Chonas Entscheidung, Dodo vor dem Staat Pennsylvania zu verstecken, war nicht mal die Titelgeschichte, als Patty Millison, bekannt als »die Zeitung«, oder kurz »Paper«, am folgenden Samstag in Chonas Heaven & Earth Grocery Store Hof hielt.
Paper, deren schöne, dunkle schokoladenbraune Haut, die kecken Brüste und das wilde, zu Cornrows geflochtene Haar mit einem niemals still stehenden Mundwerk verbunden waren, das weder Geheimnisse bei sich zu behalten verstand noch genug Essen zu schlingen vermochte. Sie aß wie ein Pferd, ohne auch nur ein Gramm zuzulegen, war eine Waschfrau und versammelte jeden Samstag im Heaven & Earth Grocery Store ihre Anhängerschaft um sich. Der Samstag war Miss Chonas Sabbat, was Paper freie Bahn gab für den Austausch von Witzeleien, pikanten Gerüchten und anderen grundlegenden örtlichen Informationen, ohne dass Chona es hörte. Die farbigen Hausmädchen, Haushälterinnen, Saloon-Reinigerinnen, Fabrikarbeiter und Hotelpagen vom Chicken Hill, die sich samstagmorgens an der Gemüseauslage trafen, um Papers Nachrichten zu hören, liebten ihr Gerede. Paper wusste mehr als die örtlichen Zeitungen, die sie niemals las. Tatsächlich ging das Gerücht, dass Paper gar nicht lesen konnte – sie war schon mehr als einmal in der Second Baptist Church gesehen worden, wie sie das Gesangbuch verkehrt herum in der Hand gehalten hatte. Doch das machte nichts. Aus ihrem hübschen Holzhaus in der Franklin Street, einer der Hauptstraßen, die auf den Chicken Hill führten, sah sie die Stadt vor sich liegen und hatte das Viertel im Rücken. Allerdings war es nicht die Lage ihres Hauses, die es Paper erlaubte, zur Quelle der furchtlosesten Berichte auf dem Hill zu werden, und auch nicht, dass sie es selbst mit den besten Reportern des wendigen Pottstown Mercury und sogar des mächtigen Philadelphia Bulletin hätte aufnehmen können. Nein, es war die Wirkung, die sie auf die Männer ausübte. Ihre Schönheit, ihr unbeschwertes Lachen, die leuchtenden Augen und das Lächeln, das sie jedem Fremden schenkte, den sie traf, machten sie zu einem Männermagnet. Männer schütteten Paper ihr Herz aus. Hartgesottene Strolche, die sich gegenseitig in dunklen Gassen Messer in die Bäuche stießen, sahen sie nachmittags über die schmutzigen Straßen Chicken Hills wandeln und empfanden ein plötzliches Bedürfnis nach Reue, erinnerten sich an die Unschuld ihrer Kindheit und das herrlich gelbe Sonnenlicht, das ihre Gesichter liebkost hatte, wenn sie am Palmsonntag mit Hemd und Krawatte nach der Sonntagsschule Palmwedel schwenkend aus der Kirche zu ihren lachenden Müttern gestürmt waren. Sanftmütige Diakone, die einen anstrengenden Tag lang im Pottstown Social Club in weißer Jacke die Väter der Stadt bedient hatten und mit düsterer Miene vor ihren Häusern saßen, sahen Papers stolze Brüste frei unter ihrem Kleid schwingen, während sie vorbeischwebte, und hörten plötzlich tausend Trommeln den Amazonas herunterkommen, begleitet von Visionen, in denen sie ihre Bosse ertränkten. Maurer besserten ihren Kamin aus, nur um zu sehen, wie sie sich in ihrem herrlich blühenden Garten über die Petunien beugte. Maultiertreiber schafften Fässer mit Trinkwasser zu ihrem Haus, nur um ihr Lachen zu hören. Die führenden Pullman-Schaffner der nahen Reading Railroad strömten herbei, um ihre Wäsche zu bringen und wunderbare Geschichten von Reisen an ferne Orte wie Iowa, Florida oder gar Los Angeles zu erzählen. Sie träumten von etwas Bunga-Bunga mit Paper, die sie für die örtliche Wilde hielten. Auch weiße Männer fanden sie unwiderstehlich, weshalb sie keinen einträglichen Hausmädchenjob hatte. »Ich habe mich von der Tagesarbeit zurückgezogen«, erklärte sie Freundinnen mit einem Lachen. »Zu viel Ärger. Die Männer fummeln, und die Frauen grummeln.