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Le rose cascano, le spine restano.

Die Rose fällt, die Dornen bleiben.

Tage bis Divorando: 15

»Konnten sie nicht noch einen Tag warten?«, fragte Dante.

Der Soldat zuckte angesichts seines Zorns zusammen.

»Lass ihn in Ruhe, Dante. Es ist nicht seine Schuld.« Mit ihren salzverkrusteten Haaren und Sand in jeder Falte ihres Rocks sah Alessa ziemlich unordentlich aus und war eigentlich nicht in dem Zustand, um vor der Menge zu sprechen. Sie hatte jedoch keine Zeit mehr, sich umzuziehen.

Je näher sie den vorderen Toren kamen, desto lauter wurde das Wummern, aber sie blieb erst stehen, als sie die Stufen vor der Cittadella erreicht hatte.

»Wo ist ihr Fonte?«, fragte Padre Ivini. Seine silbernen Haare waren glatt zurückgestrichen, und die blauen Augen leuchteten in einem unheiligen Licht. Er stand mitten in einer aufgewühlten Menge auf der Piazza. »Warum die Geheimniskrämerei?«

Die Menge teilte sich, als Leute vor ihr zurückwichen.

Ivini unterbrach seine Rede. »Ah, Finestra

Adrick stand in einer Gruppe hinter Ivini; er trug eines dieser lächerlichen Gewänder. Sie warf ihm einen giftigen Blick zu. Gefühle huschten über sein Gesicht – Wut, Enttäuschung … Erleichterung?

»Ihr wagt es, Deas Wahl infrage zu stellen?« Ihre Stimme zitterte vor rechtschaffenem Ärger – zumindest hoffte sie, dass es so wirkte.

»Nein, Mylady«, sagte Ivini. »Ich weiß genau, was Crollo vorgehabt hat, als er Euch wählte. Sein letzter Trick wird uns alle verdammen, wenn wir es zulassen. Gebt es zu. Eure Berührung kann nicht retten, sondern nur töten.«

Panik stieg in Alessa auf, als die Menge um sie herum raschelte. »Wachen, entfernt diesen Mann sofort von der Piazza.«

Hauptmann Papatonis und seine Wachen tauschten unsichere Blicke aus.

»Die Leute haben Angst, Finestra«, sagte der Hauptmann. »Niemand hat Euch je in Aktion gesehen. Es könnte sie beruhigen.«

Ivini lächelte zufrieden. »Seht Ihr? Ruft Euren Fonte her, und zeigt es uns, dann werden wir friedlich schlafen.«

Das war leichter gesagt als getan, denn keiner der Kandidaten war hier.

»Die Verbindung zwischen Finestra und Fonte ist heilig.« Alessa suchte nach den Lehren, die sie tausendmal gelesen hatte. »Ihr könnt nicht ernsthaft erwarten, dass ich einen Akt göttlicher Intimität vor Fremden vollziehe?«

»Es dient einer guten Sache«, sagte Ivini mit einem verschlagenen Lächeln.

»Hauptmann.« Alessa wandte sich an Papatonis. »Ihr seid verheiratet. Wenn ich den Befehl geben würde, würdet Ihr dann Eure Frau herkommen lassen, Eure Kleidung ausziehen und hier, wo alle zusehen können, Eure ehelichen Pflichten erfüllen?«

Papatonis wurde rot. »Natürlich nicht.«

»Ach, Ihr würdet also keinen intimen Akt in der Öffentlichkeit vollziehen. Interessant. Aber ich soll das tun?«

Ivini zog die Augen zusammen. »Dann berührt jemand anderen . Das ist nichts Heiliges.«

»Meldet Ihr Euch freiwillig?« Es könnte es wert sein, ihn schreien zu sehen, aber sie hatte schon genug Mühe, ihre Macht zu kontrollieren, wenn sie ruhig und vorbereitet war. Jetzt wütete ihre Macht, unvorhersehbar und verärgert wie der Rest von ihr. Wenn sie Ivini berührte, würde sie ihn verletzen oder Schlimmeres anrichten, und während sie es genießen würde, das Licht in seinen Augen erlöschen zu sehen, wäre es vielleicht auch das Letzte, was sie selbst sehen würde, wenn die Menge entflammte.

»Ich bin bereit dazu.« Dante trat vor.

Sie zwang sich, höhnisch zu grinsen, als wären er und die ganze Situation unter ihrer Würde.

Die Menge beobachtete. Wartete. Ihr Herz hämmerte.

»Da ist eine mutige Seele.« Ivini leuchtete förmlich vor Erwartung. »Wenn Eure Worte wahr sind, beweist es, Finestra.«

Alessa zögerte den Moment hinaus. Sie wollte dafür sorgen, dass alle die Chance hatten zu sehen, wie sie ihn musterte, die Lippen dabei angewidert verzog. Dann, als würde sie sich dazu herablassen, etwas zu berühren, das sie abstieß, streckte sie ihre Hand nach der von Dante aus.

»So, dass wir es sehen können«, sagte Ivini süßlich.

