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Nach einem Gang über das Oberland legte der junge Wissenschaftler die Mappe vor sich auf den Tisch am Fenster, öffnete sie und nahm die Papiere heraus, die er mitgebracht hatte. Sie waren von Berechnungen und Formeln bedeckt, mit denen er vermutete Lösungen überprüft hatte. Doch die Seiten sahen ihn fremd und nicht hierher gehörig an. Sie lösten einen Widerwillen aus. An den Blättern haftete die zurückgelassene Atmosphäre der Institutsräume, brachte sie grau und freudlos hierher, in diese einfache Stube. Selbstverständlich war es ehrenvoll, in seinem jugendlichen Alter mit einem Physiker von Weltrang Tage und Nächte an zentralen Forschungsfragen zu arbeiten. Zwar tauschte er sich auch in Deutschland mit exzellenten Wissenschaftlern aus, die sich mit den neuen Teilchentheorien beschäftigten, Experimente durchführten und mathematische Lösungen ausprobierten. Doch Kopenhagen war etwas anderes als nur Austausch. Der Professor war ein brillanter Theoretiker, und er war ein Berserker. Forschung bedeutete ihm keine Tätigkeit, sie war Existenz, eine Art, das Leben zu führen, konsequent und ausschließlich der Arbeit gewidmet. Ausnahmen? Ja, gab es. Sie waren einmal ans Meer gefahren, hatten eine Wanderung gemacht, ebenso ausschließlich, als wäre der Fußmarsch durch die Wiesen und Wälder, entlang des Meeresstrands nur eine notwendige zwischenzeitliche Kenntnisnahme der Natur und ihrer Erscheinungen gewesen, deren Grundstruktur sie am Institut zu verstehen suchten. Sowohl bei den seltenen Ausflügen, wie bei dem endlosen Notieren und Diskutieren von Formeln, galt es stets an die Grenzen zu gehen – und oft darüber hinaus. Es war mehr als einmal vorgekommen, dass der Druck der bohrenden Fragen ein Sichüberschneiden von Gedanken ausgelöst hatte, wodurch sich diese gegenseitig aufhoben und eine hilflose Leere zurückließen.

Dieser schwebend unentschiedene Zustand wehte ihn aus den Papieren an, ein Überdruss auch, und gab ihm das Gefühl, das Heufieber sei zurück, ließe ihn schwerer atmen – während doch das klare Insellicht im Fenster über seinem Tisch stand, der Wind eine frische, salzig riechende Luft an die Scheiben warf, die leicht in den Rahmen klirrten. Der Beobachter saß eine ganze Weile reglos am Tisch. Er wünschte sich, er hätte ein Radio, um ein Konzert zu hören. Nichts beruhigte und klärte seine Gefühle wie Musik, und wenn es auch merkwürdig sein mochte, durch sie gewann er stets den Glauben an eine hinter allen Erscheinungen liegende Ordnung zurück. In der Musik hörte er sie, und mit ein wenig Wehmut dachte er an die Hauskonzerte. Sie waren ihrer drei gewesen, die sich regelmäßig zum Musizieren getroffen, Brahms oder Schubert gespielt hatten, und in diesem Spiel ein schweigendes gegenseitiges Verstehen gefunden hatten.