalt an siner list. (Herbort von Fritsl&#x00E2;r, <span class="italic">Liet von Troye</span>, V.1f.)<a href="36_Footnote03.html#fn07-314" id="fn07_314"><span class="sup">315</span></a></p>
<p class="topnoindent">Vor vielen Jahren hat H<span class="small">UGO</span> K<span class="small">UHN</span> mit der instruktiven Begriffspr&#x00E4;gung des &#x201A;artistischen Meistertums&#x2018;<a href="36_Footnote03.html#fn07-315" id="fn07_315"><span class="sup">316</span></a> auf ein bedeutsames Ph&#x00E4;nomen der literarischen Kommunikation im Bereich der h&#x00F6;fischen Kultur aufmerksam gemacht und hat es in den verschiedensten Zusammenh&#x00E4;ngen punktuell angesprochen und umkreist, ohne es in letzter Konsequenz zu profilieren.</p>
<p class="indent">Einerseits konstatierte K<span class="small">UHN</span> bei seiner &#x00FC;berlieferungsgeschichtlichen Untersuchung der Manesseschen Liederhandschrift um 1230 als Folge eines medienhistorischen Umbruchs von der &#x201A;Auff&#x00FC;hrung&#x2018; zur &#x201A;Schriftlichkeit&#x2018; f&#x00FC;r die &#x201E;deutsch-literarische Gebrauchskunst der Laien&#x201C; (Epik, Spruchsang, Minnelied), die bis dahin &#x201E;noch ganz [&#x2026;] f&#x00FC;r die Auff&#x00FC;hrung&#x201C; gelebt und &#x201E;ein irdisches Heil f&#x00FC;r das irdische Laienleben&#x201C; diskutiert habe, ein neues &#x201E;Kunstbewusstsein mit neuer soziologischer Funktion: des Meistertums.[&#x2026;] [G]anze K&#x00FC;nstler-Generationen&#x201C; h&#x00E4;tten sich von da an als Nachfolger, als &#x201E;&#x201A;Nach-meister&#x2018;&#x201C; der &#x201E;Meister-K&#x00FC;nstler Gottfried von Stra&#x00DF;burg, Wolfram von Eschenbach, Walther von der Vogelweide&#x201C; empfunden und &#x201E;statuierten eben damit erst ihre Vorbilder zu Autorit&#x00E4;ten, zu Klassikern, zu &#x201A;Meistern&#x2018;<a href="36_Footnote03.html#fn07-316" id="fn07_316"><span class="sup">317</span></a> Andererseits wandte er sich mit der Betonung artistischer Meisterschaft in seinem programmatischen, jedoch &#x00E4;u&#x00DF;erst verdichteten Aufsatz &#x201E;Determinanten der Minne&#x201C; gegen die damals virulenten anachronistischen Verabsolutierungen sozialgeschichtlicher Deutungen, die die h&#x00F6;fische Literatur insgesamt als &#x201E;naturalistische Abbildung&#x201C; begriffen oder an ihren Autoren eine &#x201E;sozialpsychologische Mechanik&#x201C; festgemacht <a id="page_120"></a>h&#x00E4;tten.<a href="36_Footnote03.html#fn07-317" id="fn07_317"><span class="sup">318</span></a> Da weder die Texte die Herrschaftsstrukturen der adligen Oberschicht als Realit&#x00E4;t reproduzierten noch die Autoren st&#x00E4;ndespezifisch eindeutig zugeordnet werden k&#x00F6;nnten, vielmehr Texte wie Lebenswelt das Beherrschen von &#x201E;den <span class="italic">artes liberales</span> der lateinischen Kirche&#x201C; analogen, man k&#x00F6;nnte sagen, h&#x00F6;fischen &#x201A;K&#x00FC;nsten&#x2018;<a href="36_Footnote03.html#fn07-318" id="fn07_318"><span class="sup">319</span></a> einforderten, wie &#x201E;ein Heer f&#x00FC;hren, [&#x2026;] Recht sprechen, aber auch Fechten, Reiten, Jagen, Fischen, Tischzucht [&#x2026;], Tanzen, Singen, literarische Unterhaltung&#x201C;, sei die geburtsst&#x00E4;ndische Struktur von Herrschaft und Dienstbarkeit &#x201E;&#x00FC;berdeckt durch [&#x2026;] die freie Konkurrenz der &#x201A;artistischen&#x2018; Kompetenz, eine Interaktion von Meisterschaft und Sch&#x00FC;lerschaft&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-319" id="fn07_319"><span class="sup">320</span></a> Im Blick auf die &#x201A;sch&#x00F6;nen K&#x00FC;nste&#x2018; behielten diese, wie die h&#x00F6;fische Literatur des 12. und 13.Jahrhunderts, zwar &#x201E;im aristokratischen Gebrauch den systemerhaltenden Luxus-Charakter&#x201C; bis weit in die Neuzeit hinein und stabilisierten als &#x201E;Luxus-Kunst&#x201C; die Herrschaftsstrukturen des Adels, doch auch hier, wie schon bei den &#x201A;h&#x00F6;fischen <span class="italic">artes</span>&#x2018;, setze &#x201E;die freie Konkurrenz im &#x201A;artistischen&#x2018; Meistertum eine wenn auch vage Autonomie der &#x201A;Kunst&#x2018; frei&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-320" id="fn07_320"><span class="sup">321</span></a> Produzent solcher Kunst k&#x00F6;nne &#x201E;jeder sein, der die &#x201A;artistische&#x2018; Kompetenz f&#x00FC;r aristokratische Privilegien besitzt [&#x2026;], d.h. ihre Techniken, in der Kunst also bildnerische, musikalische, literarische Techniken, praktisch beherrscht&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-321" id="fn07_321"><span class="sup">322</span></a></p>
<p class="indent">Meisterschaft impliziert demnach hier zun&#x00E4;chst einmal K&#x00F6;nnerschaft und ist, auch wenn K<span class="small">UHN</span> gelegentlich zwischen adligen Laienund Berufsmeistern, ja sogar b&#x00FC;rgerlichem Meistertum<a href="36_Footnote03.html#fn07-322" id="fn07_322"><span class="sup">323</span></a> differenziert, gerade nicht sozial fixiert. Das K&#x00F6;nnen z&#x00E4;hlt, nicht etwa Geburt oder Herkunft, und dies verbindet oder trennt die Meister der jeweiligen <span class="italic">ars</span> und k&#x00F6;nnte als Ferment einer Art Gruppenidentit&#x00E4;t jenseits der eingespielten Ordnungen gedeutet werden. Dass Meisterschaft keineswegs exklusiv f&#x00FC;r die Dichtkunst reserviert, sondern in den verschiedenen, historisch variierenden <span class="italic">artes</span>-Reihen verankert ist, die K<span class="small">UHN</span> quasi um die Reihe genuin h&#x00F6;fischer <span class="italic">artes</span> erweitert, bringt die Wendung &#x201A;artistische Meisterschaft&#x2018; pr&#x00E4;gnant auf den Begriff. Er bezeichnet, so k&#x00F6;nnte man sagen, die noch systemische Ungeschiedenheit bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Ordnungen des Wissens, der <span class="italic">artes</span> und der sp&#x00E4;ter, in der Neuzeit, als &#x201A;sch&#x00F6;n&#x2018; bezeichneten K&#x00FC;nste. Kuhns &#x00DC;berlegungen zur artistischen Meisterschaft sind eingespannt und gewisserma&#x00DF;en ein Baustein seiner forschungsgeschichtlich so <a id="page_121"></a>wirkungsm&#x00E4;chtigen Theoreme zur h&#x00F6;fischen Literatur und ihrer Funktion f&#x00FC;r die sich etablierende h&#x00F6;fisch-laikale Kultur und Emanzipation der Laien aus der Deutungshoheit der Kirche. Mit der Abl&#x00F6;sung der h&#x00F6;fischen Dichtung aus ihrer unmittelbaren Gebrauchssituation und den praktischen Lebensvollz&#x00FC;gen und mit der allm&#x00E4;hlich sich stabilisierenden Interaktion von Meisterschaft und Sch&#x00FC;lerschaft scheint sich f&#x00FC;r K<span class="small">UHN</span> &#x201A;Literatur&#x2018; in Richtung auf einen emphatischen Begriff von &#x201A;Kunst&#x2018; zu wandeln. Ihr kulturhistorischer Status h&#x00E4;tte sich damit entscheidend ver&#x00E4;ndert: Von der &#x201A;Literatur vor der Literatur&#x2018;,<a href="36_Footnote03.html#fn07-323" id="fn07_323"><span class="sup">324</span></a> so k&#x00F6;nnte man es mit einem Schlagwort der gegenw&#x00E4;rtigen Diskussion reformulieren, w&#x00FC;rde sie allm&#x00E4;hlich zum sozialen System und zum &#x00E4;sthetischen Artefakt umfunktioniert. Diese sich anbahnende funktionale und strukturelle Differenz<a href="36_Footnote03.html#fn07-324" id="fn07_324"><span class="sup">325</span></a> zwischen einer h&#x00F6;fischen Literatur und den praktischen Vollz&#x00FC;gen von Herrschaft und Dienst wird nicht zuletzt auch durch eine sich verselbstst&#x00E4;ndigende und Kontinuit&#x00E4;ten stiftende Meisterschaft kompetenter und konkurrierender Experten der Wortkunst begr&#x00FC;ndet.</p>