« Die weißen Hausfrauen der Stadt, die wollten, dass ihre Männer die glitschigen Leitern des Erfolges in Pottstowns blühender Banken- und Produktionswelt hinaufkletterten, waren ständig mit deren Hemden und sonstigen Kleidungsstücken zu ihr unterwegs, denn sie wusch und bügelte mit solch einer Sorgfalt und Professionalität, dass sogar Millstone Potts, der oberste Banker der Stadt und Enkel von Mr John Potts persönlich, dem alten Sack, der Gott sei Dank auf dem Friedhof lag und Würmer sammelte – und mit dem Fallschirm in der Hölle gelandet war, falls die Brücke versperrt war, beteten die alten Schwarzen –, selbst Millstone Potts schickte seine Hemden zu ihr, um sie waschen und bügeln zu lassen. Paper, sagten die Alten, hat den Bogen raus, sie hat Talent. Frauen fanden sie witzig und interessant, denn sie wollte im Gegensatz zu den meisten Männern wissen, was sie dachten, und war zudem noch nicht verheiratet und schwor, dass sie keinerlei Pläne in der Richtung habe. »Ich bin ohne Mann besser dran«, erklärte sie, was sie erfolgreich machte und wodurch sie der angesehensten Staatsfrau von Chicken Hill, Addie, Nates Frau, etwas voraus hatte, wobei Addie eine Townsend war, und alle wussten, dass die Townsends sowieso zu unerschrocken waren, um lange zu leben. Sie waren schon zu lange aus dem Süden weg. Zu schwarz, zu stark, zu mutig. Sie weigerten sich, den Bürgersteig freizumachen, wenn eine weiße Frau näher kam. Sie vergaßen es zu vermeiden, einer weißen Person in die Augen zu sehen. Sie hatten alles vergessen, was zu Hause dazu hätte führen können, ihr Leben im Zeitraffer an sich vorbeiziehen zu sehen, während sich die Schlinge um ihren Hals legte – oder schlimmer, zwanzig Jahre lang durch Gitter zu blicken, die Hoffnung schal wie Bier von gestern, und von altem Kram zu träumen, den sie hätten verkaufen sollen, von Wild, das sie hätten schießen sollen, aber verpasst hatten, von Frauen, die sie hätten heiraten sollen, es aber verpatzt hatten, weil sie offenen Auges in den fünffingrigen Karateschlag der Gesetze des weißen Mannes gelaufen waren. Eine farbige Person konnte in der Welt des weißen Mannes nicht überleben, wenn sie nicht Bescheid wusste. Sie musste die neuesten Nachrichten kennen. Deshalb war Paper so wichtig. Sie war eine Besonderheit Pottstowns.
Und so kam es, dass niemand aus der Gruppe der Hausfrauen, Faulenzer und Fabrikpförtner ihre Entscheidung infrage stellte, dass die Titelgeschichte dieses Samstags in Chonas Heaven & Earth Grocery Store nichts mit Miss Chonas Entscheidung zu tun hatte, Dodo vor dem Mann vom Staat zu verstecken. Alle wussten sowieso, dass Dodo verloren war. Er war Addies Neffe, das Kind ihrer toten Schwester Thelma, die drei Jahre, nachdem ihr Ofen explodiert war und dem Jungen das Gehör genommen hatte, gestorben war. Die »spezielle Schule«, von der alle wussten, dass es keine Schule, sondern das ziemlich schreckliche Pennhurst-Sanatorium in Spring City war, stellte nicht mehr als eine weitere Ungerechtigkeit in einer Welt dar, die voll damit war, warum also lange darüber debattieren? Im Übrigen waren Papers Neuigkeiten an dem Samstag viel zu reizvoll, um übergangen zu werden.