Sie verdrehte die Augen, zufrieden, dass sie ein paar Leute kichern hörte. Mit einem Seufzer vorgetäuschter Gereiztheit streckte sie ihre Hände so in die Höhe, dass die Menge sehen konnte, dass sie keine Handschuhe trug. Dann umfasste sie Dantes Gesicht.

Die Menge hielt geschlossen den Atem an. Eine Sekunde verging, und noch eine. Gelangweilt schob Dante träge seine Hände in die Taschen.

Alessa wandte sich an Ivini. »Wie lang muss ich hier stehen, bevor Ihr zugebt, dass Ihr Euch geirrt habt?«

Vereinzeltes Kichern. Ivini kochte.

Alessa schnippte die Finger in Dantes Richtung, entließ ihn mit dieser hochmütigen Geste. »Wenn wir hier fertig sind … ich habe Wichtigeres zu tun, als Eure Theorien zu widerlegen, Padre . Und ich stelle mir vor, dass die guten Leute von Saverio gerne mit ihren Vorbereitungen fortfahren würden, damit wir den bevorstehenden Carnevale genießen können. Ich freue mich darauf, morgen Abend allen zeigen zu können, wen ich als Fonte erwählt habe.«

Der anschließende Jubel war zwar schwach, aber sie höhnten auch nicht, und Alessa schritt mit hoch erhobenem Kopf in die Cittadella zurück.

Kaum waren sie sicher hineingelangt, schien Dante sie die Stufen hochzerren zu wollen, aber sie schüttelte den Kopf. »Die Fontes. Sie sind immer noch ausgeschlossen.«

Als sie den Fuß der Treppe erreichten, gaben ihre Beine nach. Alessa sank gegen die Mauer und atmete zitternd aus. Sie wäre bis auf den Boden gerutscht, wenn Dante sie nicht in seine Arme gerissen hätte.

»Dea«, hauchte er in ihre Haare. »Ich dachte schon, sie würden Euch töten, und ich könnte nicht gegen alle kämpfen –«

Aber er hatte es getan.

Sie zog seinen Kopf nach unten und beendete seine Litanei aus Was-wäre-wenns mit einem Kuss.

Dante erstarrte.

Sie öffnete den Mund, strich mit der Zunge über seine Lippen, und seine Selbstbeherrschung zerbrach. Seine Hände waren mit einmal überall – hielten ihr Gesicht, fuhren ihr durch die Haare, packten sie an der Taille. Er drückte sie gegen die Tür und presste seinen Mund auf ihren, presste seine Hüften gegen ihre, als wollte er versuchen, den Sturm seiner Verzweiflung mit dem Sturm zu verschmelzen, der in ihr tobte.

Sie waren ein Risiko eingegangen, und es hatte sich gelohnt, aber Dantes unruhiger Atem verriet ihr, dass auch er wusste, wie nah dran sie gewesen waren, alles zu verlieren.

»Klopf, klopf«, rief Kaleb. Das Tor klapperte. »Jemand zu Hause?«

Dante ließ den Kopf stöhnend auf Alessas Schulter sinken.

Er sagte kein Wort, als sie die anderen hereinließ, aber Kamaria betrachtete Alessas gerötete Wangen mit einem wissenden Blick, während sie plaudernd und lachend die Treppe hochgingen. Niemand sonst bemerkte, dass Dante und Alessa schwiegen.

Oben angekommen, wurde Alessa klar, dass sie etwas sagen musste. Morgen würde für sie alle bis auf eine Person der letzte Tag sein.

»Ich bin so froh, dass ich euch alle kennenlernen durfte«, sagte sie lächelnd. »Der Consiglio wird sich morgen mit euch zusammensetzen, um mit euch zu sprechen und seine Empfehlungen auszusprechen. Ich hoffe –« Sie schluckte. »Ich hoffe, dass sich jemand freiwillig melden wird, denn ich möchte eine so wichtige Entscheidung nicht dem Zufall oder dem Consiglio überlassen. Aber wie es auch sein wird, ich bin euch wirklich dankbar für eure harte Arbeit und … und für eure Freundschaft. Ich kann gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet.«

Saida schniefte geräuschvoll, was alle zum Lachen brachte, und dann wünschten sie einander eine gute Nacht.

Nachdem sich die Tür zu ihrer Suite mit einem Klicken geschlossen hatte, waren Alessa und Dante allein. Ihre Lippen prickelten und waren immer noch von seinem Kuss geschwollen, als sich ihre Blicke begegneten.

Er deutete auf das Bett. »Geh.«

Sie errötete, und ihr Herz pochte.

»Allein.« Er setzte sich auf das Sofa. »Du bist so nah. Lass dich nicht durch mich ablenken.«

»Ich kann nicht ändern, wie ich dir gegenüber fühle.«

»Es spielt keine Rolle, was wir fühlen. Einige Dinge sind unmöglich.«

Am nächsten Abend würde sie mit dem Menschen, den sie als Fonte erwählte, auf dem Balkon stehen.

Am nächsten Tag würde sie verheiratet sein. Und er würde nicht mehr da sein.