<p class="indent">H<span class="small">UGO</span> K<span class="small">UHN</span> hat, so meine ich, mit artistischer Meisterschaft auf eine zentrale kulturelle Formation f&#x00FC;r die Dichtkunst und die <span class="italic">artes</span> des Mittelalters aufmerksam gemacht, und seine Ausf&#x00FC;hrungen k&#x00F6;nnen als Versuch gelesen werden, Ans&#x00E4;tze eines Institutionalisierungsprozesses der profanen Literatur der Vormoderne zu beschreiben und &#x00FC;ber die Kategorie der Meisterschaft zu erfassen, die dann als ein bedeutsamer Aspekt der Kommunikation in oder &#x00FC;ber Literatur und ihrer Urheber zu verstehen w&#x00E4;re. Derart kommentiert auch R<span class="small">AINER</span> W<span class="small">ARNING</span>: &#x201E;Man kann also K<span class="small">UHN</span>s Hinweis auf das Interaktionsverh&#x00E4;ltnis von Meisterschaft und Sch&#x00FC;lerschaft im Minnesang als die historische Applikation und Konkretion einer Fundamentalkategorie fassen, &#x00FC;ber die sich Kunst generell als soziale Institution ausdifferenziert.&#x201C;<a href="36_Footnote03.html#fn07-325" id="fn07_325"><span class="sup">326</span></a></p>
<p class="indent">Freilich wird man K<span class="small">UHNS</span> weitreichende und vielschichtige &#x00DC;berlegungen zuallererst am Material verifizieren, aber auch kritisch hinterfragen m&#x00FC;ssen. Das betrifft nicht nur die gro&#x00DF;en, allerdings von ihm nur angedeuteten Thesen zu &#x201A;Autonomie&#x2018; und &#x201A;Kunst&#x2018;, sondern weit bescheidener seine literarhistorischen Pr&#x00E4;missen. Problematisch erscheinen mir sowohl die zu strikte Dichotomisierung volkssprachlich <a id="page_122"></a>laikaler versus lateinisch klerikaler Kultur, die, und zwar nicht allein im Blick auf Meisterschaft, die Abtrennung eines relativ engen Bereichs weltlicher Dichtung<a href="36_Footnote03.html#fn07-326" id="fn07_326"><span class="sup">327</span></a> aus der mittelalterlichen Textpraxis und literarischen Kommunikation bedeutet, als auch die kulturund literarhistorischen Implikationen des K<span class="small">UHN</span>schen Konzepts. Artistische Meisterschaft ist bereits Signum der h&#x00F6;fischen Kultur und Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, sie markiert jedoch dar&#x00FC;ber hinaus literarhistorisch auch eine Art &#x201A;Epochenschwelle&#x2018;, die am &#x00DC;bergang von der Auff&#x00FC;hrung zur Schrift, aber auch an der allm&#x00E4;hlichen Herausl&#x00F6;sung der laikalen Literatur aus der lateinischen Schriftund &#x00DC;berlieferungskultur festgemacht wird.&#x00B9;<a href="36_Footnote03.html#fn07-327" id="fn07_327"><span class="sup">328</span></a> Artistische Meisterschaft mutiert zur Meisterschaft der sog. &#x201A;neuen kunstmeisterlichen&#x2018; Literaten.&#x00B9;<a href="36_Footnote03.html#fn07-328" id="fn07_328"><span class="sup">329</span></a> Als solche setzt K<span class="small">UHN</span> sie erst eigentlich in der Mitte des 13. Jahrhunderts an und situiert sie vornehmlich auf der laikalen Seite und vernachl&#x00E4;ssigt derart, zumindest in seinen mir bekannten, verstreuten &#x00C4;u&#x00DF;erungen, eine ganze Reihe von Texten geistlicher oder aber &#x201A;gelehrter&#x2018; Provenienz, die elaboriert am Meisterschaftsdiskurs partizipieren.&#x00B9;<a href="36_Footnote03.html#fn07-329" id="fn07_329"><span class="sup">330</span></a> Der Begriff und Status von Meisterschaft, aber auch der Gegenstand seiner &#x00DC;berlegungen bleiben mithin vage: Ist es eine generalisierend eingesetzte und einsetzbare Metapher f&#x00FC;r Exklusivit&#x00E4;t und K&#x00F6;nnen, eine spezifische Reihe an Texten oder das Lexem Meister in der h&#x00F6;fischen Literatur, woraus K<span class="small">UHN</span> die artistische Meisterschaft der Literaten ableitet? Changierend zwischen verschiedenen Ebenen begreift er sie n&#x00E4;mlich einerseits im Sinne einer besonderen Formkunst, als &#x201E;artistische Brillanz&#x201C; verstanden als &#x201E;&#x201A;Technik&#x2018;&#x201C;<a href="36_Footnote03.html#fn07-330" id="fn07_330"><span class="sup">331</span></a>, oder als &#x201E;stilistische[s] Experimentieren&#x201C;, also als Stilkategorie zu <a id="page_123"></a>Zeiten von &#x201E;Minnesangs Wende&#x201C;,<a href="36_Footnote03.html#fn07-331" id="fn07_331"><span class="sup">332</span></a> andererseits als &#x201A;soziologische&#x2018; und insofern auch als soziale Praxis.</p>
<p class="indent">Dagegen ist einzuwenden, dass Meisterschaft zun&#x00E4;chst einmal als eine diskursive Formation der mittelalterlichen Texte und nur als solche zu betrachten ist. Dieser textimmanente Meisterschaftsdiskurs d&#x00FC;rfte auch H<span class="small">UGO</span> K<span class="small">UHN</span> zu seinen Meisterschafts&#x00FC;berlegungen inspiriert haben, insbesondere die sp&#x00E4;tmittelalterliche Lyrik und Spruchdichtung,&#x00B9;<a href="36_Footnote03.html#fn07-332" id="fn07_332"><span class="sup">333</span></a> auch wenn er auf fr&#x00FC;he Meistertitulaturen etwa bei Hartmann von Aue, Gottfried von Stra&#x00DF;burg oder Wolfram von Eschenbach gelegentlich hinweist.<a href="36_Footnote03.html#fn07-333" id="fn07_333"><span class="sup">334</span></a></p>
<p class="indent">Literarhistorisch, forschungsgeschichtlich und gattungsspezifisch ist es in erster Linie die sp&#x00E4;tere Spruchdichtung, die mit dem Begriff des <span class="italic">meisters</span> und der <span class="italic">meisterschaft</span> assoziiert wird und die, so K<span class="small">ARL</span> S<span class="small">TACKMANN</span>, auf dem Wege zur <span class="italic">meisterlichen kunst</span> sei. Bereits S<span class="small">TACKMANN</span> wollte dann auch bei seiner summarischen Sichtung der Meisterbelege spruchdichterischer Texte in der &#x201E;&#x00DC;bernahme des Wortes <span class="italic">meister</span>&#x201C; geradezu das erkennen, was unhistorisch heute als Spruchdichter, also als Verfasser spruchhafter Strophen, bezeichnet werde, warnte jedoch zugleich vor der vereindeutigenden, letztlich abwertenden Gleichsetzung von Meisterschaft mit den &#x201E;meistersingerische[n] Schulgesetze[n]&#x201C;, im Sinne einer &#x201E;pedantischen Befolgung mechanisch anwendbarer Dichtregeln&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-334" id="fn07_334"><span class="sup">335</span></a> Im Gebrauch des &#x201E;Fachwortes&#x201C; ,Meister&#x2018; zeige sich allerdings eine historische Verschiebung: Meisterschaft komme erst im Laufe des 13. Jahrhunderts, nach Walther, in den Blick, bedeute zun&#x00E4;chst ausschlie&#x00DF;lich &#x2013; und das hat vor kurzem noch einmal K<span class="small">LAUS</span> G<span class="small">RUBM&#x00FC;LLER</span> betont &#x2013; die legitimatorische Partizipation an der Autorit&#x00E4;t <span class="italic">&#x201E;</span>der anderen&#x201C; und werde erst im Laufe des 14. Jahrhunderts zu einem Begriff der &#x201E;Selbsterm&#x00E4;chtigung des Dichters&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-335" id="fn07_335"><span class="sup">336</span></a> Die K<span class="small">UHN</span>sche Schwelle zur Meisterschaft scheint sich im Kontext der Spruchdichtung zu best&#x00E4;tigen. <a id="page_124"></a>Es ist deshalb kaum erstaunlich, dass etliche Studien, die in j&#x00FC;ngster Zeit Meisterschaft in den Mittelpunkt r&#x00FC;ckten oder mit Meisterschaft argumentierten, sich auf die Lyrik oder die Spruchdichtung des Sp&#x00E4;tmittelalters konzentrieren. In der Applikation der Meisterterminologie als Analyseinstrument zeichnet sich freilich auch hier, wie schon bei K<span class="small">UHN</span>, eine gewisse Unsch&#x00E4;rfe, Verselbstst&#x00E4;ndigung oder Ausweitung ab. Unabh&#x00E4;ngig vom faktischen Gebrauch des Wortes <span class="italic">meister</span> in den Texten oder nur noch in Anlehnung daran wird literarische Meisterschaft in aller Regel generalisierend f&#x00FC;r Kunstfertigkeit, metaphorisch f&#x00FC;r formal-rhetorische Versiertheit eingesetzt oder steht f&#x00FC;r ein spezifisch poetisches oder stilistisches Konzept.<a href="36_Footnote03.html#fn07-336" id="fn07_336"><span class="sup">337</span></a></p>