Sie fing folgendermaßen an: »Big Soap hat Fatty seinen Goldzahn ausgeschlagen.«
Big Soap war relativ neu und beliebt im Viertel, ein riesiger Italiener namens Enzo Carissimi – ein Meter achtundneunzig groß und prächtig gebaut, mit breiten Schultern, großen Händen, anziehenden braunen Augen und einer sanften Natur, der zudem ständig in Lachen ausbrach. Mit zwölf Jahren war er mit seiner Großfamilie, die zu den letzten weißen Familien im Viertel gehörte, aus Sizilien nach Amerika gekommen. Fatty Davis, ein cleverer, stämmiger, harter, geselliger Gauner, dem die einzige Kneipe von Chicken Hill gehörte, war damals auch zwölf gewesen, und die beiden hatten sich schnell angefreundet. Fatty diente Big Soap gerne als Übersetzer und Englischlehrer. Beide liebten es, zu bauen und Dollars zu machen. Nach der Highschool arbeiteten sie gemeinsam in verschiedenen Fabriken, zuletzt bei den Flagg Industries im nahen Stowe, die Stahlnippel sowie Anschlüsse und Armaturen für Dampfleitungen produzierten. Oft gingen sie zusammen von der Arbeit nach Hause.
Papers Satz zog schnell eine Reihe Leute an. Rusty, der am Rand stand, reagierte ungläubig.
»Hast du es selbst gesehen, Paper? Oder hat es dir einer erzählt?«
Papers große braune Augen richteten sich auf Rusty, dessen schlanker Körper sich leicht anspannte, als sie ihn so ansah. »Rusty«, sagte sie geduldig, »ja, ich habe gesehen, wie Big Soap Fatty den Zahn ausgeschlagen hat, okay? Mit meinen eigenen Augen. Gestern.«
»Wie kommt es dann, dass ich von Fatty nichts dazu gehört habe? Ich war gestern Abend in seiner Kneipe.«
»Was hast du da gemacht?«
»Ist meine Sache.«
»Hast du Fatty da gesehen?«
»Ich hab nicht nach ihm Ausschau gehalten. Ich hatte zu tun.«
»Nun, was immer das war, Fatty war nicht da, weil er nach Philly gefahren ist, um seine Lippe in Ordnung bringen zu lassen. Die war oben dick wie ein Hotdog.«
Die Frauen, die im Kreis um sie herum standen, lachten. Addie, die hinten im Laden am anderen Ende der Theke arbeitete, kam herüber. »Hatten die beiden getrunken?«, fragte sie.
»Ich glaube nicht«, sagte Paper.
Rusty feixte: »Woher willst du das wissen? Hast du dich von ihnen anhauchen lassen?«
Paper neigte den Kopf und betrachtete ihn ruhig. Rusty sah eigentlich nicht schlecht aus, dachte sie, aber schrecklich, wenn er so grinste. Sie fragte sich, ob er wusste, wie gut er aussah, wenn er normal blieb und nicht so dumme Grimassen zog. Sie entschied, nein, tat er nicht. Er war schließlich, wie alle Männer, ein Schwachkopf.
»Was hast du gegen mich, Rusty?«, fragte sie.
Rusty stand mit den Händen in den Taschen seines Overalls da, griff nach seinen Zigaretten und wusste mit einem Mal nicht mehr, wo er sie hingesteckt hatte. Er befühlte seinen Overall und geriet außer Atem. So fühlte er sich immer, wenn Paper in der Nähe war. »Dieser ganze Wer-war-es-Unsinn hat nichts zu bedeuten, wenn du nicht selbst dabei warst, Paper. Hast du das alles gesehen?«
»Nur das Ende«, sagte sie.
»Und das war …?«
»Was ich gesagt hab. Soap hat ihm eine geknallt.«
Rusty fand seine Zigaretten nicht, gab auf und steckte die Hände zurück in die Taschen. Er hatte das Gefühl, als wäre ihm etwas entglitten. Er hörte sich betteln: »Komm schon, Paper … Schmück’s aus, wie du es so gut kannst. Mach eine Story draus.«
»Warum sollte ich?«
»Weil, wenn du es anders erzählst, klingt es wie eine Lüge.«
Paper wurde etwas nachsichtiger und lächelte. Rusty, musste sie zugeben, hatte was – eine gewisse Unschuld, und trotz des weiten Overalls versetzten seine muskulösen Arme und die feste Brust ihre Innereien in eine Art Unruhe, wie sie es seit Jahren nicht mehr erlebt hatte, nicht seit sie siebzehn gewesen war und ihre erste und letzte Busreise aus Vestavia, Alabama, in Richtung Norden zu unbekannten Ufern gemacht hatte.
»Ich höre, deine Tante Clemy bringt ihre Käsecracker mit zum Essen nach der Messe morgen.«
»Sie nennt sie Käsehalme.«
»Meinetwegen kann sie sie George Washington nennen. Wenn sie die Cracker mitbringt, wirst du dann an deine Freunde denken?«
»Vielleicht.«
Befriedigt und jetzt mit komplett versammeltem Publikum legte Paper los.
