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Helstedt fiel erstmals auf, wie überladen Sörensens Wohnung mit Möbeln, Büchern, Bildern und Erinnerungsstücken war. Eine dichte, die Beweglichkeit einschränkende Atmosphäre umfing ihn, obwohl Sörensens Wohnung viel großzügiger als sein Appartement war. Von seinen Jahren in Singapur, später in Japan hatte Sörensen Stücke mitgebracht, die alle geschmackvoll waren und von der Weltläufigkeit seines Freundes zeugten. Diese war allerdings vergangen, lediglich noch in den Dingen festgeschrieben. Dadurch wirkte die Einrichtung museal und die fremdartigen Gegenstände auch nicht mehr wirklich zugänglich. Vielleicht bestand darin die Beengung, die Helstedt diesmal empfand.

Dazu kam, dass sich Sörensens Frau Helga zu ihnen setzte. Sie war eine drahtige, herbe Frau mit festen Überzeugungen, politisch tätig, die sich für soziale Projekte einsetzte. In der Konversation, die sie unter den offenen Fenstern führten, fühlte sich Helstedt stets gezwungen, bekenntnishafte Sätze zu sagen, die er nicht wirklich meinte, jedoch den Beifall Helgas finden sollten. Dieser seltsame Zwang, den er vielleicht auch bei der Begegnung mit Linn verspürt hatte, stellte sich sofort und unausweichlich ein. Obwohl es ihn manchmal reizte, Helga in ihren strengen Ansichten zu provozieren, tat er es nie, verfiel zunehmend in ein inneres Warten, bis sie aufstand und sich mit dem gleichbleibenden Satz verabschiedete: »Ich habe noch zu tun!«, und leiser zu Sörensen sagte, sie sei gegen elf Uhr zurück.

Es war ein warmer und schöner Abend, von der Straße und dem Gehweg entlang dem Sortedams Sø klangen Stimmen, Rufe, Schritte, vereinzelt auch Motorenlärm zu den offenen Fenstern herauf. Man spürte die Freude und Unternehmungslust der Leute, eine abendliche Aufgeregtheit, während sie, die Weingläser vor sich, in Wörtern gefangen saßen.

Helstedt hatte Sörensen Auszüge aus seinen Notizen zugeschickt. Auch wenn er nicht mehr genau wusste, was er sich davon versprochen hatte, es sollte die Antwort auf seine Glosse »Der Mann, der überall Lösungen sah« sein. Vielleicht wollte er nur hören, was er fürchtete, dass seine Erfahrungen als ein Mystizismus abgetan würden, den er sich nach Gehörtem und Gelesenem zurechtgelegt habe, und genau das gab ihm Sörensen, freundschaftlich lächelnd, zu verstehen. Wo kämen wir hin, wenn wir alles mit allem im Austausch sähen, das Unterteilen und Abgrenzen aufgäben, diese Grundkomponenten unseres Denkens, die einzig eine Orientierung ermöglichten. Woran könnten wir uns denn halten, ohne Wörter und Beschreibbarkeit, da diese doch die Voraussetzung jeglichen Erkennens seien? Helstedt kam es vor, während er seinem Freund zuhörte, als hätte Sörensen mit seinen Einwänden recht, und es wäre wünschenswert, dass die Welt so angenehm wie Sörensens Wohnung eingerichtet wäre, gleichbleibend, mit definierten Orten für jedes Ding, vollgestellt, beengend, vertraut. Vielleicht gehörte das zum Alltag, mussten Menschen auf diese Art leben, wie er selbst ja auch. Doch seit seinen Erlebnissen kam es ihm manchmal vor, als bewege er sich in energetischen Feldern. Er sei ein Teil davon und stehe in dauernder Wechselwirkung mit diesen bläulichen Funken, einem Meer aus Glutteilchen, die in einem nicht endenden Dialog von allem mit allem stünden.

Etwas unzusammenhängend und für Sörensen unverständlich, sagte Helstedt:

– Weißt du, irgendwann glaubte ich verstanden zu haben, dass mein Leben heute nicht so wäre, wie es ist, hätte es Ellie nicht gegeben. Folglich ist sie noch immer da, wirkt in jedem meiner Blicke, in jedem Moment meines Lebens weiter, wenn auch in kaum messbaren Einflüssen. Nach ihrem Tod fühlte ich mich verlassen. Ellie war nicht mehr, außer in verblassenden Erinnerungen. Jetzt gibt mir der Gedanke, dass sie in dem, was ich und wie ich es sehe, stets ein wenig anwesend ist, das Gefühl, weniger allein zu sein, als ich es bisher gewesen bin.