395Dazu die fast resignierte Bestandsaufnahme zur „Marginalisierung der Stilforschung“ bei JOHANNES ANDEREGG: Literaturwissenschaftliche Stilauffassungen / Concepts of style in literary studies. In: Rhetorik und Stilistik / Rhetoric and Stylistics. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung / An International Handbook of Historical and Systematic Research. Hrsg. von ULLA FIX/ANDREAS GARDT/JOACHIM KNAPE, 2 Bde, Berlin, New York 2008 und 2009 (Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 31,1–2), Bd. 1 (2008), S. 1076–1092, hier S. 1087–1089.
396ANDEREGG (Anm. 1), S.1087f.
397Siehe die Überblicke bei SUSAN WOLFSON: Reading For Form. In: MLQ 61 (2000), S. 1–16; und MARJORIE LEVINSON: What is New Formalism? In: PMLA 122 (2007), S.558–569. Eine gewisse Ausnahme stellt hier MARSHALL BROWN dar; er wird allerdings wiederum eher am Rande rezipiert. Siehe MARSHALL BROWN: Why Style Matters. In: ders.: Turning Points: Essays in the History of Cultural Expressions, Stanford 1997, S.33–87.
398JURIJ LOTMAN: The Poetics of Everyday Behavior in Russian Eighteenth Century Culture. In: ders.: The Semiotics of Russian Culture. Übers. von ANN SHUKMAN, Ann Arbor 1984, S.231–256; ders.: The Decembrist in Daily Life, ebd., S.71–123; siehe dazu JONATHAN H. BOLTON: Writing in a Polluted Semiosphere: Everyday Life in LOTMAN, FOUCAULT, and DE CERTEAU. In: LOTMAN and Cultural Studies. Encounters and Extensions. Hrsg. von ANDREAS SCHöNLE, Madison, Wisconsin 2006, S.319–344, hier bes. S.323.
399MICHEL DE CERTEAU: Kunst des Handelns. Übers. von RONALD VOULLIé, Berlin 1988 (Internationaler Merve Diskurs 140), S.78f. (zu Handlungsstilen), S.192–197 (zu Gebrauchsstilen).
400MICHEL FOUCAULT: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit, aus dem Franz. von ULRICH RAULFF/WALTER SEITTER, 2.Aufl., Frankfurt a.M. 1986, S.18; zu den Praktiken, mit denen sich die Menschen „in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht“.
401PIERRE BOURDIEU: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a.M. 1970; ders.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1982; zum Habitusbegriff BOURDIEUS siehe ANDREAS RECKWITZ: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2000, S.323–346, zu Habitus und ‚Lebensstil‘ S.333 und S.339–343.
402STEPHEN GREENBLATT: Renaissance Self-Fashioning. From More to Shakespeare, Chicago 1980.
403Diese Erklärung führt ANDEREGG (Anm.1), S.1087, unter anderem an und versucht sie zu entkräften.
404WOLFSON (Anm.3); ELLEN ROONEY: Form and Contentment. In: MLQ 61 (2000), S.17–40, LEVINSON (Anm.3); SAMUEL OTTER: A Different Kind of Formalism. In: Novel 43 (2010), S.350–353. Auch in der anglistischen Mediävistik wird dies verstärkt diskutiert: siehe den Forschungsbericht von HELEN MARSHALL/PETER BUCHANAN: New Formalism and the Forms of Middle English Literary Texts. In: Literature Compass 8,4 (2011), S.164–172; und besonders auch CHRISTOPHER CANNON: Form. In: Middle English. Hrsg. von PAUL STROHM, Oxford 2007 (Oxford Twenty-First Century Approaches to Literature), S.177–190; und ARTHUR BAHR/ALEXANDRA GILLESPIE: Medieval English Manuscripts: Form, Aesthetics, and the Literary Text. In: The Chaucer Review 47,4 (2013), S.346–360.
405So der programmatische Titel des Aufsatzes von WOLFSON (Anm.3): „for“ ist hier im Doppelsinne gemeint: „as attention to [form] and as advocacy for such attention“ (S.9).
406Dazu einführend der Forschungsbericht von Levinson (Anm.3). Ein weiterer Begriff, der eine immer größere Rolle in der Debatte spielt, ist der wenig trennscharfe Terminus des surface reading; dazu STEPHEN BEST/SHARON MARCUS: Surface Reading. An Introduction. In: Representations 108 (2009), S.1–21; und, in kritischer Absetzung, CRYSTAL BARTOLOVICH: Humanities of Scale: Marxism, Surface Reading – and Milton. In: PMLA 127 (2012), S.115–121. In der germanistischen Mediävistik kommt vom in der Einleitung formulierten Anliegen her der Ästhetik-Band von MANUEL BRAUN und CHRISTOPHER YOUNG dem New Formalism nahe, ohne aber auf ihn explizit Bezug zu nehmen: Das fremde Schöne. Dimensionen des Ästhetischen in der Literatur des Mittelalters. Hrsg. von MANUEL BRAUN/CHRISTOPHER YOUNG, Berlin, New York 2007 (Trends in Medieval Philology 12), darin bes. MANUEL BRAUN: Kristallworte, Würfelworte. Probleme und Perspektiven eines Projekts ‚Ästhetik mittelalterlicher Literatur‘, S.1–40. Beiden Anliegen gemeinsam ist die auffällige Kombination von ‚retrotheoretischem‘ und avanciertem Gestus – und ihr Rückgriff auf die idealistische Ästhetik. Diese Kombination stellt BENT GEBERT, allerdings ebenfalls ohne Bezug auf den New Formalism, in seiner Rezension des Bands von BRAUN/YOUNG heraus: „Zu den aktuellen Zügen literaturtheoretischer Forschung gehört die Wiederkehr von Fragestellungen, die zugleich avanciert und ,retrotheoretisch‘ anmuten: Im Windschatten des kulturwissenschaftlichen Paradigmas ist so die Frage nach dem‚ ästhetische[n] Überschuss‘ (S. 22) literarischer Rede und ihrer Differenzqualität wieder aufgetaucht – und mit ihr eine Renaissance von Konzepten und Begriffen der idealistischen Ästhetik.“ In: Arbitrium 28 (2010), S.25–32, hier S.25f. Die Aussage ließe sich auch auf viele Vertreter des New Formalism anwenden.