»Ich hab gerade im Garten Unkraut gejätet, als ich sah, wie Fatty und Soap von der Arbeit den Hill raufkamen. Ein paar Meter vor meinem Garten sind sie stehen geblieben, und Fatty sagte: ›Los doch, Soap, mach es. Ich weiß, du willst es. Mach schon. Los. Bring es hinter dich.‹«
Und sie demonstrierte, was er dabei gemacht hatte, reckte das Kinn vor und beugte den Rücken. Die Leute lachten, es waren noch ein paar neue dazugestoßen, unbekannte Farbige aus dem nahen Hemlock Row, aus Phoenixville und Stowe, ein paar Tagelöhner, die auf weißen Farmen außerhalb der Stadt wohnten und am Wochenende in den Heaven & Earth kamen, um zu sehen und zu hören, was es Neues gab.
Paper sah ihr Publikum an und hatte Mühe, nicht zu lächeln, als sie weitererzählte: »Ihr wisst, wie Soap ist. Er kann keiner Fliege was zuleide tun, und er sagte: ›Ich mach das nicht, Fatty.‹ Aber Fatty wollte keine Ruhe geben: ›Los, mach, bring’s hinter dich.‹«
Papers Augen funkelten, sie stand wieder gerade, und ihr schönes Gesicht leuchtete im Sonnenlicht, das durchs Schaufenster fiel, auf sie, auf Obst und Gemüse und bis in die Ecken des Heaven & Earth Grocery Store. Es ließ Paprikaschoten und Möhren erstrahlen, Salzcracker und Apfelschäler, und das Leben schien so voll und neu und frisch wie das Versprechen, das Pennsylvania einmal für viele der Umstehenden gewesen war, die aus dem Süden in den Norden gekommen waren. In ein Land, das Gutes verhieß und eine klare Freiheit, in der ein Mann ein Mann und eine Frau eine Frau sein konnte, so anders sich die Wirklichkeit auch erwies, in der sie nun lebten, in eng zusammengepferchten Häusern, umschlossen vom Schmutz der Fabriken, die bitteren Rauch in den grauen Himmel schickten, die Gärten klein und voller Ziegen und Hühner in einem Teil der Stadt, den niemand wollte, ohne fließendes Wasser und Toiletten. Wo sie lebten wie zu Hause. Nur dass sie hier nicht zu Hause waren. Sonst war es das Gleiche. Aber Augenblicke wie dieser machten das Leben lebenswert, denn Paper schlug die Trommel. Gerüchte und Neuigkeiten zu verbreiten, das war ihr Gospellied, stets melodiös und freudig.
Sie stand unter ihnen, ihre Augen glitzerten. »Soap wollte nicht nachgeben, aber Fatty redete weiter auf ihn ein: ›Los doch, Soap, ich bin ein Mann. Mach schon.‹ Und man konnte sehen, dass Soap sich mit der Vorstellung anzufreunden begann«, sagte sie. »Sie gewann eine gewisse Attraktivität. Und da Fatty immer weiter drängte, nehme ich an, sagte er sich, es sei schon okay.«
Und jetzt kicherte sie.
»Also ballte er eine Faust … ich meine, der weiße Junge holte aus und schickte sie, diese Faust, durch vier, fünf Staaten, bevor sie Fatty ›Hallo‹ sagte. Sie fegte durch Mississippi, durch die Carolinas, machte eine kurze Kaffeepause in Virginia, nahm in Maryland noch mehr Schwung auf … und wumms! Sie wollte Fatty aus dieser Welt heben und landete ganz fürchterlich in seinem Gesicht. Ich hör noch, wie sie drauf aufgeprallt ist. Holte Fatty von den Beinen und schickte seinen Goldzahn, den vorne, auf Wanderschaft.«
»Und dann?«, fragte Rusty.
»Da gab’s kein dann , Rusty«, sagte sie. »Soap drehte sich um und ging nach Hause. Und Fatty saß auf seinem Hintern da. Nachdem er festgestellt hatte, dass sein Kopf noch auf den Schultern saß, erhob er sich und fing an, auf allen vieren rumzukrabbeln wie ein Hund, der einen Knochen ausscheißt.«
»Und was hast du die ganze Zeit gemacht?«, fragte Rusty.