<p class="indent">Wenn inzwischen Meisterschaft zum &#x201A;Schl&#x00FC;sselbegriff&#x2018; f&#x00FC;r die Literatur des Sp&#x00E4;tmittelalters avanciert, so gilt das nicht nur f&#x00FC;r Minnesang und Spruchdichtung, sondern evidenterma&#x00DF;en auch f&#x00FC;r die Epik, in der, wie etwa in den ambitionierten Prologen Konrads von W&#x00FC;rzburg oder Rudolfs von Ems,<a href="36_Footnote03.html#fn07-337" id="fn07_337"><span class="sup">338</span></a> metapoetisch die eigene Dichtkunst in Relation zu anderen <span class="italic">artes</span> oder <span class="italic">meistern</span> reflektiert und verhandelt wird. Und wenn also &#x00FC;ber Meisterschaft &#x201E;die Dichter ihr Selbstverst&#x00E4;ndnis bestimmen&#x201C;<a href="36_Footnote03.html#fn07-338" id="fn07_338"><span class="sup">339</span></a> stellt sich im Blick auf die vorausgegangenen Perioden der volkssprachlichen Texte die Frage, in welcher kulturellen Formation der sich im 13. Jahrhundert zunehmend ausdifferenzierende Meisterschaftsdiskurs verankert ist und seinen Anfang genommen hat und welche Konzepte und Geltungsanspr&#x00FC;che in der fr&#x00FC;hen Textpraxis, v.a. der h&#x00F6;fischen Epik, sich mit dem Lexem Meister verbinden. Methodisch sollte dabei vom konkreten literarischen Verwendungszusammenhang der Meisterbelege ausgegangen werden, um so strikt den Logiken und Semantiken der Selbstbeschreibungen der literarischen Texte zu folgen.</p>
<h3 class="section1" id="head031"><span class="bold"><a id="page_125"></a>Zur Semantik der Bezeichnung &#x201A;Meister&#x2018;</span></h3>
<p class="noindent">Die Meisterbelege vor allem der fr&#x00FC;hen volkssprachlichen Texte haben bislang in der Forschung nur wenig Beachtung gefunden, obgleich man auf einen Terminus trifft, der wie <span class="italic">schrift</span>, <span class="italic">rede</span>, <span class="italic">buoch</span>, <span class="italic">hoeren</span>, <span class="italic">lesen</span> zu jenen im &#x201A;Wortfeld des Textes&#x2018;<a href="36_Footnote03.html#fn07-339" id="fn07_339"><span class="sup">340</span></a> zu geh&#x00F6;ren scheint, &#x00FC;ber die die volkssprachliche Literatur ihre Praktiken von Produktion, Rezeption und Distribution thematisiert und reflektiert, vor allem aber Anspruch und Geltung des Literarischen programmatisch einfordert und ausstellt. Wie f&#x00FC;r jene wurde auch f&#x00FC;r das Lexem <span class="italic">meister</span>, <span class="italic">meisterschaft</span>, <span class="italic">meisterlich</span> eine &#x201E;diffuse Semantik&#x201C; konstatiert, die, so K<span class="small">URT</span> G<span class="small">&#x00E4;RTNER</span>, eine blo&#x00DF;e eins zu eins &#x00DC;bertragung von <span class="italic">meister</span> ins Neuhochdeutsche verunm&#x00F6;gliche, da die Semantik des Lehnwortes &#x2013; von lat. <span class="italic">magister</span> &#x2013; zwischen Lehrer, Gelehrtem und Verfasser oszilliere.&#x00B2;<a href="36_Footnote03.html#fn07-340" id="fn07_340"><span class="sup">341</span></a> Dementsprechend &#x00FC;berging die Forschung h&#x00E4;ufig stillschweigend die volkssprachlichen Meistertitulaturen, klopfte sie allenfalls je nach der situativen Verortung der Texte sozial-st&#x00E4;ndisch fest. Beim prominentesten Beispiel, Meister Gottfried von Stra&#x00DF;burg, der &#x2013; ganz im Gegensatz zu Wolfram von Eschenbach &#x2013; in den metapoetischen Vorl&#x00E4;uferberufungen etwa Rudolfs von Ems, Konrads von W&#x00FC;rzburg, Konrads von Stoffeln, Heinrichs von Freiberg<a href="36_Footnote03.html#fn07-341" id="fn07_341"><span class="sup">342</span></a> nahezu ausnahmslos als Meister tituliert wird, wollte die &#x00E4;ltere Forschung darin den gelehrten Magister oder aufgrund der vermuteten stadtb&#x00FC;rgerlichen Herkunft sogar den Handwerksmeister erkennen. Die neuere Forschung betont hingegen, dass das Meister-Attribut &#x201E;in einen Diskurs &#x00FC;ber den Rang&#x201C; Gottfrieds und &#x00FC;ber ihn &#x201E;als Leitfigur&#x201C; der h&#x00F6;fischen Dichtung platziert sei.<a href="36_Footnote03.html#fn07-342" id="fn07_342"><span class="sup">343</span></a></p>
<p class="indent">Die semantische Unsch&#x00E4;rfe von Meisterschaft oder eigentlich besser ihr offenes Referenzpotential scheint in der Tat ein intrikates Problem zu sein. Doch ist diese vermeintliche &#x201A;Schw&#x00E4;che&#x2018; des Lexems wom&#x00F6;glich geradezu seine St&#x00E4;rke.</p>
<p class="indent"><a id="page_126"></a>Sichtet man die fr&#x00FC;hen bereits signifikant h&#x00E4;ufig vorkommenden<a href="36_Footnote03.html#fn07-343" id="fn07_343"><span class="sup">344</span></a> Meisterbelege und zieht die &#x00E4;lteren, freilich noch immer einschl&#x00E4;gigen Studien<a href="36_Footnote03.html#fn07-344" id="fn07_344"><span class="sup">345</span></a> heran, zeigt sich, angefangen bei den althochdeutschen Texten, eine sukzessive Extension der Meisterbezeichnungen im 12. Jahrhundert: Ist im Althochdeutschen in Anlehnung an die biblische Verwendung die Bezeichnung nahezu ausschlie&#x00DF;lich f&#x00FC;r Magister/Lehrer/ Herr/Christus reserviert, erstreckt sie sich in zunehmender Erweiterung im Mittelhochdeutschen und in der h&#x00F6;fischen Literatur um 1200 auf alle <span class="italic">artes</span>-Reihen. Symptomatisch daf&#x00FC;r scheint Gottfrieds <span class="italic">Tristan</span> zu sein, in dem das Wort Meister ebenso auf einen Dichter wie auf den Erzieher und Lehrer, den Harfner und Musiker, den J&#x00E4;germeister, Waffenmeister, Schiffsmeister und auf die Heilkundige appliziert wird. Meisterschaft hat <span class="italic">artes</span>-&#x00FC;bergreifende Relevanz und Geltung. Der Terminus erweist sich somit als flexibel und anpassungsf&#x00E4;hig an die jeweiligen pragmatischen Situationen und kann die verschiedensten, auch sozialen Konnotationen eingehen, grunds&#x00E4;tzlich aber, und das ist das Entscheidende&#x201A; bringt er &#x00DC;bertreffen, &#x00DC;berlegensein und damit Autorit&#x00E4;t zum Ausdruck. Das trifft f&#x00FC;r den gelehrten Magister ebenso zu wie f&#x00FC;r die etwa bei Konrad von W&#x00FC;rzburg im sp&#x00E4;ten 13. Jahrhundert zitierten Meister anderer <span class="italic">artes</span> und Handwerke.<a href="36_Footnote03.html#fn07-345" id="fn07_345"><span class="sup">346</span></a> Ihnen wird K&#x00F6;nnen, Kompetenz und Rang attestiert, mithin eine verbindliche <span class="italic">auctoritas</span> zugebilligt, d.h. eine &#x201E;absolut h&#x00F6;chste &#x00DC;berlegenheit, die jemand in seinem Umfeld erreichen kann [&#x2026;], den obersten Punkt der Hierarchie&#x201C;,<a href="36_Footnote03.html#fn07-346" id="fn07_346"><span class="sup">347</span></a> und damit auch ein Qualit&#x00E4;tsurteil &#x00FC;ber ihre Artefakte getroffen. Deshalb sollte man auch in &#x201A;Kunstkontexten&#x2018; Meisterschaft weder einseitig mit Gelehrtheit noch allein mit dem Handwerk und dessen technischen Fertigkeiten verrechnen, sondern mit der <a id="page_127"></a>Fusion beider Momente, wie auch die zeitgen&#x00F6;ssischen Diskurse dem <span class="italic">artifex</span> durchaus g&#x00F6;ttlich inspirierte <span class="italic">sapientia</span> und <span class="italic">ars</span> gleicherma&#x00DF;en bescheinigen.<a href="36_Footnote03.html#fn07-347" id="fn07_347"><span class="sup">348</span></a></p>