407MARSHALL/BUCHANAN (Anm.10), S.164.
408Dazu zusammenfassend JOACHIM KNAPE: Rhetorik und Stilistik des Mittelalters / Rhetoric and stylistics in the Middle Ages. In: Rhetorik und Stilistik (Anm. 1), Bd.1 (2008), S.55–73.
409DAZU JOACHIM BUMKE: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur, besonders in der höfischen Epik. In: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. von JOACHIM BUMKE/URSULA PETERS. ZfdPh 104 (2005), Sonderheft, S.6–46, hier S.10f.
410Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe von KARL LACHMANN rev. und komm. von EBERHARD NELLMANN, 2 Bde, Frankfurt a.M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8), V.1–22.
411Es ist zum Beispiel eben nicht die sprachliche Klarheit als abstrakter Wert, sondern als wahrgenommene Qualität der Sprache eines Vorgängers, Hartmanns von Aue, die zu Gottfrieds von Straßburg Qualifikation der cristallînen wortelîn führt: Gottfried von Straßburg: Tristan und Isold. Hrsg. von WALTER HAUG/MANFRED GüNTER SCHOLZ. Mit dem Text des Thomas, hrsg., übers. und komm. von WALTER HAUG, 2 Bde, Berlin 2011 (Bibliothek des Mittelalters 10; 11), V. 4629; zu Verbindungen zur antiken Rhetorik siehe auch den differenzierenden Kommentar ebd., Bd. 2, S.366, mit weiterer Literatur. Zur perspicuitas siehe auch unten mit Anm.23.
412Gerhard von Lüttich: Compendium Hystoriae Troianae (1376), Prolog; zit. nach THOMAS HAYE: Der Krieg um Troja als Kampf der literarischen Methoden. Eine historische und poetologische Analyse des Gerhard von Lüttich aus dem Jahr 1373. In: Sacris Erudiri 45 (2006), S.457–479, hier S.478f.; „Ein anderer, mit Namen Guido, hat vielleicht vor fünfzig Jahren ein gutes Werk auf der Grundlage dieser Geschichte geschaffen, aber noch eine große Menge an Wortschmuck in rhetorischen Figuren und Färbungen, in unnötigen Metaphern, Apostrophen, Ausrufen und Abschweifungen hinzugefügt. So passierte es ihm, dass er seinem Griffel ohne Unterschied der Dringlichkeit des Gegenstands allzu laxe Zügel gab. Er schmückte, nein: beschwerte die Materie so, dass sie kaum zu Tage treten konnte.“ (M.S.).
413HAYE (Anm. 18), S.471.
414HANS ULRICH GUMBRECHT: Schwindende Stabilität der Wirklichkeit. Eine Geschichte des Stilbegriffs. In: Stil. Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Hrsg. von HANS ULRICH GUMBRECHT/K. LUDWIG PFEIFFER, Frankfurt a.M. 1986, S.726–788, hier S.726–729; ders.: Stil. In: RLW 3 (2003), S.509–513, hier S.509f.
415Zum mittelalterlichen Gebrauch von stilus siehe den Beitrag von Michael Stolz in diesem Band.
416Dazu Michael Stolz in diesem Band.
417Zur perspicuitas als Stilideal in hochmittelalterlicher deutscher Dichtung, v.a. bei Gottfried von Straßburg, siehe MANFRED GüNTER SCHOLZ: Perspicuitas – Gottfrieds Stilideal? In: Mittelalterliche Poetik in Theorie und Praxis. Fs. für Fritz Peter Knapp. Hrsg. von THORDIS HENNIGS u.a., Berlin, New York 2009, S.257–269, und die Beiträge von Klaus Grubmüller und Christoph Huber in diesem Band.
418Diese weist Guido der Fassung des Cornelius Nepos zu; siehe HAYE (Anm.18), S.468.
419HAYE (Anm.18), S.474.
420Dies wurde bes. hervorgehoben von HARTWIG MAYER: Topoi des Verschweigens und der Kürzung im höfischen Roman. In: Getempert und gemischet. Fs. für Wolfgang Mohr. Hrsg. von FRANZ HUNDSNURSCHER/ULRICH MüLLER, Göppingen 1972 (GAG 65), S.231–249.
421WALTER HAUG: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts, 2.,überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 1992; FRANZ JOSEF WORSTBROCK: Dilatatio materiae. Zur Poetik des Erec Hartmanns von Aue. In: FmSt 19 (1985), S.1–30.
422Zitiert wird nach Seifrits Alexander. Aus der Straßburger Handschrift hrsg. von PAUL GEREKE, Berlin 1932, Nachdruck Hildesheim 2005 (DTM 36).
423RÜDIGER SCHNELL: Seifrits Alexander und die Reichspublizistik des späteren Mittelalters. In: DVjs 48 (1974), S.448–477.
424Zur Kürze als Ideal bei Seifrit siehe bes. ROBERT SCHÖLLER: Seifrits Alexander. Form und Gehalt einer historischen Utopie des Spätmittelalters, Wien 1997, S.83–88.
425REINHARD PAWIS: Seifrit. In: 2VL 8 (1992), S.1050–1055.
426So auch SCHöLLER (Anm.30), S.24, Anm.6.
427So in der Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg, cpg 333.
428ERICH KLEINSCHMIDT: Literarische Rezeption und Geschichte. Zur Wirkungsgeschichte von Wolframs Willehalm im Spätmittelalter. In: DVjs 48 (1974), S.585–649.
429Zitiert wird nach Ulrich von Eschenbach: Alexander. Hrsg. von WENDELIN TOISCHER, Tübingen 1888 (StLV 183).