»Was denkst du? Ich bin zu ihm raus.«
»Bist du nicht!«
»Aber klar doch. Ich komm aus meinem Garten und sage: ›Fatty, was ist los?‹, und er sagt: ›Mein Goldzahn ist weg!‹ Es hat uns ’ne Weile gekostet, im Dreck danach zu suchen, aber wir haben ihn gefunden. Das war schon ein Schlag, das Ding in die Tasche stecken zu müssen. Und er ist weg mit’m Loch in den Zähnen groß wie Milwaukee.«
Rusty und die anderen lachten, und als es wieder ruhig wurde, steckte sich Paper einen Zahnstocher in den Mund. »Dick Clemens, der drüben bei Flaggs arbeitet, kam später und hat mir erzählt, was passiert war. Wie sich rausgestellt hat, war irgendein hoher Inspektor da. Einer von ganz oben. Zweimal im Jahr kommt er aus Philly, und dafür muss alles picobello aussehen. Alles wird geputzt, die Maschinen, die Fenster, die Balken, die Pfeiler und das ganze Zubehör. Alles kriegt eine Schönheitsbehandlung.
Also Fatty war gerade befördert worden und Soap jetzt unter ihm. Sie waren ein Team, ja, aber Fatty ist das zu Kopf gestiegen. Er fing an, den weißen Jungen rumzukommandieren. Soap musste alles machen, während Fatty dasaß und sich ausgeruht hat.«
Sie legte ein Pause ein, betrachtete die Leute und warf instinktiv einen Blick auf den leeren Stuhl am anderen Ende der Ladentheke, wo Miss Chona normalerweise saß und über die Süßigkeiten herrschte. Der Stuhl war leer.
»Als jetzt der große Inspektor in den Raum kam, in dem Fatty und Soap waren, deutete er auf einen der Löschschläuche, die da hingen, und sagte: ›Ist dieser Schlauch getestet worden?‹, und Fatty sagte: ›Ja, Sir, der ist getestet.‹ ›Wer hat ihn getestet?‹ ›Nun, unser Soap‹, sagte Fatty.
Soap hat allerdings nicht mehr Ahnung vom Testen eines Löschschlauchs als ein Schwein vom Klettern. Aber als Italiener, der nicht so gut Englisch spricht, sah er Fatty nur nicken und sagte: ›Ja, ja, sì, sì‹, oder wie die Italiener auch Ja sagen mögen.
Darauf zog der Inspektor den Schlauch vom Regal und schüttelte ihn. Eine Erdnuss fiel raus. Er sagte: ›Die Erdnuss habe ich vor sechs Monaten da reingelegt, als ich das letzte Mal hier war.‹
Fatty meinte: ›Aber sie ist sauber, Sir.‹
Nun, der Kerl drehte durch, und die beiden wurden auf der Stelle gefeuert. Auf dem Nachhauseweg dann wollte Fatty die Sache wohl klären, da er wusste, Soaps Momma würde Soap eine Tracht Prügel verabreichen, weil er seinen Job verloren hatte. Ihr wisst, wie Soaps Momma ist. Die kleine Lady wird dem Riesen die Hölle heiß machen! Die schlägt ihn grün und blau!«
Die Leute lachten laut los, und als sie sich zerstreuten, bemerkten einige, dass Fatty, durchtrieben, wie er war, einfach zu viele Jobs habe, das sei es. Er fuhr Taxi, hatte einen Wäschereiservice, arbeitete in der Fabrik, und dazu betrieb er noch seine Kneipe und die Hamburger-Bude. Andere spekulierten, dass der arme Big Soap sich Fatty verpflichtet fühlte, weil der ihn mit in die Empire Fire Company genommen hatte, bevor sie bei Flagg anfingen, und ihn den Iren da vorgestellt hatte, die den ganzen Tag rumsaßen, Bier tranken und Karten spielten und Big Soap den neuen Feuerwehrwagen waschen und die alte Feuerwehrkutsche einmal um die Station ziehen ließen, gleichsam um zu beweisen, dass er dazugehörte, als erster Italiener in der Geschichte der Company. Big Soap hatte die falschen Freunde, da waren sich alle einig.
Und während die Leute sich noch unterhielten, bewegte sich Paper nach hinten zur Theke, wo Addie stand. Sie wartete, bis die Leute weit genug weg waren, um nicht einfach mithören zu können, und beugte sich vor.