<p class="indent">Ausgehend von diesem der Meisterschaft inh&#x00E4;renten Qualifizierungsdiskurs, mit dem zugleich unterschiedlich semantisierte Normierungs-, aber vor allem auch Abgrenzungsvorg&#x00E4;nge und damit in personaler Konkretisierung auch Rangstreit und agonale Strukturen einhergehen, zeichnen sich meiner Ansicht nach zwei Aspekte ab, die bereits f&#x00FC;r die Meisterdiskussion der volkssprachlichen Texte vor und um 1200 konstitutiv und f&#x00FC;r das Potential des Wortes und des Konzepts von Meisterschaft distinkt sind. Zum einen der f&#x00FC;r das Medium des Literarischen zentrale Aspekt: Meisterschaft als Akt der Zuschreibung und Valorisierung, wor&#x00FC;ber sich Meisterschaft als grundlegender Terminus textueller Praktiken erweist. Zum anderen: Meisterschaft und die <span class="italic">artes</span>, d.h. der interartifizielle Aspekt, bei dem der Diskurs der &#x201A;K&#x00FC;nste&#x2018; in der volkssprachlichen Literatur im Vordergrund steht. So gesehen, reiht sich die Dichtkunst oder die <span class="italic">ars versificatoria</span>, die in der gelehrten Wissensordnung traditionell Grammatik und Rhetorik der <span class="italic">septem artes</span> zugeschlagen wird, also keinen genuinen systematischen Ort hat, seit dem 12. Jahrhundert in das weite Feld der <span class="italic">artes</span> ein. Die &#x201A;weiteren&#x2018; <span class="italic">artes</span> werden zudem in den variierenden Reihen der <span class="italic">artes mechanicae</span> sowie der <span class="italic">artes magicae</span> systematisiert,<a href="36_Footnote03.html#fn07-348" id="fn07_348"><span class="sup">349</span></a> womit die Abgleichung ihrer jeweiligen Verm&#x00F6;gen und Kriterien provoziert, zuvorderst aber der <span class="italic">artes</span>-Charakter der Dichtkunst profiliert und Meisterschaft offenkundig artistisch konnotiert wird.</p>
<h3 class="section1" id="head032"><span class="bold">Meisterschaft und die <span class="italic">artes</span> &#x2013; der interartifizielle Aspekt</span></h3>
<p class="noindent">Der Gottfriedsche <span class="italic">Tristan</span> mit seinem Aufgebot an Meistern der <span class="italic">artes</span>, die in ihrer Auff&#x00E4;cherung das weite Spektrum der <span class="italic">artes</span>-Reihen nahezu abdecken und teils wie etwa Musik oder Jagdkunst in praxi vorgef&#x00FC;hrt werden, ist um 1200 sicherlich singul&#x00E4;r und <a id="page_128"></a>stellt in der mhd. Literatur ein Novum dar, so dass Meisterschaft und Artifizialit&#x00E4;t geradezu als zentrales Thema des Textes betrachtet werden k&#x00F6;nnen, das bislang in der Forschung allenfalls unter dem emphatisch aufgeladenen Signum &#x201A;Tristan als K&#x00FC;nstler&#x2018; Beachtung fand. Die Pr&#x00E4;sentation von K&#x00FC;nsten im Medium des Literarischen ist jedoch kein Spezifikum des <span class="italic">Tristan</span>; spezifisch f&#x00FC;r diesen Text ist der forcierte Diskurs von Meisterschaft und <span class="italic">artes</span>, der in der Figur Tristans kulminiert.</p>
<p class="indent">Vernachl&#x00E4;ssigt man einmal die gattungstypologischen Differenzen und die in den literarischen Texten auch durch ihre Stoffe und Vorlagen bedingten imaginierten Welten, die spezifische Themenbereiche favorisieren, zeigt sich im 12. Jahrhundert zun&#x00E4;chst eine Pr&#x00E4;ferenz f&#x00FC;r die im weitesten Sinne &#x201A;bildnerischen K&#x00FC;nste&#x2018; mit ihren materialisierten Objekten, die mehr oder weniger ausf&#x00FC;hrlich thematisiert und beschrieben werden: zuvorderst die Kleinkunst, u.a. mit Textilien oder Goldschmiede-, &#x00FC;berhaupt Schmiedekunst, dann Architektur und schlie&#x00DF;lich Malerei, Bildhauerei.<a href="36_Footnote03.html#fn07-349" id="fn07_349"><span class="sup">350</span></a> Man hat solche im Medium Literatur simulierten &#x201A;Kunstobjekte&#x2018; bereits ausf&#x00FC;hrlich diskutiert, und zwar im Kontext von <span class="italic">descriptio</span> und Ekphrasis, von Pr&#x00E4;senzund Visualisierungsstrategien.<a href="36_Footnote03.html#fn07-350" id="fn07_350"><span class="sup">351</span></a> Im Zusammenhang solcher Artefakte trifft man dann auch auf die signifikante Verbindung von <span class="italic">ars</span> und Meisterschaft. Diese Koinzidenz unterstreicht den <span class="italic">ars</span>-Charakter, fungiert als Auszeichnung und Valorisierung und akzentuiert in personaler Konkretion der Bindung eines Werks an seinen Urheber, einen Meister, den Akt der Kreation oder Herstellung.</p>
<p class="indent">Eine solche Koinzidenz von Meisterschaft und &#x201A;Bildkunst&#x2018; findet sich bereits in der <span class="italic">Kaiserchronik</span>.<a href="36_Footnote03.html#fn07-351" id="fn07_351"><span class="sup">352</span></a> Semantisch bewegt sich der Text mit seiner F&#x00FC;lle an Meisterbelegen bis auf wenige Stellen noch in den Konventionen des Althochdeutschen. In der umcodierenden Relekt&#x00FC;re einer seit der Antike vielfach variierten Erz&#x00E4;hlung &#x201A;vom ehernen Stier&#x2018; des Tyrannen Phalaris und dem K&#x00FC;nstler Perillus jedoch, die in der <span class="italic">Kaiserchronik</span> dem r&#x00F6;mischen K&#x00F6;nig Nerva (96&#x2013;98 n. Chr.) zugeschrieben ist, wird ein <span class="italic">listwurch&#x00E6;re</span> <a id="page_129"></a>(V.5686)<a href="36_Footnote03.html#fn07-352" id="fn07_352"><span class="sup">353</span></a> &#x2013; ein Artifex &#x2013;, und zwar eines <span class="italic">pildes maister</span> (V.5772), thematisiert, der in einem speziell daf&#x00FC;r eingerichteten <span class="italic">unm&#x00E2;zen michel gadem</span> (V. 5717) mit <span class="italic">werchliute</span>[<span class="italic">n</span>] (V.5728) gemeinsam ein <span class="italic">werch</span> (V.5732), hier ein automatenartiges, gusseisernes Pferd, erschafft. Zwar stehen in der <span class="italic">Kaiserchronik</span> die <span class="italic">ars</span> und der Artifex unter dem negativen Vorzeichen der <span class="italic">crudelitas</span>, weshalb das Werk und des <span class="italic">listes meister</span> schlussendlich verbrannt werden; dennoch wird der Herstellungsprozess eines Artefakts in durchaus einschl&#x00E4;giger Terminologie detailliert geschildert und dem in der <span class="italic">Kaiserchronik</span> namenlos bleibenden Meister ausdr&#x00FC;cklich <span class="italic">maisterscaft</span> (V. 5789) im Sinne einer <span class="italic">urm&#x00E6;re list</span> / [die] <span class="italic">noh hiute unrefunden ist</span> (V.5827f.), attestiert. Meisterschaft impliziert hier das auch &#x2013; arkane &#x2013; Herstellungswissen und die praktische Ausf&#x00FC;hrung dieser <span class="italic">wunderl&#x00EE;chen list</span> (V.5688), die allerdings ebenso wie ihr Urheber dem Untergang geweiht ist.</p>
<p class="indent">Im Zuge der Extension von Meisterbezeichnungen auf weitere und andere <span class="italic">artes</span> in den fr&#x00FC;hen h&#x00F6;fischen Epen<a href="36_Footnote03.html#fn07-353" id="fn07_353"><span class="sup">354</span></a> kommt Meisterschaft, anders als etwa in der <span class="italic">Kaiserchronik</span>, dann auch zunehmend f&#x00FC;r die Dichtkunst in den Blick und fungiert als verbindendes &#x2013; interartifizielles &#x2013; Moment zwischen den K&#x00FC;nsten.</p>