430MARKUS STOCK: Vielfache Erinnerung. Universaler Stoff und partikulare Bindung in Ulrichs von Etzenbach Alexander. In: Alexanderdichtungen im Mittelalter. Kulturelle Selbstbestimmung im Kontext literarischer Beziehungen. Hrsg. von JAN CöLLN/SUSANNE FRIEDE/HARTMUT WULFRAM, Göttingen 2000 (Literatur und Kulturräume im Mittelalter 1), S.407–448; ELISABETH LIENERT: Deutsche Antikenromane des Mittelalters, Berlin 2001 (Grundlagen der Germanistik 39), S.62.
431Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 4591–4770.
432Der historischen Semantik von zâfen müsste weiter nachgegangen werden. Die Belege zeigen eine häufige Verbindung zu Kleidung und schmückender Ausstattung (siehe etwa die Verwendung bei Heinrich dem Teichner: Die Gedichte Heinrichs des Teichners. Hrsg. von HEINRICH NIEWöHNER, 3 Bde, Berlin 1953–1956 [DTM 44;46;48]; die Belegstellen sind über das Register, Bd. 3 [1956], S.421, leicht zu ermitteln); historisch ist also von einer Assoziationsnähe zu oberflächlichem Schmuck auszugehen.
433Ich fasse hier den Forschungsstand lediglich zusammen. Siehe bes. SILVIA SCHMITZ: Die ‚Autorität‘ des mittelalterlichen Autors im Spannungsfeld von Literatur und Überlieferung. In: Autorität der/ in Sprache, Literatur, Neuen Medien. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997. Hrsg. von JüRGEN FOHRMANN/INGRID KASTEN/EVA NEULAND, 2 Bde, Bielefeld 1999, Bd. 2,S.465–483, hier S.472–478; STEFANIE SCHMITT: Autorisierung des Erzählens in Romanen mit historischen Stoffen? Überlegungen zu Rudolfs von Ems Alexander und Konrads von Würzburg Trojanerkrieg. In: Geltung der Literatur. Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter. Hrsg. von BEATE KELLNER/PETER STROHSCHNEIDER/FRANZISKA WENZEL, Berlin 2005 (Philologische Studien und Quellen 190), S.187–201, hier S.189–195.
434Zitiert wird nach Rudolf von Ems: Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts, Hrsg. von VICTOR JUNK, 2 Bde, Leipzig 1928 und 1929, Nachdruck Darmstadt 1970 (StLV 272;274).
435Die Argumentation wird über mehrere Buchprologe hinweg aufgebaut.
436Dies ist auf Lamprecht (V. 15787) und Berchtolt von Herbolzheim (nicht erhalten) bezogen (V. 15779–15782).
437Zu seinem Prologprogramm bes. ELISABETH LIENERT: Geschichte und Erzählen: Studien zu Konrads von Würzburg Trojanerkrieg, Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter 22), S.17–29; BEATE KELLNER: daz alte buoch von Troye […] daz ich ez welle erniuwen. Poetologie im Spannungsfeld von ‚wiederholen‘ und ‚erneuern‘ in den Trojaromanen Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg. In: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter. Hrsg. von GERD DICKE/MANFRED EIKELMANN/BURKHARD HASEBRINK, Berlin, New York 2006,S. 231–262, hier S.246–261.
438Zitiert wird nach: Konrad von Würzburg: Der Trojanische Krieg. Nach den Vorarbeiten K. FROMMANNS undf. ROTHs zum ersten Mal hrsg. durch ADELBERT VON KELLER, Stuttgart 1858 (StLV 44). breiten bezieht sich hier wahrscheinlich auf amplificatio (‚ausbreiten‘; siehe LIENERT [Anm. 43], S.23), könnte aber auch ‚verbreiten‘ bedeuten; zu dieser Bedeutung siehe MWB I, Sp.987.
439LIENERT (Anm.43), S.28.
440LIENERT (Anm.43), S.20f. und S.21, Anm. 122, mit weiterer Literatur.
441KELLNER (Anm.43), S.250.
442LIENERT (Anm.43), S.28.
443HARTMUT BLEUMER: Zwischen Wort und Bild: Narrativität und Visualität im Trojanischen Krieg Konrads von Würzburg (Mit einer kritischen Revision der Sichtbarkeitsdebatte). In: Zwischen Wort und Bild. Wahrnehmungen und Deutungen im Mittelalter. Hrsg. von HARTMUT BLEUMER u.a.,Köln, Weimar, Wien 2010, S.109–156, hier S.112.
444Wichtige Beiträge zu dieser Forschungsfrage bietet der Band „Im Wortfeld des Textes“ (Anm.43).
445HANS BLUMENBERG: Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M.1997.
446Siehe z. B. Dorothea Klein: Zwischen Abhängigkeit und Autonomie: Inszenierungen inspirierter Autorschaft in der Literatur der Vormoderne. In: Inspiration und Adaptation. Tarnkappen mittelalterlicher Autorschaft. Hrsg. von RENATE SCHLESIER/ BEATRICE TRÎNCA, Hildesheim 2008 (Spolia Berolinensia 29), S. 15–39, hier S. 16: „das programmatische Leitwort für die Neugestaltung überkommener Sujets ist erniuwen“; außerdem Franz Josef Worstbrock: Dilatatio materiae. Zur Poetik des Erec Hartmanns von Aue. In: FmSt 19 (1985), S. 1–30, hier S. 1. Unter dem Stichwort des „Erneuerns“ diskutiert das Thema des Wiedererzählens auch Burkhard Hasebrink: Die Ambivalenz des Erneuerns. Zur Aktualisierung des Tradierten im mittelalterlichen Erzählen. In: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Fs. für Jan-Dirk Müller. Hrsg. von URSULA PETERS/ RAINER WARNING, München 2009, S. 205–217. Zum Terminus der „Retextualisierung“ als wertfreiem Oberbegriff für die sehr heterogenen Phänomene literarischer Bearbeitung von Vorgängigem im Mittelalter siehe die Einleitung in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg. von Joachim Bumke/Ursula Peters. ZfdPh 124 (2005), Sonderheft, S. 1–5.