»Gib mir ein Päckchen von dem schmerzstillenden Pulver«, sagte sie leichthin und deutete über Addies Schulter.
Addie griff hinter sich, nahm eins und legte es auf die Theke. Ihr Blick wanderte nach links zur Tür bei der Gemüseauslage, wo ein großer fremder Schwarzer mit weißem Hemd und einer Filzkappe stand und so tat, als sähe er nach den Zwiebeln. Paper blickte ebenfalls zu ihm rüber und schloss die schönen langen Finger um das Schmerzpulver.
»Hast du Kopfschmerzen, Paper?«, fragte Addie.
»Nein. Aber der Nigger da wird welche kriegen. Alles, was ich tun konnte, war Rusty von ihm abzulenken. Der hätte ihn verprügelt.«
»Vielleicht ist er aus Hemlock Row.«
»Nein. Die Farbigen von da sind kleiner, die Köpfe sind anders, und sie vertragen sich. Der ist vom Staat.«
»Der Staat hat keine farbigen Arbeiter«, sagte Addie. »Vielleicht ist er von der Eisenbahn.«
»Wenn das ein Schaffner ist, fress ich ihn ohne Salz. Sieh dir die Schuhe an. Welcher Schaffner würde auch nur im Traum daran denken, solche ausgelatschten Treter zu tragen? Im Übrigen kenn ich alle Schaffner, die hier durchkommen. Ich denke, er könnte einer vom Staat sein. Vielleicht von der Irrenanstalt in Pennhurst. Um Dodo zu holen.«
»Ein Farbiger? Die putzen da höchstens die Böden, soweit ich weiß. Aber egal. Könnte sein. Wie finden wir es raus?«
Paper dachte einen Moment nach und sagte dann: »Miggy Fludd aus Hemlock Row, die kennt alle Farbigen da oben. Sie könnte wissen, wer das ist.«
Addie beobachtete den Mann und sah dann besorgt weg. »Der Staat hat schon dreimal einen weißen Burschen geschickt, um Dodo zu holen. Immer denselben.«
»Ihr müsst ihn echt sauer gemacht haben, als ihr ihn verscheucht habt.«
»Ich hab ihn nicht verscheucht. Das war Miss Chona.«
»Gut, dann sie«, sagte Paper.
Die beiden sahen zu, wie der Mann den Blick durch den Laden gleiten ließ, sich von den Zwiebeln zu den Okras bewegte, eine befingerte, dann noch eine. Paper grinste. »Das ist schon was. Ich habe noch nie einen Farbigen gesehen, der für den Staat arbeitet. Soll ich ihn mal anquasseln?«
»Nein«, sagte Addie. »Er muss an deinem Haus vorbei, wenn er wieder geht. Falls er ein Auto hat, schreib dir seine Nummer auf.«
Paper gluckste. »Dagegen bin ich allergisch. Ich kann hier und da ein paar kleine, olle Buchstaben auf ein Stück Papier schreiben, aber das ist es auch schon. Soll ich Fatty Bescheid sagen? Der stutzt ihn zurecht.«
»Ich dachte, du hast gesagt, Fatty ist in Philly, wegen seinem Zahn?«
»Der kommt schon rechtzeitig zurück.«
»Lass ihn da raus.«
»Was ist mit Miss Chona?«, fragte Paper.
»Lass sie da auch raus, Himmel noch mal. Sie ist noch nicht wieder so zurecht, wie es den Anschein hat. Wenn sie rausfindet, wer der Kerl ist, fällt sie womöglich über ihn her. Oder schlimmer, sie kriegt einen Rückfall, was nur noch mehr Ärger mit den Weißen bedeutet. Die mögen sie in etwa so wie Erdnussschalen. Sag einfach nichts.«
Addie rieb sich einen Moment lang das Kinn, lehnte sich auf die Theke und rutschte ein wenig näher zu Paper hin. »Eine Sache«, sagte sie mit gesenkter Stimme. »Miss Chona hat dem Mann vom Staat dreimal gesagt, dass der Junge nicht mehr in der Gegend ist. Warum suchen sie dann noch?«
»Weil irgendwer im Viertel das Maul aufreißt«, sagte Paper.
»Wie finden wir den Schwätzer?«
Paper lächelte, und ihre prächtigen Augen leuchtete in freudiger Erwartung beinahe grün. »Überlass das mir«, sagte sie.