<p class="indent">Heinrichs von Veldeke <span class="italic">Eneas</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-354" id="fn07_354"><span class="sup">355</span></a> kann als eines der fr&#x00FC;hesten Beispiele daf&#x00FC;r gelten. Am Werke sind dort drei namentlich ausgewiesene Meister,<a href="36_Footnote03.html#fn07-355" id="fn07_355"><span class="sup">356</span></a> die das ganze Feld der <span class="italic">artes</span> besetzen:<a href="36_Footnote03.html#fn07-356" id="fn07_356"><span class="sup">357</span></a> der prominente Schmiedgott Volc&#x00E2;n,<a href="36_Footnote03.html#fn07-357" id="fn07_357"><span class="sup">358</span></a> der die R&#x00FC;stung des <a id="page_130"></a>Eneas herstellt (V.5595&#x2013;5830) und die <span class="italic">armatura</span> (Waffenschmiedekunst) der <span class="italic">artes mechanicae</span> vertritt, der &#x201A;<span class="italic">sapiens architectus</span>&#x2018; G&#x00EA;ometras (V. 9385&#x2013;9574), der das Grabmal der K&#x00F6;nigin Camilla verantwortet und gleicherma&#x00DF;en der <span class="italic">armatura</span> (Architektur) wie dem Quadrivium zugeh&#x00F6;rt, und schlie&#x00DF;lich, im Epilog (V.13429&#x2013;13528), der f&#x00FC;r das Trivium zust&#x00E4;ndige Meister des Buches, <span class="italic">Heinr&#x00EE;ch,</span> / <span class="italic">derz &#x00FB;</span>zer <span class="italic">welschen b&#x00FB;chen las,</span> / <span class="italic">da ez von lat&#x00EE;ne getihtet was</span> [&#x2026;] <span class="italic">diu b&#x00FB;ch heizent &#x00CA;neide,</span> / <span class="italic">diu Virgilj&#x00FB;s d&#x00E2; von screib</span> (V. 13506&#x2013;13511). Zudem finden sich noch zwei Meisterinnen, die beiden ironisch relativierten G&#x00F6;ttinnen Pallas und Arachne, die einst im Rangstreit beim Weben der Fahne, die Venus ihrem Sohn &#x00FC;berlie&#x00DF;, um die <span class="italic">meisterschaft</span> (V.5811) konkurrierten. Den Meisterdiskurs hat in den entsprechenden Passagen, die den <span class="italic">artes mechanicae</span> zuzurechnen sind, bereits die altfranz&#x00F6;sische Vorl&#x00E4;uferversion, der <span class="italic">Roman d&#x2019;Eneas</span>, eingef&#x00FC;hrt. Der deutsche Text jedoch setzt auch im Blick auf Meisterschaft etwas andere Akzente. Wie in der Vorlage ist zwar auch Volc&#x00E2;n zugleich Gott und <span class="italic">meister</span> (V.5603; V.5797), im franz&#x00F6;sischen Text sogar explizit ein <span class="italic">maistre del mestier</span> (V.4359). Allerdings sind der die <span class="italic">descriptio</span> im <span class="italic">Roman d&#x2019;Eneas</span> dynamisierende<a href="36_Footnote03.html#fn07-358" id="fn07_358"><span class="sup">359</span></a> Herstellungsprozess von R&#x00FC;stung, Schwert und Schild in der Schmiedewerkstatt und die Erprobung der Schlagkraft des Schwertes auf dem Amboss bei Veldeke in seiner nun straffer strukturierten und am Detail orientierten Beschreibung nur noch angedeutet. Nicht dass die Werkherrschaft des g&#x00F6;ttlichen Meisters etwa zur&#x00FC;ckgedr&#x00E4;ngt w&#x00FC;rde, seine Verm&#x00F6;gen sind vielmehr geradezu magisch umgelenkt in die einzelnen Teile der R&#x00FC;stung. Im <span class="italic">Roman d&#x2019;Eneas</span> inskribiert Vulcans sogar auf das Schwert in goldenen Lettern Merkzeichen und seinen Namen, hinterl&#x00E4;sst also zugleich magisch seine Kraft qua Graphie und eine Signatur, die die Werkurheberschaft markiert. Dennoch liegt bekannterma&#x00DF;en das Augenmerk in beiden <span class="italic">descriptiones</span> auf der unmittelbaren Pr&#x00E4;senz der Gegenst&#x00E4;nde in ihrer materialen Kostbarkeit und ihrer funktionalen Bedeutung f&#x00FC;r die Unbezwingbarkeit des Helden.<a href="36_Footnote03.html#fn07-359" id="fn07_359"><span class="sup">360</span></a> Das Werk des Volc&#x00E2;n, die au&#x00DF;ergew&#x00F6;hnliche R&#x00FC;stung, r&#x00FC;ckt in den Mittelpunkt. Sie hebt sich deutlich von einer gew&#x00F6;hnlichen ab, indem sie funktional wie &#x201A;&#x00E4;sthetisch&#x2018; valorisiert erscheint und insofern auch zum Artefakt aufgewertet wird.</p>
<p class="indent">Anders hingegen Meister G&#x00EA;ometras: Auch bei dem monumentalen, paganen Grab-Mirabilium der K&#x00F6;nigin Camilla liegt wie bei Vulcanus der Fokus zun&#x00E4;chst auf der in Anlage und Proportionen &#x00E4;u&#x00DF;erst genauen <span class="italic">descriptio</span> des architektonischen Artefakts.<a href="36_Footnote03.html#fn07-360" id="fn07_360"><span class="sup">361</span></a> Gegen&#x00FC;ber dem <span class="italic">Roman d&#x2019;Eneas</span>, der mit auszeichnender Funktion an <a id="page_131"></a>mehreren Stellen die <span class="italic">maistrie</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-361" id="fn07_361"><span class="sup">362</span></a> als abstrakte Gr&#x00F6;&#x00DF;e postuliert, die Beschreibung aber aus dem Blickwinkel der Herstellung des Bauwerks pr&#x00E4;sentiert,<a href="36_Footnote03.html#fn07-362" id="fn07_362"><span class="sup">363</span></a> personifiziert der deutsche Text Meisterschaft und Fabrikation in der Figur eines Meisters und macht das exorbitante Grabmal zu seinem Werk. Doch hier wird in der Personifikation nicht nur ein Abstraktum belebt, sondern auch das allgemeine Meisterschaftspostulat konkretisiert zur &#x201A;Funktionsbezeichnung&#x2018; des <span class="italic">werkes meister</span> (V. 9428),<a href="36_Footnote03.html#fn07-363" id="fn07_363"><span class="sup">364</span></a> der in der zeitgen&#x00F6;ssischen Architekturterminologie genau dem <span class="italic">magister operis</span>, dem technischen Leiter einer Baustelle, entspricht<a href="36_Footnote03.html#fn07-364" id="fn07_364"><span class="sup">365</span></a> und dazu noch mit dem biblisch konnotierbaren und ebenso in diesem Kontext belegten Attribut <span class="italic">w&#x00EE;se</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-365" id="fn07_365"><span class="sup">366</span></a> versehen ist, so dass in Veldekes Text Funktionsbezeichnung und Auszeichnungsfunktion sich schillernd verbinden. Die deutsche Version geht indes noch ein St&#x00FC;ck weiter, indem sie den Meister namentlich identifiziert, von den Entstehungsumst&#x00E4;nden des noch zu Lebzeiten der K&#x00F6;nigin initiierten<a href="36_Footnote03.html#fn07-366" id="fn07_366"><span class="sup">367</span></a> Bauwerks berichtet, die Beauftragung und Entlohnung des Meisters sowie den durch sein Artefakt erlangten Ruhm, aber auch seine Selbstgewissheit herausstellt: <span class="italic">ob ez lobeten diez ges&#x00E2;gen: / der meister lobetez selbe</span> (V.9462f.). Des Meisters Namen &#x2013; G&#x00EA;ometras &#x2013; gem&#x00E4;&#x00DF; dem f&#x00FC;r die Baukunst notwendigen Quadriviumfach der Geometrie bezeichnet nun genau, <span class="italic">nomen est omen</span>, jene technischen und rechnerischen Fertigkeiten, welche die <span class="italic">descriptio</span> mittels exakter Ma&#x00DF;und Zahlenangaben f&#x00FC;r die bauliche Konstruktion illustriert. Auf jeden Fall geh&#x00F6;rt deshalb die bautechnische Ausf&#x00FC;hrung zu den Aufgaben des Meisters. Nicht zuletzt lassen die namentlich eingeschriebene und ihm dazu noch attestierte <span class="italic">list von g&#x00EA;ometr&#x00EE;en</span> (V.9409), aber auch die mit dem Wirken (<span class="italic">worhte,</span> V.9429) des Meisters verbundene komplexe Gesamtkonstruktion den Schluss zu, dass neben Ausf&#x00FC;hrung auch Konzept <a id="page_132"></a>und Planung in den Kompetenzbereich des Meisters fallen. Veldekes <span class="italic">descriptio</span> f&#x00FC;hrt das komplette Entstehungsszenario eines Bauwerks vor Augen: von der Idee zum Vorhaben &#x00FC;ber den Auftrag der k&#x00F6;niglichen Bauherrin bis hin zu Konzept und Durchf&#x00FC;hrung des Baumeisters. Am Ende aber steht ein perfektes Werk aus dem Bereich der <span class="italic">artes mechanicae</span> als Ergebnis meisterlicher &#x201A;Kunst&#x2018;.</p>