447Besonders häufig wird das Verb gebraucht, um das erneute bzw. wiederholte Aufbrechen alter, so gut wie immer negativer Emotionen (kumber, jâmer, trûren, clagen, [herze]leit, haz) oder das Wiedererstarken von Kampfeskraft auszudrücken. Daneben bezeichnet es auch Prozesse religiöser Erneuerung, etwa durch Taufe oder Beichte. Dies sind auch Verwendungskontexte, in denen alternativ das Adjektiv niuwe gebraucht wird. Vgl. die Belege (erniuwen, niuwe) der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank.
448niuwe mære bezeichnet gewöhnlich eine Neuigkeit auf Ebene der histoire. In seltenen Fällen kann der Ausdruck aber auch poetologisch selbstreflexiv gebraucht werden, in Dietrichs Flucht vermutlich in programmatischer Abgrenzung zu den alten mæren des Nibelungenlieds: Welt ir nu horen wŮnnder, / so verkúnde ich euch besonder / die starchen newen . / Last euch nicht wesen schare, / ob ich euch sage die warhait / (das habt nicht verlait) (Dietrichs Flucht. Textgeschichtliche Ausgabe. Hrsg. von Elisabeth Lienert/Gertrud Beck, Tübingen 2003 [Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik 1] V. 1–6). Anders als das mære erniuwen wirft der poetologische Gebrauch von niuwe mære allerdings Fragen in Bezug auf den Wahrheitsanspruch der so bezeichneten Erzählung auf. So zieht Elisabeth Lienert: Dietrich contra Nibelungen. Zur Intertextualität der historischen Dietrichepik. In: PBB 121 (1999), S. 23–46, hier S. 33, in Erwägung, „ob die niuwen maere […] nur neu hinzuerfundene, nicht durch Sagentradition abgedeckte Fabeln meinen“. Auch die poetologische Verwendung von niwe mær bzw. sage durch Johann von Würzburg: Wilhelm von Österreich. Hrsg. von Ernst Regel, Berlin 1906 (DTM 3), V. 975–983; V. 3697; V. 18663, vgl. auch V. 1451 und V. 1507, ist in dieser Hinsicht interessant. Zur Selbstdarstellung Johanns, der historische Elemente sehr frei mit literarischen Motiven zu einer neuen Geschichte kombiniert, siehe Cora Dietl: Minnerede, Roman und historia. Der Wilhelm von Österreich Johanns von Würzburg, Tübingen 1999 (Hermaea N. F. 87)S. 93–111, die argumentiert, Johann präsentiere sich in vielen Erzählerbemerkungen nicht nur als Bearbeiter, sondern auch als Erfinder der âventiure.
449Dies ist keineswegs die einzige Bedeutung, die dieser Ausdruck hat. Wenn Heinrich von dem Türlin ankündigt: Die mere ich ùch hernùwen wil, / Da von ich vor han geseit (Die Krone [V. 12282–30042]. Nach der Handschrift Cod. Pal. germ. 374 der Universitätsbibliothek Heidelberg nach Vorarbeiten von FRITZ PETER KNAPP UND KLAUS ZATLOUKAL HRSG. von Alfred Ebenbauer/Florian Kragl, Tübingen 2005 [ATB 118], V. 12611 f., vgl. auch V. 13021 f.), bezeichnet er damit nicht etwa ein Verfahren der Retextualisierung, sondern das Wiederaufgreifen eines Erzählstrangs.
450Wolfram von Eschenbach: Parzival. Nach der Ausgabe Karl Lachmanns rev. und komm. von EBERHARD NELLMANN, übertragen von Dieter KÜHN, 2 Bde, Frankfurt a. M. 1994 (Bibliothek des Mittelalters 8,1–2).
451Einen Überblick der Forschungsgeschichte mit Auswahlliteratur liefert JOACHIM BUMKE: Wolfram von eschenbach. 8., völlig neu bearb. Aufl., Stuttgart, Weimar 2004 (Sammlung Metzler 36), S.237–247.
452Vgl. dazu BUMKE (Anm. 6), S. 204. Siehe außerdem die Diskussion der poetologischen Aussagen im Parzival bei Walter Haug: Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Von den Anfängen bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. 2. überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 1992, S. 159–178, der die interpretatorischen Schwierigkeiten reflektiert, ohne den „sich überstürzenden Bildern“ (S. 164) ihre Aussagekraft und kohärente Deutbarkeit grundsätzlich abzusprechen. Zu Wolframs intrikatem Spiel mit Quellenberufungen und weiteren poetologischen Äußerungen siehe außerdem BEATE KELLNER: ein mære wil i’u niuwen. Spielräume der Fiktionalität in Wolframs von Eschenbach Parzival. In: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters (Anm. 1), S. 175–203, die diese als Fiktionalitätssignale interpretiert, durch die Wolfram die Kategorie des Wiedererzählens aufruft, um sie dann jedoch zu konterkarieren.
453BUMKE (Anm. 6), S. 205: „Das sprunghafte Erzählen im Parzival, von dem im Prolog die Rede war, kann als ein Gegenprogramm zur Stillehre der Schulpoetik verstanden werden.“ Siehe außerdem Kellner (Anm. 7), die sowohl die Äußerungen im Prolog als auch das Bogengleichnis als Verweise auf Wolframs paradigmatische Erzähltechnik, das komplizierte Geflecht von Korrespondenzen, das den linearen Erzählverlauf überlagert, liest.
454Vgl. dazu BEATE KELLNER: daz alte buoch von Troye […] daz ich ez welle erniuwen. Poetologie im Spannungsfeld von ‚wiederholen‘ und ‚erneuern‘ in den Trojaromanen Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg. In: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter. Hrsg. von Gerd DICKE/ MANFRED EIKELMANN/ BURKHARD HASEBRINK, Berlin, New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 231–262, hier S. 240, die ein ähnliches Argument in Bezug auf die Offenheit mittelhochdeutscher poetologischer Begriffe am Beispiel der Verwendung von sin durch Herbort von Fritzlar entwickelt: „Jene semantische Beweglichkeit können sich […]gerade poetische Texte zunutze machen, da sie ihre Themen nicht nach Art von Traktaten entfalten und fertige Lösungen anbieten, sondern vielfach in Aporien münden und Probleme in der Schwebe halten.“
455Der Stricker: Karl der Große. Hrsg. von Karl Bartsch, Quedlinburg, Leipzig 1857 (Bibl. d. ges. dt. Nat.Lit. 35); siehe auch die Edition des Prologs von JOHANNES SINGER: Der Eingang von Strickers Karl dem Grossen. Text und Anmerkungen. In: ZfdPh 93 (1974), S. 80–107, der zufolge Hs. C. der Tihtaere statt der Strichere hat (Hs. K).