<p class="indent">All diese Momente, die Valorisierung des Werks wie die den Urheber auszeichnende Meisterschaft, vereinigen sich nun beim dritten Meister: <span class="italic">meister Heinr&#x00EE;ch</span>. Der variantenreich, allerdings in allen vollst&#x00E4;ndigen Handschriften &#x00FC;berlieferte, trotzdem noch immer umstrittene <span class="italic">Eneas</span>-Epilog<a href="36_Footnote03.html#fn07-367" id="fn07_367"><span class="sup">368</span></a> l&#x00E4;sst sich bekanntlich auf unterschiedliche Weise lesen: als Buchentstehungsfabel, in deren Mittelpunkt der Diebstahl eines halbfertigen Textes steht, mit wom&#x00F6;glich realhistorischen Anspielungen;<a href="36_Footnote03.html#fn07-368" id="fn07_368"><span class="sup">369</span></a> als Repr&#x00E4;sentation gesteigerter m&#x00E4;zenatischer Literaturinteressen, indem die gesamte Th&#x00FC;ringische Landgrafenfamilie, deren Geschlecht agnatisch aufgef&#x00E4;chert wird,<a href="36_Footnote03.html#fn07-369" id="fn07_369"><span class="sup">370</span></a> in Verlust, Wiederfinden und Vollendung des Buches involviert ist;<a href="36_Footnote03.html#fn07-370" id="fn07_370"><span class="sup">371</span></a> aber schlie&#x00DF;lich auch als Demonstration artistischer und hier nun literarischer Meisterschaft von Buch und Dichter, wie dies vor kurzem auch S<span class="small">ILVIA</span> S<span class="small">CHMITZ</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-371" id="fn07_371"><span class="sup">372</span></a> eindrucksvoll demonstriert hat. Bereits die Epiloger&#x00F6;ffnung signalisiert mit <span class="italic">N&#x00FB; solen wir enden diz b&#x00FB;ch.</span> / <span class="italic">ez d&#x00FB;ht den meister gen&#x00FB;ch</span> (V.13429f.), worauf der erste Teil des an sich zweiteiligen Epilogs den Fokus legt: der <span class="italic">meister</span>,<a href="36_Footnote03.html#fn07-372" id="fn07_372"><span class="sup">373</span></a> sein Buch und, wie es an sp&#x00E4;terer Stelle hei&#x00DF;t, <span class="italic">daz getihte meisterl&#x00EE;ch</span> (V. 13479), das offenbar schon vor seiner Fertigstellung eine Art &#x201A;Textbegehren&#x2018; ausl&#x00F6;ste. Darum ranken sich der Buchdiebstahl und das G&#x00F6;nnerlob. <a id="page_133"></a>W&#x00E4;hrend die Geschichte &#x00FC;ber den topische neun Jahre andauernden Diebstahl das Buch durch die pr&#x00E4;zisen Angaben zu Ort und Zeitpunkt des Geschehens, aber auch zum Dieb, den sie sogar namentlich dechiffriert,<a href="36_Footnote03.html#fn07-373" id="fn07_373"><span class="sup">374</span></a> zum gesellschaftlichen und damit auch zum literarischen Ereignis stilisiert, verschaffen sich Meister Heinrich und das Grafengeschlecht wechselseitig Geltung. Das mit genau markierter Stelle<a href="36_Footnote03.html#fn07-374" id="fn07_374"><span class="sup">375</span></a> abgebrochene <span class="italic">m&#x00E2;re</span>, das w&#x00E4;hrend der neunj&#x00E4;hrigen Trennung vom Meister <span class="italic">wart gescriben anders</span> (V.13461f.), kann offenkundig nur vom Meister vollendet werden. Die M&#x00F6;glichkeit zur Vollendung,<a href="36_Footnote03.html#fn07-375" id="fn07_375"><span class="sup">376</span></a> und darum geht es dieser G&#x00F6;nnerpassage, bot der landgr&#x00E4;fliche Auftrag. Die Anerkennung der &#x00DC;berlegenheit des Meisters erweist zugleich den Auftraggeber &#x2013; Hermann I. von Th&#x00FC;ringen &#x2013; als Kenner und Experten ambitionierter Dichtkunst. Ein Meisterwerk bedarf eines Meisterdichters wie dieser wiederum eines kongenialen M&#x00E4;zens. Der Diebstahl inszeniert das Buch als Faszinosum, dessen Einzigartigkeit und dessen Wertsch&#x00E4;tzung durch den prominenten G&#x00F6;nner und bindet das Werk unhintergehbar an seinen Urheber, der allein die konzeptionelle Vollendung des Artefakts zu garantieren vermag. Diebstahlgeschichten &#x00FC;ber B&#x00FC;cher setzte bereits die antike Literatur topisch zur Auratisierung von Autor und Werk ein,<a href="36_Footnote03.html#fn07-376" id="fn07_376"><span class="sup">377</span></a> und die in Th&#x00FC;ringen endende &#x201A;Irrfahrt&#x2018; der <span class="italic">Eneide</span> (V.13510) k&#x00F6;nnte eine Reminiszenz und eine Art von Referenz an den Stoff und seine antike Herkunft sein.</p>
<p class="indent">Die Pr&#x00E4;sentation unterschiedlicher <span class="italic">artes</span> im Eneasroman verdeutlicht ihre Gleichrangigkeit. Gemeinsam ist ihnen der Meisterdiskurs, der sie als solche formiert und dadurch auch der Dichtkunst sozusagen einen eigenen, von den <span class="italic">artes liberales</span> unabh&#x00E4;ngigen Ort verleiht. Ihnen gemeinsam ist auch die Profilierung singul&#x00E4;rer &#x201A;K&#x00FC;nstlerinstanzen&#x2018;, die als Meister nicht nur die Herstellung eines Artefakts, sondern durchaus auch den kreativ-konzeptiven Prozess verantworten. Man k&#x00F6;nnte in diesem Zusammenhang die alten &#x00DC;berlegungen von J<span class="small">ULIUS</span> S<span class="small">CHWIETERING</span> aufgreifen, dass die Meistertitulaturen der Literatur als eine Art Ausstrahlungseffekt von den bereits relativ formierten Bereichen der <span class="italic">artes mechanicae</span> und der f&#x00FC;r diese schon einschl&#x00E4;gigen Magister/Meisterterminologie ausgegangen seien.<a href="36_Footnote03.html#fn07-377" id="fn07_377"><span class="sup">378</span></a> Mit den Ausf&#x00FC;hrungen von B<span class="small">ARBARA</span> H<span class="small">AUPT</span> zur &#x201E;Aufwertung des Kunsthandwerks durch Theophilus Presbyter&#x201C;<a href="36_Footnote03.html#fn07-378" id="fn07_378"><span class="sup">379</span></a> und von J<span class="small">OACHIM</span> H<span class="small">AMM</span>, der die Relevanz der <span class="italic">poeta faber</span>-Metaphorik f&#x00FC;r die Selbstbeschreibung der deutschsprachigen Texte betont,<a href="36_Footnote03.html#fn07-379" id="fn07_379"><span class="sup">380</span></a> erscheint S<span class="small">CHWIETERING</span>s Position best&#x00E4;tigt. Doch ist die applizierte Meisterbegrifflichkeit im literarischen Diskurs <a id="page_134"></a>kaum auf das blo&#x00DF; &#x201A;Handwerkliche&#x2018; zu reduzieren, sie erfolgt immer mit der eindeutigen Wendung zur Normierung oder Auszeichnung.</p>
<p class="indent">In diesem Sinne hat die Meistertitulatur Heinrichs von Veldeke schon sehr bald zu ersten Kanonisierungseffekten gef&#x00FC;hrt, wie bekannterma&#x00DF;en in Gottfrieds &#x201A;Literaturexkurs&#x2018; im <span class="italic">Tristan</span>. Darin wird Heinrich von Veldeke ebenso wie den anderen Epikern zwar nur indirekt der Meistertitel zugeschrieben, doch erlangt er dort Geltung als &#x201A;Begr&#x00FC;nder&#x2018; der Literatur der Meister und fungiert insofern k&#x00FC;nftig als normative Instanz, mithin als Autorit&#x00E4;t, was die allseits bekannte Textstelle verdeutlicht:</p>
<p class="epigraph">nu h&#x0153;re ich aber die besten jehen,<br/>die, die b&#x00EE; s&#x00EE;nen j&#x00E2;ren<br/>und s&#x00EE;t her meister w&#x00E2;ren,<br/>die selben gebent im einen pr&#x00EE;s:<br/>er inpfete daz &#x00EA;rste r&#x00EE;s<br/>in tiutscher zungen. (V.4734&#x2013;4739)<a href="36_Footnote03.html#fn07-380" id="fn07_380"><span class="sup">381</span></a></p>