456KARLERNST GEITH/ ELKE UKENABEST/ HANSJOACHIM ZIEGELER: Der Stricker. In: 2VL 9 (1995), Sp. 417–449, hier Ziegeler, Sp. 420.
457Zu den weiteren Quellen siehe ZIEGELER (Anm. 11), Sp. 421.
458LAUT CHRISTOPH HUBER: Wortund Bildnetze zum Textbegriff im nachklassischen mittelhochdeutschen Roman (Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg). In: Im Wortfeld des Textes (Anm. 9),S. 263–285, hier S. 269, bewegt sich mære im Begriffsfeld „zwischen Geschehen und Geschichte, zwischen Stoff und konkretem Erzähltext, zwischen Erzähltradition und bestimmter Quelle, ja materialer Vorlage“. Zwar bezieht sich der Stricker einige Verse zuvor auf diu buoch, die von Karls Heldentaten erzählen, aber es wird nicht deutlich, ob er damit auf die Vielzahl seiner Vorlagen Bezug nimmt, zumal die Verwendung von Plural bei buoch nicht immer aussagekräftig ist. Vgl. dazu Klaus Grubmüller: Das buoch und die Wahrheit. Anmerkungen zu den Quellenberufungen im Rolandslied und in der Epik des 12. Jahrhunderts. In: bickelwort und wildiu mære. Fs. für Eberhard Nellmann. Hrsg. von DOROTHEE LINDEMANN/ BERNDT VOLKMANN/ KLAUS- PETER WEGERA, Göppingen 1995 (GAG 618), S. 37–50.
459Auch denkbare Formulierungsvarianten des Konzepts literarischer Erneuerung unter Verwendung des Adjektivs niuwe spielen kaum eine Rolle in den poetologischen Äußerungen der mittelhocdeutschen Epik. Die wenigen mir bekannten Ausnahmen werden in diesem Aufsatz berücksichtigt. Zu nennen sind außerdem noch Heinrich von Neustadt, der seine AnticlaudianusAdaptation folgendermaßen vorstellt: Diz buch sol nachůhant / ‚Gotes zukuftŮ ‘ sin genant (Heinrich von Neustadt: Apollonius von Tyrland nach der Gothaer Handschrift, Gottes Zukunft und Visio Philiberti nach der Heidelberger Handschrift. Hrsg. von SAMUEL SINGER, Berlin 1906 [DTM 7], V. 61 f.), sowie die poetologische Verwendung des Wortes niuwe in der Frauenehre des Strickers. Dort beklagt der Dichter sich in einem Dialog mit dem eigenen Herzen, dass das niugerne Publikum ein mære bereits nach zweibis dreimaligem Hören satt habe und es ihm alt und ungenæme erscheine. Das Herz deutet diese Neuigkeitssucht dann als Vorteil um, der es dem Dichter erlaube, auch angesichts einer unüberbietbaren literarischen Tradition weiter zu dichten. Zuletzt schlägt es ihm vor, sich das alte und vielfach variierte Thema des Frauenpreises vorzunehmen (Strickers Frauenehre. Überlieferung, Textkritik, Edition, literaturkritische Einordnung. Hrsg. von KLAUS HOFMANN, Marburg 1976, V. 1–180). Auch in der Liedlyrik wird das Adjektiv niuwe auf poetologische Weise gebraucht, die ebenfalls Strukturen von Wiederholung und Variation impliziert, allerdings führt diese Verwendung doch in andere Zusammenhänge und soll daher in diesem Beitrag ausgeklammert bleiben.
460Siehe dazu auch die Beiträge in dem Band „Im Wortfeld des Textes“ (Anm. 9), insbesondere die Einleitung der Herausgeber, S. 1–12. Zur allgemeinen Problematik einer mittelalterlichen, volkssprachlichen Literaturtheorie siehe Rüdiger Brandt: Konrad von Würzburg, Darmstadt 1987 (Erträge der Forschung 249), S. 196, der davor warnt, einzelne poetologische Äußerungen mittelhochdeutscher Dichter über den jeweiligen Werkkontext hinaus zu generalisieren und zu einer Literaturtheorie zusammenzustellen; CHRISTIAN KIENING: Freiräume literarischer Theoriebildung. Dimensionen und Grenzen programmatischer Aussagen in der deutschen Literatur des 12. Jahrhunderts. In: DVjs 66 (1992), S. 405–449, hier S. 406 f., stellt klar, er benutze die Bezeichnung „Literaturtheorie“ in Bezug auf das 12. Jahrhundert nicht im Sinne einer „systematische[n] Diskursform“, sondern lediglich „im Sinne unsystematischer poetologischer Aussageformen im Medium der Dichtung selbst“ und warnt davor, sie ins System zeitgenössischer lateinischer Poetik und Rhetorik zu zwingen; außerdem Sabine Obermaier: Von Nachtigallen und Handwerkern. ‚Dichtung über Dichtung‘ in Minnesang und Sangspruchdichtung, Tübingen 1995 (Hermaea N. F. 75), S. 15, die die Eigenart volkssprachlicher Poetologie ähnlich charakterisiert und zudem betont, dass ihre Besonderheit gerade im freien Umgang mit metaphorischen Ausdrucksweisen liege.
461Zur Bandbreite mittelhochdeutscher Retextualisierungspraxis, die von Übersetzung (Prosa-Lancelot) über konzeptionelle, stilistische und strukturelle Umarbeitung (Wolfram von Eschenbach: Willehalm) und Kompilation aus verschiedenen Quellen eines Stoffkreises (Rudolf von Ems: Alexander; Konrad von Würzburg: Trojanerkrieg) bis zur Neudichtung aus bekannten Motivversatzstücken (Der Stricker: Daniel; Ulrich von dem Türlin: Arabel) reicht, siehe Joachim Bumke: Retextualisierungen in der mittelalterlichen Literatur, besonders in der höfischen Epik. Ein Überblick. In: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur (Anm. 1), S. 6–46, der auch weitere Bearbeitung durch Redaktoren, Bearbeiter, Fortsetzer etc. berücksichtigt.
462Galfred von Vinsauf eröffnet seine einflussreiche Poetria nova mit einem kurzen Kapitel über die Anordnung des Stoffes (dispositio) auf chronologische (ordo naturalis) oder die von ihm bevorzugte künstliche Weise (ordo artificialis), bevor er sich seinen sehr viel ausführlicheren Erklärungen zur sprachlich-stilistischen Gestaltung des Stoffes (elocutio) zuwendet, zu der auch die Mittel der amplificatio und abbreviatio gezählt werden können. Sein Vorgänger Matthäus von Vendôme hingegen beschäftigt sich zu Beginn seiner Ars versificatoria lediglich mit der Art des angemessenen Texteingangs, für die er unterschiedliche rhetorische Figuren (Zeugma, Hypozeuxis, Metonymie) oder den Einstieg über ein Sprichwort empfiehlt. Er warnt sowohl vor einem zu einfachen als auch vor übermäßig pompösem Stil und bespricht Aspekte von Tempus und Syntax, ohne sich Fragen der makrostrukturellen Textgliederung zu widmen. Beide Poetiken in: Les Arts Poétiques du XIIe et du XIIe siècle. Recherches et documents sur la technique littéraire du Moyen Âge. Hrsg. von Edmond FARAL, Paris 1924. Zum unsicheren Status des officiums der dispositio, das in Bezug auf seinen konzeptionellen Status häufig als Unterkategorie der inventio oder in Bezug auf die Satzordnung (compositio) auch als Teilbereich der elocutio verstanden wurde, und dessen theoretische Behandlung im Vergleich zur inventio und elocutio eine untergeordnete Rolle spielte, siehe L. CABOLI MONTEFUSKOU. a.: Dispositio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von GERT UEDING, 10 Bde, Tübingen 1992–2012, Bd. 2 (1994), Sp. 831–866.
463Vgl. dazu beispielsweise HEIKE MAYER: Stillehre, Stilistik A. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik (Anm. 17), Bd. 9 (2009), Sp. 1–7. Zur Kategorie des Stils in mediävistischer Perspektive siehe außerdem JENS HAUSTEIN: Mediävistische Stilforschung und die Präsenzkultur des Mittelalters. Mit einem Ausblick auf Gottfried von Straßburg und Konrad von Würzburg. In: Textprofile stilistisch. Beiträge zur literarischen Evolution. Hrsg. von ULRICH BREUER/ BERNHARD Spies, Bielefeld 2011 (Mainzer historische Kulturwissenschaften 8), S. 43–60.
464Vgl. GERT HÜBNER: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen. In: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven. Hrsg. von HARALD HAFERLAND/ MATTHIAS MEYER, Berlin, New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19) S. 119–147, hier S. 121.
465Konrad von Würzburg: Engelhard. Hrsg. von Ingo REIFFENSTEIN, 3., NEUBEARB. Aufl. der Ausgabe von Paul Gereke, Tübingen 1982 (ATB 17).
466Anicius Manlius Severinus Boethius: De consolatio philosophiae. Opuscula theologica. Hrsg. von Claudio Moreschini, München, Leipzig 2000 (Bibliotheca Teubneriana), I, P1, P3. Vgl. auch die Aufnahme des Motivs durch Alanus ab Insulis: De planctu natura. Hrsg. von NIKOLAUS M. HäRING. In: Studi Medievali 19 (1978), S. 797–879, VIII, P4. Konrad selbst verwendet das Motiv auch in seiner Klage der Kunst (12,7–13,8). In: Kleinere Dichtungen Konrads von Würzburg. Hrsg. von EDWARD SCHRÖDER, Bd. 3 (Die Klage der Kunst – Leiche, Lieder und Sprüche), Berlin 1926.
467Für diese Beschreibung hat nun ganz unzweifelhaft Gottfrieds Darstellung der von seinen Zeitgenossen falsch verstandenen und geschändeten Minne Pate gestanden (Gottfried von Straßburg: Tristan. Nach dem Text von FRIEDRICH RANKE, NEU HRSG., ins Neuhochdeutsche übers., mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von Rüdiger Krohn, 3 Bde, 6., überarb. Ausgabe, Stuttgart 1993 [RUB 4471; 4472; 4473], V. 12217–12357).
468Die ersten Verse der Erzählung verorten das Geschehen dementsprechend in einer Zeit, als dietriuwe den Leuten noch niuwe war (V. 217 f.).
469Vgl. zu dieser Koinzidenz auch ASEBRINK (Anm. 1), S. 214 f.
470Zur Problematik, den neuzeitlichen Übersetzungsbegriff auf die mittelhochdeutsche Literaturkultur zu übertragen, siehe FRANZ JOSEF WORSTBROCK: WIEdererzÄ HLEN UND Übersetzen. In: Mittelalter und frühe Neuzeit. Übergänge, Umbrüche und Neuansätze. Hrsg. von Walter Haug, Tübingen 1999 (Fortuna vitrea 16), S. 128–142, der den Anfang eines neuzeitlichen Übersetzungsbegriffs mit dem Anspruch nicht mehr nur die materia, sondern auch die elokutionäre Qualität des Ausgangstextes zu erhalten und mit einem auf Inhalt und Form gerichteten Werkverständnis bei Niklas von Wyle ansetzt; Bumke (Anm. 1), S. 12 f., mit weiterführender Literatur.