<p class="topnoindent">Veldeke bildet im hier als Ordnungssystem evozierten Baum der Dichtung den &#x2013; relativen &#x2013; Anfang der Literatur in der Volkssprache. F&#x00FC;r die deutsche Dichtung markiere er deshalb einen &#x201E;Neueinsatz&#x201C;, aber keine &#x201E;Gr&#x00FC;nderrolle&#x201C;,<a href="36_Footnote03.html#fn07-381" id="fn07_381"><span class="sup">382</span></a> so S<span class="small">ILVIA</span> S<span class="small">CHMITZ</span> im Rekurs auf U<span class="small">RSULA</span> S<span class="small">CHULZE</span>. Viel genereller aber scheint mir in dieser Passage der Aspekt der meisterlichen Dichtkunst akzentuiert. Auch bedeutet das gartenbauliche, einen k&#x00FC;nstlichen Vorgang ins Bild setzende Pfropfen eigentlich weder Ursprung noch Neueinsatz, sondern eine veritable Schnittstelle<a href="36_Footnote03.html#fn07-382" id="fn07_382"><span class="sup">383</span></a> zwischen Tradition und Innovation der Literatur der Meister, die im Exkurs im Blick auf die Nachmeister &#x00FC;ber die stilistisch-rhetorischen Kriterien der <span class="italic">perspicuitas</span> und <span class="italic">obscuritas</span> ausgehandelt wird. Als Figur eines &#x201A;aufgepflanzten&#x2018; &#x00DC;bergangs von Altem zu Neuem bringt es zwischen den &#x2013; auch antiken &#x2013; Vorl&#x00E4;ufern und Nachfolgern das Prinzip der Meisterschaft exakt auf den Punkt, n&#x00E4;mlich Aufgreifen, Perfektionieren und &#x00DC;berbieten, das der <span class="italic">meister Heinr&#x00EE;ch</span> mit seinem &#x2013; auch &#x2013; nach antiken Vorgaben gedichteten Text kongenial verk&#x00F6;rpert.</p>
<h3 class="section1" id="head033"><span class="bold"><a id="page_135"></a>Meisterschaft als Zuschreibung und Valorisierung</span></h3>
<p class="noindent">In den volkssprachlichen Texten ist Meisterschaft vorrangig ein Akt der konkreten Zuschreibung und zumindest vordergr&#x00FC;ndiger Valorisierung oder markiert eine abstrakte Normeninstanz (der/die <span class="italic">meister</span>), die &#x00FC;berwiegend der Absetzung dient. Als Zuschreibungsph&#x00E4;nomen ist Meisterschaft den Konstitutionsprozessen von Autorschaft in mittelalterlichen Texten vergleichbar und kann einen engen Konnex zu Autorschaft oder in anderen <span class="italic">artes</span>-Kontexten zu Werkurheberschaft eingehen, indem sich der Meistertitel mit Autornamen verbindet und dar&#x00FC;ber hinaus zur Profilierung der literarischen Autorschaftsentw&#x00FC;rfe beitr&#x00E4;gt. Im Verbund mit den Autornamen stellt die Meistertitulierung auch einen Bestandteil oder eine Form der &#x201E;K&#x00FC;nstlersignatur&#x201C; dar, so S<span class="small">CHWIETERING</span>, und es lassen sich quasi &#x201E;Eigenund Fremdsignaturen&#x201C; der Meister unterscheiden.<a href="36_Footnote03.html#fn07-383" id="fn07_383"><span class="sup">384</span></a> Denn mehrheitlich sind es um oder vor 1200 in den topischen Quellenberufungen die literarischen Vorl&#x00E4;ufer, jedoch auch die Hersteller anderer Artefakte, die zum Meister deklariert werden. Die selbstreferenziellen Meistertitulaturen will S<span class="small">CHWIETERING</span> allerdings definitiv erst f&#x00FC;r das sp&#x00E4;te 13. Jahrhundert gelten lassen, da sie ein Verst&#x00E4;ndnis von selbstbewusster Meisterschaft voraussetzten und der lange Zeit vorherrschenden Logik der Selbstbescheidung widerspr&#x00E4;chen. Meisterlich &#x201E;ist der klassische Ausdruck, mit dem man die vorbildhafte Dichtung anderer r&#x00FC;hmend hervorhebt&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-384" id="fn07_384"><span class="sup">385</span></a> Das &#x201A;selbstzweckhafte Eigenlob&#x2018; des <span class="italic">meisters Heinr&#x00EE;ch</span> im <span class="italic">Eneas</span>-Epilog k&#x00F6;nne deshalb nicht auf Heinrich von Veldeke zur&#x00FC;ckgehen, sondern sei ein sekund&#x00E4;res Produkt der &#x00DC;berlieferung.<a href="36_Footnote03.html#fn07-385" id="fn07_385"><span class="sup">386</span></a> S<span class="small">CHWIETERING</span> unterstellt den literarischen Meistersignaturen offensichtlich eine kontinuierliche Entwicklung von der dem&#x00FC;tigen Selbstbescheidung zur meisterlichen Selbstinszenierung. Allerdings verlaufen die Prozesse solcher Textstrategien wohl kaum nach evolution&#x00E4;ren Mustern. Man wird gerade bei den literarischen Meistersignaturen mit Diskontinuit&#x00E4;ten, Br&#x00FC;chen, vor allem aber mit kontextgebundener Stilisierung und intertextuellen Allusionen rechnen m&#x00FC;ssen. Insbesondere aber verschr&#x00E4;nken sich in der literarischen Inszenierung die dialektisch aufeinander bezogenen Entw&#x00FC;rfe von Demut und Erm&#x00E4;chtigung. Sie stehen in einem fragilen Spannungsverh&#x00E4;ltnis, das in den h&#x00F6;fischen Texten subtil ausgespielt werden kann. Im Prolog zu Gottfrieds <span class="italic">Tristan</span> ist der Meistertitulatur des Vorl&#x00E4;ufers, Th&#x00F4;mas von Britanje, eine solche Spannung eingeschrieben.</p>
<p class="indent"><a id="page_136"></a>Im Gottfriedschen <span class="italic">Tristan</span> ist f&#x00FC;r den Texturheber weder eine Autornoch eine Meistersignatur &#x00FC;berliefert. Nur eine versteckte, aber hoch artistische Anspielung auf den Autornamen vermutet man im Akrostichon der Vierreimstrophen.<a href="36_Footnote03.html#fn07-386" id="fn07_386"><span class="sup">387</span></a> Der Prolog allerdings profiliert zumindest eine vertextete Autorfigur, die ihre Selbsterm&#x00E4;chtigung im Rekurs auf die Meisterschaft des Vorl&#x00E4;ufers durch eine latente &#x00DC;berbietung gewinnt.</p>
<p class="epigraph"><span class="bold">I</span>ch weiz wol, ir ist vil gewesen,<br/>die von Tristande h&#x00E2;nt gelesen;<br/>und ist ir doch niht vil gewesen<br/>die von im rehte haben gelesen.<br/><span class="bold">T</span>uon aber ich diu gel&#x00EE;che nuo<br/>und schepfe m&#x00EE;niu wort dar zuo,<br/>daz mir ir iegel&#x00EE;ches sage<br/>von disem m&#x00E6;re missehage,<br/>s&#x00F4; wirbe ich anders, danne ich sol.<br/>ine tuon es niht: s&#x00EE; spr&#x00E2;chen wol<br/>und niuwan &#x00FB;z edelem muote<br/>mir unde der werlt ze guote.<br/>[&#x2026;]<br/>aber als ich gesprochen h&#x00E2;n,<br/>daz si niht rehte haben gelesen,<br/>daz ist, als ich iu sage, gewesen:<br/>si&#x2019;n spr&#x00E2;chen in der rihte niht,<br/>als Th&#x00F4;mas von Britanje giht,<br/>der &#x00E2;ventiure meister was<br/>und an brit&#x00FB;nschen buochen las<br/>aller der lanth&#x00EA;rren leben<br/>und ez uns ze k&#x00FC;nde h&#x00E2;t gegeben.<br/>als der von Tristande seit,<br/>die rihte und die w&#x00E2;rheit<br/>begunde ich s&#x00EA;re suochen<br/>in beider hande buochen<br/>walschen und lat&#x00EE;nen<br/>und begunde mich des p&#x00EE;nen,<br/>daz ich in s&#x00EE;ner rihte<br/>rihte dise tihte.<br/>sus treip ich manege suoche,<br/>unz ich an eime buoche<br/>alle s&#x00EE;ne jehe gelas,<br/>wie dirre &#x00E2;ventiure was. (V.131&#x2013;166)</p>