471Im Epilog beschreibt Konrad seine Arbeit auf ähnliche Weise: von Wirzeburc ich Kuonrât / hân ez von latîne / ze tiuscher worte schîne / geleitet und gerihtet / und ûf den trôst getihtet / daz ein herze wol gemuot / dar an ein sælic bilde guot / ze lûterlicher triuwe neme (V. 6492–6499).
472Siehe RÜDIGER BRANDT: konrad von würzburg.Kleinere epische Werke, Berlin 2000 (KlassikerLektüren 2), S. 132 f.
473Die Metapher der flores rhetorici ist seit der Antike ubiquitär, und auch die Metapher des Glanzes ist traditionell für die elocutio. So sagt Cicero über die Figur der Metapher: Modus autem nullus est florentior in singulis verbis nec qui plus luminis adferat orationi. (De oratore. Hrsg. und übers. (engl.) von E. W. SUTTON/H. RACKHAM, london 31960 (Loeb Classical Library), III, 166; „Es gibt jedoch keine Redeweise, die im Bereich des Einzelwortes blühender ist, und der Rede mehr Glanz verleihen könnte“,E. L.). Zum blüemen siehe Gert Hübner: Lobblumen. Studien zur Genese und Funktion der ‚Geblümten Rede‘, Tübingen, Basel 2000 (Bibliotheca Germanica 41); zum blüemen und zur poetologischen Metapher des Glanzes bei Konrad siehe JAN-DIRK MÜLLER:schîn und Verwandtes. Zum Problem der„Ästhetisierung“ in Konrads von Würzburg Trojanerkrieg (Mit einem Nachwort zu Terminologie Problemen der Mediävistik). In: Im Wortfeld des Textes (Anm. 9), S. 287–307.
474Siehe z. B. Erika Greber: Textile Texte. Poetologische Metaphorik und Literaturtheorie. Studien zur Tradition des Wortflechtens und der Kombinatorik, Köln 2002 (Pictura et poesis 9).
475Cicero: Orator. Hrsg. und übers. (engl.) von H.. M. HUBBELL, london 41962 (Loeb Classical Library),S. 78 f.
476„Nachdem die Ordnungskraft des Geistes den Gegenstand im Verborgenen strukturiert hat, möge die Dichtkunst hinzukommen, um diese Materie in Worte zu kleiden.“ (E. L.).
477„Damit alles dem Gesetz gehorcht, soll ein edler Gedanke durch einen edlen Ausdruck gewürdigt werden, damit eine reiche Matrone nicht ob ihrer schäbigen Kleidung errötet. Damit die Materie also ein wertvolles Gewand erhält, wenn das Wort alt ist, sei ein Mediziner und erneuere das Alte. Erlaube einem Wort nicht immer, auf seinem angestammten Platz zu verweilen – so ein Verweilen bekommt ihm nicht – lass es seinen angestammten Platz meiden und zu einem anderen Ort gehen, um dort einen angenehmen Platz im fremden Terrain zu finden. Lass es dort ein Gast sein und durch seine Neuheit Wohlgefallen erregen. Wenn du diese Medizin bereitest, wirst du das Gesicht des Wortes verjüngen. Diese Methode lehrt uns die Worte auf angemessene Weise zu übertragen. Wenn ich von einem Mann spreche, werde ich von ihm mit Ausdrücken von Ähnlichem sprechen. Wenn ich sehe, welches das angemessene Kleid in einem ähnlichen Fall ist, werde ich es verändern und ein neues Kleid aus dem alten machen.“ (E. L.). Die Kleidmetapher findet sich auch in V. 219–222; V. 1688–1700 – im Kontrast zur „nackten Materie“ (V. 1699). Vgl. auch Johannes von Garlandia: Parisiana Poetria de Arte Prosaica, Metrica, et Rithmica. Hrsg. und übers. (engl.) von Traugott Lawler, New Haven, London, 1974: Sequitur de materia nuda uestienda. „Materiam nudam“ uoco illam que non est rethorice ampliata neque ornata (IV, 143–145; „Das nächste Thema ist die Bekleidung der nackten Materie. Als ,nackte Materie‘ bezeichne ich das, was nicht rhetorisch amplifiziert oder geschmücktist“, E. L.). Interessant in Bezug auf Konrads Verwendung des Worts erniuwen ist auch die Verjüngungsmetaphorik Galfreds, da das Wort im Hauptteil des Trojanerkriegs als Bezeichnung für den alchemistischen Verjüngungszauber Medeas verwendet wird. Sowohl Hans Jürgen Scheuer: wîsheit. Grabungen in einem Wortfeld zwischen Poesie und Wissen. In: Im Wortfeld des Textes (Anm. 9), S. 83–106, als auch BURKHARD HASEBRINK: Rache als Geste. Medea im Trojanerkrieg Konrads von Würzburg. In: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hochund Spätmittelalters. Fs. für Volker Mertens. Hrsg. von M.ATTHIAS MEYER/ HANS JOCHEN Schiewer, Tübingen 2002, S. 209–230, haben bereits eine metapoetische Deutungsmöglichkeit dieser Passagen durch den Bezug auf die poetologische Verwendung von erniuwen im Prolog erwogen. Die metaphorische Verbindung von medizinischer und literarischer Erneuerung bei Galfred ist ein wichtiges Indiz zur Plausibilisierung dieser Lesart.
478Frauenlob (Heinrich von Meissen): Leichs, Sangsprüche, Lieder. Hrsg. von KARL STACKMANN/ KARL Bertau, 2 Bde, Göttingen 1981.
479Heinrichs von Freiberg Tristan. Hrsg. von REINHOLD BECHSTEIN, Leipzig 1877 (Deutsche Dichtungen des Mittelalters 5).
480Dieses Ideal des aptum, das sich auch in Galfreds Äußerungen niederschlägt, ist traditionell. Vgl. auch Cicero, der Stil, obwohl er ihn mit Metaphern wie Kleid oder Schmuck bezeichnet, gerade nicht als reines Oberflächenphänomen verstanden wissen will: His tribus figuris insidere quidam venustatis non fuco illitus sed sanguine diffusus debet color (De oratore, III, 199; „Diese drei Stile sollten jedenfalls eine Farbe haben, die nicht wie durch Schminke der Schönheit aufgemalt, sondern wie von Blut durchströmt ist“, E. L.). Historisch hat die Kleidmetapher immer wieder dazu gedient, das angemessene Verhältnis von Inhalt und Stil zu fordern, und wurde zum Teil auch gänzlich negativ als eitler rhetorischer Schmuck der „nackten Wahrheit“ entgegengesetzt. Zur Geschichte der Metapher bis ins 20. Jahrhundert siehe WOLFGANG G. MÜLLER: Topik des Stilbegriffs. Zur Geschichte des Stilverständnisses von Antike bis zur Gegenwart, Darmstadt 1981 (Impulse der Forschung 34).
481Vgl. dazu Brandt (Anm. 27), S. 111–113.
482Besonders negativ äußert sich dazu beispielsweise BARBARAKÖNNEKER: Erzähltypus und epische Struktur des Engelhard. Ein Beitrag zur literarhistorischen Stellung Konrads von Würzburg. In: Euphorion 62 (1968), S. 239–277.
483 Z. B. DENNIS HOWARD GREEN: Konrads Trojanerkrieg und Gottfrieds Tristan. Vorstudien zum Gotischen Stil in der Dichtung, Waldkirch 1949, S. 50, der eine „Liebe zum Wortrausch um seiner selbst willen und die Überwucherung des Inhalts durch die losgelöste, eigengesetzlich gewordene Form“ diagnostiziert.
484Einen Überblick über die Debatte bietet ARMIN SCHULZ: Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik, Tübingen 2008 (MTU 153), S. 490–495.
485 ELISABETH LIENERT: Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg Trojanerkrieg, Wiesbaden 1996 (Wissensliteratur im Mittelalter 22).
486 L IENERT (Anm. 40), S. 222.
487Siehe dazu Wolfgang Monecke: Studien zur epischen Technik Konrads von Würzburg. Das Erzählprinzip der wildekeit, Stuttgart 1968 (Germanistische Abhandlungen 24): „Nahe läge die Vermutung, daß der Dichter […] mit den Quellen Wucher treibe, daß er viele Stimmen hören, die Belege häufen, Entlegenes, ja Abwegiges vergleichend ausbreiten wolle. Konrad hat in der Tat sorgfältig kompiliert, aber diese Kompilation ebenso sorgfältig verborgen. Seine Gewährsleute im Chor berichten, einander ergänzen, widersprechen, übertrumpfen zu lassen, um dann vielleicht als Schiedsrichter das letzte Wort zu sprechen – eine denkbare Konsequenz der wilden Erzählkunst –, das kam Konrad offenbar nicht in den Sinn.“; vgl. dazu auch LIENERT (Anm. 40), S. 184.
488Benoît de SainteMaure: Le Roman de Troie. Hrsg. von Léopold Constans, 6 Bde, Paris 1904–1912 (Societé des Anciens Textes Français 51), V. 45–144.
489Zu Rudolfs Selbstdarstellung als Kompilator siehe STEFANIE SCHMITT: Autorisierung des Erzählens in Romanen mit historischen Stoffen? Überlegungen zu Rudolfs von Ems Alexander und Konrads von Würzburg Trojanerkrieg. In: GELTUNG DER LITERATUR: Formen ihrer Autorisierung und Legitimierung im Mittelalter. Hrsg. von Beate KELLNER/ PETER STROHSCHNEIDER/ FRANZISKA WENZEL, Berlin 2005 (Philologische Studien und Quellen 190) S. 187–201.
490Diese Strategie stillschweigender Harmonisierung im Prolog und in der Erzählung ist natürlich ganz und gar inkompatibel mit gelehrten Konzepten von Kompilation wie dem des Vinzent von Beauvais. Vgl. A.LASTAI R J. MINNIS: LateMedieval Discussions of compilation and the role of the compilator. In: PBB 101 (1979), S. 385–421.
491Z. B. Kellner (Anm. 9), S. 259.
492Zur Tradition dieser alten Metapher siehe E.RNST ROBERT CURTIUS: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 2., überarb. Ausgabe, Berlin 1948, S. 138–141. Die Metapher findet sich auch bei Matthäus von Vendôme, I, 33–34, und Galfred von Vinsauf, V. 2071–2074.
493Konrad von Würzburg: Der trojanische Krieg. Nach den VORARBEITEN KARL FROMMANNS und FRIEDRICH Roths zum ersten Mal hrsg. durch Adelbert von Keller, Stuttgart 1858 (StLV 44).
494 KELLNER (Anm. 9), S. 252.
495 KELLNER (Anm. 9), S. 251; vgl. auch Franz Josef Worstbrock: Die Erfindung der wahren Geschichte. Über Ziel und Regie der Wiederzählung im Trojanerkrieg Konrads von Würzburg. In: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters (Anm. 1), S. 155–173, insbes. S. 155–160.
496Vgl. SCHMITT (Anm. 44), S. 196 f., die betont, dass Konrad sich nicht als gelehrter historiographuspräsentiert und dass das Verb erniuwen primär eine „ästhetische Neugestaltung“ bezeichne.
497Anders als Konrad, der das alte Buch in seiner ursprünglichen Form wiederherstellen will, scheint Wirnt von Grafenberg eher auch eine strukturelle Neuordnung der materia anzusprechen, wenn er mit ähnlicher Formulierung die Möglichkeit erwägt, die Geschichte des Lifort Gawanides aus dem Französischen zu übersetzen, die ihm jedoch eigentlich ze wilde, ze krump und ze swære (V. 11629 f.) ist: mîn zunge si verschriete / und begunde si wider lîmen / mit ganzen niuwen rîmen. (Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J. M. N. Kapteyn übers., erl. und mit einem Nachwort versehen von SABINE SEELBACH und ULRICH SEELBACH, Berlin, New York 2005, V. 11672–11674).
498Für hilfreiche Anregungen und Diskussionen danke ich Mark Chinca.