<p class="noindent"><a id="page_137"></a>Die Quellenberufung erz&#x00E4;hlt erneut eine Buchentstehungsgeschichte, n&#x00E4;mlich die des Gottfriedschen <span class="italic">Tristan</span>, aber auch diejenige der bereits davor geschriebenen Tristangeschichten als einen kontinuierlichen, permanent andauernden Lekt&#x00FC;revorgang. Rezeption und Produktion bedingen sich gegenseitig. Der neue Text entsteht aus den Lekt&#x00FC;ren der Vorl&#x00E4;ufer, entsteht mit und gegen ihre Versionen. Eingeklagt wird deshalb die richtige Lekt&#x00FC;re (<span class="italic">rehte haben gelesen</span>) und damit zugleich die ad&#x00E4;quate Fassung der Tristangeschichte. Die <span class="italic">rihte</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-387" id="fn07_387"><span class="sup">388</span></a> &#x2013; die Spur, die Richtung &#x2013; daf&#x00FC;r hat <span class="italic">Th&#x00F4;mas von Britanje</span> vorgegeben. Der Kritik ausgesetzt sind die vielen anderen, die zwar in guter Absicht<a href="36_Footnote03.html#fn07-388" id="fn07_388"><span class="sup">389</span></a> und wohl formuliert (<span class="italic">spr&#x00E2;chen wol</span>) gedichtet, aber nicht dessen Richtung eingeschlagen haben. Meisterschaft wird hier ausschlie&#x00DF;lich <span class="italic">Th&#x00F4;mas</span> zugeschrieben. Er ist durch seine ma&#x00DF;gebliche Version der <span class="italic">&#x00E2;ventiure meister</span>, der Meister der Tristanstangeschichte, der, so k&#x00F6;nnte man sagen, die Diskurshoheit &#x00FC;ber diesen Stoff besitzt. Auch der &#x00FC;berlegene Meister <span class="italic">Th&#x00F4;mas</span> war zun&#x00E4;chst einmal ein Leser. Die <span class="italic">brit&#x00FB;nschen</span> B&#x00FC;cher seiner Lekt&#x00FC;re, und mithin sein Text, werden hier freilich eher den <span class="italic">res factae</span>, der Geschichtsschreibung, zugeordnet, die von der <span class="italic">lanth&#x00EA;rren leben</span> [&#x2026;] <span class="italic">k&#x00FC;nde</span> geben. Sie garantieren die <span class="italic">rihte und die w&#x00E2;rheit</span> und bilden legitimatorisch das Fundament f&#x00FC;r die Relekt&#x00FC;re (<span class="italic">m&#x00EE;n lesen</span>, V.167) der Autorfigur Gottfrieds. Zweifellos fungieren hier der <span class="italic">meister</span> und sein Buch vorerst als personale und mediale Konkretionen der Autorit&#x00E4;t. Diese Relekt&#x00FC;re begn&#x00FC;gt sich allerdings nicht mit der vermeintlich richtigen Version, sondern treibt die Lekt&#x00FC;re weiter, erg&#x00E4;nzt und &#x00FC;berpr&#x00FC;ft sie durch weitere Lekt&#x00FC;ren und ein vergleichendes Quellenstudium, <span class="italic">unz ich an eime buoche</span> / <span class="italic">alle s&#x00EE;ne jehe gelas</span>, / <span class="italic">wie dirre &#x00E2;ventiure was</span>, das die Fakten zu best&#x00E4;tigen scheint.</p>
<p class="indent">Best&#x00E4;tigen und Weitertreiben scheint hier zun&#x00E4;chst eine Grundfigur der Textproduktion zu sein. Damit weist die Quellenberufung Gottfrieds deutlich &#x00FC;ber die des Vorl&#x00E4;ufers, Thomas d&#x2019;Angleterre, hinaus, auf die er sich erwiesenerma&#x00DF;en bezieht und wo es hei&#x00DF;t, dass viele verschieden von Tristan erz&#x00E4;hlten, &#x201E;aber sie erz&#x00E4;hlten es nicht Breri entsprechend, der die Taten und die Erz&#x00E4;hlungen von allen K&#x00F6;nigen [&#x2026;] wusste, die in der Bretagne gelebt haben&#x201C;.<a href="36_Footnote03.html#fn07-389" id="fn07_389"><span class="sup">390</span></a> Bei Thomas wird demnach das Weitererz&#x00E4;hlen als Wiedererz&#x00E4;hlen von Breri arretiert. Breri ist die autoritative Vorlage. In der Interferenz der beiden Quellenberufungen wird bei Gottfried allerdings nicht nur eine Genealogie der B&#x00FC;cher entworfen, die zu ihrem Ursprung, <span class="italic">eime buoche</span> (V.164), f&#x00FC;hrt, <a id="page_138"></a>sondern auch das Prinzip der Nachfolge in personaler Konstellation quasi als Abfolge von Sch&#x00FC;lern und Meistern umgesetzt: Breri (vermittelt &#x00FC;ber Thomas) &#x2013; Thomas &#x2013; Gottfried bzw. sein &#x201A;auktoriales&#x2018; Pendant. Die Logik einer solchen Konstruktion ist deshalb einerseits die R&#x00FC;ckwendung zum Ursprung der autoritativen Version, andererseits aber diejenige der Perfektionierung und durchaus auch hierarchisch gedachten &#x00DC;berbietung: Die Gottfriedsche Autorfigur ist vorerst das letzte Glied in einer unabgeschlossenen Reihe von Lesern und Meistern der Wortkunst. Die Selbsterm&#x00E4;chtigung des Gottfriedschen Autors reicht indessen noch ein St&#x00FC;ck weiter. Denn das eine Buch (V.164), das als Grundlage f&#x00FC;r das <span class="italic">senem&#x00E6;re</span> (V.168) &#x2013; d.h. <span class="italic">res fictae</span> &#x2013; angegeben wird, ist entgegen der Forschung<a href="36_Footnote03.html#fn07-390" id="fn07_390"><span class="sup">391</span></a> weder das Thomassche noch das des Breri. Das eine Buch, das nur der Gottfriedsche Autor kennt, bleibt eine Leerstelle. Wir treffen mit dem einen Buch auf eine Art &#x201A;Kyotkonstruktion&#x2018;, wie in Wolframs <span class="italic">Parzival</span> auf eine fingierte Quelle, die Gottfried als Metonymie der &#x00DC;bertrumpfung latent gegen Thomas ausspielt. Aber anders als diese dezidiert schriftliterarische Konstruktion von Meisterschaft Gottfrieds bringt Wolframs <span class="italic">Parzival</span> in der Potenzierung solcher Konstellationen gegen die Meister der Schrifttexte, gegen <span class="italic">meister Cristj&#x00E2;n</span> und sogar gegen <span class="italic">meister Ky&#x00F4;t</span>,<a href="36_Footnote03.html#fn07-391" id="fn07_391"><span class="sup">392</span></a> schlussendlich Frau Aventiure in Stellung &#x2013; eine Figur der M&#x00FC;ndlichkeit und des Imagin&#x00E4;ren, die zu Beginn des 9. Buchs in das Herz des Erz&#x00E4;hlers dringen und ihn &#x201A;erleuchten&#x2018; soll.</p>
<p class="topnoindent">&#x00DC;ber solche Zuschreibungsdiskurse von Meisterschaft werden nicht nur Rang und K&#x00F6;nnen, Kompetenz und Konkurrenz mittelalterlicher Dichter ausgehandelt und in Szene gesetzt, sondern ebenso kulturelle Auszeichnung und normative Konzepte der literarischen Artefakte. Insofern sind dem Meister-Diskurs ganz entscheidend auch Aspekte der Valorisierung inh&#x00E4;rent, die innerliterarisch, wie es sich an den Beispielen zeigte, ganz verschieden ausdifferenziert werden: sei es der ad&#x00E4;quate Umgang <a id="page_139"></a>mit der <span class="italic">materia</span>, wie im <span class="italic">Tristan</span>-Prolog, seien es die stilistischen Kriterien und sprachsch&#x00F6;pferischen Verm&#x00F6;gen der Dichter und damit die &#x201A;Literarizit&#x00E4;t&#x2018; ihrer hergestellten &#x201A;Werke&#x2018;, so im Literaturexkurs Gottfrieds&#x201A; oder die Ausstellung des Wertes und der Bedeutung eines noch unfertigen Buches und seines Autors als Meisterautor eines Meisterwerks, wie bei Veldeke.</p>
<p class="indent">Analog zur &#x201A;Funktion Autor&#x2018; k&#x00F6;nnte man im Anschluss an F<span class="small">OUCAULT</span><a href="36_Footnote03.html#fn07-392" id="fn07_392"><span class="sup">393</span></a> von einer &#x201A;Funktion Meister&#x2018; sprechen. Meisterschaft &#x00FC;bernimmt einerseits diskursive Ordnungsfunktionen, indem sie historische oder rhetorische Bez&#x00FC;ge der Texte untereinander herstellt und historische Zusammenh&#x00E4;nge zwischen Autoren stiftet. Andererseits hat Meisterschaft eine klassifikatorische Funktion, indem sie &#x00FC;ber Namen und Spitzenstellung, Ausund Eingrenzungen, aber auch &#x00DC;berund Unterordnungen, also Abgrenzungen vornimmt oder Differenzen einzieht, die ihrerseits Normierungen erzeugen, langfristig sogar kanonbildend wirken k&#x00F6;nnen. In diesem Sinne scheint Meisterschaft ein zentraler Terminus der literarischen Selbstbeschreibung mittelalterlicher Texte zu sein, &#x00FC;ber den systemische und poetologisch-stilistische, vielleicht sogar soziale Ordnungen, aber auch Kommunikationsund Interaktionsformen des Literarischen zur Sprache kommen, womit schlie&#x00DF;lich die &#x201A;Eigengeschichte&#x2018;<a href="36_Footnote03.html#fn07-393" id="fn07_393"><span class="sup">394</span></a> der Dichtkunst thematisiert und zunehmend auf Dauer gestellt wird, also Institutionalisierungsprozesse in Gang gesetzt werden. Von vornherein aber ist dem Meisterschaftsdiskurs die Logik der auch agonalen &#x00DC;berbietung implizit. Im Augenblick der Zuschreibung wird sie zugleich in Frage gestellt.</p>
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